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Title: 21 Jahre in Indien.: Erster Theil: Borneo.
Author: Breitenstein, Heinrich
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "21 Jahre in Indien.: Erster Theil: Borneo." ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1899 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht
  mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
  unverändert.

  Im Text werden Passagen aus mehreren Fremdsprachen eingebracht, z. B.
  Niederländisch, Französisch oder Latein. Diese wurden unkorrigiert
  übernommen. Eigen- und Ortsnamen erhalten oft verschiedene
  Schreibweisen (z. B. ‚Passir‘/‚Pasir‘), mitunter auch innerhalb
  eines Absatzes; Maßeinheiten werden teilweise mit oder ohne Punkt
  abgekürzt (‚cm‘/‚cm.‘). Dies wurde nicht vereinheitlicht, sofern
  beide Schreibweisen im Text mehr als einmal vorkommen.

  Das Inhalts- und das Abbildungsverzeichnis wurden der
  Übersichtlichkeit halber an den Anfang des Texts versetzt.

  Die Begriffe im ‚Sach- und Namenregister‘ entsprechen oft nicht
  exakt den verwendeten Ausdrücken im laufenden Text; so verweist
  beispielsweise der Punkt ‚Adat‘ auf den Ausdruck ‚hadat‘ (Tradition)
  auf S. 8. Beim Eintrag ‚Medara-See‘ fehlt die Seitenangabe im
  Original; diese konnte vom Bearbeiter auch nicht zugeordnet werden.

  Umlaute in Großbuchstaben (Ä, Ö, Ü) werden als deren Umschreibung
  (Ae, Oe, Ue) wiedergegeben.

  Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der
  folgenden Sonderzeichen gekennzeichnet:

        fett:     =Gleichheitszeichen=
        gesperrt: +Pluszeichen+

  Das Caret-Symbol (^) steht für ein nachfolgendes hochgestelltes
  Zeichen; mehrere Zeichen werden durch geschweifte Klammern
  zusammengefasst.

  ####################################################################



                         Dr. H. Breitenstein.

                          21 Jahre in Indien.



[Illustration: Waringinbaum.]



                          21 Jahre in Indien.

                Aus dem Tagebuche eines Militärarztes.


                         Erster Theil: Borneo.

                                  Von
                         Dr. H. Breitenstein.

             Mit 1 Titelbild und 8 Illustrationen im Text.

                               Leipzig.
                   Th. Grieben’s Verlag (L. Fernau).
                                 1899.



                Druck von H. +Klöppel+, Gernrode Harz.



Inhaltsverzeichniss.


                                                                   Seite

                  Vorwort                                              V

  =1. Capitel.=   Rassen auf Borneo: Olo-Ott, Dajaker u. s. w.
                  -- Reise von Surabaya nach Bandjermasing
                  -- Insel Madura und Bawean -- Dussonfluss
                  -- Mosquitos -- Oedipussage auf Borneo --
                  Danaus-Seen -- Antassan -- Rother Hund (eine
                  Hautkrankheit)                                       1

  =2. Capitel.=   Pesanggrâhan = Passantenhaus -- Ausflug nach
                  der Affeninsel -- Aberglaube der Eingeborenen
                  -- Reise nach Teweh -- Ein chinesisches
                  Schiff im Innern Borneos -- Trinkwasser in
                  Indien -- Eis -- Mineralwässer                      13

  =3. Capitel.=   Amethysten-Verein -- Alcohol -- Gandruwo,
                  eine Spukgeschichte -- Polypragmasie der
                  jungen Aerzte -- Verpflegung in einem Fort
                  -- Unselbständigkeit der Militärärzte
                  -- Malayische Sprache -- Vergiftung mit
                  Chloralhydrat und Arsenik -- Krankenwärter
                  und Sträflinge -- Amoklaufen -- Erste Praxis
                  unter den Dajakern -- Schwanzmenschen               24

  =4. Capitel.=   Fischschuppen-Krankheit -- Tigerschlange --
                  Schlangenbeschwörer -- Gibbon -- Kentering
                  -- Beri-Beri -- Simulanten beim Militär --
                  Mohammedanisches Neujahr -- Tochter von
                  Mangkosari -- Kopfjagd -- Pfeilgift --
                  Genesungsfest -- Gesundes Essen -- Früchte
                  -- Indische Haustoilette -- Wüthende
                  Haushälterin -- Dysenterie -- Gewissenlose
                  Beamte -- Missionare                                45

  =5. Capitel.=   Fort Buntok -- Orang-Utang -- Operationen --
                  Prostitué bei den Affen -- Darwinisten --
                  Indische Häuser -- Möbelfabrikanten --
                  Französische Mode -- Gefährliche Obstbäume
                  -- Einrichtung der Häuser -- Dajakische
                  Häuser -- Götzenbilder -- Tuwak oder Palmwein
                  -- Wittwenstand der Dajaker -- Opfern der
                  Sclaven -- Todtenfest                               88

  =6. Capitel.=   Ameisen und Termiten in den Wohnungen --
                  Verderben der Speisevorräthe --
                  Milch-Ernährung der Säuglinge -- Aborte
                  Tjebok -- Transpiration in den Tropen
                  -- Baden -- Siram = Schiffsbad --
                  Antimilitärischer Geist der Holländer -- Das
                  Ausmorden der Bemannung des Kriegsschiffes
                  „Onrust“, von den Dajakern erzählt                 113

  =7. Capitel.=   Acclimatisation -- Sport in Indien --
                  Sonnenstich -- Prophylaxis gegen Sonnenstich
                  -- Alcoholica -- Bier -- Schwarzer Hund --
                  Mortalität beim Militär im Gebirge und in
                  der Ebene -- Klima -- Statistik -- Erröthen
                  der Eingeborenen -- Geringschätzung der
                  „Indischen“ -- Fluor albus, Menstruation --
                  Gesundheitslappen -- Erziehung der Mädchen --
                  Indische Venus -- Indischer Don Juan               130

  =8. Capitel.=   Urbewohner von Borneo -- Eisengewinnung bei den
                  Dajakern -- Eisenbahn auf Borneo --
                  Landbaucolonien -- Jagd in Borneo -- Im
                  Urwalde verirrt -- Wilde Büffel -- Medicin
                  auf Borneo -- Actiologie bei den Dajakern --
                  Taufe bei den Dajakern -- Dukun -- Doctor
                  djawa                                              147

  =9. Capitel.=   Kriegsspiele der Dajaker -- Angriff auf einen
                  Dampfer -- Hebammen -- Frauen-Doctor --
                  Europäische Aerzte -- Gerichtsärzte --
                  Stadtärzte -- Civilärzte -- Furunculosis --
                  Aerztliche Commissionen -- Vaccinateurs            170

  =10. Capitel.=  Geographie von Borneo -- Reise des dänischen
                  Gelehrten Dr. Bock -- Besteigung des Berges
                  Kinibalu -- Die Syphilis in Indien --
                  Beschneidung                                       190

  =11. Capitel.=  Das „Liebesleben“ bei den Waldmenschen,
                  Dajakern, Malayen und Europäern --
                  Aphrodisiaca                                       223

  =12. Capitel.=  Abreise von Borneo -- Tod meiner zwei
                  Hausfreunde durch Leberabscesse --
                  Bandjermasing nach 100 Jahren                      232

  =Anhang.=       Geschichte des Süd-Ostens von Borneo               238

  =Sach- und Namen-Register=                                         255



Verzeichniss der Abbildungen.


                                                                   Seite

  Titelbild: Ein Waringinbaum.

  Umschlagbild: Ein Dajaker.

  Fig. 1: Grundriss von Bandjermasing                                  5

  Fig. 2: Eine Bekompeyerin                                           14

  Fig. 3: Das Fort Teweh bis zum Jahre 1880                           28

  Fig. 4: Mein erster Hausfreund                                      51

  Fig. 5: Erste Begegnung mit der Tochter des Fürsten Mangkosari      60

  Fig. 6: Mein zweiter Hausfreund                                     90

  Fig. 7: Der Schweinsaffe (Cercopithecus nemestrinus)                97

  Fig. 8: Skizze von Borneo                                          155


  Fig. 1 ist (in doppelter Grösse) entnommen dem grossen Atlas von
  Stemfoort und ten Siethoff.

  Titelbild und Fig. 6 wurden nach Photographien des Verfassers
  reproducirt.

  Figg. 2-5 wurden nach den Skizzen und Mittheilungen des Verfassers
  gezeichnet.

  Fig. 8 ist die verkleinerte Reproduction der Skizze, welche im
  Militärblatt von Holländisch-Indien in No. 59 vom Jahre 1888 erschien.

      Legenda: D = dajakisch.
               J = javanisch.
               M = malayisch.
               S = sundanesisch (im Westen Javas).

[Illustration]



Vorwort.


E. Ch. +Barchewitz+ rechtfertigt in der Vorrede seiner
„Ost-Indianischen Reise-Beschreibung“ („Erfurt, verlegts Joh. David
Jungnicol 1751“) die Herausgabe seines Buches mit folgenden Worten:

  ... „Ich könnte aber viele Ursachen anführen, welche mich hierzu
  bewogen, wenn ich die engen Grenzen meiner kurzen Vorrede
  überschreiten wollte; gleichwohl habe ich die vornehmste nicht
  verschweigen sollen. Die erste ist, dass wir unterscheiden vornehme
  und gute Freunde, denen ich dann und wann in Conversation von meiner
  Reise Eines und das Andere erzählet, mir angelegen, das, was ich
  erfahren, nicht vor mich allein zu behalten, sondern dem Publico zu
  communiciren ...“

Auch mir erging es so. Wenn ich einen Vortrag hielt über dieses oder
jenes Thema, wie z. B. im Jahre 1885 über Borneo oder im Jahre 1898
über die Hygiene in den Tropen; wenn ich in einem kleinen Kreise in
groben Zügen eine oder die andere den Tropen eigene Krankheitsform
beschrieb, oder wenn ich diesen oder jenen Theil des täglichen Lebens
im Lande des ewigen Sommers meinen Freunden entrollte, immer wurde ich
dazu gedrängt, in irgend einer Weise meine Erlebnisse einem grösseren
Publicum zugänglich zu machen. Wenn ich also dieser Aufforderung Folge
leiste, so beabsichtige ich kein grosses gelehrtes Buch zu schreiben
oder wie Barchewitz in seiner Vorrede sagt:

  „An dem in diesen Bogen gebrauchten Stylo muss sich der geliebte
  Leser keineswegs ärgern, dass er nicht hochtrabend, sondern in einem
  ganz einfältigen und gemeinen deutschen Kleide aufziehet. Denn,
  gleichwie es einem Bürger oder Landmanne übel würde ausgelegt werden,
  wenn er in einem güldenen Stück einher getreten kommen würde; so
  würde es auch mir fast billig verarget werden, wenn ich wider mein
  Naturell und Lebensart in Beschreibung der Geschichten meines Lebens,
  den galanten Schlesiers oder Sachsen ihre Wohlredenheit abborgen und
  in selbige meine Historie verstecken wolle.“

Ich will nur erzählen, was ich gesehen und was ich erlebt habe als Arzt
und als Mensch, und ich will, wo es sein muss, flüchtig den Kothurn der
Wissenschaft besteigen; denn ich schreibe für Aerzte und für Laien.[1]
Europa sprengt seine Fesseln und breitet seine Arme nach dem fernen
Westen und Osten der Welt aus. Zahlreiche Aerzte gehen nach dem Congo,
zu den Tabakpflanzern auf Sumatra u. s. w., um dort ihr Glück zu
suchen. Sie finden dort andere Menschen, andere Sitten und Gebräuche,
ein ander Klima, eine ganz andere Volksnahrung, sie finden Manches, von
dem sie früher nichts gehört und nichts gelesen haben. Als ich vor 22
Jahren an der Westküste Sumatra’s in Padang zum ersten Male indischen
Boden betrat, bot mir ein Hausirer eine Ananas zum Kauf an. Ich nahm
sie auf das Schiff mit, ein Schiffsgenosse liess sie für mich schälen,
während er mir ihren Saftreichthum und ihr Aroma in überschwänglichen
Worten pries, und schon wollte ich einen Bissen zum Munde führen, als
ein alter College, der von seiner Urlaubsreise zurückgekehrt war, mir
warnend zurief: „Des Morgens (= Vormittagsstunden) darf man keine
Ananas essen, sonst bekommt man die Cholera.“ Kurze Zeit darnach sass
ich mit einem Obristlieutenant in der Veranda seines Hauses; wir
philosophirten, wie er es nannte, und er behauptete, was ich späterhin
noch vielfach zu hören bekam, dass Gott jedem Lande seine Krankheiten,
aber auch die Arzneien für diese Krankheiten gegeben habe, und dass
daher für die Behandlung der „indischen“ Krankheiten der europäische
Arzt nicht die geeignete Person sei, sondern jene Damen, welche in der
Behandlung der „indischen“ Krankheiten (Dysenterie, Aphthae tropicae
u. s. w.) grossartige Erfolge hätten, weil sie sich nur der Arzneien
des Landes bedienten, und dass selbst der Sanitätschef sich bei
ihnen Raths erhole u. s. w. Wie rath- und hilflos stand ich gegenüber
diesen -- Phrasen! Nun Dieses und Solches mehr werde ich in diesem
Buche mittheilen, ich werde erzählen, wie ich solche Fragen damals
beantwortete, oder wie ich sie heute beantworten würde; ich werde damit
kein Lehrbuch schreiben für den Arzt, der zum ersten Male das Land
der Tropen betritt, sondern ihn nur aufmerksam machen auf die neuen
Verhältnisse, denen er entgegentritt, und ihm auf diese Weise die
Gelegenheit geben, zu manchen Fragen Stellung zu nehmen und über manche
Fragen nachzudenken, welche ihm aus Unkenntniss der Verhältnisse,
um mich eines banalen Ausdrucks zu bedienen, nicht einmal im Traume
einfallen.

Der Laie wird mit mir eine Reise in das Land machen, welches sich „wie
ein Gürtel aus Smaragd um den Gleicher schlingt“ (Multatuli); ich werde
ihn in die Hütte des Kopfjägers begleiten, welcher im Herzen Borneos
in grossen Hütten aus Bambus sein leichtsinniges Leben führt; ich
werde ihm das Leben und Lieben der javanischen Frau in kurzer Skizze
zeichnen; ich werde ihm die Feste der Palembanger (Sumatra) beschreiben
u. s. w.; dann werde ich ihn in das Familienleben der europäischen
und halbeuropäischen Bewohner dieser Inseln blicken lassen, und ich
werde ihm ein =ärztlicher Führer= sein, wenn er als Tourist die
Tiger des südlichen Java oder die Orang-Utangs Borneos fangen oder
erlegen will, oder wenn er die „Tausend Tempel“ Javas zu bewundern
beabsichtigt, oder für die Producte der heimathlichen Industrie im
fernen Osten ein Absatzgebiet aufsuchen will.

Schon manches Werk wurde in diesem Genre geschrieben, aber nicht, so
weit mir wenigstens bekannt ist, in deutscher Sprache. In Holland
erschien jedoch vor 16 Jahren ein solches Buch unter dem Namen „De
geneesheer (Arzt) in Nederlandsche Indië“ von Dr. C. L. van der Burg,
welches mir so manche vergnügte Stunde bereitet, und aus welchem ich
Vieles gelernt habe, obzwar ich damals schon 6 Jahre in den Tropen
gelebt hatte. Dieses ist ein systematisch geschriebenes Buch, welches
scharf abgegrenzte Theile der Tropenhygiene und der Ethnographie
behandelt.

Ich habe mir ein weiteres Ziel gesetzt und auch eine andere Form dafür
gewählt.

In 3 Theilen[2], genannt nach den 3 Inseln Borneo, Java und Sumatra,
auf welchen ich viele Jahre gelebt habe, werden meine Erlebnisse und
meine Beobachtungen, wie sie in meinen alten Reisebriefen auf einander
folgen, mitgetheilt werden, +nachdem+ die Schlacke der +ersten
oberflächlichen+ Eindrücke durch die Kritik der Beobachtung
+vieler Jahre+ beseitigt werden konnte.

Wenn diese 3 Bücher auch nach dem fernen „heiligen Java“ und Borneo
den Weg finden, dann rufe ich ihnen wehmüthig die Worte des römischen
Dichters nach:

    Heu mihi quod domino
    non licet ire tuo.

  +Karlsbad+, im April 1899.       =Dr. H. Breitenstein.=



1. Capitel.

  Rassen auf Borneo: Olo-Ott, Dajaker u. s. w. -- Reise von Surabaya
  nach Bandjermasing -- Insel Madura und Bawean -- Dussonfluss --
  Mosquitos -- Oedipussage auf Borneo -- Danaus-Seen -- Antassan --
  Rother Hund (eine Hautkrankheit).


Wien Neerlands bloed door de aderen vloeit, van vreemde smetten vry (=
Wem Niederland’s Blut durch die Adern fliesst, das frei von fremdem
Makel) wird heute unter den Fahnen Javas mit ebensolcher Begeisterung
als an den Ufern der Maas gesungen. Aber hier wie dort kann der
Ethnograph nur von einer +gemischten+ Rasse sprechen.

Wie in Europa, im Lande der »Bataver«, Franzosen, Engländer, Spanier
und Deutsche seit Jahrhunderten abwechselnd sich angesiedelt und durch
gegenseitige Heirathen, ich möchte sagen, eine neue Rasse geschaffen
haben, so hat auch Bandjermasing, die Hauptstadt des südöstlichen
Theiles von Borneo (wie alle grossen Hafenstädte des indischen
Archipels), zahlreiche Menschenrassen, welche nicht nur neben einander
leben, sondern sich auch unter einander kreuzen. Buginesen von Celebes,
Javanen, Malayen, Maduresen, Bekompeyer, Chinesen und Europäer bewohnen
zwar in eigenen Kampongs die einzelnen Theile der Stadt, aber Amor
kennt keine Grenzpfähle und keinen Unterschied der Rassen. Reiner hat
sich jedoch auf der Insel Borneo der +dajakische+ Volksstamm
erhalten, wenn wir dem Laufe des grossen Stromes Baritu folgen, in
den sogenannten Dusson- oder Dajaklanden, d. h. ungefähr oberhalb
Mengkatip (2° 5′ S. B.), trotzdem sie Jahrhunderte lang unter dem Joche
malayischer Fürsten seufzten; ganz rein blieben nur die Olo-Ott in
ihrer Rasse; das sind jene Wilden, welche in den Urwäldern frei ohne
jedes politische sociale Band in einzelnen Familien und als Nomaden auf
Bäumen leben und in Hütten aus Laub sich vor den Unbilden des Wetters
schützen. Sie selbst, d. h. die Olo-Ott, habe ich nicht gesehen,
aber ihre nächsten Nachbarn, die Bewohner von Murong und Siang; unter
den Dajakern, stricte dictu habe ich 3 Jahre gelebt; 10 Monate weilte
ich in Buntok (1° 17′ S. B.), wo die Dajaker mit den Bekompeyern
friedlich beisammen wohnen. Das sind Dajaker, welche im Contact mit den
benachbarten Malayen nicht nur den mohammedanischen Glauben angenommen
haben, sondern auch in ihren Sitten und Gebräuchen milder geworden sind
und selbst durch Handel, Industrie und durch Ackerbau auf der ersten
Stufe der menschlichen Civilisation stehen; auch ihre Künste und ihre
Literatur sind die der Malayen, welche die Küsten aller Inseln des
indischen Archipels bewohnen.

Bevor ich jedoch auf dieses Thema mich weiter einlasse, will ich mit
einigen Zeilen von der Reise selbst sprechen, welche mich zunächst nach
Bandjermasing und hernach nach Muara Teweh brachte, wo ich 3 lange
Jahre verblieb und während dieser Zeit kein Pferd gesehen habe und
keine -- europäische Dame.

Den 28. März 1877 schiffte ich mich in Surabaya, der zweitgrössten
Stadt Javas, ein, um als holländisch-indischer Oberarzt nach Borneo zu
gehen. Gegenüber dieser Stadt liegt die Insel Madura und das Fahrwasser
zwischen diesen beiden Inseln versandet mit jedem Tag mehr und mehr, so
dass die Regierung ihre Mühe hat, diese Strasse offen zu erhalten. Hier
hat die See eine so starke Strömung, dass ich mit meinem Kahne unmöglich
das Schiff erreichen konnte, bis einer der Schiffsofficiere uns am
Seil einen Rettungsring zuwerfen liess. Die Ruderer legten die Ruder
zur Seite, erfassten das Tau und so gelang es ihnen, den Kahn an die
Falltreppe zu bringen. Den vier Collegen, welche mich begleitet hatten,
drückte ich zum letzten Male die Hand, und ich verliess die Nordküste
Javas, um 3½ Jahr lang weit entfernt von der menschlichen Civilisation
in einem kleinen Fort in Gesellschaft zweier Officiere ein Leben
zuzubringen, das mir alle Genüsse des europäischen gesellschaftlichen
Lebens vorenthielt bis auf die -- der Wissenschaft. --

Das östliche Ufer der Insel Madura, an dem wir vorüber glitten, war
reich mit Urwald bewachsen und bot uns manches schöne Panorama,
hingegen war die Küste der Insel Bawean, an welcher wir ebenfalls
vorbeidampften, flach und öde. Schon am 30. März sahen wir die Mündung
des Baritu, ohne jedoch wegen der Ebbe weiterdampfen zu können. Eine
ungeheure Sandbank verlegt nämlich die Einfahrt in den Baritu und wird
mit jedem Tage grösser, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann
sie die Insel Bawean erreicht haben wird. Erst am 31. März brachte
uns die Fluth in den Baritu, welcher Strom auch Bandjermasing genannt
wird und in seinem Oberlaufe Dusson heisst. Er hat zwei Mündungsarme,
von denen jeder an der Küste ungefähr ein Kilometer breit ist. (Der
westliche Arm mündet 3° 26′ S. B. und 114° 13′ O. L. und der andere 3°
35′ S. B. und 114° 33′ O. L. in die Javasee.)

Die Fahrt in den Baritu ging sehr langsam, weil der Strom bis
zur Mündung des Martapuraflusses, an dessen Ufern die Hauptstadt
Bandjermasing liegt, in mehr als dreissig Windungen sich schlängelt.
Die Ufer sind dicht bewachsen und zwar unter anderem von der Nipahpalme
(Nipa fructicans), deren Blätter abgekocht, abgekratzt und getrocknet
werden, um als Deckblatt von Cigaretten zu dienen und welche die
Heimath ist der -- Mosquitos (Culex und Tipula).

Deren giebt es zahlreiche Species; aber alle sind eine fürchterliche
Plage, von der besonders Bandjermasing heimgesucht wird.

Wenn auch in der Regel die indischen Mosquitos nur Abends und in der
Nacht dem Menschen lästig werden, so ist dies doch nur in den Häusern
der Städte der Fall; wenn man jedoch auf die Jagd geht und aus anderen
Ursachen in das Gebüsch der Nipahpalmen kommt, dann kann man von
ihnen bei Tage ebenso attaquirt werden als von den kleinen Blutegeln;
der Stich der Njamuks (so heissen die Mosquitos im Malayischen) ist
empfindlich, er verursacht eine Quaddel von bedeutender Grösse, welche
durch heftiges Kratzen oft in ein Geschwür sich verwandelt. Dass man
sie auch beschuldigt, die Uebermittler so mancher pathogener Bacterien
zu sein, wie der Cholera, Lues u. s. w., ist, ich möchte beinahe
sagen, selbstverständlich. Man schützt sich gegen ihre Stiche auf
mannigfache Weise. In der Regel sind die von den Kleidern bedeckten
Körpertheile vor ihren Angriffen gesichert; man kann aber doch nicht
den ganzen Abend und die ganze Nacht gekleidet bleiben; die indische
Haustoilette ist, wie wir sehen werden, so dünn, dass die Mosquitos
hindurch stechen; dabei sind Kopf, Hände und Füsse unbekleidet; man
bestreicht sie eventuell mit Oel, Cajaputiöl oder einem Decoct von
Lignum Quassiae, wodurch sie in respectabler Entfernung von dem
Menschen gehalten werden. Das am meisten gebrauchte Schutzmittel
gegen diese blutdürstigen Mücken ist das Netz; man spannt nämlich
um das Bett, welches an den vier Ecken zwei Meter hohe Pfeiler hat,
ein Zelt aus Tüll; es bleibt jedoch eine akrobatische Leistung, beim
Schlafengehen so geschwind hinter das Netz zu kommen, dass kein
Mosquito uns begleiten kann. Wie schon erwähnt, hat Bandjermasing
eine traurige Berühmtheit ob der Menge seiner Mosquitos. Zwei Momente
jedoch vermindern diese Landplage: erstens dass diese blutgierigen
Feinde unserer Nachtruhe Feinschmecker in ihrer Art sind; das Blut
mancher Menschen schmeckt ihnen nämlich nicht oder vielleicht die
Ausdünstung derselben. Zu diesen bevorzugten Geschöpfen Gottes gehörte
z. B. +ich+. Ich war mir keiner einzigen constitutionellen
Krankheit bewusst, als ich in Bandjermasing von den Bissen dieser
Insecten verschont blieb, so dass ich selbst in der Nacht mit
geöffnetem Mosquito-Netz schlafen konnte, während selbst der kleine
Wau-Wau (Hylobates concolor), welcher dem Apotheker B... gehörte, mit
Vergnügen Abends hinter das Mosquitozelt kroch, um ungestört dem Schlaf
sich ergeben zu können. Freilich blieben sie auch von mir in keiner
respectvollen Entfernung; ihr Summen und Schwirren beunruhigte und
störte auch mich Anfangs, bis mich Gewohnheit und Erfahrung lehrten,
das wählerische Gesindel schnarchend zu verachten. -- Der zweite Factor
ist, dass nur der Hauptplatz Bandjermasing von so zahlreichen und
grossen Mosquitos heimgesucht wird, während in den Garnisonen jenseits
des Alluviallandes diese Landplage aufhört. Während meines dreijährigen
Aufenthaltes in Muara Teweh bekam ich niemals eines dieser Insecten zu
Gesicht, es sei denn, dass ein Dampfer von Bandjermasing zu uns kam
und die unwillkommenen Gäste als blinde Passagiere mitführte. Auch auf
den übrigen Inseln des indischen Archipels kamen sie nur in der Ebene,
an der Küste, im alluvialen Boden, in der Heimath der Sumpfgewächse
vor, während im Gebirge, auf der Hochebene, in der Kalkformation sie
nur zeitweise zu Gastrollen auftauchten. Auch kann man mit ein wenig
Heroismus allen schädlichen Folgen ihres Stiches entgehen. Wir sehen
ja, dass Säuglinge niemals Quaddeln, Entzündungshöfe oder Geschwüre von
einem Mosquitostich bekommen; sie kratzen sich eben nicht und stören
die blutdürstigen Insecten nicht in ihrer Trunksucht; ist einmal das
Thierchen gesättigt (man gewahrt die Plethora seines Bauches, der bis
zur Grösse einer halben Erbse anschwillt), so fliegt es seiner Wege
und sein Stich lässt nur einen rothen Punkt zurück; wird es jedoch
weggejagt, so bricht der Stachel ab und die Folliculitis ist gegeben;
kratzt man diese stark juckende Stelle, so excoriirt die Haut, und
der Anfang des Geschwüres ist fertig, welches mitunter recht lange
bestehen kann. Tant de bruit pour une omelette, wird vielleicht mancher
Leser denken; aber er erkundige sich z. B. bei einem Marineofficier,
der tage- oder wochenlang bei einer Blockade vor einer Küste liegen
muss. Ob die Langeweile mehr von unserer Gemüthsruhe fordert als die
Mosquitos in einem solchen Falle, das muss man selbst erfahren haben,
um die Verwünschungen gegen diese Plaggeister zu begreifen.

[Illustration: Fig. 1. Grundriss von Bandjermasing.]

Ueber Bandjermasing selbst bringen meine Reisebriefe aus damaliger
Zeit nur magere Berichte, vielleicht weil ich nur kurze Zeit in der
Hauptstadt selbst verweilte und nach kurzem Aufenthalt ins Innere
des Landes, an die Grenze aller menschlichen Civilisation geschickt
wurde; vielleicht weil die Stadt Bandjermasing wenig Interessantes
oder Mittheilenswerthes geboten hat, oder vielleicht weil nur die
Topographie der Umgebung mir mehr Mittheilenswerthes und Interessantes
bot. Ihre Einwohnerzahl bezifferte ich damals auf 30000. Der grösste
Theil der Bewohner Bandjermasings besteht aus Malayen (Bandjeresen und
Bekompeyer), und am kleinsten ist die Zahl -- der Europäer. »Wenn wir
von den Officieren mit ihren europäischen Soldaten und den Beamten
absehen, ist die Zahl der europäischen Handelsleute, auch wenn die
halbeuropäischen mit gerechnet werden, noch auf den Fingern einer Hand
abzuzählen.« So sprach ich im Jahre 1885 in einem Vortrage über die
Bewohner dieser Stadt; heute ist die Zahl der Europäer grösser, weil
der Handel einen solchen Aufschwung genommen hat, dass selbst die
Handelmaatschappij einen Agenten für die südöstliche Hälfte Borneos zu
ernennen sich bemüssigt sah.

Von monumentalen Gebäuden kann kaum gesprochen werden; das Haus des
Residenten ist wie die meisten Häuser Indiens in altgriechischem Stile
gebaut mit einer vordern und hintern Veranda; das Fort mit seinem
Spitale und seinen Kasernen, das neue Gefängniss, das Seminar für
Volksschullehrer, das Clubgebäude, die europäischen Geschäfte u. s. f.
sind hübsch und nett, aber ohne jeden architektonischen Werth. Am
linken Ufer des Martapuraflusses liegt jedoch das chinesische Viertel
mit zahlreichen Geschäften und einer chinesischen Kirche. Vor vielen
Jahren las ich in einer Reisebeschreibung, dass in dem chinesischen
Tempel zu Bandjermasing der Hauptaltar mit einem Bilde Napoleons I.
verziert sei; sofort nach meiner Ankunft miethete ich einen Kahn, um
diese Chinesische Kirche mit Napoleon als Buddha zu sehen. Ich sah
keinen Buddha oder Confucius, welcher Napoleon ähnlich war, und als ich
darnach mich erkundigen wollte, bekam ich keine Antwort; ich sprach
kein Chinesisch und nur sehr mangelhaft die malayische Sprache, und die
Tempeldiener waren nur dieser zwei Sprachen mächtig.

Unrichtig wird angegeben, dass diese Stadt auf dem linken Ufer des
+Baritu+ liege; von diesem Flusse sind die äussersten Gebäude der
Stadt, das Hafenbureau und das Gefängniss noch mehr als eine Stunde
entfernt.

Alle Häuser stehen auf Pfählen, denn die Stadt liegt im
Inundationsgebiet des grossen Stromes Baritu, welcher sich täglich über
1 Million Hektar Landes mit der Fluth des Meeres ergiesst; mit der Ebbe
dringt zwar das Wasser dem Meere zu, aber zahlreiche Pfützen bleiben
zurück, die zahlreichen Canäle werden wasserfrei, die stinkenden
Ausdünstungen verpesten die Luft und selbst der Martapurafluss wird in
trockenen Jahren so wasserarm, dass das Trinkwasser aus höher gelegenen
Theilen des Stromes geholt werden muss.

Grosse und ausgestreckte Sümpfe begrenzen im Norden und Süden die
Stadt, und der Canal Kween (Fig. 1) ist die östliche Grenze des
bewohnten rechten Ufers des Martapuraflusses.

Der officielle Ausweis spricht im Jahre 1882 von 592959 Bewohnern[3]
des südöstlichen Borneos mit 549 Europäern, 2843 Chinesen und 435
Arabern; von diesen Ziffern haben nur die Angaben über die anwesenden
Araber, Chinesen und Europäer einen gewissen Werth; wie wir später
sehen werden, ist die Statistik der Eingeborenen ganz unverlässlich,
so dass factisch die Einwohnerzahl Borneos noch heute selbst auf eine
Million noch nicht bekannt ist.

Ob diese Stadt Bandjerma+sin+ oder Bandjerma+sing+ zu nennen sei,
ist kaum zweifelhaft. Valentyn nennt sie Bandjerma+singh+, und
mit Unrecht wird in dem grossen Atlas von Stemfoort und ten Siethoff
eine neue Schreibweise dieses Namens eingeführt. Bandjir heisst nämlich
Ueberströmung und mâsing bedeutet häufig vorkommend. Da thatsächlich
diese Stadt häufigen Ueberströmungen ausgesetzt ist, und da nicht
nur in den ältesten Büchern der Name Bandjerma+singh+ vorkommt,
sondern auch während meines dreijährigen Aufenthaltes auf Borneo mir
geläufig war, so ist nach meiner Ansicht die ältere Schreibweise
beizubehalten.[4]

Bis zum 16. Jahrhundert waren auch die Bewohner der Küste ebenso Heiden
als heute noch die Dajaker im Innern der Insel es sind. Die Einführung
der mohammedanischen Religion auf Borneo ist mit einer Oedipussage
verbunden:

Bekanntlich hat Ende des 15. Jahrhunderts Madjopahit auf Java den Islam
eingeführt und zwar mit Feuer und Schwert (so dass heutzutage nur
zwei sehr kleine Colonien von echten Hindus auf dieser Insel gefunden
werden, und zwar die eine in West-Java in der Provinz Labak und die
zweite in Mittel-Java), und darum ist es interessant, dass die folgende
Sage auch in den Anfang des 16. Jahrhunderts verlegt wird.

Im Beginne des 16. Jahrhunderts (1530?) lebte eine Fürstin des
Bandjermasingischen Reiches, deren Name von der Zeitfluth weggespült
wurde; sie hatte einen Knaben, dem sie einmal bei einer körperlichen
Züchtigung eine Wunde am Kopfe beibrachte; er bekam dadurch eine
solche Abneigung gegen das elterliche Haus, dass er seine Flucht mit
Hülfe des Anakoda Laba, eines reichen Javanen, beschloss, der damals
mit seinem Schiffe bei Negara vor Anker lag. Nach dem Tode seines
reichen Pflegevaters führte er den Handel mit Borneo weiter. Seine
hohe Abstammung hatte sein Pflegevater verheimlicht; Akar Sungsang
(unter diesem Namen war er auf Java erzogen worden) erregte durch
seinen Reichthum, seine Schönheit und durch seinen Muth dermaassen
die Aufmerksamkeit der Bewohner von Amunthay, dass sie ihm die Hand
der seither verwittweten Fürstin anboten. Viele Jahre lebte er in
glücklicher Ehe mit -- seiner Mutter, als sie eines Tages die Narbe an
seinem Kopfe entdeckte und die Flucht auf Anakoda Laba’s Schiff erfuhr.
Beschämt und erschreckt entzog sie sich seinen Umarmungen und stellte
sich vor den Rath der Aeltesten, um die verdiente Strafe zu empfangen.
Die Tradition (hadat) hatte jedoch keinen Präcedenzfall; die Ehe
wurde nur gelöst und die Gattin-Mutter blieb straflos. Akar Sungsang
heirathete wieder, und sein Enkel Samatra, der Sohn seiner Tochter
Putri Kalarang und eines Dajakers, führte als Sultan Suriansah (1608?)
den Islam auf Borneo ein. (Schwaner.)

Neben dieser Oedipussage hat die Mythologie der Dajaker auch die
einer Venus anadyomene; aber für die Lernäische Schlange der Griechen
hat der Dajaker kein Pendant; das ist um so überraschender, als die
Küste ein ungeheurer Sumpf ist, über den sich bei der Fluth das Meer
bis auf 1 Million Hektar ergiesst, und wo eine üppige Flora eine
undurchdringliche, unausrottbare Wildniss geschaffen hat. An diese
grosse sumpfige Ebene schliesst sich die tertiäre Formation[5] mit
den Urwäldern, welche noch keines Europäers Fuss betreten und in
welchen die Riesen der Flora neben den Riesen der Fauna hausen. Die
Avicennien, Caesalpinen, Casuarinen und Rhizoforen; das Sideroxylon
(Kaju besi M), Teakbäume, Guttapercha, Muskatbäume, Campher, Zimmt,
Citrone, Bambus, Rottan, Reis, Pfeffer, Kaffee u. s. w. fesseln in
ihrer Massenhaftigkeit den Laien vielleicht mehr als den Botaniker,
und auch ich nahm den ganzen Reiz eines Urwaldes und der Sumpfpflanzen
in mich auf und beugte in Demuth mein Haupt vor den gewaltigen Riesen
der Pflanzenwelt, oder vor den Lianen, welche Schritt für Schritt
den Marsch des Wanderers erschweren oder unmöglich machen. Auch ich
ergötzte mich an der Pracht der Nepenthes-Artent, von denen schon
Friedmann auf Borneo 22 Arten kannte und unter welchen die Nepenthes
Edwardsiana, villosa und Rajali die schönsten sind.

Ein fesselndes Bild sind auch die Ströme mit ihren zahlreichen Seen
(Danaus).

Ich habe den Genfer See gesehen, ich habe den Rhein befahren, ich kenne
die Donau von Wien bis zum Banat; ich habe vier Monate in den Karpathen
gelebt und habe mich an der Riviera herumgetummelt; ich weilte auf Java
an den Ufern des Telagawarna, welcher wie in einem Kessel zwischen
hohen Felsen eingeschlossen ist, dessen majestätische Ruhe und lautlose
Luft mich mächtig ergriffen hat, aber nirgends sah ich ein Bild, das
sich nur annähernd mit dem der Danaus vergleichen könnte; nirgends
sah ich ein solch pittoreskes, variabeles Panorama, als auf den Seen
jenseits der Ufer des Baritu.

Wahrscheinlich sind es alte Flussbetten, welche durch Antassans mit
dem neuen Strom in Verbindung geblieben sind. Sinkt das Wasser in dem
Barituflusse, so ist der Danau ein grosser Sumpf, aus dem hier der
kahle Stamm eines Waldriesen (Balangiranbaum) sich erhebt, dort die
Wurzeln einer Rhizophore eine niedrige Säulenhalle über dem sumpfigen
Boden errichtet, durch die sich still und lautlos ein Krokodil windet;
hier sitzt auf einem andern kahlen Stamme ein Reiher, dort tauchen
einige Fische aus der Tiefe und trachten mit leichten Sprüngen die
darüber schwebende Libelula zu erhaschen. Kreisen auch nebstdem einige
Falken, oder in später Abendstunde zahlreiche Kalongs hoch in den
Lüften, so ruht doch ein schwermüthiger, geheimnissvoller Ernst über
der ganzen Fläche der Sümpfe und stimmt den Beobachter traurig im
Gefühle der Einsamkeit und Verlassenheit.

Steigt das Wasser des benachbarten Stromes jedoch so hoch, dass es
die durch den abgelagerten Sand und Schlamm immer und immer höher
werdenden Ufer überragt, dann füllt sich das alte Becken zu einem
grossen See, dessen Wasser in seiner wilden Fahrt immer und immer
mehr den Boden aufwühlt und immer und immer neue Sümpfe schafft, bis
wieder hier oder dort ein künstlicher Canal, Antassan, das Wasser dem
Hauptstrom zuführt.

Die Formation dieses Diluvium und Alluvium ist bis jetzt ebenso wenig
abgeschlossen als die der Danaus, Antassans und der grossen Ströme,
welche oft einen täglichen Verfall von 15 Metern!! haben.

       *       *       *       *       *

Ich verlasse nur ungern dieses Capitel, weil ich noch heute den ganzen
Zauber dieser jungfräulichen Tropenwelt empfinde und fühle, obzwar ich
kein Geologe und kein Botaniker bin.

So möge noch vor Schluss dieses Capitels wieder der Arzt in mir zu
Worte kommen:

Eine zweite indische Landplage, welche noch ärger ist als die der
Mosquitos, ist der rothe Hund, Lichen tropicus oder, wie sie Scheube
nennt, eine Eczemform, z. B. eczema aestivum. Wenn ich mich jedoch an
die Definition von Lichen halte, welche Hebra s. Z. gab, dann muss
ich mich aus anatomischen, ätiologischen und klinischen Ursachen an
die, wenn ich nicht irre, von mir zuerst in N.-Indien eingeführte
Classification von Lichen tropicus halten. Hebra nannte Lichen »jene
Krankheitsform, bei welcher Knötchen gebildet werden, die in typischer
Weise bestehen und im ganzen chronischen Verlaufe keine weitere
Umwandlung zu Efflorescenzen höheren Grades erfahren, sondern als
solche sich wieder involviren«.

Als ich zum ersten Mal meinen Collegen mein Leid klagte, dass mich
ein fürchterliches Jucken plage mit kleinen hochrothen Knötchen auf
der Haut, und zwar am meisten zwischen den Fingern und am Rücken der
Hand, am Rücken, auf der Innenseite der Arme und am Hals, da antwortete
mir der Eine: »Seien Sie froh, dass Sie den rothen und noch nicht den
schwarzen Hund haben« (wobei ein malitiöses Lächeln um seine Lippen
spielte), während der Andere mir ein anderes Trostwort zu Theil werden
liess. »Nein, seien Sie froh, dass Sie den rothen Hund haben, denn
dann wissen Sie sicher, dass Sie keine andere Krankheit in Ihren
Gliedern bergen.« Nun, was der Eine mit seinem »schwarzen Hund« und
mit seinem malitiösen Lächeln sagen wollte, erfuhr ich später; für
die Behauptung des zweiten Collegen, dass ich durch die Anwesenheit
des »rothen Hundes« die demonstratio ad oculos hätte, nicht krank
zu sein, bekam ich jedoch sofort die nöthige Interpretation. »Weil
ich gesund sei, schwitze ich stark; weil ich stark schwitze, bekäme
ich den »rothen Hund«; also, weil ich den rothen Hund hätte, sei ich
gesund.« Kopfschüttelnd machte ich die Bemerkung: Gar so sehr könne ich
mich mit meinem fürchterlichen Jucken nicht freuen, und ich würde es
schon vorziehen, gesund zu sein, ohne den »rothen Hund« mitschleppen
zu müssen, und ich möchte höflichst meine Collegen bitten, mir ein
Mittel anzugeben, mich von diesem unliebsamen Gaste zu befreien. Ja,
bekam ich mit mitleidigem Tone zur Antwort, wenn Sie den rothen Hund
und die Transpiration unterdrücken wollen, und das Eine geht nicht
ohne das Andere, dann können Sie auch sofort einen Sarg bestellen;
Sie wissen ja, wie gefährlich es in Europa ist, die Transpiration zu
unterdrücken; dies hat noch mehr Bedeutung »in de Oost«, wo Malaria,
Cholera, Dysenterie u. s. w. sicher mit dem Schweisse den Körper
verlassen. Noch wagte ich den Einwand: Mir scheint der »rothe Hund«
von +zu vielem+ Schwitzen zu entstehen, und ich möchte darum nur
das +zu viele+ Schwitzen bekämpfen, um dadurch vielleicht vom
»rothen Hund« befreit zu werden. Auch dieses wurde mir abgerathen mit
den Worten: Dagegen lässt sich nichts thun, denn der »rothe Hund« ist
eine indische Krankheit, und da wir kein Arzneimittel dagegen haben, so
ist auch bewiesen, dass der »rothe Hund« nicht vertrieben werden darf!!
Aus diesem Gespräche wurde mir ersichtlich, dass der »rothe Hund«
gewissermaassen einen diagnostischen Werth habe, weil er nie zugleich
mit +acuten+ Krankheiten vorkäme, und dass wir kein specifisches
Heilmittel für ihn hätten. Nun, späterhin hatte ich an mir selbst und
an hundert Anderen genug Gelegenheit, mich von der Richtigkeit dieser
zwei Axiome zu überzeugen.

Leider sind nicht allein die »Totoks« das Opfer dieser Plage, d. h.
jene Europäer, welche erst eine kurze Zeit in den Tropen sich
aufhalten, sondern noch jahrelang, selbst sein ganzes Leben lang
wird man in grösseren oder kleineren Pausen von dieser Hautkrankheit
heimgesucht. Als ich im Jahre 1884 zum ersten Mal mit Urlaub nach
Europa ging, hatten wir eine junge Wittwe an Bord, welche wegen dieser
Krankheit Indien verlassen +musste+. Diese Dame hatte selbst im
Gesicht die rothen Knötchen, was in der Regel nicht vorzukommen pflegt.
Sie konnte beinahe die ganze Reise nicht an die Tafel kommen, weil sie
unter der europäischen Toilette zu stark transpirirte und die indische
Haustoilette an der Abendtafel nicht erlaubt ist.

Die Eingeborenen leiden gar nicht oder selten an dieser Krankheit.
Sind es Eingeborene mit +dunkler+ Hautfarbe, bleiben sie ganz und
gar davon befreit; sind es pigmentarme Eingeborene, wie z. B. die
in Indien geborenen Europäer (Kreolen), so leiden sie ebenso häufig
am »rothen Hund« wie die in Europa geborenen Europäer; Menschen aus
gemischtem Blut (Sinju und Nonna genannt) haben bei pigmentreicher Haut
wenig oder gar keine Anlage zu Lichen tropicus, und bei pigmentarmer
Haut sind sie in gleicher Weise dieser lang dauernden Krankheitsform
unterworfen. Die Prophylaxis fällt zusammen mit der Aetiologie, d. h.
alles zu thun und zu lassen, was die Schweisssecretion erhöht (nirgends
wird so viel +getanzt+ als in Indien!!), und die Behandlung ist
die der juckenden Hautkrankheiten. Nur wird man das tägliche Schiffsbad
nicht abzuschaffen brauchen, denn die Krankheit »schlägt nicht hinein«
(es ist ja ein +Aus+schlag); man wird das Jucken mit Streupulver,
Eau de Cologne u. s. w. vermindern; mit dem Eintreten der niedrigen
Temperatur wird das Jucken eo ipso minder, und nur in Ausnahmefällen
wird es nöthig sein, wegen des »rothen Hundes« ein kaltes Bergklima
aufzusuchen.



2. Capitel.

  Pesanggrâhan = Passantenhaus -- Ausflug nach der Affeninsel --
  Aberglaube der Eingeborenen -- Reise nach Teweh -- ein chinesisches
  Schiff im Innern Borneos -- Trinkwasser in Indien -- Eis --
  Mineralwässer.


Vor zwanzig Jahren bestand kein Hotel in Bandjermasing, wenigstens
nicht im europäischen Sinne, sondern nur ein sogenanntes Pesanggrâhan,
das heisst ein Gebäude, welches ursprünglich nichts anderes war, als
ein Nachtverbleib für Reisende, welche sich selbst mit den nöthigen
Lebensmitteln versahen. Solche giebt es heute noch zahlreich im
Innern Javas. Der gesteigerte Verkehr brachte es mit sich, dass
diese primitiven Häuser aus Holz oder Bambus von der Regierung einem
niedrigen Beamten in Administration übergeben werden, welcher monatlich
fl. 50 erhält und dafür in dem Pesanggrâhan einige Betten, Tische
u. s. w. aufstellen muss, Reisende auf ihr Verlangen verköstigt (in der
Regel gegen eine Bezahlung von 4-5 fl.) und für Officiere oder Beamte
ein oder zwei Zimmer reservirt halten soll. Als im Jahre 1896 der König
und die Königin von Siam Java mit grossem Gefolge besuchten und einige
Tage an dem Fusse des Buru Budur zubringen wollten, mussten sie auch
ein solches Nachtquartier beziehen, welches zu diesem Zwecke natürlich
mit schönerer Einrichtung versehen wurde. Für das zahlreiche Gefolge
wurden selbst zahlreiche Hütten aus Bambus in aller Eile gebaut und
eingerichtet. Aber auch in diesem primitiven Hotel fand ich keinen
Platz bei meiner Ankunft in Bandjermasing, und in liebenswürdiger Weise
wurde mir vom Landessanitätschef Gastfreundschaft in seinem Hause
angeboten. Zwei Tage später verliess der Dampfer wieder Bandjermasing,
und im Hotel (?) wurden wieder einige Zimmer verfügbar. Da ich wusste,
dass es noch einige Tage dauern würde, bis ich Bandjermasing verlassen
sollte, hatte ich, um von der Gastfreundschaft meines Chefs keinen
Missbrauch zu machen, oder ich will lieber sagen, um nicht länger,
als nöthig war, davon Gebrauch zu machen, das Pesanggrâhan bezogen. Ein
primitives Zimmer (das ganze Gebäude bestand aus Holz) mit primitiver
Einrichtung, jedoch mit guter Küche, wurde mir geboten. Ich werde
noch später Gelegenheit haben, mit der indischen Küche mich näher zu
beschäftigen. Die wenigen Tage, welche ich in Bandjermasing bleiben
sollte, benutzte ich zur Besichtigung der Stadt und zu einem Ausfluge
nach der Affeninsel. Wenn, wie schon erwähnt, meine Reisebriefe aus
dieser Zeit nur mangelhafte Berichte aus der Hauptstadt Borneos
bringen, so kann ich sie heute hinreichend ergänzen, weil ich 3½
Jahr später wieder eine ganze Woche in Bandjermasing procul negotiis
verweilte und durch den späteren Aufenthalt auf den andern Inseln einen
Maassstab fand, mit Verständniss die herrschenden Verhältnisse, das
Leben und Treiben dieser Hafenstadt zu beurtheilen. Es ist das Leben
einer Hafenstadt, welche an einem Flusse und nicht an der Küste des
Meeres liegt; es ist auch kein Wald von Mastbäumen oder eine unzählbare
Menge von Dampfern, welche eine solche Hafenstadt charakterisirt. Ein
Kriegsschiff, ein paar kleine Dampfer, einige grosse und unzählbar viel
kleine Segelschiffe und Kähne bevölkern den Fluss; da das linke Ufer
nur von den Chinesen bewohnt wird, welche zahlreiche Geschäfte (tokos)
haben und keine einzige Brücke die beiden Ufer verbindet, so ist es
der Kahn, welcher den kauflustigen Menschen und hin und wieder einem
der beiden Militärärzte den Verkehr zwischen beiden Ufern vermittelt.
Zahlreich sind die Magazine, welche auf dem Wasser in schwimmenden
Häusern sich befinden, um von Zeit zu Zeit den Martapurafluss zu
verlassen und mit Weib und Kind der Eigenthümer entweder stromaufwärts
nach Martapura, der alten Sultan-Residenz, oder stromabwärts in den
Baritu mit Dampfbarkassen gezogen zu werden.

[Illustration: Fig. 2. Eine Bekompeyerin.]

Es ist hier ein Bild en miniature des bunten Lebens in den grossen
Hafenstädten von Port Said, Singapore oder Makassar u. s. w.

Die Trachten der Chinesen, Araber, Malayen, Javanen, Dajaker,
Bekompeyer, Buginesen und der Europäer geben auch hier ein
kaleidoskopisches Bild, und wenn hin und wieder eine bandjeresische
Frau auf ihrem Kahne bei uns vorbeifährt, so ist es nur ein neuer Stein
in diesem farbenreichen Bild; denn sie hat einen colossal grossen Hut
auf dem Kopfe, der sie vor den versengenden Sonnenstrahlen und dem
tropischen Regen schützen soll. (Fig. 2.)

Der Ausflug nach der Affeninsel geschah natürlich auch auf einem Kahn
und zwar auf dem Canal Kween.

Dieser natürliche Canal ist ursprünglich nur ein Antassan gewesen, d. h.
der Strom des Baritu hat sich in dem weichen Boden einen Weg gebahnt
und die Martapura erreicht; ich zweifle auch keinen Augenblick, dass
dieser Canal in den 18 Jahren, dass ich ihn nicht gesehen habe, an
Breite, Grösse und Richtung nicht unbedeutende Veränderungen erfahren
haben wird. An dem einen Ende dieser Antassans befindet sich die
Affeninsel, wohin ich mich begab, beladen mit einem Revolver und mit
einer grossen Pisangstaude (Musa sapientium und Musa paradisiaca =
Banane).

Ich werde noch Gelegenheit haben, über die Pisang, sowie über Früchte
Indiens im Allgemeinen zu sprechen; ich will jetzt nur erwähnen, dass
diese eine Frucht ist, welche das ganze Jahr und überall im Archipel
gegessen wird, dass es deren zahlreiche Arten giebt -- bis zu 50 --,
dass der Pisang-Baum auf gleichem Raume 133 mal mehr Nahrungsstoff
als Weizen giebt, ja, dass einzelne Autoren selbst von zwei Centnern
Früchten sprechen, welche ein einzelner Baum in +einem+ Jahre
liefere, dass die Frucht in Gurkenform ein mehliges Fleisch habe von
süsslichem, leichtsaurem, adstringirendem Geschmack, und dass Säuglinge
genährt werden mit geriebenem Pisang, mit welchem etwas gekochter Reis
vermengt ist.

Den Revolver nahm ich mit, weniger aus Furcht, als mit dem Vorhaben,
einen Affen zu erlegen. Kaum hatte ich mich der Insel genähert,
welche ich wegen niederen Wasserstandes nicht betreten konnte, als
die Affen (Cercopithecus cynomolgus), gemeinhin Keesch genannt, in
grossen Schaaren ans Ufer kamen; ich glaube wenigstens 50-60 an diesem
Tage gefüttert zu haben. Das possirliche Treiben dieser Vierhänder
will ich meinen Reisebriefen nicht entnehmen, weil es genug bekannt
ist, und weil ich späterhin genug von meinen Orang-Utangs und Gibbon
mittheilen werde, welche in meinem Hause frei herumliefen. Als ich
jedoch den Revolver zog, um nach den Affen zu schiessen, warnte mich
mein Bedienter, dies zu thun, weil ich dann sehr krank werden würde.
Ich liess mich nicht davon abhalten, schoss, ohne jedoch einen Affen
zu treffen. »Glücklicherweise,« sagte ich, weil ich später gesehen,
welche Macht diese eingeborenen Bedienten über ihre Herren bekommen,
wenn man nicht vom Anfang an ihren Aberglauben ignorirt. Wenn man nicht
vom Anfange an (principiis obsta!) sich auf diesen höheren Standpunkt
stellt, ohne darum ihren Aberglauben zu bespötteln oder zu belächeln;
dann wird der Orang baru = homo novus oft in unangenehmer Weise +der
Dupe+ seiner Bedienten, weil sie um jeden Preis ihre Ansichten
durchsetzen wollen.

Zwei Beispiele aus meiner Erfahrung mögen dieses genauer illustriren.
Ich schenkte einem meiner Freunde einen Beo (Gracula), welcher noch
nicht gut sprechen konnte; sein Bedienter erklärte, die Zunge dieser
indischen Elster dürfe nur an einem Freitag gelöst werden; ich
zuckte die Achseln und bedeutete meinem Collegen, dass ich solche
abergläubischen Ansichten principiell nicht befolge; mein College
jedoch fand meinen Skepticismus gegenüber dem Mysticismus der Malayen
nicht gerechtfertigt, weil Vieles zwischen Himmel und Erde sei, wovon
die menschliche Weisheit sich nichts träumen liesse und weil der
Bediente als Eingeborener des Landes besser mit der »Natur« des Landes
vertraut sei u. s. w. Wie gewöhnlich stand sein Bedienter mit einem
wesenlosen Ausdruck neben uns, als ob sein Geist irgendwo im Weltraum
schweife, während er factisch, ohne dass es sein Herr wusste, die
holländische Sprache gut verstand. Wenigstens ich sah, als mein Freund
hierauf erwiderte, er wolle es probiren und denselben Tag dem Beo
die Zunge lösen lassen, ein eigenthümliches Lächeln um seine Lippen
spielen. Den andern Tag war der Beo -- todt. Weniger gleichgültig ist
der Aberglaube -- in der Kinderpraxis. Die Babus (Dienstmädchen) haben
ihre eigenthümlichen medicinischen Erfahrungen und octroyiren sie in
geschickter Weise den Müttern, und wird man zu einem kranken Kinde
gerufen, so erhält man die abenteuerlichsten Rathschläge. Ist so eine
Mutter gewöhnt, jenen absurden Vorschlägen, wie wir sie späterhin
kennen lernen werden, nicht principiell entgegen zu treten, oder
sie sogar anzunehmen, so fühlt sich die Babu ihrer Rolle sicher und
beherrscht die Mutter in fürchterlicher Weise; wird jedoch einmal ihr
Rath nicht befolgt, so wird es oft geschehen, dass sie, um Beweise
für ihre Ansicht zu bringen, selbst schädliche Medicinen dem Kinde
eingeben, oder, wie ich es einmal entdeckte, in Gegenwart der Eltern
und des Arztes das Kind in die Hinterbacke zwicken, um es fortwährend
schreien und weinen zu lassen.

Am 11. April erhielt ich Marschbefehl und zwar nach Muarah Teweh (0°
5′ S. B.), wohin den folgenden Tag ein Regierungsdampfer mich und den
neuen Militär-Commandant bringen sollte. Dieses Fort lag damals am
rechten Ufer des gleichnamigen Nebenflusses des Barituflusses.

Auf dem Strome, auf welchem oft tausend Meter weit die tiefste Stille
herrscht, welche nur durch das Plätschern der Räder des Dampfers
unterbrochen wurde, waren wir oft stundenlang die einzigen lebenden
Wesen; hin und wieder erhob am Ufer lautlos ein Krokodil seinen Kopf
und schaute uns mit neugierigen Blicken an, hin und wieder flog ein
glänzender Alcedo über dem Dampfer, oder wir hörten aus weiter Ferne
die gellen Klagelaute der Gibbons; eine Riesentaube, einen Reiher, ein
Lori sahen wir hin und wieder im Gebüsche; aber der Grundtypus des
Panoramas war die majestätische Ruhe.

Menschen, sollte man glauben, bewohnen nur den unteren Lauf des Baritu,
wo oft, wie in Bandjermasing, auf schwimmenden Häusern die Handelsleute
wohnen. Diese Häuser, aus Matten verfertigt, schwimmen auf dem
Wasser und sind mit grossen Rottangs an den Ufern befestigt; mit dem
Steigen und Fallen des Wassers müssen die Rottangs kürzer oder länger
angebunden werden. Will ein solcher Jünger Mercurs den Platz verlassen,
löst er die Schlinge, zieht den Rottang ein und lässt sich den Strom
abwärts treiben oder den Strom aufwärts ziehen mit seinem Geschäfte,
mit Weib und Kind und mit seiner Wohn- und Schlafstätte. Das ganze
Familienleben spielt sich auf diesem Hause ab, durch dessen Flur man
die spiegelnde Fläche der Wasser sieht.

Im oberen Laufe des Stromes jedoch verschwinden diese schwimmenden
Häuser ganz; nur sehr selten sieht man am Ufer ein Dorf (Kampong)
stehen, und ebenso selten sieht man einen vereinzelten Dajaker auf
der Fischjagd oder auf dem Wege nach seinem weit jenseits des Ufers
gelegenen Kampong. Wenn man die Zahl der Kampongs und der Menschen,
welche die Ufer dieses +Riesenstromes+ bewohnen, als Maassstab
für die Schätzung der Einwohnerzahl Borneos nehmen wollte, würde das
Ergebniss viel zu weit hinter der Wirklichkeit bleiben, obgleich,
wie bekannt, das Land sehr schwach bevölkert ist. Die Namen der
einzelnen Kampongs und der zahlreichen Nebenflüsse dieses Stromes
anzuführen, unterlasse ich gerne im Interesse des Lesers. Aber von drei
Nebenflüssen, vom S. Rungan (Nebenfluss des Kahayastromes) und von der
Lotongtoor und Teweh, welche sich in den Baritu ergiessen, muss ich
doch einiges mittheilen.

Auf dem Ufer des Rungan soll nämlich das Wrack eines chinesischen
Schiffes sich befinden. Wir werden im letzten Capitel sehen, dass die
Chinesen schon vor 1400 Jahren Borneo, und zwar die Nordküste, besucht
haben; aber aus einer viel späteren Zeit stammen die Berichte von
einer Einwanderung der Chinesen in den südlichen Theil dieser Insel.
Uebrigens ist der grösste Theil des Stromgebietes des Flusses Kahaya
im Diluvium gelegen; die Quelle des Rungan liegt jedoch in tertiärer
Formation. Wie ist nun dieses chinesische Segelschiff auf die Ufer
dieser Nebenflüsse geworfen worden und wann geschah dies?

Wir haben aus jüngster Zeit ein Analogon für einen solchen Fall. Im
Jahre 1883 war mit dem Ausbruchs des Krakatau (zwischen Java und
Sumatra) ein heftiges Seebeben verbunden, welches den Dampfer »Berouw«,
welcher im Hafen vor Telok Betong lag, bis eine Meile weit ins Innere
des Landes schleuderte. Das Wrack lag noch im Jahre 1888 so weit von
der Küste.

Wer weiss also, wie weit vor 1000 Jahren die Küste Borneos von der
heutigen entfernt war?

Der Fluss Lotongtor ist ein historischer Kampong am gleichnamigen sehr
kleinen Nebenfluss oder vielmehr Antassan zwischen den Flüssen Montalat
und Teweh. Hier liegt nämlich das Wrack von dem Kriegsschiff »Ourust«,
welches im Jahre 1859 von den Dajakern überfallen und dessen ganze
Bemannung bis auf einen javanischen Bedienten niedergemacht wurde,
welcher die Trauermähr nach Bandjermasing brachte.

Den Fluss Teweh nenne ich, weil auf seinem rechten Ufer ein Fort stand,
Namens Muarah Teweh, in dem ich drei Jahre lang in Garnison lag, und
weil dieser Nebenfluss auf der Wasserscheide entspringt, zwischen
den Strömen der Ostküste und den Nebenflüssen des Baritu, so dass im
Jahre 1880 der Sultan von Kutei und der dänische Forscher Bock diesen
kleinen Bergrücken überschreiten und auf dem Teweh in den Baritu sich
abtreiben lassen konnten, wo sie ein Regierungsdampfer erwartete und
nach Bandjermasing bringen konnte. Das Fort lag damals im Winkel,
welchen das rechte Ufer der Teweh mit dem linken Ufer des Baritu
bildet; später wurde es verlegt nach dem linken Ufer der Teweh, und
heute steht es am rechten Ufer des Bantu, direkt gegenüber der Mündung
(Muara) dieses Flusses. Seine Kanonen bestreichen also die ganze Breite
des Baritu, welche ich seiner Zeit auf 400 Meter berechnete, und den
untern Lauf der Teweh. Im Jahre 1877 befand sich dort nur ein Fort
mit 3 Officieren und ungefähr 100 Mann; heute residirt dort nebstdem
ein Assistentresident (= Bezirkshauptmann), ein Postbeamter und ein
Schreiber. Wie lange wird es dauern, dass auch ein Schullehrer und ein
Notar sich in Teweh ansiedeln?

       *       *       *       *       *

Während der Fahrt nach Teweh beschäftigte ich mich unter anderem
auch mit dem Trinkwasser unseres Regierungsdampfers, welches in
Bandjermasing an Bord gebracht worden war.

Prof. Robert Koch hat am 9. Juni 1898 in der Colonialgesellschaft
zu Berlin einen Vortrag über Malaria gehalten, in welchem er einige
Axiome aufstellte, welche in ihrer Allgemeinheit nicht von mir und
wahrscheinlich auch von keinem andern Praktiker unterschrieben
werden können: 1) Das Ueberstehen der Krankheit verschafft eine
gewisse Immunität (?); 2) Chinin, zur rechten Zeit gegeben, heilt die
Malaria (?); 3) die Uebertragung der Malaria findet weder durch die
+Luft+, noch durch =das Wasser= statt (?) u. s. w. Im zweiten
Theil werde ich meine diesbezüglichen Erfahrungen mittheilen; aber an
+dieser+ Stelle muss ich meine warnende Stimme erheben, auf Grund
dieser Theorien Maassregeln zu nehmen; +denn Luft und Wasser sind
Vermittler der Malaria+!!

Das Trinkwasser ist für Bandjermasing eine Lebensfrage in erster
Reihe, weil die Stadt zum Inundationsgebiet gehört, welches täglich
unter dem Einflusse der Ebbe und Fluth steht. Es existiren keine
Brunnen mit trinkbarem Wasser. Es wird also das Wasser gebraucht,
welches während der Ebbe der Martapurafluss führt, an dem die Stadt
liegt. Abgesehen davon, dass dieses Flusswasser sehr verunreinigt ist,
weil zahlreiche Antassans und kleine Nebenflüsse noch im Bereiche
des Inundationsgebietes liegen, ihr Wasser dem Baritu zuführen und
somit gesundheitsschädliche Bestandtheile enthält, so geschieht
es in trockenen Monaten oft, dass der Wasserstand so niedrig ist,
dass zur Zeit der Ebbe ein Theil des Meerwassers zurückbleibt und
zur Zeit der Fluth noch vermehrt wird. In solchen Monaten wird in
grossen eisernen Kähnen das Trinkwasser aus höher gelegenen Theilen
der Martapura zugeführt, wo sich der Einfluss der Fluth nicht mehr
fühlbar macht. Natürlich bleibt ein solches Wasser immer mehr oder
weniger gesundheitsschädlich. Wir haben ein sehr gutes Mittel, jedes
ungesunde Wasser von den pathogenen Bacterien zu befreien. Aber --
es ist zu einfach und kann darum (?) natürlich keinen allgemeinen
Gebrauch finden?! Gegen die groben Verunreinigungen des Wassers werden
grosse Filtrirsteine gebraucht, welche aus Sandstein in der Nähe
Surabayas (Java), in Grissé gewonnen werden. In diesen kegelförmig
ausgehöhlten Sandstein werden Holzkohle und Kieselsteine gelegt und das
Wasser fällt, von den groben Verunreinigungen befreit, tropfenweise
in den darunter stehenden Topf. Wegen der zahlreichen chemischen
Verunreinigungen geben einige ins Wasser Eisenchlorid und Soda. -- Die
bacteriologische Untersuchung eines Wassers, welches auf diese Weise
gereinigt ist, liess vieles, wenn nicht alles, zu wünschen übrig. Alle
möglichen Filtrirapparate wurden also aus Europa bestellt -- es wäre zu
viel, um sie alle bei Namen aufzuführen -- und alle entsprachen mehr
oder weniger, d. h. die bacteriologische Untersuchung des Wassers,
nach diesem letzten Filtrirungsprocesse, brachte mehr oder weniger
+nicht+ pathogene und sehr selten pathogene Bacterien zu Tage.
Im Vertrauen auf die bacteriologische Untersuchung versäumten nun
die meisten das einzige richtige Mittel, um Wasser +sicher+ und
+zweifellos+ von pathogenen Bacterien zu befreien und zwar, es
bis zur Siedhitze =zu kochen=, zum Nachtheile ihrer und ihrer
Angehörigen Gesundheit. Wenn in einem Orte die Cholera epidemisch
ausbricht, da treibt eine Jagd nach Filtrirapparaten die Preise in die
Höhe; aber dass auch die Malaria, diese epidemische Pest einzelner
Orte, gleicherweise durch das Trinkwasser verbreitet werden könne und
verbreitet wird, daran denkt niemand; ja noch mehr, es wird von manchen
Aerzten für unwahrscheinlich gehalten. Ich will nicht diesbezüglich die
Literatur über dieses Thema in den Rahmen dieser Causerie hineinziehen,
aber ich will nur zwei Thatsachen zur Unterstützung dieser meiner
Behauptung anführen. Vor zwanzig Jahren hatte Semarang (auf der
Nordküste Javas) kein artesisches Wasser und war berüchtigt durch seine
schweren Malariaformen. Ist nicht nach dem Einführen der artesischen
Brunnen Semarang bedeutend gesunder geworden? Hat sich dieser günstige
Einfluss nicht auch auf die Zahl und Intensität der Malariafälle
erstreckt? Während der letzten zehn Jahre rieth ich meinen Patienten
und meinen Freunden, überall und immer nur gekochtes Wasser zu trinken.
Ist es wirklich nur Zufall, dass alle, welche diesen Wink befolgten,
seither vom Fieber befreit blieben, obzwar darunter Familien vorkommen,
welche in Tjilatjap, dem grössten Malariaherde Javas, gelebt und das
Fieber s. Z. acquirirt hatten. Um nur von zwei solchen Familien zu
sprechen: sie nahmen nach dieser Zeit niemals Chinin, und doch sind
sie seither befreit von Fieberanfällen, während es bekannt ist, dass
Menschen, welche von der Malaria heimgesucht wurden, oft jahrelang noch
einzelne Fieberanfälle bekommen, auch nachdem sie die Malariagegend
verlassen haben. Ich wage es also zu behaupten, dass alle anderen
Filtrirapparate überflüssig und selbst schädlich sind; dass die bis
jetzt üblichen Filtrirsteine zweckentsprechend sind, wenn das Wasser zu
gleicher Zeit bei einer Temperatur von 100-120° wenigstens ¼ Stunde
lang =gekocht= wird. Im Allgemeinen wird es hinreichen, erst das
Nutzwasser durch den Filtrirstein laufen zu lassen und darnach zu
kochen, manchmal jedoch wird es besser sein, mit dem Kochen anzufangen
und zwar bei dem grauen Wasser, welches reich an pflanzlichen
Verunreinigungen ist. Oft wurde mir auf meinen Rath eingewendet,
dass das Trinkwasser durch das Kochen seinen erquickenden Geschmack
verliere. Das ist richtig; aber diesem Mangel ist abzuhelfen, z. B.
durch ein Stück Kunsteis, welches natürlich aus +destillirtem+
Wasser bereitet sein muss, oder durch Hinzufügen von Thee, Brandy
u. s. w. Es kann das Trinkwasser auch in einem Kübel mit Eis frappirt
werden und erhält dann auch einen angenehmen Geschmack. Durch
das Kochen des Wassers wird auch der Gebrauch der Mineralwässer
überflüssig. Diese werden mit mehr oder weniger Recht häufig gebraucht,
und besonders das Apollinariswasser hat in den letzten Jahren eine
starke Verbreitung gefunden. Es ist reich an Kohlensäure, und zwar ist
es +künstlich+ damit imprägnirt. In Indien giebt es zahlreiche
Fabriken von Mineralwässern, und ihre Producte werden auch gerne
von den Chinesen und den Halbeuropäern wegen ihres niederen Preises
gekauft; sie haben jedoch immerhin einen gewissen schalen Beigeschmack,
und man ist nicht sicher, ob das Wasser einer genügend reinen Quelle
entnommen ist. Ich glaube nicht, dass immer destillirtes Wasser zur
Fabrikation dieser künstlichen Mineralwässer verwendet wird, und in
diesem Falle sind die Apollinaris, Krondorfer, Giesshübler u. s. w.
gewiss vorzuziehen. Wer die Bedeutung eines guten Trinkwassers im
Auge hält, wird mir gewiss verzeihen, wenn ich so lange bei diesem
Gegenstande verweilt habe; denn es ist eine Lebensfrage für alle Länder
und am meisten für Indien, wo auf der einen Seite wegen der starken
Transpiration mehr als in Europa getrunken wird, und andererseits die
Beschaffung von gutem Trink-, Koch- und Waschwasser schwierig, oft
unmöglich ist. Die Flüsse im alluvialen Boden sind durch die Fäcalien
der Menschen, durch anorganische Stoffe und durch die ungeheuren
Massen faulender Pflanzen und Thiere stark verunreinigt. Die Flora
und Fauna ist ja in den Tropen üppig. Neben den Riesen des Waldes aus
der Thier- und Pflanzenwelt ist ja das Reich der Mikroorganismen
noch riesenhafter. Das Wasser der Brunnen hat ja oft eine kleine
Menagerie, wie van der Burg erzählt, von Terpsinoe, Melosira, Arcella,
Cypris, Synedra, Navicula u. s. w., und oft genug findet man selbst
makroskopisch im filtrirten Wasser munter herumschwimmende Ungeheuer.
In solches Fällen gebraucht man daher aufgefangenes Regenwasser,
welches jedoch ebenfalls filtrirt und gekocht werden muss. Vielfach
wurde der Gebrauch des Eises angefeindet; alle möglichen Krankheiten
des Magens und selbst der Magenkrebs wurden ihm zugeschrieben, aber,
wie ich glaube, mit Unrecht. Eingeborene wie Europäer lieben (mit
Recht) den kühlen Trank, weil sie viel kleinere Quantitäten zum Löschen
des Durstes nöthig haben, und weil der Durst durch kaltes Wasser
intensiver gelöscht wird als durch laues Wasser. Vielleicht ist die
Einführung des Eises selbst eine Wohlthat zu nennen, denn seit dieser
Zeit wird viel weniger Alkohol consumirt als früher. In früheren
Jahren wurde Natureis von Amerika und selbst von Schweden eingeführt
und war das Eis um einen billigen Preis nur in einzelnen Hafenplätzen
zu bekommen; auch die ersten Eisfabriken wurden nur in den grossen
Hafenstädten errichtet. Als ich im Jahre 1882 in Telok-Betong (Südküste
von Sumatra) in Garnison lag, liess ich gemeinschaftlich mit einigen
Herren von Batavia Eis kommen; es kam jedoch durch Schmelzen der Preis
in Telok-Betong auf 25 Kreuzer das halbe Kilo, so dass wir von diesem
Luxusartikel sehr bald absehen mussten, abgesehen davon, dass nur jede
Woche einmal ein Boot zwischen diesen beiden Städten verkehrte. In
früheren Zeiten, d. h. als die Eisfabriken noch nicht bestanden, hatten
sehr viele Menschen im Innern des Landes, wohin das Natureis nicht
transportirt wurde, kleine Maschinen für 60-100 Fl., in welchen durch
Luftverdünnung kaltes Wasser gemacht wurde. Noch muss ich erwähnen,
dass in hoch gelegenen Gegenden das Eis für den täglichen Gebrauch
beinahe entbehrlich ist, weil das gewöhnliche Trinkwasser oft nicht
mehr als 18-20° C. hat und bei dieser Temperatur erfrischend ist, und
dann, dass von jeher irdene Krüge im Gebrauch sind (Gendis), in welchen
das Wasser bewahrt wird und davon eine angenehme kühle Temperatur
behält, weil der poröse, nicht glasirte Krug das Wasser verdunsten
lässt, womit eine Herabsetzung der Temperatur verbunden ist.



3. Capitel.

  Amethysten-Verein -- Alkohol -- Gandruwó, eine Spukgeschichte
  -- Polypragmasie der jungen Aerzte -- Verpflegung in einem Fort
  -- Unselbständigkeit der Militärärzte -- Malayische Sprache --
  Vergiftung mit Chloralhydrat und Arsenik -- Krankenwärter und
  Sträflinge -- Amoklaufen -- Erste Praxis unter den Dajakern --
  Schwanzmenschen.


Mit mir wurde, wie schon erwähnt, auch ein neuer Commandant nach Muarah
Teweh transferirt, welcher gewissermaassen mein Chef in loco war,
während der Landessanitäts-Chef in Bandjermasing in allen dienstlichen
und wissenschaftlichen Angelegenheiten der eigentliche Chef blieb. Wir
Beiden standen den fünften Morgen am Deck, als uns der Schiffs-Capitain
am linken Ufer in weiter Ferne das Dach eines Forts sehen liess, mit
des Worten: »Das ist Ihr Gefängniss.« Das erste Wort, welches der neue
Commandant über Teweh zu mir sagte, war: »Nun zeigen Sie mir hier
etwas Interessantes!« -- Ein Fort mit zwei Meter hohen Palissaden
aus Eisenholz; die Gebäude zeigten das schmutzig-gelb Graue von
+alten+ Bambusmatten und waren mit Holzschindeln gedeckt; hinter
dem Fort war Urwald, auf dem jenseitigen Ufer des Baritu war Urwald und
auf der Südseite zog der Tewehfluss zum Baritustrome. Mein Vorgänger
soll, wie die bösen Zungen behaupteten, sofort nach seiner Ankunft in
Teweh geheirathet haben, um die Regierung zu zwingen, ihn aus dieser
Garnison abzulösen, weil »sie +können+ doch nicht eine europäische
Dame in Muarah Teweh wohnen lassen«; er blieb aber doch und hatte zur
Zeit seiner Transferirung selbst schon ein kleines Baby; ich kaufte
seine ganze Einrichtung, soweit er sie nicht mitnehmen wollte, bezahlte
ihm auch den Preis für die Küche, welche er ausserhalb des Forts
hatte bauen lassen; ich übernahm den Vorrath der Apotheke, ohne mich
natürlich aufs Wägen und Messen der Medicinen einzulassen, bestätigte
den Empfang von so viel Flaschen, Töpfen, Instrumenten, Utensilien, so
viel Kilo Chinin, Ricinusöl und hundert anderen Medicinen, und zwei
Tage später verliessen uns der alte Commandant und Dr. F. mit seiner
Frau und drei Kindern (zwei stammten aus erster Ehe) und liessen uns
(mit dem 3. Officier) zurück mit den wohlgemeinten Wünschen, die
Oede des gesellschaftlichen Lebens mit Kartenspiel und dem Schnapse
auszufüllen. Diese zwei Herren hatten es nicht gethan, und auch uns hat
das Schicksal vor diesen Dämonen bewahrt.

Ich glaube, dass im Jahre 1894 Dr. Fiebig in Bandjermasing den
Amethysten-Verein gegründet hat.

Aber schon seit wenigstens einem Jahrzehnt und zwar seit Einführung
des künstlichen Eises hat der Alkohol in Indien viel von seinem
verderblichen Einfluss verloren, seine Opfer sind jetzt bei weitem
nicht so zahlreich, als sie es waren, wenn auch noch häufig genug,
um einem Mässigkeits-Verein raison d’être zu geben. Ich zweifle, ob
+dieser+ Verein jedoch mit Erfolg Propaganda für seine Theorien
machen wird und machen kann.

Dr. Fiebig verurtheilt nämlich den Gebrauch des Alkohols in jeder
Form, zu allen Zeiten und unter allen Verhältnissen, d. h. er findet
den Alkohol auch in der Hand des Arztes nicht nur überflüssig, sondern
sogar schädlich. Dr. Fiebig geht also zu weit, er schiesst über das
Ziel und verliert gerade in jenen Kreisen, welche berufen sind, seine
Pläne, dem schädlichen Einfluss des +Miss+brauchs des Alkohols
entgegenzutreten, zu unterstützen, eines grossen Theil der Anhänger,
welchen er haben würde, wenn er sich an die thatsächlichen Verhältnisse
halten würde. Auch Sympathie verlor er für seine Bemühungen durch
die +Form+, in welcher seine Thätigkeit begann: amethystblaues
Ordensband für die Mitglieder seines Vereins und das Losungswort »Los«
(wenn ich mich nicht irre), welches die Mitglieder Jedem zurufen
sollten oder mussten, wenn sie Jemanden Bier, Wein, Cognac oder Genevre
trinken +sahen+, haben mehr Männer vom Zutritt zum Vereine
ferngehalten, als Dr. Fiebig vielleicht dachte oder wusste. Nun, meine
Wenigkeit z. B., die 20 Jahre unter den Holländern in Indien wohnte
und doch keinen Genevre gewohnheitsmässig trank, welcher principiell
kein Bier trank, weil sein Gebrauch (selbst der mässige) in den
Tropen schädlich ist, ich selbst, der überzeugt ist, dass der Alkohol
zum täglichen Gebrauch entbehrt werden kann, der in dem Alkohol ein
Genussmittel sieht, welches als solches kein +Bedürfniss+ ist, ich
selbst hatte alle Sympathie für diesen Verein, so lange -- ich nicht
von den kindischen Spielereien mit einem amethystblauen Band u. s. w.
hörte; ich bin also niemals Mitglied dieses Vereins geworden.

Wie gesagt, auch ohne die etwas laute Agitation dieses Vereines wurde
der Missbrauch des Alkohols in holländisch Indien sehr vermindert; die
Folgen desselben auseinander zu setzen, halte ich für überflüssig,
weil sie hinreichend bekannt sind. Auf zwei Factoren möchte ich jedoch
aufmerksam machen. Erstens: die meisten Menschen, welche dem Alkohol
zum Opfer fielen, vergassen das alte Sprichwort: Principiis obsta.
Als ich in Muarah Teweh Verdruss auf Verdruss hatte, verlor ich den
Appetit; ein Gläschen Wein regte ihn jedoch so weit an, dass ich
etwas essen konnte; bald jedoch zeigte sich diese Dosis zu klein, und
ich musste bei Tafel zwei Gläschen Wein nehmen, um dasselbe Ziel zu
erreichen; bald jedoch wurde auch dieses Quantum zu klein; ich nahm
drei Gläschen, ohne dass für die Dauer mein Appetit rege blieb. Ich kam
jedoch zu dem Entschlusse, die Dosis nicht weiter zu vergrössern, weil
ich das Gespenst des chronischen Alkoholismus vor mir sah. Eine Zeit
lang konnte ich trotz dieser drei Gläschen Wein keinen rechten Appetit
bekommen; ich blieb jedoch bei meinem Entschluss und -- siegte. Ohne
die Dosis Wein zu erhöhen, konnte ich nach und nach wieder Mittag und
Abendmahl essen, und auf diese Weise bin ich kein Säufer geworden.

Der zweite Factor ist, dass die Verführung in Indien zum Missbrauch
des Alkohols gross ist. Wenn man dahin kommt, wird man von guten
Rathschlägen überhäuft. Man geht in den Club und der Nachbar will
sich des Homo novus erbarmen und ihm die Gefahren des Tropenklimas
mit lebhaften Farben schildern, und schliesst seinen Vortrag mit den
Worten: Ich bin schon 10-15 Jahre in Indien, ich bin niemals krank
gewesen, lebe noch, wie Sie sehen; aber ich habe täglich zweimal vor
der »Reistafel« und vor dem Abendessen mein Bitterchen getrunken.
Sein Nachbar will auch ein Wort darüber sprechen und fügt hinzu: »Der
Alkohol setzt ja die innere Temperatur herab, wie Sie wissen, Doctor;
also müssen Sie ein Bitterchen trinken.« Ein Dritter fügt wieder hinzu:
»In de ›Oost‹ muss man in den ›Pökel‹ gesetzt werden, sonst geht man
zu Grunde, wie das Rindfleisch verdirbt, wenn es nicht eingepökelt
wird.« Dies alles ist schon darum unrichtig, weil Millionen Menschen
in den Tropen leben ohne den Gebrauch des »Genevre«. Alkohol ist eben
kein +Bedürfniss+ für den täglichen Gebrauch, ebenso als der
Tabak oder das Opium. Es ist ein +Genussmittel+, und zwar ein
gefährliches Genussmittel, weil es leicht zum Missbrauch führt und
dann gefährlich für Leib und Seele wird. Dies möge jeder bedenken,
der zum ersten Gläschen Bittern greift, um in der Monotonie des
alltäglichen Lebens »auf dem Posten« einen Ersatz für andere Genüsse
oder einen Sorgenbrecher für die Unannehmlichkeiten im häuslichen oder
dienstlichen Leben zu finden. Wenn aber Dr. Fiebig mit seinen Anhängern
den Alkohol aus dem Arzneischatz verbannen will, dann möchte ich ihm
doch ein Halt, ein Ne nimis zurufen. Will vielleicht Dr. Fiebig in dem
Moschus oder Campher so ein kräftiges Excitans als in dem Alkohol oder
Aether sehen? Dr. Fiebig hat Unrecht, wenn er den Alkohol selbst den
Aerzten entreissen möchte. Gänzlich wird ihm dies niemals gelingen.
Noch einen Einwand des Dr. Fiebig gegen den »+mässigen Gebrauch+«
des Alkohols möchte ich entkräften. Er wirft nämlich allen jenen,
welche in unschädlicher Menge den Alkohol geniessen, vor, dass sie
kein Recht hätten, dem Soldaten, dem Arbeiter oder dem Proletarier den
Schnaps zu verweigern, weil sie ja auch Alkohol in der Form des Weines,
Bieres, Champagners u. s. w. gebrauchen, mit einem Wort: exempla
trahunt. Darüber liesse sich vieles zur Antwort geben; aber weder ich
noch tausend Andere fühlen den Beruf in sich, von diesem Genussmittel
abzusehen, allein -- weil der Nachbar davon Missbrauch machen könnte.
Wenn ich die Charakterstärke habe oder hatte, trotzdem dass ich den
Wein gern trinke, und trotzdem meine Mittel es erlaubten, Wein in
beliebig grosser Menge zu trinken, nur einen bescheidenen Gebrauch
davon zu machen, dann darf ich mein warnendes Wort jedem zurufen, ein
Gleiches zu thun. Für mein Kind, für meinen Freund werde ich vielleicht
das Opfer bringen, ein Genussmittel mir zu versagen, wenn es aus
pädagogischen Rücksichten nothwendig ist; aber zu Gunsten eines Fremden
haben weder ich noch tausend Andere dazu den Beruf. --

       *       *       *       *       *

[Illustration: Fig. 3. Das Fort Teweh bis zum Jahre 1880.]

Das Schiff hatte uns verlassen, und jeder von uns drei Officieren zog
sich in seine Gemächer zurück; wir zwei neuen Bewohner des Forts, um
mit den häuslichen Angelegenheiten einen Anfang zu machen, der dritte,
um den Anforderungen des Dienstes gerecht zu werden. Meine Wohnung lag
an der Westseite des Hauptgebäudes, und zwar an dem südlichen Ende, so
dass die westliche und südliche Seite meiner Wohnung von den Palissaden
der Festung, die nördliche von der Bambuswand meines Nachbars und die
östliche von der Hinterfront des Gebäudes begrenzt wurde. An diese
schloss sich ein kleiner Hofraum und dahinter Pulvermagazin und
Provostzimmer, und daran grenzte die Caserne, welche ebenfalls (nach
Osten) von der Palissadenwand umschlossen wurde (Fig. 3). F. Gerstäcker
theilt in der »Gartenlaube« von den 70er Jahren eine in Indien bekannte
Spukgeschichte, wenn ich nicht irre, unter dem Namen »Gandruwó« mit,
welche seiner Zeit sogar zu einem Duell eines Generals geführt habe.
Die gegenwärtige Generation hat sie offenbar schon vergessen, weil
man so selten von ihr sprechen hört. Sie zu erzählen, habe ich keine
Ursache, weil ich folgenden ähnlichen Fall erlebt habe. Eines Abends
sassen wir drei Officiere in unsern Zimmern, als plötzlich in meinem
Zimmer ein Stein von der Decke fiel; ich schrieb es einem Zufalle zu
und schwieg; es kam ein zweiter, ein dritter, und als endlich sogar
ein Kork fiel, und zwar versehen mit dem Namen meines Weinlieferanten,
stand ich auf und rief dem militärischen Commandanten zu, ob er die
Steine fallen höre; ja, was bedeutet dieses? frug er zurück. Scherzend
rief ich zurück: Das ist Gandruwó! Er kam zu mir und nirgends war eine
Spur von einer lebenden Seele; vor uns lag das Ufer, es war mondhelle
Nacht -- kein Mensch, kein Affe zu sehen; vor der Südseite standen
zwei grosse Bäume und ein Wachthaus, das geschlossen war; beim hellen
Scheine des Mondes konnte man jedes Blatt des Baumes sehen, so dass
wir sicher waren, dass auf dem Baume der Schalk nicht sitzen konnte,
und nur in der Galerie, welche längs unserer Wohnung sich zog, lief
die Schildwache auf und ab. Während wir den Fall besprachen und vor
der Schildwache standen, fielen wieder Steine, und zwar immer aus
dem Süden kommend. Für den dritten Lieutenant (de mortuis nil nisi
bene) war es der ausgesprochene Fall von Gandruwó, weil er in dem
jahrelangen Verkehr mit seiner Haushälterin in dem Aberglauben der
Eingeborenen aufgegangen war. Nun, auch für uns zweie war es eine
mysteriöse Sache: nirgends einen Menschen, nirgends ein lebendes Wesen
zu sehen, und vor uns aus dem hohen Dachraume, in dem der Uebelthäter
auch nicht sitzen konnte, Steine und Kork fallen zu sehen und zu hören!
Nun, Doctor? frug mich der Commandant. In französischer Sprache gab
ich ihm zur Antwort (weil die Schildwacht, obzwar ein Eingeborener,
vielleicht doch holländisch verstehen konnte): »Ich weiss ein Mittel,
um diesen Geisterspuk aufzuklären.« »Nun! welches?« »Drohen Sie der
Schildwacht mit acht Tagen Provost, wenn das Fallen der Steine nicht
aufhöre.« Der Commandant acceptirte meinen Rath und -- die Ruhe
war hergestellt. Offenbar hatte der Soldat, während er in strammer
Haltung vor uns stand, mit dem Finger die Steine hinaufgeschnellt,
ohne dass wir es merkten. In anderen ähnlichen Fällen sind z. B. in
geschlossenen Räumen, selbst in Zimmern mit gewöhnlichem Plafond,
dubang, d. i. mit Sirih roth gefärbter Speichel, Steine u. s. w. auf
den Beobachter gefallen, obschon, wie in dem von Gerstäcker erwähnten
Falle, ein Cordon von Soldaten das Haus umstand. Den directen Beweis
für die natürliche Entstehungsweise habe ich in meinem Falle auch nicht
erbracht; aber ich zweifle nicht, dass es in allen Fällen möglich
gewesen wäre, den Betrug aufzudecken, wenn man nur den Mysticismus
dieses Vorganges principiell ausgeschlossen hätte.

       *       *       *       *       *

Auf die Ordnung meiner Wohnung brauchte ich nicht viel Zeit zu
verwenden. Die Wände bestanden aus Matten von 2-3 Meter Höhe, hatten
also keine Fenster, denn das Licht fiel über die Palissaden in mein
erstes, ich will es Studirzimmer nennen; im zweiten Raume standen
mein Bett, Kasten und Waschtafel. In der südlichen Wand war eine
Oeffnung, welche in der Nacht oder bei schwerem Regen von einem
Thürchen geschlossen werden konnte, also die Rolle eines Fensters
spielte, und im letzten Raum stand der Geschirrkasten; eine Thür aus
Bambus-Matten führte in den Hofraum. Natürlich war mein Studirzimmer
zu gleicher Zeit, venia sit dictu, Empfangs- und Speisezimmer. Vor dem
Fort stand am Ufer des Flusses meine Küche, mein Badehaus mit Abort,
welche ebenfalls aus Bambus verfertigt waren; später errichtete ich
daneben ein Affenhäuschen. Die Marodenzimmer für 6-8 Kranke und eine
Apotheke standen im Fort und hatten dieselbe primitive Bauart und
dasselbe einfache Baumaterial. Die Apotheke hatte einen grossen Vorrath
an Arzneien, welche sich in den Jahren ihres Bestehens aufgehäuft
hatten, ohne dass sie in Gebrauch genommen wurden. Die indische
Regierung ist diesbezüglich besonders freigebig, oder sagen wir lieber
verschwenderisch. Jeder Arzt hat das Recht, um Arzneien ad libitum
ersuchen zu können; kein Chef hat den Muth, das »fiat verabfolgen«
zu verweigern; wie viele, namentlich junge Aerzte, sehen ihr Heil
nur in dem Verabfolgen von zahlreichen Medicinen und vergessen, dass
der Arzt sehr viel auch ohne Arzneien helfen kann. Ich hatte einmal
einen Patienten mit einem Typhoid -- es ist 4 Jahre her -- im Spital
zu Magelang (Java), dem ich ¾ Gramm Antipyrin dreimal des Tages
vorgeschrieben hatte; in meiner Abwesenheit bekam er Nasenbluten,
und es wurde der »Doctor der Wacht« (du jour) gerufen; als ich zur
Abendvisite kam, erzählte mir dieser Heilkünstler, dass er durch
Ergotine sofort das Nasenbluten gestillt hatte (wäre es auch nicht
ohne dieses gelungen?) und dass er nebstdem noch Chinin und Phenacetin
gegeben hatte!! ein College konnte die Bemerkung nicht unterdrücken:
»Dieser Mann lebt noch, trotzdem er Antipyrin, Chinin, Phenacetin und
Ergotin erhalten hat!!« Schon vor vielen Jahren hat der damalige
Sanitätschef die jüngeren Aerzte aufmerksam gemacht, dass die Kunst des
Arztes nicht im Verschreiben grosser oder zahlreicher Recepte bestehe;
er hat zu tauben Ohren gepredigt, und die Polypragmasie florirt in
Indien jetzt wie zuvor. Selbst in der Verabfolgung von Utensilien und
Instrumenten zeigt die Regierung eine gleiche Freigebigkeit. Mikroskope
z. B. von 500-600 fl. (mit Abbé, Oelimmersion) sah ich oft jahrelang in
einem Winkel einer Apotheke ungebraucht stehen. Dem bacteriologischen
Schwindel scheinen jedoch die letzten Jahre ein Ende gemacht zu
haben. Auf zahlreiche Ansuchen nämlich von echten Dilettanten, welche
vielleicht einmal einen Tuberkelbacillus unter dem Mikroskop gesehen
hatten, oder denen es einmal gelungen war, einen solchen, sagen wir
nach Gram oder Ehrlich, zu färben, wurden grössere Apparate, als
Sterilisirungsöfen u. s. w. verweigert, während z. B. dem Laboratorium
so ziemlich alle Hülfsmittel der modernen pathologischen Forschungen
zur Verfügung gestellt wurden. Ich muss es wiederholen, dass der
Sanitätschef sehr weise thäte, auch gegenüber dem Ansuchen um Medicinen
und anderen Instrumenten etwas kritisch sich zu verhalten. Wie viele
Tausende Gulden, vielleicht Hunderttausende sind in den einzelnen
Apotheken der Marodenhäuser u. s. w. im indischen Archipel aufgehäuft,
bis sie endlich von irgend einem Arzte als »verdorben« weggeworfen
werden müssen.

Das Mobiliar des Marodenzimmers, das Geschirr, die Krankenwäsche und
die Utensilien standen unter der Verwaltung des milit. Commandanten;
auch die Kost bekamen die Kranken aus der gemeinsamen Menage; nur hatte
ich das Recht, für gewisse Krankheitsfälle eine zweckentsprechende
Diät vorzuschreiben, und erhielt dafür auf Ansuchen alles Nothwendige
nach feststehendem Tarif, so z. B. durfte ich für jeden europäischen
Patienten pro Tag ein halbes Huhn verlangen; wie erhält man jedoch
ein halbes Huhn, wenn nur ein Patient im Marodenzimmer sich befindet?
Im Archiv fand ich darüber sogar eine Correspondenz, d. h. eine
diesbezügliche Anfrage an den Sanitätschef in Bandjermasing. Leider
fand ich keine Antwort auf diese Frage vor. Für die Lieferung aller
Bedürfnisse für die Truppen, somit auch der Patienten, befand sich
ausserhalb des Forts ein Chinese, welcher unter dem Schutze des
Häuptlings und der Truppen am linken Ufer der Teweh sein Magazin
hatte. Er war natürlich nur der Vertreter einer grossen Gesellschaft,
welche die Verpflegung der Truppen auf der S.-O.-Hälfte Borneos auf
sich genommen hatte. Die gesetzliche Bestimmung bestimmte die Menge
an Lebensmitteln, welche zu jeder Zeit im Fort und welche zu jeder
Zeit in seinem Magazin anwesend sein mussten. Neben dem Quantum
spielt natürlich auch die Qualität der Lebensmittel eine grosse Rolle
in den Verpflichtungen des Lieferanten, welche eine stete Controle
von Seiten des Commandanten erfordern. Die Gewissenlosigkeit der
Lieferanten kann in Europa gross sein; aber der Chinese ist als
Lieferant vielleicht weniger dumm als sein europäischer College, aber
darum noch nicht gewissenhafter. Im Jahre 1870 wurden im Lager der
französischen Armee Kisten eröffnet, welche Schuhe für die Soldaten
enthalten +sollten+, und man fand -- Kinderwagen und anderes
Kinderspielzeug. So etwas hat ein chinesischer Lieferant niemals
gethan. Womit jedoch der Thee z. B. gefälscht sein kann, welcher den
Soldaten geliefert wird, das entzieht sich jeder Beschreibung. Die
Butter, welche im Jahre 188... in Atjeh z. B. beim Lieferanten den
Officieren zum Kauf angeboten wurde, sah dem Wagenfett ähnlicher
als der Butter! Viel dieser Uebelstände erklären sich leicht durch
die Unschlüssigkeit der Regierung. Auf der einen Seite +will+
sie den Soldaten nur Lebensmittel in erster Qualität verabfolgen
lassen, auf der andern Seite möchte sie gern so wenig als möglich
dafür bezahlen. Ist der Officier bei der Uebernahme der gelieferten
Lebensmittel zu streng, und beklagt sich der Lieferant bei dem
Intendanten, so kommt sicher eines Tags die Belehrung an die Officiere,
bei der Uebernahme der gelieferten Lebensmittel auch das Interesse
des Lieferanten nicht aus dem Auge zu verlieren, weil anders der
Preis der folgenden Concurrenzausschreibung zu hoch aufgesetzt werden
würde. Kommt jedoch ein Inspecteur die Truppen inspiciren und sieht
z. B., dass der gelieferte Reis zu viel mit gebrochenen Körnern
gemengt sei, bekommt der Commandant wieder seine Nase. Am besten
würden alle diese Schwierigkeiten behoben werden, wenn die Officiere,
welche mit der Uebernahme der Lebensmittel u. s. w. betraut sind,
wenigstens ebenso viel Waarenkunde besässen, als der Administrateur.
In 189.. weigerte ein Lieutenant in Magelang, der kurz vorher von
der Kriegsschule in Breda abgegangen war, das gelieferte Rindfleisch
auzunehmen, weil die Lunge tuberculös sei; ich wurde geholt, um seine
Diagnose zu bestätigen. Dieses konnte ich nicht thun, weil die Lunge
nur ungleichmässig pigmentirt war. Der Lieutenant acceptirte meine
Diagnose, das Rindfleisch wurde angenommen, und ich nahm ein Stück
der Lunge mit, um sie dem Chef zu zeigen. Dieser Mann lebt jetzt als
pensionirter Oberstabsarzt in Holland und hatte schon Vieles von
Tuberculose des Rindes offenbar gelesen und gehört, und hatte auch
schon von Färbung der Tuberkelbacillen und mikroskopischer Untersuchung
läuten gehört -- aber er hatte noch niemals gegenüber den militärischen
Vorgesetzten eine +selbständige+ Ansicht gehabt. Ohne auch nur
die Lunge gut anzusehen, sprach er das Wort, das gewiss verdient der
Nachwelt überliefert zu werden: »Wie können Sie oder wie wagen Sie
es zu behaupten, dass die Lunge +nicht tuberculös+ sei; haben
Sie dort im Schlachthause nach Tuberkelbacillen gesucht?!« Auf meine
Bemerkung, dass Pigmentflecke von der Grösse eines Cents bis zu der
einer Hand doch keine Knötchen seien, und dass also nicht einmal ein
Anlass in casu bestände, auf Tuberkelbacillen zu untersuchen, wurde ich
entlassen, mit der Warnung, dass ich ohne mikroskopische Untersuchung
niemals könnte wissen, ob eine Lunge tuberculös sei oder nicht?!

Es ist nämlich unglaublich, wie manche Militärärzte gegenüber dem
»Commandanten« unselbständig sind, in der Furcht, Schwierigkeiten
mit diesem Herrn zu bekommen, während sie oft ihrem untergeordneten
Arzte gegenüber die grösste Strenge zeigen. Der Militär-Commandant
ist und bleibt natürlich der Chef von Allen und über Alle: Ueber dem
Artillerie- und Genieofficier, den Administratoren und dem Arzt.
Keiner von diesen vier Fachleuten in Indien verleugnet aber so oft
seine Selbständigkeit als der Arzt. Unglaublich aber wahr. Die Schuld
liegt daran, weil, wie ich schon in der »Locomotif« vom 11. December
1896, betreffend »die Reorganisation des militärärztlichen Dienstes«,
schrieb, die Aerzte in zahlreichen militärischen und medicinischen
Wissenschaften fürchterliche Lücken haben. Von der gerichtlichen
Medicin wissen sie nichts, und wenn, wie es häufig geschieht, ihre
Hülfe oder vielmehr ihr Gutachten gefordert wird, nehmen sie »Casper«
oder »Hoffmann« zur Hand und fabriciren daraus ein Schriftstück,
welches den Stempel der Unreifheit deutlich trägt. Die Advocaten
Indiens wissen das und halten damit Rechnung! In der Bauhygiene ist
es am schlechtesten bestellt; d. h. pro forma werden die Aerzte in
Fragen der Bauhygiene um ihr Gutachten angezogen; aber das »Genie«
würdigt sie oft nicht einmal einer Antwort. Im Jahre 1891 wurde ein
neues Spital in M.... gebaut; alles war fertig, d. h. der Boden
abgemessen, Bauplan angenommen u. s. w., man sollte schon mit dem
ersten Spatenstich anfangen, als ein neuer Stabsarzt in M.... ankam.
Sofort erhob er gegen die Wahl des Grundes sein Veto, weil in der Nähe
Sawahfelder (= nasse Reisfelder) sich befänden, welche die Quelle von
Fieberepidemien werden könnten, und weil der ausgemessene Grund vor
Jahrzehnten ein Kirchhof gewesen sei; die Genie gab ihr Gutachten,
dass die nassen Reisfelder natürlich nicht bebaut werden würden, weil
sie behufs Trockenlegung +schon+ angekauft seien, und was den
»alten Kirchhof« beträfe, so sei seit dreissig Jahren niemand dort
begraben worden, der Grund sei also nicht antihygienisch. Der Stabsarzt
V... erhob jedoch nochmals seine warnende Stimme; das Armeecommando
bestätigte den Plan »der Genie«, das Spital wurde gebaut, und niemals
hat sich ein schädlicher Einfluss des Bodens gezeigt.

»Die Militärhygiene ist ganz in den Händen der Compagnie- und
Bataillonscommandanten. Allein im Nothfall, d. h. sobald sie
Unterstützung für ihre Vorschläge suchen, rufen diese Herren die Hülfe
des Arztes an, um ein wissenschaftliches Kleid ihren Vorschlägen zu
geben, so als Bacterien, Eiweissgehalt u. s. w. ...« Und immer finden
sich Aerzte, welche zu diesem Liebesdienst sich hergeben. Kein Wunder,
dass ein Major der Infanterie eine dicke Broschüre über die Prophylaxis
der Beri-Beri geschrieben hat!

Die Epidemiologie ist ganz und gar am Gängelband der europäischen
Wissenschaft; anstatt selbständig die Verhältnisse des Tropenklimas
zu den Epidemien zu beobachten, d. h. den Einfluss der tropischen
Temperatur, Feuchtigkeit der Luft und des Bodens, der tropischen Flora
und Fauna, Windrichtung, Wald, Höhe und Ebene auf die Ausbreitung
gewisser Krankheiten zu studiren, werden kritiklos die Theorien der
europäischen Epidemiologen auf Indien angewendet.

Von der militärischen Rechtspflege wissen die Militärärzte ebenso viel
und ebenso wenig als von der Administration, obzwar oft eine Compagnie
von Militär-Krankenwärtern unter ihrem Commando steht. »Ist es daher
ein Wunder, dass bei solch mangelhaftem Wissen von Allem, was nicht
direct den fachmännischen Theil betrifft, die Militär-Aerzte gegenüber
dem Militär-Commandanten beinahe absolut unselbständig sind und oft
genug auch in rein medicinischen Angelegenheiten keine Anerkennung
finden?«

       *       *       *       *       *

Sieben Personen von dem Fort standen direct unter meinem Befehl;
ein europäischer Krankenwärter von dem Range eines Corporals
(Hospitalbediende heisst sein Rang), zwei Handlanger und vier
Sträflinge. Die »Handlangers« und die Sträflinge (dwangarbeiders)
waren jedoch Eingeborene und zwar theils Javanen und theils Malayen,
welche natürlich nicht der holländischen und noch weniger der deutschen
Sprache mächtig waren. Im Anfange meiner indischen Carrière und zwar
im Spitale zu Surabaya war mir sogar eine Abtheilung mit eingeborenen
Soldaten zur Behandlung angewiesen worden. Einen meiner Krankenwärter
gebrauchte ich also als Dolmetsch, da er genug der malayischen Sprache
mächtig war, um sich mit den eingeborenen Soldaten verständigen
zu können. Bei meiner Ankunft in Muarah Teweh ging es mir nicht
viel besser. Ich hatte während meines Aufenthaltes in Surabaya die
malayische Sprache kaum in ihren Elementen erlernt, so dass ich mich
nur mangelhaft mit meinen Bedienten verständigen konnte und bei meiner
Ankunft in Teweh vor denselben Schwierigkeiten stand. Ich frug also
meinen »Hospitalbedienten«, welcher Sprache ausser der holländischen
er mächtig sei? Ich spreche alle Sprachen des Archipels: Malayisch,
Javanisch, Buginesisch, Chinesisch u. s. w., war seine Antwort. Einen
colossalen Respect bekam ich vor diesem polyglotten Krankenwärter, der
leider nicht lange anhielt. Es war eben eine Aufschneiderei im grossen
Stile; in der chinesischen Sprache wusste er nur von 1-10 zu zählen;
von der buginesischen Sprache wusste er ungefähr ein Dutzend Worte,
ebenso viel von der javanischen Sprache, und nur in der malayischen
hatte er die Wahl von 2-300 Wörtern.

Eine ähnliche Grosssprecherei mit etwas komischem Beigeschmack hörte
ich acht Jahre später in Wien. Ich war auf meiner Urlaubsreise in Wien
und stand mit einigen Philologen und der Frau eines indischen Collegen
im Gespräch über indische Sprachen. Auf die Frage des einen Philologen,
welche Sprachen auf den Inseln des indischen Archipels gesprochen
würden, antwortete ich: »Es giebt zahlreiche Dialekte des polynesischen
Sprachstammes, welche unter einander grösseren Unterschied zeigen als
z. B. Deutsch und Englisch. (1000 Jahr v. Ch. ungefähr schieden die
Malayer in westliche, von Madagascar bis zu den Philippinen, und in
östliche Malayer, welchen der Name Polynesier heutzutage am häufigsten
gegeben wird und die Inseln Süd-Australiens bis zu den Sandwichinseln
bewohnen.) Malayer, Javanen und Sundanesen (in Malakka und Sumatra
ist die ursprüngliche malayische Sprache am reinsten erhalten) können
sich vielleicht mit einander verständigen, aber mit den Buginesen,
Battakern, Dajakern, Alfuren u. s. w. ist dies beinahe unmöglich. Aber
an allen Küsten des indischen Archipels wird malayisch gesprochen,
welches von den malayischen Handelsleuten dahin verbreitet wurde; ja
oft wird man im Innern aller Inseln hin und wieder einen Eingeborenen
finden, der die malayische Sprache wenigstens etwas versteht. Es
spielt also die malayische Sprache in Indien dieselbe Rolle wie die
französische in Europa. Alle Europäer also, welche in Java u. s. w.
sich aufhalten, müssen sich diese Sprache aneignen und wäre es nur, um
mit den Bedienten sprechen zu können. Jedoch nur die wenigsten Europäer
haben diese Sprache grammatikalisch gelernt. Wenn wir von wenigen
Beamten und einzelnen Officieren absehen, so ist das Malayische,
welches von den Europäern im indischen Archipel gesprochen wird,
ein wahres Kauderwelsch, welches unter dem Namen Casernenmalayisch
bekannt ist. Es werden nämlich die einzelnen Worte ohne Conjugation
und ohne Declination, ohne Präfixe und ohne Suffixe hinter einander
ausgesprochen, und dann spricht man von einem »sprechen« der
malayischen Sprache!! Es ist natürlich nur ein Kauderwelsch.« »Ach!«
fiel mir diese Dame ins Wort, »Sie sprechen natürlich nur von sich
selbst; =Ich= bin der malayischen Sprache vollkommen mächtig!«

Von den zwei Handlangern war der eine ein Javane, der andere ein
Malaye; die vier Sträflinge waren wegen Diebstahl und Mord (zwei von
ihnen) aus ihrer Heimath (Java und Sumatra) verbannt und verurtheilt
zu »Zwangsarbeit« und waren dem Marodensaal zu Teweh zugewiesen,
Kulidienste zu leisten. Der eine der beiden »Handlangers« war ein
langer, magerer Malaye, Namens Amat. Eines Tages untersuchte ich den
Inhalt der »Feldmedicin-Kiste« und sah eine grosse viereckige Flasche
mit einer Flüssigkeit gefüllt, ohne Etiquette. Dem Geruch nach zu
urtheilen, hielt ich es für Chloralhydrat in Lösung, und bevor ich es
sehen und verhindern konnte, hatte mein Amat zur Probe einen Schluck
genommen. Ich wusste nicht, was in der Flasche war; ich wusste nicht,
wieviel er davon getrunken hatte; die Grösse der Flasche liess zwar
nicht an ein schweres Gift denken, aber ich befahl ihm, sofort den
Finger in den Hals zu stecken, und er erbrach eine Flüssigkeit von
demselben Geruch als dem in der Flasche. Theilweise war ich schon um
das Schicksal meines dienstbeflissenen Krankenwärters beruhigt, als er
in auffallender Weise fröhlich und ausgelassen wurde.

Ich kann für diese komische Scene kaum Worte finden. Ein langer,
magerer Malaye, welcher betrunken zu sein scheint!! Auf dieses Stadium
excitationis folgte bald die narcotische Wirkung, und nachdem er einige
Stunden lang fest geschlafen hatte, war sein Chloralhydrat-Rausch
geschwunden.

Diese Unvorsichtigkeit im Untersuchen der Medicamente ist mir in den
spätern Jahren noch oft vorgekommen. Die Medicinen sind in Indien
theuer, so dass sie von den Patienten aufgehoben werden, wenn sie
momentan nicht nöthig sind. Sie schreiben z. B. auf das Fläschchen
»gegen Husten« oder »gegen Nervosität« u. s. w., um sie eventuell
später wieder benutzen zu können. Nun geschieht es manchmal, dass
die Signatur abgefallen ist; nun, dann wird der behandelnde Arzt
einfach ersucht zu kosten und zu sagen, was für eine Medicin dies
sei!! Ich weigerte zu allen Zeiten, dieses zu thun, wenn ich auch
keinen Augenblick fürchtete, von einigen Tropfen vergiftet zu werden,
welche aus einem gewöhnlichen Medicinfläschchen getrunken werden.
Einmal hätte eine solche Probe für mich verhängnissvoll werden können.
Im Jahre 1890 lebte ich in Tjilatjap (Süden von Java) und hatte nur
ein Marodenzimmer, obwohl sich anschliessend die Räume eines alten
Spitals befanden. Auf der benachbarten Insel Nussah Gambangan lebte ein
europäischer Aufseher des Leuchtthurms, welcher damals bei einem Ritte
bergabwärts über den Kopf seines ungarischen Sattels gefallen war. Die
Haut hing in Fetzen auf den Schenkeln herab. In einer Sänfte wurde
er zu mir gebracht, und ich bot ihm ein Zimmer des alten Spitals zum
Aufenthalt für ihn und seine Familie an. Die Beköstigung sollte seine
Frau und seine Tochter auf sich nehmen. Dankbar nahm er das Anerbieten
an, erfreute sich dadurch einer sorgsamen Pflege und die Heilung ging
hübsch von Statten. Eines Tages stand ich in der Apotheke, als seine
Tochter mit einem Glas Milch zu mir kam und mich ersuchte, die Milch
zu kosten und ihr zu sagen, »ob und was der Milch fehle«, weil ihrem
Vater bei dem Gebrauch derselben übel geworden sei. Ueberrascht sah
sie mich an, als ich ihr zur Antwort gab: »Wenn Ihr Vater von der
Milch übel wurde, brauche ich es doch nicht zu werden«. Kaum hatte sie
mich darauf ersucht, »die Milch also chemisch zu untersuchen,« als ein
fürchterlicher Schrei um Hülfe zu meinen Ohren drang. Ich eilte dahin
und fand ihren Vater in einem fürchterlichen Zustande. Ich habe im
Jahre 1873 in Ungarn und auch späterhin zahlreiche Cholerapatienten
gesehen, aber keiner derselben zeigte so heftigen Krampf der Gedärme
als dieser Patient. Erbrochen hatte er schon viel, wie ich sah, und ich
dachte also sofort an eine Vergiftung mit Warângan (= Arsenik). Bei
Vergiftungen mit mineralischen Giften wird man in Java am besten thun,
in erster Reihe an Arsenikpräparate zu denken, weil dieses Gift täglich
und in jeder Marktbude zu bekommen ist. Die Dolche der Javanen (Kris
genannt), werden nämlich mit einer Lösung von Warângan und Citronensaft
u. s. w. bearbeitet, um der Klinge ein schön damascirtes Aussehen zu
geben.

Auch unser Patient war mit Warângan von einem der Sträflinge vergiftet,
welcher täglich von seiner Wohnung die Milch gebracht hatte. Es gelang
mir, ihn auch von dieser Heimsuchung zu befreien. Das Schicksal
verfolgte ihn jedoch ohne Erbarmen. Er ging kurz darauf nach Samarang,
wo er von einem tollen Hunde gebissen wurde. Damals existirte in
Batavia noch nicht das Pasteur’sche Institut; diese unglücklichen
Patienten mussten damals nach Saigon gehen; auch er that dies, kehrte
zurück, starb jedoch kurz darauf an Lyssa humana.

       *       *       *       *       *

Der Bestand meiner Krankenwärter war also sieben Mann, obzwar ich
kaum jemals sieben Patienten zu gleicher Zeit im Marodenzimmer hatte;
dieses hatte jedoch seine guten Ursachen. Das Fort war eben durch seine
isolirte Lage gezwungen, immer kriegsbereit zu sein; die Sträflinge
mussten im gegebenen Falle Kulidienste leisten, d. h. bei einer
etwaigen Expedition Feldverbandskisten und Feldmedicinkisten tragen,
die Tragbahre für Verwundete u. s. w. führen; sie mussten Lebensmittel
und Trinkwasser mitnehmen oder mit dem Messer in der Hand einen Weg
in den Urwald bahnen u. s. w. In Friedenszeiten mussten sie natürlich
das gröbste Werk im Spital verrichten, die Aborte reinigen, die Wäsche
der Patienten waschen, die Krankenkost in der Küche bereiten u. s. w.
Natürlich war es für mich schwer, für sie immer Beschäftigung zu haben,
und darum benützte ich sie gegen eine kleine geldliche Entschädigung
auch zu Privatzwecken, obzwar dies ausdrücklich verboten war. Dies
gab einmal Anlass zu einer Anklage gegen mich und zwar von Seiten des
Commandanten des Forts. Ich vertheidigte mich in der erwähnten Weise
und fügte hinzu, dass ich es nicht aus Gewinnsucht thäte, weil ich
die Sträflinge bezahle, dass ich diese Leute lieber für mich arbeiten
lassen müsse, als sie müssig im Fort herumgehen zu lassen, dass sie
mir nur bei wissenschaftlichen Arbeiten, und zwar beim Ausstopfen
der Thiere, behülflich seien, und dass unter den herrschenden
Verhältnissen ich keinen Bürger miethen könnte, weil eben auf ganz
Teweh kein Bedienter oder Kuli zu bekommen wäre. Der Commandant des
Forts bekam seine Nase und mir wurde ausdrücklich von Bandjermasing
erlaubt, die Sträflinge in ihrer freien Zeit zu wissenschaftlichen
Arbeiten gebrauchen zu können. Ich kann nicht umhin, den Heroismus
eines solchen Sträflings zu besprechen, als er mir half, das Zibeth
aus einer Zibethkatze (Viverra Zibetha) herauszunehmen. Er sollte
die Katze bei den vier Füssen so halten, dass ich das Zibeth aus der
Drüse, welche sie zwischen den hintern Extremitäten hat, mit dem
beinernen Löffel herausdrücken konnte. Er hielt jedoch die Katze in
einer so eigenthümlichen Weise, dass ich darauf aufmerksam wurde; ich
blickte auf seine Hand und -- +die Katze hatte sich in seinen Finger
verbissen, ohne dass er auch nur mit der Miene gezuckt hatte oder auch
nur eine Schmerzensäusserung von sich gab+. Sofort befreite ich ihn
aus seiner erzwungenen Haltung, indem ich die Katze mit starkem Griff
im Nacken fasste, und -- legte einen silbernen Gulden in seine Hand.
Da diese Sträflinge nebst der Kost nur 4 Kreuzer täglich bekommen, so
ist ein solcher Nebenverdienst immerhin für sie sehr erwünscht. Zu
einer ähnlichen heroischen That habe ich später einen europäischen
Krankenwärter, mit dem Range eines Feldwebels, entschlossen gesehen.
Ich bekam nämlich vier Jahre später in Batavia einen Soldaten in
Behandlung, der Monate vorher von einem Pferde im Rücken gebissen war,
und dessen Wunde zu gross war, um heilen zu können; ich entschloss mich
zur Transplantation und entnahm ein Stück Haut zu diesem Zwecke aus dem
Arme eines Sträflings, weil der Patient, ein Europäer, sich nicht dazu
hergeben wollte und gab ihm (dem Sträfling) einen Reichsthaler (2 Fl.
50) dafür. Den andern Tag ersuchte mich der Sergeant, ihn und nicht den
Sträfling den Reichsthaler verdienen zu lassen, wenn ich wieder ein
Stückchen Haut nöthig hätte.

       *       *       *       *       *

Schon wenige Tage nach meiner Ankunft in Muarah Teweh kam der erste
Dajaker in meine Behandlung. Ich stand an der Palissade und sah einen
Mann einen Kahn verlassen und das sanft abfallende Ufer heransteigen.
Der »Commandant der Wacht«, ein Feldwebel, nahm ihm sein Messer
(Mandau) ab, liess ihn warten und meldete ihn bei mir an. Es war
ein Mann mittlerer Grösse, von leicht brauner Hautfarbe, schwarzen
Haaren, braunen Augen, grossen Löchern in den Ohrläppchen und war nur
bekleidet mit dem Djawat, das ist einem Gürtel aus Baumbast, welcher
mit einer schmalen Schürze vom Bauche herabhing; er sprach etwas
Malayisch, und so hatte ich keinen Dolmetsch nöthig, um mich mit ihm
zu verständigen. Am rechten Ufer des Baritu, gegenüber der Mündung
der Teweh (etwas südlich), läge sein Kampong, von welchem sein Vater
Häuptling sei; dieser sei schon seit längerer Zeit krank, obwohl
die Bassirs und die Bliams ihre Opfer an den Radja-ontong schon zu
wiederholten Malen gebracht hatten, und leide so fürchterlich, dass
er käme, meine Hülfe anzurufen, weil er gehört habe, dass ich so ein
gewaltiger Bassir sei. Nun, wenn ich damals gewusst hätte, dass ein
solcher Bassir nicht nur ein Priester, Zauberer und Teufelsbeschwörer,
sondern auch ein publiker Paederast sei, ich hätte mich für diese
Titulatur bedankt. Seine Absicht war jedoch gut, denn als ich ihn frug,
was denn ein Bassir sei, antwortete er: »So was, als ein Jesus!!?!«
Wie ich später erfuhr, hatte er kurz vorher einen Soldaten vor einem
Christusbilde beten gesehen, und auf seine Frage, wer dies sei, die
Antwort erhalten: »Tuwan-Allah-Jesus«. Aus seiner weiteren Mittheilung
entnahm ich, dass es sich bei seinem Vater um einen Tumor vesicae
handle mit consecutiver Retentio urinae. Mit Nelaton-Katheter und
Pravatz’scher Spritze ausgerüstet und begleitet von dem europäischen
Krankenwärter, dem langen Amat und zwei Sträflingen, bestieg ich den
Kahn des Dajakers. Der Fluss ist bei Teweh ungefähr 400 Meter breit;
da aber unser Ziel stromabwärts lag, erreichten wir bald den Kampong,
ohne dass die Ruderer thätig waren; der Strom riss uns einfach mit. Ans
Ufer gekommen, sah ich vor mir ein langes Haus, welches auf Pfählen
von ungefähr 1½ Meter stand. Eine breite Leiter stand in der Mitte.
Ich stieg mit meinem Gefolge hinauf und fand sofort im Entrée den
Patienten auf dem Boden liegen. Im Hintergrund tanzte ein Bassir vor
einem Altar, und zur Seite des Kampongs sassen die Musikanten mit der
Tote (eine Art Panpfeife), mit Pauken, malayischen Violinen (râbab
genannt) und einer Art Dudelsack aus der Schale der Labufrucht, der
sie wehmüthige Klänge zu entlocken wussten. Als ich mich niederbückte,
um den Patienten zu untersuchen, begann der Bassir vor dem Altar hin
und her zu trippeln, wobei er die halb ausgestreckten Arme schüttelte,
welche zahlreiche kupferne grosse Ringe trugen. Nicht unharmonisch
fiel draussen der Chor der Pauken und der anderen Instrumente ein, und
die Beschwörungen der Bliams übertönten Alles, die Tote, die râbab,
den Glockenschall der Ringe u. s. w. Die Untersuchung bestätigte mein
Vermuthen, dass ein Tumor die Urethra unwegsam machte, so dass ich
palliativ die Punctio vesicae machen wollte. Ich theilte der Umgebung
mit, dass ein Stich in die Blase sehr viel Erleichterung in seine
Schmerzen bringen würde, und Alle, wie auch der Patient, gaben zu
dieser kleinen Operation die Zustimmung. Kaum hatte ich jedoch den
Troicart auf den Unterbauch angesetzt, als der Patient und seine Frau
einen leisen Schrei ausstiessen, seine Frau rief, die Krankenwärter
mich erfassten, von dem Patienten hinwegrissen, mich zur Thüre und die
Leiter hinabdrängten und am Ufer mich sofort den Kahn zu besteigen
ersuchten. So rasch folgte eins auf das andere, dass ich keine Zeit zum
Fragen hatte, was dies bedeute. Bevor ich jedoch in den Kahn stieg,
um was mich die Krankenwärter ersuchten, sah ich mich noch einmal um
und sah nichts, was die Aufregung meines Gefolges erklären konnte. Die
Spieler schlugen ihre Pauken, die Mädchen bliesen ihre Tote, dazwischen
hörte ich manche Seufzer des Patienten, gemischt mit den Worten seiner
Frau; unter dem Kampong, zwischen den Pfählen, grunzten die Schweine,
suchten ruhig in den Abfällen, welche zwischen den Latten des Hausflurs
herabfielen, einen Leckerbissen, und dasselbe thaten die Hühner. Ich
frug also meine Krankenwärter, was dieser Rückzug bedeute, der mehr
eine übereilte Flucht, als ein ehrenhafter Rückzug war. »Haben Sie
nicht »Amok« rufen gehört?« bekam ich zur Antwort. Dies war nicht der
Fall. Der Patient hatte beim Ansehen des Troicart einen unwillkürlichen
Angstschrei ausgestossen, weil er sich vor dem Stiche fürchtete; seine
Frau hatte ebenfalls unwillkürlich und reflectorisch dasselbe gethan;
meine Krankenwärter hielten diese zwei Schreie für »Amok«, ergriffen
die Flucht und zogen mich mit, der keine Ahnung von der Gefahr hatte,
welche mir in der Einbildung dieser Helden (?) drohte.

Ich hatte nämlich schon früher vom »Amok rufen« hin und wieder sprechen
gehört. Nach dieser Zeit hatte ich einige Male Gelegenheit, mit
dieser Sache mich zu beschäftigen. In der ursprünglichen Bedeutung
des Wortes (amoq = Mord) hört man es beinahe jeden Tag gebrauchen;
wenn zwei Soldaten raufen und einer von ihnen zieht das Messer,
wird durch Schlagen auf den Holzblock in dem Wachthause die Polizei
herbeigerufen, und dann spricht man von Amok; ein eifersüchtiger
Ehemann prügelt seine untreue Frau, welche so fürchterlich schreit,
dass wieder von Amok gesprochen wird u. s. w. Aber das eigentliche
»Amok machen« bedeutet eine Mordmanie: Der betreffende Malaye läuft
wie ein Rasender durch die Strassen mit einer Waffe in der Hand (in
der Regel mit einem Kris) und stösst jedem, der ihm entgegenkommt, Alt
oder Jung, Mann oder Frau, Feind oder Freund, das Messer in die Brust,
ohne sich weiter aufzuhalten, oder nach seinem Opfer sich umzusehen,
so lange, bis er von der herbeigeeilten Menschenmenge erstochen oder
auf andere Weise unschädlich gemacht ist. Allgemein wird behauptet,
dass dieses unter dem Einfluss des Opiumrauchens geschehe. Der eine
Fall, welchen ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, betraf einen Mann
von ungefähr 30 Jahren. Seine Verwandten erzählten mir, dass er schon
eine Woche vorher am Fieber gelitten habe und dass ihn offenbar der
Teufel (setan) gepackt hätte, weil er immer ein ruhiger, gelassener und
ordnungsliebender Mann gewesen sei. Da er an dem bewussten Tage kurz
vor seinem Anfall von Raserei hohe Temperatur hatte (»er war glühend
heiss«, erzählte mir seine Frau), so war zweifellos das Fieberdelirium
der Anlass zu diesem »Amok machen«. Man sieht in diesem »Amok machen«
oft einen eigenthümlichen Selbstmordversuch, weil sie beinahe immer
ermordet werden; Menschen also, welche des Lebens überdrüssig sind,
würden Amok laufen, um so ihr Ziel zu erreichen, d. h. ohne eigentlich
Hand an sich zu legen, von der Last des Lebens befreit zu werden,
und doch der Freuden des Himmels theilhaftig zu werden, welche den
Selbstmördern versagt bleiben. Oft wird behauptet, dass Rachsucht das
Motiv der »Amokmacher« sei, dass der Beleidigte durch Opiumrauchen sich
den Muth verschaffe, gerade wie die Europäer durch Schnaps dies thun,
und dann mit seinem Feinde noch andere unschuldige Opfer treffe. Wenn
ich noch hinzufüge, dass bei Frauen das Amok machen niemals vorkommt,
dass Rasch es für eine Mania transitoria auf epileptischer Basis hält,
so habe ich alles mitgetheilt, was mir hierüber bekannt wurde.

Wie gesagt, bestand das »Amokrufen« in unserem Falle nur in der
Phantasie meines Gefolges; wenigstens niemals habe ich gehört, dass
unter den Dajakern diese Volksunsitte herrsche, obzwar ich 3½
Jahr unter ihnen gelebt habe, und alle Fälle, welche mir bekannt
wurden, waren von echten Malayen (Buginesen oder Maduresen u. s. w.)
ausgeführt. Vielleicht glaubte mein malayischer Krankenwärter nur,
dass es am sichersten sei, sobald als möglich aus diesem Kampong
wegzukommen, und hat also zu diesem Mittel seine Zuflucht genommen.
Er war zu dieser Furcht gewissermaassen gerechtfertigt, weil wir
damals jede Woche, einmal von dem Residenten, das zweite Mal vom
Militär-Commandanten, die Warnung erhielten, vorsichtig zu sein.
Im Jahre 1873 hatte der damalige Häuptling Mangkosari den Argwohn
der Holländischen Regierung so erregt, dass sie dem damaligen
Militär-Commandanten von Teweh den Auftrag gab, ihn dafür zu tadeln
u. s. w. Dieser liess ihn ins Fort kommen und zeigte eine solche
Vertrautheit mit den verrätherischen Plänen dieses Häuptlings, dass
er für die Sicherheit seiner Person bange wurde, über die Palissade
hinweg ins Freie sprang und sich nie mehr sehen liess. Es wurde also
ein anderer zum Häuptling der »Boven Dusson« ernannt, und zwar sein
früherer Schreiber Namens Dakop, welcher ein Malaye war. Drei Jahre
hat auf diese Weise Mangkosari im Gebirge gelebt, und erst Anfang 1876
war er zurückgekommen und hat die Holländische Regierung um Vergebung
gebeten. Nun hatte Dakop sowohl als Malaye und Mohammedaner, als auch
durch jeden Mangel einer ausgesprochenen Individualität absolut keinen
Einfluss in dieser Gegend. Mangkosari dagegen war ein Dajaker von
Geburt und Religion, war ein Neffe des Antasari, welcher im Jahre 1859
mit Suropatti in dem Aufstand gegen die Holländer eine grosse Rolle
gespielt hat, er war schlau, intelligent, muthig und reich, und doch
... hat ihn die damalige indische Regierung nicht in sein früheres
Amt eingesetzt; sie hat ihn aber auch nicht nach Bandjermasing kommen
lassen, um sich zu rechtfertigen für sein früher verrätherisches
Treiben, sie hat ihn auch nicht gefangen nehmen lassen; was denn? sie
gab ihm Pardon und liess ihn »als Bürger und als Kaufmann« unter einem
Häuptling leben, welcher früher sein Schreiber war!! Welcher Missgriff
einer Regierung!

Dies alles war die Ursache, dass wir jede Woche gewarnt wurden,
vorsichtig zu sein, weil Mangkosari »ein solcher verrätherischer Mann«
sei. Was sollten solche warnenden Worte für mich jedoch bedeuten?
Sollte ich niemals das Fort verlassen und höchstens vor der Palissade
und auf der Schiessstätte spazieren gehen, welche sich im Norden an die
Festung anschloss? Sollte ich +ausserhalb+ des Forts niemandem
meine ärztliche Hülfe leisten? Das eine wäre zu langweilig, das
andere inhuman gewesen. Nebstdem erfreute ich mich der Freundschaft
(?) des Mangkosari, dem ich viel verdankte; er führte mich in die
Religion und Liturgie der Dajaker ein; ihm verdankte ich ausführlichen
Bericht über das Leben und Treiben der Waldmenschen (Olo-Ott); ja, er
erklärte sich s. Z. selbst bereit, mir das Skelett oder die Leiche
eines +Schwanz+menschen zu besorgen, wenn es mir gelänge, ihm
volle Begnadigung zu erwirken, so dass er wieder Districts-Häuptling
werden würde. Ich wandte mich auch an den Residenten, als er im Jahre
1878 in Teweh war, aber bekam zur Antwort: Mit solchen Sachen bemühen
wir uns nicht. In dieser Frage gab ich mir damals viel Mühe, ohne zu
einem Resultate in positiver oder negativer Richtung zu gelangen.
Jedermann behauptete nämlich deren Existenz; ich bot darum 1000 Fl. für
das Skelett eines solchen Menschen; ein Chinese bot sich mir an, ein
solches zu holen, wenn ich ihm einen Reisevorschuss von 3-500 Fl. geben
wollte.

Dazu konnte ich mich nicht entschliessen, weil ich mit mehr oder
weniger Recht fürchten musste, dass der Chinese nicht weiter als bis
um die nächste Ecke des Stromes fahre, dort einige Tage liegen bleiben
würde und dann mit einer oder der anderen fabelhaften Erzählung,
aber ohne das gewünschte Skelett zurückkommen würde. Das Anerbieten
Mangkosaris jedoch war so bestimmt, dass ich unmöglich die Existenz
in das Reich der Fabel verweisen konnte. Ich habe jedoch keinen
solchen Schwanzmenschen gesehen; ich darf also von der Existenz dieser
Menschen als Thatsache nicht sprechen. Nach allen gewonnenen Berichten
sollten diese Menschen zwischen dem Quellengebiet des Baritu und dem
des Mahakamflusses wohnen und ein Rudiment von einem Schwanze haben,
der ungefähr 2-3 cm lang sei, so dass sie, wenn sie auf dem Boden
hocken, eine Grube in dem sandigen Boden zurücklassen. +Ich muss
jedoch bemerken, dass nach der Ansicht einiger Bewohner von Teweh die
Schwanzmenschen -- ein Schimpfwort für die primitiven Menschen des
genannten Gebietes sein sollte.+[6] Der Zufall kann manchmal auch
ein Schalk sein. Zur Zeit, als ich mich mit dieser Frage beschäftigte,
kam ein javanischer Soldat zur Reengagirung zu mir. Beim Assentiren sah
ich gerade am Ende der Wirbelsäule einen -- Schwanz (?). Ich rief schon
mein heureka; als ich jedoch den Zusammenhang des Schwanzes (?) mit der
Wirbelsäule untersuchte, sah ich, dass es nur ein cornu cutaneum (=
Hauthorn) war, welches mit dem Steissbein in gar keiner Verbindung war.



4. Capitel.

  Fischschuppen-Krankheit -- Tigerschlange -- Schlangenbeschwörer
  -- Gibbon -- Kentering -- Beri-Beri -- Simulanten beim Militär --
  Mohammedanisches Neujahr -- Tochter von Mangkosari -- Kopfjagd --
  Pfeilgift -- Genesungsfest -- Gesundes Essen -- Früchte -- Indische
  Haustoilette -- Wüthende Haushälterin -- Dysenterie -- Gewissenlose
  Beamte -- Missionare.


Eines Tages stand ich vor der Palissade und liess meinen Blick über die
Ufer des Baritu schweifen; das Wasser war sehr niedrig; 15 Meter war
der Fluss seit früh gefallen; die Schildwacht hatte ihre Aufmerksamkeit
vielleicht mehr den Frauen gewidmet, welche in dem schwimmenden
Badehause (zugleich Abort) sich befanden, als dem Badehause selbst;
endlich riss ein eigenthümliches Knarren ihn aus dem Träumen. Das
Badehaus war nämlich mit grossen Rottangs an dem Ufer festgebunden,
welche nach dem jeweiligen Stande des Flusses kürzer oder länger
angezogen werden mussten; das Wasser war schon so tief gefallen, dass
das schwimmende Badehaus mit dem einen Rande am schräg ablaufenden Ufer
aufruhte und dadurch eine schiefe Stellung bekam. Sofort schlug die
Schildwacht den in der Nähe hängenden Holzblock, einige Soldaten eilten
herbei, und es gelang ihnen, das schwimmende Haus vor dem Einsturz
zu retten, indem sie die Rottangs vom Ufer lösten und durch einen
kräftigen Stoss das Badehaus gänzlich ins Wasser brachten. In finsteren
Nächten hat die Schildwacht nur dieses eigenthümliche Geräusch zum
Wegweiser, ob unerwartet das Wasser gefallen sei und das Gebäude
bedrohe; denn die Schildwacht muss in der Nacht von den Palissaden
geschützt sein; wie leicht könnte es sonst geschehen, dass ein oder der
andere Dajaker sich heranschliche, um sich ihren Kopf zu holen?

Den Soldaten war es also gelungen, das Badehaus den Soldaten zu
erhalten, die Schildwacht ging wieder in schläfrigem Schritt auf und
ab, als sie plötzlich in der Tiefe des Ufers einen Kahn anlegen sah
und mich darauf aufmerksam machte. Ein Riese stieg nämlich aus dem
Kahne, der nur aus einem ausgehöhlten Baumstamme bestand. Bald folgten
noch zwei Kähne mit zwei anderen Dajakschen Männern. Trotz der Tiefe
des Ufers war seine Grösse so auffallend, dass ich die zwei andern
Officiere zur Palissade rief; je höher er stieg und je näher er kam,
desto mehr fiel mir neben seiner Grösse sein zerstörtes Wesen auf.
Endlich erreichte er das Fort und ersuchte, mit dem Doctor sprechen zu
können. Nachdem sie die Mandaus (Kopfmesser) abgelegt hatten und ich
die Erlaubniss gegeben hatte, kamen sie zu mir, und ein eigenthümliches
Gespräch begann; die drei Männer waren aus verschiedenen Gegenden
gekommen und sprachen also drei verschiedene Dialekte; der Eine sprach
den von Teweh, war jedoch nicht des Malayischen mächtig; ich liess also
erst einen Bewohner von dem gegenüberliegenden Kampong holen, der beide
Sprachen beherrschte, und ich hatte unterdessen Zeit, den Riesen näher
zu beobachten. Zu Ehren seines Besuches hatte er ein Kopftuch angelegt,
unter welchem jedoch die langen schwarzen ungekräuselten dicken Haare
herabhingen; es bestand aus Baumbast, welches gefärbt war; nebstdem
hatte er aus demselben Stoffe ein Röckchen ohne Aermel und ohne Knöpfe,
welches also die Brust nicht bedeckte, und dann hatte er seinen Djawat
(den Gürtel); das war also seine Galakleidung; was mich jedoch neben
seinen zerstörten Gesichtszügen am meisten interessirte, war die
Ichthyosis, d. h. der ganze Körper war mit Ausnahme des Gesichts, der
Hände und Fusssohlen mit Schuppen bedeckt.

Wie ich später sah, ist beinahe ein Viertel der männlichen Bevölkerung
mit dieser Hautkrankheit behaftet (von den Frauen finde ich in meinen
Reisebriefen aus damaliger Zeit nichts diesbezügliches erwähnt).
Auch gelang es mir niemals, über die Entstehungsursache dieser
Fischschuppenkrankheit etwas zu erfahren; natürlich wurden die Lues,
die Unreinlichkeit, der Genuss von Schweinefleisch u. s. w. in der
Aetiologie dieser Krankheit genannt, ohne dass ich auch nur die
geringste Bestätigung dafür finden konnte. Auch in Europa war mir ja
eine Familie bekannt, wo die Fischschuppenkrankheit (= Ichthyosis) bei
drei Brüdern vorkam (der vierte war davon befreit geblieben), und zwar
ohne bekannte Ursache, die Eltern waren nämlich ichthyosisfrei. (Kaposi
beschreibt mehrere Formen der Ichthyosis und nennt sie eine hereditäre
Krankheit.) Mir gelang es niemals, eine Ursache für die Ichthyosis
der Dajaker zu finden, und sie war so zahlreich, dass ich sie für die
Dajaker eine endemische Volkskrankheit nennen musste.

Endlich kam der letzte Dolmetsch, und nach langer Debatte erfuhr ich
erst das Folgende: Der lange Dajaker sei von der Quelle der Teweh zu
mir gekommen, weil er an blutiger Diarrhoe leide; diese Krankheit
hätte sich langsam und allmählich entwickelt, nachdem er vor acht
Monaten von einer Tigerschlange (Python) attaquirt worden sei. Er ging
nämlich um diese Zeit im Walde und hatte nur einen grossen Korb auf
seinem Rücken; plötzlich fühlte er etwas Nasskaltes auf dem Rücken, er
griff dahin, und in diesem Augenblicke schlang sich eine Sawahschlange
viermal um seinen Thorax. Die Elasticität des Korbes rettete ihn vor
einem sichern Tode; denn sie gab ihm Gelegenheit und Zeit, unter den
Windungen der Tigerschlange sein Messer zu ziehen und mit raschen und
kräftigen Zügen die Schlange -- zu durchsägen. Diese Riesenschlangen,
welche in Indien fälschlich für Boas gehalten werden, erreichen oft
eine ungeheure Länge. In Buntok (zwischen Marabahan und Teweh) hatte
eine Python den Stall eines Dajakers überfallen und war mit einer
Gans davon geeilt. Durch das Geschnatter der übrigen Gänse aufmerksam
gemacht, eilte er hinaus, und es gelang ihm noch, mit seinem Mandau
ihr den Kopf abzuschlagen. Als ich den folgenden Tag ins Spital ging,
sah ich den Rumpf auf der Strasse liegen; er war 9 Schritte, also mehr
als 6 Meter lang; man will selbst Sawahschlangen von 8 Meter Länge
gesehen haben. Diese Gans hatte ein sehr trauriges Schicksal, denn
allgemein wird in Indien angerathen, Gänse in seinem Garten zu halten,
weil sie durch ihr Geschnatter die Schlangen vertreiben sollten, und
gerade eine Gans war es, welche sich die hungrige Python zu ihrem
Opfer auserlesen hatte. Das beste Mittel jedoch, die Schlangen aus der
Umgebung der Häuser fern zu halten, besteht darin, dass man rings um
das Haus alles Gras ausrodet; die Schlangen lieben nicht die steinigen
Wege, und wenn auch eine sich auf einen solchen Weg verirrt, so sieht
man sie und läuft nicht Gefahr, sie zu treten und von ihr gebissen
zu werden. Dies ist sehr wichtig; denn keine Schlange greift den
Menschen an, und jede Schlange geht dem Menschen aus dem Wege, wenn
er sie nicht tritt oder angreift. Man kann +neben+ der grössten
und giftigsten Schlange gehen, sie beobachten u. s. w., man bleibt
unbehelligt, so lange man sie nur in Ruhe lässt. Ich habe zahlreiche
Patienten behandelt, welche von giftigen und ungiftigen Schlangen
gebissen waren. Auf mich machte es den Eindruck, dass der Biss einer
giftigen Schlange nicht absolut tödtlich sei, und dass es allein davon
abhänge, ob das Gift direct in eine Vene eingespritzt werde oder
nur das subcutane Gewebe reize; im letzten Falle entsteht nur eine
Entzündung mit consecutivem Exsudat, welches mechanisch die Aufnahme
des Giftes in die Blutcirculation erschwert oder unmöglich macht. Damit
ist natürlich der Process localisirt. Wenn jedoch der Giftzahn seinen
Inhalt direct in das Lumen einer Vene entleert, so wird der tödtliche
Ausgang nicht lange auf sich warten lassen; wenn nur eine Arrosion
eines Blutgefässes ursprünglich stattgefunden hat, welche erst secundär
die Wand einer kleinen Vene öffnet und den Uebergang des Giftes in den
Blutstrom ermöglicht, ist natürlich noch nach Stunden und selbst nach
1-2 Tagen der Tod durch einen Schlangenbiss möglich. Da a priori diese
Verhältnisse nicht erkannt werden können, ist es darum rathsam, sofort
nach dem Bisse einer giftigen Schlange die Extremitäten abzuschnüren
und die Wunde auszubrennen. (Compressen mit Ammoniak haben natürlich
gegen die Aufnahme des Giftes ebenso wenig Erfolg als der inwendige
Gebrauch desselben.) Ein Unicum in dieser Hinsicht sah ich im Jahre
1880 in Bantam (Süd-Westen von Java). Eine Frau sah ich mit einem
exquisit komischen Stumpf des linken Unterschenkels und Contractur des
Kniegelenkes. Auf meine Frage, wie sie dazu gekommen sei, erzählte sie
mir, dass sie vor 13 Monaten von einer Schlange in den Fuss gebissen
wurde, dass sie die Wunde (landesüblich) mit einer Kupfermünze bedeckt
habe, welche wie ein Sieb durchlöchert war, dass die Wunde jedoch nicht
heilte, sondern immer grösser und grösser wurde, und dass zuletzt
der Fuss abgefallen sei. Da sie die ganze Zeit den Unterschenkel
in gebeugter Stellung gehalten hatte, so hatte sich nebstdem die
Contractur des Kniegelenkes entwickelt.

Auch hatte ich einmal Gelegenheit, einen Schlangenbeschwörer zu sehen
und zu sprechen. Es war in Tjilaljap, wo ein Javane mit zwei lebenden,
2-3 Meter grossen Schlangen zu mir kam, welche sich um seinen Hals und
Arme schlangen; natürlich erzählte er mir, dass er eine Medicin (obat)
eingenommen habe, welche ihn gegen die Folgen eines Schlangenbisses
unempfindlich gemacht habe. Als ich jedoch ihn frug, ob er vielleicht
die Giftzähne ausgebrochen hätte und darum den Biss seiner Schlangen
nicht fürchte, lächelte er mit verschmitzten Augen und bot sie mir zum
Kaufe an. Da ich eine unbenutzte Volière aus Draht in meinem Garten
stehen hatte, entsprach ich seinem Wunsche und liess sie dahin bringen.
Es war an einem Samstag, an welchem Tage die meisten Männer Abends in
den Club gehen, um Whist, L’hombre, Quadrille oder Billard zu spielen.
Meine Frau bat mich, diesen Abend das Haus nicht zu verlassen, weil
sie der Stärke des Drahtnetzes nicht vertraute. Als ich jedoch bei
meiner Absicht verblieb, schloss sie alle Thüren und Fenster des Hauses
sofort nach meinem Weggehen und verstopfte überdies noch die Ritzen
zwischen Thür und Boden mit Lappen. Um 1 Uhr Nachts kam ich nach Hause,
ging sofort nach der Volière, zündete ein Streichhölzchen an, um meine
neuen Gefangenen im Schlafe beobachten zu können; ja wohl, »der Vogel
war geflogen«, wie ein holländisches Sprichwort sagt. Der Käfig war
leer. Im Stillen pries ich natürlich die Vorsichtsmaassregeln, welche
meine Frau genommen hatte, und ging zu Bett, ohne meiner Frau etwas
von der Flucht der beiden Schlangen zu erzählen. Am andern Morgen
rief ich das ganze Personal herbei, den Kutscher, die Bedienten,
die Köchin, die Babu (Zofe) und den Gärtner, und theilte ihnen das
Vorgefallene mit. An Stelle des Entsetzens und Furcht, was ich von
ihnen beim Hören dieser Botschaft erwartete, bekam ich nur die kurze
Antwort »baik« = gut, und sie gingen -- die Schlangen suchen. Die
grössere der beiden lag ruhig am Eingange des Gartens zu schlafen.
Der Kutscher nahm einen grossen Bambus, legte an das eine Ende eine
Schlinge und näherte sich vorsichtig der schlafenden Schlange (es war
eine Python bivittatus, welche auch von den Chinesen gegessen wird).
Ebenso schnell als geschickt zog er die Schlinge über den Kopf, zog
das freie Ende des Strickes, welches er in der Hand gehalten hatte,
an, und der Flüchtling war wieder gefangen. Mit Hurrah wurde sie in
den Garten gebracht, und ich liess sofort das Todesurtheil über den
Deserteur aussprechen. Es bleibt eine solche Nachbarschaft immerhin
gefährlich, weil ihre Bewegungen geradezu geräuschlos sind. In Teweh
bekam ich einen solchen Gast sogar einmal ins Schlafzimmer und ins
Bett. Es war nämlich Ueberströmung und die Schlangen der Umgebung
flüchteten sich aufs Trockene (hinter dem Garten begann nämlich ein
kleines Hügelland). Ich hatte oft Gelegenheit, die Schwimmtüchtigkeit
der Schlangen zu bewundern. Sollte diese die Sage von der Existenz
der Seeschlangen veranlasst haben? Es war die erste Ueberschwemmung
(1878), welche ich in Teweh mitmachte. Ich stand vor dem Fort, wo das
Wasser schon 1 Centimeter hoch stand. Da sah ich ruhig und gelassen
eine Schlange sich uns nähern. Ich stellte mich zur Seite, und kaum war
sie auf dem trockenen Ufer angelangt, als ich mich niederbückte und mit
einem kräftigen Schlage meines Stockes ihren Kopf zerschmetterte (??).
Die Schlange war ungefähr 2 Meter lang; ich nahm sie auf meinen Stock
und schleuderte sie weit in den Fluss; wie überrascht war ich jedoch,
als ich sah, dass diese Schlange auf der Oberfläche des Wassers sich
erholte, einfach umkehrte und wieder ans Ufer schwamm.

Bei dieser Ueberschwemmung sah ich zahlreiche Schlangen, welche aufs
Ufer kamen, um Nahrung zu suchen. Eines Abends jedoch lag ich schon im
Bett und las, als von dem Dachraum herab eine Schlange auf das Zelt
meines Bettes sich fallen liess und mich mit fragenden Augen anblickte.
Ich sprang aus dem Bett, holte ein grosses Hackemesser, und es gelang
mir, mit einem Schlage den Kopf abzuschlagen.

Wenn ich auch die Furcht vor den Schlangen auf ihr richtiges Maass
zurückführen will, weil keine einzige ungereizt den Menschen angreift,
so muss ich doch vor diesen Reptilien warnen, weil man eben zufällig,
und ohne es zu beabsichtigen, eine Schlange treten kann. Unser
Fort stand auf Pfählen, und bei jeder Ueberströmung krochen kleine
Schlangen, welche sich auf das Trockene flüchteten, auf den Pfählen des
Hauses hinauf und kamen auf diese Weise auch in die Wohnung; dies waren
die gefährlichen Ular (Schlange) welang und die Ular dedor; es sind
dies kleine niedliche Schlangen von 20-40 cm; ihr Gift ist aber nach
den Mittheilungen der Eingeborenen ausserordentlich lebensgefährlich.

       *       *       *       *       *

[Illustration: Fig. 4. Mein erster Hausfreund.]

Sehr bald hatte ich zwei junge Orang-Utangs und zwei Gibbons (Hylobates
concolor) domesticirt in meinem Hause; der Orang ist ein Phlegmaticus,
der Gibbon ist ein ausgelassener Junge, welcher den ganzen Tag nur auf
tolle Streiche denkt und Mann und Frau, Alt und Jung, Thier und Mensch
necken oder plagen will. Manchmal wurden seine tollen Streiche lästig,
aber noch öfters musste selbst der grösste Hypochonder über ihn lachen.
Ich hatte z. B. einen kleinen Honigbär (Ursus malayanus), welcher in
einem eisernen Käfig lebte; er war ein gutmüthiges Thier, welcher
seinen Reis sehr gerne mit den kleinen Hühnern theilte; wenn jedoch
die alte Henne vor dem Käfig angstvoll gluckte, um ihre Jungen vor dem
Gastherrn zu warnen, so fand sie kein Gehör bei den Küchlein; aber der
kleine Bär hatte Mitleiden mit der besorgten Mutter; er wollte ihr
helfen und zwischen den Stäben des Gitters die alte Henne hineinziehen.
Die Henne schrie aus Leibeskraft, er liess sie jedoch nicht los und
wollte sie mit seiner Pfote hineinzwängen, wodurch oft nicht nur
Federn, sondern auch ein Stückchen Haut mitgerissen wurde. Hin und
wieder gab ich ihm die Freiheit, und gerne trottelte er dann in die
Küche. um bei den Dienstboten ein Stückchen Zucker zu holen. Weh ihm
jedoch, wenn mein Gibbon ihn erblickte! Aufrecht kam dieser gelaufen
(Fig. 4), die langen Arme hielt er in die Höhe, die Schenkel im Knie
ein wenig gebogen und nach Aussen rotirt. So konnte ich meinen Gibbon
langsam auf der Erde dem Bären nachlaufen sehen, der die Gefahren,
welche ihm drohten, kannte und brummend weglief. Vergebliche Mühe;
denn der Gibbon hat ihn sehr bald ereilt, springt ihm auf den Rücken,
giebt ihm einen guten Biss und eilt schnell davon, wobei er dann auch
seine Hände gebraucht. Der Bär ist wüthend und läuft dem Plaggeiste
nach, brummend und heulend. Der Gibbon wartet geduldig ab, bis der Bär
nahe ist, springt ihm wieder auf den Rücken, beisst ihn in die Ohren
und springt auf den nächsten Baum oder auf einen Pfeiler der Küche. In
seiner Wuth klettert ihm der Bär nach, ohne zu ahnen, welche Streiche
der Gibbon ersinnt, um ihn noch mehr zu plagen. Ruhig bleibt er auf
dem Aste sitzen, blickt auf den Bär, welcher brummend und langsam
heraufklettert, mit vornehmer Ruhe herab, und wer, wie ich, seinen
Blick kannte, konnte schon aus seinem Zucken der Augenlider wissen,
dass der Gibbon verrätherische Pläne schmiedete. Endlich ist der Bär
in seiner Nähe, der Affe schwingt sich mit seinen langen Armen, während
die Fusse den Ast festhalten, unter dem Bären auf den Stamm des Baumes,
lässt seine Füsse los und fasst jetzt die Hinterfüsse des Bären. Wie
dieser auch brummt und heult, sein Plaggeist lässt die Füsse nicht
los; er zieht so lange, bis das arme Schlachtopfer endlich dem Zuge
nachgiebt und, gezogen von dem Affen, endlich den Boden erreicht. Noch
einmal beisst ihn der Affe und verschwindet mit Windeseile im Fort.

       *       *       *       *       *

Ein grosses Beobachtungsmaterial boten mir meine Hausgenossen aus der
Thierwelt, und manches Mittheilenswerthe enthält darüber mein Tagebuch.
Soweit es in den Rahmen einer Reisebeschreibung passt, werde ich sie in
den folgenden Capiteln mittheilen, und jetzt vorläufig wieder dem Arzt
oder vielmehr der Hygiene einige Seiten einräumen.

       *       *       *       *       *

Im Allgemeinen tritt in Borneo die trockene Zeit (der Ost-Monsun) viel
später ein als auf Java. Im ersten Jahre meines Aufenthaltes auf dieser
Insel (im Jahre 1877) war sogar erst im August die erste regenfreie
Woche eingetreten. Mit dem Eintritt der Monsune steht geradezu in einem
Causalnexus der Gesundheitszustand von Menschen und Thieren. Welcher
Theil des Jahres in den Tropen jedoch der gesunde oder der gesündere
zu nennen sei, lässt sich im allgemeinen nicht behaupten; locale
Ursachen spielen hierbei eine grosse Rolle. Was Teweh betrifft, so lag
es nicht mehr in der Ebene des angespülten Landes. Aber das Bett des
Baritu und des Nebenflusses Teweh, an deren Ufern unser Fort stand,
war vorherrschend Lehmboden. Ein steter Wechsel des Wasserstandes
charakterisirt diesen Strom auch noch in Teweh, wo die Ebbe und
Fluth des Meeres nicht mehr merkbar ist; 10-15 Meter Unterschied im
Niveaustande war eine häufige Erscheinung. Das Wasser bringt aus
den Bergen eine Schlammmasse, welche reich an vegetabilischen und
thierischen Stoffen ist, und lagert es (beim Sinken) auf den seicht
absteigenden Ufern ab. Diese Schlammmassen sind die Brutstätte der
todbringenden Miasmen. In der Regenzeit, wenn es täglich einige
Stunden stark regnet, bleibt der Wasserstand hoch und bedeckt die
sedimentirten Schlammmassen, und verhindert also gewissermaassen
mechanisch das Entstehen der fieberbringenden Plasmodien. Aber auch in
der trockenen Zeit können alle Bedingungen zur Existenz der Malaria,
Beri-Beri u. s. w. fehlen. Wenn Tage oder Wochen lang, oder selbst
Monate lang kein einziger Tropfen Regen fällt, wenn durch den niederen
Wasserstand die Ufer Wochen oder Monate lang den versengenden, aber
auch bactriciden Sonnenstrahlen ausgesetzt sind, und wenn selbst grosse
Sprünge und Risse in den ausgetrockneten Lehmboden des Flussbettes
kommen, auch dann fehlt den Miasmen jede Basis der Entwicklung.[7]
In der Uebergangszeit zu beiden Monsunen (Kentering) sind jedoch im
Gegentheil alle Factoren zu einer üppigen Entwicklung der Miasmen
gegeben: Feuchtigkeit, Wärme und organische Stoffe. Ueberraschend
gross war auch der Unterschied des Krankenstandes im Fort zu den
verschiedenen Jahreszeiten. Während des Höhepunktes des Ostmonsuns,
und noch mehr während des Westmonsuns, hatte ich oft Tage lang keinen
einzigen Patienten. Sobald jedoch während des Ostmonsuns in der Woche
ein- oder zweimal es regnete, oder sobald in der Regenzeit in der Woche
einige Tage frei vom Regen blieben, meldeten sich alle Soldaten, welche
früher schon an Intermittens gelitten hatten. Aber nicht allein die
Malaria forderte in der Kentering ihre Opfer; auch die Beri-Berifälle
bekamen ihre Recidiven zu dieser Zeit. Ich sehe noch den ersten
Beri-Berifall vor mir, welcher sich in Teweh bei mir meldete; es war
ein Soldat, welcher den ganzen Tag seinen Dienst verrichtet hatte und
gegen den Abend unwohl wurde und mich nur um ein Linimentum ersuchte,
weil er so schwere Füsse hätte. In der Absicht, den folgenden Morgen
ihn eventuell zu untersuchen, liess ich ihm durch den Krankenwärter
Spiritus camphoratus geben, ohne weiter mich mit ihm zu beschäftigen.
Wie erschrak ich aber, als ich zu demselben Patienten in derselben
Nacht gerufen wurde und ihn mit den stärksten und ausgesprochenen
Erscheinungen der Herzparalyse sterbend sah. Es ist vor einigen Jahren
in Atjeh geschehen, dass ein Beri-Beri-Patient als geheilt das Spital
verliess und auf dem Wege nach der Caserne todt niederfiel. Ein solcher
plötzlicher Tod scheint bei dieser Krankheit selbst häufig vorzukommen.
Im Jahre 1880 hatte ich im grossen Militärhospital in Batavia »die
Wacht«; in der Nacht wurde ich zu einem Beri-Beri-Patienten gerufen,
welcher mit einer schweren Hydrops pericardii darniederlag; ich
entschloss mich, ihm eine subcutane Injection von Pilocarpin zu
geben, und schrieb das Recept auf die »Krankenliste«, welche für
jeden Patienten angelegt wird und neben der Behandlung auch die
Krankheitsgeschichte enthalten soll. Mit der »Liste« wurde das
Pilocarpin aus der Apotheke geholt, und die übrigen Patienten des
»Saales« umstanden das Bett, als ich ihm die Injection machte. Einer
dieser Zuschauer hielt mir auch den Leuchter mit der Kerze (das Spital
hatte zwar schon damals Gasbeleuchtung; aber dieser »Saal« war als
temporärer Pavillon noch mit Oel beleuchtet). Hierauf ging ich wieder
schlafen, und zwei Stunden später kam mir ein Krankenwärter melden:
»Der Patient ist gestorben.« Ich nahm ihm die »Liste« ab, um die Stunde
seines Todes aufzuschreiben, bevor ich mich angekleidet hatte, um bei
diesem Opfer der Beri-Beri den Tod zu constatiren. Ich glaubte jedoch
eine unrichtige »Krankenliste« zu haben, weil ich die Notirung vor der
Injection darauf nicht sah; auf meine diesbezügliche Frage erwiderte
mir der Krankenwärter, nicht Sidin, dem ich Pilocarpin eingespritzt
hätte, sondern Amat, der mir bei dieser Gelegenheit die Kerze gehalten
hatte, sei plötzlich gestorben!! Diese miasmatische Krankheit, welche
mit der Malaria die indische Armee decimirt (die Beri-Beri sucht die
meisten Opfer unter den Eingeborenen), wird im zweiten und dritten
Theil noch ausführlicher besprochen werden müssen. Solche plötzliche
Todesfälle aber geben dem jungen Militärarzte einen Wink, mit der
Diagnose »Simulation« vorsichtig zu sein. Besonders die moderne Schule,
welche nur +Krankheiten+ und nicht +den Kranken+ behandelt,
hat an solchen irrigen Beschuldigungen eines unglücklichen Patienten
oft genug Schuld; der junge Arzt baut in erster Reihe seine Diagnose
auf den Befund durch Stetoskop, Harn u. s. w. Der Visus practicus
fehlt ihm in Indien wie überall; Missgriffe sind also unvermeidlich;
dies muss ihn also zur Vorsicht mahnen, die Diagnose »Simulation«
nicht leichtfertig zu stellen. Ich weiss sehr gut, dass beim Militär
damit grosse Schwierigkeiten verbunden sind; aber es ist nicht so
arg, als man annimmt; herrscht ein guter Geist und Disciplin unter
den Soldaten, sind, wie wir sehen werden, auch in Friedenszeiten die
Fälle der Simulation nicht häufig, besonders wenn der Arzt sich nicht
foppen lässt, und zur Zeit des »Ausrückens« noch weniger. Am 4. April
1887 sollte der Marsch nach Kotta-radja Bedil in Atjeh stattfinden, und
an diesem Tage hatte sich kein einziger Soldat krank gemeldet!! Dass
in ruhigen Zeiten die petites misères de la vie sich fühlbar machen,
besonders wenn z. B. von einem Korporal oder Sergeant »Theorie« über
die Handgriffe des Gewehres oder über die Bestandtheile der Kanone
gehalten wird, dass dann die Soldaten Hülfe für ihre kleinen Qualen
bei dem Doctor suchen, um eventuell »Frei vom Dienste« zu bekommen,
spricht nicht gegen den »guten Geist unter den Soldaten«, sondern
ist -- begreiflich. Natürlich giebt es auch einige echte Simulanten
in der indischen Armee. Einen solchen Fall hatte ich in Teweh zur
Behandlung bekommen, und weil er ein Unicum in seiner Art ist, an den
van Hasselt in seinem Buche über Simulation nicht einmal gedacht hat,
will ich ihn etwas ausführlicher mittheilen. Ein Franzose, Namens
Daudu, kam nach Teweh und meldete sich schon den andern Tag krank,
»weil er so viel durch seinen Bauch leide«. Er stand vor mir als der
Typus eines kräftigen, gesunden und schönen Mannes, hatte aber einen
Bauch wie eine -- schwangere Frau. Ich untersuchte alle Organe der
Brust, sie waren gesund; der Puls regelmässig, die Schleimhäute waren
normal gefärbt, der Stuhlgang, das Uriniren und der Appetit waren,
wie er selbst mittheilte, normal; aber der Bauch war wie eine Trommel
gespannt; es war unmöglich, durch Percussion Leber, Milz oder Nieren
zu untersuchen; natürlich ergab auch die Palpitation ein negatives
Resultat. -- Ich kann und will nicht alle Details der Untersuchung und
nur das Eine mittheilen: Nichts Objectives war zu finden, und keine
andere subjective Klage äusserte der Patient (?) als: »j’ai tant de mal
au ventre« oder »je souffre horriblement«.

Schmerzen für die +Dauer+ zu simuliren, ist beinahe unmöglich,
denn der Schmerz schreibt eine deutliche Schrift in den Zügen
der Patienten; das erfahrene Auge unterscheidet den erheuchelten
und den wirklichen Schmerz. Nun, der Schauspieler simulirt auch
Schmerz, aber Tage oder Wochen lang die Rolle einer Mater dolorosa
+ununterbrochen+ zu spielen, wird wohl der grössten Künstlerin
unmöglich sein. Dieses mochte wohl unser Freund Daudu gewusst haben
und gab sich auch nicht einmal Mühe, durch ein leidendes Aussehen auf
mein Mitleid Einfluss zu nehmen. Er hoffte alles von seinem grossen
Bauch. Ich wusste mir also nicht anders zu helfen, als dass ich ihn
zur Beobachtung ins Marodenzimmer aufnahm. Durch die Krankenwärter
ihn observiren zu lassen, dazu hatte ich keine Lust; oder besser
gesagt, zu wenig Vertrauen in die Ehrlichkeit und den Muth dieser
Soldaten. Der europäische »Bediende« würde als Verräther wenn nicht
durchgeprügelt, so doch boycottirt worden sein; und die eingeborenen
»Handlanger« hätten gewiss ein gleiches Schicksal erfahren. Ich selbst
kam natürlich so oft als möglich in den Krankensaal, und immer stand
Daudu wie eine Säule in strammer Haltung vor seinem Bett und mit einem
Bauche, als ob eine Pauke angebunden gewesen wäre. Kam ich in der
Nacht und lag er, was sehr selten geschah, auf dem Rücken, so war das
vorsichtigste Zurückziehen der »Sprey«, in welche er eingewickelt war,
hinreichend, um ihn aufzuwecken, und der Bauch hatte sofort seine alte
Haltung.[8] Ich gab ihm bei der Morgenvisite eine Morphiuminjection
von 10 mg; er schlief jedoch nicht ein, weil er durch forcirtes Auf-
und Abgehen und durch Kaffeetrinken die Wirkung des Morphium zu
neutralisiren suchte. Zur Chloroformnarcose meine Zuflucht zu nehmen,
konnte ich mich nicht entschliessen, weil ich keine Assistenz hatte.
Sein Zustand blieb unverändert, d. h. er ass gut, trank, bewegte sich
und lebte wie jeder andere gesunde Soldat, und jede Untersuchung ergab
negatives Resultat. Unter diesen Verhältnissen musste das Vermuthen
von Simulation in mir auftauchen, und zwar musste ich daran denken,
ob er nicht ein »Luftschnapper« sei, der, wie gewisse hysterische
Patienten, Luft in grosser Menge verschlucken können, oder aber, ob
er nicht wie die Bauchredner gelernt hätte, in der +Inspiration+
zu sprechen. Mit palliativen Mitteln mich aus dieser schwierigen Lage
herauszuhelfen, wäre auch möglich gewesen; ihn z. B. frei zu stellen
von allen schweren Arbeiten, als Corvédienste, Schildwache stehen
u. s. w.; dies wollte ich nicht thun, weil ich damit direct oder
indirect ihn für krank erklärt hätte, also ... ich wartete. Diesmal,
wie späterhin sehr oft, brachte das Warten die erwünschte Aufklärung.
Daudu wurde nicht müde mit seiner künstlichen Auftreibung des Bauches,
aber er ging in die Falle, die ich ihm legte. Ich musste nämlich die
Apotheke in Ordnung bringen; zu diesem Zwecke liess ich von Daudu
neue Signaturen schreiben u. s. w. In der Apotheke stand auch, stets
gefüllt, die »Feldverband-Kiste« und die »Feldmedicinen-Kiste«,
welche je 30-50 Kilo wogen und beim Ausrücken von zwei Kulis mit
grossen Bambusstangen auf den Schultern getragen werden sollten. Mit
bewunderungswürdiger Leichtigkeit und Geschicklichkeit hantirte er mit
diesen Kisten, als ob sie nicht einmal 5 Kilo wogen. Ich beneidete
ihn oft um seine Körperkraft, die ihn dazu in Stand setzte; aber das
Vermuthen, dass sein Zustand kein pathologischer sei, bekam dadurch
beinahe Gewissheit. Ich sorgte dafür, dass der militärische Commandant
auch Gelegenheit bekam, diese seine Körperkraft beobachten zu können,
und zwar nicht nur momentan, sondern ich liess ihn oft stundenlang
die schwersten Arbeiten in der Apotheke verrichten, z. B. die grossen
Töpfe, Büchsen und Kisten einen ganzen Vormittag von einem Kasten in
den andern überbringen u. s. w., so dass ich die Ueberzeugung bekam,
dass Daudu nicht krank und dass sein Zustand ein artificieller sei.
Nach zwei Monate langer Beobachtung hatte ich mir also die Ueberzeugung
geschafft, +dass sein Zustand ihm nicht hinderlich im Verrichten
seines Dienstes sein könne+ (per analogiam). Der Zufall wollte es
auch, dass um diese Zeit ein Transport mit militärischen Utensilien
nach Bandjermasing gehen sollte. Daudu ersuchte mich, den Transport
mitmachen (dies geschah zu Wasser in einem Boote) und zugleich von
Bandjermasing nach der Superarbitrirungscommission zu Surabaja
gesendet werden zu können. Mit der grössten Ruhe sagte ich ihm, dass
dazu keine Ursache wäre, dass er nicht krank sei, dass er ganz gut
seinen Dienst thun könne, und dass er also den folgenden Morgen das
Marodenzimmer verlassen müsse. In der ersten Ueberraschung sprach er
nur »C’est impossible, mon Doctor major«, und ich entliess ihn nur
mit den Worten: »je l’ai vu que vous pouvez faire votre service.« Die
Sache nahm natürlich den erwarteten Verlauf. Den andern Tag meldete er
sich wieder krank, der Militär-Commandant frug mich brieflich (gemäss
einer gegenseitigen Absprache), nicht ob er krank sei, sondern ob er
seinen Dienst verrichten könne, was ich mit gutem Gewissen bejahen
konnte; Daudu wurde bestraft, er reclamirte bei dem militärischen
Commandanten in Bandjermasing, der mich ebenfalls um mein Gutachten
officiell ersuchte; ich blieb bei meiner Behauptung, dass der Reclamant
seinen Dienst verrichten könne; er wandte sich an das Kriegsgericht,
und auch dieses verurtheilte ihn wegen Unwilligkeit und wegen Mangel
an Achtung gegen seine Vorgesetzten, und endlich ... machte er alle
seine Dienste. Zu gleicher Zeit wollte er sich in einem hochelegant
französisch geschriebenen Brief, den ich noch heute besitze, an den
Unterkönig wenden, in welchem er sich als das Opfer der mangelhaft
entwickelten Wissenschaft der Medicin hinstellt, da nicht einmal
so ein ausgezeichneter Arzt als Dr. Breitenstein seinen Zustand
beurtheilen könne; er hat ihn aber auf mein Anrathen inhibirt. Einige
Monate später musste ich einen Brief begutachten, welcher auf dem
Wege der Gesandtschaft von seinem Bruder, einem Advocaten in Paris,
an den Unterkönig geschickt wurde. In diesem frug dieser Advocat
nur, wie es mit dem Magenleiden seines Bruders gehe. Ich begnügte
mich, mitzutheilen, dass mir von einem Magenleiden des Daudu gar
nichts bekannt war, da er während seines zweimonatlichen Aufenthaltes
im Marodenhause zu Muarah Teweh sich eines solch guten Appetits
erfreut hat, dass er nicht einmal an der gewöhnlichen Ration der
Soldaten-Menage genug hatte, sondern sich oft noch Reis u. s. w. dazu
kaufte. In einer ebenso feigen als läppischen Weise hat aber Daudu sich
dafür an mir gerächt. Als ich im October 1880 Borneo verlassen musste,
war ich gezwungen, einige Tage in Bandjermasing auf die Ankunft des
Schiffes zu warten. Täglich ging ich nach dem Spital, welches im Fort
lag, und passirte bei dieser Gelegenheit die Caserne der Artilleristen.
Eines Tages stand Daudu in der Veranda, und gerade als ich vorbeiging,
bog er so seinen Oberleib, dass ich nur das Ende des Rückens zu sehen
bekam! Wohlweislich sprach ich ihn dafür nicht an, denn er hätte gewiss
mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt versichert, mich nicht kommen
gesehen zu haben.

Solche seltene Fälle von Simulation sind in gewisser Hinsicht natürlich
nicht gefährlich; d. h. wenn man aus Unsicherheit der Diagnose oder
aus zu grosser Gewissenhaftigkeit hineinfällt, so wird nicht leicht
ein zweiter Soldat es wagen, ein solches Leiden zu simuliren; aber
bei anderen simulirten Krankheiten geschieht dies häufig; denn dem
Soldaten macht es immer Freude, seinem Vorgesetzten ein Schnippchen
schlagen zu können. Im Jahre 18.. kam z. B. ein Soldat mit Schmerzen
in dem rechten Oberarm ins Spital zu M.... Per exclusionem zweifelte
ich keinen Augenblick, dass dieser Patient einige Tage im Spitale
ausruhen wollte, und theilte dies dem jüngeren Arzt mit, dem ich meinen
Dienst übergab, weil ich auf Urlaub ging. Dieser wusste es natürlich
(?) besser als ich, diagnosticirte: Neuritis brachialis, und als ich
zurückkam, waren drei solche Fälle, und zwar von demselben Bataillon
und von derselben Compagnie im Spital. Sogar ein vierter meldete sich
mit dieser Krankheit; ich untersuchte ihn nach den Regeln der Kunst und
schrieb ihn schon den folgenden Tag aus dem Spitalstande. Es kam kein
neuer Fall von Neuritis brachialis mehr zur Behandlung, und auch die
übrigen drei verliessen in einigen Tagen geheilt(?) das Spital.

       *       *       *       *       *

Den 6. October (1877) war das mohammedanische Neujahrsfest (1294). Die
Mohammedaner feiern diesen Tag mit allem Luxus, der ihnen zu Gebote
steht; Jeder geht in seinem neuen Kleide in die Moschee, spazieren
und Visite machen; auch zu uns kamen sie ins Fort und zwar unter einem
fürchterlichen Raketenfeuer. -- Ueberall wird Feuerwerk (mortjon)
an diesem Tage angezündet, und je stärker das Donnern und Poltern
desselben ist, desto grösser ist das Vergnügen dieser Menschen. Wenn
man am mohammedanischen oder chinesischen Neujahr durch die Strassen
einer grossen Stadt Javas fährt, hält man sich krampfhaft das Herz,
weil man fürchtet, dass die Pferde durch das tolle Schiessen, oder
getroffen von den Funken des Feuerwerkes scheu werden; sie gewöhnen
sich jedoch so daran wie die Menschen. Dass natürlich die europäische
und halbeuropäische Jugend an diesem lauten Vergnügen activ Theil
nimmt, ist selbstverständlich. Wie viel tausend Gulden an einem solchen
Tage für dieses Freudenschiessen verschleudert werden, weiss Gott. Sehr
selten hört man jedoch von einem Unglück bei dieser Gelegenheit. Ich
selbst hatte nur im letzten Jahre meines Aufenthaltes in Indien eine
kleine unangenehme Ueberraschung durch die Mortjon zu erleiden. Ich
fuhr nämlich in meiner Equipage von Samarang nach Tjandi und suchte
so viel als möglich dem Feuerwerke aus dem Wege zu gehen; kaum war
ich jedoch auf der grossen Strasse, als ein Knabe sein Bündel mit
brennenden Mortjons in die Luft warf; ohne darauf zu achten, fuhr ich
weiter. Wenige Minuten darauf jedoch stieg auf meiner Seite eine kleine
Rauchwolke und eine Flamme in die Höhe. Das Mortjon hatte die offene
Rücklehne getroffen und in Brand gesetzt.

[Illustration: Fig. 5. Erste Begegnung mit der Tochter des Fürsten
Mangkosari.]

Zu den Besuchen, welche wir damals erhielten, gehörte auch die Tochter
Mangkosari’s, welche natürlich nicht zu uns selbst, sondern zu unseren
Haushälterinnen kam. Ein langer Zug von 20-25 Frauen zwischen 15-25
Jahren näherte sich dem Fort. An der Spitze des Zuges ging jene stolz
wie eine Juno und schön wie eine Venus. Mit ihren feuersprühenden Augen
und elfenbeinernen Zähnen verrieth sie in ihrem gemessenen Schritt und
der ihrer hohen Abkunft bewussten Haltung ihre fürstliche Abstammung.
Bei ihrem Eintritt legte sie ihre kleine, weiche Hand in die meinige
mit den Worten slamat taon Baru = glückliches Neujahr, ging stolzen
und erhobenen Hauptes bei mir vorbei in das hintere Zimmer, wo meine
Haushälterin auf dem Boden sass, und liess sich ebenfalls nieder,
während das Gefolge in gemessener Entfernung ein Gleiches that.
Natürlich war der Boden mit (Singaporschen) Matten bedeckt, und meine
Haushälterin, welche von der Ankunft dieser Fürstentochter verständigt
war, hatte für Gebäck, Zuckerwerk und Thee gesorgt. Ihr zurückhaltendes
Benehmen gegen mich hatte seine gute Ursache. Täglich machte ich
nämlich vor Sonnenuntergang einen Spaziergang zwischen dem Fort und
der Wohnung ihres Vaters, welche am rechten Ufer des Tewehflusses
lag; ich ahnte nicht, dass jedesmal ein Paar schwarze, feurige Augen
mich auf meinem Spaziergang beobachteten. Eines Tages jedoch kam ich
an das Ende der Strasse, und sieh’ da! zwei schöne Frauen sassen auf
einem gefällten Baume, welcher vor dem Hause Mangkosari’s lag. Die
eine der beiden kannte ich bereits; es war die (halbchinesische) Frau
des chinesischen Lieferanten des Forts; die zweite wurde mir als die
Tochter Mangkosari’s vorgestellt. Selten habe ich ein so schönes
Mädchen gesehen, und niemals mit einer schöneren Frau, als diese war,
gesprochen. Im Laufe des Gespräches (in malayischer Sprache) bot sie
mir (Fig. 5) Früchte aus dem Körbchen an, welches sie in der Hand
hielt; einen Augenblick zögerte ich, diese Liebesgabe anzunehmen --
die Frauen standen auf und mit einem kurzen und gemessenen Tabeh
(Gegrüsset) verliessen sie mich. Nur zweimal noch bekam ich hierauf
während meines dreijährigen Aufenthaltes in Teweh die Tochter
Mangkosari’s zu sehen, und zwar beim erwähnten Neujahrsfest und 1½
Jahr später, als die Frau des Mangkosari schwer erkrankte und mich um
Hülfe ersuchen liess.

       *       *       *       *       *

Den 3. Mai 1878 hatte ein Dajakscher Jüngling in unserer nächsten
Nähe sich seinen Brautschatz geholt. Ungefähr 500 Schritte hinter dem
Fort waren einige Malayen mit dem Fischfang beschäftigt, plötzlich
sprangen einige Dajaker aus dem Gebüsche; vier von ihnen gelang es,
je einen Malayen beim Kopfhaar zu fassen und ihm mit dem Mandau mit
einem Schlag den Kopf abzuschlagen. Ebenso schnell als sie gekommen
waren, wussten sie auch zu entfliehen, bevor die übrigen Fischer sich
von ihrem Schrecken erholt hatten. Nur die kopflosen Leichen ihrer
Kameraden und die Blutspuren, welche in den Urwald führten, waren die
traurigen Ueberreste dieser Kopfjagd. Die Kopfjäger schnitten mit den
kleinen Messern, welche sich auf der Scheide der Mandaus befanden, das
Fleisch von den Köpfen ab, die langen Haare derselben banden sie an
die Griffe ihrer Schwerter, und frohlockend zogen sie weiter, in der
Ueberzeugung, mit ihren Schätzen jedes spröde Frauenherz erobern zu
können. Die Werthscala eines Kopfes ist folgende: Sclave, Kind, Frau,
Dajaker, Malaye, Chinese und Europäer. Die Leiche des einen Opfers
wurde mir als corpus delicti des Verbrechens zur Obduction gebracht.
Ich habe seitdem keine Gelegenheit mehr gehabt, eine solche Leiche zu
obduciren; ich weiss also nicht, ob es Zufall war, oder ob es immer
geschieht: am Rumpfe befand sich nur ein Schnitt, der den Zwischenraum
zweier Halswirbel durchzogen hat. Was ich darüber bei Perelaer und
Schwaner gelesen habe, und was mir darüber von den Eingeborenen
erzählt wurde, stimmt damit überein, d. h. der Kopfjäger liegt im
Hinterhalt, springt im gegebenen Augenblick auf sein Opfer, fasst es
bei den Haaren, und mit +einem+ Schwunge seines Mandaus trennt er
den Kopf vom Halse. Diese Trophäen sind den Dajakern das Zeichen des
persönlichen Muthes, und darum wurden sie damals von den Bräuten von
ihren Freiern gefordert. Mittheilenswerth ist die Erzählung, welche
Perelaer in Nr. 11 vom Militär-Spectator 1864 bringt. Im Jahre 1860
reiste Harimaung nach Kwala Kapuas und schloss mit den Beamten dieser
Gegend ein Bündniss und beschwor, die Kopfjagd aufzugeben und auch in
seinem Reiche die Kopfjagd zu verbieten. Viele Jahre hielt er sein
Wort, bis ihn die Liebe wortbrüchig machte, obwohl sein Vater und seine
Freunde ihn als Feigling behandelten und beschimpften. Er ging auf
Freiersfüssen, ohne jedoch seine Braut heimführen zu können, weil er
noch keinen Kopf erbeutet hatte, ja noch mehr, sie bot ihm den saloi
(den kurzen, bis zum Knie reichenden Sarong) mit den Worten an: »Du
bist kein Mann, Du musst Frauenkleider tragen.« Auch diesen Schimpf
ertrug er, um dem Wort treu zu bleiben, das er dem Commandanten von
Kwala Kapuas gegeben hatte. Als aber seine Geliebte einem berühmten
Kopfjäger aus Miri (Kahajan) Gehör gab und selbst als Bräutigam annahm,
da schwanden seine guten Vorsätze. Eines Tages verschwand er plötzlich
und kehrte nach einigen Tagen zurück, mit seinem Korb auf dem Rücken,
welcher vier Köpfe enthielt. Der süsseste Liebeslohn strahlte aus den
Augen seiner Geliebten, als er den Korb vor ihren Füssen hinstellte
und die Schädel herausrollen liess. Er aber blieb ruhig stehen und
streckte seine Hand nach dem auf dem Boden liegenden Liebeslohn. Es
waren die Köpfe +ihres+ Vaters, +ihrer+ Mutter, +ihrer+
Schwester und ihres -- +Bräutigams+. »Du hast Köpfe gewünscht,«
fügte er hinzu, »hier sind sie; ich habe meinen Eid gebrochen; ich darf
nicht mehr unter die Augen des Commandanten von Kwala Kapuas kommen;
sei verflucht!« Er floh in die Urwälder, welche er seitdem nicht mehr
verlassen hat.

Natürlich giebt sich die Holländische Regierung alle Mühe, nicht nur
unter ihren eigenen Unterthanen, sondern auch über die Grenze ihres
Gebietes hinaus dieser grausamen Sitte zu steuern; abgesehen davon,
dass die Sitten durch einen solchen Gebrauch nie milder werden können,
ist die Kopfjagd eine der Ursachen, dass Borneo so schwach bevölkert
ist.

Nach einer solchen Kopfjagd, wie sie Harimaung übte, bleibt natürlich
die Blutrache nicht aus. Die Familie seiner Geliebten nahm Rache; sein
ganzes Vaterhaus wurde ausgemordet und dessen ganzes Vermögen wurde
zersplittert, und er selbst blieb -- in den Urwäldern Borneos.

       *       *       *       *       *

Lieutenant X., welcher gleichzeitig der Vertreter der Regierung
gegenüber der Bevölkerung war (civile gezagvoerder), liess den
Districtshäuptling Dakop kommen und gab ihm den Befehl, den Mörder
auszuforschen, einzufangen und der Regierung auszuliefern. Unterdessen
kam schon Mangkosari sich bei dem Commandanten melden und bot sich
an, den Mörder zu suchen. Ich erinnere mich nicht mehr, ob Lieutenant
X. sein Anerbieten annahm, denn es war noch keine Antwort auf sein
Gnadengesuch eingelaufen, oder ob dieser Häuptling trotz des Verbotes
des Militär-Commandanten diesen Kriegszug unternahm; genug an dem;
einige Stunden später, während Dakop noch am Berathschlagen war, sah
ich Mangkosari mit ungefähr 100 Mann den Baritu stromaufwärts fahren.
Den andern Tag um 9 Uhr Abends sassen wir drei Officiere an der
Whisttafel, als ein weihevoller Gesang an unser Ohr drang; wir traten
zur Palissade; gellende Hurrahrufe mengten sich unter das gedehnte
illa--la--lah há; eine ägyptische Finsterniss bedeckte die Landschaft,
so dass wir nur einige Lämpchen wie Irrlichter auf dem Wasser schweben
sahen; ein Blitzstrahl zuckte und zeigte uns vielleicht 40 kleine
Kähne, welche sich unserem Fort näherten. Einer von ihnen blieb stehen,
zwei Männer stiegen aus, wovon der Eine eine Laterne trug; als sie der
Palissade nahe waren, erhob der Eine die Laterne, ein hundertstimmiges
Hurrah drang zu unseren Ohren und wir sahen den zweiten Mann -- ich
glaubte, dass es Mangkosari selbst war -- einen Schädel in die Höhe
bringen, welcher, beleuchtet von der Laterne des zweiten Dajakers, uns
den Mörder zeigen sollte, welcher mit seinem Kopfe sein Verbrechen
gebüsst hatte. Wahrlich! eine eigenthümlich pittoreske Scene, die sich
uns damals darbot! (Wer weiss, welchem unschuldigen Mann Mangkosari den
Kopf abgeschnitten hat, um nur einen Beweis für seine Tüchtigkeit als
Polizeimann zu geben.)

Noch dreimal hat während meines 3½ jährigen Aufenthaltes auf Borneo die
Regierung von einer solchen Kopfjagd Nachricht bekommen. Der Einfluss
der europäischen Civilisation macht sich natürlich, wenn auch langsam,
doch sicher geltend, so dass heut zu Tage dieser grausame Gebrauch
nicht so häufig geübt wird als früher. Dazu trägt auch die neue Waffe
das ihrige bei. Als vor ungefähr 25 Jahren in der indischen Armee die
Hinterlader eingeführt und die zurückgestellten alten Vorderlader auf
Auction gebracht wurden, blieb kein einziges dieser alten Gewehre
unverkauft. Auch unter den Dajakern befanden sich zahlreiche Käufer,
welche die neue Waffe sehr gut zu gebrauchen lernten. Ich ging damals
oft auf die Jagd und nahm einen Dajaker aus dem Gefolge Mangkosari’s
mit, welcher mir das Gewehr trug. Bald wurde er ein geübter Schütze,
der seinen Lehrmeister bei weitem übertraf. Vom oberen Laufe des Baritu
kamen Ende 1879 die Fürsten von Murong und Siang nach Teweh und sahen
damals zum ersten Male einen Dampfer und die neuen Beaumont-Gewehre;
das Dampfschiff erregte mehr ihre Neugierde als Erstaunen; aber als sie
das Hinterladergewehr gebrauchen sahen, sprangen sie wie Besessene vor
Bewunderung. Ueber die Waffen der Dajaker, welche noch nicht von der
Cultur beleckt sind, d. h. welche nur den Mandau, Schild, Pfeile und
Blasrohr gebrauchen, ausführlich zu schreiben, würde überflüssig die
Grenzen dieses Buches überschreiten.

Nur will ich mittheilen, dass ich mit dem Ipoh, dem Pfeilgift der
Dajaker, einige Experimente gemacht habe. Ich habe nämlich 1 Gran =
65 Milligramm Ipoh in Wasser gemischt einem kleinen Affen ins Rectum
eingespritzt. Obwohl ungefähr die Hälfte sofort wieder ausfloss und ich
den Affen (Cercopithecus cynomolgus) nach Angabe der Dajaker sofort
unter Wasser tauchte, bekam er doch nach ungefähr 10 Minuten Krämpfe
und starb. Zweimal habe ich ein Schuppenthier (Manis pentadactyla)
durch Ipoh getödtet; das erste Mal in Teweh und das zweite Mal, 16
Jahre später, in Java. Mit dem Messerchen gab ich zwischen zwei
Schuppen einen Stich und steckte hierauf einen Pfeil in die Wunde.
Im ersten Falle starb das Thier beinahe sofort nach der Operation,
während es im Jahre 1896 doch noch ¼ Stunde dauerte, bis das Thier
unter Convulsionen erlag. Nach Perelaer stamme das Gift von zwei Sorten
Gewächsen; das eine, das Siren, stamme von einem Baume, und das andere,
Ipoh, von einem Strauche. Nach meinen Untersuchungen dürfte in dem
Theile Borneos, welchen ich bewohnt habe, Strychnos Tieuté Lechenault,
und in Kapuas, Antiaris toxicaria die Quelle des Pfeilgiftes gegeben
haben. Dass jedoch, wie Wefers Bettink behauptete, »das Pfeilgift von
Borneo keine Spur von Strychnin enthalte«, kann ich, soweit es die
Pfeile betrifft, welche ich in Teweh erhielt, nicht unterschreiben. Der
verstorbene Professor Stricker in Wien schrieb mir seiner Zeit nämlich,
dass das von mir gesendete Ipoh eine Strychninsorte sei.

       *       *       *       *       *

»Greift nur hinein in’s volle Menschenleben, und wo ihr’s packt, da
ist’s interessant.« So ging es auch mir während meines Aufenthaltes
auf der Insel Borneo. In dem engen Raume des kleinen Forts herrschte
Monotonie des ganzen täglichen Lebens. Als Arzt konnte ich nicht
viel zu thun haben, weil hundert Soldaten, welche doch in der Kraft
ihres Lebens stehen, nicht oft erkranken; als Mensch und als Officier
kostete ich den Kelch eines der civilisirten Welt entrückten Bestehens
bis auf die Neige, weil ich nur zwei Kameraden hatte, d. h. weil nur
zwei Officiere und sonst niemand sich im Fort befand, mit denen ich
verkehren konnte, und doch hatte ich keine Langeweile. Denn so oft als
möglich (und natürlich immer auf eigene Verantwortung) verliess ich
das Fort, um zu jagen, um Käfer zu sammeln, um einem dajakischen Feste
beizuwohnen oder um an der Grenze des Urwaldes seltene Orchideen zu
pflücken u. s. w.

So geschah es auch, dass ich den 25. Februar 1878 mit dem
Bezirkshäuptling Dakop über den Baritu setzte, um hinter dem Kampong
des Demong Djatra zu jagen. Der alte Kamponghäuptling war seinem
Blasenkrebs erlegen, und sein Sohn Demong Djatra, der Nachfolger
in dieser Würde, ist mein Freund (?) geworden. So oft als möglich
besuchte er mich, d. h. so oft er Pulver für sein Gewehr nöthig hatte,
und brachte mir hin und wieder auch kleine Geschenke, z. B. Früchte
mit. Sein Gesichtsausdruck war der eines hinterlistigen Mannes, und
vielleicht war dies die Ursache, dass mein Wau Wau ihn jedesmal
attaquirte, wenn er zu mir ins Zimmer trat. Entweder riss er ihm
wüthend das Tuch vom Kopfe oder er hing sich an seine Füsse und zerriss
ihm die Hose (welchen Luxus er sich immer erlaubte, wenn er ins Fort
kam), oder er sass zwischen den Spitzen der Palissade und riss ihn en
passant, mit einem Ausdruck voller Wuth, bei dem Kragen, kurz und gut,
er hasste den Demong Djatra. Dies war darum so auffallend, weil es der
einzige Dajaker und der einzige Mensch war, dem mein Wau Wau solche
unzweideutigen Beweise seiner Feindschaft gab, und weil thatsächlich
Falschheit die Physiognomie dieses Häuptlings zeigt. Dass er zwei Jahre
später das Haupt des Aufstandes war, will ich nur per parenthesim
erwähnen, weil noch andere unserer »Freunde (sobat)« daran Theil
genommen hatten, ohne dass sie einen solchen listigen Ausdruck gehabt
hatten.

Als wir uns seinem Kampong näherten, sahen wir eine eigenthümliche
Scene. Im Wasser stand mein »Freund« Djatra, vor ihm lag ein Boot,
hinter ihm standen drei Männer in feierlicher Haltung und neben diesen
eine Miniatur-Hütte, welche auf einem Gestell umgeben mit Wachslichtern
ruhte. Im Hintergrunde standen die übrigen Bewohner des Kampong als
Zuschauer. Unter den Frauen waren einige junge, welche über dem Knöchel
eine Schnur mit kleinen Glasperlen hatten. Auf meine Frage, warum nicht
alle Frauen diese Glasperlen über dem Knöchel tragen, theilte mir Dakop
mit, dass nur jene Frauen oder Mädchen diesen Schmuck anlegen, welche
zu heirathen wünschen. (Also eine dajakische Heirathsannonce!) Die
drei Männer murmelten ihre Gebete und besprengten den Djatra mit Reis.
Nun kam dessen Frau und kletterte auf einen Baum, der vor dem Boote im
Wasser stand. Djatra nahm sein Mandau und hieb so lange darein, bis
der Baum mit seiner Frau ins Wasser fiel. Jetzt stiegen Mann und Frau
in den Kahn, welcher nichts mehr als ein ausgehöhlter Baumstamm war,
und der älteste der drei Bliams fasste ihn mit den Händen und platsch!
beide liegen im Wasser; das Boot wird, während die beiden das Wasser
von sich abschütteln, gut mit Wasser abgespült, und diese Procedur wird
dreimal wiederholt. Nach dieser Taufe eilen Mann und Frau an den Wall
und kriechen in eine zu diesem Zwecke bereitete Grashütte. Burschen
bringen brennende Fackeln herbei, eine zweite Frau (garde-dame!)
leistet dem Paare in der niedrigen Hütte Gesellschaft, es stürmen
die drei Priester mit Lanzen gegen die Hütte, umtanzen sie schreiend
und mit den Lanzen schwingend und drohend; mit Hurrah springen die
drei Insassen aus der Höhle und im folgenden Moment verbrennen die
Flammen die Grashütte. Jetzt ist Djatra, welcher Reconvalescent
nach einer schweren Krankheit war, vollkommen gereinigt und das
+Genesungsfest+ abgelaufen.

       *       *       *       *       *

Zahlreich sind die Krankheiten des Magens, der Leber und der Därme, an
welchen die Europäer in Indien leiden. Natürlich wird dem Klima die
Schuld gegeben, die Ursache dieser zahlreichen Krankheiten zu sein, ob
aber mit Recht, das ist noch die Frage. Denn in Indien wird zu viel
gegessen und zu viel getrunken. Woher soll der Magen die hinreichende
Menge des sauren Magensaftes nehmen, wenn er durch eine zu grosse
Menge von Speisen überfüllt wird. Man hilft sich zwar dadurch, dass man
zu den Speisen gewisse Gewürze zusetzt, welche eine grössere Production
von sauerem Magensaft anregen sollen; aber dieses hat seine Grenze.

Zuletzt kann keine grössere Menge gesunden Magensaftes erzeugt werden;
die grosse Menge aufgenommener Speisen wird nicht zur gehörigen
Zeit verdaut in den Zwölf-Fingerdarm geschafft, weil der Magen
atonisch geworden ist. Es muss Dyspepsie eintreten, weil nicht genug
saurer Magensaft vorhanden ist, um die Fermentation der Speisen zu
ermöglichen, und auch Plethora stellt sich ein, welche zu Congestionen
der Leber und der anderen Baucheingeweide und zum Entstehen der
Hämorrhoiden Anlass giebt.

Es lässt sich zwar nicht leugnen, dass in Indien die Flora und Fauna
aussergewöhnlich üppig sind und dass also auch das Reich der Bacterien
durch die immer herrschende Wärme und grosse Feuchtigkeit der Luft
einen günstigen Boden zur Entwicklung hat; aber auch in Indien ist der
sauere Magensaft im Stande, die Bacterien des Magens und des Darmes zu
verzehren, wenn er in +hinreichender+ Menge vorhanden ist. Daran
denkt man in der Regel nicht, obzwar unter den Tropen der Stoffwechsel
lange nicht so energisch ist, als in Europa. Jeder von uns weiss ja,
dass in den kalten Wintermonaten der Appetit grösser als im Sommer ist,
und doch wird in Indien, wo das ganze Jahr hindurch eine Temperatur von
25-40° herrscht, nicht nur +nicht weniger+ gegessen und getrunken
als in Europa, sondern sogar mehr. Zur Illustration dieser Behauptung
will ich jetzt eine Beschreibung der Diners folgen lassen, welche man
z. B. in Batavia in einem Hotel ersten oder zweiten Ranges erhält.
(Wegen Mangel an Restaurationen und Kaffeehäusern bekommt man in den
Hôtels auf Java die ganze Verpflegung und zwar für 4-6 fl. per Tag.)
Beim Aufstehen des Morgens erhält man eine Schale Kaffee, welcher, so
unglaublich es ist, nicht schlechter sein kann, als er ist. Zwischen
7-8 Uhr geht man zum ersten Frühstück.

Man erhält Thee oder Kaffee, zwei Eier, Butterbrot, Käse, Salami und
Beefsteak. In Indien geborene Europäer nehmen gerne beim Frühstück
einen Teller voll Nassi Gôrèng, d. i. Reis mit klein gehacktem
Fleisch, Zwiebeln und Lombok (Paprika) in Cocosöl gebacken und mit
zwei Spiegeleiern garnirt. Ich pflegte bei meinem Aufenthalt in
Indien dabei zu bemerken, dass in Europa nicht einmal der Fürst von
Reuss-Greiz-Schleiz-Lobenstein ein so reiches Frühstück habe, als
ein einfacher Lieutenant in Indien. Vorläufig muss man damit bis 1
Uhr Nachmittags zufrieden sein. Um jedoch zu dieser Hauptmahlzeit
(Rysttafel genannt) den nöthigen Appetit mitzubringen, steht vor
dem Essen die Caraffe mit Genever und Bitterextract den Gästen à
discrétion. Wie der Magyar seinen Sliwowitz, so nimmt der Holländer vor
Tisch ein, zwei oder drei Gläschen »Bitter«.

Die »Rysttafel« führt insofern diesen Namen mit Recht, weil des Mittags
täglich der Reis die Hauptrolle spielt. Aber wie gross ist die Zahl
der Nebenrollen! Zunächst wird der Reis mit zwei Saucen begossen. Die
eine, Kerry genannt, besteht aus Cocosmilch, Bouillon und zahlreichen
Gewürzen mit Stücken von Huhn, Fisch, Krabben u. s. w. Die zweite
Sauce besteht aus Bouillon und verschiedenen Sorten Grünzeug, worin
ebenfalls die Extremitäten eines Huhnes, der Kopf eines Fisches u. s. w.
schwimmen. Auf einem zweiten Teller werden aufgehäuft zwei bis drei
Sorten Rindfleisch, zwei bis drei Sorten Huhn, Fisch, Krabben, ein
bis zwei Sorten Eier, und niemals fehlt ein Stück gehacktes Fleisch
(Fricadell). Dazu werden noch verschiedene Grünzeuge mit Lombok
zubereitet gemischt.

Damit ist aber das Mittagsmahl noch lange nicht beendigt. Jetzt folgen
noch Beefsteak, Erdäpfel und Salat, Käse mit Butterbrod, Früchte und
Kaffee.

Die »Rysttafel« bekommt der Passagier nur auf den holländischen
Dampfern, und zwar sofort hinter Aden, d. h. bei der Einfahrt in den
Indischen Ocean. Auf den Schiffen der Franzosen und Engländer wird
diese nur in einer Miniaturausgabe geboten. Ebenso wie wir es in den
Hôtels auf Ceylon und Singapore sahen, wird nämlich auf diesen Schiffen
nach der Hauptmahlzeit Reis mit einer Kerrysauce servirt.

Bevor ich die weiteren täglichen Mahlzeiten auf Java mittheile,
muss noch erwähnt werden, dass Jeder, der es thun kann, nach diesem
üppigen Mittagmahle Siesta hält. Zwischen 4-5 Uhr wird aufgestanden,
ein Schiffsbad genommen, eine Schale Thee getrunken, ein Spaziergang
gemacht, und um 7 Uhr Abends beginnt das gesellschaftliche Leben, d. h.
man empfängt und macht um diese Zeit seine Visiten. Darnach nimmt man
ein paar Gläschen Genever oder Portwein, und um halb 9 Uhr geht man an
das Abendessen. Curiosums halber will ich die Abschrift des Menu geben,
welches am 17. Jänner 1897 (ich glaube es war ein Sonntag) im Hôtel du
Pavillon in Samarang (Java) den Gästen geboten wurde:

Caviar. -- Bruinsoep (braune Suppe). -- Croustades. -- Visch met
wortelen (Fisch mit jungen Rüben). -- Rolade met celleri (Sellerie) au
jus. -- Eend (Ente) met doperwten (Zuckererbsen). -- Compôte. -- Gebak
(Torte). -- Nougaijs (Nougat-Gefrorenes). -- Vruchten (Obst). -- Koffie.

Es kann wohl vorkommen, dass die Gäste hin und wieder eine oder die
andere Schüssel passiren lassen, ohne etwas davon zu nehmen, aber ich
kann auch behaupten, dass in Europa auf keiner Table d’hôte den Gästen
soviel geboten und von ihnen soviel gegessen wird als in Indien, und
zwar nicht nur in den Hôtels, sondern auch am häuslichen Herd. Kann es
also Wunder nehmen, dass die Europäer im Indischen Archipel so oft an
Krankheiten des Magens, des Darmes und der Leber leiden? Wir wollen
keine strengen Richter sein, schon darum nicht, weil die indischen
Früchte und Gewürze gar so herrlich sind. Ich habe eine Zeit gekannt,
dass ich dreimal des Tages die »Rysttafel« hätte essen wollen.

Von den zahlreichen Früchten, welche besonders saftreich sind, und
deren Aroma oft von keiner einzigen europäischen Frucht übertroffen
wird, will ich nur einige erwähnen, und zwar jene, welche mir am besten
mundeten: die Ananas (A. sativa), Djambu (Anacardium occidentale),
die Papaja (Carica papaya), Nonafrucht (Anona reticulata), Durian
(Durio zibethinus), Mangistan (Garciana mangostana), Duku (Lantium
domesticum), Mangga (Mangifera indica). Von den zahlreichen Gewürzen
(Hass-Karl spricht von 119 allein aus dem Pflanzenreich) und ihren
Zusammensetzungen, z. B. Kerry, Ketjab (Soja) kann ich nur dasselbe
sagen; sie sind herrlich.

In den Hôtels habe ich natürlich von diesen herrlichen Speisen täglich
genug bekommen, ohne dass ich damals mich an dem »zu viel« versündigt
hätte, obzwar die alte Phrase: »in Indien muss man sich kräftig nähren«
und »flink trinken« in den verschiedensten Variationen mir vorgeleiert
wurde von Aerzten und auch von Laien, welche »in Indien geboren sind
und darum am besten wissen müssen, was in »de Oost« gegessen werden
muss, wenn sie auch keine Aerzte seien«. Es bleibt eine Phrase zu
sprechen von der Wahl einer »nahrhaften Speise«, wenn man vielleicht
10-20 Schüsseln oder Schüsselchen mit eiweissreichen Speisen vor sich
stehen hat. Für die Frage einer zweckmässigen Volksspeise, oder für
die Ernährung eines Soldaten auf dem Kriegszuge, oder für arme Leute,
welche keine Wahl haben, oder für Kranke, welche nur gewisse Speisen
vertragen, für diese Probleme ist es nöthig, genau zwischen nahrhaften
und nicht nahrhaften Speisen zu unterscheiden. Aber für das Gros
der Bevölkerung ist in +Indien+ diese Frage schon erledigt. Dem
Eingeborenen ist der Reis eine bessere und gesündere Nahrung, als dem
Proletarier in Europa der Erdapfel; denn nach Horford und Krocker
hat der Reis nur 15·1% Wasser (und 6·3% Albumin, 73·6% Stärke, 4·6%
Cellulose und 0·3% Salze), während die Erdäpfel nach Moleschot 0·5-2·5%
Eiweiss, 0·4-1% Cellulose, 9-23% Stärke und 69-81% Wasser haben. Wenn
der Malaye und Javane mehr Fleisch gebrauchen würde, dann wäre seine
»Volksnahrung« gewiss eine zweckentsprechende und »gesunde« zu nennen.

Die europäischen Soldaten bekommen aber so viel Reis (0·5 Kilo) und
so viel Fleisch (0·27-0·4 Kilo) und 30 Gramm Butter u. s. w., dass
die zweite Frage die Hauptsache wird, nämlich: ob genug Abwechslung
geboten wird und auch genug aufgenommen und verzehrt wird, oder ob
nicht vieles geradezu für den Organismus verloren gehe. Die zahlreichen
Gewürze haben zwar den Zweck, den Magen zur grösseren Production des
Magensaftes anzupeitschen; dieses gelingt zwar eine Zeit lang, aber
es dauert nicht lange. Auch Dr. Pollitzer, welcher fünf Jahre am
Mississippi wohnte, sprach als seine Ueberzeugung aus, dass mehr als
die Hälfte der Magen- und Darmleidenden nicht dem Tropenklima, sondern
der unzweckmässigen Lebensweise ihre Krankheit zuschreiben müssen,
weil, wie schon oben erwähnt, bei zu grosser Menge der aufgenommenen
Nahrung der Magen nicht genug sauern Magensaft erzeugen könne.

Auch mir ging es in Teweh nicht besser. Ich hatte grössere Sorgen,
etwas zu essen zu bekommen, +das ich gerne ass+, als eine
»nahrhafte Speise« am Tisch stehen zu sehen; im Gegentheil, diese
»nahrhafte Speise« bekam ich zum Ueberdruss und zwar: Beim Frühstück
Beefsteak, nach dem Reis Beefsteak und Abends Beefsteak; nebstdem
jeden Morgen zwei oder vier Eier; zu guterletzt konnte ich kein Ei
mehr sehen und schon der Geruch der Beefsteaks nahm mir allen Appetit.
Glücklicher Weise schmeckte mir damals die »Rysttafel« so gut, dass ich
mich beim Mittagsmahl für den ganzen Tag satt essen konnte. Denn nur
zu oft geschah es, dass das Brod von dem Lieferanten ungeniessbar war
und er uns dafür den zweifachen Geldbetrag erstatten musste; für jeden
Soldaten war dies ein Freudenfest, er konnte dafür eine halbe Fl. Bier,
Genever oder Aehnliches kaufen und ass dafür sein Surrogat, Reis
u. s. w. Für uns Officiere war es jedoch jeder Zeit eine arge
Enttäuschung, des Morgens kein Brod zu haben. Keine Erdäpfel zu haben,
-- das waren wir gewöhnt; als im Jahre 1878 durch aussergewöhnlich
niederen Stand des Flusses sechs Monate lang niemand zu uns
kommen konnte, und zwar nicht nur kein Dampfer, sondern auch kein
Transportboot mit Lebensmitteln, so dass z. B. kein einziges
Schächtelchen Streichhölzchen auf ganz Teweh zu kaufen war, da fühlten
wir erst recht unsere Einsamkeit. Nur die Post, welche auf einem Kahn,
der nichts anderes als ein ausgehöhlter Baumstamm war, jede Woche
uns gesendet wurde, war das Band zwischen uns und der ganzen übrigen
Welt. Mit Angst sahen wir dem Tage entgegen, dass unser Vorrath an
Kaffee, Bier, Wein und Genever ausgehen sollte. An »nahrhaften Speisen«
hatten wir genug grossen Vorrath; denn der Lieferant musste stets für
sechs Monate bei sich und für +einen+ Monat im Fort an Vorrath
haben: Reis, lebende Rinder, Petroleum, Salz u. s. w. Von diesen
Lebensmitteln hatte der Lieferant vor dem Eintritt der trockenen Zeit
zufällig für sechs Monate das verpflichtete Quantum in seinem Magazine
aufgespeichert, so dass wir keinen Hunger zu leiden brauchten. Ist
die Noth am grössten, ist die Hülfe am nächsten; es begann zu regnen,
und der Fluss begann zu steigen, als die Cigarren, Wein, Genever,
Streichhölzer und Butter nur noch in ganz kleinen Mengen in Teweh zu
bekommen waren und zwar nur bei dem chinesischen Lieferanten der Armee.
Ein anderes Geschäft bestand natürlich in Teweh nicht. Endlich konnte
ein Dampfer wieder zu uns kommen, und ein Stein fiel uns vom Herzen,
als wir ein Glas Bier erhielten und ein Päckchen Streichhölzchen in
unserer Vorrathskammer geborgen werden konnte.

Die Worte »gesundes Essen« werden jedoch mit mehr Recht gebraucht als
»nahrhaftes Essen«; es wird am häufigsten gebraucht bei der Wahl von
Grünzeug, Früchten und gewisser nur in Indien gebrauchter Zuspeisen.
Zu den letzten gehört die »Rudjak«, das sind Scheiben von meistens
unreifen Früchten, welche mit einer dicken Sauce von Lombok, Zucker
und »Trassi« gegessen werden. Verschiedene Sorten von kleinen Fischen
werden mit Garneelen in Wasser und Salz in einem irdnen Topf zum Gähren
gebracht und darin gelassen, bis ein Brei daraus geworden ist; das
Wasser wird danach weggegossen, und der Brei wird zu kugelförmigen
Stücken getrocknet. Diese stinkende Zuspeise (Trassi) wird von manchen
Europäern und allen Eingeborenen sehr gern bei der »Rysttafel«
gebraucht. »Rudjak« wird ohne Löffel oder Gabel und nur mit den Fingern
gegessen. Ein Stück rauhe Gurke, Manga, Papaya u. s. w. wird in die
oben erwähnte Sauce getaucht, gegessen und -- als »gesundes Essen«
gepriesen, d. h. von den halbeuropäischen Damen. Ueber die Frage, ob
Grünzeug ein »gesundes Essen« sei, lässt sich weniger streiten; denn
wenn auch Fleisch (in allen Sorten) ein gesundes Essen ist, so regt es
zu wenig die Peristaltik des Darmes an, natürlich in gebräuchlicher
Menge; darum ist es gut, neben dem Fleische auch andere Speisen zu
nehmen, welche, wenn auch nicht reich an nahrhaften Stoffen, doch für
eine hinreichende Bewegung des Darmes sorgen. Von diesem Standpunkte
aus muss theilweise auch der Gebrauch der Früchte beurtheilt werden.
Andererseits sind die Früchte so mannigfaltig, und es giebt von vielen
Früchten so zahlreiche Sorten, dass es schwer fällt zu generalisiren,
d. h. sie im Allgemeinen zu den »gesunden« oder »ungesunden« Essen zu
rechnen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass der Zuckergehalt
gewisser Früchte und ihr Reichthum an Cellulose im Darme ungeheure
Massen von +nicht+ pathogenen Bacterien entstehen lassen, welche
gewiss ein kräftiges Agens gegen die Entwicklung vom Krankheitserreger
unter Umständen sein können. Wenigstens auf diese Weise erklärt
Loebisch in Innsbruck den günstigen Erfolg einer Traubencur bei
gewissen Erkrankungen des Darmes. Uebrigens hat die Früchtecur, von
Sonius gegen die »Indische Spruw«[9] in Java eingeführt, wahrscheinlich
derselben Ursache ihre günstigen Erfolge zu verdanken.

Die Zahl der Früchtesorten in Indien ist zu gross, um sie an dieser
Stelle hinsichtlich ihres Nährwerthes zu beschreiben; aber ich kann
nicht umhin, die am meisten gebrauchten Früchte mit einigen Worten zu
besprechen:

Die +Pisang+, von welcher wir auf S. 16 bereits sprachen, kommt in
zahlreichen Varietäten auf den Tisch der Europäer; wegen ihres reichen
Gehaltes an Amylum (±70%) wird von ihr niemals bezweifelt, dass sie
»ein gesundes Essen« sei.

Die +Ananas+ (Ananassa sativa) erfreut sich diesbezüglich schon
mehr eines zweifelhaften Rufes; sie ist nämlich sehr saftreich und wird
daher nicht von Menschen mit Hyperacidität vertragen; auch die Frauen
fürchten manchmal diese süss-säuerlich aromatische Frucht, weil sie
den weissen Fluss verstärken, die Menstruation zu stark anregen solle
und das Fleisch ihrer Frucht wegen des grossen Gehaltes an Cellulose
schlecht verdaut werde. Es ist gewiss überflüssig, das Fleisch der
Frucht zu essen, und ich habe mich immer mit ihrem herrlichen Saft
begnügt. (Dass sie jedoch, wie behauptet wird, auch ein Diureticum sei,
weiss ich nicht aus eigener Erfahrung.)

+Djambu+ ist, ich möchte sagen, ein Sammelname für Früchte aus
den verschiedensten Pflanzenfamilien. Die Djambu bidji (Psydium
guajava) kann leicht gelb oder roth sein; diese letztere mit Zucker
bestreut, giebt den Geschmack von Himbeeren; sie ist so reich an
Samenkörnchen wie die Ribisel, die Körnchen sind aber etwas grösser
und haben ihr daher den schlechten Ruf besorgt, dass sie den Darm
reizen, Proctitis und sogar den Tod unter Cholera ähnlichen Symptomen
zur Folge haben könne. Kirschenkerne haben auch schon manchmal eine
Apendicitis verursacht, ohne dass man darum die Kirsche selbst in den
Bann gethan hätte. Die herrliche aromatische Djambu verdient diesen
schlechten Namen schon darum nicht, weil ihre Körner vielleicht nicht
einmal ⅙ der Grösse eines Kirschkerns haben. Die holländische
+Djambu+ (Persea gratissima) wird auch advocat genannt; sie stammt
aus Westindien und soll dort Apocata heissen, woraus das indische Wort
advocat entstanden ist. Sie hat die Grösse eines sehr grossen Apfels,
ist eine Fleischfrucht und wird gegessen, indem man ohne Schale die
Frucht zerreibt und mit Portwein mengt. Der feinste Mandelgeschmack ist
nicht so fein und so angenehm, als von diesem Brei.

Die +Papaja+ (Carica papaya) hat seit einigen Jahren in den
europäischen Laboratorien Eingang gefunden, weil der weisse Saft der
weichen Schale einen Verdauung befördernden Extract giebt: das Papajin.
Diese Fleischfrucht erreicht oft die Grösse eines Kindskopfes und hat
in ihrem Innern eine grosse Menge schwarzer Samenkörner, welche als
Heilmittel manchmal gebraucht werden; sie ist sehr angenehm (besonders
die Riesenpapaya) und aromatisch und wird beschuldigt, bei den Männern
temporäre Impotens und bei den Frauen Fluor albus zu veranlassen; ich
glaube weder an das Eine noch an das Andere. Sie wird roh mit Zucker
und Wein gemischt oder in Zucker eingemacht gegessen. Auch Icterus
(Gelbsucht) soll sie erzeugen.

Die +Nonna+frucht (Anona reticulata) hat in früheren Zeiten als
Aphrodisiacum gegolten, wie Bontius erzählt; aber heute ist diese
mehlige, süsse Frucht trotz ihrer zahlreichen Samenkörner eine gern
gesehene Frucht auf dem Tische der Europäer, ohne dass man an ihren
Liebeszauber denkt oder glaubt. Die Anona muricata wird oft so gross
als der Kopf eines Mannes und hat auch einen sehr angenehmen, sehr
stark sauern Geschmack; ihr Fleisch wird zerrieben und durch ein Sieb
gepresst, weil die Cellulose unangenehm im Munde ist.

Die +Durian+ (Durio zibethium) erreicht die Grösse einer grossen
Melone und kann dem sorglosen Wanderer gefährlich werden, wenn sie
reif abfällt und den Kopf des Zerstreuten trifft; sie stinkt nach
faulen Zwiebeln so stark, dass sie das ganze Haus verpestet, wenn man
sie nicht im Hofraume, sondern im Hause öffnet; ihr Geschmack soll
jedoch den aller übrigen Früchte der Welt an Feinheit übertreffen und
wird von jedem gepriesen, dem es gelingt, sich an den fürchterlichen
Gestank zu gewöhnen. Mir gelang es nicht.

Die +Manggis+ (Garcinia mangostana) ist nach meinem Geschmack die
beste der indischen Früchte und wird nach »van der Burg« selbst von
Bontius durch folgendes Dystichon verherrlicht:

    Cedant Hesperii longe hinc, mala aurea, fructus;
    Ambrosia pascit mangostan et nectare divos.

Sie sieht wie ein Lederapfel aus, birgt jedoch hinter der fingerdicken,
tanninreichen Schale grosse Körner mit schneeweissem Fleisch, welches
einen süss-säuerlichen aromatischen Geschmack hat.

Die Mangga (Mangifera Indica), die Rambutan (Nephelium lappaceum), die
Djeruks (Citrus), welche jedoch bei weitem nicht so aromatisch sind,
als die europäische Orange, die Duku’s, Langsat, die Labu (Lagenaria
idolatria), die Samangka (Wassermelonen) u. s. w., alle diese
zahlreichen Früchte werden bald »ein gesundes«, bald »ein ungesundes
Essen« genannt; die einen werden ein Diureticum genannt, die andern
hätten einen scharf reizenden Saft u. s. w.; wir werden uns im zweiten
und dritten Theil noch mehr mit ihnen beschäftigen und wollen darum
jetzt wieder zu unseren Erlebnissen auf Borneo zurückkehren.

       *       *       *       *       *

Von den indischen Frauen, oder besser gesagt, von den Frauen in
Indien, zu schreiben, ist eine dankbare Sache. Das Geistesleben aller
Frauen Indiens, von der hochgebildeten europäischen Frau angefangen
bis herab zu der Wilden, zeigt einen festen Punkt, die Liebe; aber
wie die übrigen Fragen und Phasen des täglichen Lebens zu dieser
Cardinalfrage sich verhalten, giebt den verschiedenen Frauen den
eigenthümlichen Typus, welcher am besten mit dem Worte Charakter
bezeichnet wird. Dass natürlich die Verhältnisse des Tropenlebens,
die Erziehung, die gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Formung
des Charakters einen grossen Einfluss nehmen, ist selbstverständlich.
Ob aber dieser Einfluss grösser oder kleiner sei als der, welcher
bedingt ist durch die Abstammung, d. h. in unserem Falle durch die
Vermischung mit den Kindern des Landes, wage ich nicht zu entscheiden.
Oft gehen nämlich Kinder aus gemischter Ehe in einem Alter von
wenigen Monaten nach Europa, geniessen eine europäische Erziehung
und kehren erst als Erwachsene nach Indien zurück. »Sofort klettern
sie auf die Palmen,« sagt der Malaye und deutet damit an, dass diese
leichter wie die in Europa geborenen, und ebenso leicht als die in
Indien erzogenen Europäer die Sprache, Sitten und Gebräuche des Landes
annehmen. Die in Indien geborenen Europäer werden +Kreolen+
genannt und zeigen in ihrem Charakter dieselben Eigenthümlichkeiten,
als die der gemischten Rasse, wenn auch die Hautfarbe weiss ist und
das Jochbein und Oberkiefer nicht so stark prominiren als bei den
»Halbeuropäern«. Darum mag in diesem Buche der Ausdruck »indische
Damen« alle europäischen Frauen umfassen, welche in Indien geboren
und in Indien erzogen wurden, ohne Unterschied, ob Vater oder Mutter,
ob Grossvater oder Grossmutter von Eingeborenen abstammen, oder
ob selbst »kein Tropfen Eingeborenen-Bluts in ihren Adern rollt«.
(Charakteristisch ist die Thatsache, dass nur sehr vereinzelt der
Fall dasteht, dass ein Eingeborener eine europäische Frau heirathet,
während das Umgekehrte nicht selten geschieht und zwar dass ein
Europäer »die Mutter seiner Kinder« zum Altar führt.) Bei den
»indischen Damen« zeigt sich die Vorliebe für die indische Toilette
geradezu als Charaktereigenthümlichkeit; keine europäische Dame z. B.
wird gegenwärtig in indischer Toilette im Salon erscheinen oder
Abendgesellschaften aufsuchen. Die »indische Dame« jedoch sieht darin
nichts Indecentes.

Zu D... sollte eines Abends grosser Empfang beim Residenten sein; der
Militär-Commandant erschien mit seinem Officier um 7 Uhr in Galatenu
und fand die Frau des Residenten in -- indischer Toilette, weil sie mit
ihren Freundinnen beim Kartenspiel vergessen hatte, dass an diesem Tage
ihr Mann, der Resident, seinen »jour« habe. Um nicht die Gäste warten
zu lassen, blieb sie in ihrer Haustoilette. Die militärischen Gäste
verliessen jedoch auf Antrag ihres Chefs sofort das Gebäude. Dieser
Fall ist allerdings vereinzelt. Eine europäische Dame hätte natürlich
lieber die Gäste warten lassen, bis sie die Haustoilette abgelegt
hatte, als in solcher Toilette zu »empfangen«. Denn diese besteht nur
aus einem bunten Rock, der um den Unterleib geschlungen und mit einem
Bande befestigt wird; ein Leibchen, mit mehr oder weniger Spitzen
garnirt, bedeckt den Oberleib; die »indischen Damen« haben unter dem
Leibchen (Kabaya genannt) ein Unterleibchen (Kutang), welches die
Rolle eines Mieders vertritt und +weiter nichts+. Ein indiscreter
Wind wird nicht gefährlich, weil der bunte Rock, Sarong genannt,
eng anschliessend ist, und es darum nicht viel Geschicklichkeit
erfordert, den Sarong nach dem Winde zu drehen. Ist der Sarong aber
von schlechter Qualität und die Sonne fällt auf ihn, dann sieht man
nicht nur die +äusseren+ Conturen des Körpers, sondern die
schwach durchfallenden Sonnenstrahlen geben oft ein sichtbares, wenn
auch schwaches Bild der schlecht verdeckten Theile. Nicht nur aus
Schicklichkeitsgründen, sondern auch aus hygienischen ist es darum zu
empfehlen, dass die Damen Unterhosen tragen; man transpirirt stark in
Indien, der Landwind ist oft kühl, er spielt oft unter dem Sarong, dass
es Mühe kostet, ihm (dem Winde) den Eintritt zu wehren; Darmkrankheiten
in Folge Erkältungen sind dann unvermeidlich. Eine sehr zweckmässige
+Haustoilette+ sind Sarong und Kabaya, wenn darunter Unterhose
und Flanellhemdchem (mit oder ohne Aermel) getragen werden, sie ist
eine sehr praktische Nachttoilette für die Damen; auf die Strasse oder
in den Empfangssalon gehört sie jedoch nicht. Ich weiss, dass diese
meine Worte keinen Einfluss haben werden, denn die »indischen« Damen
sind noch conservativer als die holländischen. Die indische Toilette
entspricht zwar einem Bedürfniss. Wir würden in Europa im Hochsommer
auch eine leichtere Kleidung für wünschenswerth finden; wir tragen aber
der Schamhaftigkeit Rechnung und gewöhnen uns daran. Eine Unterhose und
eventuell ein Flanellhemdchen unter der Kutang zu tragen, ist ja nicht
so schwer, und es wäre damit dreierlei Vortheil erreicht: der Genuss
einer leichten Toilette wäre verbunden mit der Schamhaftigkeit und
dem hygienischen Vortheil eines Präservativs gegen Erkältung. -- Dies
ist auch die Toilette der eingeborenen Frauen, mit dem Unterschiede
jedoch, dass die Kabaya sehr oft aus hell gefärbten Stoffen und nicht
aus Leinwand mit Spitzen besteht; die Sonnenschirme und Kabaya sind
schreiend roth, grün oder blau in allen möglichen Nuancen. Oft bestehen
diese Kabayen aus Seide oder ähnlich glänzenden Stoffen, so dass das
Auge von diesen grellen Farben -- man sollte meinen -- beleidigt, nein,
im Gegentheil befriedigt wird. Gerade im Lande des ewigen Sommers mit
dem hellen und scharfen Sonnenlicht gefiel mir dieses farbenreiche
Kaleidoskop besser als in Europa, vielleicht, weil dieser »bäuerische«
Geschmack dem ganzen Wesen der Malayen entspricht.

       *       *       *       *       *

Von den Frauen der Dajaker werden ebenfalls bunte Kabayen getragen,
und zwar bei ihren zahlreichen Festen; in ihrer Häuslichkeit ist der
»saloi«, der kurze Sarong, ihr einziges Kleidungsstück, der von der
Mitte des Unterleibes bis zum Knie reicht; bei einem Feste, welches
mir zu Ehren gegeben wurde, erschienen sie jedoch in ihrem Galatenu,
d. h. im sarong und badju (Leibchen ohne Aermel). Es wurde ein Ladang
angelegt, d. h. ein +trockenes+ Reisfeld. Wochen vorher wurde
hinter dem Kampong ein niedriger Hügel durch Fällen der Bäume und
Verbrennen der Reste von allen Pflanzen befreit. Zu der Aussaat
des Reises wurde ich eingeladen. Eine Reihe von Männern bohrte mit
einem zugespitzten Bambusstock Löcher in den Boden, und hinter ihnen
stand eine Reihe von Mädchen und Frauen, welche einen Selindang nach
malayischer Sitte trugen, ein Umschlagtuch, welches von der rechten
Schulter zur linken Seite gezogen und befestigt wird, und darin war
ein Körbchen mit dem Reis für die Aussaat. Endlich siegte die Natur
über die Etiquette; die Mädchen und Frauen warfen Selindang und badju
weg und rückten den Sarong in die Mitte des Bauches. Der Bildungsgrad
dieser Frauen kann natürlich nicht mit europäischem Maassstab gemessen
werden; sie spielen die Flöte, sie singen ihre Helden- und lyrischen
Lieder und tanzen in anmuthigen Bewegungen ihre Chorreigen; im Uebrigen
-- lieben sie. Manche von ihnen hat auch in der Geschichte eine Rolle
gespielt, wie z. B. Induambang, welche im grossen Aufstande gegen die
Holländer im December 1859 die Dajaksche Helena war. Vor der Ehe führen
sie ein so liederliches Leben, dass kaum jemals eine virgo intacta das
Ehebett bestiegen hat. Kinder zu bekommen ist für solche Mädchen keine
Schande; ehrlos ist sie jedoch, wenn der Vater nicht bekannt ist oder
der Geliebte die Vaterschaft verleugnet.

Höher stehen natürlich die malayischen Mädchen und Frauen; von ihnen
sind allerdings gewiss noch 95% Analphabeten, weil nur die Töchter
der Häuptlinge die Schule besuchen, und zwar entweder die malayische
oder die holländische Schule; läuft das malayische Mädchen von Borneo
von 2-3 Jahren nackt auf der Strasse, mit einem silbernen Feigenblatt
vor den Schamtheilen, welches mit einer Schnur um die Hüften gebunden
wird, und Ringen an Händen und Füssen, so geht sie doch mit 7-8 Jahren
schon mit einem Sarong und bunter Kapaya gekleidet, wenn sie die Schule
besucht oder am Neujahrstag ihre Gratulationsvisite abstattet; sonst
ist ihre Toilette der Sarong, welcher unter den Achseln befestigt wird;
ihre Reife bekundet sie durch die Beschneidung, welche den meisten
Europäern unbekannt ist, weil sie von einer Dukun (Hebamme) ohne
Festlichkeiten ausgeführt wird. (Bei den Knaben hat die Beschneidung,
wie wir sehen werden, immer einen mehr oder weniger öffentlichen
Charakter.) Nach der Beschneidung tritt sie in alle Rechte einer
heirathsfähigen Frau. Besonders die Häuptlinge auf den Inseln heirathen
gerne eine junge Frau, um sicher ihres Kaufes zu sein, d. h. dass
physisch und geistig der zarte Thau der Virginität erhalten sei; sie
bezahlen auf Borneo 50-150 fl. Brautschatz; nur zu oft entläuft die
junge Braut ihrem ältlichen Bräutigam, weil seine leidenschaftlichen
Umarmungen schmerzhaft sind. Sie wird von ihren Eltern wieder in die
Wohnung des Mannes gebracht, bis endlich dieser sein Ziel erreicht.
Solche junge Frauen von 13-14 Jahren gehören bei den malayischen
Häuptlingen Borneos zur Regel; sie sind dann auch zärtliche Frauen
und finden sich recht gut in diese Rolle. Das ganze Aeussere ist
bis auf die plattgedrückte Nase ein angenehmes, wenn sie kein Sirih
kaut, die Zähne nicht schwarz färbt und nicht abfeilt. Das letzte ist
natürlich Regel, weil es Volkssitte ist, aber oft unterlassen dieses
jene Frauen, welche durch den Umgang mit den Europäern auch eine
andere Geschmacksrichtung angenommen haben. So eine junge malayische
Frau hat zierlich schöne Füsse, magere Hände mit langen, mit bunten
Ringen geschmückten Fingern, welche etwas hyperextendirt, d. h. nach
dem Rücken der Hand gebogen sind, eine schöne Büste, glänzend schwarze
Haare und Augen, die Lippen sind etwas dick und die Ohrläppchen haben
Oeffnungen von der Grösse einer Krone, welche ausgefüllt werden mit
einem Cylinder, verziert mit zahlreichen Diamanten.[10] Das lange Haar
wird auf dem Hinterkopf in einen grossen Knoten gebunden und trägt
reiche Haarnadeln; der Sarong wird mit einem silbernen oder goldenen
Gürtel über den Hüften, und die Kabaya mit 2-3 Nadeln, welche mit
zierlichen Ketten verbunden sind, geschlossen. Auf den Armen tragen sie
Armbänder.

       *       *       *       *       *

Alle unsere drei Haushälterinnen waren Malayische Frauen, welche ihre
Scepter im Hauptgebäude des Forts schwangen; nicht nur von den übrigen
Soldatenfrauen, sondern auch von den Frauen und Männern des Kampongs
wurde ihre Stellung sehr hoch geschätzt; die Eine fühlte sich als die
Haushälterin des »Militär-Commandanten« als die höchste Person des
Forts; die zweite fühlte sich in noch höherer Position, weil ihr »Mann«
in der Caserne die höchste Autorität sei, und die dritte wollte von der
gewichtigen Stellung ihrer zwei Colleginnen nichts wissen, weil sie die
Tochter eines Hadji’s war und weil »ihr Mann« ein Doctor sei, von dem
alle beide in allen täglichen Fragen des Lebens ganz und gar abhängig
seien, und weil er den grössten Gehalt beziehe. Solche Debatten nahmen
oft eine gefährliche Heftigkeit an; ich kam einst zu einer solchen
thätlichen Scene; die Eine behielt ein Bündel Haare ihrer Nachbarin
in Händen, während die dritte die Spuren eines Bisses im Oberarm für
Wochen lang davon trug.

       *       *       *       *       *

Während meines Aufenthaltes in Teweh, also vom April 1877 bis 1.
Januar 1880, habe ich keine europäische Dame gesehen und gesprochen,
und in Buntok, d. i. bis Oktober des Jahres 1880, habe ich im Ganzen
nur mit drei europäischen Damen verkehren können. Die erste war eine
»indische Dame«, und zwar die Frau des Controleurs, welcher in Buntok
seinen Standplatz hatte und einige Wochen nach unserer Uebersiedelung
von Teweh (1. Januar 1880) seine Frau zu sich kommen liess, weil er
hoffte, durch die gleichzeitige Anwesenheit von Officieren seiner
Frau wenigstens einige Gesellschaft und »Ansprache« bieten zu können.
Die zwei andern Damen waren die Frauen von zwei Missionären, welche
im Osten von dem Barituflusse, und zwar in Telang und Tamejang
Layang, auf Kosten der Barmer Missionsgesellschaft der Bekehrung und
Civilisirung der Dajaker sich gewidmet hatten. Späterhin habe ich nie
mehr Gelegenheit gehabt, mit Missionären zu verkehren, und ich kann
mir daher über die Arbeit dieser Männer im Allgemeinen aus Autopsie
kein Urtheil erlauben. Von diesen zwei Männern jedoch bekam ich einen
so ungleichen Eindruck, dass ich noch weniger das Thun und Lassen der
Missionäre in Holländisch-Indien +im Allgemeinen+ beurtheilen
kann. Folgender Anlass gab mir Gelegenheit, diese zwei protestantischen
Familien im Innern Borneos aufzusuchen: Im Osten der Insel lebte der
Sohn Suto-Ono’s, jenes Dajakers, welcher im Kriege der Jahre 1859-1863
ehrlich und treu der Holländischen Regierung zur Seite stand. Es war
ein fürchterlicher Aufstand; die Kohlenminen von Pengaron wurden
geplündert, der europäische Ingenieur ermordet; das Kriegsschiff
»Onrust« mit Mann und Maus ausgemordet (auf seinem Kessel stand ich
noch im Jahre 1878); der kleine Kreuzer No. 42 fiel ebenfalls in die
Hände der Dajaker; Puhi Petak und die Schanze von van Thuyll wurden
erobert u. s. w. Die malayische Bevölkerung, welche den Aufstand
begonnen hatte, ermüdete bald im Kampfe mit den Holländern; Antasari
war gestorben, Hidajat nach Java verbannt und Demang Lehmann zum Tode
verurtheilt; doch die Dajaker setzten den Kampf fort, bis endlich die
Uebermacht der europäischen Strategie und Waffen im Jahre 1864 dem
Krieg ein Ende machte und das Sultanat von Bandjermasing beseitigte.[11]

Der Sohn des treuen Häuptlings Suto-Ono folgte in seiner Würde, und in
dieser Eigenschaft schrieb er mir im Jahre 1880 einen Brief, und zwar
in malayischer Sprache. Er theilte mir mit, dass in seinem Bezirke
eine Dysenterie-Epidemie ausgebrochen sei, d. h. er gebrauchte diesen
Ausdruck nicht; aber mit wenigen und doch so glücklich gewählten
Ausdrücken beschrieb er die Symptome der unglücklichen Patienten,
dass mir sofort das Bild der septischen Dysenterie deutlich wurde,
und dass ich diese präcise und deutliche Schreibweise dieses Dajakers
bewundern musste. Buntok lag in der Nähe der inficirten Gegend; ich
fürchtete, dass die Epidemie unser Fort erreichen könnte, wenn sie
in ihrem Fortschreiten nicht aufgehalten würde. Ich ging also mit
diesem Brief zu dem Controleur, der ungefähr den Wirkungskreis eines
Kreishauptmanns hat. Diesem routinirten Beamten kam der Brief sehr
ungelegen, weil er in seinen stereotypen Bulletins: »Gesundheitszustand
günstig, politische Verhältnisse günstig« Veränderung bringen sollte.
»Wozu lassen Sie mich diesen Brief lesen?« frug er mich. »Vielleicht
kann man diesen armen Dajakern Hülfe in ihren schweren Leiden
bringen; vielleicht können die hygienischen Verhältnisse verbessert
werden, so dass die Epidemie bald ein Ende nehme; nebstdem fürchte
ich, dass sie das Fort erreiche, wo in einem relativ engen Raume 150
Menschen beisammen wohnen, und dass es dann zu spät sei, ›den Brunnen
zuzudecken, wenn das Kalb schon ertrunken ist‹.« (Holl. Sprichwort.)

»Kennen Sie die Sitten und Gebräuche der Dajaker, dass Sie auch nur den
geringsten Nutzen von einer hygienischen Maassregel erwarten?«

»Ja, gerade darum will ich dahin gehen, um nicht nur zu sorgen, dass
diese unglücklichen Patienten von ihren so fürchterlichen Schmerzen
befreit werden und heilen, sondern auch, dass die Fäcalien ...«

»Ah, jetzt verstehe ich Sie, Doctor! ...« und dabei machte er mit
seinen Fingern die Bewegungen des Geldzählens.

Darauf konnte ich nichts anderes erwidern, als dass es mir sehr
gleichgiltig sei, wie er über mich denke, dass ich ihn jedoch warne,
mir noch einmal solche Insinuationen in’s Gesicht zu sagen, weil ich
dann auch meine Finger bewegen würde, und zwar nicht in der Luft,
sondern auf seiner Wange.

Zu dieser unparlamentarischen Antwort liess ich mich hinreissen, weil
er mit seiner Fingerbewegung andeuten wollte, dass meine Theilnahme für
die »unglücklichen« Dajaker nichts anderes als reine Geldspeculation
sei.

Ich ging darnach zum Militär-Commandanten, erzählte ihm den Vorfall
und bat ihn um einen Privat-Urlaub für einige Tage, um wenigstens
etwas gegen diese Epidemie thun zu können. Da er nur für vier Tage
die Befugniss hatte, nebstdem in meiner Abwesenheit den ärztlichen
Beruf im Fort auf sich nehmen musste, so wollte er noch einmal mit
dem Controleur darüber sprechen. Obwohl mit dieser kleinen Expedition
grosse Unkosten verbunden waren, bat ich doch den Lieutenant T., von
diesem Plan abzustehen, weil ich mit einem solchen Manne überhaupt
nicht verkehren wollte, und weil ich fürchten musste, dass ein solcher
Mann noch Aergeres im Stande zu thun sei, wenn es gälte, ihn aus seinem
Dolce far niente herauszureissen. Ich bekam also meinen Urlaub für
vier Tage, miethete einen Kahn mit sechs Ruderern, nahm für vier Tage
Lebensmittel mit, und mein Bedienter, welcher einige dajaksche Worte
sprach, war mein Dolmetsch, Küchenmeister, Gesellschafter u. s. w.

Der Kahn war so lang, dass ich darin liegen, während die dajakschen
Ruderer und mein Bedienter bequem mit gekreuzten Füssen (nach ihrer
Gewohnheit) sitzen konnten. Die hintere Hälfte des Kahnes hatte eine
Decke aus Atap, welche mich vor Regen und Sonnenschein beschützte;
Waffen nahm ich nicht mit, nach dem Princip, dass mir Einzelnen
eine Waffe, Revolver oder Säbel, gegen eine Uebermacht unmöglich
etwas helfen könnte, und dass »Vertrauen wieder Vertrauen gewinne«.
Zwischen Buntok und Mengkatip befinden sich zahlreiche Nebenflüsse und
Antassans; auf der Karrauw sollte ich das von der Epidemie heimgesuchte
Gebiet erreichen. Dieser Fluss ist befahrbar und giebt den Weg nach dem
Osten der Insel, in welcher ein langer Gebirgsstock von Nordwesten nach
Südosten zieht. Zwischen ihm und dem Baritu sind zahlreiche Danaus mit
ihrem düsteren, schwermüthigen Panorama. Telang war das Ziel meiner
Reise, welches an einem kleinen Flusse desselben Namens liegt. Dieser
ist wieder ein Nebenfluss des Sungei (kleiner Fluss), Siong, welcher
zwischen dem S. Pattai und dem Karrauw (1° 37′ S. B.) in den Baritu
sich ergiesst. Seine Ufer haben niedriges Gesträuch; seine Mündung
ist mit Treibholz angefüllt, und unvergesslich bleibt mir die Reise,
die ich damals auf diesem Wasser machen musste; dreimal habe ich die
Kähne wechseln müssen, weil sie zu gross waren, und habe zuletzt ein
Djukung, die nicht mehr als ein ausgehöhlter Baumstamm war, benützt.
Es schwamm aber so viel Treibholz, dass die Ruderer nicht einmal den
kleinen Kahn vorwärts bringen konnten; sie stiegen aus und sprangen
auf den Stämmen umher, wie Onkel Tom auf den Eisschollen. Zuletzt war
das Wasser nur noch 1 Meter tief, so dass mir die Dajaker den Platz im
Kahne gönnten, ins Wasser stiegen und ihn über das Treibholz zogen.
Wir waren in einem Antassan, d. h. in einem Wasserkanal, den der Strom
in den weichen Alluvialboden gräbt oder vielmehr bohrt. Sein Ende war
bald erreicht, und vor mir lag eine schöne, schneeweisse Strasse aus
Kalkstein, welche zum Hause des Missionärs F. führte. Hier verblieb
ich sechs Tage (inclusive der Tage der Ankunft und Abreise, welche
der Militär-Commandant im Interesse der guten Sache nicht rechnete),
und wenn auch mein Gastherr klagte, dass nach zehnjähriger Arbeit nur
acht Familien den protestantischen Glauben angenommen haben, so machte
dennoch seine Arbeit auf mich den günstigsten Eindruck. Die Dajaker
lernten Lesen und Schreiben; zur Sonntags-Uebung versammelten sich über
30 Personen in der Kirche und sangen christliche Lieder in dajakscher
Sprache, und zu den täglichen Andachtsübungen, im Hause des Missionärs
selbst, sangen die dajakschen Bedienten deutsche Lieder. Leider habe
ich bei einer solchen Gelegenheit der Frau des Missionärs zu einem
unangenehmen Missverständniss Anlass gegeben. Es war ein schönes
Genrebild; die Frau F. sass am Phisharmonium, und daneben ihre zwei
Kinder mit wahren Engelsköpfen. Hinter ihnen stand ein junges, schönes
dajakisches Mädchen. Es herrschte eine gewisse heilige Weihe in diesem
Raume, und dieser Zauber erfasste mich mit voller Macht. Als wieder ein
deutsches Lied begann, wollte ich die Aussprache der Dajakerin genauer
unterscheiden und näherte mein Ohr dem Kopfe des Mädchens. Herr F.,
der neben mir sass, sah und verstand auch mein Verlangen; die Frau F.
jedoch verkannte meine Absichten, und mit lauter drohender Stimme drang
das Lied durch das Haus: »Nur Gott ist meine Liebe«, und stärker und
stärker fielen die Hände auf die Tasten, bis ich den Wink verstand und
den Kopf zurückzog.[12]

Sobald als möglich liess ich mich von dem Districtshäuptling
herumführen und fand ein grosses Feld für meine Thätigkeit. Nicht
allein, dass ich zahlreiche Patienten behandeln konnte (der Herr F.
war Homöopath), sondern auch die Hygiene trat in ihre Rechte. Der
Dajaker[13] lässt nämlich die Leiche drei Tage im Hause liegen, bis
er sie in den Sarg giebt, welcher aus einem schweren Baum besteht;
dieser Sarg bleibt entweder im Hause oder wird auf das Feld gebracht,
wo er auf ein Gestell gelegt wird, mit einem Sonnenschirm über seinem
Kopfe; in beiden Fällen ist der Sarg mit einem Deckel aus demselben
Holze geschlossen und hat in der Mitte des Bodens eine Oeffnung mit
einer kleinen Röhre; durch diese läuft ununterbrochen das Wasser ab,
oder besser gesagt, die Flüssigkeit, welche beim Faulen der Leiche
sich abscheidet. Man corrigirt, wenn die Leiche im Hause bleibt, den
damit verbundenen Gestank dadurch, dass in den Topf, welcher die
Fäulnissflüssigkeit auffängt, Harz, Oel und Kalk gegeben werden. Ob nun
die Leiche auf dem Felde oder im Kampong bleibt, dauert es noch lange,
bis das »Todtenfest« den Schlussstein des Begräbnisses besorgt. Man
wartet, bis die Leiche ganz ausgetrocknet ist, oder man wartet, bis man
das Geld hat, welches das Todtenfest kostet; also es verstreichen oft
1-2 Jahre, bis die Leiche verbrannt oder beigesetzt wird.

Bei meiner Ankunft hatten die meisten Verstorbenen nicht einmal einen
Topf unter sich, um die Flüssigkeit der Fäulniss aufzufangen; nun
dass dies Zustände sind, welche geradezu das Aufhören einer Epidemie
unmöglich machen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Natürlich gelang
es mir nicht, die sofortige Bestattung der Leichen zu veranlassen, aber
sie willigten ein, die Excremente u. s. w. mit Kalk, Schwefel und Asche
zu begraben, und die Cadaver nicht im Hause, sondern auf dem Felde den
Fäulnissprocess abwarten zu lassen.

Den folgenden Tag zog ich weiter in das Gebiet des Häuptlings und kam
nach Tameang Layang, wohin mich der Herr F. begleitete. Auch hier
wohnte ein Missionär von der Barmer Missionsgesellschaft mit Frau und
Kind. Man kann sich keinen grelleren Contrast vorstellen als diese
zwei Männer, welche im Innern von Borneo die Civilisation und das
Christenthum verbreiten wollen. Der Eine, ein philosophisch geschulter,
geistreicher Mann, welcher den Segen des Christenthums, aber auch den
der europäischen Civilisation erkannt hat und für +beide+ das
dajaksche Volk gewinnen will; der Andere, dessen Ideenkreis sicher
nicht den des dajakschen Districtshäuptlings übertraf, beklagte
nur, dass die Dajaker solche verstockte Heiden seien und durchaus
das Christenthum nicht annehmen wollten, während der Herr F. mit
Genugthuung im erfolgreichen Unterrichte in der Schule schon ein
schönes Ziel sah, das er erreicht hat. Jener war früher Schmied; aber
noch in Borneo hämmert er nur Einen Amboss, und zwar, dass die Sünde
die Ursache aller Uebel sei, und zwar die Sünde im banalsten Sinne des
Wortes; sein College konnte mir gegenüber nach solcher banalen Debatte
nur kopfschüttelnd beifügen: »Ja, ja, mein College hat viel Amtseifer.«
Auch pries er mit überschwänglichen Worten die Verdienste und Talente
des Controleurs seines Bezirkes, weil er den Markttag der Dajaker, der
früher jeden Sonntag gehalten wurde, auf den Montag verlegt hatte.
Umgekehrt war seine Frau eine einfache, geduldige, tolerante Frau,
während die Frau des Philosophen etwas fanatisch angelegt war. Ich
muss es jedoch wiederholen, dass die sechs Tage, welche ich bei den
Missionären verlebt habe, zu den schönsten meines Aufenthaltes auf
Borneo gehören.

Einen schönen Schlag der Dajaker sah ich in diesen beiden Orten; an
und für sich ist der Dajaker nicht so dunkel als der Malaye an der
Küste, und doch fiel mir ihre blanke Hautfarbe auf, so dass ich den
Districtshäuptling um Aufklärung ersuchte. Lächelnd zeigte er nur in
der Ferne -- die Ruinen eines Forts, welches vor zwanzig Jahren dort
gestanden hatte. Diese Rasseverbesserung durch europäische Soldaten
wird wohl dort ein Unicum gewesen sein, denn in Muarah Teweh hätte
zwanzig Jahre später gewiss kein europäischer Soldat es gewagt,
mit einer dajakschen Frau ein Liebesverhältniss anzuknüpfen. Eines
Tages bekam ich Nachricht, dass im Kampong des Häuptlings Djatra die
Blattern ausgebrochen seien. Bevor ich in Bandjermasing das Ansuchen
um Vaccinestoff und um einen malayischen Vaccinateur machen wollte,
musste ich wissen, ob die Berichte des Häuptlings richtig seien und
wie viel Blatternkranke schon vorkämen. Ich machte mich also mit dem
Districtshäuptling auf den Weg und kam per Kahn vor den Kampong, bei
welchem alle Einwohner zu einem Feste vereinigt waren und, da es schon
Nachmittag 5 Uhr war, dem Tuak (schwach alkoholisches Getränk) gut
zugesprochen hatten. Kaum hatte ich den Fuss auf das Ufer gesetzt,
als zwei junge hübsche Mädchen, nur mit dem Saloi gekleidet, auf mich
zukamen. Hinter ihnen aber schwankte ein Dajaker, mit seinem Mandau
bewaffnet, den Mädchen halb betrunken nach, streckte die Hand zum
Grusse aus und rief wiederholt: Ich kenne Dich (saja kanal samah kowe).
Die liebeslüsternen Augen der beiden jungen dajakschen Schönen waren
mir zu gefährlich, und ich zog mich in den Kahn zurück und begnügte
mich, die Ziffern der Blatternkranken, welche Dakop mitgetheilt hatte,
nach Bandjermasing einzusenden. -- Auch habe ich zum ersten Male in
Telang diese Andeutung gehört, dass die europäischen Soldaten sich mit
den dajakschen Frauen abgegeben hätten.

       *       *       *       *       *

Den sechsten Tag verliess ich also die beiden Missionäre mit dem
Bewusstsein, was unter den herrschenden Umständen in so kurzer Zeit zu
thun möglich war, auch gethan zu haben; d. h. ich gab den Missionären
Winke zur Behandlung der Unglücklichen und zur Verbesserung der
hygienischen Zustände. Unterwegs wurde mir ein Sägehai angeboten
(Pristis antiquorum), welcher sich bis in die Nähe von Teweh
verirrt hatte und dort eingefangen wurde, und zu Hause angekommen,
berichtete ich meinem Chef nach Bandjermasing alle Maassregeln, die
ich getroffen hatte. Da ich übrigens den Häuptling ersucht hatte,
mich durch wöchentlichen Rapport von der Ausbreitung der Epidemie auf
dem Laufenden zu erhalten, so erhielt ich ein gutes Bild von ihrem
Verlaufe, der mich leider sehr beunruhigte; denn mit jeder Woche bekam
ich Rapport aus Kampongs, welche näher dem Fort lagen, und nach zwei
Monaten beschloss ich, wieder eine Inspectionsreise zu unternehmen.
Ich ersuchte den Militär-Commandanten um einen eintägigen Urlaub, weil
ich nur die Kampongs auf dem Ufer des Baritu besuchen wollte, von
welchen ich aus dem erhaltenen Rapport den Krankenstand kannte. Den
Abend vor meiner Abreise ging ich zu dem Controleur, um ihn davon zu
verständigen. Er billigte zu meiner Ueberraschung meinen Plan, rieth
mir aber, erst um 8 Uhr aufzubrechen, weil er um 6 Uhr denselben Weg
nehmen müsse, um dem Residenten (Statthalter) bis zur Grenze seines
Bezirks entgegen zu fahren. Arglos willigte ich natürlich ein, und als
ich am folgenden Tage bei allen Kampongs, wo ich anlegte, hörte, dass
zwei Stunden vorher der Controleur gewesen sei und dass +gar keine
Dysenterie-Patienten+ sich unter ihnen befänden, dass diejenigen,
von welchen sie in ihren Rapporten gesprochen hatten, schon gesund oder
gestorben seien, und als sich dieses bei jedem Kampong wiederholte,
und als ich nebstdem bei den meisten Kampongs oft Minuten lang warten
musste, bis sich ein Häuptling oder überhaupt jemand am Anlegeplatz
zeigte, da -- fielen mir die Schuppen von den Augen. Ich kehrte um,
weil ich doch keinen Nutzen von meiner Reise erwartete, und weil
denselben Abend der Resident ankommen sollte. Bei dem officiellen
Empfange erzählte mir der Schiffskapitän des Dampfers folgenden Dialog
zwischen dem Residenten und dem Controleur, welcher in seiner Gegenwart
an Deck des Schiffes geführt wurde. Bei Mengkatip wäre der Controleur
auf das Schiff gekommen und hätte ein Resumé von den Verhältnissen des
Bezirkes gebracht. Zuletzt frug der Resident: »Wie steht es mit der
Gesundheit am obern Lauf des Dussons?«

»Gut! Resident! Der Menschenmörder behauptet zwar, dass wir eine
Dysenterie-Epidemie hätten, und er ist auch hier in der Nähe »+auf
Inspection+«; aber nach meiner 19jährigen Erfahrung in den Tropen
geschieht es immer in den Kenteringen, dass mehr Menschen sterben als
sonst.«

»Wer ist das, der Menschenmörder?«

»Der Doctor!«

»So, der +Doctor+ sagt, dass hier eine Dysenterie-Epidemie ist,
und Sie sagen: dies hätte keine Bedeutung!! Vorläufig genug darüber!«

Nach dem officiellen Empfang, welcher auf dem Schiffe selbst
stattfand, ging der Resident auf’s Land und besuchte zuerst den
Militär-Commandanten und dann mich. Nachdem ich alles erzählt hatte,
fand er nicht nur Anerkennung für meine Bemühung, sondern forderte mich
auch auf zu »declariren«, d. h. für die zwei Reisen, welche ich im
Interesse der armen Patienten gemacht hatte, nach dem üblichen Modus
die Rechnung einzureichen; in meinem Range konnte ich 6 fl. per Tag
Diät und sieben Ruderknechte für 1 fl. per Tag und Kopf in Rechnung
bringen, so dass ich keinen Schaden erlitten hatte.

Bald darauf verminderte sich die Zahl der Kampongs, welche
Dysenterie-Kranke bekamen, und die Zahl der Todesfälle, und zuletzt war
die Epidemie ganz und gar erloschen.

Dieses war die erste, und beinahe möchte ich sagen, die einzige
Dysenterie-Epidemie, welche ich in Indien gesehen habe; im Jahre 1895
habe ich in Magelang (Java) auch zahlreiche Dysenterie-Kranke gesehen;
aber wie wir im Capitel »Java« sehen werden, kann in diesem Falle
von einer Epidemie stricte dictu nicht gesprochen werden. Ja noch
mehr, es ist noch die Frage, ob gegenwärtig in Java überhaupt noch
Dysenteriefälle vorkommen. Von Laien wird die Diagnose »Dysenterie«
sehr häufig gestellt, d. h. immer, sobald Blut im Stuhl sich zeigt;
aber diese Diagnose erfordert noch ein wenig mehr. Der Arzt wird
aber in gewöhnlichen Verhältnissen auf »Java« kaum alle Jahre einen
Dysenteriefall zu Gesicht bekommen; mit Recht wurde sogar vor dem Jahre
1894 bezweifelt, ob überhaupt die Dysenteria tropica auf Java noch
vorkomme; denn in der ganzen Armee wurden von 1891-94 12, 10, 9, 14,
also durchschnittlich 11 Dysenterie-Kranke behandelt. Dieser Zweifel
ist gerechtfertigt gegenüber jenem Theil der Bevölkerung, mit welchem
der europäische Arzt in Berührung kommt; denn dieser Theil, mag es ein
Europäer oder ein Eingeborener sein, trinkt kein Sawahwasser, ohne es
zu filtriren, oder gebraucht nur artesisches Wasser (in den grossen
Städten). Ob jedoch in jenen abgelegenen Kampongs, deren Bewohner
niemals einen europäischen Arzt zu Rathe ziehen, noch gegenwärtig die
Dysenterie vorkomme, weiss ich nicht; in der Armee, welche allein eine
Statistik von nennenswerther Bedeutung herausgiebt, waren bis zum Jahr
1894 die Dysenteriefälle immer nur vereinzelt. In diesem Jahre brachte
der Krieg auf Lombok mit seinen elenden und traurigen Erlebnissen eine
grosse Zahl von Dysenteriefällen, welche nach Java evacuirt wurden;
meistens kamen sie nach Magelang, wo auch noch später einzelne Fälle
vorkamen, jedoch keine Epidemie sich einstellte. Diese einzelnen Fälle
recrutirten sich auch aus Soldaten, welche +nicht+ auf Lombok
gewesen waren, wenigstens die letzten Wochen oder Monate vor ihrer
Erkrankung, so dass, was übrigens nicht mehr eines Beweises bedarf, der
infectiöse Charakter dieser Krankheit constatirt werden konnte.



5. Capitel.

  Fort Buntok -- Orang-Utang -- Operationen -- Prostitué bei den Affen
  -- Darwinisten -- Indische Häuser -- Möbelfabrikanten -- Französische
  Mode -- Gefährliche Obstbäume -- Einrichtung der Häuser -- Dajakische
  Häuser -- Götzenbilder -- Tuwak oder Palmwein -- Wittwenstand der
  Dajaker -- Opfern der Sclaven -- Todtenfest.


Als mein Vorgänger im April 1877 Teweh verliess, nach Batavia ging und
von dort aus mir einen Brief schrieb, meldete er mir unter anderem,
dass ich nicht lange in dieser abgelegenen Garnison bleiben würde,
weil, wie ihm der Armee-Commandant mitgetheilt habe, die Aufhebung
Tewehs eine beschlossene Sache sei. Es dauerte aber drei Jahre, bis
(am 1. Januar 1880) das Fort eingezogen und nach Buntok verlegt wurde.
Es war für alle drei Officiere eine mit strenger Arbeit verbundene
Zeit, weil jeder einzelne in seinem Fach dafür sorgen musste, dass
alles so gut als möglich eingepackt zur Uebersiedlung an diesem
Tage bereit gehalten werde. Am 31. December kam ein Kriegsschiff
uns holen; die Soldaten und Sträflinge brachten alles an Bord, und
den folgenden Morgen sollten die letzten Geräthe mit der Mannschaft
eingeschifft werden. Es regnete fürchterlich; in Strömen fiel der
Regen zur Erde; gegen 11 Uhr war alles eingeschifft, und schon ertönte
das Signal »Vorwärts«, als die drei Mächte, der Militär-Commandant,
der Assistentresident und der Schiffscapitän, zu einer Besprechung
am Hinterdeck des Schiffes sich zurückzogen. Der Commandoruf: »Stop«
erscholl, und wir, »dii minores gentium«, suchten vergebens eine
Erklärung für diesen Vorgang. Die Boote wurden wieder herabgelassen,
und die ganze Besatzung mit den Sträflingen ging wieder ans Land -- um
die Palissaden niederzureissen. Erst im letzten Augenblick hatte der
Assistentresident es für bedenklich erklärt, ein Fort zurückzulassen,
welches dem Feinde bequem und leicht der Sammelplatz für seine Truppen
werden und verhindern könnte, dass späterhin, wie beabsichtigt war,
die Palissaden aus dem Boden gerissen und nach Buntok gebracht würden,
um dort wieder in Gebrauch genommen zu werden. Sie bestanden nämlich
aus Eisenholz (Sideroxylon), welches trotz der 15 Jahre, welche sie im
Gebrauch standen, noch immer ein theures, gut verwendbares Material
war. Also unter einem heftigen Tropenregen zogen die Truppen die
verbindenden Stangen aus den Balken, rissen sie aus dem Boden, und
auf diese Weise blieben sie liegen, ohne eine Palissade zu sein; das
Ganze war eine überflüssige Plagerei der Soldaten, weil ein etwaiger
Feind in 1-2 Tagen, wenn er hätte wollen, die Palissade wieder in
Ordnung bringen konnte. Wenn das Kriegsschiff schon die grossen
schweren Baumstämme nicht mitnehmen konnte oder wollte, so war es auch
zwecklos, im heftigsten Regenwetter die Soldaten Stunden lang arbeiten
zu lassen. Endlich konnten wir unter Dampf gehen und kamen nach Buntok.
Es war ein neues Fort in Viereckform mit zwei Bastionen im Westen und
Osten; kopfschüttelnd betrachtete ich das neue Fort; vielleicht keine
15 Meter war es vom Ufer entfernt und die westliche Bastion keine 10
Meter!! Buntok liegt beinahe ganz im alluvialen Land; der Fluss Baritu
kommt gerade oberhalb des Forts in einer scharfen Strömung gegen das
Fort an; mit mathematischer Genauigkeit liess sich berechnen, dass in
5-6 Jahren das Fort einstürzen müsse, weil der Baritu die Palissaden
in dieser Zeit erreicht haben müsse; und factisch hat schon zur Zeit
meines Aufenthaltes der Kampf mit dem Wasser angefangen; es wurden
Strombrecher angelegt, aber ohne Erfolg; ich weiss nicht mehr, wie
lange dieser Unterspülungsprocess dauerte; Buntok musste verlassen
werden, und das Fort wurde wieder nach Teweh verlegt.

[Illustration: Fig. 6. Mein zweiter Hausfreund.]

Im Fort selbst wohnte der militärische Commandant; für den »Doctor«
und den dritten Officier sollten zur Seite des Forts Wohnungen gebaut
werden; unterdessen blieb ich im Kampong neben dem Controleur wohnen,
und zwar zusammen mit dem Officiersstellvertreter v. E., welcher
den Bau des Forts geleitet hatte. Meine kleine Menagerie hatte ich
von Teweh mitgebracht; Jacob und Simon, die zwei kleinen jungen
Orang-Utangs, konnten sich nur langsam an die neuen Verhältnisse
gewöhnen. Als ich den folgenden Morgen nach dem Fort gehen wollte,
welches ungefähr 10 Minuten von meiner Wohnung entfernt war, begleitete
mich Jacob. Auf der Ebene bewegte sich der Orang sehr schwerfällig;
die langen Arme gebraucht er zwar beim gewöhnlichen Gange, aber nicht
mit der innern Fläche der Hand; er stützt sich auf den Rücken der
eingeschlagenen Hand; dadurch kann er nur langsam vorwärts kommen;
auch auf den Bäumen sind seine Bewegungen sehr langsam und träge,
besonders im Vergleiche mit dem Gibbon, welcher mit Windeseile von
Baum zu Baum springt, klettert oder sich schwingt. Um 8 Uhr sollte ich
in der Caserne sein, weil um diese Zeit täglich der »Krankenrapport«
gehalten wird. Mein Orang wollte sich, wie er es mit dem Bedienten
zu thun pflegte, auf meinem Unterschenkel festhalten, um auf diese
Weise meine Gesellschaft nicht zu verlieren. Dies war mir jedoch eine
lästige Anhänglichkeit stricte dictu und ich erlaubte es auch diesmal
nicht. Darauf begann er so ein jämmerliches Geschrei und humpelte mir
nach, so dass ich mit ihm Erbarmen hatte. Ich überliess ihn dennoch
seinem Schicksale und ging eilenden Fusses in die Caserne, wohin unter
denselben klagenden Tönen mein Jacob mir folgte. Der Krankenrapport
war beendigt, und ich ging in’s neue Spital, um die erste Anordnung zu
treffen, als auch mein vierhändiger Freund erschien, ohne dass ich es
bemerkte; er aber fasste mich bei der Hand, um mich zu begrüssen und
auf seine Gegenwart aufmerksam zu machen. (Fig. 6.)

Jacob blieb die ganze Zeit bei mir und folgte mit seinen verständigen
Augen all meinem Thun und Lassen; um 11 Uhr verliess ich das Fort
und liess den Orang durch meinen Bedienten nach Hause tragen. Hier
lebte ich schon in einem grossen Comfort; meine Wohnung bestand aus
Holz und hatte Fenster; ich konnte Spiegel und Gemälde aufhängen; ich
konnte mit Vorhängen die Fenster verzieren; ich hatte eine Veranda,
in welcher ich Gäste empfangen konnte, und ich hatte europäische
Nachbarn, den Controleur mit seiner Frau. Noch bequemer hatten es
Simon und Jacob; an das Haus grenzte ein kleiner Garten und hinter
ihm der Urwald. Zwischen beiden war ein breiter Streifen âlang-âlang
(Schilfrohr) und hier hatten sie ein pied à terre sich gebaut; nach
dem Frühstück verschwanden sie, kehrten zum Mittagessen zurück;
Nachmittags machten sie denselben Spaziergang, um vor Eintritt der
Finsterniss zurück zu sein. Natürlich war ich neugierig, wo und wie
sie ihre Zeit zubrachten; ich folgte ihnen eines Tages und sah sie im
Schilfrohr -- »Klima schiessen«.[14] Das Rohr war plattgedrückt, und
sie lagen auf dem Rücken und zogen Grimassen, während der eine die
Unterlippe schaufelförmig hervorstreckte und Speichel darin ansammelte,
gab ihm der andere mit dem Zeigefinger einen kleinen Stoss, so dass
der Speichel weithin spritzte. Die Ruhe ihrer Bewegungen, das Phlegma
in allem ihrem Thun und Lassen steht im grellen Gegensatze zu dem
sanguinischen Temperament und ausgelassenen Treiben der Gibbons. Eines
Tages brachte ich meinen Wau-Wau, der ein Weibchen war, zu Jacob, der
damals in seinem Käfig lag und sich in seine Decke eingewickelt hatte;
Jacob stand auf, näherte sich dem Gibbon und spitzte die Lippen,
wobei die Unterlippe die Form einer kleinen Schaufel bekam. Offenbar
wollte er den Wau-Wau küssen. Dieser jedoch sprang zurück und verrieth
deutlich, dass er von seiner Intimität nichts wissen wollte; dreimal
wiederholte mein Orang seine Liebesbewerbungen, und als er zum dritten
Male einen Korb geholt hatte, fasste er sein Kopfpolster, schlug es
wüthend auf den Boden und zog sich schmollend in die Ecke seines Käfigs
zurück. Wiederholt habe ich diese Scene aufführen lassen, und es wäre
mir unmöglich gewesen, seinen Bewegungen eine andere Deutung zu geben,
als die einer Liebeswerbung. Das Einwickeln in seine Decke ist für
den Orang geradezu ein Bedürfniss, obwohl ich es nicht erklären kann,
denn wenigstens in Teweh hatten wir keine Mosquitos und die Temperatur
in der Nacht war zwar etwas niedriger als bei Tage, aber doch nicht
empfindlich kalt. Das erste Mal, dass ich den Käfig des Abends nicht
schloss, weil er schon an mich gewöhnt war, hatte er in der Nacht das
Tischtuch vom Tisch genommen, um davon Gebrauch zu machen; natürlich
musste am folgenden Tage das Tischtuch von dem Bedienten aufgehoben
werden. In der Nacht wurde ich jedoch plötzlich wach; im ersten
Halbschlaf glaubte ich, einen Gorilla vor meinem Bette stehen zu sehen;
bald merkte ich jedoch, dass mein Jacob es war, der das Leinentuch
unter meinem Körper hervorzuziehen trachtete. Den andern Tag gab ich
ihm eine alte Militärdecke, und er war zufrieden. Die Intelligenz
dieser Affen ist factisch sehr gross, und es ist kein Zufall, dass ein
Dajaker und ein bekannter, seither verstorbener Larynkolog (im Jahre
1885) mich frugen, ob man dem Orang nicht sprechen lernen könnte. Wenn
es auch sein grösstes Vergnügen war, auf dem Rücken zu liegen, mit den
Füssen in der Höhe und die Lippen zu einer Schaufel zu spitzen und mit
dem Speichel zu spielen, so suchte er doch Thätigkeit und fand sie in
meinem Conversationslexikon; mit grösster Zufriedenheit betrachtete er
die Bilder in diesem Buche, und als er eines Tages die Zeichnung des
Elephanten zu Gesicht bekam, warf er das Buch weg; oder er stieg auf
den Schreibtisch und zerlegte meine Lampe, er nahm Ballon und Cylinder
ab und drehte den Dochtträger heraus. Auch war er sehr bald mein
täglicher Gast zu Tisch; ich gebrauchte jedoch die Vorsicht, seinen
Stuhl etwas von dem Tische entfernt zu halten, so dass er nicht mit
seinen langen Armen in eine der Schüsseln greifen konnte; auf einem
kleinen Teller bekam er seinen Reis mit Fleisch und Huhn u. s. w.: er
ass Alles, was auf den Tisch kam, und wenn er genug hatte, gab er den
Teller auf den Stuhl, ohne ihn jemals fallen zu lassen, und entfernte
sich.

Man kann ihn eine Caricatur von einem Menschen nennen; auf dem Stuhl
sass er nämlich mit gekreuzten Füssen wie die Eingeborenen und fasste
mit denselben den Teller; sein grosser Bauch erinnerte mich immer
an den »Reisbauch« der indischen Kinder, wenigstens er hat dieselbe
Form und dieselbe Grösse; sein Gesicht ist haarlos, und der übrige
Körper ist mit Ausnahme der innern Flächen der Hände und Füsse mit
rothbraunen Haaren bedeckt; er hat in der Jugend eine schöne, hohe
Stirn, welche im Alter zurücktritt und zwar mit einer scharfen Kante
von rechts nach links; dazu entwickeln sich im hohen Alter grosse
Drüsen zu beiden Seiten des Gesichts (die Ohrspeicheldrüsen?), so
dass er den menschlichen Typus verliert und ein geisterähnliches
Ansehen erhält. Dieses erklärt auch, dass die Dajaker von zwei Sorten
Orang-Utangs sprechen, weil sie sich nicht vorstellen können, dass
zwei so verschiedene Wesen denselben Ursprung haben könnten. (Nun, der
vom hohen Alter gebückte Greis ist auch dem jungen Knaben sehr wenig
ähnlich.) Nach Friedmann heissen die alten Orang-Utangs Pappan und die
ohne die erwähnten Drüsen Rambi; ich habe jedoch nur alte Orang-Utangs
mit diesen grossen Drüsen gesehen, während Friedmann erzählt, dass es
auch junge Pappan gäbe. Ich habe ungefähr 25 Orang-Utangs bekommen,
gewöhnlich um den Preis von 5-7.50 fl. per Stück, von diesen waren
nur die zwei erwähnten, Simon und Jacob, lebend; die andern waren mit
Pfeilen oder Gewehren geschossen; der grösste war 150 cm. lang und
hatte einen so versteinerten Schädel, dass ich sein Alter auf 80-100
Jahre schätzte; ich habe noch keinen Menschenschädel gesehen, der ein
so hohes Alter gezeigt hätte.

Vieles habe ich bereits über den Orang gelesen, und manches war
insofern übertrieben, als ihrem Thun und Lassen manchmal Motive
untergeschoben wurden, welche offenbar zu hoch gegriffen waren. Mein
Simon liebte es z. B., in der Küche sich bei der Köchin aufzuhalten
und ihr von Zeit zu Zeit den Sarong aufzuheben; ich habe niemals etwas
anderes darin gesehen, als einen unschuldigen Zeitvertreib, während die
Köchin ihn dafür einen »Nâckal« nannte, d. h. ausgelassener Junge, weil
sie in dieser Bewegung seiner Hände etwas anderes suchte.

Ich kann nicht umhin, eine Erzählung von Spencer St. John mitzutheilen,
obwohl sie wenig Vertrauen verdient, weil er offenbar zu viel den
Mittheilungen der Eingeborenen vertraute; er spricht ja von einem 5′
2″!! grossen Orang. Er theilt also folgende Erzählung eines Dajakers
mit: »Ein junger Dajaker wanderte an einem heissen Tage durch das
Dickicht; er kam zu einem kleinen Bache, dessen klares Wasser ihn zum
Baden einlud. Schnell entkleidete(?) er sich, legte seine Waffen,
Schwert und Blasrohr, auf die Seite und sprang hinein. Als er sich
erfrischt hatte und wieder aus Ufer stieg, bemerkte er, dass ein
mächtiges Orang-Utang-Weibchen vor seinen Kleidern(?) Wache hielt und
auf ihn zukam. Sprachlos vor Erstaunen stand er da; dasselbe steigerte
sich noch mehr, als das Thier ihn beim Arme ergriff und ihn zwang, mit
auf einen laubreichen Baum zu klettern. Dort musste er sich zu ihm
setzen und bekam Früchte zu essen, doch bewachte es ihn eifersüchtig
und litt nicht, dass er hinabstieg. Dies dauerte einige Zeit, bis die
Wächterin sorgloser wurde. Der Mann benützte den günstigen Augenblick
und entschlüpfte nach dem Platze, wo er seine Waffen gelassen hatte.
Als der Orang ihm dahin folgte, erschoss er ihn aus dem Blasrohr mit
einem vergifteten Pfeile.

Wer die Behendigkeit und die Schnelligkeit kennt, mit welcher sich ein
Dajaker bewegt, und nur einmal die Unbeholfenheit des Orang gesehen
hat, oder vielmehr, wie langsam dieser auf dem Boden geht und wie
ruhig, gelassen, ich möchte fast sagen schwerfällig von Ast zu Ast auf
den Baum klettert, den erfasst sofort die Unwahrscheinlichkeit dieser
Erzählung.

Wir hatten z. B. in Teweh vor dem Fort eine Hütte stehen, wo wir
nach unserm Spaziergange um 6 Uhr uns niederliessen und gewöhnlich
ein Glas Limonade tranken; Jacob wartete auf den Augenblick, dass
wir genug entfernt waren und, ich weiss nicht, ob es Zufall war oder
Absicht, er stieg jedesmal hinauf, um das Glas des militärischen
Commandanten zu nehmen und auszutrinken; sobald ich das sah, eilte
ich natürlich zurück, und der Orang ergriff die Flucht; ich möchte
sagen, dass +jeder Mann+, ohne gerade zu laufen, jeden Orang-Utang
einholen kann und muss; Jakob wurde auch immer eingeholt und für seine
Genäschigkeit bestraft, wobei er ein so jämmerliches Geschrei erhob,
dass ich Mitleid mit ihm haben musste; wenn jedoch mein Gibbon bei
irgend einem muthwilligen Streiche ertappt wurde, da war er auch, wie
ein Wirbelwind, schon entflohen, und beinahe niemals gelang es, ihn
einzuholen und sofort zu bestrafen.

Eines Tages sass ich bei der Theetafel, als er sich mit erhobenen Armen
näherte, hin und wieder sich in der Achselhöhle kratzte und mit der
gleichgiltigsten Miene von der Welt den Kopf nach allen Seiten hin
drehte; ich kannte meinen Pappenheimer zu gut, um nicht zu wissen, dass
mein Gibbon irgend einen Bubenstreich ausführen wolle, wenn er solche
Gleichgiltigkeit zeigte. Kaum hatte ich mich auch zur Seite gewendet,
um ein Stück Zucker zum Thee zu nehmen, sprang der kleine Gibbon auf
den Tisch, packte den silbernen Theelöffel und eilte hinweg. Es war
das Werk eines Augenblickes stricte dictu; sofort sass er auf der
Fallklappe, welche vom Dach des Hauses zur Palissade bei Sonnenschein
oder Regen gelegt wurde. Mit dem Löffel in der Hand sah er mich mit
seinen schelmischen Augen triumphirend an, und weder mein Bitten noch
Drohen erreichten ihr Ziel. Endlich liess ich die Klappe schliessen,
so dass entweder er oder der Löffel in die Chicane fallen musste. Der
Löffel war dort nicht zu sehen, und der Affe sass hoch oben auf dem
Dache. Zufällig fanden wir später den Löffel zwischen den Latten der
geflochtenen Fallklappe.

Eines Tages sah ich, dass mein Gibbon einen traumatischen Staar am
rechten Auge hatte; zu gleicher Zeit hatte ich einen malayischen
Patienten, welcher centrale Flecken an einem seiner Augen hatte; durch
Entfernung eines Stückes der Regenbogenhaut konnte er wieder den
Gebrauch seines Auges bekommen. Ich schrieb also nach Bandjermasing
an den Landes-Sanitäts-Chef d. G., welcher ein bekannter Oculist war,
und bat ihn, die Augeninstrumente, welche zu diesen zwei Operationen
nöthig waren, mir zu borgen. Vor der Operation liess ich den Gibbon von
unten bis zum Halse einwickeln, um ihn zur Ruhe zu bringen; es half
nichts; ich narcotisirte ihn also und führte die Staaroperation nach
den Regeln der Kunst aus. Die Operation war bei ihm schwieriger als bei
einem Menschen, weil zum Fixiren des Augapfels mir der Platz fehlte.
Der Rand der Orbita ist nämlich beim Wau-Wau gerade so gross als die
Cornea; den Augapfel durch die Cornea fixiren zu lassen, hielt ich für
gefährlich; ich musste also mit der Pincette in die Orbita eindringen,
um dort die Conjunctiva sclerae zu fassen. Kaum war die Operation
beendigt und ein Verband angelegt, als auch schon der Affe erwachte,
sich den Händen der assistirenden Krankenwärter entriss, davon eilte
und den noch unvollkommenen Verband vom Kopfe riss. Ich war jedoch
unter den herrschenden Verhältnissen mit dem Resultat der Operation
zufrieden. Die Wunde heilte mit einem Vorfalle der Regenbogenhaut.
-- Auch folgende Operation einer Phlegmone bei einem Affen ist
mittheilenswerth. Es war ein alter grosser Gibbon, 90 cm lang, welcher
gefesselt mir gebracht wurde. Unter den Soldaten war ein Europäer,
der in gewisser Hinsicht das Factotum des Forts war. Tilly hiess er
und war ein Belgier. Das Wort Furcht kannte er nicht, und er verstand
alles. Ging eine Taschen-Uhr schlecht, reparirte er sie; brach ein
Instrument von mir, von der Genie oder von der Artillerie, er brachte
es in Ordnung; wollte ich eine Blechbüchse für meine Spirituspräparate
haben, er machte sie mir aus Petroleumbüchsen u. s. w. Auf meine
Frage, warum er noch nicht Korporal oder Feldwebel sei (denn auch
seine Aufführung liess nichts zu wünschen übrig), antwortete er mir:
Wozu soll ich Korporal u. s. w. werden? Mein Essen und Trinken habe
ich; durch meine Arbeiten verdiene ich viel mehr als ein Feldwebel und
habe gar keine Verantwortung; als Korporal ist man der Sündenbock von
jedem und für jeden. Also, ich thue meinen Dienst und bin dann frei,
zu thun, was ich will. Als mir dieser grosse Wau-Wau gebracht wurde,
ersuchte ich den Dajaker, die Fesseln zu lösen, weil eine Hand stark
geschwollen war und beim Palpiren die Anwesenheit von Eiter verrieth.
Der Dajaker wagte dies jedoch nicht zu thun, weil er sich vor den
starken Zähnen des alten Wau-Wau fürchtete. Ich liess also Tilly holen,
welcher den Wau-Wau mit fester Hand im Nacken fasste, der Dajaker löste
die Fesseln und legte sie über die Hüfte an und befestigte den Strick
an einem grossen Nagel der Palissade. Mit traurigem und schmerzhaftem
Gesichtsausdruck sass der Gibbon zwischen den Spitzen der Palissade
und zeigte selbst meinem jungen Gibbon die Zähne, wenn er sich ihm
näherte. Nun war das auch für mich eine gefährliche Nachbarschaft; ich
gab jedoch den Muth nicht auf; ich nahm eine Wundspritze mit warmem
Wasser und spritzte ihm diese aus respectvoller Entfernung auf die
geschwollene Hand; offenbar war durch die Entfernung der Fesseln oder
durch das Bespritzen mit warmem Wasser ihm deutlich geworden, dass ich
gute Absichten mit ihm habe; genug an dem, schon nach ein paar Stunden
konnte ich mich ihm nähern, streicheln und die Hand gut untersuchen und
ihm die Phlegmone öffnen!! Nach der Operation legte er selbst seinen
Kopf auf meine Schulter. Mit einem gut angelegten Verbande überliess
ich ihn dann der Ruhe. Leider konnte ich ihn nicht auf der Palissade
lassen, weil an dieser Stelle die Patrouille in der Nacht auf und ab
ging. Vor Schluss des Thores liess ich ihn von Tilly hinausbringen und
an einem Baume anbinden. Den andern Morgen war er geflüchtet, indem er
die Fesseln vom Unterbauch abgestreift hatte.

[Illustration: Fig. 7. Der Schweinsaffe (Cercopithecus nemestrinus).]

Vor dem Fort hatte ich mir in Teweh ein Affenhäuschen bauen lassen,
in welchem die Affen von niedrigem Range gemüthlich beisammen lebten.
Der Cercopithecus nemestrinus, der Schweinsaffe, ist ein wilder Cumpan
mit starkem Gebiss; er hat Backentaschen, Steissschwülen, kurzen,
gekrümmten Schwanz und eine gelbliche Farbe. Ich hatte späterhin einen
solchen Lampongaffen, welcher abgerichtet war, Cocosnüsse zu pflücken;
zu diesem Zwecke wurde er mit einem langen Stricke zu der Cocospalme
gebracht, an der er sofort schnell hinaufkletterte und begann, die
einzelnen Nüsse um ihren Stiel zu drehen oder abzubeissen. Sah ich,
dass die Frucht noch grün, d. h. zu jung war, so schüttelte ich nur
mit dem Strick, und er nahm eine andere in Arbeit. In Sumatra werden
die »Lampongaffen« allgemein zu dieser Arbeit abgerichtet; sie sind
jedoch wie alle Affen im höheren Alter falsch und -- ist es Zufall
oder nicht -- mein Exemplar eilte immer, sobald es losgekommen war, in
die Küche gegen die weiblichen Bedienten, obzwar oder vielleicht eben,
weil es selbst ein Weibchen war. Jene, welche ich jedoch auf Borneo
hatte, waren noch jung und lebten friedsam mit den übrigen beisammen.
Wenn ich hin und wieder meinen Gibbon in den Käfig brachte, so gab es
fürchterliche Eifersuchtsscenen; denn mein Gibbon (ein Weibchen) zeigte
in so auffallender Weise sein Verlangen, wieder einmal Liebesgenuss zu
kennen, dass man ihn eine -- Prostituée nennen musste. Das Geschrei
der übrigen weiblichen Affen wurde so fürchterlich, dass ich um sein
Leben besorgt war; gern folgte er in einem solchen Falle meinem Rufe,
den Käfig zu verlassen. Affen gewöhnen sich leicht an den Menschen;
wie oft entkam einer oder der andere, und er flüchtete höchstens auf
das Dach des Forts; gegen den Abend kamen sie ohne Ausnahme zurück;
hin und wieder selbst brachte ich meinen Hund vor den Käfig, welcher
nun geöffnet wurde. Das neckische Spiel der Affen mit dem Hunde war
interessant. Die Thür war noch keinen Meter hoch; der Hund stand vor
der Thüre, und die Affen tänzelten um ihn herum, bis sie endlich einer
nach dem andern den Käfig verlassen hatten; der Hund eilte ihnen nach;
endlich sprang einer nach dem andern in den Fluss, und mein Hund that
dasselbe; ruhig liess jeder Affe den Hund näher kommen, um im rechten
Augenblick unterzutauchen. »Bela«, mein treuer Jagdhund, dreht sich
rechts und links und sieht endlich in einer Entfernung von 20-30 Metern
wieder ein Köpfchen auftauchen; er schwimmt dahin; endlich ist jeder
der Affen des Spieles müde und lässt sich von dem Hunde packen, der
sie, ohne sie zu verletzen, mit den Zähnen ans Ufer bringt. Hier werden
sie von meinem Bedienten in Empfang genommen und wieder ins Häuschen
gebracht. Wiederholt wurde behauptet, dass die Affen auch in der
Gefangenschaft sich paaren; ich habe es jedoch niemals gesehen und kann
daher diese Behauptung nicht unterschreiben.

Bevor ich dieses Thema verlasse, muss ich noch mittheilen, dass die
Dajaker, zufolge einer Sage im Dusongebiete, Darwinisten sind; die
Schöpfung der Menschen geschah auf diese Weise, dass Tempon Telon mit
einem fürchterlichen Blasen in die Versammlung der aufrührerischen
Thiere flog und dadurch drei Sorten von Affen Menschengestalt gab;
aus dem Keesch (Cercopithecus cynomolgus) wurde der Javane, aus dem
Orang-Utang der Dajaker und aus dem Nasenaffen mit weisser Glabella,
und weissem Präputium der Europäer; da ich unsern Stammvater, d. h. den
Nasenaffen, niemals besass, weiss ich nicht, ob der Nasenaffe dieser
Sage mit dem Nasalis larvatus identisch sei.

Von den Halbaffen Borneos hatte ich nur den Tarsius spectrum und den
Plumplori (Stenops tardigradus).

Auch die Frage von dem Vorkommen von Elephanten auf Borneo muss ich mit
wenigen Worten besprechen, weil, um nur ein Beispiel anzuführen, ich
in Batavia im Jahre 1896 darüber interpellirt wurde. Meines Wissens
nach kommen sie +nicht+ auf Borneo vor; ich sass ja im Herzen
von Borneo, niemand hatte sie gesehen, die dajaksche Sprache hat kein
Wort für diese Ungeheuer des Waldes und der gebildete Dajaker spricht
nur von gâdja, welches Wort malayisch ist; niemals sah ich einen
Zahn oder sonst einen Theil eines Elephanten, und jede Information,
die ich darüber nahm, hatte kein anderes Resultat als dass eine
Rhinocerossorte, aber kein Elephant auf der Insel Borneo vorkomme.
Bekanntlich wird erzählt, dass vor ungefähr 140 Jahren die ostindische
Compagnie an den Sultan von den Sulu-Inseln (im Osten von Borneo)
einige Elephanten zum Geschenk gegeben habe, dass er jedoch gefürchtet
hatte, dass diese »theuren« Gäste seinen Vorrath von Reis in kürzester
Zeit auffressen würden, und dass er sie also auf die Küste von Borneo
bringen und weglaufen liess. Selbst Friedmann, welcher ebenfalls
diese Erzählung mittheilt, fügt hinzu, dass jedoch Elfenbein allein
von todten Thieren gefunden worden, und dass zu seiner Zeit niemals
ein lebender Elephant gesehen worden sei. Aus obiger Ursache jedoch
muss ich sogar annehmen, dass überhaupt die ganze Erzählung jeder
historischen Basis entbehre.

       *       *       *       *       *

Bei unserer Ankunft in Buntok am 1. Januar 1880 war das Fort
fertig, aber für zwei Officiere fehlten noch die Wohnungen; der
Platz-Commandant wohnte im Forte, ich zog zum Aspirant-Officier der
»Genie« (= Ingenieurs), und der dritte Officier bezog vorläufig im
Fort die Wohnung eines Feldwebels. Natürlich wurde der Bau passender
Häuser für zwei Officiere sofort angefangen, und zwar wenige Schritte
entfernt von der Südseite des Forts. Nicht nur in Holland, sondern
auch in Indien bewohnt in der Regel jede Familie »ein Haus« und nicht
»eine Wohnung«, und der echte holländische Spiessbürger hat nur
Mitleiden für den Wiener oder Berliner, welcher kein eigenes »Haus«
bewohnt, sondern mit vielen Andern den Gebrauch eines Hauses theilt.
In Indien, wo der Grund ausserordentlich billig ist, hat nebstdem
jedes Haus einen grösseren oder kleineren Garten, welcher in erster
Reihe Fruchtbäume und nur ausnahmsweise Blumenanlagen hat. Natürlich
sind die Häuser ohne Stockwerke, haben die Villaform im entarteten
altgriechischen Stile und sind aus Bambus, Holz oder Stein gebaut. Wenn
ich auch im letzten Jahre meines Aufenthaltes in Indien, und zwar in
Samarang, Häuser im Schweizerstil erbauen sah, so ist im Allgemeinen
der Typus +aller+ Häuser folgender: Das Haus hat die Form eines
Oblongums und besteht aus einer vorderen und hinteren Veranda, welche
mit einem Gange verbunden sind und zu dessen Seite je 2-3-4 Zimmer
sich befinden. Ausserhalb des »Hauses« befinden sich die Speisekammer,
Bedientenzimmer, Küche, Aborte, Badezimmer, Stall, Wagenremise und
der Brunnen. Eine solche Wohnung wurde also auch für mich gebaut,
und zwar aus Holz; die inwendigen Wände wurden mit Tapeten belegt,
was ich seitdem niemals mehr gesehen habe. Es stand auf Pfeilern von
ungefähr ½ Meter Höhe; dies ist eine zweckmässige Maassregel. Wenn
auch der Grund des Hauses mit Steinen, trockenen Korallen oder Sand
ausgefüllt ist, so dringt bei hohem Stande des Flusses das Wasser im
weichen Alluvialboden nicht nur +bis+ an, sondern auch +in+
die Grundmauern des Hauses. Ist aber das Material des Unterbaues nicht
gut trocken, was sehr oft der Fall ist, wenn es lange Zeit vor dem
Gebrauche am Bauplatze aufgespeichert lag, oder wenn junge Korallen
angewendet wurden, von welchen z. B. die Thiere noch nicht abgestorben
sind, dann ist ein solches Haus auch bei niedrigem Wasserstande feucht;
es entwickeln sich Miasmen und verpesten das Haus.

Wenn aber das Haus ½-1 oder selbst 1½ Meter über dem Boden sich erhebt,
wenn unter dem Flur des Hauses sich ein Hohlraum befindet, z. B. ein
grosses Gewölbe, oder wenn das Haus auf hohen Pfeilern steht, so
dass der Wind die Zwischenräume gut durchstreichen kann, dann können
die Miasmen, welche aus dem feuchten Grunde aufsteigen, mit jedem
Windschlage vertrieben werden. Wenn nicht Sümpfe in der Nähe des Hauses
sich befinden, so ist die Richtung von Nordost nach Südwest die beste,
so dass weder den ganzen Vormittag, noch den ganzen Nachmittag die
Schlafzimmer von den heissen Sonnenstrahlen erwärmt werden. So wählte
auch ich das Zimmer im Osten zum Schlafzimmer; dadurch hatte ich zur
Zeit meines Mittagsschläfchens keine Sonne auf den Mauern meines
Schlafzimmers stehen, und auch zur Nachtzeit war die Temperatur darin
weniger hoch als im Zimmer auf der anderen Seite. Sind jedoch Sümpfe
in der Nähe, dann bestimmt die Lage derselben die Wahl der Thüren
und Fenster; bei Nacht werden die aufsteigenden Miasmen durch keine
versengenden Sonnenstrahlen vernichtet und darum ist es gefährlich, bei
offenem Fenster zu schlafen, wenn der Wind die Miasmen aus den nahen
Sümpfen gerade durch die Fenster ins Haus jagt. Dies war bei meinem
Hause der Fall. Da ich unmöglich den Sumpf drainiren oder trocken legen
konnte, liess ich zwischen meinem Hause und dem Sumpfe einen Schirm
pflanzen, welcher das Ueberstreichen der Miasmen verhindern sollte.
Weder Eucalyptus noch Sonnenblumen hatte ich zu diesem Zwecke gewählt;
ich wollte rasch Hülfe haben, und dies war nur möglich durch die Wahl
eines Baumes, welcher in kurzer Zeit hinreichend Laub erreicht. Auch
vor dem Eingange des Forts stand ein Schilderhäuschen, welches den
ganzen Tag den glühenden Sonnenstrahlen ausgesetzt war, weil die Bäume
kaum so dick als ein Spazierstock waren und nur geringes Laub trugen.
Es waren nämlich einige Waringinbäume (Urostigna benjaminum) gepflanzt,
welche erst nach Jahren eine stattliche Grösse erreichen; unterdessen
sollte jedoch die Schildwacht doch auch etwas Schatten haben; ich
schlug also vor, hier wie dort Warubäume (Hibiscus elatus??) pflanzen
zu lassen, welche schon nach einigen Monaten ein stattliches Laub
tragen.

Die Einrichtung des Hauses war die allgemeine, d. h. Rohrstühle aus
Djatiholz (Tectona grandis), Kasten und Tische aus demselben Holz,
Spiegel und Gemälde. Erst in den letzten 5 Jahren entwickelte sich
der Luxus, gepolsterte Stühle, schwere Vorhänge und Fussteppiche in
Gebrauch zu nehmen. Batavia begann damit, und schon in wenigen Jahren
wird dieser Luxus sich bis in die entferntesten Garnisonen aller Inseln
verbreitet haben; die Erfahrung muss erst lehren, ob dieser Luxus neben
dem hohen Preis noch andere Vorzüge habe. Denn die Stühle aus Djatiholz
mit Rottanggeflecht waren praktisch und schön. Die elegantesten Stühle
werden nämlich auf Java von den chinesischen Möbelmachern gemacht; nach
jeder Zeichnung und nach jedem Modell verfertigt der gezopfte Chinese
Alles, und um einen Preis, der in Europa unerhört ist. Ich besitze
momentan einen Rohrstuhl, welchen ich um 3 Fl. in Singapore gekauft
habe und der geradezu das Erstaunen aller Fachleute wegen seiner
schönen Arbeit, aber noch mehr um die Billigkeit erregt. Der Gebrauch
der Teppiche an Stelle der Matten muss auch noch erprobt werden; die
Matten haben zwar den Nachtheil, dass sie den blossen Füssen der
Kinder (auch Erwachsene gehen oft ohne Schuh[15] und Strümpfe im Hause
herum) nachtheilig werden können. Wenn sie nicht aus gutem Rottang
(Calamus), sondern aus anderem ordinären Schilfrohr, oder gar aus
Bambus geflochten sind, haben sie oft Unebenheiten, an welchen der
Fuss oder der Podex der herumrutschenden Kinder sich verletzen kann,
oder aber, was noch häufiger geschieht, sie sind so glatt, dass man
häufig ausgleitet und fällt. Es hat gewiss so manchen hygienischen
Nutzen, Teppiche zur Bedeckung des Bodens zu verwenden; wie sie sich
jedoch zu der Feuchtigkeit des Bodens und zu den zahlreichen Motten,
Mosquitos und Ameisen verhalten, dazu fehlt mir die Erfahrung. Auch
was die Vorhänge betrifft, bleibt die Frage noch immer offen, ob das
Neuere auch das Bessere sei. Ich hatte (wie überall) weisse Vorhänge
aus Vitrage, welche mit Vorhängen aus mehr oder weniger schönen
Cretonen garnirt waren. In den letzten Jahren sah ich jedoch schwere,
theure Vorhänge aus Damast u. s. w. die Fenster verzieren. Zum Mildern
des scharfen Lichtes habe ich weisse oder gefärbte Vitrage an den
Fenstern selbst anbringen lassen; also zu diesem Zweck sind theuere,
schwere Vorhänge entbehrlich; nebstdem werden sie in ihren Falten ein
Heer von Insecten und selbst Eidechsen bergen, wenn sie nicht täglich
ausgeklopft werden; aber die Zukunft wird es erst lehren, ob sie
+bleibend+ dem Möbel eines Hauses in Indien eingereiht werden
können.

Als ich im Jahre 189.. in Weltevreden bei einem Collegen zum ersten
Male eine solche nach europäischer Mode eingerichtete Wohnung sah mit
Divan, Teppichen, Vorhängen, Causeusen, Chaiselongues und diversen
Phantasiestühlen, da bedauerte ich es, dass auch in Sachen der Mode
Java am Gängelband von Europa läuft und jede Originalität aufgiebt.

(Auch in der Wissenschaft könnte Java sich von Europa emancipiren, und
dies wird auch geschehen, aber wann?)

Ist es zu bedauern, dass in Europa die verschiedenen nationalen
Trachten verschwinden und Platz machen der »französischen Mode«, noch
mehr verdient es Tadel, dass die Mode Europas ihr strenges Scepter
über Indien führt. Vor 20 Jahren trug keine Dame einen Hut, auch die
Männer nicht nach Sonnenuntergang, welcher täglich zwischen 6-6½
Uhr stattfindet, wobei die Dämmerung nur 10-15 Minuten dauert; nur
wenn eine Dame aus den höheren Ständen auf die Reise ging, und wenn
die Herren im Laufe des Tages ihren Geschäften nachgingen, trugen
sie Hüte. Gegenwärtig hat der Hut in allen Formen Indien erobert;
bei den Empfangsabenden, welche um 7 Uhr Abends beginnen, hat gewiss
schon die Hälfte der europäischen Damen den thurmhohen Hut auf dem
Kopfe, und gewiss 90% der Männer einen modernen Filzhut in der Hand;
ja selbst der Cylinder und der Claquehut haben sich der Köpfe der
höchsten Würdenträger bemächtigt. Im Anfange dieses Jahrhunderts kamen
die Damen im Sarong und Kabaya auf den Empfangsabend des Unterkönigs
in Buitenzorg, und am Ende desselben Jahrhunderts in Seiden- und
Sammetroben und Hüten von ½ Meter Höhe! O quae mutatio rerum.

       *       *       *       *       *

Der Eingang in mein Haus befand sich im Garten und war üblicher Weise
mit Blumentöpfen umgeben, welche theilweise auf der Treppe selbst
und zum Theil in der Veranda standen. Diese Blumentöpfe waren jedoch
nichts anderes als die leeren Petroleumbüchsen und leere Bier- oder
Weinfässer, welche grün angestrichen waren. Andere Blumentöpfe aus
Lehm gebrannt, welche in verschiedenen Formen gegenwärtig in Java
um einen Preis von 8-25 Kreuzern gebraucht werden, waren auf Borneo
damals unbekannt; die Petroleumbüchsen werden jedoch noch heute gerne
überall zu Blumentöpfen umgewandelt, weil sie nicht brechbar sind.
Das Petroleum kommt nämlich in Kisten in den Handel, welche zwei
Büchsen zu je 18 Liter enthalten. (Im Innern Javas kosten diese 36
Liter Petroleum fl. 4·25 bis fl. 4·50. Die leeren Büchsen sind ein
sehr gesuchter Handelsartikel geworden, weil sie, wie gesagt, zu
Blumentöpfen und zur Versendung von Cocosöl u. s. w. gebraucht werden.
Seitdem in Java und Sumatra ergiebige Petroleumquellen entdeckt
wurden, werden diese Büchsen auch in Indien gemacht, und zwar aus
dünnen Zinnplatten, welche aus Europa bezogen werden.) -- Schön sind
solche Blumentöpfe nicht, wenn sie auch grün oder braun angestrichen
werden, aber dauerhaft sind sie. Auch im Garten selbst sieht man
diese Blumentöpfe stehen, ohne dass sie den bescheidensten Ansprüchen
des guten Geschmackes entsprechen; dass jedoch so selten Blumenbeete
gefunden werden -- ich sah sie nur bei Pflanzern -- hat seine gute
Ursache; ein grosser Theil der europäischen Bevölkerung ist flottirend,
d. h. die Beamten und Officiere werden häufig transferirt; jedesmal
hält der Transferirte Auction von seinen Möbeln u. s. w.; Blumenbeete
können natürlich nicht transportirt werden, aber Blumentöpfe; hinc
illae lacrimae. Da nebstdem die Blumen ein starker Modeartikel sind,
so kann ein geschäftlicher Geist mit dem Verkaufe der Blumentöpfe oft
einen hübschen Gewinn erzielen. Diese Aussicht hatte ich natürlich
nicht, weil bei einer etwaigen Transferirung nur mein Nachfolger der
einzige Käufer voraussichtlich war; denn damals hatten die eingeborenen
Häuptlinge der Umgebung, im Gegensatze zu ihren Amtsbrüdern auf Java,
noch kein besonderes Bedürfniss nach Blumentöpfen, Schaukelstühlen,
Lampen, Tischen, Illustrationen aus alten illustrirten Zeitungen, alter
Wäsche und Kleidern u. s. w. gezeigt, und ich war auf meinen Nachfolger
angewiesen, wie viel von der Einrichtung verkauft werden würde; hätte
er Möbel mitgebracht, so hätte ich alles um eine Kleinigkeit oder um
gar keinen Preis an den Mann bringen können.

Bei der Wahl der Bäume im Garten kann man nicht genug vorsichtig sein;
denn wenn man Kinder hat, welche gern im Garten spielen, können Bäume
mit grossen Früchten sehr gefährlich werden. Noch vor Kurzem hat Dr. F.
auf Java einen zweijährigen Sohn dadurch verloren, dass im Garten eine
Cocosnuss diesem auf den Kopf fiel. Ich liess also keine Palmen, keine
Durian und keine Nangka[16] pflanzen. Von Mangistan, Liberia-Kaffee,
Mangga und Pisangbäumen liess ich Ableger aus dem benachbarten Kampong
holen und sie in entsprechendem Abstand in den Boden stecken. Zu meiner
Genugthuung fassten alle Ableger Wurzel. Die Umgebung der Bäume blieb,
wie der ganze Garten, frei von Gras, weil ich Sand, mit Kalk und
kleinen Kieselsteinen gemischt, zum Pflaster des Gartens gebrauchte.
Der Graswuchs kann ja so üppig sein, dass es sehr viel Mühe kostet,
es aus dem Garten fernzuhalten. Noch muss ich bemerken, dass weder
die Fenster noch die Thüren des Hauses jemals durch die Bäume bedeckt
werden konnten, so dass der Wind immer das ganze Haus durchstreichen
konnte.

Natürlich erforderte das neue Haus eine landesübliche und
standesgemässe Einrichtung. Dem »Standesgemässen« wird leicht Genüge
geleistet. In der vorderen Veranda spielt sich nämlich, wenn ich mich
dieses Ausdruckes bedienen darf, das Salonleben ab; hier empfängt
man die Besuche; sie sind also darnach eingerichtet. Ein runder oder
ovaler Tisch mit sechs Schaukelstühlen, Lampe und Blumentöpfen ist die
Einrichtung eines kleinen Hauses in einem kleinen Orte; in grösseren
Orten, oder wenn man verheirathet ist und einen »jour fixe« hält, ist
eine zwei- oder dreimal so grosse Zahl von Stühlen mit einem oder zwei
Divans unvermeidlich; sehr oft hängen an der Mauer schöne Gravüren (von
Gopil z. B.) oder porzellanene Blumenvasen u. s. w. Auch ich war in der
Lage, meinen »Empfangssalon« standesgemäss einzurichten, obwohl die
Zahl der Stühle nicht gross zu sein brauchte; denn im Ganzen waren es
ja nur fünf Männer und eine Dame, mit welchen ein Verkehr möglich und
erlaubt war; wenn jedoch ein Dampfer zu uns kam, da musste schon auf
eine doppelte Anzahl gerechnet werden; nun dann nahm ich einfach die
Stühle meines Schlafzimmers u. s. w. zu Hülfe.

Die hintere Veranda, in der holländischen Sprache »achtergallery«
genannt, ist der Schauplatz des täglichen Familienlebens. In der Ebene
und in warmen Gegenden im Allgemeinen ist die hintere Veranda ebenfalls
eine offene Halle, und doch besitzt sie die ganze Einrichtung eines
Familien- und Speisezimmers. Im Gebirge jedoch ist sie häufig, aber
bei Weitem nicht immer, ein grosses Zimmer mit Fenstern, weil in der
Morgen- und Abendstunde die Temperatur[17] oft so niedrig ist, dass der
Gebrauch in der Haustoilette ein sehr unangenehmes Gefühl der feuchten
Kälte mit sich bringt. Hier wird von der Hausfrau und den Kindern der
ganze Tag verlebt, von hier aus hat sie Uebersicht über die Küche,
über die Bedienten, über den Garten und über die Speisekammer; hier
spielen die Kinder auf dem mit Matten bedeckten Boden, oder arbeiten
die Schulkinder ihre Hausaufgaben, hier versieht die Hausfrau alle ihre
Arbeiten, und hier wird auch gespeist. In einigen Häusern befindet sich
über dem Tische die Pongka, d. i. ein grosser Fächer, der mit einem
Stricke von einem der Bedienten während der Mahlzeit ununterbrochen
in Bewegung gehalten wird. Dieser Fächer wird in Englisch-Indien
häufiger gesehen als in Holländisch-Indien. Vor zwanzig Jahren war die
Pongka auf Borneo, und selbst auf Java noch ganz unbekannt. Es wird
mit ihr nämlich ein Luftstrom erzeugt, welcher besonders Menschen mit
Rheumatismus Anfangs lästig ist. Gewöhnt man sich jedoch daran, dann
bietet er eine angenehme Abkühlung.

Wie oft wird die malayische Rasse eine diebische genannt! In einer
offenen Veranda, welche mitten in einem kleinen Garten steht, der
von allen Seiten zugänglich ist, befinden sich nicht allein die
grossen Möbelstücke, als Buffet, Tische und Stühle, sondern Gläser,
silberne Messer, Gabeln und Löffel, zahlreiche Gemälde und Nippsachen
zur Verzierung der Mauern und Tische, und wie selten hört man von
einem Diebstahle! In jeder grossen Stadt Europas würde eine solche
Veranda nicht eine einzige Nacht von den Langfingern unbehelligt
bleiben. Einige Familien lassen zwar in der Veranda eine »Nachtwache«
... =schlafen!= welche eigentlich nur verhindern soll, dass
Räuber, Mörder oder Diebe in die geschlossenen Schlafzimmer eindringen
können. Landherren haben jedoch auch »nichtschlafende Wächter«, welche
vielleicht einige Dienste leisten.

Wie gross der Unterschied zwischen einer europäischen und einer
dajakschen Wohnung sei, möge folgende Schilderung der letzteren,
entnommen einem Vortrage, welcher in der geographischen Gesellschaft im
Jahre 1885 von mir gehalten wurde, die beste Illustration geben. Ich
muss hier jedoch für den Ethnographen bemerken, dass die Beschreibung
die eines Hauses ist, welches auf dem Baritu gegenüber der Mündung
des Tewehflusses, also gegenüber dem europäischen Fort lag und keine
Palissaden hatte. Es sind echte Pfahlbauten (die ich übrigens auch noch
im Süden von Java, an der sogenannten Kindersee und auf Sumatra gesehen
habe).

Im Süden Borneos, und zwar schon von Buntok aus, bestehen die Kampongs
(Dörfer) aus einzelnen Häusern, welche in gewisser Entfernung von
einander liegen und darum auch keine gemeinschaftlichen Palissaden
haben können; im Norden jedoch, wo die Dajaker in einem steten Kampfe
unter einander leben, sind diese Kampongs nicht mehr als ein langes
Haus von ungefähr 100 Meter Länge und stehen auf Pfählen von 1½-2 m
Höhe. Vor dem Hause stehen hin und wieder einige Ampatong, das sind
aus Eisenholz geschnitzte Figuren mit bis auf die Brust hervorragenden
Zungen und stark entwickeltem Charakter ihres Geschlechtes, nach
welchem sie auch in männliche und weibliche eingetheilt werden. Sie
dienen gewissermaassen zur Vogelscheuche, um nämlich die in der Luft
herumschweifenden Hantus, bösen Geister, von den lebenden Menschen
selbst abzuhalten, und speculiren dabei auf die Sinneslust dieser
feindlichen Bewohner der Luft. Die ganze Front des Hauses nimmt ein
Vorsaal ein, in dem das öffentliche Leben sich abspielt. Gäste werden
hier empfangen, Berathungen gepflogen, bei schlechtem Wetter ihre
zahlreichen Feste gefeiert u. s. w. Hier münden auch die Thüren der
Wohnungen der einzelnen Familien. In einer solchen Wohnung spielt
sich das tägliche Familienleben in allen seinen Phasen im einzigen
Raume ab. Auf dem Boden, der aus Latten von der Rinde der Arengpalme
besteht, liegen Matten zur Schlafstätte; der reiche Dajaker hat auch
einige Polster aus Kapok (indische Pflanzendaunen), manchmal sogar eine
Matratze. Im Hintergrunde stehen auf einigen thönernen Herden, Dâpur
genannt, die thönernen oder kupfernen Kessel auf Holzfeuern, und der
Rauch findet nur schwer durch das kleine Fenster oder durch die Lücken
der Matten den Weg nach aussen. Der Gestank der getrockneten todten
Fische mischt sich dazu mit den Ausdünstungen der Menschen. Der Kranke
oder das kleine Kind können nicht den Weg zum Flusse nehmen (wo der
Abort steht), weil nur ein Baumstamm mit Einkerbungen, oder eine Leiter
mit dünnen Bambusstäben die Treppe zum Flusse ist. Die Defäcationen
geschehen also im Zimmer und zwar über den Löchern in der Flur, und
Schweine und Hühner halten zwischen den Pfählen Wache, um den Dienst
der Sanitätspolizei zu übernehmen. In den Dächern mengen sich unter das
triefende Fischgeräthe, seien es Netze oder Seros, d. h. geflochtene
Körbe in allen möglichen Formen, die Schädel der theuern abgestorbenen
Familienmitglieder, oder erbeutete Schädel, die in einem Bündel von
Flocken aus der Nipapalme eingehüllt sind.

In diesen Häusern werden alle Phasen des persönlichen, des Familien-
oder des Gemeindelebens mit 4-8 Tage langen Festen gefeiert, bei
denen Venus und Bacchus abwechselnd sich die Hände reichen. Bei Tag
wird der Tuwak aus grossen Schalen getrunken, in Chören getanzt beim
ohrzerreissenden Schall der Pauken, und der scheidende Tag ladet
Jung und Alt, das ganze Dorf zur Orgie; ihre Priester (Bassirs) und
Priesterinnen (Bliams) sind Prostituées im strengsten Sinne des Wortes,
und wenn sie sich doch einer gewissen grossen Verehrung erfreuen, so
wird es Niemand überraschen, der die dualistische Erklärung eines
intelligenten Häuptlings vom Standpunkte eines Dajakers hört: »Die
Verehrung gilt ja nur ihrem Geiste und nicht ihrem Körper.« Sie sind
nämlich Zauberer und beschwören die Geister, welche über die Menschen
Krankheiten bringen, sie bannen die Hantu’s, welche dem neugeborenen
Kinde Unheil drohen, sie trachten die bösen Vorzeichen, welche einem
kriegerischen Unternehmen entgegenstehen, zu beschwören, sie massiren
die Kranken und Ermüdeten, wobei oft ein Splitter, kleine Schlangen
u. s. w. aus dem Körper geholt werden und -- prostituiren sich gegen
Bezahlung; die lesbische Liebe und die Sünden Sodoms und Gomorrhas
sind alltägliche Sünden, so dass ihre Priester eine zweite Ursache der
geringen Bevölkerung von Borneo sind. (Die erste ist, wie wir Seite 61
sahen, die Kopfjagd.)

Von den dajakschen Kampongs, welche vor ihren Palissaden hohe Stangen
mit den Köpfen der getödteten Feinde stehen haben, und von ihren
Tätowirungen weiss ich aus Autopsie nichts mitzutheilen. (Von der
Religion und Sprache der Dajaker will ich auch nicht sprechen, weil
dieses in den Rahmen eines ethnographischen Werkes und nicht in eine
Reisebeschreibung gehört, und weil thatsächlich das Material unter
meinen Händen wächst, auch wenn ich mich begnüge, das selbst Erlebte
und das mit eigenen Augen Gesehene mitzutheilen.)

Zu allen ihren Festen wurde ich von Dajakern eingeladen, weil ich
ein dankbarer Gast war; ich brachte nämlich ein oder zwei Flaschen
Genevre mit und begnügte mich, ein ganz passiver Zuschauer zu sein.
Wenn jedoch der Herr Y. kam, liefen die Mädchen entweder ganz weg oder
zogen sich mit ängstlicher Miene in eine Ecke zurück, wie erschreckte
Schafe in einen Stall, nicht weil er ihre Keuschheitsgefühle (?)
wiederholt beleidigt hatte, +sondern weil er Tyrannengelüste als ein
Servitut seiner Stellung beschaute, das nicht bezahlt werden dürfe+.
Das ist ja, wie wir bereits andeuteten, die ärgste Schande für ein
dajaksches, ja selbst für ein malayisches Mädchen. Vor mir fürchteten
die dajakschen Mädchen sich nicht, weil ich die Rolle des nüchternen
Beobachters niemals verliess, und diesem Umstande verdanke ich es
auch, dass ich in ihren Glauben und Liturgie, in ihre Gebräuche und
Sitten einen Einblick erhielt, wie wenig Andere, obzwar der Controleur
X.[18] darin einen wachsenden Einfluss meinerseits sah, der unterdrückt
werden musste. Als ich z. B. (vide Seite 80) meine Reise nach Telang
antreten wollte, musste ich einen Kahn miethen, und zwar den einzigen,
der in Buntok zur Verfügung stand, den des Kamponghäuptlings. Zufällig
erkundigte ich mich Abends bei ihm, ob der Kahn schon gereinigt sei.
Ja, erwiderte dieser, aber der Herr Controleur giebt mir nicht die
Erlaubniss, den Kahn zu vermiethen!!

Ein andermal war ich bei einem Feste gewesen, und als ich nach Hause
ging, folgte mir ein Dajaker mit einer Schüssel als Gegengeschenk
für die zwei Flaschen (3 Liter) Genevre, welche ich gebracht hatte.
Der Controleur erfuhr dies durch seinen Bedienten und schickte den
Befehl, dem Feste ein Ende zu machen, weil der Controleur in seinem
Mittagschläfchen gestört werde. Die Dajaker fühlten diesen Wink mit
dem Zaunpfahle, schickten auch dem Controleur eine Schweinskeule und
-- mochten weiter singen, tanzen und spielen!! Ob solche Geschenke,
Slametans (javanisch Sedekah) genannt, auch unter den Dajakern üblich
seien, will ich bezweifeln. Bei den Malayen, bei den Javanen u. s. w.
ist der Slametan eine Landessitte: Ein eingeborener Feldwebel
verheirathet z. B. seine Tochter und möchte gerne die Officiere zum
Tanzfeste einladen. Er schickt also an die Frau oder Haushälterin
der Officiere eine Schüssel mit einem geschlachteten oder lebenden
Huhn, 10-20 Eier, eine Staude Pisang und andere Früchte. Der Anstand
erfordert, dass man nicht nur diese Geschenke annimmt, sondern auch
sofort ein Gegengeschenk, und zwar in Geld macht. Wenn der Betrag nicht
höher ist als der Werth des gesendeten »Slamatans«, dann kann man in
Zukunft von solchen Aufmerksamkeiten vielleicht verschont bleiben. Will
man jedoch seine besondere Erkenntlichkeit für die Einladung zeigen,
dann giebt man ½-1 oder 2 fl. mehr und wird beim Erscheinen des Festes
besonders herzlich empfangen.

Dieser malayischen Sitte also wollten die Dajaker folgen, wenn sie
mir, wie erwähnt, ein Gegengeschenk brachten, und zwar die Keule eines
Wildschweines und einige Früchte.

Wenn sie auch den Tuwak[19] als Volkstrank stark gebrauchen, so
ziehen sie doch den Genevre vor, obschon oder vielleicht weil sein
Alcohol bedeutend grösser ist. Gewöhnlich hat der Tuwak 3-5% Alcohol
und der Genevre 40-50%; ersterer kann dadurch in viel grösseren
Mengen getrunken werden als der Genevre; alle Feste der Dajaker
dauern 4-6-8 Tage; der Tuwak wird in grossen Töpfen (Blanggas) auf
den Festplatz gebracht und von Alt und Jung, von Frau und Mann mit
halben Cocosnussschalen aus den Blanggas geschöpft. Sie werden
dadurch fröhlich, ausgelassen, aber nur selten betrunken. Eine
solche Orgie muss man gesehen haben, um an sie glauben zu können. Es
war ein »Todtenfest«, bei welchem ich zum ersten Male eine solche
»Ausgelassenheit« der Dajaker sah, welche ein Beamter sittlich
entrüstet nicht mit ansehen wollte.

Der Kamponghäuptling, zu dem ich im Jahre 1877 gerufen wurde, um ihm
in seiner schweren Krankheit (Carcinoma vesicae) Hülfe zu leisten, war
gestorben; sein Körper war auf das Feld gebracht und in einem hölzernen
Sarge der Verwesung übergeben. Nach dieser Zeit sollte das Todtenfest
beginnen. Eile hatte es damit nicht, weil die Wittwe zu alt war, um
an eine zweite Heirath zu denken, und weil ein solches Fest viel Geld
kostet. Nebstdem hatten sie gehört, dass Muarah Teweh aufgelassen
werden sollte; sie konnten dann vielleicht zu Ehren der Verstorbenen
einige Sclaven opfern, wie es bei den unabhängigen Dajakern damals
noch üblich war. Da jedoch noch Ende 1878 das Fort Teweh bestand und
noch immer keine Anstalten zum Verlassen der Boven-Dusson genommen
wurden, entschlossen sie sich endlich, für ihn das Todtenfest zu
halten, ohne Sclaven zu opfern; denn der Geist (liau) wurde zwar in
den ersten 24 Stunden nach seinem Tode vom Charon (Tampon Telon) nach
dem »Wolkensee« gebracht, aber die Seele, welche erst nach Ablauf des
Todtenfestes dahin gebracht wird, um sich mit der »liau« zu vereinigen
und die Freuden des Himmels zu geniessen, blieb, so lange der Sarg des
Verstorbenen nicht bestattet ist, unbefriedigt schweben. Die Wittwe
ist, so lange das Todtenfest nicht gegeben ist, »pali«; ihre Kinder
sind »pali«, d. h. sie sind unrein und werden von den Sanggiangs (gute
Geister) nicht erhört. Nebstdem muss die Wittwe die Trauerkleider, d. h.
stets ein Kopftuch und schwarze Kleider tragen (unmittelbar nach dem
Tode trägt sie jedoch weisse und erst später schwarze Kleider). Das
sind genug Ursachen, um das Todtenfest sobald als möglich zu geben,
d. h. sobald die grossen Ausgaben, welche damit verbunden sind, gedeckt
werden können. Unser Häuptling hatte keine Sclaven officiell, d. h. er
hatte nur »Schuldner, welche ihre Schuld durch Arbeit auf dem Felde
und in dem Hause zu tilgen sich verpflichtet hatten«; diese aber beim
Todtenfeste seines Vaters zu opfern, wagte er nicht wegen Anwesenheit
des Forts; er wählte also dazu Karbouwen (indische Büffel), welche
dasselbe Schicksal erlitten, als den Sclaven zugedacht war. Sie wurden
an einem Opferstock festgebunden, und ihnen gegenüber nahmen die Männer
in voller Kriegsrüstung in einer Reihe Platz; einer nach dem andern
sprang aus der Reihe hervor, und unter dem Jubelgesang der Bliams und
Bassirs schwang er seine Lanze gegen den unglücklichen Stier, der, nur
leicht verwundet, ein fürchterliches Gebrüll ausstiess.

Ein fürchterlich schöner und doch erbärmlicher Anblick war es, ein
solch colossales plumpes Riesenthier mit seinen gutmüthigen Augen
und seinen massiven Hörnern machtlos und wehrlos gefesselt zu sehen
und preisgegeben dem mordlustigen Spiele der Menschen. Wir Europäer
sassen auf einem hohen Gerüst und waren ausser Gefahr, auch wenn es
dem Büffel gelungen wäre, seine Fesseln zu brechen und in blinder Wuth
sich auf seine Quäler zu stürzen. Drei Jahre später sah ich dieses.
Ein Karbouw sollte geschlachtet werden; die Sundanesen (Bewohner des
Westens von Java), welche seinen Kopf mit dicken Stricken auf dem
Blocke festhalten sollten, liessen plötzlich die Stricke los, mit einem
wilden Angstschrei zog sich der Büffel aus der Schlinge und stürzte in
die umgebende Menge, welche sofort auf die nächsten Bäume flüchtete;
ich selbst hatte noch Zeit, mein Pferd zu besteigen, welches mich bald
ausser Gefahr brachte. Wenn man im täglichen Leben einer Heerde dieser
Riesenbüffel begegnet, oder sie im Sumpfe baden sieht, während nur ein
kleiner Bube die ganze Heerde leitet und sie wäscht, dann bewundert
man den sanften Charakter dieser Ungeheuer, welche jedoch ihrer Kraft
sich ganz gut bewusst sind. In Tjilatjap fuhr ich mit meinem Mylord,
welcher mit zwei Pferden bespannt war, durch eine Heerde von diesen
Riesenbüffeln; um keinen Millimeter wichen sie aus, so dass das
Spritzbrett meines Wagens zertrümmert, ohne dass nur ein Karbouw auch
nur ein Haar breit zur Seite gedrängt wurde.

Endlich hatte der letzte der anwesenden Dajaker seine Lanze in das
Herz des Karbouws gestossen, mit einem fürchterlichen Gebrüll, dem
sofort das Todesröcheln folgte, stürzte der Riesenbüffel zusammen,
und Alt und Jung stürzte sich auf ihn, um Stücke abzuschneiden und
kochen zu lassen. Während dieser Zeit begann der Reigentanz; die
dajakschen Schönen waren zu Ehren der anwesenden Gäste (der Resident,
Assistent-Resident, Controleur und wir zwei Officiere) in Festgewand,
mit Sarong, Badju und Selindang gekleidet und umstanden einen
Opferstock, auf welchem eine Ziege angebunden war. Die weibliche Jugend
umzog tanzend in einem Reigen den Altar, indem sie in der einen Hand
die Tóte hielten und darauf bliesen, und mit der anderen Hand die der
Nachbarin berührten; unter dem ohrzerreissenden Schalle der Pauken
und der kupfernen Becken sangen sie ihr illa-la-hap, blieben stehen,
beugten sich und drehten den Körper rechts und links, um wie eine
Sprungfeder aufzuschnellen. Um diesen Reigen bewegten sich drei Bassirs
mit vorausgestreckten Armen, in welchen grosse kupferne Ringe hingen,
und die dritte Reihe bestand aus zwei -- Clowns; sie trugen nur eine
Schwimmhose und hatten eine Maske vor dem Gesicht.

Den ernsten Gesang der Bassirs begleiteten diese Bajazzos mit Sprüngen
und ekelhaften körperlichen Bewegungen; bald näherten sie sich den
Mädchen und ahmten unter dem schallenden Gelächter der Frauen die
Bewegungen des Coitus nach, bald brachten sie ein Gläschen Genevre an
die Lippen einer Schönen und liessen sie das Gläschen in einem Schluck
leer trinken, und bald carikirten sie die Bewegungen der Bassirs.
Ich habe noch nie so ein widerliches, ekelhaftes Fest gesehen, als
dieses Todtenfest bei den Dajakern; ich muss jedoch beifügen, dass
nur diesen einen Tag wir Europäer officiell Zeuge waren (es dauerte
ja 8 Tage), und dass nicht nur zu Ehren der Todten solche Orgien
gefeiert werden, sondern bei jeder Gelegenheit; das für das Todtenfest
charakteristische Abholen der Leiche von dem Felde, das Aufbahren der
ausgetrockneten Leiche, das Schmücken derselben u. s. w. haben wir
nicht gesehen, ebenso, als wir Abends nach Fallen der Sonne die Bassirs
und Bliams nicht ihre Rollen vertauschen sahen. Sie haben aufgehört,
Zauberer zu sein, und beim Scheine der kleinen Harzflammen beginnen
jene schon angedeuteten Orgien, welche zwar in Europa nicht unbekannt
sind, aber doch nur von Wenigen geübt werden. Wenn Rousseau etwas
von +diesen+ »Naturmenschen« gewusst hätte, wäre in seinem Emil
niemals ihnen eine Hymne gesungen worden.

Nach Perelaer lautet die erste Strophe des Liedes, welches die Bassirs
beim Todtenfeste sangen, wie folgt:

    Dedari liau olo matai, tandjong ambon dari liau[20]
    Balongkangnihau tandjong danom manawan.



6. Capitel.

  Ameisen und Termiten in den Wohnungen -- Verderben der Speisevorräthe
  -- Milch-Ernährung der Säuglinge -- Aborte Tjebok -- Transpiration
  in den Tropen -- Baden -- Siram = Schiffsbad -- Antimilitärischer
  Geist der Holländer -- Das Ausmorden der Bemannung des Kriegsschiffes
  „Onrust“, von den Dajakern erzählt.


Bei der Einrichtung eines »Hauses« muss man in Indien auf vieles
bedacht sein, das in Europa kaum in Betracht gezogen wird; die üppige
Flora und Fauna der Tropen z. B. können des Guten zu viel leisten.
Abgesehen von der Gefahr, in seinem Garten Bäume und Früchte zu halten,
welche durch ihre Grösse beim Herabfallen geradezu gefährlich werden
können, ist es nicht rathsam, wogegen so häufig gesündigt wird, auf den
Mauern Schlingpflanzen anzubringen; es nesteln sich darin zahlreiche
Insecten, welche bei Gelegenheit ins Zimmer kriechen. Ein schöner Baum
ist der Seite 101 erwähnte Waringinbaum; mit seinem mächtigen Laub und
den zahlreichen Luftwurzeln wird er oft ein stattlicher, herrlicher
Baum; seine Wurzeln aber pflanzen sich weit unter dem Boden fort und
unterminiren die Grundmauern; sie müssen also in bedeutender Entfernung
von dem Hause (wenigstens 20 Meter weit) gepflanzt werden. Eine gleiche
Gefahr bieten die mächtigen Rhizophoren, welche ein gutes Brennmaterial
liefern; da sie jedoch nur in neugebildetem Alluvialboden gedeihen, und
da selten ein »Haus« in diesem gebaut wird, so ist diese Gefahr der
Mangroven nur eine theoretische. Auch ist es nicht empfehlenswerth,
stark riechende Blumen im Hause zu halten, obzwar die Ventilation der
Wohnungen intensiver ist als in Europa. Halbeuropäische Frauen und
noch mehr die Eingeborenen gebrauchen gerne Odeurs, welche geradezu
betäubend sind und selbst Kopfschmerzen verursachen, z. B. die Blüthe
der melatti (eine Jasminumsorte), welche sogar von den malayischen und
javanischen Dichtern in allen Tonarten besungen wird.

Aber auch die Fauna ist so üppig, dass selbst im täglichen Leben gegen
ihren zu grossen Reichthum Maassregeln genommen werden müssen. Gegen
die Riesen des Urwaldes hat der Einzelne in seinem »Hause« nur selten
sich zu schützen; denn sie ziehen sich vor dem Menschen zurück; auf
der Jagd nach ihnen habe ich natürlich so manche Vorsichtsmaassregeln
nehmen müssen, um nicht umgekehrt ihnen eine Beute zu werden; aber
die grosse Welt der kleinen Thiere giebt im »Hause« den Menschen
viel zu schaffen. Zahlreiche Eidechsen sieht man auf den Mauern
herumlaufen; diese sind jedoch gern gesehene Gäste, weil sie uns in
der Jagd gegen die Mosquitos und andere Insecten helfen. Wenn zur
Zeit der Kenteringe vor dem Regen grosse Schwärme von fliegenden
Ameisen (Larong) die brennenden Lampen des Abends umkreisten und auf
den Tisch mit dem Verlust ihrer Flügel niederfielen, da machte es mir
immer viel Vergnügen, den grossen Appetit meiner zahmen Eidechsen zu
bewundern. Scheu waren sie nicht und fürchteten sich vor mir nicht im
Geringsten. So lagen sie auf dem Tische auf der Lauer, und sobald eine
Ameise auf den Tisch fiel, weil sie sich an dem warmen Lampencylinder
verbrannt hatte, stürzten sie aus ihrem Schlupfwinkel und verschlangen
die Ameise. Zu ihrer Lieblingsspeise gehört auch die Walang sangit
(Stenocoris varicornis), welche einen fürchterlichen Gestank verbreitet
und oft bedeutenden Schaden den Reisfeldern verursacht. Zu den
tolerirten und aus denselben Ursachen gern gesehenen Gästen gehören die
Frösche, welche in die Veranda gesprungen und hin und wieder auch ins
Haus kommen; denn auch sie verzehren eine grosse Menge der Insecten;
Wanzen habe ich nur in den Spitälern gesehen; aber die Ameisen sind
eine fürchterliche Plage der Hausfrau, sowie die »weissen Ameisen«,
besser Termiten (termes fatalis) genannt, in ihrer Gefrässigkeit
geradezu gefährlich werden. Von diesen sah ich oft 1 Meter hohe Nester,
welche so hart waren, dass sie mit der Hacke zertrümmert werden
mussten, um das Innere besichtigen zu können. Es war ein Erdhügel aus
Lehm mit zahlreichen, labyrinthähnlichen Gängen. In der Mitte lag die
Königin, welche von den Malayen gern gegessen wird. Aber auch die
Larongs sind ein Leckerbissen der Javanen und Malayen. Zur Zeit des
Schwärmens werden im Hause weisse Lavoirs unter die Lampe mit Wasser
gefüllt gestellt. Die schwärmenden »weissen Ameisen«, wie der Holländer
die Termiten nennt, versengen an der Lampe die Flügel oder die Füsse,
oder sie fallen, erschöpft durch die ausstrahlende Wärme der Lampen,
nieder und werden im Wasser aufgefangen; die Flügel werden, wenn sie
nicht schon abgefallen sind, herausgerissen und die Termite selbst
in Oel mit oder ohne Mehl gebacken. Ich konnte mich niemals dazu
entschliessen, mich durch Kosten von ihrem mandelähnlichen Geschmacke,
den sie haben sollen, zu überzeugen. Ob die javanischen Gourmands
jemals einen europäischen Feinschmecker in ihre Gilde aufnehmen werden?
Ich bezweifle es. Beinahe täglich kann man im Kampong oder selbst in
seinem eigenen Garten 2-3 Mitglieder seiner Bedienten auf dem Boden
hintereinander sitzen sehen, welche auf dem Kopfe ihres Vordermannes
gewisse ungeladene Gäste suchen und +verspeisen+.

Bekannt ist es, dass die Termiten grossen Schaden anrichten
+können+, wenn man ihrem gefrässigen Triebe keine Grenzen
setzt. Mir gelang dies immer, so dass ich während meines 21jährigen
Aufenthaltes in den Tropen nicht den geringsten Schaden durch die
râjaps erlitt. Meine Kästen liess ich niemals +an+ den Mauern
stehen, sondern in einer Entfernung von 2-3 cm.; die Füsse derselben
ruhten entweder in zinnernen Näpfen, welche mit Wasser oder Petroleum
gefüllt waren, oder auf kleinen zinnernen Platten; auch die Kisten und
Koffer standen nicht auf dem Fussboden selbst, sondern auf Ziegeln;
jede Woche wurden alle Kästen, Koffer und Kisten zur Seite geschoben
zur Controle, ob die Termiten sich unter denselben nicht angesiedelt
hätten; täglich wurden die Matten von dem Fussboden aufgenommen, um
nach Oeffnungen zu suchen, aus welchen sie ins Haus hätten dringen
können. Oft genug sah ich dann zwischen den Fugen des Fussbodens
kleine Sandhügelchen mit einer Oeffnung, in welcher die Termiten aus-
und eingingen. Ich goss in die Löcher Petroleum oder Carbolsäure (5%
Auflösung), um für lange Zeit von ihrem Besuche verschont zu bleiben.

Lästig sind die +schwarzen+ Ameisen, welche von Vielen gern
gesehene Gäste sind, weil, wie man behauptet, sie die Termiten
vertreiben. Thatsache ist, dass ich beide niemals zu gleicher
Zeit in meiner Wohnung hatte. Die schwarzen Ameisen scheinen eben
aussergewöhnlich stark entwickelten Riechnerv zu haben. Es ist oft
unglaublich, wie sicher und schnell diese Ameisen ihre Beute finden.
Lässt man z. B. die Zuckerbüchse unbewahrt Abends auf dem Tische
stehen, so ist den andern Morgen die Oberfläche schwarz von Ameisen;
Man muss also die Zuckerdose immer in einer Schale mit Wasser stehen
lassen. Aber nach einigen Tagen hilft dieses Präservativ auch nicht
mehr, wenn die Zuckerschale nebstdem nicht gut geschlossen ist. Man
sieht dann auf dem Wasser Leichen von Ameisen schwimmen, auf welchen
die lebenden sorglos ihre Näscherei aufsuchen. Nach der Ansicht der
Eingeborenen opfern sich einige Ameisen dem Tode durch Ertrinken, um
mit ihrem Leichnam eine Brücke zu bauen, auf welcher ihre Brüder zu
dem Zucker gelangen können. Natürlich ist der Speisekasten immer und
ewig ihren Einfällen ausgesetzt und selbst, wenn seine Füsse in Näpfen,
mit Wasser und Petroleum gefüllt, stehen. Die Eingeborenen behaupten,
dass in einem solchen Falle die Ameisen, durch den Geruch der Speisen
angelockt, sich vom Plafond auf den Kasten fallen lassen; ich fand
jedoch eine andere Erklärung dieser eigenthümlichen Erscheinung. Die
Hausfrau lässt nämlich im Eifer ihres Amtes die Thür des Kastens offen
stehen, welche sich an die Mauer anlehnt; von dieser finden sie dann
ihren Weg in den Kasten. Man erwehrt sich also der schwarzen Ameisen
am besten, wenn man auf dem Tische keine Speisen stehen lässt, den
Speisekasten in einiger Entfernung von der Mauer und seine Füsse in
einen Napf mit Petroleum stellt; Wasser zu diesem Zwecke zu gebrauchen,
ist darum nicht praktisch, weil es von den Hunden, Katzen und Ratten
in der Nacht ausgetrunken wird. Sind die »weissen Ameisen« auch
gefährlicher als die schwarzen Ameisen, weil sie alles zerstören,
was aus dem Thier- und Pflanzenreich stammt (Banknoten und hölzerne
Schiffe fielen schon ihrer Fresswuth zum Opfer), so sind die schwarzen
Ameisen wieder lästiger, weil sie eine ununterbrochene Aufmerksamkeit
der Hausfrau erfordern, um die Speisereste vor ihren Angriffen zu
beschützen. Leider sind diese nicht die einzigen Feinde, gegen welche
die Hausfrau einen steten Kampf führen muss. Die drei Factoren, welche
die Entwicklung der Bacterien ermöglichen, organische Stoffe, Wärme
und Feuchtigkeit, befinden sich in Indien zu allen Zeiten und an allen
Orten. Dadurch verderben die Speisen sehr leicht und sehr schnell unter
den Tropen. Nach 48 Stunden sind Fleisch und Fische schon ungeniessbar.
In Essig eingelegte Gurken u. s. w. haben in wenigen Tagen eine dicke
Schimmelauflage, wenn der Verschluss der Gefässe nicht luftdicht ist.
Wenn auch die Gurken u. s. w. unter der Schimmelschicht nicht verdorben
waren, so ekelte mich der Anblick so sehr, dass ich sie immer habe
wegwerfen lassen. Mit Milch zubereitete Mehlspeisen können kaum 24
Stunden lang bewahrt werden, weil sie darnach sauer werden. Fette
Fleischspeisen werden nach 2 Tagen ranzig. Das sind Verhältnisse,
welche den Hausfrauen viele Sorgen bereiten, wenn ihnen von den Männern
ein gewisser Grad von Sparsamkeit auferlegt werden muss.

In Buntok musste ich viele Conserven gebrauchen, weil weder von den
eingeborenen noch von den sogenannten Soldatenfrauen viele Sorten
Grünzeug gepflanzt wurden. Physolen (Katjang), Spinat (Bajem),
aubergines (terong = Solanum melongena), Gurken, Wassermelonen, Labu
(Lagenaria idolatrica), junge Bambus kamen auf meinen Tisch; ebenso
klein war die Abwechslung in den Fleischspeisen: Huhn, Ei, Fisch und
Beefsteak; ich musste also zu Conserven meine Zuflucht nehmen, um hin
und wieder junge Erbsen oder Spargel zu essen, oder californische
Birnen, Kirschen, Aepfel und Pfirsiche zum Nachtisch zu haben, oder
aber eine andere Fleischsorte geniessen zu können als Huhn und wiederum
Huhn u. s. w. u. s. w. Späterhin und zwar auf Java war eine Conserve
auf meinem Tisch eine grosse Ausnahme, es sei denn, dass ich Gäste
hatte.

Eine wichtige Rolle spielte die Milch. Wir hatten auf Borneo keine
Kuh, also auch keine Milch; die Rinder, welche uns das Rindfleisch
lieferten, wurden von Bengalis über Java und von Madura importirt und
niemals zur Zucht gebraucht; von Bandjermasing wurden sie in grossen
Kähnen nach Buntok und Teweh geschleppt, was oft wochenlang dauerte.
Sie waren bei ihrer Ankunft oft so mager, dass wir sie Kleiderstöcke
nannten, weil man auf die Hüfte factisch einen Hut aufhängen konnte.
Da diese Rinder das erlaubte Minimum an Gewicht gewöhnlich hatten, so
gab sich der chinesische Lieferant keine Mühe, diese Thiere fetter
werden zu lassen. Das Gras war in Buntok wegen der immerwährenden
Ueberschwemmung mit theilweise gemischtem Fluss- und Seewasser
schlecht; er hätte also die Rinder mit Reis mästen müssen; er that es
nicht; so geschah es selten, dass das Rind nach dem Schlachten, nach
der Enthäutung und nach der Entfernung der Eingeweide, des Kopfes und
der Füsse mehr als 75 Kilo wog. Nun, solche Rinder wären auch nicht
besonders geschickt für die Gewinnung einer guten Milch gewesen;
Ziegenmilch konnten wir ebenso wenig als Eselinnen- oder Pferdemilch
bekommen; Karbouwen sah ich auch nicht in Buntok, also wir mussten
Milch aus Conserven zum Kaffee und Thee nehmen. War auch diese nicht
zu bekommen, so quirlte ich in meinen Morgenkaffee ein Ei, welches
selbst ein angenehm schmeckendes Surrogat für Milch ist. Weniger
für Erwachsene als für Säuglinge ist ja Milch eine Lebensfrage. Es
kommt wohl selten bei den dajakschen und malayischen Müttern ein
vollständiger Mangel an Milch vor; ich wenigstens habe kein einziges
Mal gehört, dass eine eingeborene Mutter ihr Kind nicht säugen konnte;
dass sie jedoch zu wenig oder zu schlechte Milch haben, sah ich öfters;
sie helfen sich dadurch, dass sie das Kind mit einem Brei vollstopfen,
welcher aus weichgekochtem Reis, Pisang und Zucker besteht. Die
Zweckmässigkeit dieser Kinderernährung lässt sich theoretisch
bestreiten; ob aber die Sterblichkeit unter den eingeborenen Kindern
eine grössere oder kleinere sei als unter den Europäern, ist gar kein
Zweifel, wenn wir auch keine statistischen Ausweise darüber haben.
Java hatte im Anfange dieses Jahrhunderts 5 Millionen Seelen, heute
25 Millionen; die Sterblichkeit kann also nicht gross sein. Aber es
ist eine kleine und schwache Rasse; dieses spricht nicht für die
Zweckmässigkeit der vegetabilischen Kinderernährung. Nebstdem ist es
bekannt, dass die eingeborenen Kinder einen Hängebauch haben, der unter
dem Namen »Reisbauch« bekannt ist.

Eine Amme würde ich in Indien, wenn auch nicht unbedingt zurückweisen,
so doch als ultimum refugium in Reserve halten, wenn die künstliche
Ernährung nicht gelingen sollte; denn eine europäische Amme wird
vielleicht niemals zu bekommen sein, und mit einer eingeborenen
Amme sind so viel Unannehmlichkeiten verbunden, dass ich vorläufig
jeder Frau abrathen muss, ausser in der dringendsten Noth durch eine
eingeborene Amme ihr Kind säugen zu lassen. Vielleicht entschliesse
ich mich doch später dazu, die Leidensgeschichte einer französischen
Dame zu erzählen, welche in Magelang (Java) entgegen meiner Warnung
eine eingeborene Amme zu ihrem Kinde nahm, dreimal sie wechselte und
endlich ihr Kind mit der von mir angegebenen Conservemilch nicht nur
glücklich über die Zeit des Wechsels in der Nahrung brachte, sondern
auch zu einem kräftigen und gesunden Mädchen entwickeln sah. Ich liess
von der überall käuflichen Swiss condensed milk anfangs 1 : 17 (die
ersten 4 Wochen) und später aufsteigend bis 1 : 10 eine Auflösung machen
und gab davon 50 Ccm. in der ersten Woche, um bis 200 Ccm. per Dosis
zu steigen. Diese Milch hat mir wiederholt so vortreffliche Dienste
geleistet, dass ich die letzten Jahre zuerst zu diesem Surrogat der
Muttermilch meine Zuflucht nahm, und in zweiter Reihe zur Kuhmilch,
wo diese, wie z. B. auf Java, in hinreichender Quantität, aber oft in
schlechter Qualität zu bekommen ist.

Wenn man seine eigene Kuh hat und das Melken controlliren kann, so hat
man doch noch Schwierigkeiten damit; nur zu oft geschieht es, dass
die Kuh entweder krank wird, oder wenigstens sich den Magen verdirbt;
sie bekommt Diarrhoe und der Säugling, welcher ihre Milch trinkt --
wird auch krank. Wenn auch unter den schweizerischen Kühen, welchen
diese Conserven ihren Inhalt verdanken, die eine oder andere Kuh krank
wird, so vertheilt sich ihre Milch auf die grosse Menge; ich will mich
jedoch anderer theoretischer Erklärungen enthalten, weil für mich die
Thatsache spricht, dass in Indien unter den zahlreichen Ersatzmitteln
der Muttermilch die condensirte Milch mir die besten Resultate gegeben
hat.

Um nur eines Falles zu gedenken: Im Jahre 189.. kam in Ngawie der
Lieutenant X., welcher eine tuberculose Frau hatte, mit einem ½ Jahr
alten Kinde in Garnison. Das Kind war eine Mumie, obzwar es mit Eiweiss
genährt wurde. (Eiweiss kann nur für einige Tage ein Surrogat der
Muttermilch sein, für die Dauer regt es zu wenig die Peristaltik des
Magens und der Därme an.) Sofort liess ich die Ernährung mit Eiweiss
trotz des Sträubens der Eltern aussetzen und liess dem Kinde erwähnte
condensirte Milch, und zwar in einer Auflösung 1 : 12 geben. Das Kind
vertrug die Milch gut und schon nach wenigen Wochen entwickelte sich
ein kräftiges Fettpolster.

Eine zweite Ursache, warum ich in Indien geradezu vor dem Gebrauche
der Kuhmilch für Säuglinge warnen muss, ist die Thatsache, dass sie,
ich möchte sagen fast immer, mit Wasser aus dem Sumpfe (Sawahfeld),
oder aus den Riols, mit Zuckerwasser, Cocosmilch oder selbst mit
Gyps verfälscht wird. Selbst wenn man seine eigene Kuh hat, aber
beim Melken nicht dabei steht, ist man seiner Sache nicht sicher,
weil der Bediente, der damit betraut ist, einen Theil der Milch
unterschlägt, um sie zu verkaufen, und, um das gewöhnliche Maass
seinem Herrn abzuliefern, die Milch verfälscht. Uebrigens hat die
erwähnte condensirte Milch diesen Vortheil, dass man eventuell einen
Soxhletapparat entbehren kann. Man braucht ja keinen Vorrath an Milch
zu halten, während die von der Kuh gewonnene Milch nicht allein sofort
gekocht, sondern auch in gut verschlossenen Flaschen zum Zwecke der
Sterilisirung bewahrt werden muss. Wenn man keinen Soxhlet besitzt,
gebraucht man in Indien häufig die Fläschchen von Eau de Cologne von
ungefähr 200 Ccm. Trotz ihres Reichthums an Zucker hält sich die
condensirte Milch 2, selbst 3 oder 4 Tage in Indien, bevor Schimmel
darauf kommt; also für jeden Fall so lange, dass ein Kind die Büchse
zu Ende gebrauchen kann. Man kann ja aus einer Büchse 2-3 Liter Milch
gewinnen, und da nebstdem so eine Büchse 30-40 Kreuzer in Java kostet,
und eine Flasche Milch von 750 Ccm. mit 25 Kreuzern bezahlt wird, so
verdient auch vom ökonomischen Standpunkte aus diese Milch in Indien
den Vorzug vor der käuflichen Kuhmilch.

       *       *       *       *       *

Im Jahre 18... wurde in W. eine grosse Caserne gebaut, ohne dass man
für Aborte gesorgt hatte. Als die Mannschaften die Caserne bezogen
und vergebens nach diesen Räumlichkeiten sich umsahen, erst an diesem
Tage wurde dieser Mangel entdeckt. Errare est humanum, und doch ist
dies ein unverzeihlicher Fehler gewesen, weil Jedermann beim Miethen
einer Wohnung an diese unentbehrlichen Räume denken soll und muss;
umsomehr in Indien, wo eigenthümliche Verhältnisse und auch andere
Gebräuche berücksichtigt werden müssen. So z. B. ist der Gebrauch des
Papiers zur Reinigung wenig oder gar nicht bekannt; die Eingeborenen
benützen Wasser selbst nach dem Verrichten eines kleinen Bedürfnisses.
Die Vorzüge dieses Gebrauches, tjèbok genannt, gegenüber dem des
Papieres, sind so in die Augen springend, dass es keines Wortes zur
Begründung bedarf. Für Männer mit Hämorrhoiden und für Frauen mit
weissem Fluss hat das Wasser in diesem Falle selbst einen so grossen
hygienischen Werth, dass ich auch in Europa diese Art von Reinigung
solchen Patienten recommandiren würde. Ich habe ja nur ein einziges
Mal in Indien eine Blenorrhoea recti gesehen, und zwar bei einem alten
europäischen Matrosen. Bei Frauen kann ja das Secret des weissen
Flusses auf die benachbarten Schleimhäute übergreifen; wie häufig
dieses in Europa geschieht, lässt ein Aufsatz in der W. M. W. No. 23
und 24 vom Jahre 1898 vermuthen; in Indien aber sah ich es niemals,
und ist kaum denkbar, weil die eingeborenen Prostituées sich eben nach
allen Entleerungen mit Wasser reinigen.

Zu diesem Zwecke befinden sich in jedem Aborte eine gewisse Anzahl
Weinflaschen mit Wasser gefüllt; öfters hält man zum Zwecke der
Desinfection auch Flaschen mit 5% roher Carbolsäure im Aborte
vorräthig; ich selbst bekam einen Officier zur Behandlung, welcher
irrthümlicher Weise eine Flasche Carbolsäure (anstatt Wasser) zur
Reinigung gebraucht hatte. Diese 5% Auflösung hatte keine weiteren
schädlichen Folgen als den augenblicklichen Schmerz. Solche
Verwechselungen sind natürlich leicht zu vermeiden. Ich hatte beim
Beziehen meines »Hauses« keine Wahl mehr über die Bauart meines
Abortes; der Bauplan des ganzen Hauses war ja schon lange vorher durch
die Regierung genehmigt. Ich will auch den technischen Theil nicht
besprechen, weil in der Bauhygiene von dem Capitän der Genie G. W.
F. de Vos Jeder diesbezüglich hinreichende Belehrung findet, der ein
Haus und einen Abort nach den Forderungen der Hygiene bauen will.
Dieses Buch ist aus dem Jahre 1892 und erwähnt darum noch nicht die
letzten Erfindungen auf diesem Gebiete. Wenn aber auch die Häuser keine
Wasserleitung haben, so liesse sich doch +ohne+ bedeutende Kosten
ein modernes Closet in jeder Privatwohnung anbringen, welches unbedingt
allen Anforderungen nicht nur der Hygiene und Zweckmässigkeit, sondern
auch der Aesthetik und Reinlichkeit entspricht. Diese wären jedoch nur
von den Europäern in Gebrauch zu nehmen; für den Eingeborenen ist das
Hocken eine solche Gewohnheit, dass er nie einen Abort gebraucht, bei
dem er sitzen muss. Es ist darum zweckmässig, für die eingeborenen
Bedienten den Abort nach »indischem« Modell einzurichten.[21]

Das Baden ist in Indien ein grösseres Bedürfniss als in Europa; durch
die höhere Temperatur ist eine grössere und intensivere Transpiration
bedingt, und es ist eine alltägliche Erscheinung, einen Kuli mit
nacktem Oberleib an der Arbeit zu sehen, während ihm der Schweiss in
fingerdicken Strömen herabfliesst; und doch ist die pigmentreiche Haut
weniger zum heftigen Schwitzen disponirt als die des blonden Europäers;
vielleicht ist es ein post und doch kein propter hoc, d. h. vielleicht
ist die Acclimatisation die Ursache, dass Eingeborene, halb europäische
und auch europäische Menschen, welche nach langer Anwesenheit unter
den Tropen einen dunklern Teint bekommen, weniger schwitzen, als die
Orang Baru, welche während des Anfangs ihrer indischen Laufbahn in so
heftiger Weise transpiriren, dass sie oft an den erschöpfenden Schweiss
der Phthisiker denken lassen; zur Regenzeit ist auch die Transpiration
intensiver als zur Trockenzeit, weil der niedrige Feuchtigkeitsgehalt
der Luft im Ostmonsun das Verdampfen der Flüssigkeit befördert. Der
Schweiss riecht intensiv sauer und zeigt auch eine saure Reaction, und
besonders bei Frauen zur Zeit der Menstruation; in der Regel ist die
Transpiration am stärksten in der Achselhöhle und am Bauche, wo die
Kleider eng anschliessen, obwohl Krause angiebt, dass die grösste
Menge von Schweissdrüsen sich an der Flachhand und Fusssohle befinden
(2236-2685 auf den ☐″). Hier färbt der Schweiss die Leibwäsche von
lichtgelben bis beinahe dunkelbraunen Flecken; wiederholt habe ich
Frauen unter Behandlung bekommen, welche glaubten, einen intensiven
Fluss aus der Vagina zu haben, weil sie braune Flecken in der Unterhose
hatten, und auch Männer, deren Gewissen nicht rein war, welche ähnliche
Flecken im Hemde hatten und an einer »leichten russischen Blenorrhoe«
zu leiden glaubten. Es war nichts anderes, als der Schweiss. Wie weit
der Inhalt der Talgdrüsen sich mit diesem vermengt hat, weiss ich
natürlich nicht; denn auch im Schweisse gesunder Menschen findet man
unter anderem Harnsäure, Harnstoff, ja selbst manchmal Indigo.

Thatsächlich besteht ein Vicariiren zwischen der Hauttranspiration und
dem Secerniren der Nieren. Auf meiner letzten Seereise bekamen wir bei
unserer Einfahrt in das Rothe Meer unerwartet eine niedrige Temperatur.
Auffallend war es, wie mit dem Zurücktreten der Schweissmenge eine
grössere Secretion der Nieren verbunden war; dasselbe geschieht, wenn
man in Indien selbst aus der Ebene ins Gebirge reist; je höher man
kommt, desto ergiebiger ist die Function der Nieren.

In Europa verliert man, nach Séguin, täglich durch die Haut 1/67 seines
Körpergewichtes; wie gross der Gewichtsverlust in Indien sei, ist mir
nicht bekannt, aber gross, sehr gross muss er sein, denn man muss ein-,
oft zweimal des Tages die Wäsche wechseln, und wenn man, wie z. B. der
Arzt, einen Beruf im Freien ausübt, selbst dreimal. Wie oft geschieht
es selbst, dass man in der Nacht aufstehen muss, um die wenige Wäsche,
welche man anhat, zu wechseln?!

Es bedarf also keiner weitern Motivirung, dass das tägliche Baden in
Indien einem dringenden Bedürfnisse entspreche; ja noch mehr, es ist
Regel, dass man zweimal des Tages badet, und manche Menschen thun
dieses selbst dreimal des Tages. Es ist aber ungesund, sofort nach dem
Verlassen des Bettes und vor Aufgang der Sonne sein Bad zu nehmen. Vor
Sonnenaufgang sollte man überhaupt das Zimmer nicht verlassen, weil die
nächtliche Luft von den Miasmen geschwängert wird. Nebstdem sind die
Poren der Haut durch das Schlafen hinter den Mosquitonetzen und durch
die reichliche Transpiration geöffnet, die Haut und die Leibwäsche
ist feucht und der plötzliche Uebergang in die kühle, mit Miasmen
geschwängerte Luft, vor dem Aufgang der Sonne, muss schädlich sein. Es
empfiehlt sich daher, die Nachtwäsche zu wechseln und den Aufgang der
Sonne abzuwarten, und erst unmittelbar vor dem Anlegen der Kleider sein
Bad zu nehmen. Die meisten Damen sind in dieser Hinsicht vorsichtiger
als die Männer; sie nehmen ihr erstes Bad erst nach Ablauf der grössten
häuslichen Arbeit, d. i. zwischen 10 und 11 Uhr, wenn das »Haus«
aufgeräumt ist und die weitere Arbeit der Köchin überlassen werden kann.

Das Bad selbst ist ein sogenanntes Schiffsbad (siram M), d. h. man
begiesst den Körper mit Wasser. Wannenbäder werden überhaupt nur von
einzelnen Kranken genommen; selbst in den grossen Spitälern badet
der grösste Theil der Patienten in dieser Weise oder gebraucht eine
Douche. Die Eingeborenen und die Chinesen nehmen gern ein Flussbad
oder erfrischen sich öfters des Tages unter einem Pantjoran (M). Das
sind kleine Bäche, welche mit einem Abzugrohr, gewöhnlich einem halben
Bambusrohr, versehen, das Wasser in einer Höhe von ungefähr 1 Meter
auf den Körper fallen lassen. Da diese Bäche gewöhnlich im Gebirge
vorkommen, so ist das Wasser zwar krystallhell, aber so kalt, dass ich
nur mit Schüttelfrost davon Gebrauch machen konnte. Ein Schiffsbad
in der Ebene z. B. hat 25-27° C.; die Pantjoran in Sindanglaya (im
Gebirge der Preangerregentschaft), welches beinahe 1100 Meter über dem
Meere liegt, hatte ein so kaltes Wasser, dass ich keinen Augenblick
unter dem Sturzbad verweilen konnte, obzwar im Bassin selbst der
Aufenthalt geradezu erquickend war. Auch in Salatiga befindet sich
ein solches Bad, welches durch sein helles, frisches Bergwasser zu
den besten indifferenten Bädern gehört, welches dem durch die Wärme
der Ebene erschöpften Organismus neue Energie und neue Lebenslust
giebt. Salatiga und Sindanglaya sind auf Java bekannte Luftkurorte,
wo Malaria- und Leberkranke in der Reconvalescenz Kräftigung des
Organismus suchen. Leider tragen die meisten Menschen keine Rechnung
mit der Temperaturdifferenz und gebrauchen dieselbe Haustoilette als
in der warmen Ebene. Erkältungen sind also sehr häufig und zwar die
des Darmes, so dass die armen Patienten durch die Diarrhoe gezwungen
werden, das »Bergklima« zu verlassen.

Auch mein »Haus« hatte ein Badezimmer, in welchem ein gemeisseltes 3
Cbm. grosses Wassergefäss sich befand; der Flur war mit Cement bedeckt;
ein Kleiderrechen war das einzige Möbelstück. Ich liess also noch
einen Spiegel aufhängen, liess auf den Boden hölzernes Rost auflegen,
weil man auf dem nassen Cementboden leicht ausgleiten kann, den
Filtrirstein mit grossem Topf hineinstellen und aus Zinnblech einen
Schöpfer machen, mit welchem ich mich siram konnte. Das Wasser erhielt
ich aus einer Rinne, welche das Regenwasser auffing, oder aber aus dem
Ziehbrunnen, welcher hinter dem Hause stand.

       *       *       *       *       *

Auf Seite 18 sprach ich von dem Antassan Lotongtor, als von
einem historischen Orte, weil sich dort die traurigen Reste des
Kriegsschiffes »Onrust« befänden. Im Jahre 1877 war noch nicht
einmal im October die Regenzeit eingetreten; der Ostmonsun war so
ausgesprochen trocken gewesen, dass der grosse Strom Dusson im oberen
Laufe nicht nur für Dampfer, sondern selbst für Schleppkähne nicht mehr
befahrbar war. Wir bekamen Nachricht, dass bei Lotongtor das Wrack des
»Onrust« zu sehen sei; in zwei kleinen Kähnen gingen ich, Lieutenant X.
und der Bezirkshäuptling Dakop dahin, um es zu besichtigen. Der Kessel
stand mehr als ½ Meter über der Wasserfläche, und wir beide mussten
mit den schärfsten Worten den Indifferentismus der holländischen
Regierung verurtheilen, welche es nicht der Mühe werth gefunden hat,
und zwar in 18!! Jahren Zeit, das Wrack beseitigen zu lassen. Eine
traurige Siegestrophäe der Dajaker, welche selbst ihre Enkel zu neuer
Heldenthat und zu neuem Morden anfeuern musste! Dakop tauchte in das
Wasser und fand noch eine goldene Uhr und ein Medicinfläschchen im
Wracke; erstere wurde nach Bandjermasing gesendet, während ich das
Medicinfläschchen dem Sanitätschef der Kriegsmarine zukommen liess.
Wie es doch möglich sei, dass ein europäisches Kriegsschiff mit
Mann und Maus von wilden Dajakern ausgemordet werden könne, wird so
mancher fragen. Der antimilitärische Geist der Holländer war an diesem
schaurigen Drama ebenso schuld, wie 23 Jahre später, als auf Sumatras
Nordküste nach den siegreichen Feldzügen des Generals Karl van der
Heyden dieser das Obercommando in die Hände des Civilbeamten Pruys van
der Hoeven legen musste und die Atschinesen sofort wieder zum Angriffe
übergingen. Wie ein rother Faden zieht sich durch die ganze Geschichte
Indiens die Ungeduld der holländischen Regierung, das kaum unterworfene
oder eroberte feindliche Land, und wäre es nur für eine kurze Zeit, in
den Händen des zielbewussten, kräftigen Militär-Commandos zu lassen.
Kaum hat sich ein Feind de facto oder nur zum Schein unterworfen,
erscheint der Regierungs-Commissar, der Resident oder wie er sonst
heissen möge, und die militärische Macht wird zum Polizeidienst
degradirt.

Ich kann nicht umhin, den Verlauf dieses Dramas zu erzählen, wie er mir
von den Epigonen der Dajakschen Helden mitgetheilt wurde.

Im Jahre 1857 war Sultan Adam gestorben und hatte seinen Sohn Prabu
Anam[22] vorher auf Drängen seiner Frau Njaih Ratu Komala Sari
zum Thronfolger ernannt, obzwar die holländische Regierung ihren
gerechtfertigten Einwand dagegen erhoben hatte. Er wurde seines Thrones
verlustig erklärt und Tamdschit Illah, ein Enkel des Sultans Adam,
zum Sultan des Bandjermasingschen Reiches ernannt, obwohl er von
mütterlicher Seite nicht von fürstlicher Abstammung war; nebstdem war
sein Stiefbruder Hidajat, der dieses Vorrechtes sich erfreuen konnte,
zum Reichsverweser ernannt worden, ohne durch seine Geistesgaben auch
nur im Entferntesten dazu geschickt zu sein. Allgemeine Unzufriedenheit
herrschte hierauf im ganzen Südosten Borneos, welche natürlich
von Hidajat im Geheimen genährt wurde. Der damalige Resident von
Bandjermasing, Graf von Bentheim Tecklenburg, wusste so wenig von
dem drohenden Unwetter, dass er 1859 auf eine diesbezügliche Anfrage
von Batavia mit dem Dampfer Ardjuno das Bulletin dahin schickte:
»Politische Zustände günstig.« Der Landes-Commandant jedoch sandte
Ende März einen genauen Bericht über die Gährung im Reiche, und den
29. April kam der Oberst Andresen mit 300 Mann in Bandjermasing an, um
das militärische und civile Commando auf sich zu nehmen. Unterdessen
hatte der Aufstand, welcher zu Gunsten der Thronfolge des Hidajat
unternommen war, fürchterliche Ausbreitung gewonnen; in Pengaron wurde
der Ingenieur der Kohlenminen ermordet, im Süden von Martapura fielen
alle Europäer, 21 an der Zahl, zum Opfer; am Kapuasflusse erlitt ein
Missionar mit seiner Frau dasselbe traurige Schicksal u. s. w. Endlich
wurden die Truppen Herr des Aufstandes; beide Kronprätendenten, Hidajat
und Illah, wurden nach Java verbannt und das Reich am 14. December
1859 direct der holländischen Colonie einverleibt. Jetzt war es
natürlich die höchste Zeit, die Weisheit des Residenten N.. leuchten zu
lassen und das »militärische« Element sofort zu beseitigen. Resident
Nieuwenhuizen trat an die Spitze der Regierung, und Major Verspyk wurde
»+nur+« der militärische Commandant von der südöstlichen Hälfte
von Bandjermasing.

Der Krieg war jedoch nur mit den malayischen Fürsten beendigt. Die
Dajaker der Dusson ilir und ulu, welche diese zur Theilnahme an dem
Aufstand gegen die Holländer überredet hatten, legten ihre Waffen
nicht nieder. Sie fürchteten, unter dem holländischen Scepter ebenso
ausgesogen zu werden als unter dem malayischen Tyrannen; nebstdem
hatten sie »Blut gekostet«. Zahlreiche Köpfe von angesehenen Europäern
zierten ihre Wohnungen. Verlieren konnten sie nicht viel, weil sie
keinen Handel trieben, keine Magazine hatten, keine Fabriken, welche
leer stehen blieben; sie konnten nur gewinnen, wenn sie den Raubkrieg
fortsetzten. Der Herr Bangkert, welcher in Marabahan Assistent-Resident
war, sah in den einzelnen Truppen der Dajaker, welche bei Amuntai,
Barabei, Buntok und längs des Martapuraflusses schwärmten, nur noch
»einzelne böswillige Marodeure«, und versicherte gegenüber dem
Residenten Nieuwenhuizen, dass es ihm ein Leichtes sei, den dajakschen
Häuptling Suropatti wieder zur Unterwerfung zu bringen, weil er mit ihm
vor 7 Jahren ewige Freundschaft beschworen habe.

Induamban jedoch, die Tochter eines Häuptlings der Dusson ulu, hatte
ewige Feindschaft den verhassten Blanken geschworen; der Krieg
dauerte schon beinahe ein Jahr und noch kein einziger europäischer
Schädel wurde ihr angeboten, ihr, der Tochter des Gusti Leman, des
angesehensten Häuptlings im Gefolge Suropattis. Nur den Kopf einer
malayischen »Soldatenfrau« und eines javanischen Soldaten hatte
ihr Freier ihr zu Füssen gelegt; sie müsse jedoch auch den eines
holländischen Officiers bekommen. Sie zog von Lager zu Lager, nur
bekleidet mit dem Saloi und der Glasperlenschnur um den Knöchel des
rechten Fusses. Ihr rabenschwarzes, glänzendes Haar liess sie frei
über die Schultern flattern, und wenn Abends die Männer halb trunken
vom Tuwak vor dem Lager Wache hielten, erschien sie mit glühenden
Augen, fasste krampfhaft ihre Brüste und hob ihren rechten Fuss
gegen die Schildwacht mit den Worten: »Dies für einen holländischen
Officier.« Sie erzählte auch, dass sie schon siebenmal den Flug des
Antang (Falken) beschworen habe, und jedesmal sei er gegenüber den
rechten Pfeilen erschienen, dass die Töchter der Sonne (Mahatara)
ihr Vornehmen guthiessen, dass sie vor Sonnenuntergang zum Bigal
(Flussraub) und nicht zur Kajau (Kopfjagd durch Lauern im Walde)
ausziehen müssten, dass, sie wisse es aus guter Quelle, ein Feuerschiff
Suropatti werde abholen, dass alle Officiere und Bangkert in ihre
Hände fallen werden, und dass auch sie, ihre Freunde, welche jetzt im
Lager zu Amuntai versammelt, an diesem Bigal theilnehmen könnten, und
dass sie dem Bringer des Kopfes des ersten Officiers nicht nur für
immer angehören wolle, sondern dass sie den Kopf in Stücke schneiden
und jedem ihrer Freunde ein Stück schenken wolle. Sie wisse dies
sicher, denn ein Sanggian habe ihr (im Traume) ein viereckiges, gelbes
glänzendes Steinchen gezeigt, welches hinter dem Opferstock des letzten
Todtenfestes liegen sollte. Kaum war dieses am achten Tage beendet,
wartete sie den Sonnenuntergang ab, und als Alle sich in den Kampong
zurückgezogen hatten, um mit den Bliams und Bassirs zu ....., da sei
sie hinter den Opferstock gegangen und fand diesen gelb glänzenden
Stein. Dabei zog sie wild die Brüste auseinander, zwischen welchen,
auf einem dünnen Rottangschnürchen befestigt, ein gelbes Steinchen zum
Vorschein kam.

Kaum mehr denn eine Nacht blieb sie in demselben Lager; am Ufer des
Teweh war sie heute, morgen zog sie nach den Ufern des Montalat, an
den Ufern des Kapuas und Kahajan theilte sie die freudige Botschaft
mit, anfangs December den Kopf eines hohen Officiers in Händen zu
haben. In ihrem kleinen Canoe übersetzte sie den Baritu und hatte
nebst ihrem Saloi nur noch den Tudong (Fig. 2), einen grossen
Strohhut in der Form einer Futterschwinge, welche ihr Vater bei einem
Becompeyer erbeutet hatte, um endlich wieder an der Mündung des Teweh
die Nachricht abzuwarten, ob und wann Suropatti zur Unterredung mit
Bangkert eintreffen werde. Anfang December kam ein Bote von Suropatti,
welcher mittheilte, dass nach der dritten Einladung des Herrn Bangkert
der Fürst beschlossen habe, bei Teweh eine Conferenz zu halten, und
zwar sollte dieses den 10. December geschehen. »Illa-la-hap« stiess
Induamban beim Hören dieses Berichtes aus, nahm zwei Ruderer auf, um
in Eilmärschen die Orang Tabayan, O. Anga, O. Njamet und selbst an der
Quelle des Teweh die O. Bonoi aufzusuchen und sie sofort zur Reise nach
der Mündung des Teweh zu veranlassen, während zwei ihrer Liebhaber
stromabwärts bis Buntok zogen, um alle Dajaker am 10. December, Alt und
Jung, Mann und Frau, zwischen dem Teweh und Montalat in den Atassans
sich verbergen zu lassen. Thatsächlich erschien den 9. December Abends
das Kriegsschiff »Onrust«[23] vor der Mündung des Montalat; die
Anker wurden fallen gelassen, und mit gezücktem Säbel betraten die
Schildwachen das Deck. Die Officiere und der Assistentresident Bangkert
gingen um 6½ Uhr zur Abendtafel, ohne auch nur zu ahnen, dass sie
von Hunderten und Hunderten lüsterner Augen belauscht wurden. Suropatti
war noch nicht erschienen, und so beschloss Bangkert, den folgenden
Morgen ihm bis Teweh entgegenzufahren. Induamban und die Hunderte
Dajaker folgten lautlos dem Schiffe, welches wegen der zahlreichen
Krümmungen und der Sandbänke nur langsam fahren konnte. 12 Uhr schlug
es, und noch Niemand war zu sehen. Nach Tisch zog sich Bangkert aus
und ging sein Nachmittagsschläfchen thun, als um 2½ Uhr der laute
Werdaruf der Deckwacht ihn aus seinem ersten Schlaf unsanft riss.
Ohne weitere Kleidung anzulegen, also nur mit einem Sarong bekleidet,
eilte er auf das Deck und sah drei grosse Kähne mit der holländischen
Flagge dem Schiffe sich nähern. +Einer davon trug jedoch die Flagge
umgekehrt.+[24] »Suropatti kommt also sich unterwerfen,« rief
er dem Schiffscapitän frohlockend und jubelnd zu, welcher bei dem
Werdarufe der Schildwache schnell die Uniform anzog, um beim Empfang
des Fürsten gegenwärtig zu sein. Als er jedoch den Herrn Bangkert nur
im Sarong gekleidet sah, zog er sich in seine Cajüte zurück, um sich
seiner überflüssigen Epauletten zu entledigen. Unterdessen hatte das
Schiff gestoppt, den Anker und die Falltreppe fallen lassen, und mit
lautem Tabéh Tuwan,[25] Tabéh Tuwan hatten sich Suropatti, Bangkert und
der Commandant begrüsst. Auf dem Decke stand ein Tisch, auf welchem
Bangkert und Suropatti sich niedersetzten, das Gefolge setzte sich
auf den Boden nieder, und bei einem Gläschen Genevre begannen die
Unterhandlungen.

Zu dem Gefolge, welches abwechselnd auf dem Decke sass oder hockte
(Djongkok), gehörten auch der Vater (?) und der Geliebte Induambans.
Von den Verhandlungen der beiden Männer verstand das Gefolge nur
einzelne Worte, weil sie in der malayischen Sprache geführt wurden;
als aber ein Mandur mit Säcken Ringgis = ryksdaalders = 2 fl. 50 auf
dem Decke erschien, wurde es ihnen deutlich, dass Suropatti sich
unterwerfen würde, und als der Vater Induambans spöttisch den Geliebten
seiner Tochter frug, ob er noch den Saloi hätte, welchen sie ihm als
Gegengeschenk seiner Liebeswerbung gegeben hatte, sprang dieser mit
einem durchdringenden Schrei auf die Füsse, zog seinen Mandau und
fasste den Schiffsarzt, welcher in diesem Augenblick auf Deck erschien,
bei den Haaren und schlug ihm den Kopf ab; zu gleicher Zeit erschienen
von dem gegenüberliegenden Antassan zahlreiche Djukungs, aus welchen
die Dajaker wie Katzen das Schiff erkletterten, in ihrer Mitte mit
gezogenem Mandau Induamban, Suropatti erfasste den Kopf Bangkerts,
und ebenso schnell flog die Bande der Dajaker in das Zwischendeck, um
Alles zu ermorden. Während Induamban mit dem Kopfe des Schiffscapitäns
in der hocherhobenen Hand bigal, bigal rief, stürzte sich ein
javanischer Bedienter ins Wasser und entkam als Einziger dem traurigen
Blutbade. 44 europäische, 11 eingeborene Matrosen, 6 Officiere und der
Assistenz-Resident Bangkert waren in wenigen Minuten den Mördern zum
Opfer gefallen. Im Februar 1860 zog eine Expedition nach Lotongtor, um
die Dajaker dafür zu züchtigen. Wieder wusste Niemand, was die Dajaker
mit dem ausgemordeten Schiffe gethan hatten. Sie wussten nicht, dass
die Kanonen mit dem Pulvervorrath von den Dajakern ans Ufer gebracht
wurden und in Lahey, ungefähr zwei Stunden oberhalb Muarah Teweh,
zur Batterie aufgepflanzt wurden. Als die Kriegsschiffe an Lahey
vorbeifahren, bekam das erste Schiff einen Schuss aufs Deck, ohne dass
es glücklicher Weise kampfesunfähig wurde; sofort wurden die Matrosen
ausgeschifft und nahmen im Sturm die Festung und sahen zu ihrer
Ueberraschung nicht nur die Kanonen und Munition von dem »Onrust«,
sondern auch die grossen eisernen Querbalken, welche die zwei grossen
Schaufelräder des Schiffes verbanden.



7. Capitel.

  Acclimatisation -- Sport in Indien -- Sonnenstich -- Prophylaxis
  gegen Sonnenstich -- Alcoholica -- Bier -- Schwarzer Hund --
  Mortalität beim Militär im Gebirge und in der Ebene -- Klima --
  Statistik -- Erröthen der Eingeborenen -- Geringschätzung der
  „Indischen“ -- Fluor albus, Menstruation -- Gesundheitslappen --
  Erziehung der Mädchen -- Indische Venus -- Indischer Don Juan.


Die Frage der Acclimatisation hat schon viel Tinte und Papier gekostet,
und doch ist dieses Thema noch nicht erschöpfend behandelt, obzwar
selbst Virchow schon vor 30 Jahren zu dieser Frage Stellung genommen
hat. Die thierische Zelle besitzt im Allgemeinen eine ungeheure
Fähigkeit, sich in die extremen Verhältnisse zu schicken. Momentan
sind zwei Aerzte auf Java, welche kurz vor ihrer Abreise nach Indien
eine Nordpolexpedition mitgemacht haben. Derselbe Maschinist, welcher
im Schiffsraume bei dem Ofen steht, verträgt fünf Minuten später den
Aufenthalt auf dem Decke, obschon er vielleicht eine Temperatur unter
Null dort findet. Pictet und Young (Comptes rendus Bd. 98 S. 747) sahen
Bacterien, welche −70° 108 Stunden und −130° 20 Stunden aushielten,
während wiederum ±100° Wärme nöthig ist, um sie sicher zu tödten.
Aber auch der menschliche Geist erfreut sich einer Elasticität, die
oft unglaublich ist. Wie viel tausend und tausende Menschen führen
Jahre lang ein Leben voll Schmerz, Verdruss und Elend, ohne ein
Opfer des geistigen Todes zu werden. Also muss gesagt werden: Die
Acclimatisation ist im Allgemeinen für Jedermann möglich. Wie aber
der Maschinist während des Aufenthaltes beim Ofen stark transpirirt
und beim Aufenthalt auf dem Deck durch die Kälte leidet, so ist auch
für Jedermann die Acclimatisation mit gewissen Beschwerden verbunden.
Um aber bei demselben Beispiel zu bleiben: gerade wie der Maschinist
vom Ofen weg nicht +sofort+ und in +derselben Toilette+
aufs Deck gehen wird, ebenso ist es für Jedermann nöthig, den
Acclimatisationsprocess mit Vorsicht und entsprechend den Lehren der
Hygiene zu leiten und unterstützen, d. h. mit andern Worten, der Mensch
muss den neuen Verhältnissen entsprechend seine Lebensweise einrichten
und zwar entsprechend seiner Constitution und seinen Gewohnheiten.[26]

Bekannt ist es, dass vor ungefähr 23 Jahren zwei englische
Naturforscher nach Afrika gingen und dort ein eigenthümliches
Leben führten; der Eine nahm sofort das ganze Thun und Lassen der
Eingeborenen an, so dass er selbst dieselben, d. h. +keine+
Kleider gebrauchte. Der Andere jedoch behielt soweit seine
heimathlichen Gewohnheiten, dass er Abends im Frack zu Tische ging.
Der Erstere stützt sich auf die allgemein geäusserte Regel, dass
man sich überall in die Sitten und Gebräuche des Landes fügen und
schicken müsse. Das ist richtig, aber damit ist noch nicht gesagt, sie
kritiklos anzunehmen. Der Erstere hat geradezu unrichtig gehandelt,
weil seine Constitution eben eine andere war als die der Eingeborenen;
denn, um nur ein Symptom von tausend anderen hervorzuheben, bei einer
Temperatur von 37° C. wird der Eingeborene ohne anstrengende Arbeit
nicht transpiriren, während der Europäer in Schweiss gebadet sein wird;
kommt nun, sagen wir, ein leises Zephyrwehen, so wird der Eingeborene
es nicht fühlen, der Europäer jedoch frösteln und vielleicht eine
Erkältung von grösserer oder kleinerer Intensität bekommen.

Aber auch der zweite Naturforscher beging eine hygienische Sünde, weil
er mit den veränderten klimatischen Verhältnissen nicht rechnete.
Dieses ist ja die wichtigste Bedingung, die Acclimatisation ohne
bedeutenden Schaden für Körper und Seele zu ermöglichen. Dazu gehört
aber auch Zeit, und mit Recht spricht der Volksmund von einem Pikol
(= 125 Pfd. = 62½ Kilo) Reis, den man gegessen haben muss, um
nicht mehr zu den Orang-Baru (= Neulingen) gerechnet zu werden. Ein
Pikol hat 100 Kattie; der Eingeborene isst täglich 1 Kattie Reis,
und der Europäer aus besserem Stande, weil er zum Reis noch vieles
andere isst, ½ Kattie; der Volksmund fordert also zur vollständigen
Acclimatisation 6 Monate Zeit.

Das ist ein Zeitraum, welcher gewiss hinreichend ist, um in die
Verhältnisse des Tropenlebens sich einbürgern zu können.

Als ich zum ersten Male nach Singapore kam und dort die englischen
Herren und Damen Nachmittags im offenen Wagen herumfahren und Lawn
tennis spielen sah, war mir diese Lebensweise unverständlich, weil
in Holländisch-Indien Jedermann, dem die Geschäfte dies erlauben, um
diese Zeit sein Mittagschläfchen hält, zu diesem Zwecke die Haus-
oder Nachttoilette anzieht und darnach ein Bad nimmt, und erst kurz
vor Sonnenuntergang spazieren geht. Seitdem sind 16 Jahre verflossen,
und die Erfahrung hat meine Ansichten darüber radical verändert Ich
bin nämlich zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Bewegung in der
freien Luft auch in Indien nicht nur +nicht schädlich+, sondern
sogar »gesund« sei. Die Pflanzer sind die gesündesten Menschen auf
Java und erreichen das höchste Alter; die Beamten, Handelsleute und
jene Officiere, welche ihr Leben nur im Bureau zubringen, sind in der
Regel sehr anämisch, haben eine grosse Leber oder Hämorrhoiden oder
beides, und sind oft nichts anderes als Treibhauspflanzen, welche
bei jedem Windzug sich unwohl fühlen. Ich selbst befand mich am
wohlsten zur Zeit, als ich sogenannten Garnisonsdienst hatte, d. h.
den ganzen Vormittag von 6 Uhr ab von Caserne zu Caserne und von Haus
zu Haus gehen musste. Viele Menschen fürchten den Spaziergang oder
die Arbeit in der freien Luft oder unter den »versengenden Strahlen
der Tropensonne« wegen des etwaigen Sonnenstiches und -Fiebers.
Die »versengenden Sonnenstrahlen« verbrennen aber die Plasmodien,
verhindern also das Entstehen von Fieber und sind der grösste Feind der
Miasmen der Sümpfe. Aber auch die Gefahr von Sonnenstich ist nicht so
gross als allgemein angenommen wird. Wie viel tausende und tausende von
Kuli arbeiten auf dem Felde, nur mit einem Strohhut auf dem Kopfe und
einer kurzen Hose auf dem Leibe, ohne einen Sonnenstich zu bekommen?
Die meisten und besten Militärhygieniker wissen, dass zur Entstehung
des Sonnenstiches eine Menge von Factoren zusammen wirken müssen,
und geben darum zahlreiche prophylaktische Maassregeln an, welche
sich bewährt haben. Schon Robertson Jackson behauptete mit Recht,
dass Menschen im heissen Klima ebenso viel arbeiten können, als im
gemässigten, womit meine Erfahrung gänzlich übereinstimmt.

Ich habe den Jahresausweis des Sanitätschefs der indischen Armee von
1895 vor mir, und zufolge diesem waren nur vier Soldaten in diesem
Jahre am Sonnenstich erkrankt, wovon einer starb; ich habe im Jahre
1887 eine Expedition auf Atjeh mitgemacht, bei welcher ich am 5.
April um 4 Uhr ausrücken musste und um 1 Uhr nachmittags nach Hause
kam, ohne nur einen Mann verloren zu haben, obwohl der ganze Weg über
einen baumlosen Wall sich zog; im Jahre 1895 machte ich in Java die
grossen Manöver mit, wobei wir von 6 Uhr Morgens bis 3 Uhr Nachmittags
manövrirten, und nur 9 Mann waren ausgefallen wegen Retentio urinae,
Diarrhoe u. s. w., aber keiner darunter litt an Sonnenstich. Die
prophylaktischen Maassregeln, welche genommen wurden, waren folgende:
Sofort hinter der Stadt öffneten sich die Reihen, so dass die Soldaten
nicht in geschlossenen Gliedern marschirten, sondern frei und
ungezwungen sich bewegen konnten. Die Halscravate und Röcke wurden
geöffnet, so dass die Circulation des Blutes am Halse nicht behindert
wurde; die Soldaten hatten in ihren Feldflaschen Thee mitgenommen,
und vor dem Ausrücken wurde Sorge getragen, dass kein Schnaps dafür
eingetauscht wurde. Die Temperatur unter dem Helmhute ist auch nicht
bedeutend grösser gewesen, als die Aussenluft, weil für Ventilation des
Hutes gesorgt war. Bei jedem Rasten konnte die Mannschaft Thee oder
Wasser nach Belieben trinken. Die lockere Marschordnung verhinderte,
dass »durch das Zusammendrängen vieler Menschen die Wärmeabgabe
beschränkt wird, weil dadurch die natürliche Luftbewegung gestört und
eine Art von Stagnation einer warmen und feuchten Atmosphäre in der
Umgebung der einzelnen Körper begünstigt wird« (Roth und Lex 3. Band
S. 407) und eine Anhäufung von Kohlensäure stattfindet. Die häufigsten
Hitzschläge kommen ja vor in geschlossenen, schlecht ventilirten
Räumen, wo die Luft von der ausgeathmeten Kohlensäure der übergrossen
Menschenmenge vergiftet wird.

Niemand braucht sich also zu fürchten, bei Beobachtung einzelner
hygienischer Maassregeln in den Tropen einer mässigen Bewegung sich
zu befleissigen, seinen Geschäften nachzugehen, und so weit er es in
Europa gewöhnt war, dem Sporte zu huldigen, durch welchen er seine
Muskelkraft in Uebung erhält, seine Widerstandskraft gegen schädliche
Einflüsse erhöht und sein Selbstvertrauen stärkt.

Was das Essen betrifft, muss ich den europäischen Neuling aufmerksam
machen, dass die starken Gewürze für ihn überflüssig, ja selbst
schädlich sind. Wenn er einen guten Appetit hat, so producirt sein
Magen eine hinreichende Menge des sauren Saftes und braucht also zu
erhöhter Secretion nicht angeregt zu werden. Stellt sich zeitweilig
Appetitmangel ein, dann ist es noch immer Zeit genug, zum Lombok
u. s. w. zu greifen. Er wird also auch nicht so leicht in den Fehler
verfallen, +zu viel+ zu essen, das, wie wir Seite 67 sahen, eine
reichliche Quelle zum Entstehen von Magen-, Leber- und Darmkrankheiten
giebt.

Auch der Alcohol stumpft die Acidität des Magensaftes ab, und darum ist
es rathsam, aller Alcoholica sich zu enthalten. Kleine Mengen von Wein
werden ihm jedoch nicht schaden, weil, um ein Beispiel anzuführen, ¼
Liter Wein ungefähr nur 20 Gramm Alcohol enthält, +der übrigens durch
die freie Säure theilweise neutralisirt wird+, während +ein+
Gläschen Cognac oder Rum bei einem Alcoholgehalte von 56-77% (Volumen)
schon 36-40 Gramm Alcohol repräsentirt. Wenn ich den Alcohol als
Genussmittel anerkenne, das entbehrlich ist und selbst schädlich werden
kann (durch zu grosse Mengen), so muss ich noch mehr das Bier als
unbedingt schädlich für den Gebrauch in den Tropen zurückweisen, weil
es Fett ansetzt und zur Vergrösserung der Leber und zur Retention der
Galle Anlass giebt. Nur für ärztliche Zwecke, wie z. B. für milcharme
Wöchnerinnen, darf es in den Tropen getrunken werden.

Das Trinkwasser entspreche den auf Seite 21 angedeuteten Anforderungen.

Die Kleidung muss sich immer den zeitlichen Temperaturverhältnissen
anpassen. Niemals gebrauche man die weissen Kleider ohne Leibwäsche;
es ist gewiss kein ästhetischer Anblick, einen Menschen vor sich zu
sehen, dessen Transpiration mit den bekannten Zeichnungen rings um die
Schulter, am Rücken und eventuell an anderer Stelle des Körpers markirt
zu sehen; aber auch sehr »ungesund« ist es, ohne Flanellhemd (mit
oder ohne Aermel, je nach Gewohnheit) sich Erkältungen auszusetzen.
Am meisten wird vergessen, der niedrigen Temperatur im Gebirge und
auch in der Ebene in den frühen Morgenstunden während der trockenen
Zeit Rechnung zu tragen; selbst in Samarang, also an der Küste (Javas)
beobachtete ich manchmal des Morgens um 6 Uhr 16° C. Es war eine
angenehm erfrischende kühle Temperatur, und doch muss ich es Jedermann
anrathen, in solchen Fällen niemals das Schlafzimmer zu verlassen, ohne
unter der Nachttoilette auch Strümpfe und Leibwäsche anzulegen; wenn
um 7½ oder 8 Uhr die Luft wärmer geworden ist, kann ja von dieser
Vorsichtsmaassregel Abstand genommen werden.

Das Baden wurde ebenfalls schon besprochen und zwar Seite 122.

Junge Männer, welche nach Indien gehen, um einen Beruf auszuüben,
also dauernd oder für viele Jahre dort zu weilen, mögen sobald als
möglich heirathen; das Surrogat der Ehe, d. h. mit einer Haushälterin
zu leben, hat in den letzten Jahren glücklicher Weise stark abgenommen,
aber es besteht noch, und ist dieses auch ein nothwendiges Uebel,
so kann gegenwärtig dem leicht abgeholfen werden. Wenn ich auch
den moralischen Standpunkt nicht verleugnen will, weil die Ehe die
Basis des gesellschaftlichen Lebens ist, so will ich dennoch mehr
die praktische[27] als die sittliche Seite dieser Frage besprechen.
Das Concubinat mit einer eingeborenen, oder chinesischen, oder
halbeuropäischen Frau demoralisirt die Männer. Wieso dieser Process in
Holländisch-Indien zu dem Namen »schwarzer Hund« kam, ist mir nicht
bekannt; sollte der »rothe Hund« (Vide Seite 10) eine Beschwerde des
Körpers und der »schwarze Hund« die der Seele bedeuten? Die Männer
werden durch diese Frauen oft so demoralisirt, dass, wie ich es
wiederholt sah, sie in ihrem ganzen Denken und Fühlen auf das Niveau
eines rohen, ungebildeten Eingeborenen kamen! Nebstdem besitzen
diese Frauen eine aussergewöhnlich hohe Kunst, ihre »Männer« unter
den Pantoffel zu bekommen. Jede europäische Frau kann diesbezüglich
noch vieles, sehr vieles von einer »Njaih« lernen. Zur Illustration
dieser Behauptung will ich nur zwei Fälle aus meiner Erfahrung
mittheilen. Lieutenant A. wohnte in einem Fort; seine Wohnung hatte
nur eine Aussicht und zwar auf den Fluss. Er durfte niemals bei der
Palissade stehen, weil auf dem Flusse das Badehaus und der Abort der
Soldaten sich befand. »Es schicke sich nicht, dass der Lieutenant
die Soldatenfrauen dahin gehen sehe,« behauptete seine chinesische
Haushälterin, und dieser Pantoffelheld hat 1½ Jahr lang in seiner
Wohnung nur die vier kahlen Wände aus Bambus gesehen!

In B. war Ball bei dem Resident. In der vorderen Veranda des
Residentenhauses tanzten die Officiere und Beamten, während vor
derselben die Bedienten dem bunten Treiben zusahen. Unter diesen befand
sich so manche Haushälterin, deren Herz in Eifersucht oder in Furcht
leidenschaftliche Gluth ins Gesicht jagte. Das Auge der Eifersucht
sieht scharf. Die Haushälterin des Lieutenant X. ertrug den Anblick
nicht mehr, dass ihr »Mann« die Taille seiner Tänzerin umfasste und
mit liebevollen Blicken ihre schön geformte Büste betrachtete; sie
eilte nach Hause und kehrte sofort zurück; aber nicht allein; hinter
ihr folgte der Bediente mit einem Topfe, der aber nicht leer war.
Der Bediente wurde in den Tanzsaal geschickt, um den Lieutenant
X. herauszurufen. Er kam und bekam den Inhalt des Topfes auf sein
schuldiges Haupt. Auch in Europa schwingen die Frauen manchmal (?) den
Pantoffel, der, mit Sammt bekleidet, oft genug ein heilsamer Sporn
für einen energielosen, denkfaulen Mann ist; so sehen wir auch in
Indien, dass die besten Soldaten jene sind, welche »eine Haushälterin«
haben. Im Allgemeinen aber ist der Pantoffel, den eine eingeborene
Haushälterin über ihrem »Mann« (lakki M) schwingt, nicht mit Sammt und
Seide gefüttert; es ist ein hölzerner Pantoffel, der mitunter selbst
mit grossen Nägeln beschlagen ist.

Zur leichten Acclimatisation Maass im Geschlechts-Genusse zu empfehlen,
ist selbstverständlich; aber die Gluth der Tropensonne, die Monotonie
des täglichen Lebens, die reichliche Gelegenheit, welche Diebe schafft,
und das üppige Leben lassen Bacchus mit Venus nicht nur unter den
Dajakern, wie wir sahen, sondern auch unter den Europäern einen festen
Bund schliessen.

Ich muss es wiederholen, ein verständiges Leben, welches den
Anforderungen der Hygiene entspricht, ermöglicht eine leichte und
ungefährliche Acclimatisation und eine nicht viel kleinere Lebensdauer
in Indien als in Europa. Im Jahre 1895 starben von 17216 europäischen
Soldaten 261 Mann, das ist 1·51%.

Im Jahre 1894 starben, wie Stabsarzt Mydracz mittheilt, in der Schweiz
0·2, Deutschland (ohne Bayern) 0·2, Holland 0·29, Oesterreich 0·36,
Nordamerika 0·54, Russland 0·55, Spanien 0·82 und in England 0·84 pro
Mille der Kopfstärke. Das ist also ein grosser Unterschied in der
Mortalität zwischen den indischen und diesen europäischen Armeen. Diese
1·5% Mortalität verliert aber viel von ihrem Schrecken, wenn man die
Verhältnisse berücksichtigt. Im Jahre 1895 erlagen ja viele den Wunden
und Erkrankungen vom Kriegsschauplatze Atjeh und Lombok. Aber auch der
Unterschied zwischen einer Armee, welche aus Freiwilligen besteht,
und einer solchen, welche allgemeine Dienstpflicht hat, macht sich
diesbezüglich geltend. Die Assentirung ist nämlich bei Freiwilligen
mit grösseren Schwierigkeiten verbunden, als bei jenen, welche der
allgemeinen Dienstpflicht unterstehen. Diese simuliren, um von dem
Militärdienst befreit zu werden; jene jedoch dissimuliren, um wegen
des hohen Handgeldes angenommen zu werden. (Ich sass drei Jahre in
der Superarbitrirungs-Commission und habe also nach beiden Richtungen
hinreichende Erfahrungen.) Wenn der freiwillige Soldat sein Handgeld
verprasst hat, dann gefällt ihm oft das militärische Leben nicht mehr;
er beginnt also Krankheiten zu simuliren, während er vielleicht bei
der Aufnahme diese oder jene Krankheit dissimulirt hat.

Die Sterblichkeit ist gegenwärtig also unter dem Einfluss der
verbesserten Hygiene und dem verminderten Missbrauch des Alcohols nicht
viel grösser als in Europa, aber auch bedeutend kleiner als in früheren
Jahren. Im Jahre 1828 starben (nach van der Burg) von 1000 europäischen
Soldaten 294!! und im Jahre 1895 (nach dem officiellen Jahresausweis)
15!!

Eine zweite Frage drängt sich Jedermann auf, welche ebenfalls durch den
statistischen Ausweis beantwortet werden +könnte+ und zwar, ob
im Allgemeinen die im Gebirge oder in der Ebene gelegenen Garnisonen
gesünder seien resp. eine kleinere Sterbeziffer aufzuweisen haben. Die
Statistik lässt uns diesbezüglich im Stich. Im Jahre 1895 waren unter
den 261 gestorbenen europäischen Soldaten

  20 in Weltevreden (Küste)   = 1·2% des Standes
  47 „  Surabaya    (Küste)   = 6·9%  „     „
  30 „  Kota Radja  (Küste)   = 2·2%  „     „
  29 „  Ampenan     (Küste)   = 3·9%  „     „
  25 „  Magelang    (Gebirge) = 1·4%  „     „
  14 „  Samarang    (Küste)   = 2·0%  „     „
  16 „  Malang      (Gebirge) = 1·2%  „     „
  10 „  Padang      (Küste)   = 2·0%  „     „

Wir sehen also aus dieser Statistik, dass der Höhenunterschied keinen
bedeutenden Einfluss auf die Sterblichkeit der europäischen Soldaten
genommen hat; denn die drei grössten Städte Javas liegen auf der
Küste, und zwar auf der Nordküste dieser Insel; und doch zeigen sie
untereinander einen so grossen Unterschied in der Sterblichkeit, dass
sich noch andere Factoren geltend machen müssen.

Ich will sofort bemerken, dass Surabaya kein artesisches Wasser hat,
das die zwei anderen Städte schon seit Decennien besitzen, und dass
seit Einführung desselben der Gesundheitszustand in Batavia und
Samarang in auffallender Weise sich gebessert habe.

Der Höhenunterschied beeinflusst aber zum grössten Theil alle jene
Factoren, welche in ihrer Totalität den Begriff Klima bedingen. Das
solare Klima, d. h. das Klima, welches Indien zufolge seiner Lage und
geographischen Breite haben +sollte+, kann den Hygieniker weniger
interessiren, als das factische oder physische Klima, welches durch die
Temperatur, Feuchtigkeitsgehalt der Luft und des Bodens, Luftdruck,
Regenmenge, Windrichtung, Verunreinigung der Luft durch Staub, Kohle
und Miasmen bedingt ist, das sind Factoren, welche nur theilweise von
der geographischen Breite abhängen. Zum grossen Theil werden sie auch
beeinflusst von der geologischen Art des Bodens von Berg und Wald
u. s. w.

Wenn man also von einem Tropenklima -- und zwar mit Recht -- spricht,
dann versteht man immer darunter das Klima der Ebene und der Küste; mit
der Erhebung über dem Boden sinkt die Temperatur nicht unbedeutend und
damit auch jener Factor des Klimas, welcher einerseits den grössten
Einfluss auf den Charakter des Klimas nimmt, andererseits aber auch
am besten bekannt und studirt ist, weil wir einen festen bequemen
Maassstab dafür haben: das Thermometer. Im Jahre 1891 besuchte ich
einen Kaffeepflanzer auf dem Berge Lawu (Mittel-Java), ungefähr 1000
Meter über dem Meere; Nachmittags um 5 Uhr wurde es mir zu kalt im
Freien, ich musste mich ins Zimmer zurückziehen und die Fenster
schliessen lassen.

Also, im Gebirge kann schwer von einem Tropenklima gesprochen werden.
(Auf dem Gipfel des Sumbing wurden 5° C. und des Morgens selbst Reif
beobachtet.) Auch die Flora verliert im Gebirge ihren tropischen
Charakter; Erdäpfel, Kohl, Zwiebeln, javanische Eiche (von denen schon
Friedmann 27 Arten kannte), Lorbeerbaum, Sassafras u. s. w. nehmen den
Bergen Javas den tropischen Charakter; von den Farrenkräutern kann
dasselbe nicht gesagt werden, weil sie ungeheuer gross werden. Ich
hatte in Magelang (Mittel-Java) einen »Farrenbaum«, dessen Stengel
mehr als zwei Faust dick war und dessen Blätter eine Laube waren,
unter welcher man bequem sitzen konnte. Noch will ich aus dieser
Höhenregion den Tjemorobaum (Casuariana Junghuniana) erwähnen, weil
er, wie die europäische Trauerweide, die passendste Zierpflanze eines
Kirchhofes ist. Wenn ich ihn auch nicht, wie andere Schreiber erzählen,
bis zu einer Höhe von 30 Metern sah, so fesselte er jedesmal meine
Aufmerksamkeit, wenn ich vor einem solchen Baume stand. Seine langen,
schlaff herunter hängenden Nadeln, sein schlanker gerader Baum geben
ihm einen düsteren Anblick, und wenn der Wind durch die feinen, rauhen,
nadelförmigen Zweige streicht, stimmt er uns ebenso viel wie sein
Anblick zum Ernst und zur Trauer.

Wenn also bei so veränderter Welt der Fauna und Flora auch die
Temperatur, die Regenmenge, der Feuchtigkeitsgehalt der Luft und des
Bodens, die Verunreinigung der Luft durch Staub, Kalkpartikelchen
und Miasmen sich so ändern, dass von einem Tropenklima nicht mehr
gesprochen werden darf, so ergiebt sich daraus die Nothwendigkeit,
übereinstimmend mit dieser neuen Welt auch sein tägliches Leben
einzurichten. Ich sah nicht nur in Magelang, welches 384 Meter über
dem Meeresspiegel liegt, sondern auch höher im Gebirge (z. B. 1000
Meter), die Eingeborenen keine anderen Kleider gebrauchen, als in
Batavia. Sie zogen einfach ihren Sarong über die Brust und legten sich
ohne andere Kleidung oder Bettdecke in ihre luftigen Bambushütten
auf die Baleh-Baleh schlafen. Aber wir Europäer können, noch mögen
dieses thun; unser Organismus ist feiner; er reagirt sofort auf solche
schädlichen Einflüsse; wir werden krank. Es ist gewiss anzuempfehlen,
dass Malariapatienten sich ins Gebirge flüchten, entweder um in der
Reconvalescenz schneller zu Kräften zu kommen und sich zu erholen,
oder um von den Fieberanfällen befreit zu werden. Wie oft geschieht
es jedoch, dass diese Patienten im Gebirge erschöpfende Diarrhoen
bekommen und zurück nach dem warmen Küstenklima verlangen; ich selbst
sah in Sindanglaya und Salatiga die Patienten in derselben luftigen
Kleidung in der Galerie sitzen oder ins Bad gehen, welche sie in
Batavia oder Surabaya trugen, und dabei mit Wollust von der »entzückend
herrlichen frischen Luft« dieses Ortes sprechen. Ich selbst konnte in
diese Hymne einstimmen, aber trug unter der Nachthose eine Unterhose
und zog Strümpfe an. Auch ich genoss von dieser »herrlichen frischen
Luft«, dass ich um 11 Uhr einen Spaziergang machen konnte, dass die
Transpiration auf ein Minimum reducirt war und dass der rothe Hund
mich nicht quälte. Der Appetit wurde besser, man ermüdet nicht so
schnell, die Respiration ist freier, man schläft besser, der Gang wird
elastischer, man urinirt mehr, mit einem Worte: Die Lebensenergie
ist erhöht, und die Lebenslust ist grösser. Wir werden im dritten
Theile sehen, dass darum oder wenigstens theilweise aus dieser
Ursache die Regierung im Gebirge (zu Malang, Magelang und Tjimahi)
die Depots der Truppen verlegte, aber den grossen Fehler beging, den
Unterschied zwischen europäischen und eingeborenen Recruten nicht zu
berücksichtigen, was die Acclimatisation derselben betrifft.

Warum ich niemals bis jetzt Ziffern aus der indischen Statistik und
nur aus dem militärischen Leben anrührte und es auch weiterhin nicht
thun werde, bedarf einiger Worte der Erklärung, wenn nicht auch der
Entschuldigung. Sie haben eben gar keinen wissenschaftlichen Werth. In
erster Reihe stammen nämlich alle statistischen Mittheilungen aus der
Feder eingeborener Schreiber, welche keine Ahnung von der Bedeutung und
dem Werth einer statistischen Wissenschaft haben; das kann bei einem
europäischen Schreiber auch der Fall sein; aber der eingeborene Beamte
vermisst jeden sittlichen Ernst, um seiner Aufgabe gerecht zu werden.
Ein Vaccinateur brachte mir die Impfungsergebnisse seines Bezirkes,
worin 95% der Picqure sich zu guten Pusteln entwickelt hatten; ich
äusserte meine Ueberraschung über diesen günstigen Erfolg; »Pigimana
sukah, tuwan Doctor.« Wie es dem Herrn Doctor beliebt, bekam ich zur
Antwort. Ich begriff diese Antwort damals nicht und legte die Tabellen
auf den Tisch; drei Tage später bekam ich eine »verbesserte Ausgabe«
von 25% gelungenen Einimpfungen!! Wenn nicht jede Frage über die
Verhältnisse u. s. w. eines Bezirkes an einen Beamten ganz neutral
gestellt wird, so wird er immer jene Antwort geben, welche er glaubt,
dass der höhere Beamte zu erhalten wünscht.

       *       *       *       *       *

Die Holländer in Indien und in Europa zeigen vielseitige Unterschiede;
die Verhältnisse bestimmen den Menschen, und so beeinflussen die
indischen Zustände auch den +Charakter+ der Holländer. Wie weit
das +Klima+ darauf Einfluss nimmt, will ich nicht untersuchen,
weil es meine Kräfte überschreitet, und weil man so leicht in den
Fehler verfällt, post hoc, also propter hoc zu urtheilen.

Der blonde Teint der Europäer färbt sich leicht nach längerem
Aufenthalt in den Tropen, während bald die gesunde rothe Hautfarbe
einer blassen anämischen weicht. Untersuchungen aus letzter Zeit
bewegen sich auf dem Unterschied, ob Blutarmuth, oder nur Mangel
an Blutfarbstoff, oder nur ein krankhafter Zustand der peripheren
Capillaren die Ursache dieser blassen Hautfarbe sei. Hier muss ich
sofort beifügen, dass die Behauptung, die braune Rasse könne nicht
erröthen, unrichtig ist, und dass ich Gelegenheit hatte, malayische
Frauen aus psychischen Ursachen »roth« werden zu sehen. Es war nicht
die starke Röthe des Zornes (bei einer blonden Frau), auch nicht das
zarte Erröthen einer schamhaften Jungfrau Albions. Es war ein viel
feineres zartes Roth, das sich über das Gesicht, und selbst den Hals,
ergoss.

Den Einfluss des Tropenklimas auf das Herz zu studiren, hatte ich keine
Gelegenheit, obschon ich drei Jahre in der Superarbitrirungs-Commission
sass und alle Soldaten, welche vor ihr erschienen, untersuchte. Denn
mir fehlte der Befund des Herzens +vor+ ihrer Erkrankung und vor
ihrer Abreise nach Indien. Die so oft behauptete grössere Venosität
des Blutes konnte ich direct nicht nachweisen, weil mir die Mittel
zur Untersuchung fehlten; aber sie besteht wahrscheinlich in hohem
Grade; denn die passiv-congestiven Zustände aller Bauchorgane sind
thatsächlich eine häufige Erscheinung.

Die Grösse des Herzens nimmt einen Einfluss auf das Temperament und
den Charakter des Menschen; die Biologie liegt auf diesem Gebiete noch
brach; aber ich wage mich auf dieses Terrain, weil ich den Unterschied
in der Psyche der Europäer in Indien und in Holland auf den Einfluss
der gesteigerten Herzthätigkeit zurückführe, welche wiederum die
Ursache eines gesteigerten Nervenlebens ist.

Viele sind in Indien nervös, sie sind gejagt, Präcordialangst macht
sie scheinbar zu Pessimisten, die gestörte Darmfunction macht sie zum
Hypochonder (durch Autoinfection?). Eine Musik von mittelmässiger Kunst
regt sie auf; unerwartete Ereignisse treiben ihnen die Thränen ins
Auge, geringe körperliche Anstrengung verschnellt ihnen den Puls und
lässt sie eine Ermüdung fühlen, welche factisch nicht vorhanden ist;
viele ergeben sich mit einem gewissen Fatalismus einer Trägheit, welche
sie beschönigen wollen; sie unterwerfen sich bereitwillig dem monotonen
Tropenleben als unvermeidliche Folge der grossen Wärme so lange --
+als es ihnen gefällt+. Aber ein Tanzabend lässt Alt und Jung die
ganze Nacht Terpsichore huldigen, die Abreise eines Bataillons Soldaten
lässt dieselben Menschen einen Marsch von einer Stunde machen, um dann
noch 2-3 Stunden lang unter den Strahlen der glühenden Tropensonne auf
dem Einschiffsplatz zu stehen; eine bevorstehende Prüfung lässt sie
Tage, Wochen und Monate lang neben ihrer Berufsarbeit viele Stunden
täglich studiren,[28] und Stunden lang sah ich die zartesten Damen auf
die Ankunft des Königs von Siam warten, ohne deswegen denselben Abend
den Festlichkeiten zu Ehren dieses Gastes aus dem Wege zu gehen.

Ist der Holländer an und für sich ceremonieller als z. B. der
Süddeutsche, noch mehr ist er es in Indien, wo bis vor wenigen Jahren
gar kein Mittelstand existirte; da jeder Europäer damals zu der
bevorzugten Rasse der »Wolanda« gehörte, fühlte sich ein Jeder als
ein »tuwan«, als ein Herr und nahm die Gewohnheiten und Gebräuche
der Beamten- und Officierswelt an, deren Kreise ihm häufig in patria
verschlossen waren. Dies hat sich, wie schon erwähnt, seit einigen
Jahren verändert. Der kleine Kaufmann, der Schuhmacher und Schneider
»empfangen« nicht und gehen auch nicht mehr zu den Empfangsabenden
der Officiere und Beamten. Dieses »Formelle« im äusseren Auftreten
war jedoch von einer Freiheit in der Sprache begleitet, welche
an das »Unsittliche« grenzte. Auch dieses hat sich geändert und
gebessert; wenn auch in den besten Kreisen anstandslos von Darm- und
Uteruskrankheiten gesprochen wird, die ewigen Witze über das sexuelle
Leben beschränken sich, wenigstens in den besseren Kreisen, gegenwärtig
auf die jungen Männer.

Diese Ungenirtheit in der Conversation ist +eine+ der Ursachen
gewesen, dass die Holländer in patria ihre Landsleute »aus dem Osten«
für Menschen niederer Kategorie betrachteten. Von dem Spiessbürger, der
mit Geringschätzung von der »Indischen« spricht, welche »fingerdick«
den Staub auf den Möbeln liegen lassen solle, oder dem Arbeiter,
welcher in »dem colonial« per se einen Säufer oder ein verkommenes
Individuum sieht, bis zu dem Arzt, welcher seinen Collegen »aus Indien«
kaum jemals ebenbürtig oder gleichwerth anerkannt hat, weil er in »de
Oost« nur für die Reichsthaler lebe, in allen Kreisen zeigte sich diese
Geringschätzung der »indischen« Menschen.

Das Geschlechtsleben ist von Seite der Männer erhöht und von der der
Frauenwelt nicht geringer als in der Zone des gemässigten Klimas.
Zunächst ist es nicht wahr, dass per se jede europäische Dame an
Fluor albus leide. Eine halbeuropäische Dame behauptete sogar, dass
»indische« Damen niemals an Fluor albus leiden, es sei, dass er
verdächtigen Ursprunges sei. Noch vor dem Erscheinen des Buches »Die
Frauen in Java« von Dr. C. H. Stratz drängte sich mir die Erfahrung
auf, dass auch in Indien bei den europäischen Frauen der Fluor
albus ebenso häufig vorkommt als in Europa, und dass der Verdacht
Noggerath’s, in solchen Fällen die Quelle desselben bei der nicht
ausgeheilten chronischen Blennorrhoe der Männer zu suchen sei, auch
in Indien raison d’être habe. Aber auch Dr. Stratz, welcher ein
grösseres gynäkologisches Material unter den Händen hatte, hat unter
den europäischen Damen seiner Praxis, welche also krank waren, nur 50%
der Fälle an einem Fluor albus leidende gesehen. Da viele europäische
Frauen, welche in +Indien+ geboren sind, und da die sogenannten
halbeuropäischen Frauen oft Tage, Wochen und manchmal Monate lang kein
Mieder anziehen und unter der Kabaya nur ein Unterleibchen (Kutang)
tragen und blossfüssig, oder wenigstens ohne Strümpfe sich bewegen,
wird weder die Blutcirculation in den Füssen gestört, noch werden die
Brustorgane zusammen- und die Bauchorgane nach unten gedrückt, und die
Prolapsi uteri sind bei diesen Damen ebenso als bei den eingeborenen
Frauen aves rari. (Auch auf die Haltung des Körpers nehmen die
indischen Toiletten einen sichtbaren Einfluss; die Füsse sind ideale
Füsse; ein so schöner Fuss, wie ich ihn bei manchen eingeborenen
oder halbeuropäischen Frauen sah, kommt sehr selten in Europa vor.
Die halbeuropäischen Damen haben eine aufrechte Körperhaltung mit
hervorstehendem Bauche, und die Arme schlingern, mit nach vorn
gehaltenen Händen, wie ein Pendel hin und her.)

Die Menstruation beginnt bei den Mädchen, welche in Indien geboren
sind, sehr früh, nach van der Burg in einem Alter von

                 in Indien    in Niederland

  10-14 Jahren    53·63%!!       20·88%
  15-18    „      13·15%         54·77%
  19 und darüber   2·97%         21·34%.

Die Periodicität unterliegt grösseren Schwankungen als in Europa, weil
z. B. oft schon nach 21-22 Tagen die Menses zurückkehren, und ebenso
ist die Intensität eine stark abwechselnde; grosse Blutverluste,
welche selbst für Abortus gehalten werden, wechseln mit jenen Fällen
ab, in welchen kaum einiges Blut in den gebrauchten Tüchern gesehen
wird. Diese dürfen nicht, wie in Europa die »Gesundheitslappen«,
mit Holzwolle oder Aehnlichem gefüllt sein, oder aus dickem Stoff
bestehen, weil durch das starke Transpiriren eine Maceration der Haut
stattfindet und einen Pruritus vulvae erregt. Der Einfluss des Klimas
auf die Libido bei den Frauen ist nur schwer nachzuweisen, und wird
auch in Europa nur nach der persönlichen Erfahrung der einzelnen
Gynäkologen beurtheilt. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass die
geschlechtliche Erziehung der Mädchen in Indien mit viel grösseren
Schwierigkeiten zu kämpfen hat als in Europa. Der intensive Verkehr
mit den eingeborenen Bedienten macht die Mädchen »früh reif« und
eröffnet ihnen die Perspective des geschlechtlichen Lebens in einem
frühen Alter und füllt einen grossen Theil ihres Denkens und Fühlens
mit den Genüssen der Liebe aus, während selbst zahlreiche Fälle bekannt
sind, dass die männlichen Bedienten, wenn auch keinen »Gebrauch« von
der Unerfahrenheit dieser jungen Mädchen machen, doch mit Worten und
Geberden ihre Sinneslust reizen. Wenn in Europa so etwas geschieht, ist
sich der Bediente seiner Schuld bewusst, und es geschieht darum nur
ausnahmsweise; der javanische oder malayische Bediente jedoch, oder die
Zofe oder Köchin dieser Nation sieht darin nur ein +unschuldiges+
Wortspiel u. s. w., weil seine Töchter von dem Tage der Beschneidung an
in alle Geheimnisse der Ehe und Liebe eingeweiht werden und immer an
den Gesprächen der alten Frauen theilnehmen können. Wenn also die in
Indien geborenen Frauen sinnlicher sind als jene, deren Wiege in Europa
stand, so muss es erst bewiesen werden, ob das Klima oder die Erziehung
daran schuld ist. Soweit +meine+ Erfahrung reicht, möchte ich den
grösseren Factor in der Erziehung suchen.

Was die Fruchtbarkeit der europäischen Frauen angeht, dafür kann ich
keine Belege bringen. Unrichtig ist jedoch die Behauptung von Dr. van
der Burg, dass sie sich in extremen Grenzen bewege, d. h. dass sie
entweder steril sind oder sich eines grossen Kindersegens erfreuen
(Seite 295).[29] Was »die Neigung zu Abortus« betrifft, so hat dieses
auch andere Ursachen, als das Klima.

Auch bei den Männern wird die Geschlechtslust frühzeitig erweckt
und genährt; der Säugling, welcher unruhig ist wird von der »babu«
masturbiert, um ihn einschlafen zu lassen. Sobald der Knabe sprechen
kann, wird er (in zahlreichen Fällen) erst in malayischer Sprache sich
ausdrücken; er bleibt unter dem Zwange der Verhältnisse den grössten
Theil des Tages in der Gesellschaft der Bedienten, deren beschränkter
Ideenkreis nur zwei Themata kennt: das Spiel und die Liebe. Geht der
Knabe in die Schule, so eröffnet sich ihm eine neue Welt von Gedanken
und Ideen; aber die Welt der Sinneslust wird so früh ihm erschlossen,
dass die weitere Erziehung die Sinnlichkeit mildern, aber nicht
unterdrücken kann; ob die Onanie häufiger vorkomme als in Europa, will
ich bezweifeln, weil dies beinahe unmöglich ist; aber die Gelegenheit
zum Coitus ist den jungen Knaben so viel gegeben, dass ich annehmen
muss, dass der Onanie in Indien viel früher und viel häufiger eine
Grenze gesetzt wird als in Europa.

Thatsache ist es, dass oft halberwachsene Knaben schon den Genuss der
freien Liebe kennen, und dass ich, wie manche andere Aerzte, Schüler
der Realschule wegen Gonorrhoe zur Behandlung bekam. Von dem Scrotum
wird behauptet, dass es in der Regel schlaff herabhänge; aber ich
glaube, dass die Altersunterschiede hier wie dort ihren Einfluss
nicht verleugnen; das Smegma des Präputialsackes zersetzt sich sehr
leicht, und thatsächlich sind die Balanitiden sehr häufig bei den
Männern, welche sich nicht gewöhnt haben, den Präputialsack täglich zu
reinigen. (Ich habe selbst einen alten Beamten gekannt, welcher einen
ringförmigen Stein im Präputium hatte und von der operativen Entfernung
desselben nichts wissen wollte.) Ob die Geschlechtslust bei den Männern
viel höher sei als in Europa, trotz der »erschlaffenden Wärme«, möchte
ich kaum bezweifeln. Peccatur intra et extra muros Trojae, in Indien
aber ist die Gelegenheit zu sündigen gross, und nur zu oft hört man
von den indischen verheiratheten Don Juans, dass alle Tage Beefsteak
zu essen langweilig sei, und dass der Mensch gern Veränderungen habe;
und dennoch muss ich behaupten, dass unter den ernsten Männern meiner
Bekanntschaft die eheliche Treue ebenso hoch gehalten wurde als ceteris
paribus dieses in Europa der Fall ist.

Beiden Geschlechtern ist eine grosse Gewandtheit des Körpers eigen;
ob sie »rein« europäisches Blut in sich haben, oder von gemengter
Abstammung sind, in beiden Fällen sind die Kinder körperlich besser
entwickelt als in Europa. Während meines langen Aufenthaltes habe ich
ja nur +eine+ Eingeborene gesehen, welche einen +Buckel+
hatte; unter den europäischen Kindern habe ich kein einziges
missgeformtes gesehen, und nur sehr selten sah ich ausgesprochene
Skrophulosis. Von Rhachitis habe +ich+ keinen Fall gesehen. Wer
gewisse Krankheiten sucht, der findet sie natürlich. So hatte ein
dänischer Arzt mit aller Bestimmtheit in einem Falle von Rhachitismus
gesprochen, weil ein mageres Kind stark entwickelte Epiphysen der
Rippen hatte, während ich darin nur ein Kind mit schwach entwickeltem
Fettpolster sehen konnte. Die wichtigsten Factoren zur Entstehung
von der englischen Krankheit fehlen ja in Indien: schlechte
Volksnahrung und das Zusammenleben in engen, schlecht ventilirten
Räumen. Im Gegentheil. Die Kinder leben das ganze Jahr in der freien
Luft, und ihre Hauptnahrung ist der Reis. Auch ihre Kleidung ist
eine zweckentsprechende und befördert in jeder Hinsicht die freie
Entwicklung des Körpers. Die Knaben und Mädchen tragen nämlich ein
weisses Gewand, welches, ich möchte sagen, ein Hemd mit Hosenröhre
ist; werden die Mädchen grösser, bekommen sie darüber noch ein Hemd;
im Hause gehen sie natürlich blossfüssig oder mit Pantoffeln herum,
und nur bei besonderer Gelegenheit ziehen sie Schuhe, Strümpfe und
einen Hut an. Die Kinder eignen sich dadurch eine solche körperliche
Gewandtheit an, dass der Einfluss auf den Charakter sich geltend macht.
Abgesehen davon, dass z. B. selbst Mädchen aus dem niedrigsten Stande
eine gewisse Freiheit und Eleganz in der Bewegung zeigen, wie sie ihre
Altersgenossen in Europa nicht kennen, so ist ihr Selbstvertrauen
ein grosses und auch berechtigtes; führt ein solches Mädchen der
Zufall in die höchsten Kreise, ist sie nicht verlegen in ihrem
Gespräche und nicht in ihren Bewegungen; beim Tanze zeigt sie sich
so graziös, als jede Dame aus den höchsten Kreisen es nur wünschen
kann, und der Fächer ist in ihren kleinen, wohlgepflegten, zierlichen
Händen eine ebenso gefährliche Waffe als in den einer Salondame. Das
rabenschwarze, dichte, lange Haar einer Nonna (halbeuropäische Dame),
die dunkelbraunen, grossen Augen mit der lichtblauen Sclera, die
schneeweissen, regelmässigen Zähne, die wohlgeformte Büste, die breiten
Hüften, der kokette, sanft sich schmiegende Gang, die zierlichen,
kleinen Füsse und die wohlgepflegten Hände und Nägel, die eleganten
Pantoffeln, der eng umschliessende Sarong, welcher deutlich die Formen
der stark entwickelten Hüften zeigt, und die mit Spitzen besetzte
Kabaya, welche nur theilweise den schön geformten Busen bedeckt, sieh
da -- eine indische Venus.

Der indische Don Juan[30] verwendet auch sehr viel Sorgfalt auf seine
Toilette und noch mehr Geld. In Batavia z. B. wird er bei dem ersten
europäischen Schneider seine weisse Hose und Rock machen lassen, weil
dessen Schnitt elegant ist; er bezahlt zwar drei- bis viermal soviel
als beim chinesischen oder eingeborenen Schneider; aber es ist wahr,
er ist elegant in seiner weissen Kleidung, Lackschuhen und grossen
Manschetten. Sein rabenschwarzes Haar, seine dunkeln Augen stehen im
angenehmen Contrast zur Weisse seiner Zähne und seiner Toilette. Der
Sinjo, so nennt man nämlich den halbeuropäischen Mann, wird auch immer
mit mehr Erfolg bei den Nonnas flirten als der europäische Freier.



8. Capitel.

  Urbewohner von Borneo -- Eisengewinnung bei den Dajakern -- Eisenbahn
  auf Borneo -- Landbaucolonien -- Jagd in Borneo -- Im Urwalde verirrt
  -- Wilde Büffel -- Medicin auf Borneo -- Aetiologie bei den Dajakern
  -- Taufe bei den Dajakern -- Dukun -- Doctor djawa.


Ueber die Urbewohner Borneos, welche auf der niedrigsten Stufe der
menschlichen Civilisation stehen, den Olo-Ott (D), wissen nur wenige
Europäer aus Autopsie etwas Positives mitzutheilen. Der Reisende Dr.
Bock nennt sie Orang (M) Punang, während Dr. Karl Schwaner, welcher
in den Jahren 1843-1847 das Innere Borneos durchkreuzt hatte, auch
von den Olo-Ott spricht, welcher Name mir während meines Aufenthaltes
in Teweh viel geläufiger war als der des Dr. Bock. Die Berichte der
Frau Ida Pfeifer können kaum jemals in Betracht gezogen werden, weil
sie nicht nur, wie die meisten Reisenden, nur das Ziel kannte, in
möglichst kurzer Zeit die möglichst grosse Strecke zu durcheilen,
sondern auch, weil sie in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes im Norden
Borneos nur einen malayischen Bedienten als Dolmetsch hatte, welcher
ein wenig englisch sprach und von keinem der dajakschen Dialekte kaum
den Namen kannte. Hin und wieder mag ein »gebildeter« Dajaker einige
Worte der malayischen Sprache verstanden haben; ob aber durch solchen
Dolmetsch über Religion, Erbrecht, Tradition, Geschichte und Sagen
etwas Verlässliches mitgetheilt werden kann, muss unbedingt bezweifelt
werden. Auch meine Quelle über das Leben und Treiben der Olo-Ott ist
nicht die reinste. Wenn der Fürst von Siang mir gegenüber die Sprache
dieser Waldmenschen mit dem Grunzen eines Schweines vergleicht, so
tritt schon die Voreingenommenheit deutlich in den Vordergrund. Wie ich
schon vor 14 Jahren mittheilte, lebten sie damals und vielleicht heute
noch im Walde, ohne jede staatliche, gesellschaftliche Einrichtung, in
einzelnen Familien auf den Bäumen oder in aus Laub und Atap geformten
Hütten, und zwar nicht allein an den zwei Quellen des Baritu, sondern
auch östlich davon, im Gebirge, nahe den Quellen des Lahey, Tohop,
Marawy, Tahudja und Ossoh bis an die Grenze des Volkes Pari, welche
zwischen den höher stehenden Bewohnern des obern Laufes des Baritu und
dem Reiche Kutei leben.

Wie mir der Fürst von Siang weiter mittheilte, sind diese Waldmenschen
hell von Farbe und gross von Statur und leben von Pflanzen, Früchten
und Weichthieren der Sümpfe, kennen das Feuer, ohne darum Fleisch
oder andere Speisen zu kochen, und auch das Familienleben erhebt sie
nur ein wenig über die ersten primitivsten Elemente der Civilisation.
Aber den Werth des Goldes kennen sie schon sehr gut und gebrauchen
es zum Tauschhandel. Der Verkehr mit der Aussenwelt findet in einer
eigenthümlichen Weise statt, wenn ich den allgemeinen Mittheilungen
im obern Laufe des Baritu Glauben schenken darf. Uebrigens hatte ich
in Muarah Teweh einen malayischen Bedienten, welcher nach einem Jahre
den Abschied von mir nahm, um, wie er sagte, mit den Olo-Ott Handel zu
treiben. Ungefähr 1½ Jahre später kam er mich in Buntok aufsuchen und
erzählte mir alles, was er von den Olo-Ott wusste. Es war nichts Neues,
aber es bestätigte die Mittheilungen, wie ich sie früher wiederholt
gehört hatte.

Nachdem er meinen Dienst verlassen hatte, war er nach Bandjermasing
gegangen und hatte dort aus seinen Ersparnissen einen grossen Kahn
gekauft, welcher mit einer Decke aus Atap versehen war. Es war ihm
genug Geld übrig geblieben, um noch einen Vorrath an Salz zu kaufen,
und bunte Glasperlen und billige Leinenwaaren von allen möglichen
Farben bekam er auf Credit. Nebstdem miethete er zwei Bekompeyer,
welchen er einen Theil seines Gewinns versprach, und so zogen sie
stromaufwärts. Viel Lebensmittel brauchte er nicht mitzunehmen; denn
bis Teweh konnte er, wenn auch nur in vereinzelten Kampongs, doch
immerhin oft genug Gelegenheit finden, seinen Reisvorrath zu ergänzen;
in Teweh selbst konnte er von den Soldatenfrauen alle möglichen
Lebensmittel erstehen. Uebrigens brauchte er gar keine Entbehrung zu
leiden. Hier und da standen am Ufer Palmenbäume, von welchen seine
Begleiter die Cocosnüsse holten, welche ihm das Oel für die Nachtlampe
und zum Bereiten einzelner Speisen lieferten. Die Klapper[31] (Kalapa
S) gab ihnen einen erfrischenden Trank; ihre jungen Blattsprossen sind
ein angenehmes Gemüse, besonders wenn sie in Essig eingelegt sind, und
von der Arengpalme werden die unreifen Früchte gebraten gern gegessen.
Der Strom hat übrigens einen solchen Fischreichthum, dass man es sich
kaum vorstellen kann. Er konnte also täglich, ohne einen Kreuzer zu
bezahlen, die herrlichsten Fische, gekocht oder in Klapperöl gebraten,
sich verschaffen. Die Früchte für seinen Nachtisch verschaffte er sich
auch, ohne sie bezahlen zu müssen; das Brandholz zum Kochen seiner
Mahlzeiten holte er sich vom Ufer oder sammelte sich das Treibholz,
welches er auf der Decke des Kahnes trocknen liess; also waren die
täglichen Bedürfnisse ohne Schwierigkeiten gedeckt. Aber gefährlich war
sein Unternehmen, das ihn den Kopf hätte kosten können. Vielleicht war
er Fatalist wie jeder Mohammedaner, und ich möchte sagen, wie jeder
Bewohner der Tropen; vielleicht calculirte er, dass zur Zeit seines
Ausfluges Mangkosari selbst der Kopfjagd entgegentrat, um die Gunst
der Regierung zu erwerben (vide Seite 63), mit einem Worte: Er wagte
es. Oberhalb Teweh passirte er den Lahey, von welchem Fluss ein Weg
nach der Ostküste Borneos führt. Hier, im eigentlichen Gebiete des
Dusson (= Baritu) ulu, mit ungefähr 10000 Menschen, war er ausserhalb
des schützenden Armes der holländischen Regierung; dann (oberhalb des
Stromes Makujong) beginnt das Reich der Fürsten Murong und Siang,
welche erst im Jahre 1879 die Souveränität der holländischen Regierung
anerkannt haben. Hier wird viel Rottang, Guttapercha, Eisenholz und
andere Bauhölzer, von denen 60 Sorten auf Borneo gefunden werden,
gewonnen, Eisen und Goldstaub gefunden (Diamanten kommen mehr im
östlichen Theile vor); von hier werden Wachs, Honig und Schwalbennester
in den Handel gebracht; aber die Industrie ist beinahe Null. Nur
Matten, Djukungs (Canoës), Pfeile und Pfeilgift werden hier erzeugt und
Eisen aus dem Erze geschmolzen. Der Landbau beschränkt sich auf die
nothwendigste Menge des Reis und Pflege der Obstbäume, und im übrigen
werden hier -- Feste gefeiert.

So wenig die Industrie wegen ihrer geringen Entwicklung auf die
Wohlfahrt des Landes Einfluss nimmt, so sehr verdient mit einigen
Worten von ihrer Eisen-Industrie gesprochen zu werden, weil die Dajaker
mit den primitivsten Mitteln Eisen und Stahl gewinnen, welches dem
besten Material von Europa nicht nur gleichkommt, sondern es sogar
übertrifft.

Auf meiner Fahrt nach Surabaya zeigte mir der Schiffscapitän eine
sogenannte »Negaraklinge« (Negara ist ein Nebenfluss des Baritu,
welcher sich ins linke Ufer gegenüber Marabahan in diesen Strom
ergiesst), und schlug mit ihr in einen gusseisernen Pfeiler des
Schiffes eine Scharte, welche vielleicht einen Centimeter tief war!

Schon der Schmelzofen ist so einfach als möglich; er besteht aus 1
Meter hohem Lehmcylinder, dessen Wände ungefähr 10 Centimeter dick sind
und 20 cm über dem Boden zwei Oeffnungen haben, eine für das Rohr des
Blasbalges, die andere für den Abfluss der Schlacke, der innere Raum
ist jedoch nicht cylinder-, sondern pyramidenförmig, mit einer Basis,
welche ungefähr um 100 ☐cm kleiner ist als die obere Oeffnung. Beim
Füllen des Ofens wird pulverisirte Holzkohle auf den Boden gestreut mit
einer Grube in der Mitte zur Aufnahme des flüssiggewordenen Eisens; die
Röhre des Blasrohres muss bis zur Mitte der Grube reichen. Darauf wird
Holzkohle geworfen und auf diese das Eisenerz gelegt, welches vorher im
Holzfeuer geröstet und in kleine Stücke zerschlagen wurde. Die Kohle
wird hierauf angezündet und die Ausflussöffnung des Ofens geschlossen.
Der Blasbalg wird in Bewegung gesetzt (mit 40-50 Schlägen in der
Minute), hin und wieder wird die Ausflussöffnung geöffnet, um die
Schlacke herauszuholen, ungefähr nach jeder Stunde wird neues Erz mit
Kohle gemengt in den Ofen geworfen und dieses bis gegen Sonnenuntergang
fortgesetzt. Der Feierabend tritt nicht früher ein, als bis das
geschmolzene Eisen mit grossen Zangen aus dem Ofen herausgenommen,
auf dem Boden, welcher mit fein gestampfter Schlacke bedeckt ist, mit
hölzernem Hammer zu einem Würfel (von ungefähr 30 Kilo) bearbeitet,
in 10 Stücken vertheilt und so lange gehämmert und von der Schlacke
befreit wird, bis es dem Waffenschmied geliefert werden kann.

Ueber die Gewinnung des Goldes kann ich aus eigener Erfahrung und
Beobachtung nichts mittheilen; ebenso von der der Diamanten; nach den
Mittheilungen Perelaers soll jedoch der Reichthum an Gold[32] auf
dieser Insel sehr gross sein.

In dem Gebiete der Fürsten von Siang und Murong hatte mein ehemaliger
Bedienter das Quellengebiet des Baritu erreicht. Steile Ufer,
starke Krümmungen, Sandbänke, in das Flussbett hineinragende Felsen
charakterisiren den Oberlauf des Baritu, und an den Flüssen Topo und
Lamiung legte unser kühner Jünger Mercurs seinen Kahn an, um den
Tauschhandel anzufangen.

Aber erst im Quellengebiete dieser kleinen Flüsse erreichte er die
Heimath der Olo-Ott. Es gelang ihm jedoch niemals, diese primitiven
Menschen zu Gesicht zu bekommen, weil sie jede Berührung mit der
Aussenwelt scheuen. Bei seiner Ankunft brachte er die Waaren ans Ufer
und schlug mit einem Stück Holz auf einen in der Nähe stehenden Baum.
Dann zog er sich in seinen Kahn zurück, um zu übernachten. Jedesmal
unterdrückte er seine Neugierde, diese Buschmenschen zu Gesicht zu
bekommen; ein vergifteter Pfeil hätte sicher seine Neugierde bestraft.
Den andern Morgen ging er ans Ufer und sah Näpfe mit Goldstaub neben
seiner Waare stehen. War er damit zufrieden, so nahm er das Gold und
zog sich zurück, ohne sich zu kümmern, wann und wer seine Waaren
wegholen würde.

Mit diesem Ertrage begnügte er sich jedoch nicht, sondern am
untern Lauf dieser zwei Nebenflüsse sah er Dajaker, welche einer
grösseren Stabilität sich erfreuen, weil der Boden in dieser Gegend
aussergewöhnlich fett ist; oft wird 5-6 Jahre hintereinander auf
demselben Felde der Reis gepflanzt, um jedesmal dieselbe ergiebige
Ernte zu bekommen. Ich hatte oft Gelegenheit in dem Urwalde, die Dicke
der Humusschicht zu bewundern. Seit Jahrhunderten waren Gesträuche
hier in Fäulniss übergegangen und hatten mit der Erde eine dicke fette
Humusschicht gebildet.

Hier kaufte er für den erhaltenen Goldstaub Rottang, Eisenholz und
Guttapercha. Der Rottang ist eine Schlingpflanze mit einer Epidermis,
reichlich mit Stacheln versehen; in dem Urwalde ziehen sie kreuz und
quer, und ein Vordringen ist absolut unmöglich, wenn man sich nicht
mit der Hacke in der Hand einen Weg bahnt. Ich habe Rottang von 30-40
Meter Länge und faustdick gesehen. Abgeschnitten werden sie umgebogen
ins Wasser gelegt, wo die Epidermis aufweicht und durch Dreschen
darnach von dem »spanischen Röhrel« abfällt. Aus den gefällten Bäumen,
welche unser Handelsmann am Ufer des Dusson-Ulu mit dem Staubgolde
bezahlt hatte, wurde ein Floss gebaut, darauf Rottang, Damar und
Eisenholz geladen und die Reise nach Bandjermasing damit angetreten.
Zur Bequemlichkeit wird von manchen solchen Jüngern Mercurs auf dem
Flosse eine Hütte gemacht; ich selbst fuhr einmal mit einem solchen
Flosse von Lahey bis Teweh; in der Hütte befand sich ein Bett mit
Mosquito-Netz und daneben einige dapur, das sind aus Lehm gebrannte
Formen zur Aufnahme von Kohlen und Holz, auf welchen in Töpfen und
Pfannen gekocht wird. Es ist die angenehmste Weise zu reisen, weil
man überhaupt gar keine Bewegung fühlt. Das Floss wird mit dem Strome
fortgerissen und nur durch ein oder mehrere Steuerruder in der Mitte
des Stromes erhalten. Das Floss, mit dem ich gefahren bin, war sehr
breit und hatte also drei Steuerruder, mit welchen drei Männer nur mit
grosser Anstrengung das Floss dirigiren konnten, um nicht gegen eine
der zahlreichen Windungen des Ufers anzufahren und zerschellt zu werden.

Mit diesem Floss fuhr er also ungefähr zwei Wochen lang, und in
Bandjermasing verkaufte er es an den malayischen Händler, welcher
ihm die Leinwaaren creditirt hatte. Mit dem Guttapercha hatte er das
beste Geschäft gemacht, weil es wenig mit Sand und Schmutz gemischt
war. Leider kennen die Dajaker keine andere Art der Gewinnung des
Guttapercha, als den Baum zu fällen; hoffentlich hat die Regierung
schon ihren Einfluss geltend gemacht, sie von diesem Raubsystem
abzubringen. Einschnitte in die Rinde der Bäume sind ja hinreichend, um
das darin befindliche Harz abfliessen zu lassen. Die Wunde schliesst
sich und der Baum ist für eine nächste Production erhalten. Die
Bewohner sind ja für Aufklärungen zugänglich.

Eines Tages kam ein Dajaker zu mir mit der Bitte, ihm ein Mittel zu
nennen, das Guttapercha zu lösen; in Singapore werden nämlich drei
Sorten davon gekauft, abhängig nach der Menge der Verunreinigung. Wenn
es ein Mittel gäbe, das Guttapercha zu lösen, würde er nur I. Qualität
dieser Waare verkaufen und somit auch den höchsten Preis erzielen
können. Ich gab es ihm, ohne jedoch weiter zu erfahren, ob sein
Reinigungsverfahren ihm den erhofften Gewinn gebracht hat.

Damals befanden sich nur zwei europäische Geschäfte in Bandjermasing,
welche, wenn ich nicht irre, keinen Export betrieben; einige arabische
Händler und Hadjis[33] kauften die nach Bandjermasing gebrachten
Waldproducte, um sie wieder in Java oder Singapore auf den Markt zu
bringen. Seit dieser Zeit hat zwar auch die »Handelsmaatschappy«
eine Agentschaft dort errichtet; mir ist aber nicht bekannt, welche
Ausbreitung der Exporthandel damit gewonnen hat.

Eine gewisse Lethargie charakterisirte damals den Handel in Indien;
sie ist jedoch in den letzten fünf Jahren einer Unternehmungslust
gewichen, welche hoffentlich nicht wieder erlöschen und die schönsten
Früchte tragen wird. Es wird z. B. in Java und Sumatra so viel
Petroleum gewonnen, dass Japan und China schon seit drei Jahren das
amerikanische und russische Petroleum abzustossen beginnen. Auch
Borneo besitzt sehr viel Erdöl, welches dem unternehmenden Manne viel
Reichthum einbringen kann; denn die kleinste Hütte Javas hat schon
ihre kleine Petroleumlampe; auf allen grossen Wegen Javas sieht man
kleine Markthüttchen, in welchen Petroleum verkauft wird, und unter
den Dajakern ist die Damarlampe noch immer die schwache Lichtquelle,
welche die nächtlichen Feste und Orgien beleuchtet. Vielleicht würde
das helle, starke Licht einer Petroleumlampe auch civilisatorisch die
Sitten und Gebräuche dieser Wilden beeinflussen.

Vor zwei Jahren besprach ein Herr E.. in den indischen Zeitungen
den Plan, von Bandjermasing eine Eisenbahn nach Pontianak bauen
zu wollen.[34] Dieser Plan konnte nur in dem Gehirn eines Mannes
entstehen, welcher auf Borneo niemals gelebt oder höchstens mit
beschleunigter Geschwindigkeit diese Insel durchreist hatte. Amerika
hat sich dieser Phantast offenbar vor Augen gehalten, als er dieses
Project entwarf; nur vergass er einige nicht unbedeutende Unterschiede.

Borneo ist sehr schwach bevölkert; auch Amerika war es in jenen
Theilen, in welchen neue Eisenbahnen die Auswanderer Europas dahin
lockten. Diese Auswanderer sammelten sich jedoch zuerst in den grossen
Städten der Küste an, und von hier zogen diese Pioniere ins Innere des
Landes. Bandjermasing hat aber ohne die Officiere und Beamten keine
zwanzig europäische Familien; und bis diese Stadt einen Ueberschuss an
europäischen Arbeitern und Landbauern bekommen wird, dann erst darf man
an ein solches Unternehmen +denken+. Dieser Ueberschuss muss aber
auch sehr gross sein, um vom »Denken« zur Ausführung überzugehen. Der
Bau der Eisenbahnen in Amerika erfolgte durch die im Lande anwesenden
Arbeitskräfte. In Borneo müssten diese erst importirt werden. Der
östliche Theil ist hinreichend bevölkert, um +vielleicht+ einen
Theil derselben zum Bau der Eisenbahn heranziehen zu können.

Der Import von dem grössten Theil der nothwendigsten Arbeiter
würde Geld, und zwar viel Geld kosten; Kulis wären vielleicht in
hinreichender Menge von Java oder China zu bekommen; aber jetzt kommen
wir zu den technischen Schwierigkeiten -- im Stromgebiete des Dusson
würden die Eisenbahnarbeiter wie Fliegen dem Sumpffieber erliegen. Es
müsste, wenn von Bandjermasing aus die Bahn nach Norden und Westen
ginge, der theuerste und schwierigste Unterbau geschaffen werden, weil
das ganze Stromgebiet junger, weicher Alluvialboden ist; es müsste
also die ganze Eisenbahn weit nach Osten verlegt, zu diesem Zwecke
Bandjermasing verlassen und eine neue Hauptstadt angelegt werden.
Der Herr von E. brachte auch schon ausgearbeitete Skizzen, die ich
leider nicht mehr besitze; aber schon beim ersten Lesen dieses Planes
konnte ich mich eines Ausrufes der Ueberraschung nicht enthalten.
Während drei grosse Ströme von Norden nach Süden ziehen und als eine
natürliche, sehr +billige+ Fahrstrasse die Küste mit dem Herzen
verbinden, sollte eine Eisenbahn gebaut werden, welche hunderte und
hunderte Millionen Gulden und tausende und tausende Menschenleben
kosten sollte!! Ich bezweifle selbst, ob der Herr von E. während seines
Aufenthaltes in Borneo jemals ein steinernes Haus bauen gesehen hat.
Die Pilote gehen in den bodenlosen Grund wie in Butter hinein, und auf
solche Unterlage sollten hunderte, nein! tausende Brücken, Viaducte
u. s. w. gebaut werden! Wenn er wenigstens den Fuss der Gebirge zur
Route seiner Eisenbahn gewählt hätte, wäre er im Bereiche des Möglichen
geblieben; aber kein Mensch der Welt würde einen solchen Umweg machen,
wenn +ein kurzer billiger Wasserweg dasselbe Ziel erreicht+.
(Fig. 8.) Auch muss ich bezweifeln, ob der Herr von E. jemals einen
Westmonsun auf Borneo mitgemacht und gesehen hat, dass in +einem+
Tage alle drei Ströme um 10-15 Meter steigen und im Flachlande
Millionen Hektare Land unter Wasser setzen können!

+Und doch liessen sich die Schätze Borneos leicht und sicher
erschliessen, und zwar selbst ohne bedeutende Kosten.+

Von jenen Factoren, welche die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit
des Gelingens eines solchen Unternehmens bedingen, will ich nur den
einen besprechen, welcher gewissermaassen in den Rahmen dieses Buches
passt. Das ist die vielfach besprochene und ventilirte Frage, ob auch
Landbaucolonien in den Tropen möglich seien.

Vielfach wurde behauptet, dass auf Java die Europäer in dritter
Generation ausstürben, wenn sie sich nicht mit den Eingeborenen
mischen. In dieser Allgemeinheit ausgesprochen, entbehrt diese
Behauptung jeder wissenschaftlichen Basis. Es wurde niemals
ziffermässig nachgewiesen, wie viel europäische Familien gesund, d. h.
zeugungsfähig nach Indien kamen, ihre Kinder wieder gesund und
zeugungsfähig geheirathet hätten u. s. w. Wenn auch thatsächlich keine
einzige Familie auf Borneo z. B. mir bekannt ist, in welcher vom
Urgrossvater herab europäische Familien sich auf Borneo fortgepflanzt
hätten, so beweist dies nicht, dass sie nicht in Indien resp. in
Borneo fortpflanzungsfähig sind, sondern dass, aus welcher Ursache
auch immer, die europäischen Männer nicht immer europäische Frauen
geheirathet haben. Wer die Geschichte der indischen Colonien kennt,
ist davon nicht überrascht. Wie gross war die Anzahl der »anständigen
Frauen«, welche im vorigen Jahrhundert nach Indien gingen, im Anfange
dieses Jahrhunderts oder noch vor 50 Jahren!! Jedes Jahr kaum so viel,
als die Finger der beiden Hände zählen. Also die Männer, welche nach
Indien gingen, konnten nicht mit europäischen Frauen verkehren, weil
es deren nicht gab, und erst seit der Eröffnung des Suezkanals kommt
eine grössere Zahl europäischer Frauen nach Indien, so dass erst nach
30 Jahren eine diesbezügliche Statistik irgend einen wissenschaftlichen
Werth haben kann, weil sie auf eine grosse Reihe von Fällen sich
erstrecken wird.

[Illustration: Fig. 8. Südöstliche Hälfte von Borneo (Maassstab
1 : 8,000,000) nach einer Skizze des Topographischen Bureaus in Batavia.

Legenda.

  œ holländisch = u.
  z   „         = s.
  S^{ei} = Soengei = Nebenfluss.
  Koeala = Moeara = Mündung.
  Tg = Tandjong = Cap.
  Poeloe = Insel.

]

Wenn Professor Stokvis auf Grund von theoretischen Erwägungen zu
dem Schlusse kam, dass Europäer in den Tropen auch Landbau-Colonien
errichten können, so kann ich dies, gestützt auf Erfahrungen, nur
bestätigen.

Als ich nach Indien kam, beschäftigte ich mich mit der Temperatur des
gesunden Menschen, weil es mir auffiel, dass die Fieberkranken in
der anfallfreien Zeit besonders niedere Temperatur hatten, und ich
fand, dass der gesunde Europäer niemals 37°, sondern 36·8° erreichte.
Dies waren jedoch nur Erwachsene; später hatte ich auch bei Kindern
Gelegenheit die Temperatur häufig zu messen; diese zeigten eine
durchschnittlich höhere Temperatur. Es zeigte sich immer, dass die hohe
Temperatur der Tropen keinen Einfluss auf die Körpertemperatur der
Menschen hatte, dass dieselbe zwischen denselben Grenzen schwankte,
als in Europa (36·25-37·5° C.), und dass also das Wärmeregulativ hier
wie dort nach denselben Gesetzen arbeite. Warum sollte also die höhere
Lufttemperatur schädlich sein, da der Körper das Vermögen besitzt,
stets eine constante Temperatur zu entwickeln?

Aber das Fieber, die Dysenterie, die Leberkrankheiten, die Cholera
u. s. w. der Tropen? Sind diese kein Hinderniss für die Arbeit auf
dem Felde, im Garten und im Walde? Natürlich sind diese Krankheiten
ein Hemmschuh jeder Arbeit und jeder Unternehmung. Man muss sie eben
verhüten; man muss eben nach den Regeln der Hygiene leben, um sie nicht
zu bekommen.

Prof. Geer hat übrigens in einer statistischen Arbeit nachgewiesen,
dass die holländischen Frauen in Indien länger als in ihrer Heimath
leben; die europäischen Kinder »gedeihen in Indien wie Kohl«; die
starke Transpiration, der Ausdruck der geregelten Wärmeregulation
gegenüber der hohes Aussentemperatur, die bedeutende Arbeitsleistung
der Menschen in ihrem Berufe und ausserhalb ihres Berufes (ist z. B.
eine ganze Nacht zu tanzen keine bedeutende Körperleistung?), welche
ich gesehen habe, sind mir Bürgschaft, dass Landbaucolonien in Indien
möglich sind.

       *       *       *       *       *

Die Jagd in den Urwäldern Borneos hat einen eigenthümlichen Reiz,
erfordert aber auch gewisse Vorsichtsmaassregeln. Nie gehe man ohne
Führer, ohne Compass und ohne zweckmässige Kleidung auf die Jagd. Die
weissen Waschkleider sind auf der Jagd nicht zu gebrauchen, weil sie
schon in grosser Entfernung und zu früh (auch im dichtesten Walde) die
Aufmerksamkeit des Wildes erregen; besser sind schon die aus grauen,
oder lichtbraunen, oder schwach grünen ähnlichen Stoffen verfertigten.
Immer trage man Gamaschen, welche die Hose gut schliessen; sonst
schlüpfen die kleinen Blutegel in die Hosen, und man bekommt einen
ausgiebigen, unfreiwilligen Aderlass. So lästig auch die Stiefeletten
sein mögen, sind sie doch noch besser als die Halbschuhe, welche
man leicht verliert. Beabsichtigt man jedoch eine Sumpfgegend zu
durchschreiten, sind Stoffschuhe mit Gamaschen vorzuziehen, weil das
Wasser ebenso gut hinaus- als hineinfliessen kann. Kein Tropenhelm mit
Schleier, sondern eine kleine Mütze ohne herabhängenden Lappen für den
Nacken sei die Kopfbedeckung; die schön gestickte Waidmannstasche muss
auch zu Hause bleiben, weil man mit ihr überall hängen bleibt und die
Lebensbedürfnisse doch am besten im Kahne zurücklässt, mit welchem man
auf einem Antassan ins Innere des Landes dringt.

Ohne Führer auf die Jagd zu gehen, ist selbstverständlich gefährlich;
ich selbst habe z. B. in Gesellschaft mit dem einen Lieutenant einen
kleinen Spaziergang hinter dem Fort gemacht, um wieder »einmal einen
Urwald des jungfräulichen Borneos betreten zu haben«. Im Gespräch
vertieft, achteten wir nicht darauf, dass wir, ohne an den Rückweg zu
denken, in den Urwald eingedrungen waren. Es war 4 Uhr Nachmittags,
die Sonne war nicht mehr zu sehen, nur eine grosse, schöne Cicade
erhob sich lautlos von einem Aste, kein Zephyr bewegte die Blätter der
Waldriesen, welche uns umgaben, und vergebens drang unser Auge durch
das dichte Laub, um den Stand der Sonne zu sehen; Lianen kreuzten sich
nach allen Seiten von einem Baum zum andern; Parasiten und Epiphyten
bedeckten die hohen Stämme; unter uns drangen die Füsse in die mit
jungem Laube bedeckte hohe Humusschicht, und nirgends sahen wir eine
Moosschicht auf einem Baume, welche uns den Weg nach Norden zeigen
sollte. Lachenden Mundes, aber nicht mit fröhlichem Sinn, sprachen
wir von den tausend Gefahren, welche uns die nähernde Dämmerung und
Finsterniss bringen sollte: Die Schlangen, welche wir nicht sehen
würden, die rothen Ameisen, welche oft zu hunderten einen Baum bewohnen
und jedes lebende Wesen attaquiren, der Honigbär, die grossen und
schönen Baumwanzen, der wilde Büffel, der Panther, das Rhinoceros,
vielleicht einige eifersüchtige männliche Orang-Utangs, die Blutegel.

Als aber factisch die Dämmerung im Walde eintrat, als die Cicaden ihr
lautes Zirpen ertönen liessen, und aus weiter Ferne der Wau-Wau ein
klagendes Uh--uh ausstiess, als einige grosse Fledermäuse (Kalongs) und
fliegende Hunde ihre Flügel auszubreiten anfingen und selbst einige
grosse Leuchtkäfer auftauchten, da schwand auch von unsern Lippen das
Lächeln und -- endlich fiel es mir ein, einen Baum zu erklettern; ich
fand glücklicher Weise eine dünne Palme, und als ich ungefähr 10 Meter
hoch gekommen war, sah ich durch eine Lücke im Laub die untergehende
Sonne und eine kleine Fläche, von welcher in derselben Richtung ein
Bächlein mit klarem und hellem Wasser in sanftem Laufe floss, und
in dem die scheidenden Sonnenstrahlen sich spiegelten. Mit lautem
Hurrah stieg ich hinab, und bald fanden wir das Gesträuch, welches wir
durchdrungen hatten, und erreichten selbst noch vor Untergang der Sonne
den Saum des Waldes. Jetzt hörten wir auch das Blasen der Trompete,
welches der dritte Officier als Signal geben liess, als wir nicht nach
Hause kamen, und er ganz richtig vorausgesetzt hatte, dass wir uns
verirrt hätten. Als wir den kleinen freien Platz betraten, da stand
ein Dajaker mit gezücktem Mandau vor uns, welcher durch das Geräusch
unseres Ganges aufmerksam gemacht worden war. Der Dajaker ist nicht der
Wilde, der schon, wie die Rothhäute, durch sein Aeusseres imponirt;
dünne Lippen, eine schwach eingedrückte Nase, wenig hervorstehende
Backenknochen, bartloses Gesicht imponiren uns sehr wenig; in seiner
mangelhaften Toilette, nur mit dem Djawat bekleidet, tritt sein Schmutz
besonders durch die Schuppenkrankheit, zu der sich oft genug Geschwüre
paaren, ekelerregend in seiner ganzen Totalität vor unsere Augen.
Der Druck der malayischen Fürsten nahm ihnen alle Männerwürde und
Selbstvertrauen; ihr Gang ist also mehr schleichend als kräftig, und
nur wenige tragen ihren Kopf aufrecht.

Wir waren ohne Waffen und hatten nur unsere Stöcke bei uns. Entweder
hatte auch er das Signal gehört und glaubte, dass auch die Truppen in
nächster Nähe wären, oder sei es, dass er gar nicht glauben konnte,
dass wir ohne Revolver uns in den Urwald wagten, oder sei es, dass
wir unvermuthet vor ihm standen, so dass er keine Zeit und Gelegenheit
hatte, im Hinterhalt auf uns zu lauern, genug an dem, wir gingen
stolzen Hauptes, ohne auch nur mit einer Miene das Bewusstsein unserer
Wehrlosigkeit zu verrathen, unbelästigt an ihm vorbei, und ich brauche
mit keinem Wort das selige Gefühl zu schildern, mit welchem wir der
Richtung des Trompetenschalles folgten, und schon nach Sonnenuntergang
das Fort erreichten.

Wenn ich auch oft auf die Jagd ging, so fehlte mir doch die Elasticität
des Körpers, um in Borneo als wahrer Nimrod auch grosses Wild zu
verfolgen. Schon die Jagd auf Wildschweine ist lohnend, weil man etwas
Abwechslung in sein Menu bringen kann. Diese fordert nur Geduld;
hinter dem Fort hatten die Soldaten einen Gemüsegarten angelegt, und
bald stellten sich diese ungalanten Gäste ein, welche das Grünzeug
auffrassen und den Boden aufwühlten. Ihre Spuren waren deutlich, und
darum zog ich öfters, kurz vor Aufgang des Mondes, mit meinem Bedienten
in den Garten und legte mich auf die Lauer. Sobald der Mond das Terrain
erhellte, kamen diese Feinschmecker, und zwar einzeln oder zu Paaren,
und fielen dann leicht in unsern Schuss. Auch die Jagd auf Rehe ist
ungefährlich, wenn man die Stelle kennt, wohin sie Abends zu trinken
kommen. Eine solche Tränke war in der Nähe des rechten Ufers des
Baritu, gegenüber der Mündung des Teweh. Es war eine grosse Schlucht
mit hellem, frischem Wasser, über welchem ein grosser Baum als Brücke
lag. Vor Sonnenuntergang kamen die Rehe und auch die Kantjils hier
ihren Abendtrunk holen. Gewöhnlich sass ich auf dem Baume, das Gewehr
schussbereit in der Hand.

Eines Tages jedoch ging ich mit dem Häuptling dahin, und er nahm Platz
auf dem Baume, während er mir die Lauer bei einem Baume empfahl, in
dessen Nähe der Weg war, auf welchem die Rehe zur Schlucht zogen. Ich
vertraute seinen Angaben um so mehr, als er factisch, viel häufiger als
ich, mit reicher Jagdbeute nach Hause kam. Ich suchte mir also hinter
dem angewiesenen Baume eine trockene Stelle aus und liess mich nieder
in geduldiger Erwartung dessen, was kommen sollte. Plötzlich wurde ich
jedoch durch ein fürchterliches Geräusch aufgeschreckt. Ich sprang
auf und sah über meinem Kopfe eine grosse Heerde von Schweinsaffen
(Fig. 7) von Baum zu Baum springen. War es nun Zufall oder nicht, ich
sah mir nun ein bischen näher die Gegend an, welche mir Dacop mit
solchen warmen Worten für die Lauer auf die Rehe angewiesen hatte,
und sieh’ da, es war der Weg zur Tränke für die gefährlichsten und
gefürchtetsten Riesen des Waldes, für die Büffel und Rhinocerosse!!
Dem Rhinoceros kann man entfliehen, wenn man seines Schusses nicht
sicher ist, oder wenn aus anderen Ursachen dieses plumpe Thier nicht
kampfesunfähig gemacht wird; aber der Büffel ist ein gefährlicherer
Gegner als der Königstiger und das Rhinoceros; denn der Banteng lebt
in Heerden, und wenn einer von ihnen, von der Kugel getroffen, mit
seinem donnerähnlichen Brüllen die Luft erschüttert, stürzt sich die
ganze Heerde auf den Jäger, der nur sehr selten dem traurigen Schicksal
entgehen wird, von der rasenden Heerde zertrümmert zu werden. Flüchtet
er sich auf einen Baum, so wühlt die Heerde in der Wurzel und stürmt
mit den Hörnern gegen den Baum, dass er endlich fallen muss; und ist
der Baum so dick, dass es vielleicht nur durch einzelne Einkerbungen
ihm möglich wurde, die hohen Aeste zu erreichen, und dass es den
rasenden Büffeln unmöglich ist, den Baum zu fällen, so weichen sie
nicht früher vom Platze, als bis die aufgehende Sonne sie zwingt, ins
Dickicht sich zurückzuziehen.

Nun, zu solchen Abenteuern hatte ich keine Lust, als ich auf dem Pfade
die Spur einer solchen Heerde sah; ich rief Dacop und zeigte ihm die
grossen Massen Mist. Er war auch kein grosser Held, und so zogen wir
uns zurück, ohne diese Ungeheuer des Waldes bei ihrer Abendzeche
belauscht zu haben. Das Bedauerlichste bei dieser Sache war jedoch,
dass ein Mann zum Häuptling eines Bezirkes gewählt war, der nicht
wusste, dass in der nächsten Nähe seines Kampongs die wilden Büffel
sich befanden. Dazu kommt noch, dass es alter Mist war, der zu unsern
Füssen lag.

       *       *       *       *       *

Es ist kein dankbares Thema, den Entwicklungsgang der Medicin in
Borneo resp. in Indien zu verfolgen; denn wir kommen leider zu dem
traurigen Resultat, dass die Therapie, das Stiefkind der medicinischen
Wissenschaft, in Indien anstatt von den Europäern in die grosse Menge
der Eingeborenen zu dringen, bis jetzt den umgekehrten Weg genommen
hat: Dass nämlich die Europäer um vieles mehr von den therapeutischen
Maassregeln der Eingeborenen angenommen haben, als diese von den
europäischen Medicamenten Gebrauch machen.

Wenn wir festhalten, dass die Bevölkerung Borneos unter vier Rubriken
zu bringen ist, so müssen wir die Olo-Ott bei der Besprechung dieses
Capitels ganz ausser Betracht lassen. Mir ist von ihrer medicinischen
Wissenschaft gar nichts bekannt. Die eigentlichen Dajaker, oder wie
sie sich selbst nennen, Olo-Ngadju, haben jedoch schon so viel von den
Arzneien, Gebräuchen und Sitten ihrer malayischen Nachbarn und Fürsten
angenommen, dass es nicht leicht fällt, von einer Medicin der Dajaker
zu sprechen.

Die religiösen Ceremonien, die Beschwörungen der Geister und Teufel
sind originell, d. h. sie sind durch die malayische Umgebung nicht
beeinflusst worden; aber die Massage ist die der Malayen; nur hat sie
einen +sichtbaren+ Erfolg; Holzsplitter, Fischgräten, Nadeln,
Dornen u. s. w. wissen die Bliams beim Massiren aus dem Körper
herauszureiben, kneten und zu zwicken, wahrscheinlich als sichtbarer
Beweis, dass die Seele durch die Hülfe der Bliams in den Menschen
zurückgekehrt sei. Radja Antuën (der Antuën König) hat ja seine
Boten; diese entführen die Seele des Menschen und trachten, ihm dafür
Splitter, Gräten u. s. w. in den Leib zu stechen, so dass er krank
werden muss. So ein Antuë hat aber noch viele Mühe, bis es ihm gelingt,
Jemand krank zu machen. Zu diesem Zwecke muss er sich selbst den
eigenen Kopf abreissen. Dieser, d. h. der abgerissene Kopf, fliegt mit
den daran hängenden Fleischtheilen in das Haus seines Opfers. Zu diesem
Zwecke muss er sich vorher in einen Vogel, Ratte oder Maus verwandeln,
um Zutritt in das Haus zu bekommen. Sobald sein Opfer in den Schlaf
gefallen ist, stiehlt er ihm die Seele und steckt ihm eine Nadel, Gräte
u. s. w. in das Fleisch. Der Antuën muss jedoch sorgen, dass dies Alles
vor Anbruch des Tages geschehe. Denn, wenn es Licht wird, bevor der
Kopf seinen Körper gefunden hat, muss er auf die kommende Nacht warten,
um sich mit diesem wieder vereinigen zu können; aber unterdessen hat
der Körper den Fäulnissprocess begonnen, so dass der Antuën sterben
muss. Kommt jedoch der Kopf rechtzeitig zu seinem Körper zurück, dann
setzt der Antuën den Kopf wieder auf den Rumpf und bekommt wieder seine
menschliche Gestalt (Perelaer).

Diese Aetiologie der Krankheiten macht natürlich jede Diagnose
unmöglich und die eigenthümliche Therapie der Dajaker verständlich.
Ihre Massage haben sie vielleicht von den Malayen übernommen;
vielleicht ist sie Original, und dass die Bliams bei dieser Operation
immer ein corpus delicti finden, eine Fischgräte, Splitter u. s. w.,
kann vielleicht das Bestreben haben, durch Suggestion zu heilen. Auf
Seite 40 haben wir gesehen, dass in schweren Krankheitsfällen der ganze
Apparat der Beschwörung aufgeboten wird, um den Antuën zum Verlassen
des Patienten zu zwingen.

Bei der Geburt eines Kindes geschieht dasselbe, und in erster Reihe
wird an die Antuë Kankamiak ein schwarzes Huhn geopfert, um sie zu
versöhnen und ihr zu schmeicheln, weil sie es ist, welche die Frucht
der schwangeren Frau absterben und im Mutterleibe faulen lässt.
Nebstdem sind viele Abortiva bekannt und wird der gebärenden Frau eine
Arznei gegeben, welche den Gebärakt erleichtern soll. Vor und nach
der Geburt ist die junge Frau in sehr vielen Sachen »pali«, d. h.
vieles ist ihr verboten, z. B. dem Feuer sich zu nähern, Früchte zu
essen u. s. w. Hält sie sich jedoch aus irgend einer Ursache nicht an
die Vorschriften des »pali«, so wird sie »marujan«, d. h. sie hat die
Krankheit gesucht und kann nur durch Hülfe der Bliams von der drohenden
Gefahr befreit werden; so interessant auch das ganze Wochenbett der
dajakschen Frau vom ethnographischen Standpunkte aus ist, so würde es
mich doch zu weit von meinem Ziele führen, wenn ich es ausführlich
beschreiben wollte.

Aber die Taufe des Kindes will ich doch mit einigen Worten erwähnen,
weil ich dieselbe gesehen habe. Wenn das Kind ein Jahr alt ist, darf
es zum ersten Male im Flusse gebadet werden (vor dieser Zeit wird es
im Hause nur hin und wieder mit Wasser begossen), und dieses geschieht
in der Form des Mandoifestes. Zu diesem Zwecke werden 7 Blanggas mit
Wasser gefüllt, das sind Töpfe von ungefähr 40 cm Höhe und weiter
Oeffnung, welche durch ihr hohes Alter oft 2-4000 fl. kosten; natürlich
haben die Chinesen oft versucht, Imitationen dieser Töpfe einzuführen
und zu verkaufen, ohne dass ihnen dieses jemals gelungen wäre, denn
jeder dieser Töpfe hat seinen Stammbaum, der durch ganz Borneo bekannt
ist. So lange er nicht in tausend Scherben zerbrochen ist, weiss
jeder Dajaker, wo und bei wem ein grosser Blangga sich befindet. Es
ist also bis jetzt noch niemals gelungen, einen falschen Blangga
einzuführen. Sie werden in weibliche und männliche, und nach ihren
Figuren in zahlreiche Unterarten eingetheilt. Ich hatte Gelegenheit,
einige Blanggas zu sehen, welche dieselbe Form, und zwar die eines
dickbäuchigen Topfes, aber in der Nähe des Halses verschieden geformte
Drachen und Schlangen in Basrelief hatten. Diesen Töpfen wird eine
aussergewöhnliche Zauberkraft zugeschrieben; sie vertreiben alle
Antuëns und alle bösen Geister, sie geben dem Besitzer eine gute Ernte,
Glück bei dem Fischfang, auf der Jagd und -- in der Liebe.

Neben diesen Töpfen werden 7 Gantangs (1 G. = 1/10 Pikol = 6·2 Kilo)
gut gereinigter Reis und ein langer Rottang gelegt, welche die
Verwandten des Kindes bewachen, während die Bliams die Sanggiangs
anrufen und bitten, »das Wasser des Lebens« bei dem Bruder von
Mahatara zu holen. (Mahatara = Mata hari = Auge des Tages.) Ist die
Menge des Wassers in den Blanggas und die des Reises und die Länge
des Rottangs über Nacht grösser geworden, dann haben die Sanggiangs
das Lebenswasser gebracht (danom Kaharingan), und es wird in einem
metallenen Becken mit dem Blute eines schwarzen Schweines gemischt und
auf den Fluss gebracht. Darin wird das Kind siebenmal getaucht und im
Flusswasser abgespült. In einem pittoresken Aufzug wird das Kind an
das andere Ufer gebracht und zwar in einem Kahn, welchen der Vater mit
6 Männern schwimmend begleitet, während die andern Familienmitglieder
und Freunde ebenfalls in Canoes folgen. Das Canoe der Bliams und
Bassirs ist mit Blumen verziert. Am jenseitigen Ufer werden an Djata,
den Bruder des Mahatara, Affen, Hirsch- und Entenfleisch geopfert und
darauf wird die Zurückreise angetreten. Zu Hause angekommen, wird das
Kind auf ein todtes Schwein gesetzt und auf seinen Kopf wird Reis
gestreut, welcher von einer weissen Henne abgefressen werden muss, wenn
dem Kinde eine glückliche Zukunft bescheert sein soll.

Die eigentlichen Dajaker legen, wie ich schon oben erwähnte, der
Behandlung ihrer Kranken sehr viel Suggestion zu Grunde und gebieten
über keinen grossen Arzneischatz, obzwar sie die Nachbarn der Malayen
sind und Jahrhunderte lang unter dem Joche malayischer Despoten
seufzten. Auch von den europäischen Doctoren haben sie noch nicht
vieles angenommen. Während meines 3½jährigen Aufenthaltes unter ihnen
wurde ich nur zu drei internen Fällen gerufen: kam eine Frau zu mir, um
mich über das starke Ausfallen ihrer Haare zu consultiren, ein Mann bat
mich um Hülfe gegen seine blutige Diarrhoe, und drei Personen liessen
sich von einer Hasenscharte befreien. Auch wurde mir ein Kind gebracht,
welches keine Arme hatte, 27 cm lang war ohne die Unterschenkel, welche
8½ cm lang waren, alle drei Gelenke und nur die erste und fünfte Zehe
hatte.

Die malayische Bevölkerung hat nicht nur ihre Sprache, sondern einen
grossen Theil ihres medicinischen Glaubens den Völkern des indischen
Archipels aufgedrängt; die Dajaker Borneos wie die Bataker von Sumatra,
die Chinesen auf Java wie die in den Molukken, die Javanen, Sundanesen,
Manduresen, sie alle haben malayische therapeutische Maassregeln
in ihren Arzneischatz aufgenommen, geradeso wie die Europäer. Wie
wenig ist von der europäischen medicinischen Wissenschaft bis jetzt
in die grosse Menge der malayischen Völker gedrungen; das Chinin,
Ricinusöl, Santonin und die Vaccination sind bis jetzt Gemeingut
der höher stehenden malayischen Stämme geworden. Die Häuptlinge in
Java consultiren den europäischen Arzt, wenn ihnen die heimathlichen
Mediciner keine Heilung bringen; der Bauer jedoch wird höchstens in
chirurgischen Fällen Hülfe bei uns suchen.

Auf welch niedriger Stufe die Medicin der Malayen steht, kann
der Patient nicht ahnen, der zur Fahne der halbeuropäischen
Heilkünstlerinnen schwört, oder die Kunst der Dukuns bewundert. Es
ist unglaublich, wie selbst wissenschaftliche Männer durch das post
hoc so schnell zum propter hoc übergehen und in die Hymne auf die
Kunst der Dukuns einstimmen. Perelaer z. B. bewundert die Kunst der
dajakschen Bliams, dass sie durch äussere Untersuchung der schwangeren
Frau das Geschlecht des Kindes bestimmen können, und dass sie sich
niemals darin geirrt hätten, und fügt hinzu: »Soweit haben es unsere
Accoucheurs mit all ihrem Küchenlatein noch nicht gebracht.« -- Das
wäre gewiss bewunderungswerth, wenn es nur wahr wäre. Die Kunst der
Dukuns wird selbst von Dr. Stratz überschätzt; sie sind nicht mehr
und nicht weniger als geschickte Masseusen. So wird von ihnen auch
behauptet, dass sie durch die äussere Untersuchung eine Gravidität von
14 Tagen oder einem Monat diagnosticiren könnten, und alle Aerzte beten
dieser Behauptung nach; auch dies ist nicht wahr. In T.... kam Frau K.
zu mir mit der Klage, die ein Arzt in Indien so oft hören muss, dass
sie wieder schwanger sei, obzwar sie noch einen Säugling von einigen
Monaten habe, dass ihr dieses ungelegen komme, weil sie von ihrem
Einkommen keine grosse Familie ernähren könne, und dass ich ein gutes
Werk thäte, sie von einem grossen Kindersegen zu befreien. Moralische
Entrüstung zu äussern über ihr derartiges Verlangen und noch dazu zu
einer Zeit, dass sie glaubt, schwanger zu sein, wäre zwecklos gewesen;
man wird ja in Indien so häufig um Abortusmittel direct und indirect
ersucht, dass ich mich in solchen Fällen nur über das Gefährliche
eines solchen Ansuchens erging und höchstens ein unschuldiges Mittel
angab, z. B. warme Fussbäder mit Asche, ohne die sittliche Frage zu
besprechen. Diese Dame behandelte ich jedoch schon seit längerer
Zeit so dass ich auch diese Seite ihrer Bitte besprechen konnte. Im
weiteren Gespräche zeigte es sich, dass ihre Diagnose sehr unsicher
und nur gegründet auf die Untersuchung einer Dukun war. Diese hätte
ihr nebstdem ihre Medicin angeboten, um sie von der unerwünschten
süssen Last zu befreien. Glücklicherweise ist Frau K. nicht darauf
eingegangen; denn zwei Tage später stellten sich die Menses spontan
ein; hätte diese Dame die Medicin dieser Dukun eingenommen, wären
nicht nur 2,50 fl., welche sie verlangt hatte, umsonst ausgegeben
gewesen, sondern auch der Ruf dieser Dukun wäre gefeiert worden, dass
sie nicht nur die Diagnose der Gravidität schon in den ersten Wochen
stellen könne, sondern dass sie auch ein unfehlbares Mittel besitze,
dulce et jucunde die Frauen vom unerwünschten Kindersegen befreien zu
können. Im andern Falle jedoch wäre der Rest -- Schweigen gewesen.

Dasselbe sehen wir bei jenen halbeuropäischen Frauen, welche sich mit
der Behandlung der »Bauchkrankheiten« beschäftigen und selbst von
Aerzten empfohlen werden. Die glücklichen Fälle werden an die grosse
Glocke gehängt und die andern Fälle werden todtgeschwiegen. Selbst
europäische Aerzte lassen sich von solchen Frauen behandeln, obwohl
ihre Therapie auf die roheste Empirie basirt ist, und wie wir sehen
werden, selbst aus der Quelle des gröbsten Aberglaubens schöpft! Im
Jahre 1896 starb eine solche Matrone in Samarang und erhielt sogar
ein Jahr später ein kleines Monument auf dem Friedhofe, nachdem ein
Oberstabsarzt sogar ein Büchlein über ihre Therapie herausgegeben
hatte!! Diese Damen haben absolut kein medicinisches Wissen; sie
individualisiren gar nicht; alt oder jung, Mann oder Frau; erstes
oder letztes Stadium der Erkrankung, Dysenterie oder Enteritis
membranacea, primäre oder secundäre Erkrankung, Ursache oder Folge
anderer Krankheiten, complicirt mit Fieber oder ohne Fieber; alles
geht auf dieselbe Schablone. Die Dosirung ist auch sehr primitiv; ihre
Kräuter werden »handvoll«, fingerspitzenvoll u. s. w. verabfolgt.
Natürlich müssen diese Kräuter an einem bestimmten Tage und Stunde und
bei gewissem Stande des Mondes u. s. w. gesammelt sein. Einige sind
jedoch so »gewissenhaft«, dass sie ihre europäischen Patienten erst
nach ihrem befreundeten Doctor schicken, um eine Diagnose stellen zu
lassen; sie haben aber unabhängig von der Diagnose des Arztes dieselbe
Behandlungsweise, welche ihnen -- viel Geld einträgt.

Natürlich drängt sich die Frage auf, worauf denn ihr Erfolg basirt sei;
Erfolg müssen sie ja haben, sonst müsste zuletzt ihre Unkunde deutlich
zu Tage treten. Welche Therapie hat aber gar keinen Erfolg? Soll ich
an jene zahlreichen Infectionskrankheiten erinnern, welche ohne jede
Behandlung und +trotz+ jeder Behandlung der Heilung zugeführt
werden, z. B. Blattern, Typhus, Scharlach u. s. w. u. s. f. Wenn nun
in solchen Fällen Daun sedjuk[35] oder Mata udang (Cissus cinerea) dem
Kranken gegeben werden und diese heilen, so haben wir doch kein Recht,
die Therapie der Malayen zu bewundern und sie unserem Arzneischatz
einzuverleiben. Eine Haematemesis in Folge eines Ulcus ventriculi
heilt +ohne+ jede Medicin, wenn nur dem Magen die nöthige Ruhe
gegönnt wird, die Bildung der Thrombus zu ermöglichen; noch vor wenigen
Wochen stand ich vor diesem Falle, dass ein 18jähriges Mädchen grosse
Mengen von Blut erbrach und ich dazu gerufen wurde; ich gab nichts als
kalte Compressen auf den Magen. Die Blutung wiederholte sich nicht,
und das Mädchen erfreut sich heute einer vollkommenen Gesundheit. In
einem solchen Falle hätte eine Dukun von den Daun setjang (caesalpina
doppan) ein Decoct gegeben, und wäre die Patientin geheilt, hätten
die »inlandsche geneesmiddelen« das Aureol der Unfehlbarkeit gewiss
erhalten. Hätte aber diese Patientin abermals eine Blutung bekommen,
und wahrscheinlich mit ihrem Leben die Therapie der Dukun bezahlt, denn
diese hätte sicher den Magen auch massirt, so hätte der Fatalismus sein
tröstendes Wort gesprochen: Tuwan Allah Kassih = Gott hat es gegeben.

Die Behandlung der externen Krankheiten der Eingeborenen findet bei
den Europäern nur in ganz seltenen Fällen Anwendung; die Andol-andol
(von Mylabris rubripennis) oder Sasawi (sinapis alba) oder Daun gatel
(Urticaria ovalifolia) haben zwar auch in der europäischen Pharmakopöa
Aufnahme gefunden; auch werden bei Furunculosis und Phlegmonen häufig
von halbeuropäischen Patienten Daun baba (Solanum nigrum) oder Daun
bisol (Veronica cinerea) u. s. w. gebraucht; aber zu einer Operation
eines Tumors, zu einer Luxation, zu einer Fractur, oder zu einer
kosmetischen Operation u. s. w. wird immer von den europäischen
Patienten, und häufig auch von den Eingeborenen, die Hülfe eines
europäischen Arztes angerufen. Die Dukuns gehören aber unbedingt zur
messerscheuen, arabischen Schule. Aber selbst auf dem Gebiete ihrer
grössten Triumphe, und zwar in der Behandlung der »Bauchkrankheiten«,
verdienen weder die Dukuns noch die »indischen Damen« Nachahmung
oder sogar Bewunderung ihrer Kunst. Sehr oft wird als Vortheil der
»inländischen« Behandlung die Regelung der Diät angegeben; ich will
nicht davon sprechen, dass sie schablonenhaft bei jeder Bauchkrankheit,
d. h. bei jeder Darmerkrankung, dieselbe ist; aber sie wird in den
meisten Fällen nicht gehalten und kann nicht gehalten werden, weil
der europäische Gaumen eben ein anderer ist als der eines Kuli; und
dann hat die »Dame« ihren berechtigten (?) Vorwurf bei der Hand,
dass der Patient trotz Monate langer Behandlung nicht gesund werden
konnte, weil er sich nicht an ihre Vorschrift der Diät gehalten habe.
Ich war im Jahre 189.. zum Mittagmahl beim Sanitätschef in Batavia
eingeladen, welcher an Spruw (Aphthae tropicae) litt. Auch er stand
unter Behandlung einer solchen »indischen Dame«. Zum Getränk hatte
er auf dem Tisch Reiswasser und zur Nahrung seit Wochen und Monaten
Nassi tim, d. h. in Reis ohne Gewürze und ohne Fett gekochtes und
eingedampftes Huhn und Deng-deng, d. h. getrocknetes Fleisch. Wer
kann eine solche Nahrung für die Dauer aushalten!? Die Patienten
sündigen also immer, und auch mein Gastherr pries die Zweckmässigkeit
der »indischen« Diät und versicherte mir, dass er gewiss schon längst
geheilt wäre; »aber das Fleisch ist schwach,« fügte er lächelnd hinzu.
Leider hat die Diätregelung des Dr. Gelpke ihren Weg nach Indien nicht
gefunden; sie hat nämlich Rechnung getragen mit den verwöhnten Gaumen
der Europäer und war ebenso viel, wenn nicht mehr zweckmässig, als die
der »indischen Damen«, und brachte genug Abwechslung in das Menu der
Patienten. Die medicamentöse Behandlung dieser Damen ist dieselbe als
die der Dukuns.

Jahrzehnte, oft noch mehr als ein Lebensalter dauert es, bis in Europa
eine neue medicinische Schule in die grosse Menge gedrungen ist, und
ebenso lange dauert es, bis sie wieder der neuesten gewichen ist. (Noch
im Jahre 1875 ersuchte mich in Wien eine Dame um die Venaesection,
welche sie jährlich im Frühling zur Reinigung ihres Blutes vornehmen
liess.) Aber die Dukuns haben gar keine »Schule« angenommen. Durch
Tradition lernen sie die Medicamente in kalte und warme eintheilen; bis
auf einige (den Aerzten abgelauschte) ausgesprochene Krankheitsbilder,
wie Cholera und Blattern, kennen sie keine Diagnostik und sprechen von
kranker Kehle (Diphtheritis), von krankem Bauche (alle Krankheiten der
Verdauungsorgane), oder von einzelnen Symptomen, wie sakit Kentjing bei
Nieren- und Blasenkrankheiten, und wenden jene Medicinen an, welche
bei Tradition für die symptomatische Behandlung bekannt sind. Ich
würde nicht so viele Worte über diese Frauen verlieren, wenn nicht so
viele hunderte und tausende arme Patienten in ihrem blinden Glauben an
diese Heilkünstlerinnen Wochen und Monate lang sich mit ihrem Leiden
herumschleppen würden, anstatt durch eine radicale Behandlung von ihren
schmerzvollen Leiden befreien zu lassen.

Zum Theil sind die europäischen Aerzte durch ihre Denkfaulheit an
diesen traurigen Verhältnissen schuld. Wenn ein hoher Militärarzt
das oben erwähnte Tractätlein der verewigten Heilkünstlerin von
Samarang (vielleicht war er der Verfasser desselben) einem gewesenen
klinischen Assistenten (von Prof. T. in Utrecht) nicht nur zur Lectüre
empfahl, sondern auch deren Befolgung mit dem ganzen Hochdruck seiner
militärischen Stellung erzwingen wollte, wenn ein anderer Arzt die
Behandlung »der indischen Damen« höher schätzt als die seiner Collegen,
weil sie die »indischen« Medicinen für die »indischen« Krankheiten
kennen, was der europäische Arzt unmöglich thun könne, oder wenn
ein Anderer gegenüber seinen »indischen« Patienten aus schlecht
angebrachter Höflichkeit der geäusserten Hymne nicht widerspricht oder
theilweise »für gewisse Krankheiten« anerkennt, oder wenn ein Dritter
sogar Compagnon der indischen Heilkünstlerin wird und, wie schon
erwähnt, die Diagnosen zwar stellt, die Behandlung der Krankheit an die
»Indische« überlässt; dann darf es Niemanden Wunder nehmen, dass der
ärztliche Stand in Indien auch viel an dem Wuchern dieses Unkrautes
Schuld hat. Horsfield sagt schon 1816 in seinem Resumé (Short account)
der indischen Arzneimittel: Man kann von der Praxis der Inländer wenig
lernen; sie gebrauchen die Medicin nur empirisch, ohne auf die Menge zu
achten; ihr Mangel an medicinischer Wissenschaft macht sie ungeschickt,
um die Wirkung einer Arznei auf den menschlichen Körper zu beurtheilen
... (Dr. van der Burg). Und nach 80 Jahren, nachdem wir einen bessern
Einblick in das Wesen der Krankheit bekommen haben, nachdem selbst
die Therapie zu den Wissenschaften gerechnet werden darf, giebt es
noch Aerzte, welche eine Dukun stimmberechtigt unter den Therapeuten
erklären!!!

Die Regierung jedoch hat eine viel grössere Schätzung der europäischen
Doctoren an den Tag gelegt, indem sie eine Schule für javanische Aerzte
errichtete, welche die Fortschritte der europäischen medicinischen
Wissenschaft in die grosse Menge des indischen Archipels einführen
sollen. Vor ungefähr 50 Jahren wurde in Batavia ein Seminarium für
die Söhne von Häuptlingen errichtet, welche nach Absolvirung der
Volksschule sich dem Studium der Medicin widmen wollten. Ich hatte
Gelegenheit, solche »Doctor Djawas« aus der damaligen Schule kennen
zu lernen, welche nur theilweise den Erwartungen der Regierung
entsprechen konnten, den Segen einer medicinischen Wissenschaft auch
den Eingeborenen zu Theil werden zu lassen. Die Unterrichtssprache war
damals nämlich die malayische. Die »Professoren« dieser Anstalt konnten
jedoch kaum eine gut malayisch geschriebene Zeile lesen oder schreiben,
sondern sprachen nur das gewöhnliche Casernenmalayisch. Anderseits
ist die malayische Sprache durch ihre Armuth gar nicht geschickt, als
Unterrichtssprache einer höheren Wissenschaft zu dienen. Es geschah
daher das Unvermeidliche, dass diese Doctoren-Djawa aus damaliger Zeit
niemals eine medicinische Idee erfasst, verstanden oder aufgenommen
haben und einfache Receptschreiber waren, und in chirurgischen Fällen
etwas mehr leisten konnten, als ein Krankenwärter. Seitdem jedoch die
Unterrichtssprache holländisch geworden ist, kommt ein ganz brauchbarer
Schlag von javanischen Aerzten in die Praxis. Es lässt sich darüber
streiten, wie viel von der medicinischen Wissenschaft diesen Aerzten
geboten werden soll, und ob das »zu viel« vielleicht mehr schaden
könnte als das zu wenig.

Ich sass 188.. bei einer mikroskopischen Arbeit, und der Doctor Djawa
folgte ihr mit Interesse. Endlich frug ich ihn, ob er auch wisse,
was ich unter dem Mikroskop suche. Jawohl, Mynheer, antwortete er,
Teichmannische Hämin-Krystalle. So sehr mich diese Antwort anfangs
überraschte, so sehr fand ich sie später in Uebereinstimmung mit seinem
übrigen medicinischen Wissen.

Wenn es nur der Regierung, oder vielmehr den Lehrern dieser Schule
auch gelänge, diesen jungen Menschen auch Pflichtgefühl einzuprägen
oder Begeisterung für die Wissenschaft, oder aber für das heilige Ziel
dieser Wissenschaft, für die Idee, der leidenden Menschheit +zu
helfen+! Derselbe »Doctor Djawa« wurde von mir betraut mit der
Behandlung der kranken Prostituées. Die neu zugewachsenen Personen
untersuchte ich mit ihm, besprach mit ihm die Behandlung und überliess
ihm dann das Weitere. Unerwartet kam ich eines Tages in das Spital,
und mein Assistent sass im Bureau, seine Cigarette zu rauchen, und
überliess die Behandlung der Patienten der Krankenwärterin. Im Jahre
1881 war eine verheerende Fieberepidemie im Süden des westlichen Java.
Als ich dahin von der Regierung geschickt wurde und Kampong für Kampong
besuchte, fand ich bei den Häuptlingen Flaschen mit verschimmelten
Chininpillen, welche sie beim Doctor Djawa des Bezirkes geholt hatten,
der aber seinen Kampong niemals verliess. Wie gesagt also, es fehlt
ihnen der nöthige Ernst und das Pflichtgefühl, so dass sie bis auf
wenige Ausnahmen nicht mit einer selbständigen Stellung betraut werden
und nur unter Aufsicht und Controle ihre Arbeit verrichten können. Die
Doctor Djawa müssen also die Vermittler sein zwischen der europäischen
medicinischen Wissenschaft und dem abergläubischen unwissenschaftlichen
und oft betrügerischen Treiben der Dukuns.

In früheren Zeiten bestand auch eine Hebammenschule, welche jedoch
schon nach kurzem Bestand aufgehoben wurde.



9. Capitel.

  Kriegsspiele der Dajaker -- Angriff auf einen Dampfer -- Hebammen --
  Frauen-Doctor -- Europäische Aerzte -- Gerichtsärzte -- Stadtärzte --
  Civilärzte -- Furunculosis -- Aerztliche Commissionen -- Vaccinateurs.


In voller Kriegsausrüstung tritt der Dajaker zum Kriegsspiel. In seiner
linken Hand hält er den Schild, in seiner Rechten das Blasrohr für
die vergifteten Pfeile. Auf seiner linken Hüfte ruht der Mandau und
der Köcher mit den Pfeilen; auf dem Kopfe sitzt eine runde Mütze, aus
Rottang geflochten, mit Federn von dem Pfaufasan oder von dem Pfau;
ich hatte einige solche Mützen, welche mit dem Fell eines Orang-Utang
überzogen waren. Die Brust und der Rücken sind bedeckt mit einem
Ziegenfell, welches in der Mitte eine Oeffnung für den Kopf hat, von
dem Halsausschnitt fällt ein Bündel mit Amuletten herab (mit Zähnen von
den Babi-russa, Schneidezähnen von grossen Schweinsaffen u. s. w.
u. s. w.).

Im Kriegsspiel idealisirt jedes Volk die Art und Weise seiner
Kriegsführung oder, ich möchte lieber sagen, zeigt es die Theorie
seiner Kriegskunst. Wie in der Fechtschule der Gebrauch des Gewehres
gelehrt wird, das findet im Ernstfalle, abgesehen von dem Duell, keine
Anwendung; so muss man auch beim Anblick der Kriegstänze nur sehr
vorsichtig auf die Kriegsführung im Ernstfalle einen Schluss sich
erlauben.

Nicht mit erhobenem Haupte oder stolzen Schrittes tritt der Dajaker zum
Kampfspiele. Nonchalant oder gleichgiltig tritt er auf den Schauplatz,
wirft zunächst das Blasrohr weg und zieht gelassen den Mandau aus der
Scheide. Er beugt sein linkes Knie, deckt seinen Körper mit dem Schild
und späht hinter diesem nach allen Seiten; das rechte Bein streckt er
plötzlich aus und dreht sich dann wie ein Kreisel auf der Ferse seines
linken Fusses, um von Zeit zu Zeit seinen Mandau nach allen Seiten zu
schwingen. Hin und wieder ruft er kreischend la hap, la hap, springt
rechts und links, dreht sich wieder wie der Wind um seinen Fuss,
schlägt nach seinem unsichtbaren Feinde mit wuchtigem Schlag und fällt
endlich -- leblos danieder. La hap, la hap ertönt es aus den Reihen
seiner Zuschauer, und ein zweiter Tänzer erscheint auf dem Schauplatz,
um denselben Tanz aufzuführen.

Mich überraschte jedes Mal das Schlusstableau dieses Tanzes. Bei allen
nationalen Tänzen, welche ich sah, ist das Ende des Tanzes der Sieg.
Hier die Niederlage!!

In der Wirklichkeit und im Ernstfalle ist der Anfall mit dem Messer das
Ende des Kampfes, die vorbereitenden Maassregeln zeugen jedoch oft auch
von entwickelter Taktik und Strategie.

Ein Anfall auf den kleinen Dampfer »Kapitän van Os«, ausgeführt von den
Dajakern des südlichen Borneos, zeigt uns ihre Kriegskunst selbst im
günstigen Lichte.

Dieser Dampfer bekam Ende December 1859, nach dem unglücklichen und
tragischen Ende des Kriegsschiffes »Onrust« und des Kreuzers No. 42,
Befehl, die Mündung des Kapuaflusses zu blockiren. Jede Nacht wurde
er von beiden Ufern dieses Flusses beschossen. Den 3. Januar 1860
jedoch schwieg zwar das Feuer der Gewehre, aber man hörte aus den
mit dichtem Gesträuch bedeckten Ufern ununterbrochen Bäume unter den
gewaltigen Streichen der Axt fallen. Der Capitän glaubte das Ziel
dieser Arbeit zu kennen; die Dajaker fällen nämlich gerne den Baum
bis auf ¾ seiner Dicke, vor dem Fallen wird er durch Rottangstricke
geschützt, mit welchen er am nächsten Baume verbunden wird. Kommt nun
ein feindlicher Kahn oder Schiff in die Nähe eines solchen Baumes, wird
der Rottangstrick durchgeschlagen, der Baum fällt in das Wasser und
zertrümmert Alles, was unglücklicher Weise in einem solchen Augenblicke
auf der Wasserfläche schwimmt. Dieses war dem Capitän des Dampfers
»van Os« bekannt, und er konnte sich also das Ziel dieser Arbeit nicht
anders erklären, als dass die Dajaker ihn zur Fahrt in den Kapuafluss
verleiten und auf bekannte Weise ihn dann vernichten wollten. Er
verbrachte den ganzen Tag in Spannung, auf welche Weise sie ihr Ziel
zu erreichen sich bemühen würden. Gegen 7 Uhr Abends, nach Untergang
der Sonne, begann hierauf ein starkes Gewehrfeuer von beiden Ufern.
Der Capitän hatte sofort den Anker aufgezogen, als die erste Salve
erfolgte, und drehte den Dampfer bald gegen den Kapuafluss, bald
gegen den kleinen Dajakfluss oder selbst gegen die Landzunge; jedes
Mal wurde er von zwei Seiten mit lautem la hap-Ruf unter einem starken
Gewehrfeuer begrüsst. Um 12 Uhr ging der Mond unter; der Himmel war
bewölkt, eine pechschwarze Finsterniss bedeckte die ganze Landschaft,
welche nur hin und wieder durch die Flammen der Salvenschüsse
erleuchtet wurde und starker und stärker häuften sich Aeste, Laub
und Stämme rings um den kleinen Dampfer, und zuletzt näherte sich
selbst ein ganzer Berg von solchem Treibholz. Als bei einer Entfernung
von ungefähr 10 Metern der Commandant der 15 Mann, ein javanischer
Sergeant, eine ihm unverständliche Bewegung in dem Berge von Treibholz
bemerkte, gab er das Commando »Feuer«, der Schiffscapitän Glaser, der
Maschinist und die 15 Javanen gaben ein Salvenfeuer, die Matrosen eilen
zu den Kanonen und feuern ihre Kartätschen in den schwimmenden Berg und
-- eine Unzahl von Canoes flüchtet unter lautem Gejammer verwundeter
Dajaker aus diesem Berge von Treibholz. (Nach Perelaer.)

       *       *       *       *       *

Besteht in Indien ein Bedürfniss für europäisch geschulte Hebammen?

Im Jahre 1897 sollte in Holland sich ein Verein constituiren, welcher
diese Sorge auf sich nehmen sollte. Hat ein solcher Verein raison
d’être? Die Geburtshülfe des grössten Theiles der eingeborenen
Hebammen ist, wenn wir von den krankhaften Zuständen absehen, eine im
Principe richtige Auffassung der Naturkräfte, und steht darum höher
als die europäische im Anfange der 90er Jahre. Bei normalen Geburten
beeinflusst nicht nur die Dukun ganz und gar nicht den normalen
Verlauf, sondern sie schadet auch nicht, weil principiell, und zwar aus
Sittlichkeitsgründen, jeder manuelle inwendige Eingriff vermieden wird.
Wie viel unglücklich verlaufende Entbindungen sind durch überflüssige
manuelle inwendige Eingriffe der europäischen Hebammen veranlasst
worden!

Die Zahl der normalen Geburten ist gewiss eine aussergewöhnlich grosse,
sonst hätte z. B. Java in den letzten neun Jahrzehnten nicht um 20
Millionen mehr Einwohner bekommen. Wenn auch Dr. Stratz der Behauptung
entgegentritt, »dass, wie alle Naturvölker, auch die javanischen Frauen
besonders schnell, bequem oder ohne Schmerzen entbinden«, so bleibt er
uns den Beweis dafür schuldig; er kann gar nicht diesen Beweis bringen,
weil ihm eine Statistik von normalen Geburten der Eingeborenen nicht
zu Gebote stand, und weil seine eigene Erfahrung diesbezüglich auf zu
kleine Zahlen von normalen und pathologischen Geburten basirt ist.

Meine eigenen Erfahrungen können natürlich nur von einem Eindrucke
im Allgemeinen sprechen, und dieser ist der allgemein herrschende,
dass die malayischen Frauen (aus anatomischen Gründen vielleicht)
viel leichter von der Frucht befreit werden, als die europäischen.
Ich will nur noch einmal hinweisen, dass in Indien Rhachitis sehr
selten vorkommt, dass alle indischen Frauen normal gebaut sind, und
selbst, dass ein Buckel ein rara avis ist. Der Heiltrieb ist bei den
Eingeborenen, wie jeder Arzt weiss, viel höher als bei den Europäern.
Bei einem Soldaten ging das Rad einer Kanone über die grosse Zehe
des rechten Fusses, und ich beschloss, die Zehe zu enucleiren; der
Hospitalchef kam dazu, und als er die Wunde sah, rieth er mir davon ab,
weil er ein Eingeborener sei; ich folgte seinem Rath, und der Patient
behielt eine brauchbare Zehe. Im Jahre 1892 wurde ich in Magelang zu
einer jungen Frau gerufen, welche durch einen Abortus einen heftigen
Blutverlust erlitten hatte. Als ich zu ihr kam, lag sie wie eine
Wachsfigur delirirend im Bette, der Puls war weniger als filiformis;
die Blutung noch nicht beendigt, und doch wurde mir jeder manuelle
Eingriff von Seiten der Familie nicht gestattet. Ich massirte den
Uterus durch die Bauchwand, gab eine Arznei, ut aliquid fieri videatur,
ging weg, und -- nach einem Jahre hatte sie wieder einen Knaben von
fünf Kilo. Ich erzähle dieses nur als Pendant zu dem Falle von Dr.
Stratz, wobei eine Berlinerin intra partum aus dem Bette ging, um ein
gutes Glas »Weisse« sich zu holen.

Wie gesagt, ich kann nur das Echo der allgemein angenommenen Ansicht
sein, dass die eingeborenen Frauen leicht entbinden; die Hülfe der
Hebammen ist ja eine unbedeutende. Die Dukun erscheint bei der jungen
Mutter mit 10-20 Medicinen sowohl für die Mutter als für den zu
erwartenden Staatsbürger. Nur sehr selten wird jedoch vor oder intra
partum Medicin gegeben; die meiste gilt dem Wochenbette und der Pflege
des Kindes; ob nun die äusseren Geschlechtstheile sanft gerieben
werden, ob alle Thüren, Fenster, Kisten und Kasten geöffnet werden,
dass die Entbindung schneller stattfinde, ob Geld in kupferne Schüsseln
geschüttet wird, oder gekochter Reis und Geld zwischen den Füssen der
Wöchnerin gestellt wird, um das Kind herauszulocken; ob ihr Urin zu
trinken gegeben wird von einem angesehenen Manne, oder ob der Mann ihr
ins Gesicht blasen muss, oder ob der Vater mit ausgespreizten Füssen
vor der Frau steht und rücklings schreitet, um das Kind, welches sich
nach seinem Vater sehnt, zu bewegen ihm zu folgen u. s. w. u. s. w. Das
sind doch keine Manipulationen, welche der Mutter und dem Kinde, oder
beiden gefährlich werden können. Wenn jedoch bei zögernder Geburt ein
langes Tuch, bengkun genannt, um den Oberbauch geschlungen wird, ist
dies allerdings schon ein einflussreicher Eingriff; oder wenn bei einer
Querlage die äussere Wendung nicht gelingt, oder aus andern Ursachen
der Mann auf den Bauch der Wöchnerin tritt und stampft, dann sind
Mutter und Kind in ihrem Leben bedroht; das ist wahr, aber dann sind
auch bedeutende pathologische Verhältnisse vorhanden, in welchen auch
eine europäische Hebamme nicht einschreiten darf und den Arzt holen
lassen muss. Nur in Ausnahmefällen wird eine mohammedanische Frau sich
dazu entschliessen, männliche Hülfe für einen solchen Fall in Anspruch
zu nehmen. Zu wiederholten Malen habe ich es erfahren, dass Männer
mich aufforderten, bei der Geburt ihrer Frau gegenwärtig zu sein und
etwaigen Falles thätig einzuschreiten; aber immer waren es die Frauen,
welche es nicht erlaubten.

Der letzte Fall traf eine javanische junge schöne Frau eines Lehrers,
welche durch ihr schlechtes Aussehen in den letzten Wochen ihrer
Gravidität den Mann veranlasste, mich zu consultiren. Ich fand normale
Verhältnisse von Lunge u. s. w., der Urin hatte kein Eiweiss u. s. w.;
aber die Beckenverhältnisse mochte ich nicht untersuchen, und von dem
Eintritt der Geburt wurde ich auch nicht verständigt.

Welchen Zweck hätte es also, hier für europäisch geschulte Hebammen
Geld, und zwar viel Geld auszugeben? In abnormen Fällen darf die
europäische Hebamme ebenso wenig einschreiten, als die Dukun es kann.
Bei normalen Geburten schadet die eingeborene Hebamme gewiss gar nicht,
oder sicher weniger, als die europäische, weil diese, in ihrer Sucht
nach Polypragmasie, oder um ihre Weisheit zu zeigen, die exploration
per vaginam immer und immer unternimmt. Welche europäische Hebamme
würde übrigens sich begütigen, im Innern des Landes im Kampong zu
wohnen, um nur den Eingeborenen Hülfe zu leisten, selbst bei einem
Gehalte von 100-200 fl. monatlich? Könnten diese Summen -- wie viele
müsste es deren im grossen »Insulinde« geben -- nicht besser verwendet
werden? In Java werden sogenannte Bezirksärzte mit 200 fl. monatlichem
Gehalte im Innern des Landes angestellt, und müssen dann sehen, wie
sie durch die Privatpraxis nebstdem soviel verdienen können, als
sie zu ihrem Lebensunterhalte u. s. w. nöthig haben. Die Regierung
würde zweckmässiger thun, einen Theil dieser Stellen durch weibliche
Aerzte zu besetzen, welche zur Praxis in vollem Umfange berechtigt
wären. Dadurch würde nicht nur eine grosse Zahl der eingeborenen
Frauen in ihren Erkrankungen einer wissenschaftlichen Behandlung sich
erfreuen können, sondern die moderne Geburtshülfe würde mit Hülfe der
weiblichen Aerzte auch in die grosse Menge der Eingeborenen dringen.
Wenn diese Doktorinnen nebstdem verpflichtet wären, zu allen Geburten
zu gehen, zu welchen sie gerufen werden, bei Entfernungen über 6 Pal
(± 9 Kilometer) eine standesgemässe Entschädigung erhielten, und wenn
auf ihrem Standplatze ein bescheidenes Zimmer eingerichtet würde, in
welchem die Wöchnerinnen die Zeit ihrer Entbindung abwarten könnten,
und welches mit einem einfachen Armentarium eingerichtet wäre, wenn
diese Doctorinnen exercitii causa alle Entbindungen leiten würden, so
dass die eingeborenen Frauen Zutrauen zu ihrer Kunst bekämen, dann
würden auch die abnormen Fälle, Steiss-, Querlagen u. s. w., mit Erhalt
des Lebens von Mutter und Kind glücklich beendigt werden können.

An weiblichen Doctoren hat Indien ein Bedürfniss, aber nicht an
Hebammen welchen nie und nimmermehr die Behandlung »aussergewöhnlicher«
Geburtsfälle anvertraut werden darf. --

Die Stellung der europäischen Aerzte ist im Allgemeinen in Indien eine
geachtete, und wie wir sehen werden, sind sie ein einflussreiches
Glied in der grossen Kette der Beamten, welche die Verwaltung Indiens
besorgen. Trotzdem zeigen sie Mängel, welche sich in Europa nicht
fühlbar machen, weil dort nur selten von +einem+ Arzte die
Totalität der medicinischen Wissenschaft gefordert wird. In Indien
+muss+ der Arzt vielseitig, ja noch mehr, er muss allseitig
entwickelt sein, so lauge, bis die Regierung zur Erkenntniss kommt,
dass eine solche Vielseitigkeit heutzutage unmöglich ist, und dass es
daher ihre Pflicht sei, mit diesem Factor zu rechnen. Auf Seite 33
sprach ich schon von dem mangelhaften Wissen der Militärärzte in der
medicina forensis, Bauhygiene, Epidemiologie und Militärhygiene.

Im Jahre 1880 wurde in Samarang eine junge Frau des Mordes an einem
neugeborenen Kinde angeklagt und vertheidigt von dem Advocaten C.
S., welcher heute im »hohen Hause« zu Buitenzorg eine grosse Rolle
spielt. Als corpus delicti lag, da der Mord schon vor einem Jahre
geschehen sein sollte, wenn ich mich nicht irre, ein ausgegrabener
Oberkiefer und ein Seitenwandbein vor. Der Advocat behauptete, dass
die anwesenden Knochenreste gar nicht von einem Menschen, sondern
von einem Affen herrührten. Er behauptete ferner, und brachte aus
einem vor ihm liegenden Haufen von Büchern die Beweise, dass dieser
auch nicht constatirt werden könne, weil der Gesichtswinkel zwischen
Menschen und Affen keinen Unterschied zeige. Da keine Gerichtsärzte
in Indien existiren, wurden nach einander vier Aerzte als Fachleute
herbeigezogen, welche durch die angeführten Citate des Advocaten
geradezu in beschämender Weise zum Schweigen gebracht wurden. Nichts
wäre jedoch leichter gewesen, als dieser unangenehmen Scene zu
entgehen. Der Gesichtswinkel (von Camper) kann ja nur an dem intacten
Schädel gemessen werden; denn es ist der Winkel zwischen der Linie,
welche gezogen wird von dem hervorragendsten Theil der Stirn bis zur
Mitte des Oberkieferzahnes und der Linie, welche vom äusseren Gehörgang
längs der Basis der Nasenhöhle zu der ersten gezogen wird. Um diesen
bestimmen zu können, muss man also wenigstens einen halben Schädel
haben. Die Fachleute liessen sich also in eine sterile Debatte mit
dem Vertheidiger ein und mussten also den kürzeren ziehen. In diesem
concreten Falle ist dies übrigens eine müssige Frage gewesen. Denn die
+Grösse+ des Kopfes musste zwischen Mensch und Affe, ausgenommen
den Orang, entscheiden.

Der Kopf eines Säuglings ist auffallend grösser als der eines gleich
alten Affen auf Java. Da der Orang auf Java ebenso selten als in Europa
gesehen wird, so hätte der Vertheidiger erst beweisen müssen, dass in
dieser Gegend ein Säugling eines Orang begraben wurde, das wieder eine
solche Seltenheit ist, dass es zur Beurtheilung des Falles ganz ausser
Betracht bleiben musste.

Wenn ich noch an den sensationellen Mord erinnere, welcher 1896 im
Osten Javas Monate lang die Europäer in Spannung erhielt, und der von
dem herbeigeholten Arzte als Selbstmord erklärt wurde, so will ich
mit diesem Sündenregister abschliessen und nur die Nothwendigkeit
betonen, dass in Indien Gerichtsärzte angestellt werden, welche
keine Civilpraxis ausüben dürfen; wenn deren einer auf Java, zwei
auf Borneo, zwei auf Sumatra und einer für die Molukken angestellt
werden, ist eine hinreichende Bürgschaft gegeben, dass dieser Theil
der Jurisprudenz die Rolle des Stiefkindes aufgeben könne. Vorläufig
wäre es selbst hinreichend, wenn der Arzt, welcher auf der Doctor
Djawa-Schule die pathologische Anatomie docirt, als Gerichtsarzt
nach allen Theilen des Archipels im Nothfalle gesendet werde. Java
wird von einem Telegraphennetze und von einer von Osten nach Westen
ziehenden Eisenbahn durchzogen, mit drei Seitenlinien, so dass er
im ungünstigsten Falle den zweiten Tag an Ort und Stelle sein kann.
Natürlich müsste dieser Fachmann in der pathologischen Anatomie auch
auf die Toxikologie, auf den forensischen Theil der Psychiatrie, auf
das Stiefkind der medicinischen Wissenschaft, die Biologie, und auf
alle Fächer sich verlegen, welche der moderne Gerichtsarzt beherrschen
muss, um seinen Posten auszufüllen.

Die »Stadtärzte« sind Beamte von einer zu sehr begünstigten Stellung.
Während der Militärarzt, wie wir unten sehen werden, oft von dem Umfang
seiner Arbeit erdrückt wird, kann sich der »Stadtarzt« bei einem
ziemlich guten Gehalt den grössten Theil des Tages der Privatpraxis
widmen, welche, gerade durch seine Stellung als Stadtarzt, gross
ist. Obzwar ihm die Behandlung der Patienten in den Civilspitälern
anvertraut ist, spielt er dort nur die Rolle des Consiliarius und
überlässt die eigentliche Arbeit dem Doctor djawa. Diese würden viel
bessere Dienste prästiren im Innern des Landes, wo sie unter Controle
der »Civil-Aerzte« nicht nur den Eingeborenen ärztliche Hilfe leisten,
sondern auch civilisatorisch Pioniere für die Lehren der europäischen
Hygiene u. s. w. werden können. Nach dem Reglement sollen die
Stadtärzte auch Gerichtsärzte sein; aber die Untersuchungsrichter sind
sehr liebenswürdige Leute und tragen der Thatsache Rechnung, dass die
Stadtärzte so wenig Zeit haben, und finden oft genug Ursache, einen
Militärarzt als Experten vorzuladen.

Im Jahre 189.. war ich in T., und ein Europäer gab seinem 9jährigen
Sohne mit seinem rechten Fusse einen Fusstritt gegen den Podex; das
Kind fiel nieder und -- war todt; ich hielt Section und fand als
Todesursache einen M-förmigen Riss in der Milz. Als »behandelnder Arzt«,
als Zeuge und als Experte wurde ich nach S.. gerufen, um in dieser
Sache als dreifacher Zeuge zu fungiren. Zufällig oder nicht zufällig
wurde ich gleichzeitig nach S.. transferirt und konnte stundenlang vor
dem Gerichtshof Rede und Antwort stehen über die Frage der spontanen
Risse der Milz u. s. w. Der dazu angewiesene Stadtarzt hatte natürlich
keine Zeit. --

Die Behandlung der Beamten, welche unter 150 fl. monatlich Gehalt
haben, untersteht auch den Stadtärzten, ebenso wie die Untersuchung
der Prostituées. Letztere lässt sehr viel zu wünschen übrig; denn die
»clandestine« Prostitution ist ja die vorherrschende, und die Zahl
der eingeschriebenen ist ja klein. Das heisst: clandestin gegenüber
dem Arzte; die Organisation der Polizei und das Leben in den offenen
Häusern bringt es mit sich, dass der Polizei alle Prostituirten bekannt
sein könnten, wenn die Beamten es nur +wollten+. Dies giebt jedoch
»Sussah«, d. h. Schreibereien und Schwierigkeiten; es wird also von
den Beamten durch die Finger gesehen, und der »Stadtarzt« hat mit der
Untersuchung der Prostituées sehr wenig zu thun.

Wie viel tüchtige Aerzte würden diese Stellung gern annehmen, wenn
auch die Privatpraxis (wie den höheren Militärärzten) verboten wäre,
und höchstens die consultative Praxis oder die Hülfe bei grossen
Operationen gestattet wäre. Wenn nebstdem die Stelle des zweiten oder
dritten Stadtarztes ebenso gut bezahlt würde, als die des ersten
Stadtarztes (700 fl. per Monat), so würden manche Aerzte gern diese
Stellung annehmen, weil ihnen damit ein stabiles Amt gegeben wäre, in
welchem sie wissenschaftliche Arbeiten leisten könnten. Man könnte
zu diesem Amte Aerzte wählen, welche in speciellen Fächern sich
+thatsächlich+ ausgebildet haben.

Stadtärzte befinden sich nur in Batavia, Samarang und Surabaya; wenn
nun diese drei Städte je einen Chirurgen, Oculisten und Geburtshelfer
zu Stadtärzten hätten, wie viel wäre der leidenden Bevölkerung
geholfen, wenn, ich will mit Nachdruck wiederholen, keine ephemeren
Specialisten, sondern solche Männer, welche factisch nach absolvirten
Studien ausschliesslich nur in einem Fach gearbeitet haben, die
Stellung der Stadtärzte einnehmen würden.

Die »Civil-Aerzte« sind Aerzte, welche keine Beamten, also nicht
pensionsfähig sind, kein Recht auf Urlaub und freie Reisen u. s. w.
haben, sondern es sind Aerzte, welche sich im Innern des Landes
niedergelassen haben, meistens im Centrum von Zuckerfabriken,
Tabaksanpflanzungen u. s. w., und dort den Kampf ums Dasein jucunde
et dulce beginnen können, weil die Regierung sie mit fl. 200 per
Monat subsidirt, wofür sie die Vaccination beaufsichtigen, die
Gefangenen, die niedern Beamten behandeln und in gerichtsärztlichen
und polizeilichen Fällen advisiren müssen. In vier Orten bezahlt die
Regierung selbst 400 fl., weil kein Arzt sonst sich dort niederlassen
würde. Manche dieser Doctoren stehen sich sehr gut und verdienen
1000-1500 fl. per Monat, obzwar auch in Indien »das Fett von der Suppe«
für die Aerzte abgenommen ist. Die Concurrenz wird mit jedem Tage
grösser.

In den grossen Städten giebt es natürlich noch Civil-Aerzte, welche
procul negotiis sind, d. h. gar kein Amt versehen und nur vom
Erträgniss ihrer Praxis leben.

Im Ganzen und Grossen ist die Existenz der Aerzte in Indien bis jetzt
eine günstige, und mitunter selbst eine sehr günstige zu nennen:
Alle können von ihrem Einkommen standesgemäss leben; viele können
von ihrem Einkommen ein kleines Capital für die alten Tage ersparen,
besonders durch Kauf einer grossen Lebensversicherung, und einige von
ihnen werden reich. Von den letzteren würde die Zahl viel grösser
sein, wenn sie sich nicht durch den Speculationsgeist verleiten
liessen, an geschäftlichen Unternehmungen sich zu betheiligen, ohne
von dem Geschäft auch nur etwas zu verstehen. Es wird nämlich für eine
gewöhnliche Visite 2 fl. 50, für eine Entbindung 100 fl. bezahlt,
während für Operationen, je nach den Vermögensverhältnissen der
Patienten, mehr oder weniger hohe Honorare bezahlt werden. Es sind aber
nicht die europäischen Patienten, welche diese günstigen pecuniären
Verhältnisse der Aerzte ermöglichen, sondern die Chinesen, von denen
vor 10 Jahren auf Java allein sich mehr als 200000 befanden, und (in
den grossen Städten) die Armenier. Wenn auch der Mittelstand der
Chinesen bei den petites misères de la vie zuerst zu den Hausmitteln
der Eingeborenen greift oder in den chinesischen Apotheken sein Heil
sucht oder den chinesischen Arzt zu sich kommen lässt, so wird er
doch, wie sein reicher Landsmann oder ein eingeborener Häuptling oder
Handelsmann, bei längerer Dauer die Hülfe eines europäischen Arztes
suchen. Die Zahl der Chinesen ist in allen grossen Städten, und auch
im Innern des Landes, sehr gross; nebstdem ist unter ihnen die Zahl
der »Reichen« viel grösser als unter den Europäern; in der Regel kommt
er als Kuli ins Land und ist und bleibt sparsam bis er reich ist. Wenn
er als Kuli 25-30 Kreuzer täglich verdient, wird er die Hälfte täglich
brauchen, so lange bis er 10-15 fl. erspart hat; dann zieht er in den
Kampong und spielt den Wucherer bei den Eingeborenen, bis ihm dieses
oder jenes kleine Grundstück von einem säumigen Schuldner zufällt. Auch
dann wird er immer und immer sparen; wenn er selbst schon Tausende und
Tausende besitzt, wird er vielleicht bei einer Hochzeit seiner Tochter
ein luxuriöses Fest geben und z. B. für das Feuerwerk allein 1000 fl.
bezahlen, aber die Sparsamkeit und die Nüchternheit bleiben die Basis
seines täglichen Lebens.

An anderer Stelle werde ich das Leben dieses conservativen Volkes
skizziren, soweit ich Gelegenheit hatte, als practischer Arzt dieses
kennen zu lernen; hier jedoch sei ihrer nur als pièce de résistance
des europäischen Arztes erwähnt. Nur durch ihre grosse Zahl und durch
ihre pünktliche Bezahlung des Arztes ist es möglich geworden, dass
eine grosse Zahl europäischer Aerzte in Indien eines reichlichen
Einkommens sich erfreuen können. Selbst der »kleine Mann« wird am
ersten des Monates für jede Visite, welche der europäische Arzt bei ihm
gemacht hat, den Ryksdaalder bereit haben, wenn der Einkassirer bei ihm
erscheint, um die quittirte Rechnung zu präsentiren. Ich z. B. hatte
tausende und tausende Chinesen behandelt, und davon habe ich keine fl.
200 unbezahlter Rechnungen zurückgelassen; ja noch mehr; in Magelang
brachte mir der Einkassirer einmal die Nachricht, dass ein von mir im
abgelaufenen Monat behandelter Chinese in seine Heimath zurückgereist
sei; ich legte, überrascht von dieser ungewöhnlichen Erscheinung, die
Quittung zu ihren europäischen Schicksalsgenossen; nach vielen Monaten
war er aus China zurückgekehrt und -- bezahlte die alte Rechnung!

Von der landläufigen Sage, dass der Chinese seinen Arzt nur für das
Gesundsein bezahle, ist in Indien nichts bekannt; aber eine andere
Eigenthümlichkeit ist mir in der Praxis aufgefallen. Zur Zeit, dass
der Chinese in Behandlung ist, zeigt er gegenüber dem behandelnden
Arzt eine besondere Liebenswürdigkeit; Früchte, Bäckereien, Fische,
nationale Speisen, wie essbare Vogelnester, Kimlo, bami wurden mir ins
Haus geschickt, so lange ich behandelte; in der Pause jedoch ignorirte
mich manchmal derselbe Chinese in auffallender Weise, ja er grüsste
mich nicht einmal. Ein gewisser Aberglaube scheint die Ursache von
diesem auffallenden Benehmen zu sein.

Sind in Europa die Tanten, Nichten und Schwestern des Patienten
der Schrecken jedes Arztes, weil sie ihre vereinzelten Erfahrungen
gegenüber dem Arzte zur rechten und zur unrechten Zeit geltend machen,
noch mehr hat in Indien der Hausdoctor darunter zu leiden. Wenn in
Holland verlangt werden würde, nicht nur die Therapie der Bauern,
sondern auch ihre Lebensweise und ihre prophylaktischen Maassregeln
+kritiklos+ anzunehmen, würde der Arzt von allen gebildeten
Familienangehörigen im Zurückweisen derselben eine Stütze finden; in
Indien wird dieses auf Grund landläufiger Phrasen gefordert; z. B.:
»Jedes Land hat seine Krankheiten, für welche Gott auch dort selbst
die Medicinen gegeben habe«; oder aber: »Kommt man in ein fremdes
Land, müsse man die Gebräuche und Sitten des Landes annehmen«; oder
aber: »Probiren geht über Studiren« u. s. w. Durch die Erziehung
sind die in Indien geborenen Europäer diesbezüglich in eine Reihe
mit den halbeuropäischen Familien zu stellen. (Aus der Therapie
eines europäischen Arztes allein kann man sofort ersehen, wo seine
Wiege gestanden und wo er die ersten Eindrücke für seinen Geist
und sein Gemüth erhalten hat. Ohne Ausnahme greift der in Indien
geborene europäische Arzt, auch wenn er einige Jahre die Mittelschulen
(Gymnasium oder Realschule) in Europa absolvirt und natürlich die
Universitäten von Holland besucht hat, bei den petites misères de la
vie zuerst zu den »indischen« Hausmitteln, obzwar, wie wir sahen,
eine bestimmte Dosirung der wirkenden Bestandtheile damit nicht
verbunden ist; denn auch der Arzt kann sich den herrschenden Einflüssen
nicht entziehen.) Lässt das Kind den Kopf hängen oder klagt es über
Kopfschmerzen, wird die Babu (= Kindermädchen) dem Vater des Kindes,
auch wenn er Arzt ist, nichts davon mittheilen, sondern ihm auf die
Stirn mit Sirihkalk irgend eine mystische Figur zeichnen und darauf
ein Stück der Limonaschale aufkleben. Ist ein Erwachsener unwohl, wird
die Babu ihm Ricinusöl oder ein Adstringens, z. B. die Blätter der
Djambufrucht (Psidium guajava) oder die Rinde von Djamblang (Syzygium
jambolanum) (welche in letzter Zeit gegen Diabetes anbefohlen wird) mit
solcher Ueberredungskunst anbefehlen und sofort auch anbieten, dass
schon zur Würdigung ihrer guten Absichten davon Gebrauch gemacht wird.
Dann kommen natürlich die verschiedenen weiblichen Familienmitglieder,
und bei einer Entbindung die Dukun, welche die Pflege der Wöchnerin
und des neugeborenen Kindes auf sich genommen hat. Eine Schüssel mit
10-20 Medicamenten bringt sie mit und probirt zuerst, hinter dem Rücken
des Arztes, eins für die Blutreinigung, das andere für die Wehen, ein
drittes für die Lochien u. s. w. anzubieten. Gelingt es ihr, nur eins
verkaufen zu können, wagt sie sich sofort auch an den Arzt und erzählt
ihm von den zauberhaften Erfolgen ihrer Medicamente. Ich für meine
Person stellte jedes Mal die Bedingung, dass für jedes Medicament,
welches von der Dukun angeboten wird, meine Zustimmung eingeholt werde;
jedes Mal erlaubte ich es, dass zum Verbande der Nabelschnur ein Pulver
gebraucht werde, welches die Dukun bereitete, indem sie den Kochlöffel,
mit dem der Kaffee geröstet wurde, abkratzte; alle anderen, und
besonders die internen, wurden für den Fall angenommen, als es nöthig
werden sollte. Dies war natürlich niemals der Fall.

In chirurgischen Fällen hat der Arzt beinahe niemals solche
Schwierigkeiten; bei der so oft vorkommenden Furunculosis jedoch
schwirren die therapeutischen Vorschläge wie Spreu im Wirbelwind um
den Kopf des Arztes, welcher zu einem solchen Patienten gerufen wird.
Zwölf Sorten Blätter werden gebraucht, um die Furunkel zum »Aufgehen«
zu bringen, und in der Regel muss der Arzt über jedes einzelne seine
Ansicht aussprechen, bevor es ihm gelingt, seine Therapie vorschlagen
zu können. Es ist vielleicht hier der Platz, über diese indische
Landplage einige Worte zu verlieren.

Die landläufige angebliche Ursache dieser endemischen Krankheit, das
Essen der Mangga (mangifera indica), beruht nach meiner Erfahrung
auf keiner thatsächlichen Basis. Hunderte und tausende essen diese
saftreiche, stark nach Terpentin riechende Frucht, ohne Furunkeln zu
bekommen; 25 Sorten dieser Frucht sind bekannt, darunter sind die
Mangga Kopior, von der Grösse einer Faust, und die Mangga padang
geradezu herrliche Früchte zu nennen.

Auch der Genuss von der Papaja (Carica papaya) (vide Seite 69) wird als
Ursache einer Hautkrankheit angegeben; sie wird beschuldigt, hin und
wieder eine Gelbfärbung der Haut zu veranlassen (Dr. Jacobs). Ob jedoch
thatsächlich ein Causalnexus zwischen diesen beiden Früchten und den
erwähnten Hautkrankheiten besteht, ist noch die Frage. Die Furunculosis
scheint vielmehr von andern Ursachen abzuhängen, welche mit dem Reifen
der Manggafrucht zeitlich zusammenfallen. Die Ernte dieser Frucht
fällt in die Zeit des Kentering von dem Ost- in den Westmonsun (vide
Seite 52). Zu dieser Zeit kommen die meisten Fieberfälle vor; die
dadurch veranlasste Cachexie ist ein starkes ätiologisches Moment in
der Entstehung zahlreicher Hautkrankheiten. Wenn auch mit Unrecht die
Hebrasche Schule beschuldigt wurde, die Dyskrasien aus der Aetiologie
der Hautkrankheiten entfernen zu wollen, so ist sie doch die Ursache
gewesen, dass (besonders seit dem Aufschwung der Bacteriologie)
Jahrzehnte lang beinahe ausschliesslich das Mikroskop in dieser Lehre
die Herrschaft führte.[36]

Im Jahre 1880 wurde ich dem Civil-Departement zugewiesen und nach
dem Süden des westlichen Javas gesendet, um in den damaligen
Fieberepidemien mit Hülfe von Krankenwärtern der mit dem Aussterben
bedrohten Bevölkerung Hülfe zu bringen. (Im dritten Theile werde
ich diese Epidemien ausführlicher erwähnen.) Ein fürchterliches
Bild socialen Elendes bot sich mir damals dar. Die durch das Fieber
erschöpften Patienten waren bedeckt mit Impetigo, Ectyma und
colossalen Geschwüren (in Folge ihrer unzweckmässigen Behandlung mit
durchlöcherten Kupfermünzen).

Im Jahre 1895 kamen zahlreiche Dysenteriefälle und andere
Darmkrankheiten von Lombok nach Magelang. Sobald sich bei diesen
Unglücklichen auf dem Körper zahlreiche impetiginöse Pustelchen
zeigten, wurde die Prognose infaustissima. Die humoral-pathologischen
Anschauungen in der Dermatologie, wie sie Peter Frank (1792), Struwe
(1829), Schönlein und C. H. Fuchs (1840) lehrten, waren also nach
diesen meinen Erfahrungen so weit gerechtfertigt, als sie nicht jene
Krankheit betrafen, wie z. B. die Scabies, welche mit Recht parasitären
Ursprungs sich herausstellten. Wenn also die Humoral-Pathologie in der
+Dermatologie+ raison d’être hat, so muss doch noch der Beweis
gebracht werden, dass die Furunculosis in Indien durch den Genuss
der Mangga-Frucht entstehe. Die zwei letzten Fälle, welche ich zu
beobachten Gelegenheit hatte, betrafen eine Lehrerin und einen Arzt,
welche beide an Malaria gelitten hatten; bei beiden war die Zahl
der Furunkeln innerhalb eines halben Jahres bis über 200 gekommen;
beide litten fürchterlich sowohl durch die Schmerzen als durch die
Erschöpfung, und beide erholten sich erst, als sie nach einer Reise
nach Europa von ihrer Malaria befreit waren.

Die Praxis der Aerzte ist in Indien eine schöne und vielseitige und
zwingt ihn bald, selbständig zu werden und sich von etwaigen Consilien
mit andern Collegen zu emancipiren. Wie oft ist er in Gegenden thätig,
wo auf hunderte von Meilen kein zweiter Arzt wohnt. Auf Java kommt man
diesbezüglich nicht so leicht in Verlegenheit; aber in Borneo z. B.,
wo ich im günstigsten Falle in 8-10 Tagen Assistenz und den Rath eines
zweiten Arztes erhalten konnte. Ja, ich zweifle keinen Augenblick, dass
in ganz Holland kein einziger Arzt so +vielseitige+ Erfahrungen
sammeln kann, als ein Arzt in Indien.

Das ist auch die Ursache, dass man in Indien nicht so leicht zu
Consilien übergeht, auch wenn man Collegen in der Nähe hat. Nebstdem
ist ein consilium pour acquit de conscience für den Patienten ein
theurer Spass -- es wird fl. 25 dafür gerechnet -- und bei dem Mangel
an thatsächlich specieller Ausbildung auch nicht empfehlenswerth. In
letzter Zeit bessern sich die Verhältnisse diesbezüglich auf Java; wir
haben tüchtige Oculisten, Chirurgen, Gynäkologen und Ohrenheilkundige
gekannt; aber auf Borneo gehören diese noch zu dem frommen Wunsche.
Uebrigens ist ja die Ausbildung der jungen Aerzte auf den holländischen
Universitäten im Allgemeinen sehr gut; sie können, in die Praxis
eingeführt, in jedem einzelnen Falle durch die Literatur leicht
Rath erholen und sind manuell auf der Schule genug geübt worden,
um auch im Nothfalle die Praxis der Specialisten üben zu können,
und zwar mit Erfolg. Anfangs der achtziger Jahre scheint jedoch ein
schlechter Geist unter den holländischen Studenten geherrscht zu
haben. Vielleicht generalisire ich damit zu viel, und es trifft nur
eine der vier Universitäten des Landes diese Schuld. Ich habe nämlich
in dem Jahre 188.. junge Aerzte nach Indien kommen gesehen, die
ebensoviel durch ihre Unwissenheit und manuelle Ungeschicklichkeit,
als auch durch ihren Indifferentismus gegen die Wissenschaft als
solche, geradezu eine traurige Rolle spielten. In den letzten Jahren
begegnete ich jedoch jungen Aerzten, welche mir imponirten durch
ihr Pflichtgefühl, durch ihr grosses theoretisches Wissen, durch
ihre manuelle Fertigkeit, welche nur das Resultat langer Uebung sein
kann, und welche beseelt waren von dem feu sacré de la jeunesse, den
leidenden Menschen zu helfen. Sie bilden einen grassen Gegensatz z. B.
zu jenem Arzte, welcher, noch grün hinter den Ohren, die Gynäkologie
als sein Specialfach ausgab und ohne Leitung allein, erst in der
Praxis in Indien sich dazu ausbildete!! Wie ich jetzt höre, hat er es
in den letzten Jahren zu einer bedeutenden Fertigkeit gebracht; aber
ich kannte ihn zur Zeit des Anfanges seiner indischen Laufbahn und
sah mit Staunen, wie ein Mann es wagen dürfe, +ohne Leitung+,
allein, gestützt durch die Bücher, auf Kosten der armen Patienten zum
gynäkologischen Operateur sich auszubilden. Wenn er die Flüche gehört
hätte, welche seinem tollkühnen Unternehmen von einzelnen Patienten
gezollt wurden, hätte er vielleicht mit einer bescheideneren Rolle,
als der eines Gynäkologen, sich begnügt! Das Traurigste bei der
Sache war jedoch, dass die Sanitätsbehörden es sahen und schwiegen.
Dieser Mann traurigen Andenkens vergass seinen Beruf, der leidenden
Menschheit zu helfen; er hat wahrscheinlich sein Ziel erreicht, und hat
wahrscheinlich eine gewisse Routine und Fertigkeit im Operiren erlangt;
aber die Opfer seines Noviciats waren überflüssig, weil operative Fälle
der Gynäkologie in der Regel warten können, bis sie von befugter Hand
behandelt werden können.

Die Praxis bei Kindern giebt dem europäischen Arzt in Indien noch mehr
Schwierigkeiten als in Europa; sind die europäischen Kindermädchen
abergläubisch, so sind es noch mehr die indischen; diese wissen aber
in der Regel, und selbst auf Kosten der Gesundheit ihrer Schützlinge,
ihre Ansichten geltend zu machen, wie es in Europa gewiss Ausnahme
ist. So z. B. soll nach ihrer Ansicht bei keiner Erkrankung des
Darmes ein Ei, bei keiner Hautkrankheit weisses Fleisch (vom Huhn,
Kalkun u. s. w.) und bei keiner Augenerkrankung eine Garnale dem
Patienten gegeben werden u. s. f. Ein schroffes Entgegentreten dieser
Anschauung, oder vielmehr ein principielles Negiren +aller+ ihrer
abergläubischen Ideen hat mir viel bessere Dienste geleistet als das
politische unbestimmte, halb zustimmende, halb ablehnende Besprechen
der therapeutischen und prophylaktischen Principien der Eingeborenen.
Wie viel diese das Gebiet des Geschlechtslebens beherrschen, kann man
sich kaum vorstellen, und die Zahl der Aphrodisiaca ist gross. Nur
selten wird ein chinesischer oder eingeborener Don Juan sich in diesen
Sachen an den europäischen Arzt wenden; sie fürchten, bei diesem kein
Verständniss für ihre Klage zu finden. Der europäische Arzt kommt also
selten in die Lage, sich mit der Frage der Aphrodisiaca zu beschäftigen.

Ein eigenthümlicher Dienstzweig der europäischen Aerzte ist das Abgeben
der ärztlichen Zeugnisse. Die gewöhnlichen Lebensversicherungen fordern
gegen Bezahlung von fl. 25 eine ausführliche und genaue Untersuchung;
es giebt aber auch Vereine, welche von dem Arzt nur die Erklärung
fordern, dass der Candidat »dieselbe Lebenschance habe als jeder
andere gesunde Mensch von seinem Alter«. Es sind dies Vereine der
Chinesen, welche nach dem Tode des Mitgliedes der Wittwe sofort einen
gewissen Betrag zur Hand stellen; ein ähnlicher Verein hat sich unter
den Officieren der Landarmee gebildet, welcher der Wittwe sofort nach
dem Tode des Mannes 1000 fl. auszahlt; die Mitglieder des Vereines
zahlen facultativ, d. h. bei jedem Todesfall je nach ihrem Rang
1-1½-2 fl. und erwerben dadurch das Recht, ihrer Frau (oder anderen
Familienmitgliedern) fl. 1000 bei ihrem Todesfalle ausbezahlen zu
lassen. Die chinesischen Vereine, welche dasselbe Ziel sich gesetzt
haben, verlangen nichts anderes als oben erwähnte Erklärung und kümmern
sich nicht darum, auf welche Untersuchung gestützt der Arzt seine
Erklärung abgiebt. Richtiger ist jedoch das Princip der europäischen
und amerikanischen Lebensversicherungsgesellschaften, welche von
dem Arzte nur die Mittheilung des Befundes verlangen und es ihrem
advisirenden Arzt überlassen, darauf seinen Beschluss zu fassen.

Neben +diesen+ ärztlichen Zeugnissen hat der europäische Arzt
vielfach Gelegenheit, für die zahlreichen Beamten und Officiere solche
auszustellen. Der Eine verträgt das Strandklima nicht und muss ins
Gebirge versetzt werden; der Andere leidet im Gebirge an Diarrhoe oder
Bronchialkatarrh und erhofft im warmen Klima der Ebene Heilung von
seinem Leiden; ein Dritter hat schon alle Zonen der Tropen bewohnt
und erwartet noch von einem Aufenthalt in Europa Rettung; ein Vierter
braucht ein Impfzeugniss für seine Kinder, welche die Schule besuchen
müssen; ein Fünfter muss dem Schützencorps (in den drei grossen Städten
Javas) eingereiht werden und findet sich zu schwach dazu und hat auch
keine Lust, bei der Feuerwehr Dienst zu leisten; ein Sechster wurde
von einem tollen Hunde gebissen und möchte gerne auf Staatskosten nach
Batavia gehen u. s. w. In früheren Jahrzehnten herrschte beim Abgeben
dieser »Certificate« eine laxe Moral, welche unter dem Deckmantel
von wissenschaftlichen Schlagwörtern eine Folge der Nonchalance,
leichtsinnigen Auffassung der Verhältnisse, manchmal falsch verstandene
Humanität oder Hascherei nach Popularität war. Im Jahre 188.. sah
sich die Regierung selbst bemüssigt, die Annahme der »Certificate«
eines Arztes zu verweigern, »weil er das Interesse des Reiches nicht
beherzigte«. Ich selbst habe einen Stabsarzt gekannt, der urbi et orbi
verkündigte, dass jeder ein »Certificat für Europa« von ihm bekommen
könne, der 8-10 Jahre hintereinander in den Tropen gelebt habe, weil
(damals war die Diagnose Neurasthenie noch nicht geläufig) durch einen
so langen Aufenthalt im Tropenklima das Nervensystem geschädigt sein
müsse und einer Erholung bedürfe. (Als ob ein Aufenthalt im Gebirge
nicht dasselbe Ziel erreichen könnte.) Da die Regierung die Kosten
einer Transferirung oder eines Urlaubes nach Europa (inclusive für Frau
und Kind) bezahlt, so handelte es sich damals um grosse Summen, welche
die Abgabe solcher »Certificate« veranlasste.

Im Jahre 188.. lebte ich in der Hauptstadt des Bezirks X. An der
Grenze desselben wohnte der Controleur Y., welcher mit einer Dame aus
Amsterdam verheirathet war. Dieser Dame gefiel das Leben in Indien,
und noch dazu an der Grenze eines Bezirkes, so wenig, dass sie ihren
Mann veranlassen wollte, entweder mit Urlaub zu gehen oder den Abschied
aus dem Dienst zu nehmen. Einen Urlaub zu nehmen und nach Europa auf
eigene Kosten zu gehen, d. h. für sich, seine Frau, zwei Kinder und
eventuell für eine Babu die Transportkosten zu zahlen, hätte ihn einige
tausend Gulden gekostet. Er wandte sich also an mich mit der Bitte,
ihm ein »Certificat nach Europa« zu geben!! Im ersten Augenblick
kochte das Blut in mir über das Verlangen, ein solches ärztliches
Zeugniss erhalten zu wollen, ohne dass er krank gewesen war, ohne dass
er, und wäre es nur für eine einzige Woche, unter meiner ärztlichen
Behandlung gewesen wäre. Ich liess jedoch von meiner Entrüstung
nichts merken, sondern nahm mir vor, ihn dafür gut »abzuführen«. Es
war mir nämlich bekannt, dass dieser Mann in seiner Frau geradezu
eine Xantippe gefunden hatte, welche sein Leben ihm mit Klagen und
Vorwürfen verbitterte, dass er sie dem herrlichen Leben der Grossstadt
A. entrissen und in eine Einsiedelei gebracht habe. Darauf basirte
ich meinen Plan der Bestrafung. Ich bestimmte einen Tag der folgenden
Woche, an dem er mit einem Stempelbogen zu mir kommen sollte. Zur
angewiesenen Stunde erschien der gute Mann. Ohne ihn zu untersuchen
oder über seinen Zustand zu befragen, übernahm ich den Stempelbogen,
schrieb das »Certificat«, und mit einem freudestrahlenden Gesicht und
unter überschwänglichen Worten des Dankes wollte er mich verlassen.
Ich hielt ihn jedoch zurück mit den Worten, ob er denn kein Verlangen
habe zu erfahren, für welche Krankheit ich es unter Eid »noodzakelijk«
erklärt habe, dass er nach Europa gehen müsse. Es war ein Mann, der
vielleicht um 10 cm grösser war als ich, ein homo quadratus von
strotzender Gesundheit. Er warf einen Blick in das »Certificat«,
und wüthend zerriss er das Papier. Ich hatte geschrieben, »dass zur
Erholung des Herrn Y., Controleur zu X., ein 2jähriger Urlaub +seiner
Frau+ nöthig sei!« Als er jedoch mir über diesen schlechten Witz
Vorwürfe zu machen begann, wies ich ihm einfach die Thür mit den
Worten: »Sind Sie froh, dass ich Ihr Verlangen mit einem »schlechten
Witz« beantwortet habe; seitdem ich hier bin, sind Sie niemals krank
gewesen oder haben sich wenigstens nicht unter meine Behandlung
gestellt. Adieu.«

Diesen ungesunden Zuständen hat die Regierung vor einigen Jahren in
radicaler Weise ein Ende gemacht. In allen Fällen, dass ein Kranker
ohne Nachtheil vor einer Commission von drei Aerzten erscheinen kann,
entscheidet diese über die Nothwendigkeit eines Urlaubes nach Europa;
der behandelnde Arzt giebt dem Candidaten eine historia morbi mit, die
Commission untersucht den Kranken, verabfolgt das »Certificat« und
reicht übrigens eine genaue Beschreibung seines Zustandes ein, welche
auf amtlichem Wege nach Holland geschickt wird. Hier ist (in dem Haag)
eine stabile Commission, welche vor Ablauf des Urlaubes den Kranken
wieder untersucht und festsetzt, ob der Kranke nach Indien zurückkehren
könne, ob sein Urlaub verlängert (bis 3 Jahre) oder ob der Candidat
überhaupt im Interesse seiner Person und des Dienstes pensionirt werden
müsse.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, dass diese Commission so viel
als möglich aus Militärärzten besteht, und zwar sowohl in Indien
als in Holland. In dem Haag ist der Präsident ein pensionirter
Oberstabsarzt, und die zwei Mitglieder werden aus der Zahl der
Militärärzte genommen, welche zeitlich mit Urlaub in Holland sich
aufhalten; und in Indien sind es die jeweiligen drei ältesten
Militärärzte der Superarbitrirungscommission, welche diesen Zweig der
ärztlichen Praxis ausfüllen müssen.

Auch einen »Gesundheitsrath« haben die drei grossen Städte Javas,
welche die Hygiene der Stadt überwachen sollen. Auf Bandjermasing
bestand weder zu meiner Zeit noch jetzt ein solcher; dort holen sich
die Verwaltungsbeamten von dem militärischen Landessanitätschef
etwaigen Rath.

Jene Civilärzte, welche im Innern des Landes eine monatliche Zulage
als Gerichtsärzte bekommen, sowie der erste Stadtarzt in den
grossen Städten sind mit der Aufsicht über die Impfung betraut. Die
Oberaufsicht über die Vaccination führt jedoch ein »Inspector« von
der »bürgerlijk geneeskundige dienst«. Die Impfung geschieht nämlich
nicht von Aerzten, und nicht einmal von den »Doctoren djawa«, sondern
von Vaccinateuren, d. h. von Eingeborenen, welche bei einem alten
Vaccinateur Monate oder Jahre lang assistiren, sich nach einiger Zeit
bei irgend einem Arzte einer Prüfung unterwerfen, von diesem ein
Zeugniss ihrer theoretischen und praktischen Befähigung ausstellen
lassen, und bei einer etwaigen Vacatur auf Grund dieses Zeugnisses sich
um diese Stellung bewerben. Sein Gehalt beträgt 30-50 fl. monatlich.
Dieses System hat sich bis jetzt sehr gut bewährt, und es geschieht
sehr häufig, dass selbst europäische Mütter von dem eingeborenen
»Mantri Djadjar« = Vaccinateur ihre Kinder impfen lassen, weil er mit
einem bescheidenen Honorare sich zufrieden giebt. Der Vaccinestoff ist
seit einigen Jahren vorherrschend ein animaler; er wird in Weltevreden
auf gewöhnliche Weise gewonnen und nach dem ganzen Archipel an die
Vaccinateure und Doctoren gesendet. Die Ersteren, welche von Dorf zu
Dorf wandern müssen, gebrauchen natürlich noch sehr oft die humanisirte
Lymphe; die Doctoren jedoch, welche zur Impfung gerufen werden, lassen
sich in der Regel, ich glaube gegen eine Bezahlung von 2 fl., eine
Phiole animaler Lymphe kommen, um damit gleichzeitig einige Kinder
ihrer Clientel zu impfen. Dort, wo keine Civilärzte sind, ist der
älteste Militärarzt mit der Aufsicht über die Vaccination betraut, muss
jedes Jahr eine Inspectionsreise in seinem Vaccinationsbezirk machen
und darüber einen ausführlichen »Rapport« einreichen. Nur einmal, und
zwar im Jahre 1882, sah ich mich bei einer solchen Inspectionsreise
veranlasst, radicale Maassregeln an den Residenten vorzustellen und
hierüber an den Sanitätschef zu berichten, welcher mir auch einige
Worte der Anerkennung dafür schriftlich sandte. Im zweiten Theile
werde ich darüber ausführlicher sprechen, weil es ein schönes Fest
war, welches ich damals im Innern von Sumatra gesehen habe; aber das
Resultat meiner Inspection war damals ein trauriges. 500 junge Mädchen
wurden mir vorgeführt, und bei einer grossen Anzahl derselben waren die
alten Narben die von grossen Geschwüren; auch unter den jüngsten, d. h.
welche erst vor 14 Tagen eingeimpft waren, befanden sich zahlreiche
grosse Geschwüre. Mich mit einer genaueren Untersuchung dieser
Geschwüre einzulassen, war nicht möglich, wie wir sehen werden. Ich
stellte jedoch dem Residenten, der gleichzeitig dort anwesend war, vor,
den Vaccinateur nach dem Hauptplatze zurückgehen zu lassen, um bei mir
einige Lectionen zu nehmen, den alten Vaccinestoff aussterben und neue
Lymphe von Batavia kommen zu lassen.

Seit einigen Jahren wird eine antiseptische oder vielmehr aseptische
Impfung von den Vaccinatoren verlangt; ich zweifle aber sehr, ob ohne
Controle diese auch ausgeführt wird. Der Vaccinateur führt zwar ein
Fläschchen mit Carbol und Sublimat mit sich; wenn er jedoch im Kampong
50-100 eingeborene Kinder zu impfen hat, wird sich seine Antisepsis
wohl nur darauf beschränken, mit einem schmutzigen Lappen den Arm
mit Carbol zu befeuchten und das Messer damit abzuwischen. Aber, wie
gesagt, dennoch ist der Vaccinateur »the right man in the right place«;
denn ohne grosse Auslagen wird der Segen der Vaccination bis in die
entferntesten Kampongs des ganzen indischen Archipels eingeführt.



10. Capitel.

  Geographie von Borneo -- Reise des dänischen Gelehrten Dr. Bock
  -- Besteigung des Berges Kinibalu -- Die Syphilis in Indien --
  Beschneidung.


Dr. Posewitz, welcher mein Nachfolger in Buntok wurde, hat nicht nur
die Geologie der Insel Borneo ausführlich beschrieben, sondern auch mit
gründlichem Fleisse die Namen aller Gelehrten gesammelt, welche sich
mit der Ethnographie, Geographie und allen verwandten Wissenschaften
dieser Insel beschäftigt haben.

Ob aber die Karte von Borneo in dem grossen Atlas von Stemfoort und
ten Siethoff, welcher in den Jahren 1883-1885 verfertigt wurde, sich
auch auf die Untersuchungen +dieses+ Geologen basirt, ist mir
nicht bekannt; auch kenne ich die Quelle nicht, welcher diese beiden
Kartographen die Höhenangaben der einzelnen Berge von Borneo entnommen
haben.

Borneo zerfällt in drei Theile: 1. Der Süd-Osten Borneos, dessen
Grenze im Norden der Gebirgszug ist, welcher von der nördlichsten
Spitze zur Westküste parallel mit der Nordküste zieht, im Westen der
»westliche Theil« von Borneo, im Süden die Javasee und im Osten die
Strasse von Makassar. Das Innere und der Süden des Landes, welcher
früher das Bandjermasingsche Sultanat genannt wurde, ist seit dem
Jahre 1864 direkter holländischer Besitz, während die Ostküste aus
einzelnen kleinen Staaten[37] besteht, welche unter malayischen Fürsten
in grösserem oder kleinerem Maasse die Souveränität der holländischen
Regierung anerkannt haben. Der mächtigste und einflussreichste dieser
Fürsten ist der Sultan von Kutei.

2. Die »westliche Hälfte« der Insel mit der Hauptstadt Pontianak ist
ebenfalls im Besitze der Holländer.

3. Der Norden Borneos steht unter englischer Oberherrschaft und besteht
aus den Staaten Saba, Brunei und Serawak mit der Insel Labuan.

Die triangularische Aufnahme dieser Insel hat sich bis jetzt auf
die der Küste beschränkt, während die anderen Inseln des indischen
Archipels so ziemlich genau schon bekannt sind. So ist z. B. die
triangularische Aufnahme der Insel Sumatra im 1. Grad und die von Java
schon seit langer Zeit im 2. Grad vollendet. Wann es möglich sein wird,
die Schwierigkeiten zu überwinden, welche mit einer triangularischen
Aufnahme von Borneo verbunden sind, lässt sich natürlich heute nicht
feststellen.

Der Lauf der Flüsse wird von den europäischen und eingeborenen Beamten
aufgenommen, wenn sie auf ihren Kähnen das Land durchziehen. Natürlich
hat diese Aufnahme nur dann einen dauernden Werth, wenn es sich um den
Lauf der Flüsse +jenseits+ des angespülten Landes handelt; denn im
Alluvium und im Diluvium ist das Bett der Ströme ein ewig wechselndes.

Der Lauf der Gebirge hat die Form einer Gabel mit vier Zinken, und
es hat also Borneo eine vierfache Wasserscheide, und zwar mit sehr
grossen Strömen. Die bedeutendsten Flüsse dieser Insel sind folgende:
An der Nordküste der Rajang- oder Redjangfluss, der Beram- und der
Bruneifluss. An der Ostküste münden der Kinabalang-, Bulangan-,
Mahakam- und der Pasirfluss. In die Javasee ergiessen sich der
Baritu, Kapuas Murong (= kleiner Dajakfluss) und Kahajan (= grosser
Dajakfluss), welche nicht weit von der Mündung ineinanderströmen und
zwei Inseln bilden, und zwar die Inseln (Pulu) Petak und Kupang;
nebstdem wären an der Südküste noch erwähnenswerth die Flüsse
Katingan-, Sampit- und Pembuasfluss (Fig. 8). An der Westküste ist der
Kapuas der einzige bedeutende Fluss, welcher mit zahlreichen Kanälen
und Armen sich in die Karimatastrasse ergiesst.

Was die Orographie dieser Insel betrifft, so lässt sie noch viel zu
wünschen übrig; nur von einzelnen Bergen ist die Höhe bekannt. So z. B.
sollen im Osten der Insel die Berge Melihat und Beratus +ungefähr+
1000 Meter hoch sein, während in der Nähe der Nordküste (116° 30′ O. L.
und 6° N. B.) der Kinibalu eine Höhe von 4170 Meter haben soll.

Es sind, wie oben erwähnt wurde, vier Gebirgszüge, welche Borneo
durchziehen. Der erste beginnt von der nördlichsten Spitze und zieht
beinahe parallel zur Nordküste nach Westen und bildet theilweise mit
seinem Bergrücken die Grenzlinie zwischen Serawak und dem holländischen
Borneo. Der zweite Gebirgszug zieht nach dem Südwesten und ist die
Grenze zwischen dem westlichen und südöstlichen Theil von Borneo. Der
dritte geht beinahe in senkrechter Linie nach Süden und der vierte in
einer concaven Linie nach dem Südosten der Insel und scheidet die mehr
oder weniger abhängigen Staaten mit eigenen Fürsten von dem ehemaligen
Bandjermasingischen Reiche.

Der höchste Berg der Insel ist der bereits erwähnte Kinibalu, der durch
seine Lage in der Nähe der Nordküste den Seefahrern nach China und Java
hinreichend bekannt ist; auf der Westseite hat seine Spitze die Form
eines abgestumpften Kegels.

Schon vor 40 Jahren, und zwar im Jahre 1858, wurde die Besteigung
desselben versucht, und zwar von zwei Seiten. Die erste Expedition
wollte die Quelle des Tampasuk aufsuchen und von dort aus den Gipfel
erreichen (April 1858). Längs dieses Flusses drang man vorwärts; »die
Schwierigkeiten waren nicht geringer Natur, denn bald war der Fluss zu
durchwaten, bald ging es über zerbröckelte Granitfelder, bald durch
Urwälder. Tief hatte der Strom und seine zahlreichen Nebenflüsse den
Boden durchwühlt; Landstürze und Erdrutsche bedrohten die Reisenden
von allen Seiten, und selbst ungeheure Granitblöcke, die ursprünglich
auf dem Gipfel des Berges gelegen haben mochten, waren durch die
Gewalt des Wassers weit ins Land hineingeführt. Nach den starken
wolkenbruchartigen Regengüssen, die im Innern Borneos keineswegs zu
den Seltenheiten gehören, steigen die wilden Ströme oft binnen wenigen
Stunden 50 Fuss hoch und reissen dann mit unwiderstehlicher Gewalt
Alles, was ihnen in den Weg kommt, selbst die schwersten Felsmassen,
wie leichte Spielbälle mit sich fort. Die von ihnen weggeschwemmte Erde
wird lange Zeit im Wasser schwebend erhalten und erst an den Küsten
abgesetzt, wo sie dann den fruchtbaren Alluvialboden bilden hilft.«

»Die Natur an den Abhängen des Kinibalu ist ungemein reich, namentlich
wachsen hier die schönen Nepenthes-Arten und rothe, gelbe oder violette
Alpenrosen. Die Kälte nimmt zu, je näher man dem Gipfel kommt, und als
die Reisenden die zweite Nacht nach ihrem Aufbruche in einer Höhle
zugebracht hatten, fanden sie am andern Morgen alle Gebüsche mit Reif
überzogen. Auf die Rhododendron-Büsche folgte nacktes granitisches
Gestein, und aus diesem erhob sich, 3000 Fuss hoch, noch fast senkrecht
ansteigend, der Gipfel des Berges. Hier und da strömten kleine
Wassergerinnsel über den Granit, und kleines Strauchwerk wuchs spärlich
in den geschützten Winkeln der Felsvorsprünge. Da die Felsen fast unter
40° ansteigen, so versuchte Spencer St. John (dies ist der Name des
kühnen Gelehrten), die Ersteigung mit wollenen Strümpfen durchzusetzen;
diese zerrissen jedoch bald, und seine Füsse begannen zu bluten. Ausser
einigen Moosen und Gräsern wuchs an dieser Stelle nichts weiter.«
(Friedmann.)

Die zweite Expedition, welche einige Monate später erfolgte, war aus
denselben Ursachen nicht glücklicher. Sie folgte dem Lauf des Flusses
Tawaran (auf der Westseite des Berges), ohne die Quelle dieses Flusses
zu finden oder den Gipfel des Berges zu erreichen.

       *       *       *       *       *

Wenn auch im letzten Capitel die Geschichte der südöstlichen Hälfte
Borneos mitgetheilt und es unvermeidlich sein wird, einige Namen von
Städten, Bezirken und kleinen Reichen anzuführen, so glaube ich doch,
an dieser Stelle mich nicht mehr, als gethan ist, mit der Geologie,
Hydro- und Orographie des Landes beschäftigen zu müssen, weil jeder,
der sich dafür interessirt, in Dr. Posewitz’s Geologie von Borneo
eine reiche Quelle findet, aus welcher er nicht nur alles findet, was
die Geologie des Landes betrifft, sondern auch eine übersichtliche
Angabe aller Reisenden, welche diese Insel auch im Interesse anderer
Wissenschaften durchzogen haben.

       *       *       *       *       *

Die südöstliche Hälfte Borneos wurde bis jetzt nur von einer kleinen
Anzahl von Gelehrten durchforscht. Der erste war ein Sergeant der
indischen Armee, Namens F. J. Hartmann, welcher im Jahre 1790 den
Baritustrom bereiste, und der letzte war Dr. Bock, ein dänischer
Gelehrter, welcher zur Zeit meines Aufenthaltes, und zwar im Jahre
1879, mit dem Sultan von Kutei die Reise durch das Innere des Landes
anfing und den letzten Theil allein zurücklegte. Der bedeutendste
Forscher jedoch war Schwaner, welcher in den Jahren 1844 bis 1847
Borneo vom Süden nach dem Westen durchzog und geradezu ein standardwork
über die Ethnographie der Dajaker schrieb, welches jedoch leider in
vielfacher Richtung schon veraltet genannt werden muss. Uebrigens haben
auch G. Müller 1825, Hallewyn 1824-25, Dalton 1827, Henrici 1831, S.
Müller, Horner und Korthals 1836-39, Heinrich von Gaffron (gleichzeitig
mit Schwaner) und Dewall 1846 bis 1849 zur Erforschung dieses Theiles
von Borneo bedeutende Beiträge geliefert,[38] welcher 361653 ☐kmeter
gross ist und im Jahre 1883 645772 (??) Einwohner zählte.

Wie erwähnt, zog Dr. Bock im Jahre 1880 mit dem Sultan von Kutei
(Ostküste von Borneo) von der Hauptstadt dieses Reiches, Samarinda,
über Land nach Bandjerma+sing+.

So manchem Leser wird es aufgefallen sein, dass ich constant von
Bandjerma+sing+ schreibe, während die meisten Reisenden, und auch der
erwähnte grosse Atlas von Stemfoort und ten Siethoff, der Hauptstadt
des südöstlichen Borneos den Namen Bandjerma+sin+ geben. Für meine
Schreibweise habe ich jedoch eine historische und etymologische
Rechtfertigung.

In vielen alten Handschriften wird von dem Lande von Banjerma+singh+
gesprochen. So z. B. schreibt die »hohe indische Regierung« in ihrem
Briefe vom 25. Februar 1660 an den »Kaufmann« Dirk van Lier: »Omdat het
land van Banjerma+singh+ groote Quantiteit pepers jaarlijks mitgeven
kann .... dat zij zich vermeten hebben Oud-Banjerma+singh+ ...« Auch
der bekannte Reisende Valentyn schreibt den Namen mit einem gh am
Ende.[39]

Der Name Bandjermasing wird aber auch dem Barituflusse gegeben. Dies
ist jedoch ganz unrichtig. Die Stadt Bandjermasing liegt nämlich gar
nicht an den Ufern dieses Stromes, sondern an seinem Nebenflusse
Martapura. Auch die Dajaker nennen diesen Strom niemals Bandjermasing,
sie sprechen nur von einem Baritu- oder Dussonflusse. Von der Mündung
bis ungefähr zum Kampong Baru (1° 20′ S. B.) nennen sie ihn den
Baritustrom; von hier aus bis zum Nebenflusse Montalat (0° 35′ S. B.)
führt er den Namen Dusson ilir = unterer Dusson, und Dusson ulu =
oberer (Lauf des) Dusson heisst er bis zur Vereinigung der Belatong-
und Murongflüsse (0° 45′ N. B.), welche für die Quellen dieses
mächtigen Stromes gehalten werden.

       *       *       *       *       *

Wenn ich mit einigen Zeilen das Werk des dänischen Dr. Bock »Unter
den Kannibalen auf Borneo«, oder vielmehr seine Reise vom Osten nach
dem Süden der Insel Borneo bespreche, leiten mich mancherlei Motive.
Wenn er z. B. im 21. Capitel schreibt: »Was die Sittlichkeit betrifft,
so bin ich geneigt, den Dyaks eine hohe Stufe der Civilisation
zuzugestehen,« so fehlt mir jedes Verständniss für diese Phrase.

Ich weiss, dass Dr. Bock nur kurze Zeit auf Borneo geweilt hat, dass
Dr. Bock wie alle andern Reisenden nur ein Ziel kannte: In möglichst
kurzer Zeit die möglichst grosse Strecke zu durcheilen; dass Dr. Bock
zur Erwerbung ethnographischer Thatsachen nur die Mittheilungen seiner
Dolmetscher oder Führer benutzen konnte; Dr. Bock konnte also gar nicht
in die Tiefe der Sitten und Gebräuche der Eingeborenen eindringen,
und doch -- fällt er ein Urtheil. Ja noch mehr. Vom 16. Juli 1879 bis
3. März 1880 war er auf Borneo, hörte in Teweh, dass sich in Buntok
ein Arzt befinde, der sich mit dem Sammeln von Fischen und Schlangen
beschäftige und tausende und tausende Käfer bereits nach Europa
gesendet hatte u. s. w. Am helllichten Tage zog er mit seinem Kahn
bei Buntok vorbei und fand es nicht der Mühe werth, diesen Collegen
aufzusuchen und seine Sammlungen anzusehen, obzwar dieser drei Jahre
lang an der Mündung des Teweh gewohnt hatte und gewiss mehr als er (Dr.
Bock) Gelegenheit hatte, ein Urtheil über die Fauna von Borneo sich
anzueignen. Ich kenne die Ursachen dieser beschleunigten Rückreise nach
Bandjermasing; ich kann sie aber nicht billigen.

Nachdem Dr. Bock seinen Ausflug zu den O. Punang beendigt hatte,
und zwar, indem er den Mahakamfluss und seine Nebenflüsse Telen und
Klintjoû stromaufwärts mit Kähnen gefahren war, war er nach Samarinda
zurückgekehrt, um mit dem Sultan von Kutei die Reise nach dem Strome
Baritu über Land zu machen. Er zog noch einmal den Mahakamfluss
stromaufwärts bis zum Semajangsee, den er, wie auch den folgenden
Djempangsee, mit einem Kahn befuhr, und auf dem Lawafluss kam er in die
Wasserscheide des östlichen Gebirgszuges. Eine kurze Strecke mussten
sie zu Fuss das Gebirge überschreiten, um in dem Renangonfluss, welcher
ein Nebenfluss des Teweh ist, wieder mit Kähnen die Reise fortsetzen zu
können.

Das Reisetempo des Sultans war ihm jedoch zu langsam, so dass er sich
entschloss, seinen Reisebegleiter zu verlassen, und allein Teweh
erreichte, wo sich bereits ein holländisches Kriegsschiff befand, um
ihn und den Sultan von Kutei cito et jucunde nach Bandjermasing zu
bringen.

Warum Dr. Bock in der Einsiedelei dieses Ortes, welcher kurz vorher
von uns verlassen war, auf dem Kriegsschiffe seine Aufwartung
+nicht+ machte, weiss ich nicht. Als jedoch zwei Tage später der
Sultan ankam und am Bord des Kriegsschiffes festlich empfangen werden
sollte, schloss sich Dr. Bock uneingeladen dem Zuge an, und zwar in
Reisetoilette. Der Officier, welcher an der Falltreppe die Gäste
empfing, glaubte ihn zurückweisen zu müssen. Dies kränkte Dr. Bock mit
mehr oder weniger Recht so sehr, dass er ans Land ging und sofort sans
adieu Teweh verliess und fünf Tage und Nächte in seinem Kahne nach
Bandjermasing reiste, ohne andere Lebensmittel als Reis bei sich zu
haben.

Diese Details dieser übereilten Reise des Dr. Bock erfuhr ich später
von dem Häuptlinge Dacop +und+ von dem Seeofficier, welcher bei
dem festlichen Empfang des Sultans von Kutei »du jour« gehabt hatte.

Als Dr. Bock auf seiner Eilfahrt nach Bandjermasing mein Haus in Buntok
passirte, war es 5 Uhr Nachmittags, und ich sass in der Vorderveranda,
meinen Thee zu trinken. Neben mir wohnte der Controleur der Abtheilung,
und vor seinem Hause stand ein Polizeimann auf der Wache. Als dieser
einen Kahn mit der holländischen Fahne vorbeifahren sah, rief er sein
»Werda« zu und bekam zur Antwort: Tuwan blanda = ein holländischer
Herr. So räthselhaft mir und den übrigen Officieren die Reise eines
Tuwans auf einem Kahne sein musste, während ein Kriegsschiff, wie
wir wussten, sich bei Teweh befand, so wenig liess sich daran etwas
verändern, weil der Kahn die holländische Fahne führte und nebstdem mit
grösster Eile fortgefahren war.

Ich kann also die Bemerkung nicht unterdrücken, dass ich es wohl
verstehe, wenn Dr. Bock sich gekränkt oder beleidigt fühlte, dass er
mit dem Kriegsschiffe, auf dessen Boden er beleidigt wurde, nicht
die Reise machen wollte; es ist mir aber nicht verständlich, dass er
darum nicht in Buntok Halt machte, um die einzigen Europäer dieser
Gegend aufzusuchen, und meine Sammlung von Fischen, Schlangen, Käfern,
Insecten und Thierfellen zu besichtigen, von welcher ihm der Häuptling
Dacop, wie ich später erfuhr, ausführliche Mittheilungen gemacht hatte.

Dr. Bock ist Zoologe; er hätte bei mir so manches Neue und
Unbekannte sehen können, wie z. B. die nach mir benannte Python
Breitensteini,[40] Parachella Breitensteini[41] und Breitensteinia
insignis,[42] und doch liess er sich diese Gelegenheit entgehen, sein
Wissen von der Fauna Borneos zu bereichern!

Aber auch als Ethnograph hat, wie schon oben erwähnt, Dr. Bock durch
seinen kurzen Aufenthalt auf Borneo der Wissenschaft nur schlechte
Dienste geleistet; er hat nur weniges gesehen und zu viel den
Mittheilungen seiner Führer vertraut, welche oft nicht einmal der
Sprache der Gegenden mächtig waren, welche sie im Fluge durchreist
hatten.

       *       *       *       *       *

Während meines Aufenthaltes in Teweh und Buntok hatte ich nur wenig
Material für das Studium der Magen-, Leber- und Darmkrankheiten, welche
in den Tropen so häufig beobachtet werden, weil beinahe niemals die
Eingeborenen bei solchen Krankheiten meine Hülfe in Anspruch nahmen;
aber auch von der Syphilis sah ich viel weniger Fälle, als ich erwartet
hatte. Es giebt ja einige Autoren, welche nach Indien die Heimath der
Syphilis verpflanzen wollten. In +Borneo+ fand ich sie (d. h. die
Heimath der Syphilis) damals ebenso wenig, als später auf Sumatra und
Java.

Wie ich schon früher mittheilte, mochte ich mir über diese Frage ein
Urtheil erlauben, weil ich mit den Dajakern mehr als jeder andere
Officier oder Beamte verkehrte; ich wurde zu allen ihren Festen
eingeladen, bei einzelnen Krankheitsfällen wurde von meiner ärztlichen
Kunst Gebrauch gemacht, und durch meine Dilettantenarbeiten im
Ausstopfen und Sammeln der Thiere kam ich ebenfalls vielfach mit diesen
primitiven Menschen in Berührung.

Als im Jahre 1879 der Fürst von Murong und Siang nach Teweh kam,
suchte ich bei und von ihm die Lösung aller offenen Fragen zu finden,
z. B. die Existenz von Vulkanen in Borneo und die der Elephanten und
Schwanzmenschen; am wichtigsten war mir jedoch die Frage, ob unter
den Waldmenschen (Olo-Ott) die Lues vorkäme, und ob die venerischen
Erkrankungen ebenso häufig als im übrigen Theile des indischen
Archipels bei den Urbewohnern Borneos beobachtet werden.

Wenn ich auch seinen Mittheilungen keinen höheren Werth beimessen
will, als sie eben verdienen, so muss ich doch mittheilen: +Borneo
ist nicht die Heimath der Syphilis, und die auf dieser Insel jetzt
vorkommenden Luesfälle sind ein Importproduct der Europäer+. Aber
auch auf den Inseln Sumatra und Java ist die Syphilis (ich spreche nur
von +dieser+ und nicht von den sogenannten +venerischen+
Krankheiten) von den Europäern eingeführt worden, wie ich in der W. M.
P. im Jahre 1884 und in der B. K. W. im Jahre 1886 nachzuweisen mich
bemühte.

Ich schrieb damals:

»Genau so weit als die Europäer in Indien vordringen, findet sich die
von ihnen verstreute Aussaat der Syphilis. In neuester Zeit konnte man
dies in Deli (Ostküste von Sumatra) Schritt auf Schritt verfolgen.

Swediaux, Beckmann und Andere behaupten zwar in Ostindien den Ursprung
der Syphilis gefunden zu haben; es ist aber unbegreiflich, in dem
Mythus vom Lingamdienste (= Venusdienst) auch eine Schilderung
syphilitischer Krankheiten lesen zu können. Sonnerat (Voyage aux Indes
I. Band) erzählt uns diese folgendermaassen:

»Die Büsser hatten durch ihre Opfer und Gebete grosse Gewalt erlangt;
aber ihre und ihrer Frauen Herzen mussten stets rein bleiben, wenn
sie sich in dem Besitze derselben erhalten wollten. Siva hatte aber
die Schönheit dieser rühmen gehört und fasste den Entschluss, sie zu
verführen. Zu diesem Zwecke nahm er die Gestalt eines jungen Bettlers
von vollkommener Schönheit an, hiess den Vishna sich in ein schönes
Mädchen zu verwandeln und sich an den Ort begeben, wo sich die
Büsser aufhielten, um sie in sich verliebt zu machen ..... +Ihre
Leidenschaften nahmen dadurch noch mehr zu; am Ende schienen sie ganz
leblos, und ihre schmachtenden Körper glichen+ dem Wachs, das in
der Nähe +des Feuers schmilzt+.« Bei diesem bilderreichen Satze
kann man nur an eine Erschöpfung durch übermässigen Geschlechtsgenuss
denken. Dies ist ersichtlich aus dem weiteren Verlaufe: »Siva selbst
begab sich an den Wohnort der Frauen. Wie Bettler trug er in der einen
Hand eine Wasserflasche und sang dabei, wie diese zu thun pflegen.
Sein Gang war aber so entzückend, dass sich alle Frauen um ihn
versammelten, worauf sie durch den Anblick des schönen Sängers erst
völlig in Verwirrung geriethen. Diese war bei einigen so gross, dass
sie ihren Schmuck und ihre Bekleidung verloren und ihm im Gewande der
Natur folgten, ohne es zu bemerken. Nachdem er das Dorf durchzogen
hatte, verliess er es, aber nicht allein; denn alle folgten ihm in
ein benachbartes Gebüsch, wo er von ihnen erhielt, was er wünschte.
Bald darauf wurden die Büsser gewahr, dass +ihre Opfer die vorige
Kraft nicht mehr hatten, dass ihr Vermögen nicht mehr dasselbe, wie
ehedem+.«

Die Rache, die dafür die Fakire nahmen, war fürchterlich; ihre
vereinigten Gebete und Büssungen »gingen wie eine +Feuerflamme
aus und ergriffen Siva’s Zeugungstheile und trennten sie von seinem
Körper+. Erzürnt über die Büsser, nahm sich nun Siva vor, die
ganze Welt damit in Brand zu setzen .......« Wenn man selbst mit
europäischer Anschauung diesen Satz kritisch beleuchtet, könnte man
höchstens an einen phagedänischen Schanker denken, aber noch lange
nicht an das Krankheitsbild der Syphilis. Auf den Inseln des indischen
Archipelagos, von denen hier die Rede sein wird, findet man überall
Spuren des altindischen Glaubens und seiner Sitten und Gebräuche, und
auf Sumatra z. B. kann man doch nur, wie oben erwähnt, deutlich die
Syphilis den Europäern bei ihrem Eindringen ins Innere folgen sehen,
ohne die Syphilis dort heimisch zu finden. Was die indische Regierung
dagegen thut, ist mit Rücksicht auf die herrschenden Verhältnisse
bitter wenig;[43] sie nimmt sich eben nur europäische Verhältnisse als
Muster und vergisst, dass gerade der Unterschied in den politischen
Verhältnissen mehr Mittel zur Abwehr der Verbreitung dieser Seuche
an die Hand giebt in Indien als in Holland, abgesehen davon, dass
duo si faciunt idem, non est idem. Die autokratische Regierungsform
durch das Intermedium der eingeborenen Fürsten macht Manches möglich,
was die individuelle Freiheit in Holland zurückweisen würde. Im
Jahre 1883 z. B. wohnte ich den Schiessübungen der Artillerie in
der Preangerregentschaft bei. Beinahe täglich bekam ich neue Fälle
von venerischen oder syphilitischen Erkrankungen. Die Quelle dieser
Erkrankungen war mir bekannt. In der Nähe des militärischen Terrains
befand sich ein kleiner Kampong (Dorf) von ungefähr 20 Hütten, in denen
die Priesterinnen der Venus vulgivaga wohnten. Darüber erstattete
ich dem Residenten dieser Abtheilung Bericht und machte auf die
unvermeidlichen Folgen aufmerksam. Sofort erhielt ich zur Antwort,
dass der Regent (der eingeborene Fürst) die nothwendigen Schritte thun
werde, um meine Vorschläge zur Ausführung zu bringen. Diese waren in
der Hauptsache folgende: »Die »=Prostituées=« jede Woche zur
Visitation mir vorführen zu lassen, um die Erkrankten sofort ins
Spital zu Bandong senden zu können, weil der dortige Bezirksarzt nur
einmal in vier Wochen nach Batu Djadjar kommen dürfe.« Der Pâtih
(Stellvertreter des Regenten) besuchte mich den folgenden Tag und
theilte mir mit, dass in Folge meines Anschreibens auf Befehl des
Regenten den folgenden Samstag »alle Frauen zur Visitation kommen
müssten, welche keinen Mann hätten«. Schon dieses war über das Ziel
geschossen und der Pâtih konnte auf meine Bemerkung, dass in meinem
Briefe nur von »Prostituées« die Rede war, nur seinen Befehl vom
Regenten entgegenhalten. Noch mehr jedoch erstaunte ich, dass unter
den vorgeführten 32 Frauen 4 waren, die zufolge Behauptung des
Dorfhäuptlings sicher keine Prostituées sein konnten, weil sie eben
noch Jungfrauen seien.

Dieser Missbrauch der Amtsgewalt machte mich auch zum Ehestifter; denn
viele brachten junge Männer mit, die erklärten, in den nächsten Tagen
schon diese Frau heirathen zu wollen; die Untersuchung dieser Frauen
bestätigte es auch, dass sie unmöglich Prostituées sein konnten.

Dieser Vorfall lehrte mich, dass bei der herrschenden Regierungsform
eine energische Prophylaxis der Syphilis möglich sei, den guten Willen
der europäischen Beamten vorausgesetzt. Dieser fehlt jedoch manchmal,
wie folgender Fall zeigt: Im Jahre 1882 war ich in Telok Betong
(Sumatra) in Garnison. Eines Tages kam zu mir der Doctor Djava, um
folgenden Bericht zu erstatten:

Ein eingeborener Polizeimann habe eine Frau, die schon zweimal von ihm
geschieden gewesen sei. (Nach mohammedanischem Rechte und vielleicht
nur nach Sitte in der Provinz Lampong muss eine Frau dreimal von ihrem
Manne geschieden sein, bevor die Ehe für immer aufgelöst werden kann.)
Weil seine jetzige Frau ihn angesteckt habe, wolle er zum dritten Mal
sie wegjagen und eine andere junge Frau nehmen. Wie gewöhnlich liess
ich erst den Doctor Djava beide untersuchen, und er berichtete auch von
der Frau, dass sie in der Vagina Ulcera hätte. Mir kam die ganze Sache
recht verdächtig vor; ich sah selbst nach und fand von den Ulc. vaginae
keine Spur, wohl aber beim Manne eine frische Urethritis, Ulcera
mollia und Bubonen; ich entliess die Frau aus dem Spital und schlug
vor, den Mann unter Behandlung zu stellen. Dies geschah jedoch nicht;
mit Hinweis auf die herrschenden Bestimmungen, die nur von inficirten
+Frauen+ sprächen, wurde der betreffende Polizeimann von dem
Secretaris auf seinen Posten ins Innere des Landes zurückgesendet.

Schon an anderer Stelle (Geneeskundig Tijdschrift vor Nederl. Ind.
1883) sprach ich von der Thatsache, dass Indien nur ausnahmsweise
schwere Formen der Lues sehe; gegentheilige Behauptungen müssen
vorsichtig aufgenommen und kritisch abgewogen werden. Die Lues hat,
wenigstens soweit meine Erfahrungen reichen, in Borneo, Sumatra und
Java vielleicht an Extensität, aber für keinen Fall an Intensität
Europa überflügelt; ziffermässig liesse sich das durch die officiellen
Ausweise über den Krankheitsstand des Militärs bestätigen, wenn
nur diese Ziffern irgend einen Werth hätten! Wie es damit in
Europa aussieht, weiss ich nicht; wahrscheinlich um nichts besser
als in Indien. Was kommt in die Rubrik Syphilis? Die Zeiten sind
vorbei, wo jeder Tripper und jedes Ulcus am Penis mit S. I oder
S. II in die Bücher eingetragen wurden; vielleicht nur, dass noch
einige englische Aerzte jede venerische Affection mit Quecksilber
behandeln. Auf Singapore wenigstens behandelt Dr. B., der Chef im
Spitals der Prostituées, jede primäre Affection der Syphilis mit
Sublimat-Einspritzungen; auf meine Frage, in wie viel Fällen die
secundären Erscheinungen bei dieser Behandlung ausblieben, wandte sich
Dr. B. überrascht zu seinem Apothecary und sprach stolz das grosse Wort
aus: »Die kommen bei dieser Behandlung eben gar nicht vor.«

Wie viele weiche Schanker, wie viele unschuldige Ekzeme oder Herpes
mögen es auf ihrem Gewissen haben, wenn Dr. B. in dem erhebenden
Bewusstsein lebt, er sei im Stande, durch Sublimat den weiteren Verlauf
der Lues zu coupiren?!

Wie oft ist an und für sich die Differentialdiagnose zwischen Ulcus
induratum und Ulcus molle mit infiltrirtem Boden erst nach Tagen oder
gar nach Wochen zu stellen? Und in allen Spitälern stand es früher nur
wenige Tage dem Doctor frei, die Diagnose offen zu lassen.

Ein dritter Punkt nimmt den Ziffern allen Werth. Wie lange lässt man,
wie lange kann oder darf man einen syphilitischen Soldaten unter
Behandlung im Spitals halten? Klar ist, dass er, so lange das Leiden
ein ansteckungsfähiges ist, in Spitalsbehandlung behalten werden
soll. Abgesehen davon, dass darüber die Ansichten noch himmelweit
auseinandergehen, nehmen die Verhältnisse noch einen enormen Einfluss.
Ich z. B. würde keinen Augenblick anstehen, in einem kleinen Fort
mit 70 bis 100 Mann, wo durch zufällige Umstände jede zweite oder
dritte Nacht der Soldat Schildwach stehen müsste, alle Patienten mit
Roseola, Angina, kleinen indolenten Bubonen, Sarcocele u. s. w. der
Spitalbehandlung zu entschlagen und ambulatorisch zu behandeln.

Im Jahre 1883 lag seit sechs Wochen ein europäischer Soldat zu Seruway
(Sumatra) mit einem faustgrossen Tumor testis syphilit. im Spitale.
Bei der Uebernahme des Dienstes äusserte der Patient den Wunsch,
ambulatorisch behandelt zu werden. Mein an Dienstjahren wenigstens
noch junger Vorgänger war nicht wenig überrascht, als ich sofort die
Einwilligung dazu gab.

Darin sind alle Militärärzte einig, dass unmöglich der ganze Cyclus der
Lues im Spitale abgewartet werden kann. Die Schwankungen in der Zeit,
+wann+ der Patient zeitweilig keiner Behandlung oder wenigstens
nur einer ambulatorischen zu unterziehen wäre, müssen natürlich auch
die statistischen Angaben über Syphilis enorm unsicher machen. Darum
bringe ich keinen ziffermässigen Beleg für meine obige Behauptung.

Dass die venerischen Erkrankungen in Indien sehr häufig sind, dass die
indische Armee reiche Syphilisfälle aufweise (das grosse allgemeine
Krankenhaus in Wien hat ja auch 10%), dass jedoch nur als seltene
Ausnahme schwere erschöpfende Formen vorkommen, kann jeder Arzt
bestätigen, der vorurtheilsfrei beobachtet und kritisch zu Werke geht.

Die Verhältnisse in Indien und die Lebensweise sind ja die günstigsten,
das syphilitische Gift zu schwächen. Ich habe während meines 8jährigen
Aufenthaltes in Indien kein einziges skrophulöses Individuum gesehen
und nur einen einzigen Eingeborenen mit einer bedeutenden Kyphose. Das
Leben in der freien Luft, die eiweissreiche Volksnahrung (Reis), die
besonders für Europäer günstigen socialen Verhältnisse, die täglichen
Bäder und vielleicht auch die reichliche Transpiration erhöhen gewiss
die Widerstandskraft des Körpers gegen den syphilitischen Process.

Die Häufigkeitsscala der einzelnen syphilitischen Formen entspricht so
ziemlich der in Europa bekannten. Ulcus, Adenitis, Roseola, Angina,
Rupia, Iritis (cyclitis), Psoriasis u. s. w. folgen sich so ziemlich
in Indien wie in Europa; auch das gleichzeitige Auftreten einzelner
Symptome bindet sich dort an eine gewisse Regelmässigkeit, so dass z. B.
die Rupia kaum jemals gleichzeitig mit der ersten Roseola beobachtet
wurde. -- Von den schweren Formen, wie z. B. Psoriasis universalis,
Knochensyphilis, Syphilis der inneren Organe, deletäre Iritiden, durch
ihre zu grosse Ausbreitung erschöpfende Rupia- oder Ecthymageschwüre
u. s. w. sah ich nur ausnahmsweise und hörte ebenso selten davon
Erwähnung thun.

Die Behandlung der Syphilis in Holländisch-Indien richtet sich
unter den europäischen Aerzten so ziemlich nach der betreffenden
heimathlichen Schule; der Eine behandelt die secundäre Form mit
Quecksilber, der Andere alle Fälle, die ihm unterkommen, ohne einen
Unterschied in dem Stadium der Erkrankung zu machen, beinahe Alle
jedoch unterscheiden scharf zwischen Ulcus molle und Syphilis und
behandeln ersteres entweder exspectatif oder mit Jodoform oder Cuprum
sulf. u. s. w. und beschränken die Mercurbehandlung nur auf Syphilis;
einzelne enthalten sich dieser ganz und gar. Von einer einheitlichen
Behandlung der +Eingeborenen+ jedoch kann kaum die Rede sein; in
Sumatra z. B. werden alle Geschwürsformen von den Chinesen ebenso mit
Mercurius vivus bekämpft wie in Bantam mit kupfernen durchlöcherten
Blättchen. Der zweite Theil von Dr. van de Burg: »De Geneesheer in
Indien« wird wohl mehr darüber bringen, und ich will hier nicht zu
weitläufig werden.[44]

Die Prophylaxis der Syphilis und ihre Verbreitung im indischen Archipel
ist enge gebunden an das sociale, politische und religiöse Leben der
indischen Nationen. Nur Java, Borneo und Sumatra können hier besprochen
werden, weil ich nur diese drei Inseln aus Autopsie kenne und die
Aufnahme von Erfahrungen Anderer nicht in den Bereich dieser Abhandlung
ziehen möchte. Die malayische Bevölkerung dieser drei Inseln ist
mohammedanischen Glaubens; sie kennen also die Circumcision bei den
Knaben und Mädchen und die Depilation des Mons veneris. (Rosenbaum:
Lustseuche im Alterthume.) Es ist aber unrichtig, die Depilation als
allgemeine Volkssitte in Asien hinzustellen; denn nur Tänzerinnen,
Prostituées u. s. w. ziehen sich die Haare vom Venushügel aus, wenn sie
noch nicht den Rubikon (18. bis 20. Lebensjahr) überschritten haben;
sie wollen sich dadurch das Air einer +sehr jungen+ Frau geben.
Der prophylaktische Werth dieser Operation ist nicht zu verkennen,
wie auch das Glätten der Haut mit Bimsstein (Rosenbaum) und das
Beschmieren des Körpers mit Oel die Empfänglichkeit für die Aufnahme
des syphilitischen Giftes schwächt.

Im Norden Sumatras ist Päderastie[45] landesüblich, und noch bei meinem
letzten Aufenthalte in Seruway (Atschin) hatte ein Atjeër einen jungen
Mann (Knaben) getödtet, der einem Dorfgenossen zu Willen gewesen war,
ihn jedoch verschmähte. Die Mohammedaner baden von Gesetzeswegen
wenigstens einmal täglich, waschen sich nach den diversen Entleerungen
und ebenso nach dem Coitus.

In Borneo wohnen im Innern des Landes, mit Ausnahme des unteren Laufes
der grossen Ströme (z. B. des Baritu, wo die Bekompeyer dem Islam
angehören), Dajaker, Heiden, welche Jahr aus Jahr ein Feste feiern.
Aus den grossen Blanggas (Töpfen aus der Hinduzeit) wird der Tuwak
(gegohrenes, braunliches, schwachalcoholisches Getränke aus Reis
oder Blüthe der Saquerns saccharifer, oder Boranus flabelliformis
u. a.) in grossen Schalen von Alt und Jung, von Mann und Frau Tage lang
getrunken. Erst die Nacht macht dem Trinken ein Ende.

Ein ganzes Dorf (besonders auf dem Ufer des erwähnten Baritu) wohnt
in einem langen Hause; in einer Veranda versammeln sich alle Gäste
zur Nachtruhe; das kleine Lämpchen, gefüllt mit Damarharz, erlischt
sehr bald, und zügellos blindlings werden da Orgien verübt, vor
denen nicht nur die keusche Diana, sondern auch Venus sich beschämt
verhüllt. Wenn Schiffe nach Java aus Europa und Amerika kommen,
besonders Segelschiffe, die Monate lang auf der See schwammen, sieht
man ganze Boote oft mit 30-40 Frauen von Batavia oder Surabaya
in die hohe See stechen, um die liebesdurstenden Matrosen zum
schaukelnden Schäferstündchen zu verlocken. Nach 10 Uhr Nachts fahren
in den belebtesten Theilen von Batavia kleine Wagen mit je einer
Frauensperson, welche sich anbietet, auf und nieder. Auch im Punkte
der ehelichen Treue scheinen alle Nationen etwas auf dem Kerbholze zu
haben, obschon gewisse Maulhelden offenbar der Uebertreibung Meister
sind. Die sogenannten Haushälterinnen jedoch, welche den besser
situirten europäischen Beamten, Officieren u. s. w. ein Surrogat der
Ehe bieten, seien sie Eingeborene oder seien sie halbeuropäische
Frauen, sind beinahe ausnahmslos mehr oder weniger Allerweltsfreund.
Feste, Kartenspiele, die Gluth der Tropensonne und eigenthümliche
sociale Verhältnisse erhöhen also im Vergleich zu Europa das
geschlechtliche Leben in Indien und mit diesem auch die Gelegenheit zur
Verbreitung der venerischen Krankheit.

Weder die alten Römer, noch die Griechen, noch die Araber erwähnen
der Syphilis; dass sie zu jener Zeit noch nicht existiert habe,
ist dadurch noch nicht erwiesen. (Dass in den Inseln des indischen
Archipels syphilisfreie Reiche seien, kann man sich jedoch durch
Autopsie überzeugen.) Doch von Affectionen der Genitalien sprechen
schon Celsus und andere Schriftsteller. Dioskorides giebt auch
Heilmittel gegen Kondylome an den Geschlechtstheilen u. s. w. an. Auch
im Mittelalter waren venerische Krankheiten sehr gut bekannt, und 1347
verlangte Königin Johanna I., dass »die Puellae publicae im Bordell
zu Avignon alle Samstage von der Frau Amtmännin und einem Wundarzte
untersucht werden, und wenn eine mit dem aus der Hurerei entstandenen
Uebel behaftet gefunden wird, soll man sie von den übrigen entfernen,
damit sie sich Keinem mehr preisgebe und die Jugend anstecke«. Selbst
die neueste Zeit fasst Krankenbilder in einem Rahmen und bringt sie
in einen causalen Zusammenhang, die noch im vorigen Jahrhundert in
ihrer Totalität unbekannt waren, z. B. Morb. Basedowii. So ist es
ganz verständlich, dass specifische Ulcera u. s. w. mit consecutiver
Roseola u. s. w. vorkamen, ohne dass man deren Zusammenhang ahnte und
ihnen einen gemeinsamen Namen gab. Man hat also nur wenig Anlass, einen
exotischen Ursprung der Syphilis zu suchen.

Im Jahre 1521 erscheint zum ersten Male dieser Collectivname. Natürlich
musste Amerika der Sündenbock und als die Pflanzstätte der Lustseuche
verschrieen sein. 1493 kam zum ersten Male Columbus nach Europa zurück,
und schon 1483 war ein epidemisches Auftreten in Rom constatirt worden.
Demungeachtet citiren alle Schreiber (auch Prof. Bäumler in Ziemssens
»Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie«) den Gonzalo
Hernandez de Oviedo als maassgebende Autorität für die Abstammung der
Syphilis aus Amerika, weil er bei seinem Aufenthalt in Haiti 1513 diese
Thatsachen constatiren zu können glaubte.

Sei die Syphilis ein amerikanisches Product, hätten sie die Franzosen,
oder die Italiener, oder die Deutschen in die Welt gebracht, in
Indien und speciell in dem indischen Archipel folgt sie nur der Spur
der Europäer. Java entzieht sich heute schon einem diesbezüglichen
objectiven Nachweis; nicht so das jungfräuliche Borneo und Sumatra.
Im Jahre 1877 sass ich im Herzen Borneos, in Muarah Teweh; hier sah
ich, was eine zweckmässige und gut durchgeführte Prophylaxis leisten
könnte; während 3½ Jahren kam kein einziger Fall von recenter Syphilis
vor. Auf dieser Insel lässt sich die Ausbreitung der Syphilis gut
verfolgen. Die malayischen Frauen auf der Küste und dem unteren Theile
der grossen Ströme stehen in innigem Verkehr mit den Europäern, sei
es als Haushälterinnen, sei es als Prostituées oder dienstwillige
verheirathete Frauen; auch im Innern des Landes, so weit eben
Garnisonen liegen, die mit den dajakschen Frauen in Contact kommen,
wurde Syphilis unter den Eingeborenen gesehen. Von diesen kann nur
schwer eine weitere Verbreitung erfolgen, weil die freien und relativ
unabhängigen Stämme im Innern des Landes in steter Feindschaft mit den
übrigen stehen; auch die Handelsleute, Bekompeyer oder Chinesen, die
sich ins Innere des Landes, selbst bis in das Reich der Waldmenschen
wagen, können die Lues nicht verpflanzen; sie haben ihren Kopf zu
lieb, um ihn einem Schäferstündchen zu opfern. Auch die Soldaten in
Muarah Teweh gaben kein einziges Mal sich mit den Dajaker-Frauen ab,
darum habe ich auch keinen einzigen Fall von recenter Syphilis unter
ihnen gesehen, obwohl ich 100-200 Dajaker zur Behandlung bekam. Ich
besuchte ihre Dörfer, ihre Feste, ich stand durch meine Beschäftigung
mit dem Ausstopfen der Thiere im innigen Verkehr zu ihnen, ich wurde
zur Behandlung von Patienten in ihre Wohnräume gerufen, und niemals
sah ich ein luetisches Individuum, obwohl ich dieser Sache die grösste
Aufmerksamkeit schenkte; ihre Priester und Priesterinnen sind im
strengsten Sinne des Wortes Prostituées; ihre zahlreichen Feste, ihre
mangelhafte Toilette und das enge Zusammenleben auf einem kleinen Raume
würden die Verbreitung der Lues, falls dieselbe überhaupt vorkäme,
enorm begünstigen.

Java erfreut sich diesbezüglich leider schon eines grösseren Terrains.
Im Laufe dieses Jahrhunderts wurden die Holländer nach und nach Herren
der Insel, und selbst die zwei selbständigen Kaiserreiche Solo und
Djocja haben europäische Garnisonen. Und doch giebt es noch einzelne
Strecken, die frei von Syphilis sind. Mir ist z. B. der +Süden+
der Provinz Bantam etwas mehr bekannt. Abseits der grossen Strassen
liegen noch Kampongs (Dörfer), wohin niemals ein Europäer kommt und
deren Bewohner kaum jemals ihren Geburtsort verlassen.[46] Dort
sind die Frauen auch nicht so liederlich, zeigen eine weitgehende
Zurückhaltung gegen die Europäer und geben also wenig Gelegenheit,
die Syphilis aufzunehmen und zu verbreiten. Kam ich (1881) in ein
solches Dorf, um die armen Menschen, die durch Malariafieber und Hunger
erschöpft, auszusterben drohten, wenn die holländische Regierung
sich ihrer nicht erbarmt hätte, so war es mir Anfangs nicht möglich,
die Frauen zu Gesichte zu bekommen; nach und nach erst entschlossen
sie sich, Medicamente und Lebensmittel von mir anzunehmen, die
durch europäische Krankenwärter vertheilt wurden. Sumatra bietet
Verhältnisse, die mehr jenen von Borneo gleichen.

Die politische Abhängigkeit der Stämme auf dieser Insel unterliegt
allen möglichen Abstufungen. Der südliche Theil -- die Provinz
Lampong -- die Provinzen Palembang und Benkalen haben eine geregelte
europäische Verwaltung und sind daher sanitären Maassregeln zugänglich.
Die sogenannte Ostküste befindet sich erst in einem Uebergangsstadium;
das Innere des Landes hat bis jetzt nur wenigen Europäern den Zutritt
erlaubt. So ist die »Lampong« besonders durch die Frauen von der
Küste Bantams schon eine Brutstätte der Syphilis geworden, und in der
Ostküste mit dem Hafenplatz Labuan Deli beginnt diese Krankheit mit
Riesenschritten ihren siegreichen Einzug in das Land zu nehmen.

»Noch vor 25 Jahren,« so berichtet der »Javabote« in einer Nummer des
vorigen Jahres aus Anlass einer von mir erschienenen Abhandlung, »war
das Medan (Hauptplatz der Provinz) frei von Syphilis; heute ist sie auf
dem Hafenplatz und in der Hauptstadt in floribus, und schon unter den
Bewohnern der »Tamiang« konnte ich einige Fälle constatiren. Kommen
einmal die einzelnen Stämme zur Ruhe, die sich jetzt an der Grenze
Atjehs und Battakers bekämpfen, und tritt dann ein inniger Verkehr
zwischen den Soldaten und den eingeborenen Polizisten ein, dann wird
auch das Innere Sumatras schon in wenigen Jahrzehnten der Lues und
dem Branntwein verfallen sein; denn weder +alle+ Officiere noch
die +jungen+ Beamten, welche im Innern des Landes die Pioniere
der Civilisation vergegenwärtigen, begreifen die prophylaktischen
Bestimmungen in ihrer ganzen Tragweite.

Die individuelle Prophylaxis gegen die Syphilis muss besonders in
Indien gegen die staatliche in den Hintergrund treten; denn die
Eingeborenen zeigen sich bis jetzt beinahe unzugänglich selbst den
einfachsten hygienischen Begriffen gegenüber; die dazu berufenen
Lehrer, die eingeborenen Heilkünstlerinnen, nicht viel mehr, so dass
von dieser Seite sehr wenig zu erwarten ist; Condome, abgesehen von
ihrer fraglichen Wirksamkeit, können an und für sich niemals in der
grossen Menge Gebrauch finden, und die Waschungen der Genitalien
u. s. w. werden dort aus religiösen Anschauungen besonders bei den
Frauen Schwierigkeiten finden, wenn sie sich weiter erstrecken sollten,
als auf ein oberflächliches Abspülen. Mässigung und Vorsicht in
der Befriedigung der Geschlechtslust würde der Eingeborene ebenso
wenig acceptiren, als etwa der europäische Soldat im Gebrauche der
Alcoholica. Die staatlichen Vorsichtsmaassregeln können nur dann
viel leisten, wenn die damit betrauten Organe auch den Geist der
gesetzlichen Bestimmung erfassen.

So lange im Innern des Landes +junge+ Männer die Regierung
repräsentiren, die nur zu oft dem Kitzel, von den Eingeborenen als
+unbeschränkte+ Alleinherrscher angesehen zu werden, alles
opfern, und so lange einzelne Officiere, in ähnlichen kleinlichen
Ideen befangen, dem Militärarzt nicht die nothwendige Unterstützung
verleihen, wird dem Fortschritt der Syphilis kein Damm gesetzt
werden. Die Dukuns, eingeborene Frauen, die in der Regel Hebammen
sind, jedoch für alle möglichen Krankheiten die Kräuter sammeln,
stehen ganz ohne Controle; Unterricht geniessen sie keinen.[47]
Die Tradition von Grossmutter auf Mutter u. s. w. ist der einzige
Lehrmeister; äusserliche Manipulation in allen möglichen Formen
(selbst bis zum Besteigen des schwangeren Uterus, um die verzögerte
Geburt zu beschleunigen), und die Verabreichung von einer grossen
Zahl von Medicamenten sind ihre geburtshilflichen Wissenschaften,
für die gewöhnlichsten Anforderungen der Reinlichkeit haben sie
kein Verständniss. Der Verbreitung der Syphilis mag +ihr+
künstlerisches Wirken eher zu statten kommen, als hinderlich sein.

Die Ammen kommen hier kaum in Betracht, weil die meisten eingeborenen
Frauen stark entwickelte Brustdrüsen haben und daher selten ihre Kinder
von Anderen säugen lassen, und die Europäerinnen, falls sie sich
schon den Luxus einer Amme verschaffen müssen, die nöthige Vorsicht
bei der Aufnahme einer solchen Frau üben. Diese Vorsicht kann nicht
genug geübt werden, weil nur der Auswurf der malayischen Bevölkerung
eine Amme abgiebt; sie wird ja nach mohammedanischen Begriffen dadurch
verunreinigt.

Die Vaccinateurs sollten jedoch besser beaufsichtigt werfen, als es
bis jetzt geschah. Auspitz’ Experimente zeigen, dass der Inhalt der
Vaccinepustel niemals Träger des Syphilisgiftes sei; also nur das Blut.
Alle Aerzte sind per se in Indien betraut mit der Aufsicht über die
Vaccination. Nur selten jedoch geht diese weiter als bis zur Uebernahme
der statistischen Berichte von den Vaccinateurs.

Die Prostituées, als die gefährlichste Verbreitungsquelle der Syphilis,
sind ebenso wie die öffentlichen Tanzmädchen (Ronggengs), Tandakmädchen
u. s. w. einer wöchentlichen ärztlichen Visitation unterworfen. Nicht
nur, dass die Zahl der Proscribirten relativ klein und die clandestinen
Priesterinnen des freien Triebes stark überwiegen, auch der Eifer für
diese sanitäre Maassregel ist sehr klein. Die damit betrauten Aerzte
sind entweder (besonders in den grossen Städten) so mit Privatpraxis
überladen, dass sie dieser Sache zu wenig Aufmerksamkeit schenken, oder
die Polizeiorgane sind so wenig von der Wichtigkeit dieser hygienischen
Maassregel durchdrungen, dass sie sich begnügen, hin und wieder eine
diesbezügliche Ordre zu geben, ohne um das Weitere sich zu bekümmern.

Auf Labuan Deli z. B. sind heute gewiss schon über 250 Mädchen; hin und
wieder kommt der Arzt von Medan dahin,[48] um in der kleinen Garnison
dem Einen oder Andern zu helfen, und nebstbei untersucht er auch einige
Prostituées, die ihm bei dieser Gelegenheit von dem Beamten gesendet
werden. Labuan Deli ist heute schon die Bezugsquelle der Syphilis für
die ganze Provinz bis an die Grenze der Battaker.

Die Matrosen der sogenannten Gouvernements-Marine unterstehen
ebenso wenig einer regelmässigen ärztlichen Untersuchung
als alle Polizeisoldaten. Auch die Niederländisch-Indische
Dampfschifffahrts-Gesellschaft, welche jährlich Millionen für den
Transport von Truppen u. s. w. von der indischen Regierung bezieht,
thut nichts, absolut nichts, um der Verbreitung der Syphilis durch
ihre Matrosen entgegenzutreten. Das Militär wird streng überwacht, und
die gesetzlichen Bestimmungen sind hinreichend, um in isolirten Forts
die Syphilis im Keime zu ersticken, wenn die civilen Behörden es an
der nöthigen Unterstützung nicht fehlen lassen. In den Casernen hat
wenigstens ⅓ der Bemannung Haushälterinnen.

Bei begründetem Verdacht, dass eine derselben inficirt sei, muss sie
sich der ärztlichen Behandlung unterwerfen, oder der Aufenthalt im
Fort wird ihr verboten, und sie wird den Civilbehörden zur weiteren
Behandlung übergeben.[48] Im Innern des Landes wird unter 10 Fällen
sicher 3 mal so eine Frau ruhig im nächsten Kampong (Dorfe) leben
können und der Bevölkerung das Geschenk der europäischen Civilisation
(= Syphilisation) übermitteln.

Von den Inseln des indischen Archipels kam die Syphilis sicher nicht
nach Europa, wenn auch Fracastor wehmüthig klagt:

    India me novit, jucunda Neapolis ornat
    Boetica concelabrat, Gallia mundus alit
    Vos Itali, Hispania, Galli vos orbis alumni
    Deprecor, ergo mihi dicite quae patria.

       *       *       *       *       *

Die +Syphilisation+ des indischen Archipels hält gleichen Schritt
mit dem Vordringen der europäischen +Civilisation+, und wenn auch
einige Autoren in Indien die Heimath der Syphilis suchen und sehen, so
ist nichts unrichtiger als diese Annahme. Auf Borneo z. B. haben wir
noch deutliche Spuren des Priap-[49] und des Lingamdienstes, und doch
sah ich im Herzen dieser Insel während eines 3jährigen Aufenthaltes
keinen recenten Luesfall, weil die Soldaten des Forts von jeher ihren
Kopf einem Schäferstündchen zu Liebe nicht in Gefahr bringen wollten.

So wie im dritten Buch der Bibel vor der Ansteckungsfähigkeit,
des Trippers, gewarnt wird: »Vir qui patitur fluxum seminis,[50]
immundus erit«, so sprechen auch +Hippokrates+, +Galenus+,
+Celsus+ u. s. w. von Geschlechtskrankheiten, und selbst
+syphilitischer+ Formen gedenken die alten Autoren, wenn sie
von »ficus, ulcus acre, +pustulae lucentes+ und +sordigi
lichenes+« sprechen. Das Mittelalter ist zwar arm an Schilderungen
der damals herrschenden venerischen oder syphilitischen Erkrankungen,
aber dafür um so ausführlicher. So klagt z. B. der Dichter[51] in
seiner Ode an Priapus:

    »Ante meis oculis orbatus priver et ante
    Abscissus foedo nasus ore cadat!
    Non me respiciet non me volet ulla puella.«

Zu allen Zeiten gab es also Geschlechtskranke, und dem ungeachtet wird
schon seit 3 Jahrhunderten der Streit um die Heimath der Syphilis
geführt. Von +Artruc+ bis +John Hunter+ haben alle Aerzte,
wie +Sydenham+, +Boerhave+ u. s. w. in Amerika die Wiege der
Syphilis gesehen, und +Sonnerat’s+ Erzählung des Lingamdienstes
(Venusdienst) hat Indien zum ersten Exporthafen der Syphilis gemacht.

Im indischen Archipelagus jedoch folgt die Syphilis dem Zuge der
europäischen Pioniere der Civilisation. Nur die 3 grossen Inseln
Java, Borneo und Sumatra sind mir aus Autopsie bekannt, und ich
möchte fast sagen, dass ich Schritt auf Schritt dem siegreichen Zuge
der Syphilis mit dem Vordringen der Europäer folgen konnte. Java
hat die Lues beinahe schon ganz erobert; die Küstenplätze haben die
liebesdurstigen europäischen Matrosen schon vor vielen Jahrzehnten
inficirt, und nur jene hoch gelegenen Strecken, welche, abseits von
der grossen Heeresstrasse, niemals ein Fort mit europäischer Besatzung
hatten, und deren Bewohner, zufrieden mit den Erträgnissen des Bodens,
die heimische Scholle nicht verlassen, keine bedeutenden Bedürfnisse
kennen, diese Strecken sind auch heute noch frei von der Erstlingsgabe
der europäischen Civilisation, der Syphilis.

Borneo und Sumatra sind theilweise noch unbekannt und nur zum kleinsten
Theile von Europäern in Besitz genommen. Auf ersterer Insel stand
ich in stetem Verkehr mit den Eingeborenen; sie halfen mir Thiere
sammeln. Es wurden mir viele operative Fälle zugewiesen und für alle
möglichen Krankheitsformen von den Dajakern mein ärztlicher Rath
eingeholt.[52] Dem ungeachtet sah ich im Herzen[53] Borneos keinen
Luesfall. Das Umsichgreifen der venerischen und syphilitischen
Krankheiten demonstrirt beinahe ad oculos der officielle Jahresbericht
über den Gesundheitszustand der holländisch-indischen Armee im
Quinquennium 1878-1882, der im 5. Heft der ärztlichen Zeitschrift für
Holländisch-Indien in Batavia erschien. Die Armee hatte nämlich im
Jahre 1878: Syphilis 854 und venerische Krankheiten 7652; im Jahre
1879: Syphilis 881 und venerische Krankheiten 8024; im Jahre 1880:
Syphilis 1125 und venerische Krankheiten 9650; im Jahre 1881: Syphilis
1289 und venerische Krankheiten 10261; im Jahre 1882: Syphilis 1270 und
venerische Krankheiten 10402.

Der prophylaktische Werth der Circumcisionen fällt in diesem Berichte
besonders scharf in die Augen.

Im Jahre 1882 befanden sich in der Armee 15349 Europäer und 14583
Eingeborene [Malayen[54], Javanen u. s. w.], und von diesen wurden
an Syphilis 988 oder 6·4% Europäer und 280 = 1·9% Eingeborene,
an venerischen Krankheiten 6812 oder 44% Europäer und 3552 = 24%
Eingeborene behandelt.[55] Auch das Verhältniss zu der Zahl der
Patienten spricht zu Gunsten der Eingeborenen, obwohl nicht so stark.
Krankenstand der Europäer 41595, Syphilis 988 = 2·3%, venerische
Krankheiten 6812 = 16%; Krankenstand der Eingeborenen 36660, Syphilis
280 = 0·8%, venerische Krankheiten 3552 = 9·7%.[56]

Wie wir sehen werden, leben beide Rassen unter denselben socialen
Verhältnissen; es kann also dieser Vorzug der Eingeborenen nur eine
Folge der Circumcision sein, der sie als Mohammedaner unterworfen sind.

Der hygienische Werth der Circumcision ist schon oft genug betont,
soweit mir aber bekannt, noch niemals so drastisch durch Ziffern
illustrirt worden als in diesem Falle. »Wein, Weib und Gesang« mögen
den europäischen Soldaten auf dem isolirten Posten die Zeit verkürzen
helfen; der Eingeborene trinkt als Mohammedaner keine berauschenden
Getränke; niemals hört man einen Malayen oder Javanen den Lüften sein
Liebesleid oder seine Sehnsucht nach der Heimath klagen; er kennt nur
eine Leidenschaft: die Liebe. Das Würfelspiel, dem er auch oft alles
opfert, seine Stellung und seine Zukunft, ist ihm auch nur Mittel zum
Zwecke: Geld zu gewinnen für den Schmuck seiner Geliebten. Und doch
zeigen die europäischen Soldaten im Jahre 1882 eine 3-4mal so grosse
Zahl der Syphilitiker und 2mal so grosse Menge venerischer Kranken.

Wie erwähnt, leben beide Rassen unter denselben socialen Verhältnissen,
und wenn dennoch die Zahl der syphilitischen Erkrankungen sich wie
64 : 19 verhält und die der venerischen Krankheit wie 44 : 24, so
spricht dies zu Gunsten der Circumcision.

In den Tropen ist ja eine reichliche Secretion der Fettdrüsen
vorherrschend; das Smegma sammelt sich also in grosser Menge um die
Glans an, und durch die saure Reaction des Schweisses (in Folge seines
grösseren Gehaltes an Fettsäure) sind Eicheltripper sehr häufig, und
zur Aufnahme des syphilitischen Virus ist der günstigste Boden gegeben.

Auch erklärt es sich leicht, warum die +syphilitischen+ Affectionen
der Europäer um 3-400% und die +venerischen+ Affectionen +kaum+ um
100% die Geschlechtskrankheiten der Eingeborenen überwiegen. Diese
schliessen in grösserer Zahl die Urethritiden ein, und beide Rassen
bieten so ziemlich gleiche Bedingungen zur Aufnahme des Trippergiftes.
Leider sehen wir, dass die venerischen Krankheiten in dem Quinquennium
1878-1882 sich bedeutend vermehrten,[57] während doch im Allgemeinen
die sanitären Verhältnisse der Armee sich besserten.

  Im Jahre   Armeestand  Krankenstand  Syphilis  Venerische Kr.
                                         in %        in %

    1878       37023         317          2·3         20
    1879       30771         398          2·8         26
    1880       31459         340          3·5         30
    1881       30209         293          4·2         34
    1882       30051         261          4·2         24

Es würde mich zu weit führen, die Factoren zu besprechen, welche die
sanitären Verhältnisse der indischen Armee mit jedem Jahre günstiger
werden liessen, und ich will mich darauf beschränken, jene socialen
Verhältnisse zu erwähnen, die auf die Verbreitung der Syphilis Einfluss
nehmen, und wenn manches pittoreske Genrebild dem europäischen Leser
etwas fremd erscheinen wird, werde ich nicht ermangeln, auch sein
raison d’être zu demonstriren.

Officiell anerkannte Polyandrie kommt unter den europäischen und
eingeborenen Soldaten nur ausnahmsweise vor; sie prügeln ihre »Frau«
zwar durch, wenn sie Beweise eines Ehebruches haben, glauben es aber
gerne, wenn sie den Besitz von Schmucksachen und Geld auf Gewinnste im
Würfelspiele zurückführen, und wenn der »Mann« Abends[58] all sein Geld
verloren hat, findet er es ganz natürlich, dass seine »Haushälterin«
hin und wieder verschwindet, um in einiger Zeit mit gefüllter Tasche
zurückzukehren.

Diese Soldatenfrauen ermöglichen jede Controle, und wenn demungeachtet
die Geschlechtskrankheiten in dem erwähnten Quinquennium zunahmen,
kann die Schuld nur in den Organen gesucht werden, welchen es obliegt,
hierin prophylaktische Maassregeln zu ergreifen. Im Gegensatz
zu Europa sind ja in der indischen Armee +die heimlichen+
Infectionsquellen in der Minorität. Denn ¼-⅕ der Mannschaft hat auf
Java eine »Haushälterin«, und auf den übrigen Inseln sichert sich
beinahe ⅖ der Garnison durch den Besitz einer »Njai« gewissermaassen
ein Familienleben und ein Heim inmitten der Caserne. Auf Java
nämlich erfreut sich der europäische wie der eingeborene Soldat
gewisser gesellschaftlicher Vorzüge. In den grossen Städten (Batavia,
Surabaya, Samarang u. s. w.) geben Oper, einige Mal in der Woche
aufgeführte Concerte, von Zeit zu Zeit Circusvorstellungen u. s. w.
genügend Abwechselung in dem sonst monotonen Soldatenleben; in den
kleinen Städten bieten Dilettantenvorstellungen des Militärs oder
der Bürger, einiger Verkehr mit den Bewohnern des Landes u. s. w.
auch einige Zerstreuung; auf den anderen Inseln jedoch hat selbst auf
den Hauptplätzen das Leben der europäischen Soldaten nur die Wahl:
Caserne[59] und Cantine, das der Eingeborenen nur die Caserne.

Hat er jedoch eine »Frau« oder eine »Haushälterin« bei sich und
geniesst er sogar Vaterfreuden, dann fühlt er sich in der Caserne
heimisch; diese wird ihm zur zweiten Heimath.[60] Die Frauen, die sich
dazu hergeben, stammen aus der tiefsten Schicht der Küstenbewohner. Das
sittliche Gehalt derselben steht dann um etwas höher, wenn sie sich
mit den eingeborenen Soldaten durch eine gesetzliche Ehe verbinden; im
anderen Falle sinken sie selbst unter das Niveau einer Prostituirten
in Europa, so z. B. sah ich eine solche Frau nackt unter Soldaten
baden, während jede mohammedanische Frau (in Indien wenigstens) ihr
Schiffbad[61] nur im Sarong (Rock) nimmt, den sie über die Brust
knüpft, auch wenn sie allein ist. (Der Islam kennt diesbezüglich sehr
strenge Vorschriften, so z. B. würde jede schwangere Frau früher zu
Grunde gehen, bevor sie sich von einem männlichen Arzte helfen liesse
oder von einer Hebamme manuelle Hülfe per vaginam annähme.)

Für die nicht verheiratheten »Frauen« der europäischen und
eingeborenen Soldaten ist oft der »Mann« auch nichts anderes als der
Firmaträger ihres Geschäftes, dem sie den Aufenthalt in der Caserne
verdankt. Er ist sich dessen auch bewusst, obwohl sehr viele solcher
»Soldatenfrauen« ihre uneheliche Untreue vor ihrem Manne geheim halten.

In Friedenszeiten geniessen diese Soldatenfrauen keine anderen
Begünstigungen, als die Erlaubniss zum Aufenthalt in der Caserne; in
Forts auf Kriegsfuss bekommen sie jedoch ihre tägliche Portion Reis
(0,6 Kilo) und etwas Salz. Schon wegen der hohen Transportkosten
dieser Frauen (und mit ihren Kindern) und aus +sittlichen+ und
strategischen Ursachen wurde die Frage ventilirt, ob diesem Zustande
ein Ende gemacht werden müsse. Nein und abermals nein! -- Der Soldat
hat in Indien ein elendes sociales Leben.[62] Besonders auf den
»Aussenbesitzungen« (Java und Madura sind von diesem Collectivnamen
ausgeschlossen) fühlt sich jeder Bürger als Herr (Tuwan) und hält es
also unter seiner Würde, einen Unterofficier oder gar einen Soldaten,
sei er noch so intelligent, bei sich zu empfangen. Nichts bietet diesem
Abwechslung, nichts Zerstreuung.

In den Jahre lang dauernden Guerillakriegen ist ihm seine Haushälterin
eine wahrhaft treue und sorgsame Pflegerin. Ermattet vom schweren
Patrouillendienst durch die sumpfigen Reisfelder, findet er bei seiner
Rückkunft eine Schale Thee, Kaffee und Suppe und kann sich der Ruhe
hingeben, während seine »Frau« die Kleider und Waffen reinigt. Jeden
Augenblick des Alarmrufes gewärtig, oft jeden zweiten oder dritten
Tag zum Schildwachdienst gerufen, in der Zwischenzeit »ausrücken« zu
müssen, wäre ihm unmöglich, wenn nicht seine Haushälterin ihm die
knapp zugemessene Ruhezeit ganz überliesse und für seine leiblichen
Bedürfnisse sorgte. Wird er krank oder verwundet, pflegt sie ihn.
+Doch last not least: Jedwelche Controle zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten ist geboten und möglich.+

Wir sehen aber, dass dessen ungeachtet die Syphilis im Quinquennium
1878-1882 zunahm; die Ursache liegt nur in der mangelhaften Ausführung
der diesbezüglichen Bestimmung und in der Unzweckmässigkeit einzelner
Verordnungen. Die Progression dieser Krankheitsfälle ist aber auch
unter den Europäern eine viel stärkere als unter den Eingeborenen, die
in viel grösserer Zahl Frauen bei sich haben:

  Eingeborenen-Armeestand   Syphilis     Vener. Krankheiten
  1878      19561         271 = 1·3%       2552 = 18%
  1879      15919         200 = 1·2%       2723 = 17%
  1880      15045         219 = 1·4%       3123 = 20%
  1881      14509         272 = 1·8%       3120 = 21%
  1882      14583         280 = 1·9%       3562 = 25%

  Europäischer Armeestand   Syphilis    Vener. Krankheiten
  1878      17477          583 = 3·3%      5072 = 28%
  1879      14780          666 = 4·5%      5295 = 36%
  1880      16247          901 = 5·5%      6486 = 39%
  1881      15568         1008 = 6·4%      7107 = 45%
  1882      15349          988 = 6·4%      6812 = 44%

Auf den »Aussenbesitzungen« hat eine viel grössere Zahl der Soldaten
Haushälterinnen, und allgemein erhält man (auch die ledigen Officiere)
den Rath, bei einer Transferirung, z. B. nach Borneo, sich mit dem
nöthigen Bedienungspersonal auf Java zu versorgen; thatsächlich ist
auch die Zahl der Geschlechtskranken ausserhalb Javas viel kleiner als
auf dieser Insel. Der Einwand, dass eben auf Java die Syphilis eine
grössere Verbreitung gefunden habe, ist richtig.

So sehen wir Java bei einem Armeestand von 15525 Mann mit 6·9% (1076)
Syphilitischen und 53% (8248) Venerischen belastet, während Borneo bei
einem Garnisonstand von 1932 Mann 2·0% (39) Syphilitische und 14% (282)
Venerische im Jahre 1882 hatte. Dass die Insel Borneo in unserem Falle
der Syphilis noch nicht so viel Spielraum zur Entwicklung geboten hat,
ist aber nicht die einzige Ursache, dass die Truppen beinahe 3-400%
weniger Venerische zählen als die auf Java; denn hier wie dort ist die
malayische Küstenbevölkerung der grosse Liverancier der Prostituées.
Aus verschiedenen Ursachen verkehren die Soldaten im Innern des Landes,
wenigstens in einigen Garnisonen, +nur+ mit ihren Haushälterinnen
oder mit jenen -- ihrer Kameraden. Würden die herrschenden Bestimmungen
auch mit Umsicht angewendet, müsste die Zahl der Geschlechtskranken
eine noch viel kleinere sein.

Würde zudem das Gesetz erlassen werden, dass jede Frau, die, ohne zu
heirathen, nur als Haushälterin einem Soldaten folgen wolle, sich vor
dem Einzug in die Caserne einer ärztlichen Untersuchung unterziehen
müsse,[63] dann wäre das jährliche Contingent der Geschlechtskranken
auf den Aussenbesitzungen geradezu ein Minimum. Nur sehr wenige Frauen
würden sich dadurch abschrecken lassen, Concubine eines Soldaten zu
werden. Der sittliche Gehalt dieser Frau steht ja doch auf einem
niedrigen Niveau; die Lehren des Islam existiren nicht für diese
Frauen; sie essen Schweinefleisch, trinken mitunter auch Schnaps und
finden auch im Verkehr mit einem Christen nichts Sündhaftes. Auch die
Erfahrung zeigt, dass eine absolute Einschränkung der Syphilis ganz gut
möglich ist.

Diese Soldatenfrauen haben also ihre raison d’être.

Dass auf Java die Zahl der geschlechtskranken Soldaten so enorm hoch
ist, hat, wie erwähnt, seine Ursache darin, dass in den grossen
Garnisonplätzen nur eine kleine Zahl Soldaten sich eine »Haushälterin«
hält. Natürlich ist die »clandestine Prostitution« der sehr willkommene
Deckmantel für die Nachlässigkeit der Organe, denen es obliegt, der
Verbreitung der Syphilis entgegenzutreten. Mit der Heimlichkeit der
Prostituirten ist’s ja in Indien gar nicht so arg gestellt. Die
militärische Staffage der Küche ist in Indien unbekannt; entweder sind
die betreffenden Babus (Dienstmädchen) verheirathet und leben mit Mann
und Kind in den Nebengebäuden ihrer Wirthschaft; auch wenn sie ledig
sind, würde es kein Soldat wagen dürfen, seine Geliebte im Herrnhause
aufzusuchen. Die Rendezvousplätze der Soldaten, welche keine »Njai«
haben oder ihren »Frauen« untreu sind, müssen nicht nur der Polizei
bekannt sein, +sondern sind es auch stets+.

Die »clandestinen« Prostituées sind für die betreffenden Organe nur ein
Deckmantel ihrer Nonchalance.

Dieser Jahresausweis constatirt also zwei Thatsachen:

1) Die Zahl der venerischen Erkrankungen und der Syphilisfälle wuchs
mit jedem Jahre beinahe constant im Quinquennium 1878-1882.

2) Java, welches seit vielen Jahrzehnten im factischen Besitze
der Europäer ist, hatte 6·9% und das wenig bekannte Borneo 2% des
Armeestandes an Syphilis und 53% resp. 14% an andern venerischen
Krankheiten Leidende.

So naheliegend auch die Erklärung dieser Thatsache ist, dass nämlich
in den sogenannten Aussenbesitzungen die Syphilis noch nicht allgemein
Wurzel geschlagen habe, so wenig ist sie frei von dem Einwande, dass
gerade die geringe Kenntniss des Landes und der geringe Verkehr mit
den Eingeborenen dieser Insel ein kleines Contingent zum Stande der
Geschlechtskranken liefern solle. Dieser Einwand ist aber nicht
stichhaltig, abgesehen davon, dass er das beste Plaidoyer für die
sogenannten »Haushälterinnen oder Soldatenfrauen« bietet -- Facta
loquuntur: Je weiter ich ins Innere von Borneo kam, desto mehr verlor
ich die Spur der Syphilis; je weiter wir uns auf Sumatra von der Küste
entfernen, desto weniger Geschlechtskranke findet man. Labuan Deli[64]
z. B. hatte vor 15 Jahren, wie der »Javabode« aus Anlass einer von
mir erschienenen diesbezüglichen Broschüre berichtete, keine publiken
Frauen und keine Syphilis; seitdem eine blühende, europäerreiche
Colonie von Pflanzern dort selbst eine Eisenbahn nothwendig machte,
zählt dieser kleine unbedeutende Hafenplatz schon mehr als 200
Priesterinnen der Venus vulgivaga aus aller Herren Länder. Der Hauptort
Medan, 3 Meilen von Labuan Deli entfernt, ist heute schon verseucht,
und ich bin überzeugt, dass nur energische Maassregeln im Stande sind,
die Durchseuchung des ganzen Bezirkes weit hinaus über die Grenzen der
Battaker, wo die Ida +Pfeiffer+ vor 45 Jahren noch Menschenfresser
fand, zu verhindern.

Auf Borneo sah ich, wie schon erwähnt, die Syphilis nicht einheimisch.
Nur dort, wo +die Soldaten in innigen Verkehr mit der Bevölkerung
traten, nur dort sah ich unter den Eingeborenen Syphilis+. Drei
Jahre sass ich im Herzen von Borneo, und kein recenter Syphilisfall
kam mir zur Beobachtung und zur Behandlung, obwohl die ursprünglichen
Bewohner des Landes, die Dajaker, ein liederliches Leben führen.

Alle Phasen des persönlichen, des Familien- oder des Gemeindelebens
werden mit 4 bis 8 Tagen langen Festen gefeiert, bei denen Venus und
Bacchus abwechselnd die Hände sich reichen. Bei Tag wird der Tuwak
(schwach alcoholisches Getränk) aus grossen Schalen getrunken, in
Chören getanzt beim ohrzerreissenden Schall grosser Pauken und der
malayischen Gamelang, und der scheidende Tag ladet Alt und Jung, das
ganze Dorf zur Orgie, so dass kaum jemals eine Braut virgo intacta war.
Bei solchem Familienleben konnte selbst der oberflächlichen Beobachtung
eine etwa eingenistete Lues nicht entgehen.[65] Die Soldaten haben
hier wie dort gleiche Lust zur Liebe; hier wie dort sind Soldaten, die
keine »Haushälterin« haben; hier wie dort giebt es zahlreiche untreue
Ehemänner, welche bei den Frauen des Landes Abwechslung in ihrem
monotonen pseudoehelichen Leben suchen.

Wenn also auch die directe Beobachtung fehlen würde, dass im indischen
Archipel die Syphilis +nicht+ einheimisch sei, so würde schon der
Jahresbericht hinreichend beweisen, dass auf diesen Inseln die Syphilis
von den Europäern importirt sei, und dass mit dem Vordringen der
Pioniere der Civilisation die Lues ihren siegreichen Zug durch das Land
hält. Die Syphilis ist eine Treibhauspflanze der rasch lebenden grossen
Städte. Auf dem Lande, im Innern der Inseln, fern von dem Gewühle der
grossen Culturcentren, findet sie nur wenig oder gar keine Nahrung.

       *       *       *       *       *

Wiederholt wurde bis jetzt von der Beschneidung bei den Eingeborenen
gesprochen, welche den europäischen Aerzten nur vom Hörensagen bekannt
ist. Da ich jedoch Gelegenheit hatte, die rituelle Circumcision zu
sehen, so will ich gern einige Worte darüber verlieren, und zwar in
Wiederholung dessen, was ich in der W. M. W. Nr. 27 vom Jahre 1897
darüber geschrieben habe:

Was die Circumcision der Javanen, Malayen (an der Küste des ganzen
Archipels), der Sundanesen (im Westen von Java), der Maduresen (von
der Insel Madura und von dem Osten Javas) und der anderen Mohammedaner
betrifft, ist bis jetzt den europäischen Aerzten nur Weniges bekannt
geworden. So z. B. wusste unter 7 Collegen, mit welchen ich dieses
Thema besprach, kein einziger, dass auch die mohammedanischen
Frauen (im Gegensatze zu den Juden) beschnitten werden, oder aber,
was der »Beschneider« mit dem inneren Blatte des Präputiums thue.
Der europäische Arzt dringt ebenso wenig als die übrigen Europäer
(mit Ausnahme der Polizei- und Verwaltungsbeamten) tiefer in das
Leben der Eingeborenen; er ist und bleibt ein fremdes Element,
und was er von ihren Sitten und Gebräuchen weiss, schöpft er aus
unverlässlicher Quelle, aus dem niedersten Theile der Bevölkerung, aus
den Mittheilungen seiner Bedienten, und -- wenn er Junggeselle ist --
seiner Concubine.

Die Beschneidung der Frauen geschieht sehr geheim, im Gegensatze zu der
bei den Knaben. Eine Dukun, vielleicht am besten zu vergleichen mit
einer Hebamme, welche jedoch die Behandlung +aller+ Krankheiten
auf sich nimmt und besondere geschickt im Massiren (pidjet) ist, und
ihr Meisterstückchen in der Verhinderung der Conception thut, ritzt in
der Regel mit einem gewöhnlichen Messer das Präputium der Clitoris;
bei übermässiger Länge des letzteren jedoch amputirt sie. Aus Autopsie
weiss ich von dieser Operation nichts zu erzählen. Bei allen festlichen
Gelegenheiten wird ein Festessen (slametan) gegeben, zu dem auch die
Europäer eingeladen werden; nur nicht bei dieser Gelegenheit. Dies
ist die Hauptursache, dass der europäische Nachbar ebenso wenig davon
weiss, als z. B. der europäische Arzt, der die männlichen Verwandten
eines Häuptlings und vielleicht auch seine Frau und Tochter im
Krankheitsfalle behandelt.

Die Beschneidung der Knaben ist mit mannigfachen Ceremonien
verbunden und unterscheidet sich in der Wahl der Instrumente, in
der Methode u. s. w., je nach Insel und Theilen der Insel und den
Vermögensverhältnissen des Vaters. Das Folgende ist entnommen der
Beobachtung bei einem Javanen im Innern Javas (in Magelang) und bei
dem Sohne eines angesehenen Häuptlings (eines Pâtih). Dieser Mann
hatte (offenbar in Folge einer schlechten oder gar nicht ausgeführten
Circumcision) eine atrophische Phimosis, die Verhaut war zum grössten
Theile mit der Glans verwachsen; auch einer seiner Söhne hatte, wie
ich später sah, eine partielle Verwachsung des Präputiums mit der
Glans. Vielleicht wusste er, dass der mohammedanische Beschneider
bei der kleinsten Abweichung sich nicht zu helfen wisse, vielleicht
wollte er von der localen Anästhesie Gebrauch machen lassen, genug,
er ersuchte mich, den europäischen Arzt, die Circumcision bei seinem
Sohne vorzunehmen. Auf meinen Einwand, dass er vielleicht hierdurch den
Unwillen der mohammedanischen Geistlichkeit auf sich ziehen könnte,
bemerkte er: Es ist nirgends vorgeschrieben, wer diese Operation machen
müsse, wenn sie nur zur rechten Zeit gethan werde. Gar so sicher fühlte
er sich später in dieser Behauptung nicht; denn ein paar Tage vor der
Beschneidung zog er seine Bitte so weit zurück, dass ich die Operation
selbst dem Hadji (mohammedanischen Priester) überlassen sollte, den
Knaben jedoch vorher local anästhesiren und die Nachbehandlung auf mich
nehmen sollte. Wie wir sehen werden, geschah dies zu seinem Glücke.

An dem Tage der Operation sah ich eine grosse Schaar von Hadjis ein
Zelt umgeben, welches, aus Tulle bestehend, einen kleinen viereckigen
Raum umschloss mit einem kleinen Tischchen und einem Stuhle. Auf dem
Tischchen standen verschiedene Fläschchen, darunter eines mit Cocain
und eine silberne Schale zum Auffangen des Blutes. Unter dem Klange
zahlreicher Tamburins und dem monotonen Gesange der Hadjis ging der
Candidat in die Hütte und stellte sich zwischen die Beine eines Hadji,
welcher auf dem Stuhle sass und ihn mit seinen Armen umschlang. Ein
zweiter Hadji hockte auf dem Boden und bemühte sich, mit einem Stäbchen
von der Dicke und Form einer dicken Stricknadel, den Präputialraum
zu umkreisen; obzwar ihm dieses nicht gelang, wie ich später sah,
hob er doch eine kleine Falte in die Höhe, brachte dahinter ein in
der Form einer anatomischen Pincette gebogenes Rottanstück und that
zwischen dieser Pincette und dem Stäbchen einen Schnitt, offenbar in
der Absicht, einen Zwickel auszuschneiden, vielleicht in der Weise,
wie +Bardeleben+ die Excision der Vorhaut beschreibt. Diese
war ihm jedoch nicht gelungen; er hatte nur ein Stückchen Epidermis
von dem äusseren Blatte abgeschnitten. Enfin, ich bekam den kleinen
Mohammedaner zur weiteren Behandlung und vollführte -- lege artis --
die Incision. Unterdessen wurden noch 8 andere Knaben (Söhne aus dem
Gefolge) beschnitten, bei welchen die obengenannten Schwierigkeiten
natürlich sich nicht einstellten. Wie ich später sah, war bei ihnen
ein grosses, beinahe dreieckiges Stück vom Präputium ausgeschnitten,
das äussere Blatt hatte sich zurückgezogen, und auf das innere Blatt
hatten sie ein graues feines Pulver gestreut. Dieses Pulver rührt von
dem Neste der Wespen her, welche sich auf alten Bambushecken ansiedeln.
Es wird in grosser Menge auf das eine Blatt gestreut, bleibt sitzen,
bis es mit der feinen zarten Membran eingetrocknet abfällt. +Ein
Verband wird nicht angelegt+; um jedoch die Wunde vor dem Reiben des
Unterrockes (Sarong) zu schützen, wird ein Horn in der Form unserer
Schuhlöffel (bei den Armen wird ein Stück der Cocosnussschale in diese
Form geschnitten) an dem Bauche über dem Penis befestigt und darüber
der Sarong gefaltet. Der Ruhe pflegen die Patienten nur so weit, dass
sie nicht laufen.

Dem Europäer ist es ein pittoreskes Bild, einen javanischen Knaben von
ungefähr 13 Jahren, gefolgt von einigen Schicksalsgenossen, langsam und
mit gespreizten Füssen gehen zu sehen, mit einem bunten Wedel in der
Hand, ein Bedienter trägt über seinem Haupte den Sonnenschirm (pajong),
und in der Gegend der Symphysis pubis wird das mit dem Sarong bedeckte
Horn sichtbar, um gleichsam urbi et orbi zu verkündigen und ad oculos
zu demonstriren, dass der Knabe Mohammedaner und +Mann+ geworden sei.

Von anderen Operationsmethoden weiss ich nur vom Hörensagen; so zum
Beispiel wird an Stelle eines gewöhnlichen groben eisernen Messers,
welches in unserem Falle gebraucht wurde, ein Stück scharfen Bambus
gebraucht. In anderen Orten wird keine Excision, sondern eine
Circumcision lege artis gemacht; zu diesem Zwecke wird das Präputium
in eine Zange gefasst, welche aus zwei Stäbchen besteht, die mit zwei
Ringen aus Rottang aneinander gepresst werden. Das hervorragende
Präputium wird dann abgeschnitten. Dieses sind die häufigsten
landläufigen Erzählungen über die rituelle Circumcision bei den
Bewohnern der Sundainseln.



11. Capitel.

  Das „Liebesleben“ bei den Waldmenschen, Dajakern, Malayen und
  Europäern -- Aphrodisiaca -- Abschied von Borneo -- Bandjermasing
  nach 100 Jahren.


Ein Lieutenant, welcher gegenwärtig einen hohen Rang in der indischen
Armee einnimmt, liebte es, in müssigen Stunden zu -- philosophiren
(?) und bezeichnete vor vielen Jahren den Genuss der sinnlichen Liebe
als denselben, welchen wir bei einem ergiebigen Stuhlgang hätten,
mit andern Worten, er gab der sinnlichen Liebe dieselbe Basis als
den übrigen Entleerungen des Körpers!! Zu einer so trivialen und so
gemeinen Benennung der sinnlichen Liebe hat sich meines Wissens noch
kein Materialist erniedrigt, der nur jemals einen wissenschaftlichen
Gedanken in seinem Gehirn ausbrütete; denn die Endproducte des
Stuhlganges sind, wenn nicht schädliche, doch gewiss überflüssige
Producte, während die der sinnlichen Liebe das Schönste, Grösste und
Mächtigste schaffen, das das ganze Weltall kennt: ein neues organisches
Wesen. Nur als Curiosum habe ich also den Ausspruch dieses Officiers
erwähnt und als Beweis, wie weit sich Menschen verirren können, wenn
sie mit materialistischen Ideen prunken wollen; gerade wie es widerlich
ist, wenn manche Leute als Gottesleugner mit ihren atheistischen Ideen
sich brüsten.

Es ist ein heikles Thema, die Liebe der Naturvölker zu besprechen,
schildern und unter dem Secirmesser der Kritik zu betrachten; ich kann
jedoch nicht mit Stillschweigen darüber hinweggehen, weil in Indien
so zahlreiche unrichtige Ansichten über das +Gefühlsleben+ der
Eingeborenen im Allgemeinen colportirt werden.

Die stehende Phrase, welche gern von Europäern gebraucht wird, ist:
Der Malaye ist gefühllos; nichts ist unrichtiger als dieses. +Sie
fühlen+, aber es gehört nicht zum guten Ton, seine Gefühle zu
zeigen, sondern sie zu verbergen.

Eines Tages wurde ich zu einem Fürsten gerufen, dessen Sohn vom
Baume gefallen war und sich den rechten Vorderarm gebrochen hatte;
wenige Minuten vorher war der Vater abgereist, und es gelang meinem
Kutscher, den Reisewagen einzuholen und ihn zurückzurufen. Ich ging ihm
entgegen, um ihm in schonender Weise von dem Vorgefallenen die Details
mitzutheilen. So lange wir im Garten, umgeben von seinem Gefolge,
waren, bewahrte der Regent seine unerschütterliche Ruhe, und keine
Regung verrieth in seinem Gesichte, in seinen Worten und in seiner
Haltung das väterliche Mitgefühl; kaum waren wir jedoch im Zimmer,
befreit von den neugierigen Blicken des Gefolges, als sein Vaterherz
mit +erregten+ Worten von mir die Prognose, den Verlauf der
Krankheit, ihre Dauer u. s. w. zu wissen verlangte.

Auch das Liebesleben der Malayen entzieht sich ganz dem Urtheile
der Europäer, weil sie jede Liebesäusserung coram publico als
unsittlich perhorresciren; man kann Jahre lang verheirathete Bediente
in seinem Hause haben, ohne sie einen Händedruck, einen Kuss oder
nur die geringste körperliche Berührung wechseln zu sehen, obwohl
sie den ganzen Tag bei der oben beschriebenen Bauart des Hauses dem
controlirenden Auge der Hausfrau und der Nachbarn ausgesetzt sind. Ich
für meine Person habe z. B. noch niemals einen eingeborenen Mann eine
Frau küssen gesehen, so dass ich nur von Mittheilungen anderer diesen
Vorgang kenne; es soll, wie das Wort tjîum schon sagt, eine Art von
Beschnüffeln sein (tjîum heisst nämlich ursprünglich riechen).

Ich muss es also wiederholen, dass nur scheinbar die »Gefühllosigkeit«
der Malayen besteht, und dass diese Völker ebenso innig lieben und
leidenschaftlich hassen können; ja noch mehr. Die Liebe erfasst in
ihrem Sinnesrausch diese Menschen noch mächtiger als die Europäer.
Gewiss die Hälfte der Morde geschieht im Feuer des Liebesrausches oder
der Eifersucht, und das französische Sprichwort: Cherchez la femme, hat
in der malayischen Sprache ein Synonym und zwar: Perkâra parampuwan =
Affaire (durch) Frauen. Während in Europa der Raubmord, der Mord aus
Gewinnsucht viel häufiger vorkommt als der aus Eifersucht, sehen wir
bei der malayischen Rasse umgekehrt die Liebe viel häufiger den Dolch
in die Hand des Eifersüchtigen drücken als die Habsucht.

Vor einigen Jahren lockte eine öffentliche Dirne in Triest einen jungen
Mann in ihre Wohnung, und während sie auf seinem Schoosse sass und ihn
liebkoste, legte sie, wie sie sagte, scherzend eine Schlinge um seinen
Hals. Plötzlich sprang sie jedoch auf, und ihr Liebhaber, welcher in
demselben Zimmer verborgen war, fasste die Schlinge mit kräftiger Hand
und erwürgte diesen jungen Mann!!

Darauf wurde der Leichnam seiner ganzen Habe beraubt!! Einen solchen
feigen und gemeinen Mord +kann+ ein Malaye unmöglich thun. Der
Malaye wird in der Eifersucht den Kris ziehen und seinen Nebenbuhler
durchbohren; er wird vielleicht, um Geld zur Befriedigung seiner
Leidenschaft zum Spiele und zur Liebe zu bekommen, einen Raubmord thun;
er wird vielleicht, um seinem Hasse zu genügen, Amok laufen; aber die
Engelmacherei -- kennt er nicht. Eine malayische erzürnte Mutter wird
in der ersten Aufwallung ihres Zornes ihr Kind zwicken oder bei den
Haaren ziehen; niemals jedoch wird eine malayische Frau durch Wochen
langes Martern oder Hungern-Lassen ein Kind dem gewissen Tode weihen,
wie man es so oft in Europa erzählen hört. Von solchen Fälschungen, wie
sie die Dreyfussaffaire ans Tageslicht brachte, schweigt wahrscheinlich
die Geschichte der Intriguen auf den Höfen von Djocja, Kutei u. s w.
Die Auswüchse der europäischen Civilisation haben, mit einem Wort
gesagt, die primitiven Sitten der malayischen Bevölkerung noch nicht
verdorben.

Doch ad rem.

Die Waldmenschen kennen, wie mir im Jahre 1879 der Fürst von Murong
und Siang mittheilte, kein fesselndes Band der Ehe; sie leben in
einzelnen Familien, und ihre erwachsenen Kinder vereinigen sich wieder
ohne den Segen eines Priesters und ohne Zustimmung irgend eines andern
Häuptlings als ihres Vaters. Ihr Geschlechtsleben sei dasselbe wie das
eines Schweines (Babi). Das ist alles, was ich von diesem dajakischen
Häuptling über das Geschlechtsleben dieser primitiven Menschen zu
wissen bekam. Auch hätten diese keine Geschlechtskrankheiten, wie ich
schon früher mitgetheilt habe. Da dieser Häuptling nur im geringen
Maasse der malayischen Sprache mächtig, und mein Dolmetsch (der
Häuptling von Teweh) kein vertraubarer Berichterstatter war, musste ich
davon absehen, nähere Details über das »Liebesleben« der Waldmenschen
von Borneo zu erfahren.

Der Dajaker »heirathet« zwar, und grosse, langdauernde Feste geben dem
Trauacte eine feierliche Weihe (??), aber die Basis ihrer Ehe ist die
Liederlichkeit, die Sittenlosigkeit, welche die Dajaker selbst unter
die Affen tief sinken lässt.

Der Dajaker heirathet nur, um eine kürzere oder längere Zeit den
Gebrauch der Frau sich zu sichern, sei es als Krankenwärterin, sei es
zur Befriedigung seiner thierischen Gelüste, oder sei es zur Erhöhung
seiner Einkünfte. Wenn seine Frau einem anderen Manne Fallstricke legt
-- der Ehebruch wird ja mit dem Tode bedroht, aber nicht thatsächlich
bestraft, -- so wird er nicht nur mit Vergnügen das erhaltene Bussegeld
in Empfang nehmen, sondern wird sich auch dessen rühmen, dass er eine
so pîntare[66] Frau besitze, und dass sie schon zwei- oder dreimal
diesen genialen Streich ausführen konnte u. s. w.

Schon die Vorbedingungen der Ehe sind unmoralisch. Der Dajaker erwartet
von seiner Frau gar nicht die Jungfräulichkeit, selbst wenn er mit
seiner zukünftigen Frau verlobt wurde, als sie noch Kind war.

Die dajakische Frau weiss aber auch, dass ihr zukünftiger Mann nicht
jung heirathen würde, dass er vor der Ehe alle Laster von Sodom und
Gomorrha geübt habe, und dass die Ehe ihr nur einen früh gealterten,
kraft- und saftlosen Mann bringen werde.

Der Dajaker und die dajakische Frau stehen in ihrem Geschlechtsleben,
wie gesagt, tief unter den Affen.

Ich hatte in Teweh ein Affenhäuschen und hatte daher Gelegenheit, auch
in dieser Richtung die Affen beobachten zu können. Sie sind Onanisten
im hohen Grade. Ich hatte einen kleinen Schweinsaffen, welcher Stunden
lang an seinem Präputium saugte; ich bestreute dasselbe mit dem bittern
Chinin, um ihn von dieser Gewohnheit abzubringen; ich amputirte
das Präputium, welches durch das stete Zerren stark hypertrophisch
geworden war. Nichts half jedoch; er ging tabetisch zu Grunde. Der
Affe ergiebt sich in verschiedenen Weisen dem Genusse der gereizten
Geschlechtsnerven; aber der Dajaker -- übertrifft ihn.

Die dajakische Frau gebraucht den Balak, d. i. ein künstlicher mit
Wachs überzogener Penis, und der dajakische +Mann+ ist stolz,
mit einem Priester (Basir) ein eheliches Leben führen zu können!
Dr. van der Burg erzählt, dass die Dajaker »den Penis mit einem
Stückchen Holz oder Bein durchbohren und an den freien Enden hölzerne
Kügelchen befestigen, mit dem Zwecke, die innere Fläche der Vagina
zu reizen und dadurch stärkere Contractionen von dem Constrictor
cunni zu bekommen. Ein so ausgerüsteter Penis befindet sich u. a. im
pathologisch-anatomischen Cabinet des Militärhospitales in Weltevreden.«

Dieses Präparat habe ich in Weltevreden nicht gesehen, weil ich
nicht daran gedacht habe, es zu suchen; ich habe aber auch von diesem
Instrumente zur Zeit meines Aufenthaltes in Borneo kein Exemplar
gesehen und auch nicht davon sprechen gehört (auch Perelaer reiht die
Existenz dieses Instrumentes in das Reich der Fabel); ich schenke
jedoch den Mittheilungen des Dr. van der Burg Vertrauen, weil ich ihn
einer solchen Lüge unfähig halte und weil -- es in den Rahmen des
liederlichen Lebens der Dajaker passt und ein Analogon ist zu dem bei
andern Nationen des indischen Archipels gebräuchlichen Verfahren, einen
Büschel Pferdehaare um den Penis zu knüpfen, um den Geschlechtsgenuss
der Frau zu erhöhen.

Den Schleier des ehelichen Lebens der Dajaker will ich nicht aufheben,
weil es sich nur wenig von dem Geschlechtsleben der unverheiratheten
Männer und Frauen unterscheidet. Bei den zahlreichen und lange
dauernden Festen wird ja unter dem Einflusse des Tuwak jeder
Unterschied zwischen Alt und Jung, zwischen ledig und verheirathet
vergessen, und wenn ich einen Schluss mir erlaube von dem, was ich
selbst gesehen habe, auf das, was mir mitgetheilt wurde, so ist es
vielleicht besser, wenn ich den Schleier nicht weiter lüfte.

Die Malayen der Insel Borneo sind Mohammedaner, und als solche
tragen sie die Keuschheit äusserlich in höherem Maasse zur Schau als
die Europäer. Ihre Polygamie ist gesetzlich geschützt; aber ihre
Leidenschaft ist zügellos, weil der Geist der mohammedanischen Religion
in sie nicht gedrungen ist, und ihnen eine höhere Bildung fehlt, welche
ihrem Geiste eine andere Nahrung giebt, als die Sorge für die Liebe und
das Würfelspiel. Nebstdem ist der Kampf ums Dasein in der üppigen Natur
der Tropen ein leichter; die Sorge um das tägliche Brod beherrscht in
Borneo, ebenso wie auf den übrigen Inseln des indischen Archipels, nur
ausnahmsweise den einfachen Kampongbewohner; um 10 Kreuzer sind seine
täglichen Bedürfnisse gedeckt, und wenn der Bauer in seiner freien
Zeit sich als Kuli vermiethet, so erhält er 15-20 Kreuzer pro Tag und
ist im Stande, damit selbst den Unterhalt für seine Frau und Kind zu
decken; denn sein Feld giebt ihm genug Reis für seine ganze Familie;
die Hühner und Enten bereichern entweder seinen Tisch oder schaffen ihm
durch den Verkauf der Eier einen kleinen Erwerb. Seine Frau webt sich
allein den nöthigen Sarong oder bemalt den europäischen billigen Kattun
in geschickter Weise mit den Farbstoffen des Landes, unter welchen der
Indigo die erste Rolle einnimmt.

Das Gemeindeleben bringt nur zur Zeit der Wahlen einige Abwechselung
in das eng begrenzte Geistesleben der Malayen; er concentrirt dieses
also auf das Geschlechtsleben und auf das Spiel.

Dieses ist die wichtigste Ursache, dass der Malaye der Erhöhung des
Geschlechtsgenusses im Allgemeinen eine hohe Sorgfalt zuwendet und
mit der Wahl der Aphrodisiaca regelmässiger sich beschäftigt, als der
Europäer.

Der grösste Theil der Aphrodisiaca, welche der Malaye gebraucht, sind
Arzneien, Früchte, Fische u. s. w., welche die Dauer des Genusses
verlängern sollen; es besteht aber ein Unterschied zwischen dem
malayischen und europäischen Wüstling. Dieser gebraucht z. B. die
Diablotins, um die Zahl der Opfer in einer Nacht zu vergrössern;
der Malaye jedoch rühmt sich mehr, das Quale erhöht zu haben. Der
europäische Don Juan schwelgt bei der Erinnerung an eine Nacht, in
welcher er 4-5, vielleicht 6mal am Altare der Liebe hätte sein Opfer
darbringen können, der Malaye jedoch, und noch mehr der Javane oder
der Halbeuropäer, wetteifern in der Dauer eines solchen Opfers; ¼
Stunde im Tempel der Venus jedesmal weilen zu können, ist das Ziel
des malayischen Liebhabers. Ein zweiter Unterschied charakterisirt
den malayischen Schwelger; in seinen ruhmredigen Gesprächen gedenkt
er des langdauernden Genusses, welchen er der +Frau+ geboten
hat, und lässt seine Person erst die zweite Rolle spielen, während
der europäische Grosssprecher nur von seiner und nicht seiner Frau
Leistungsfähigkeit spricht. Die Mittel, welche sie dazu gebrauchen,
stammen aus der Pflanzen- und Thierwelt, und -- Massage und Gymnastik.
Die Gymnastik führt das halberwachsene Mädchen in die Schule der Liebe,
die Medicamente sollen dem reifen Mannesalter seine Kräfte erhalten und
dem beginnenden Greisenalter mit Hülfe der Massage den letzten Funken
des männlichen Feuers erhalten.

Die Zahl der Aphrodisiaca ist gross; die Tripang, Schwalbennester,
schwere Weine, zahlreiche Fischsorten, aromatische Kräuter, welche
als Kataplasmen gebraucht werden; Pferdehaare, welche in den sulcus
glandis mit hervorragendem Ende gebunden werden; der Penis von einem
Kaiman oder einer Seekuh (Halicore Dugong) werden getrocknet zu einem
Pulver gerieben und mit Wasser getrunken; die Eier der Schildkröten,
die Stacheln der Haie; einige Sorten Käfer, welche das Pfeilgift legèn
liefern sollen (??); einige Früchte,[67] Austern u. s. w. u. s. w.
sind die am meisten gebrauchten. Ich hatte Gelegenheit, wenigstens
den Einfluss des reichlichen Fischessens auf die Energie der Männer
zu beobachten. Im Süden Javas, und zwar im Westen von dem Hafenplatz
Tjilatjap, befindet sich ein kleines Dorf auf Pfahlbauten; der
Meerbusen, an dessen Ufer dieses Dorf steht, heisst das Kindermeer
(Kinderzee); die Fruchtbarkeit seiner Bewohner ist gross und -- der
Einfluss der +ausschliesslichen+ Nahrung von den Fischen aus
dieser Gegend liess sich auch bei den Europäern constatiren, welche
sich dort aufhielten. Ob es eine einzelne Species der zahlreichen
Fischsorten, oder im Allgemeinen das starke Consumiren der Fische war,
was die Geschlechtslust der Männer in so hohem Maasse erregt, weiss
ich natürlich nicht zu sagen; aber wahrscheinlicher ist, dass die
eiweissreiche Nahrung auf den Organismus kräftigend und stärkend wirkt,
so dass Männer und Frauen unter den günstigsten Lebensbedingungen leben
und also auch im höchsten Grade fortpflanzungsfähig sind.

Wenn ich nun auch das Geschlechtsleben der Europäer in den Tropen mit
einigen Worten bespreche, so bin ich mir der Schwierigkeiten bewusst,
welche damit verbunden sind; denn nur die Erfahrung aus +wenigen+
Fällen kann das Thatsächliche meiner Mittheilungen sein. Peccatur
intra et extra muros Trojae. Ueberall wird gesündigt, in Europa und
in Indien; aber unrichtig ist es, dass, wie so oft angenommen wird,
in Indien die Europäer auf schlechtem Fusse mit der Moral im Eheleben
stünden. Weil die Zahl der Europäer eine kleine ist, und weil die
Wohnungen den ganzen Tag den neugierigen Blicken der Nachbarn exponirt
sind, so werden die Sünden des Einzelnen schneller und leichter
bekannt, als in Europa. Ich habe hier wie dort solide Ehemänner
gekannt; ich habe in Indien ebenso viele Frauen gekannt, welche nicht
der geringste Vorwurf einer ehelichen Untreue treffen konnte, als in
Europa.

Andere behaupten wiederum das Gegentheil. Die Tropensonne sollte auf
den Mann erschlaffenden und auf die Frau erregenden Einfluss nehmen.
Dies ist sicher nicht wahr. Der Totaleindruck, den ich diesbezüglich
während meines 21jährigen Aufenthaltes in Indien gewann, ist ein ganz
anderer gewesen. Ob es nun die Gluth der Tropensonne, oder das üppige
Leben, oder der Mangel an geistigen Genüssen sei, oder alle diese
Factoren zusammen, thatsächlich ist auch das Geschlechtsleben der
Europäer in Indien ein intensiveres als in Europa. Es ist aber doch ein
grosser Unterschied, ob der Europäer in Indien oder in Europa erzogen
wurde. Hat der Europäer in Indien seine Wiege, sei er Vollblut-Europäer
oder habe er eingeborenes Blut in sich, so wird durch den Umgang mit
den eingeborenen Bedienten frühzeitig die Geschlechtslust erweckt, und
es ist, wie ich schon früher erwähnt habe, keine Seltenheit, einen
Realschüler oder einen Gymnasiasten an einer Blenorrhoe urethrae
behandeln zu müssen. Auch die Mädchen werden frühzeitig in die
Geheimnisse des Ehe- und Geschlechtslebens eingeweiht, so dass es oft
den Eltern viel Mühe kostet, sie vor einem Falle zu schützen. Nebstdem
sind die in Indien geborenen Europäer im Allgemeinen viel besser mit
den Aphrodisiaca und mit den Kunstmitteln betraut, welche den Genuss
in der Liebe erhöhen sollen. Auch das grosse Reich der Liebestränke
der Eingeborenen ist ihnen geläufiger als jenen Europäern, welche in
Holland ihre Erziehung genossen haben. Ich sah und sprach selbst mit
europäischen Damen, welche in ihrem ganzen Denken und Fühlen, und
besonders in der Unbefangenheit, mit welcher sie das geschlechtliche
Leben besprachen, kaum von eingeborenen Frauen unterschieden werden
konnten. Diese halten wohl, wie Dr. van der Burg schreibt, das Factum
der geschlechtlichen Vereinigung und Alles, was damit zusammenhängt,
vor der Umgebung geheim, d. h. nichts Anderes als die Handlung selbst;
sie finden das Küssen coram publico unanständig, führen aber mit ihren
Kameradinnen und anderen Frauen Gespräche, welche Damen, die dieses
nicht gewohnt sind, die Schamröthe ins Gesicht treibt. Die »Sachen«
werden ganz gewöhnlich und oft in ordinären Ausdrücken bei ihrem Namen
genannt, und es ist nur schwer zu verhindern, dass europäische Kinder
schon in ihrer frühesten Jugend in Sachen eingeweiht werden, welche
selbst den Erwachsenen in Europa nicht immer bekannt sind. Kleine
Kinder werden bei der Entbindung der Mutter nicht entfernt, sehen
zu, was da geschieht, erzählen und besprechen die geschlechtlichen
Unterschiede u. s. w.

Diese Charakterisirung der eingeborenen Frauen ist ceteris paribus auch
auf die europäischen Damen anwendbar, welche in Indien geboren sind;
natürlich zeigen nicht Alle diese Ungenirtheit im Gespräche in gleichem
Maasse; aber alle sind freier in ihren Ausdrücken als Frauen desselben
Standes in Europa. Ich selbst habe z. B. in Gesellschaft von drei
Officiersfrauen Witze über mich ergehen lassen müssen, welche in Europa
gewiss nie und nimmer in diesen Kreisen aus zartem Frauenmunde gehört
wurden.

Im Jahre 188.. wurde ein Officier nach Atschin transferirt, wo seit
mehr als 25 Jahren ein Guerillakrieg geführt wird. Sein Ersuchen,
seine junge Frau mitnehmen zu dürfen, wurde nicht bewilligt und --
seine Frau gab ihm ihre Zofe als »Haushälterin« mit.

Vor dem Forum der Moral wird die Toleranz dieser jungen Frau vielleicht
verurtheilt werden; das Gelübde der ehelichen Treue bricht dieser
Officier aber nur mit Wissen seiner Frau -- volenti non fit injuria
--, vom Utilitätsstandpunkte aus jedoch betrachtet, verliert dieser
»Ehebruch« jeden Vorwurf.

Die Gelegenheit zu sündigen ist in Indien sehr gross; auch in Atschin
giebt es zahlreiche Soldatenfrauen, und auf dem Strandplatz Oleh-leh
zahlreiche malayische, chinesische und andere Prostituées (europäische
werden von der holländischen Regierung im ganzen Archipel nicht
zugelassen), welche jeden Strohwittwer in seiner freien Zeit in ihre
Netzstricke zu locken suchen. Die Gefahren einer venerischen oder
luetischen Erkrankung, welche ihrem Manne drohten, kannte diese junge
Officiersfrau, während die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Mann bei
dieser »Haushälterin« ein Kind würde bekommen, sehr klein war. Wenn
man nämlich einer eingeborenen Frau verbietet, ein Kind zu bekommen,
so weiss sie die Conception zu verhindern. Unsere junge Officiersfrau
wählte also zwischen zwei Uebeln das kleinere, und nach 14 Monaten
Abwesenheit kam ihr Mann, gesund an Leib und Seele, zurück. Die frühere
Zofe wurde natürlich aus ihrer alten und neuen Stellung entschlagen und
suchte und fand einen andern Dienst.

Da die eingeborenen Frauen gerne als »Haushälterinnen« bei den
europäischen jungen Leuten in Dienst treten, da ihre eheliche Treue
gegen ihre eigenen Männer vieles zu wünschen übrig lässt, und da die
Zahl der gewilligen eingeborenen Frauen gross und die der Prostituées
noch viel grösser ist, so ist, wie ich schon oben erwähnt habe, die
Gelegenheit zu sündigen sehr gross; und doch sind auch in Indien, trotz
der Gluth der Tropensonne und trotz des üppigen Lebens, die Fesseln der
Ehe als Grundlage des ganzen gesellschaftlichen und staatlichen Lebens
ebenso hoch geschätzt und geheiligt als in Europa.



12. Capitel.

  Abreise von Borneo -- Tod meiner zwei Hausfreunde durch Leberabscesse
  -- Bandjermasing nach 100 Jahren.


Am 4. October 1880 wurde meine Transferirung nach Weltevreden
beschlossen, und schon 14 Tage später kam ein Regierungsdampfer
von Bandjermasing nach Buntok und brachte meinen Nachfolger, Dr.
Posewitz. Der Dampfer konnte und wollte nicht länger als einen Tag
in Buntok bleiben; ich stand also vor der Wahl, entweder in einem
Tage alles einzupacken und die Apotheke, Spital und den ganzen Dienst
zu übergeben, vielleicht auch noch Auction zu halten, oder den
Dampfer ohne mich abreisen zu lassen und späterhin mit einem Kahn
nach Bandjermasing zu gehen. Zudem ging von der Hauptstadt erst am
30. des Monates das Dampfschiff nach Surabaya, und es bestand eine
Commandementsordre, dass bei Transferirungen nach einer andern Insel
die Militär-Commandanten ihre Officiere u. s. w. an einem solchen Datum
nach Bandjermasing schicken sollten, dass diese nicht länger als 2-3
Tage dort auf die Abreise des Schiffes zu warten brauchten.

Meine Sammlung von Häuten, Fischen und Schlangen hinderte mich nicht,
sofort abzureisen; ich war ja schon mehr als 3 Jahre auf einem
»Buitenposten«, wo die Regierung niemals einen Officier länger als
diese Zeit lässt, um ihn nicht menschenscheu werden zu lassen; ich
war also täglich meiner Transferirung gewärtig. Ich liess durch mein
Factotum Tilly sofort alle Büchsen sortiren und in Kisten einpacken.

Meine kleine Menagerie existirte damals auch nicht mehr. Beim Verlassen
des Forts Teweh habe ich das Affenhäuschen nicht mitgenommen; ich gab
den Affen die Freiheit. Dieses hatte ich früher schon öfter gethan; sie
entfernten sich niemals von der nächsten Umgebung des Fortes; sie mögen
wohl am 1. Januar 1880 erstaunt gewesen sein, dass gegen den Abend
mein Bedienter sie nicht mit Früchten zum Hause gelockt hat, und mein
Bela sie nicht mit seinem Bellen begrüsste. Meine Menschenaffen waren
ausgestorben; die beiden Wau-Waus (Hylobates concolor) waren schon
in Teweh den Leberabscessen erlegen (+nicht+ der Tuberculosis),
und meine zwei Orangs hatte die Pylephlebitis ulcerosa hinweggerafft.
Am schwersten traf mich der Verlust des einen Gibbon; so ausgelassen
und übermüthig er war, so treu und anhänglich zeigte er sich zu mir.
Ich habe Niemandem mein Beileid versagt, der um den Tod eines Hundes
übermässig trauerte; denn noch heute betrauere ich den Verlust dieses
liebenswürdigsten aller Affen. Wie ein Kind legte er seine langen Arme
um meinen Hals und sah mich mit so innigem, liebevollem Blick an, als
der Todesengel an ihn trat, dass sich mir dieser Blick noch bis zum
heutigen Tage, also nach 19 Jahren, in meine Erinnerung eingeprägt hat.
+Die Affen lieben wie die Menschen, sie fühlen wie die Menschen, sie
hassen wie wir und sterben wie die Menschen.+

Ich verliess also das Innere Borneos mit einem Dampfer, blieb ungefähr
8 Tage in Bandjermasing, und erleichterten Herzens schiffte ich mich
Ende October 1880 ein, um für viele Jahre nicht mehr den Segnungen der
Civilisation entrückt zu sein.

Wie üblich bei der Abreise eines Officiers, spielte die Militärmusik am
Ufer ihre ohrenzerreissenden[68] Weisen, den befreundeten Officieren
und Beamten galt mein letzter Gruss, und ich blieb am Hintertheil
des Schiffes stehen, um noch einmal, und zwar zum letzten Male,
das pittoreske Bild der Ufer der Martapura und des Baritu an mir
vorbeiziehen zu lassen. Es war bereits Nachmittags, als wir die breite
Mündung des Baritu und die grosse Sandbank überschifft hatten; im
Schiffsraum war die Luft zu heiss, und ein unangenehmer Geruch von
Maschinenöl und der Küche durchdrang die tieferen Räume. Auf dem Deck
nahm ich also mein Mittagschläfchen.

       *       *       *       *       *

Bawean in Sicht, rief der Controleur M., welcher zu gleicher Zeit als
ich die Insel Borneo verliess, und es ist schon 4 Uhr; wollen Sie
keinen Thee nehmen? Ohne ihn nur einer Antwort zu würdigen, drehte ich
mich auf die andere Seite und -- träumte.

Es war der 31. October 1990. La-ilâha illa llahu wa Muhamadun
rasul-l-lahie sangen hunderte von Stimmen am Ufer der Tanah Laut, wo
die Spitzen der Behörden mit hunderten der Eingeborenen die Ankunft des
neuen Residenten erwarteten. Denn ein Sturm peitschte die Wellen des
Meeres, wie ihn die Aeltesten des Landes hier an der Küste der Javasee
noch niemals gekannt, noch niemals gesehen hatten. Auf dem Berge
Tungul stand ein Fort, und sein elektrischer Scheinwerfer warf jede 10
Minuten ein mächtiges Strahlenbündel hinaus in die sturmbewegte See, um
das Schiff zu suchen, welches den neuen Residenten an Bord hatte. So
mancher Seufzer der europäischen Beamten gesellte sich zu dem lauten
Gebete der Mohammedaner und der dajakischen Grossen. Endlich brach die
Macht des Sturmes, und plötzlich erhob sich dicht neben dem Ufer ein
Schiff aus der Tiefe des Meeres. Das Zeltdach aus Glas öffnete sich,
und der Resident stieg mit seinem Gefolge auf das Land. Ein ebenso
lautes Hurrah begrüsste den Fürsten, als wenige Minuten vorher die
Windsbraut über das Ufer gebrüllt hatte.

Hierauf bestiegen die Anwesenden die elektrische Eisenbahn, welche vom
Cap Selátan durch die Provinz Tabanio (also 100 Km.) in 1½ Stunden
Bandjermasing erreichte. Zu ihrer linken Seite lag die Niederung mit
ihren drei grossen Strömen, grosse Dajak, kleine Dajak und Baritu.
Am linken Ufer des Baritu befinden sich grosse Magazine, Werfte und
Docks, und das ganze Getümmel einer blühenden Hafenstadt fesselte die
Aufmerksamkeit der Reisenden um so mehr, als den Hintergrund sanft
aufsteigendes Hügelland mit den Bergen Kapit, Satuï und Sakumbang
abschloss, auf welchen zahlreiche Villen und Landhäuser standen.

Unterwegs erzählte der Resident, dass er nur ungern dieses Schiff zu
seiner Ueberfahrt genommen habe, weil es seine erste Fahrt war, und
die Maschinen noch nicht erprobt waren. Beim Ausbruch des Sturmes
wurde sofort die gläserne Decke zugeschlagen, die Zwischenräume wurden
zur Hälfte mit Wasser gefüllt und während das Schiff immer tiefer und
tiefer sank, bis zuletzt durch das gläserne Dach nicht einmal der
Himmel zu sehen war, strömte im Salon aus den geöffneten Krähnen die
Luft aus, welche +die+ Capitän in stark comprimirtem Zustande
in grossen Fässern mitgenommen hatte. Nach der Versicherung der Frau
Capitän wäre der Vorrath an Luft hinreichend gross selbst für eine
Reise von 5-6 Tagen gewesen.

Der Zug hielt nur bei Bati-Bati an, von wo aus zwei Zweige, der eine
nach Bandjermasing, der andere nach Martapura gingen. Der Resident
wählte den ersteren, welcher ihn nach der Residenz des Reiches bringen
sollte. Obwohl diese Stadt mitten im Sumpfe lag, war sie und blieb
sie aus politischen Gründen der Sitz der Aemter und Würden; das höher
gelegene Martapura und besonders die am Berge Bebaris gelegenen Villen
wurden jedoch im Ostmonsun von den Beamten der Hauptstadt häufig
aufgesucht. Uebrigens waren die hygienischen und sanitären Zustände
Bandjermasings nicht so ungünstig, als man nach seiner Lage urtheilen
sollte. Schon vor »der Schans van Thujl« begann ein grosser Dyk,
welcher die Stadt umzog und erst 5 Kilometer oberhalb der Mündung des
Kween endigte. Da nebstdem schon seit 30 Jahren zahlreiche Drainröhren
und Canäle Bandjermasing durchzogen, welche entweder in den Baritu
oder in den Kween mündeten, nebstdem schon seit 100 Jahren immer und
immer der Boden durch Sand und Steine verhärtet wurde, so hatte diese
Stadt von dem ursprünglichen sumpfigen Boden nicht viel zu leiden.
Zwischen den beiden Sümpfen, welche im Norden und im Süden der Stadt
sich längs des Stromes hinzogen, befand sich schon seit 25 Jahren
eine stattliche Anpflanzung von Eukalyptus und andern Bäumen. Auch
befand sich dort eine Wasserleitung, welche mit grossen Cysternen im
östlichen Gebirge anfing und das Trink- und Kochwasser nach Martapura
und Bandjermasing brachte, während eine zweite Wasserleitung das Wasser
aus den höher gelegenen Theilen des Martapuraflusses in einem Canale
nach Bandjermasing führte, wo es in einem Kessel filtrirt und gereinigt
wurde. Von diesem aus wurde es durch Maschinen in ein grosses Reservoir
geleitet, welches hinter dem Fort Tatas erbaut war.

Bei seiner Ankunft bezog der Resident das Haus seines Vorgängers,
welcher von seiner Seite wieder mit Frau und Kind im Hotel Baritu
vier Zimmer miethete. Den andern Morgen war grosser Empfang für alle
europäischen Bewohner der Stadt, für die eingeborenen Beamten und die
souveränen Fürsten des Landes. Der Fürst von Pasir war jedoch noch
nicht angekommen, obzwar die Post schon vor zwei Tagen seine Ankunft
gemeldet hatte. Da er jedesmal, d. h. bei jeder Seereise, fürchterlich
durch die Seekrankheit litt, nahm er diesmal den Landweg. Mit einem
Kahn fuhr er auf dem Pasirfluss bis zur Mündung des Nebenflusses Samu,
und auf diesem bis zur Hälfte der Entfernung von dessen Quelle, welche
auf dem Berge Melihat entspringt. Diesen überstieg er zu Fuss, während
die seit Jahrzehnten importirten kleinen javanischen Pferde das Gepäck
trugen. Bei Pringin bestieg er wieder einen Kahn, wo der Bolanganfluss
schiffbar wurde, und kam so in den Negarastrom, von diesem in den
Baritu, ohne aber zur rechten Zeit in der Hauptstadt einzutreffen.

Der neue Resident dankte den Anwesenden für den herzlichen Empfang und
erging sich dann in einigen Bemerkungen über den günstigen Zustand
des Reiches, entwickelte weiterhin seine Pläne für die Zukunft und
versprach, für das Wohl des Landes wie ein Vater zu sorgen und
alle seine Kräfte, sein ganzes Denken und Sinnen der Wohlfahrt der
südöstlichen Hälfte Borneos zu widmen.

Von seinem Programm und von seinen Plänen für die Zukunft, welche
ungeschmälerten Beifall fanden, waren die folgenden in jeder Hinsicht
bedeutend:

Wenn auch bis jetzt drei grosse Ströme, welche das Herz Borneos mit
der Küste und dem schönen Hafen verbinden, für den Handel billige
und bequeme Verkehrsstrassen seien, so müsste doch für eine bessere
Verbindung mit den seitwärts gelegenen Landwegen gesorgt werden, und
zwar durch Bauen von Kanälen, breiten Heeresstrassen und kleinen
Eisenbahnen.

Für die Industrie müsste in ausgedehnterer Weise als bis jetzt die
Bevölkerung gewonnen werden, und zwar durch Anwerben geschickter
Handwerker von Java, welche als Lehrer, von dem Staate besoldet, die
in ihrer Heimath blühenden Handarbeiten der grossen Masse der Bewohner
Borneos zugänglich machen sollten.

Die letzten Reste der Waldmenschen müssten gezwungen werden, feste
Wohnplätze zu wählen; zu diesem Zwecke würde er jedem Familienvater
100 Hectar Weide oder Bauland in Erbpacht geben, sie zu Gemeinden
vereinigen, Schulen errichten lassen u. s. w.

Der Reichthum an Holz müsse durch zweckmässige Gesetze gegen das
herrschende Raubsystem erhalten bleiben.

Da der letzte Nachkomme von James Brook in Serawak ohne Nachkommen auf
dem Throne sässe, müssten diplomatische Verhandlungen die Vereinigung
dieses Landes mit seinem Reiche anstreben.

In der Hauptstadt müssten ethnographische, zoologische, mineralogische
und geologische Sammlungen angelegt werden.

Ein hygienisch-medicinisches Institut müsste errichtet werden und eine
medicinische Schule für weibliche Aerzte (für männliche Aerzte sorge ja
hinreichend die Academie auf dem benachbarten Java).

Für den bereits auf einer hohen Stufe stehenden Handel müssten
Schutzmaassregeln genommen werden, wie z. B. gute Zollbeamte, höhere
Einfuhr- und niedere Ausfuhrzölle.

Zur Vertheidigung des Reiches müssten an der Grenze zahlreiche kleine
Forts mit modernen Vertheidigungsmitteln errichtet, alle Hafenplätze
und alle Landungsplätze der Küste genügend gegen jeden Angriff eines
auswärtigen Feindes verstärkt werden.

Das Heer müsse ein nationales werden, d. h. nur aus den Bewohnern des
Reiches bestehen, welche von dem Reiche ihre Waffen erhielten und
nur im Kriegsfalle aus ihrer Heimath abgerufen werden können. Da der
Gebrauch der Waffen schon in der Schule gelehrt werde, und die Bürger
nur zur Vertheidigung des Landes ihren friedlichen Arbeiten entzogen
werden können, so sei es überflüssig, ein stehendes Heer zu halten;
die Officiere und Unterofficiere der Polizei würden im Kriegsfalle das
Commando über die übrigen Soldaten auf sich nehmen.

Nachdem der Resident zum Schluss allen Religionen seinen Schutz und
Schirm versprochen hatte, belohnte ein lautes Hurrah seine weisen
Pläne ...

»Die Küste von Madura in Sicht,« rief mir mit lauter Stimme der
Controleur X. ins Ohr; ich erwachte.



Anhang.

  Geschichte des Süd-Ostens von Borneo.


Die Dajaker haben keine eigene Schrift. Als Gott die Menschen
erschaffen hatte, gab er allen Rassen nicht nur ihre eigene Sprache,
sondern auch die Schrift. Die Vertreter von Borneo jedoch verzehrten
das ihnen geschenkte Alphabet, wodurch dieses sich mit ihrem Körper
vereinigte und zum +Gedächtnisse+ metamorphosirte. Die Dajaker
behaupten also, dass sie an Büchern kein Bedürfniss hätten, um die
Wissenschaft ihrer Religion und Geschichte bewahren zu können.

Die Tradition ist dadurch die einzige Quelle, aus welcher der
Geschichtsforscher schöpfen muss, um die +Urgeschichte+ dieser
Insel kennen zu lernen bis zu jener Zeit, in welcher der Strom der
Völkerwanderung auch Borneo erreichte. An dieser nahmen die Chinesen,
Hindu, Malayen, Araber, Buginesen (von Celebes) und zuletzt die
Europäer ihren Antheil.

       *       *       *       *       *

Borneo bestand nach der sagenreichen Tradition in den urältesten Zeiten
nur aus den Bergen Pararawan und Bundang, welche von zahlreichen
Klippen umgeben waren. Die Voreltern der Dajaker waren in einem
goldenen Schiffe angekommen und hatten von der Insel Besitz genommen.
Nach und nach hätte der Schlamm des Meeres die Riffe und Klippen mit
den genannten Bergen zu einem Ganzen verschmolzen.[69]

Aber auch die Ethnographen beschäftigen sich mehr mit der Frage, wann
und welche Menschenrassen zuerst die Insel Borneo bevölkert hätten, und
besprechen nur skeptisch die Möglichkeit der Existenz von Urbewohnern
dieser Insel. Aus der Aehnlichkeit der Gottesvorstellungen u. s. w.
suchen die Ethnographen einen Zusammenhang der Urbewohner Borneos mit
den Afrikanern, mit Assam, dem Gebiete des Himalaya, mit Tibet und
Mongolei, mit den Hindus und mit den Chinesen, und finden selbst den
Weg, den, unter Einfluss von Winden, vor Jahrtausenden die Bewohner
dieser Theile der Erde auf Kähnen nach Borneo genommen hätten.

Es ist wahr, dass zahlreich die Stämme der Dajaker sind und zahlreich
die Dialekte der dajakschen Sprache; der Unterschied im Körperbau ist
gewiss nicht grösser als z. B. zwischen den Holländern und Deutschen.
Wenn der eine Stamm grössere Geschicklichkeit im Bearbeiten des Eisens,
der andere im Weben von Sarongs zeigt, wenn der eine den Oberleib, der
andere die Waden tätowirt, und der dritte gar nicht diesen Gebrauch
kennt; wenn der eine Stamm als Nomade und nur in einzelnen Familien in
den Urwäldern an den Flüssen wohnt, der andere in mehreren Familien,
und zwar unter einem Häuptling, einen Kampong bewohnt, ein dritter
jedoch seinen Kampong mit Palissaden umgiebt und ein vierter sogar
Kanonen auf Bastionen in seinem Fort aufpflanzt; wenn der eine Hatallah
oder Mahatara (= Mata-hari = das Auge Gottes) seinen obersten Gott
nennt; der zweite dreimal täglich La-ilaha, illa llahu wa Muhamadun
rasul-l-lahie mit dem Antlitz nach Mekka laut ausruft, und ein dritter
zu Christus, dem Sohne Gottes, betet; wenn der Dajaker mit dem Mandau,
Blasrohr, Schild (telawang), mit dem Ziegenfell (ajong) auf der Brust
und mit dem Tapoh (aus Rottang geflochtene, mit Thierhaut bedeckte
Mütze) sein Ngayau unternimmt, und ein zweiter auf seinem Assanzug mit
dem Gewehr sich bewaffnet u. s. w.; wie gross auch der Unterschied in
allen Sitten und Gebräuchen der Dajaker ist, und wie oft auch Analoga
auf den benachbarten Inseln und im Herzen Asiens und Afrikas gefunden
werden, so kann ich darin dennoch keinen Beweis sehen, dass Borneo
keine Aborigines haben sollte.[70]

Seit Jahrhunderten sind auf der Westküste Borneos chinesische Colonien;
Hindus, Malayen, Buginesen und Araber sind seit langer Zeit auf den
Küsten, und selbst weit ins Innere des Landes, ansässig; sie haben den
Eingeborenen des Landes vieles eingeimpft und viele ihrer Sitten und
Gewohnheiten aufgedrungen. Schwer fällt es mir aber zu glauben, dass
die Einwanderer entweder die ganze Urbevölkerung verdrängt hätten oder
dass vor ihrer Ankunft Borneo unbevölkert gewesen sein sollte.

Die Verwandtschaft der gegenwärtigen Dajaker, was ihre Sagenwelt,
ihren Aberglauben, ihre Religion, ihre Sitten und Gewohnheiten
betrifft, mit denselben anderer Inseln oder anderer Continente lässt
sich viel leichter erklären durch das Axiom: Gleiche Ursachen und
gleiche Folgen, während die Theorie, dass von +einem+ Paare die
Welt bevölkert worden sei, +nur gezwungen+ die Urbevölkerung
Borneos auf Einwanderung basiren lässt.

       *       *       *       *       *

Nach Schwaner ist die Schöpfungsgeschichte der Dajaker, welche sich am
meisten von islamitischen Anschauungen fern gehalten haben, folgende:

Im Anfang war das Wasser, in welchem sich Naga bussai bewegte, eine
ungeheure Schlange von herrlicher Farbe und geschmückt mit Krone und
Diamanten, und einem Kopf so gross als die Erde. Hatalla (Gott aus
dem Arabischen, jetzt auch Matara von matahari = Auge Gottes = Sonne
genannt) warf Erde auf den Kopf von Naga, welche sich als Insel über
das Wasser erhob. Ranjing Atalla stieg hinab und fand 7 Eier; zwei von
ihnen enthielten einen Mann und eine Frau, welche jedoch todt waren
-- die andern 5 enthielten den Keim von allen Pflanzen und Thieren.
Ranjing Atalla kehrte zum Schöpfer zurück, um den Lebensgeist für
diese zwei Menschen zu holen. Unterdessen hatte Sangsang Angai (= der
Gott des Windes) sich auf die Erde niedergelassen und blies ihnen den
Athem ein, womit sie jedoch den Keim des Todes aufgenommen hatten.
Ranjing Atalla, welcher den Menschen den Geist der Unsterblichkeit
bringen wollte, fand bei seiner Ankunft die Arbeit von Angai (D =
Wind). Er kehrte trauernd zum Himmel zurück und nahm nicht nur die
Unsterblichkeit der Menschen mit, sondern alle göttlichen Geschenke,
welche er für den Menschen bestimmt hatte: die ewige Jugend,
allgemeines Glück und Ueberfluss ohne Arbeit.

Nur schwer lässt sich aus der Sagenwelt der Dajaker weiter die
Entwicklungsgeschichte der Urbewohner Borneos verfolgen; Jahrhunderte,
vielleicht Jahrtausende lebten sie friedlich in den Wäldern, nährten
sich von den Früchten der Bäume, Weichthieren, Insecten und später
vom Wild des Waldes, in einzelnen Familien ohne jede staatliche
Gemeinschaft; sie schützten sich mit dem Laub der Bäume vor den
Unbilden des Wetters, und erst viel später (in historischer Zeit)
bedeckten sie ihre Scham und gebrauchten Waffen. Erst die Einwanderer
brachten den Bewohnern der Küste die Segnungen der Civilisation,
welche nur langsam in das Innere der Inseln drangen, und bis heute nur
theilweise die O. Punangs und Olo-Ott erreicht haben.

Die ersten Einwanderer waren die Chinesen; auf der Westküste erschienen
sie bereits im 4.-6. Jahrhundert auf ihrer Pilgerfahrt nach Indien,
um die Lehre von Buddha an der Quelle zu studiren, und zwar unter Fa
Hiën (399 p. Ch.); im 7. Jahrhundert ist Phala = Brunei = Borneo proper
bereits an China tributpflichtig.

Aber auch an der Südküste von Borneo scheinen die Chinesen schon seit
den ältesten Zeiten sich angesiedelt zu haben, wie Valentyn mittheilt;
sie haben sich jedoch auf die Staaten der Küste beschränkt und nicht,
wie auf der Westküste, sich im Innern des Landes angesiedelt.

Wie Veth mittheilt, waren Araber die folgenden Einwanderer im
Bandjermasingschen Reiche, obzwar es noch zweifelhaft ist, ob die
Namen Mihradj und Sobormah, welche in arabischen Reisebeschreibungen
vorkommen, thatsächlich die Insel Borneo andeuten.

Die erste Colonisation des Bandjermasingschen Reiches stricte dictu
stammt von Java, und zwar im 14. Jahrhundert unter dem Klingalesen
Lembong Mangkurat, welcher sich in Amuntay festsetzte. Der Sage nach
soll er sich eine Zeit lang der Askese gewidmet haben, wodurch aus dem
Schaum der See eine schöne, reizende Fürstin entstiegen sei: Putri
Djundjong Buhi. Lembong Mangkurat hatte nämlich bei der Stiftung
der Colonie einen Waringinbaum als ersten König und sich zu seinem
Propheten auserkoren; als aber der Baum abzusterben begann, suchten sie
einen Menschen, der durch seine hervorragenden Eigenschaften würdig
sei, dem Waringinbaum zu folgen. Die schöne Prinzessin müsste jedoch
einen ebenbürtigen Mann bekommen. Unter den Eingeborenen des Landes
war dieser natürlich nicht zu finden, und so zogen die Aeltesten zu
dem Sultan von Madjopahit (Java), dessen Sohn ein Krüppel war. Der
Fürst von Madjopahit erlaubte nach langem Zögern seinem Sohne, dahin zu
gehen. In der Mündung des Baritu stürzte er sich in den Fluss, und nach
acht Tagen stieg er unter den Tönen einer Gamelang schön und wohlgebaut
aus den Wellen. Als Pangeran Surja Nata wurde er Gründer und Stammvater
des Reiches von Bandjermasing, welcher auch sofort eine Theilung in
»Stände« veranlasste, und zwar in den eigentlichen Adel (O Bangsawan),
Sclaven (Abdi), Bediente (Budak), Kriegsgefangene und Verwandte des
Adels (Mardika).

13 Sultane hatte diese Dynastie der Hindus, welche sich jedoch auf
die Küstenstaaten, und besonders auf die des Ostens, beschränkten;
die Unterwerfung der Dajaker längs des Stromgebietes des Baritu ging
nur sehr langsam vorwärts; denn nur so weit der Arm der bewaffneten
Herrscher reichte, unterwarfen sich die Dajaker den Befehlen ihrer
Fürsten auf Amunthay, später in Martapura und zuletzt in Bandjermasing.
Ihre patriarchalische Regierungsform verleugneten sie selbst nicht
einmal unter der Herrschaft der Europäer. Wie schon früher erwähnt,
wurde der Islam unter Pangeran Samatra, einem Enkel des Akar Sungsang,
am Ende des 16. Jahrhunderts eingeführt. Dieser hatte nach der
Auflösung der Ehe mit seiner Mutter wieder geheirathet und vier
Kinder bekommen. Seine Tochter Putri Kalarang verheirathete er mit
einem Dajaker, und deren Sohn Pangeran Samatra ernannte er zu seinem
Thronfolger. Dieser wurde also der Gründer der Hindu-Dajakschen
Dynastie, welche bis zur Auflösung des Sultanats von Bandjermasing
im Jahre 1864, also 256 Jahre lang den südöstlichen Theil von Borneo
beherrschte und aussog.

Die Einführung des Islam geschah unter Sultan Surja Angsa 1608
mit Hülfe des Sultans von Demak (Java), dem die neue Dynastie
tributpflichtig wurde; aber schon im Jahre 1642 ging zum letzten Male
eine Gesandtschaft (unter Sultan Agun) nach Java, um dem Fürsten zu
huldigen und den Tribut zu bezahlen.

       *       *       *       *       *

Unterdessen hatte schon so mancher Europäer vor Bandjermasing die Anker
seines Schiffes fallen lassen. Während der +Portugiese+ Lorenzo de
Gomez im Jahre 1518, der +Spanier+ Magellan im Jahre 1521 Borneo
besucht hatten, im Jahre 1526 Don Jorge de Menges von Portugal zum
Gouverneur der Molukken ernannt wurde und auf seiner Reise dahin auf
Borneo gelandet war, und während schon im Jahre 1530 der Portugiese
Gonsola Pereira von dem Sultan von Brunei gastfreundlich empfangen
wurde, haben die +Holländer+ erst im Anfange des 17. Jahrhunderte
mit Bandjermasing Handelsverbindungen angeknüpft. Im Jahre 1607 kam
selbst nach Bantam (Java) die Trauermähr, vide Valentyn (»Alt- und
Neu-Ost-Indien« III, Seite 244), dass Gillis Michielszoon, welcher
von Jan Willemsz Verschoor den 14. Februar 1606 nach Bandjermasing
geschickt worden war, von dem Sultan dieses Reiches ans Land gelockt
und ermordet wurde. (Gleichzeitig, und zwar im Jahre 1609, sollen die
Engländer im S. O. der Insel Borneo erschienen sein.) Sechs Jahre
dauerte es, bis die Holländer (im Mai 1612) Bandjermasing dafür
züchtigten und zerstörten. Die Residenz des Sultans wurde dann nach
Martapura verlegt. Der Handel mit dem Pfeffer jedoch, welcher damals
eine bedeutende Rolle spielte und viel Geld und Blut kostete, blieb
in den Händen der chinesischen Kaufleute, da die Holländer, in Kriege
mit dem Sultan von Bantam verwickelt, erst 14 Jahre später (1626)
unter Jan de Coster und Adriaan de Marees mit zwei Schiffen (de
Haen und de Fortuyn) wiederum mit dem Sultan des Bandjermasingschen
Reiches einen Handelsvertrag schlossen, dem zufolge unter anderem der
Pfeffer ausschliesslich an die N. Compagnie geliefert werden sollte,
obwohl kurz vorher einige batavische Bürger auf ihrem Kreuzzug gegen
die Spanier und Portugiesen ein bandjermasingsches Schiff erobert
und dessen Bemannung nach Batavia gesendet hatten. Aber auch 2 Jahre
später sah Martapura wieder ein holländisches Schiff in seinem Hafen,
im Jahre 1629 (unter P. Croocq) und zwar das Schiff Velsen, und am 21.
October 1630 den Rhederer Adolf Thomasz, welcher hier starb und durch
Sebald Wonderaer ersetzt wurde. Dem Seeraub der Bandjeresen, welche die
javanischen Fischer selbst bis zu den »nördlichsten Inseln von Batavia«
verfolgten, machte zeitlich die »Tayovan« 1631 ein Ende.

Da Mattaram um diese Zeit seine Macht nur noch schwach gegen die
holländische Compagnie vertheidigen konnte, schickte der Sultan von
Bandjermasing den 2. September 1631 eine Gesandtschaft nach Batavia
zum Zwecke eines Bündnisses, um die Javanen nicht mehr in sein Reich
zuzulassen. Gerrit Corsz, welcher 5 Jahre später in Atschin (Sumatra)
Handelsbeziehungen anknüpfte, ging am 18. Februar und im Juli 1633
nach Martapura, ohne grosser Erfolge sich erfreuen zu können, so
dass die Maccau nur 235 Pikols Pfeffer (1 P = 62½ Kilo) den 20.
November 1633 nach Batavia bringen konnten, weil die Macassaren den
übrigen Vorrath bereits angekauft hatten. Martapura setzte sich
unterdessen in Vertheidigungs-Zustand, und als Gysbert von Lodenstein
mit sechs Schiffen nach Bandjermasing kam, stellte sich der Sultan mit
2-3000 Mann ihm entgegen. Vielleicht durch die +sechs+ Schiffe
eingeschüchtert, sah er von jedem feindlichen Anfall ab und begab
sich mit dem Gefolge auf das Schiff des Commandanten, den er um Hülfe
nicht nur gegen die Javanen, sondern auch gegen die Macassaren bat.
Zu gleicher Zeit wurden 1140 Picols Pfeffer und 2382 Bündel Rottang
zum Verkaufe angeboten. Doch den 26. September liess die holländische
Compagnie durch eine Gesandtschaft dem Sultan mittheilen, dass seine
zweideutige Haltung ein Ende nehmen müsse. Der Sultan versprach dieses.
Im Jahre 1635 sollte Martapura holländisches Geld (Ryksdaalders)
aufnehmen und die spanischen Realen von sich abstossen. Die
Silberarbeiter fanden jedoch dieses Silbergeld für feine Arbeiten nicht
geschickt, und die holländisch-indische Regierung sah sich genöthigt,
im September 1635 wieder die alten Realen dahin zu senden.

Unterdessen hatte der Sultan von Martapura sich die kleineren Fürsten
von Mendawa, Pulu Laut, Kota-Waringin, Succadana, Landak Samba, und
selbst die ganze Ostküste der Insel tributpflichtig gemacht.

Als daher den 24. Juli 1635 sein Gesandter auf dem holländischen
Schiffe Manilla nach Batavia kam und den Holländern den
ausschliesslichen Handel mit Pfeffer anbot, bewilligte die Regierung
gern seine Gegenforderung, welche in der Hauptsache auf einen Vorschuss
für den noch zu liefernden Pfeffer und auf die Entfernung der
javanischen und macassarschen Kaufleute aus dem Reiche Pasir (Ostküste
Borneos) sich bezogen.

Es scheint, dass die Portugiesen schon damals, und nicht erst nach
1669, die Südküste Borneos besucht hatten; sie trieben zwar nur auf
der Insel Laut mit Gold und Sclaven einen ausgebreiteten Handel; aber
die Bandjeresen gebrauchten sie gerne, um für ihren Vorrath an Pfeffer
durch ihre Concurrenz grössere Preise von den Holländern zu erzielen.

In demselben Jahre (1635) waren jedoch auch englische Kaufleute unter
Tewseling in Martapura erschienen, brachten einen Empfehlungsbrief und
Geschenke vom englischen Präsidenten mit und boten gegen Gewährung von
Freihandel dem Sultan so viel Geschütze und Pulver an, als er besitzen
wollte. Auch von der holländischen Regierung erhielt der Sultan von
Martapura zwei vollkommen ausgerüstete Kanonen mit einem Briefe,
in welchem besonders auf das zweideutige Benehmen des Radja Itam
hingewiesen wurde. Dieser liess nämlich den Engländern alle mögliche
Hülfe zur Errichtung einer englischen Factory leisten. Der holländische
Schiffscapitän Soop protestirte natürlich dagegen; der Sultan jedoch
erklärte, dass der Handel mit Pfeffer von dem Freihandel ausgeschlossen
werden würde und das Privilegium der hohen indischen Regierung bleibe.

Natürlich fuhr Martapura fort, trotz dieser schönen Versprechungen,
einen ausgebreiteten Pfefferhandel mit Siam, China, Macassar,
Cochinchina u. s. w. zu treiben.

Demungeachtet richtete sich die holländische Compagnie zum Zuge gegen
Pasir und Kutei, und am 7. October 1635 ging der Sultan von Martapura
an Bord eines der Schiffe, welche von Markus Heyndriksz commandirt
wurden, nach der Ostküste Borneos, um Pasir von fremden Kaufleuten
zu befreien. Den 8. November kamen sie nach Kutei, dessen Sultan
jedoch durch geheime Boten davon verständigt wurde und also Zeit
hatte, sich in Vertheidigungszustand setzen zu können. Der Führer der
holländischen Flotte wagte es nicht, einen Anfall auf die zu stark
befestigte Hauptstadt dieses Reiches zu unternehmen, und begnügte
sich, Unterhandlungen mit dem Sultan anzuknüpfen. Es gelang ihm
auch, mit ihm, der den langen Namen Ady Patty Cinom Pangy Amodappa
Ingh Martapura führte, einen Vertrag zu schliessen, demzufolge sein
Reich die Souveränität des Sultans von Martapura anerkannte, und er
den Bandjeresen und Holländern freien ungehinderten Handel gewährte.
Der Sultan von Pasir zeigte sich jedoch viel weniger gefügig,
worauf die Stadt beschossen, in Asche gelegt und 50 grössere oder
kleinere Schiffe, welche in dem Hafen lagen, vernichtet wurden. Als
der König von Martapura dies erfuhr, gab er den 2. December dem
Commandanten ein grosses Diner und einen schmeichelhaften Brief an
den Gouverneur-General, in welchem er alle seine Versprechungen
wiederholte. Darunter war das wichtigste Versprechen, dass er an
England keinen Pfeffer liefern wolle und jeden Handel mit diesem
unterdrücken würde.

Unterdessen hatte jedoch Wollebrand Geleinsz, während der König vor
Kutei lag, mit seinen Vertretern Radja Itam und Retua dy Ratya so wenig
Erfolg (weil diese die Engländer begünstigten), dass den 24. Januar
1636 Pool mit sechs Schiffen dahin zog, um einen bindenden Contract zu
erhalten. Der Sultan war jedoch noch nicht in Martapura anwesend; die
Flotte zog also vorläufig nach Celebes, um die »Feinde der Compagnie
zu vernichten« in der Erwartung, bei ihrer Zurückreise den Sultan in
Martapura zu treffen.

Auch mit Cochin-China trieben die Martapuresen in damaliger Zeit
ausgebreiteten Handel, und es ist unbegreiflich, dass in den letzten
Jahrzehnten, ja selbst seit mehr als 100 Jahren, der Handel des
Bandjermasingschen Reiches so darniederlag, und selbst heute noch
überhaupt kein Pfeffer exportirt wird.

Natürlich blieben die Martapuresen auch mit den Engländern, Javanen,
Macassaren und Malayen in steten Handelsbeziehungen, obwohl ihr
Sultan stets mit 3-4000 Realen bei der holländischen Regierung im
Schuldenbuch stand. Ja noch mehr. Der Einfluss der Engländer wuchs mit
jedem Tage, sie mochten selbst den Baritu aufwärts fahren, um direct
mit dem Sohne des Sultans Handel treiben zu können.

Die Behinderung der Javanen an dem Handel auf der Ostküste Borneos
verschaffte dem Sultan von Martapura neue Feinde, und zwar den Kaiser
von Mattaram, den Sultan von Surabaya und den Fürsten von Cheribon
(welche drei Staaten auf der Nordküste von Java lagen), so dass er sich
stark genug fühlte, sein Reich gegen einen gemeinsamen Angriff dieser
drei Reiche zu vertheidigen.

Auf sein Ersuchen wurde also in dem untersten Theil des Barituflusses
ein holländisches Schiff stationirt, um eine Ueberrumpelung seiner
Hauptstadt von Seiten der javanischen Fürsten unmöglich zu machen.

Die englische Partei auf seinem Hofe bekam jedoch wieder bald das
Uebergewicht über die der Holländer. Radja Itam veranlasste den Sultan,
nach Bandjermasing zu gehen und dieses zu befestigen. Wenn er auch
schon nach kurzer Zeit diese Arbeit wieder einstellte und in Martapura
wohnen blieb, so triumphirte in allem andern die englische Partei.

Den 16. April 1638 brachte ein atschinesisches Schiff die Nachricht
nach Batavia, dass die ganze holländische Colonie in Martapura
ausgemordet und das Schiff Hoogcarspel, welches in dem Barituflusse
lag, verbrannt wurde.

Danach schloss der Sultan von Martapura mit dem Herrscher von Macassar
ein Offensiv- und Defensivbündniss, welcher dem Bandjeresischen
Gesandten Bahong mittheilte, dass »auch er die Holländer in sein Land
zugelassen hätte, und dass er sie ebenfalls später, wenn sie genug
Schätze erworben und ein schönes Haus erbaut haben würden, zu ermorden
gedenke, um gerade wie sein guter Freund von Martapura auf diese Weise
Reichthümer zu erwerben«.

Aber auch seinen Collegen von Kota Waringin überredete der Sultan von
Martapura, ein gleiches Blutbad unter den Holländern anzurichten. Der
»Oberkaufmann« Nicolaas Cloet (= Clut) wurde mit seiner Mannschaft zu
einem Gastmahle auf das Land gelockt, ermordet und die 2 Schiffe »de
kleine Maan« und der »indische Zwaan« überrumpelt und geplündert.

Natürlich sah Bandjermasing sehr bald (April 1638) die rächende Flotte
an seinen Ufern. 27 gefangene Martapuresen wurden, an Ohren, Nase und
Genitalien verstümmelt, nach der Hauptstadt gesandt, um Schrecken und
Furcht unter der Bevölkerung zu verbreiten. Um seinen Unterthanen etwas
Muth einzuflössen und zu verhindern, dass sie sich in die Urwälder
flüchteten, liess der Sultan urbi et orbi verkündigen, dass ein sehr
alter, in seinem Palaste verpflegter Heiliger bei einem Anfall der
Holländer den ganzen Fluss 40 Tage hintereinander vergiften und auf
diese Weise die Feinde zum Abzug zwingen werde. Zu gleicher Zeit liess
er Schanzen und Verstärkungen anlegen, an welchen besonders die in
Martapura anwesenden Chinesen sich betheiligen mussten.

Radja Ade Patty Tape-Sana hatte sich an dem Morde der Holländer nicht
betheiligt, weil er mit ihrer Hülfe den Thron zu erobern suchte, und
hielt sich auch bei diesen Befestigungsmaassregeln passiv.

Dieses benutzten die Holländer, um ihn zu einem Bündniss zu bewegen,
die Mörder auszuliefern, um dann mit Hülfe der Holländer »als König
über das ganze Land in Ruhe und Frieden regieren zu können«.

Martapura wurde also vorläufig blockirt, und zwar 3 Monate lang. Als
die Schiffe nach 3 Monaten zurückkehrten, hatten sie 7 Bediente der
Compagnie an Bord, welche früher zum Uebertritte zum Islam in ihrer
Gefangenschaft gezwungen und gegen 7 Martapuresen ausgetauscht worden
waren.

Als übrigens während der Blockade die Nachricht gekommen war, dass
in Kota Waringin der letzte Rest der anwesenden Holländer ermordet
wurde, mussten die übrigen gefangenen Martapuresen das Schicksal ihrer
früheren Leidensgenossen theilen. Verstümmelt wurden sie ans Land
gesetzt, um Furcht und Schrecken in der Hauptstadt des bandjeresischen
Reiches zu erregen.

Da der Sultan vor einem günstigen Erfolg des Tape-Sama sich fürchtete,
vielleicht auch, um den Zorn der holländisch-indischen Regierung zu
besänftigen, liess er einen Brief mit Friedensvorstellungen nach
Batavia schicken. Sein Ziel erreichte er jedoch nicht. Denn schon
den 21. October desselben Jahres wurden 4 Schiffe nach Bandjermasing
gesendet, »um den Mördern keine Erholung zu geben und ihre Flüsse
fortwährend abgeschlossen zu halten«, die Auslieferung aller Mörder
und Rädelsführer zu verlangen und für die grosse Expedition alle
nothwendigen Maassregeln zu nehmen.

Unter den übrigen Nationen, welche auf der S. O. Küste Borneos Handel
trieben, waren auch Dänen.

Gegenüber diesen und den Engländern sollte der Commandant Walravens nur
mildere Saiten aufziehen.

Die Martapuresen liessen sich durch diese Blockade nicht die geringste
Furcht einjagen; denn bei Nacht, und selbst bei Tage, konnten bequem
kleine Kähne, beladen mit Nahrungsmitteln und Munition, von Macassar
oder von Java die Blockade brechen, weil die grossen Schiffe der
Holländer ohne günstigen Wind sich kaum bewegen konnten. Auch den Canal
Kween hatten die Martapuresen so stark und so geschickt verbarricadirt,
dass selbst das Einfahren (am 26. November) diesen grossen Schiffen
unmöglich wurde.

Nur eines Erfolges konnte sich diese Expedition erfreuen. Das englische
Schiff The Providence, dessen Capitän 20000 Realen von dem Sultan
eincassiren wollte, musste unverrichteter Sache abziehen.

Als aber den 1. April Walravens wegen des ungünstigen
Gesundheitszustandes seiner Matrosen unverrichteter Sache nach Batavia
zurückkehrte, zog das englische Schiff de Coster mit »Flagge« und
»Wimpel« bis Martapura.

Am 27. März 1641 wurde also Gillis van den Rande dahin gesendet, um die
erbeuteten Kanonen und die schuldigen 50000 Realen, wenn auch nicht
in Pfeffer, so doch mit Gold, Wachs, Rottang, Perlen und Diamanten
bezahlen zu lassen.

Tapesana hatte im Jahre 1642 den Thron bestiegen und durch chinesische
und malayische Handelsleute mit der holländischen Regierung
Verbindungen angestrebt; da er sich jedoch zur Auslieferung der
geraubten Kanonen und der Mörder nicht entschliessen konnte, blieb
Batavia -- bei dem Drohen mit einem grossen Revanchekrieg. Dieser
kam auch niemals zu Stande. Ja, noch mehr. Im Jahre 1660 wurde mit
Martapura ein neuer Vertrag geschlossen, bei welchem dem Sultan die
alte Schuld von 50000 Realen erlassen wurde!!

Wenn auch 1664 dieser Contract dahin erweitert wurde, dass der ganze
Handel in den Händen der Holländer bleibe, erhielt Antonie Hurdt im
Jahre 1665 doch nicht mehr als 36 Lasten Pfeffer. Unterdessen hatten
die Engländer auch nicht müssig gesessen und alles zur Errichtung einer
Factory vorbereitet. Es war nämlich im Jahre 1669 der holländische
Bevollmächtigte ermordet worden, und der Sultan hatte den Wunsch
geäussert, dass sein Nachfolger sich an dem Aufsuchen der Mörder
betheiligen sollte. Aber auch diesen ermordeten die Martapuresen.

Endlich hatten die Martapuresen ihr Ziel erreicht und auch die
Engländer in ihre Falle gelockt; diese errichteten im Jahre 1698 in
Martapura eine Factory und erklärten diese Stadt als den Hauptplatz
ihres indischen Gebietes. Zu diesem Zwecke wurden einige hundert
Buginesen gemiethet, welche die Factory bewachen sollten, und während
der Chef auf dem Flosse wohnte, wurde auf dem Lande eine kleine Redoute
mit 10 kleinen Kanonen gebaut. Als zur selben Zeit eine englische
Colonie in Kambodja angegriffen und geschlagen wurde, flüchteten sich
die Reste nach Martapura, und dasselbe geschah in Siam, dessen Chef die
Factory in Martapura übernahm. Sie betrugen sich mit so viel Stolz und
Uebermuth, dass der Hof und die Einwohner von Martapura nur in stiller
Wuth dieses ertrugen und endlich den Plan fassten, die englische
Factory auszumorden. Die Engländer bekamen davon Wind und ergriffen
die Offensive. Sie eroberten Bandjermasing, Tatas, Kaju Tinggi und
Martapura, 7 Kanonen, 100 Gewehre und 20 Kojang Pfeffer.

Gegen eine Kriegsentschädigung von 3000 spanischen Matten gaben sie
jedoch alles an die Martapuresen zurück. Im Jahre 1707 jedoch, und
zwar am 1. November, schüttelten diese das verhasste und unerträgliche
Joch der übermüthigen Engländer ab und ermordeten die ganze englische
Factory bis auf ihren Chef Thiems, welcher auf einem holländischen
Schiffe, und einen Schiffscapitän, welcher auf einem englischen
Schiffe nach Batavia entkam. Der Sultan von Martapura erklärte jedoch,
gegenüber dem Hass seiner Unterthanen gegen die Engländer ohnmächtig
zu sein, in Zukunft zwar mit ihnen weiter Handel treiben zu wollen,
aber niemals mehr die Errichtung einer englischen Factory zulassen zu
können. Dieses dauerte jedoch nur bis zum Jahre 1746.

Nach dem Blutbade von 1669 sah Martapura 23 Jahre lang kein
holländisches Schiff vor seinen Ufern. Nachdem im Jahre 1692 der
Holländer Jacob Jansz wieder in diesen Hafen eingelaufen war, konnte
er nur mit den Portugiesen und Engländern zugleich einigen Pfeffer
erstehen, so dass vorläufig der holländische Handel untergraben blieb.

Im Jahre 1712 drohte Martapura mit Brunei in einen Krieg verwickelt
zu werden, und beide riefen die ostindische Compagnie zur Hülfe.
Zu Martapura befanden sich zwar seit dem vorigen Jahre (1711)
holländische Schiffe unter N. van der Bosch und Abraham Poele, um den
Chinesen den Handel mit Pfeffer zu entreissen; es gelang ihnen dies
nicht, und doch blieben sie in dem Hafen, um nach erhaltenem Auftrag
von Batavia ihre Hülfe gegen Brunei zu verlehnen. Der Sultan von
Martapura jedoch drang darauf, ein Bündniss mit Batavia zu schliessen
(1714), welches im Jahre 1733 erneuert wurde. Obzwar den Holländern der
Alleinhandel versichert wurde, und diese gestatteten, dass jährlich ein
Jonk mit Pfeffer nach China gehe, konnte Martapura mit allen möglichen
Nationen und besonders mit China und England Handel treiben. Sobald ein
holländisches Schiff ankam, waren alle möglichen Ausreden bei der Hand,
um ihnen keinen Pfeffer zu verkaufen. Bald war eine schlechte Ernte,
bald ein zu kleiner Vorrath, bald etwas anderes die Ursache, dass
Martapura an die Holländer keinen Pfeffer liefern wollte.

Die Waffen mussten also im Jahre 1746 den Sultan von Martapura zwingen,
sein immer und immer gegebenes Versprechen einzuhalten. Lieutenant
Ackerveldt blockirte den Hafen und zwang alle Schiffe der Engländer,
Chinesen u. s. w., die Insel zu verlassen; als nebstdem im nächsten
Jahre (1742) van der Heyden mit sechs Schiffen vor der Mündung des
Martapuraflusses erschien, schloss der Sultan, ohne eine Beschiessung
der Stadt abzuwarten, denselben Contract als im Jahre 1664. Er
übergab nämlich den ganzen Handel mit seinem Reiche an die Holländer
und gestattete, dass diese zur Sicherstellung des Vertrages zwei
Forts in seinem Reiche bauten, und zwar auf Tabenio und Tatas (bei
Bandjermasing).

Dies ist der Anfang vom Ende des Bandjermasingschen Reiches mit einem
Hindu-Dajakischen Fürsten.

Im Jahre 1756 wurde holländisches Geld eingeführt; die Diamantengruben
mussten ihre Erträgnisse an die Holländer abliefern, 15000 Pikols
Pfeffer wurden an diese abgeliefert, und ein Bündniss gegen Sintang,
Berouw, Kutei und Melavei geschlossen, wofür an die Holländer 80 Pikols
Vogelnester, 160 Pikols Wachs und 340 Tail Gold gegeben werden sollten.

Der definitive Zusammenbruch des Reiches geschah doch erst am 13.
August 1787.

Es war nämlich im Jahre 1780 (?) der Reichsverweser Pangeran Nata im
Kampfe um den Thron mit dem unmündigen Sultan, welcher sich nach der
Ostküste geflüchtet hatte. Hier hatten sich schon seit langer Zeit
Tausende von Buginesen (von Celebes) angesiedelt, und im Jahre 1785
zogen 3000 von ihnen nach Tabanio, um die Partei des jungen Sultan zu
nehmen, und plündernd und mordend verfolgten sie den Reichsverweser bis
nach Martapura. Dieser wandte sich endlich an die »Compagnie« um Hülfe.
Capitän Hoffmann zwang die Buginesen zum Rückzuge; der Preis, den
Sultan Nata dafür bezahlen musste, war gross. +Er wurde ein Lehnsmann
der ostindischen Compagnie.+

Nach grossen und kleineren Aufständen verliess unter Daendels im Jahre
1809 Holland das Bandjermasingsche Reich, Bandjermasing sandte 1811
eine Gesandtschaft an das englische Interregnum, welches im Jahre
1812 Alexander Hare als Residenten und Commissar dahin schickte, um
mit Bandjermasing einen Vertrag zu schliessen, demzufolge dieses
Reich ein englischer Lehnsstaat werden sollte. Offenbar hatte
Alexander Hare noch bedeutende persönliche ehrgeizige Pläne; denn er
errichtete mit Hülfe von javanischen Bauern (Landstreicher nennt sie
die Geschichte) eine Ackerbaucolonie, welche jedoch, wie überhaupt
das ganze Bandjermasingsche Reich, nach dem Sturze Napoleons im
Jahre 1816 wieder in den Besitz der Holländer überging. Natürlich
wurden die alten Verträge von den Jahren 1787 und 1812 jetzt von den
Holländern erneuert, aber weder die Bevölkerung noch der Sultan hatten
ernstliche Absichten, auch thatsächlich deren Bedingungen zu erfüllen.
Zwei holländische Kreuzer, ein kleines Fort und ein Polizeicommissar
mit seiner Mannschaft wurden vernichtet, und als der Commissar van
Boekholtz die Mörder zu verfolgen und zu bestrafen sich bemühte,
äusserte der Sultan darüber unverhohlen sein Missvergnügen. J. H.
Tobias machte jedoch der despotischen Regierung ein Ende.

Im Jahre 1824 kam Halewyn, um die Anordnungen von J. H. Tobias
auszuführen. Der Haupträdelsführer war ein gewisser Kendet, welcher
beim Kampong Pelokkan ein Fort errichtete, welches von Halewyn
angegriffen und erobert wurde. Am 2. März 1825 ergab sich Kendet an
den Sohn des Sultans Soleiman, der ihn an den Residenten auslieferte.
Kendet wurde hingerichtet, und für längere Zeit blieb nun die Ruhe
Bandjermasings ungestört.

Am 3. Juni starb nach 17jähriger Regierung der Sultan Soleiman, welcher
ein Tyrann im strengsten Sinne des Wortes war (seinen Bruder Ismael
hatte er erwürgt), und ihm folgte sein Sohn Adam Alwas Sikh Billah,
welcher mit M. H. Halewyn einen neuen Contract schloss, dem zufolge
Tatas, Tandjong, Burong, das ganze Land im Süden vom Messaflusse, Tanah
Laut, Tanah Bumbu, Pagattan, Passir, Kutei, Sambaliung, Bulangan,
Bekompey, das Flussgebiet des obern Laufes des Baritu und die Südküste
von Borneo bis Pontianak in volles Eigenthum von Holland abgetreten
wurden. Nebstdem sollte die Wahl des Reichsverwesers und Thronfolgers
des Bandjermasingschen Reiches von der indischen Regierung bestätigt
werden müssen.

Sultan Adam hatte vier Söhne und drei Töchter von seiner Frau Ratoe
(Sultanin) Kamala Sarie, welche herrschsüchtig, goldgierig und der
eigentliche Herrscher des Reiches war. Nebstdem hatte der Sultan bei
einer andern Frau zwei Söhne und eine Tochter, wovon der eine, Tamjid
Illah, seine unheilvolle Rolle als Thronfolger zum Untergange der
Dynastie lange spielte.

Im Jahre 1816 waren auch die Reiche der Ostküste wieder an Holland
gefallen, weil sie ja, wenn auch in verschiedenem Maasse, Vasallen des
Sultans von Bandjermasing waren.

Weder der Sultan von Kutei, noch von Pasir, noch von Berouw kümmerten
sich viel um Bandjermasing; die Communication über Land war ja
sehr schlecht, die Entfernung sehr gross und die Verbindung über
See liess alles zu wünschen übrig. Im Jahre 1825 ging also George
Müller von Surabaya (Java) aus nach der Ostküste, zunächst um die
Küste topographisch aufzunehmen. In Passir gelang es ihm nicht, Fuss
zu fassen. Der Sultan von Kutei jedoch erklärte sich bereit, seine
Souveränität aufzugeben und Lehnsfürst der holländischen Regierung zu
werden, von der er gegen eine jährliche Entschädigung alle Steuern
eintreiben liess. Kurz darauf wurde jedoch Müller ermordet, ohne dass
die holländische Regierung seinen Tod rächte. Java gab ja um diese
Zeit Holland viel zu thun, und nebstdem brachte Bandjermasing keinen
directen Gewinn.

Um diese Zeit unternahm John Dalton von Singapore aus einen
abenteuerlichen Zug nach Kutei, umsegelte mit einem Kahn dieses
Sultans, in Gesellschaft des Dänen Hecksler, die Südküste von Borneo,
kam am 25. October in den Fluss Pegatan, wo sich der Räuberhäuptling
Raga aufhielt, und kehrte am 4. December nach Kutei zurück. Hier
blieb er 11 Monate, zog auf dem Mahakanfluss ins Innere des Landes,
schloss mit dajakischen Häuptlingen Freundschaft und erzählte in seinen
Reisebriefen eine Reihe von fürchterlichen Greuelthaten, welche Raga
und der Sultan von Kutei sich zu Schulden kommen liessen.

Zur Zeit der Verwahrlosung Borneos von Seiten der holländischen
Regierung hatten die Engländer den Norden von Borneo besetzt, James
Brooke sich zum Radja von Serawak gemacht und (im Jahre 1844) Erskine
Murray einen Zug von Hongkong unternommen, um dort eine Factory
zu errichten. Dieser wurde jedoch von den Dajakern ermordet. Die
holländische Regierung schickte den Herrn Weddik dahin, um den Mord
zu untersuchen und die Missethäter eventuell zu bestrafen. Der Sultan
fürchtete natürlich die Rache Englands; er übergab also sein Reich der
holländischen Regierung, welche einen Assistenz-Residenten in seiner
Hauptstadt Samarindah anstellte und ihm die Verpflichtung auferlegte,
mit allen Kräften dem Seeraube entgegenzutreten. Ein ähnlicher Vertrag
wurde mit dem Sultan von Passir geschlossen, ohne dass ein europäischer
Beamter zur Controle dahin versetzt wurde.

Auch Berouw, welches die Nordgrenze von Kutei bildete, wurde um diese
Zeit zum S. O. Borneos eingetheilt.

Es strandete nämlich ein englisches Schiff an der Küste dieses Reiches,
und 7 Engländer und einige Bengalische Laskars retteten sich und
begaben sich in den Kampong Gunung Tabur, welcher schon im Jahre 1834
Holland als Lehnsherrn anerkannt hatte. 12 Laskars kamen in die Hände
des Fürsten von Bulongan, während die 6 andern als Sclaven an den
Sultan der Sulu-Inseln verkauft wurden. Die englischen Matrosen wollte
der Sultan von Berouw nach Macassar schicken; sie flüchteten jedoch den
18. August zu dem Sultan von Tidung, welcher sie an den holländischen
Commissar auslieferte.

Sir Edward Belcher erhielt davon Nachricht und zog mit seinem
Kriegsschiff »Semarang« nach den Suluinseln und von dort nach Gunung
Tabur, dessen Sultan mit den Engländern ein Freundschaftsbündniss
schloss; dann ging er nach Bulongan, um die 12 Laskars aus der
Gefangenschaft zu befreien, schloss dasselbe Bündniss mit diesem Sultan
und kehrte Anfangs Januar 1845 nach Gunung Tabur zurück, wo ihm der
Sultan die Insel Maratuwa zur Errichtung eines Forts anbot.

Um diese Zeit wurden unter Dewall, welcher »Civil-Befehlshaber«
von Kutei war, bedeutende Kohlenminen in Kutei, auf den Ufern des
Berouwflusses, auf der Insel Laut, Nangka und Sewangi; Diamantgruben
von Kusan, Goldgruben auf Tanah-Laut, und eine auf Pegaton und der
gegenüber liegenden Insel Laut entdeckt. Auch wurden wiederholt
Kreuzzüge gegen die Seeräuber unternommen. Schon im Jahre 1836 hat die
Rheinische, und später die Barmer Genossenschaft, ihre Missionare nach
dem S. O. Borneos gesendet.

       *       *       *       *       *

Wie schon erwähnt war Sultan Adam ein Pantoffelheld, und als im
Jahre 1852 sein Sohn und Thronfolger Sultan Muda Abdul Rachmann
gestorben war, glaubte die holländische Regierung den Einfluss der
herrschsüchtigen Königin am besten zu schwächen, dass sie nicht deren
Sohn Hidajat Ullah, sondern den Sohn einer Haushälterin des Königs,
Namens Tamdjit Illah, zum Thronfolger ernannte, obschon oder gerade
weil dieser eine unbedeutende Persönlichkeit, schwach, geizig und dem
Genusse des Alcohols und des Opiums ergeben war. Trotz des Einwandes
des Sultans ernannte die indische Regierung den Sohn der Sultanin zum
Reichsverweser und den Sohn seiner Haushälterin zum Sultan muda =
Thronfolger.

Dieses war die äussere und erste Veranlassung des fürchterlichen
Krieges, welcher vier Jahre dauerte, von den Holländern mit
abwechselndem Glücke geführt wurde und, da Sultan Adam den 1. November
1857 gestorben war, mit der Verbannung beider Thronprätendenten und
Auflösung der Hindu-Dajakschen Dynastie endete.

Seit dem Jahre 1864 mussten die Holländer noch einmal, und zwar im
Jahre 1882, zu den Waffen greifen; seitdem aber erfreut sich der ganze
Süd-Osten der Insel Borneo der Ruhe, ohne darum ein gewinngebender
Theil des grossen »Insulinde« geworden zu sein.

Erst im letzten Jahrzehnt wendet sich Hollands Unternehmung und
Handelsgeist diesem Lande zu, in dem noch Millionen Gulden an Schätzen
verborgen liegen.



Sach- und Namen-Register

(ohne Berücksichtigung des Anhanges zum 12. Capitel).


  A.

  Abdul Rachmann 125

  Aberglauben der Eingeborenen 17

  Aborte 107, 120

  Acclimatisation 130

  Achtergalery 105

  Adat 8

  Administration 34

  Advokaat 73

  Aetiologie bei den Dajakern 161

  Affeninsel 16

  Akar Sungsang 8

  Alang-Alang 91

  Alcedo 18

  Alcohol 25

  Alcoholgehalt 134

  Alfuren 35

  Alpenrosen 192

  Alluvium 10

  Ameisen 114

     „    rothe 158

     „    schwarze 115

     „    weisse 114

  Amerika 205, 210

  Amethysten-Verein 25

  Amme 118

  Amok 41

  Ampatong 106

  Amuntay 126

  Anacardium, occidentale 69

  Anacoda Laba 8

  Analphabeten bei den Malayen 77

  Ananas 69, 72

  Anas sativa 69, 72

  Andol-Andol 166

  Andresen 125

  Anona, reticulata 69, 73, 228

    „    muricata 73

  Antang-Vogel 126

  Antassan 10, 82

  Antiaris toxicaria 64

  Antimilitarismus 124

  Antue kankamiak 161

  Aphrodisiaca 73, 228

  Aphthae tropicae 72, 167

  Apollinariswasser 22

  Apotheke 30

     „     chinesische 179

  Araber 15

  Arcella 22

  Arengpalme 149

  Armenier 179

  Arsenik 37

  Artesisches Wasser 21, 137

  Artocarpus integrifolia 104

  Artruc 210

  Arzneien, indische 165

  Assentirung 136

  Aubergines 117

  Auction 103

  Aufhebung von Teweh 88

  Aufstand vom Jahre 1859 79, 125

  Aussaatfest 179

  Aussenbesitzungen 215

  Aeusseres eines Dajakers 158

  Austern 228

  Avicennien 9


  B.

  Babi russa 170

  Babu 17

  Bacterien 31, 72, 116

  Badehaus 45

  Baden 122

  Badju 77

  Bajem 117

  Balak 226

  Balangiranbaum 9

  Balantiden 144

  Baleh-baleh 139

  Bambus 9, 117

  Banane 16

  Bandjermasing 1, 6, 18, 194

       „        Fluss 194

  Bangkert 126

  Bantam 48

  Banteng 160

  Bär 51

  Barabei 126

  Bardeleben 221

  Baritufluss 2, 6, 18, 40, 191

  Bassirs 40, 107

  Bataver 1

  Bati-Bati 234

  Battaker 35

  Bauchkrankheiten 165

  Bauhölzer 149

  Bauhygiene 33, 121

  Baumbast 39

  Bäumler 205

  Bebaris (Berg) 234

  Baumwanze 158

  Beckmann 198

  Becompeyer 1

  Beefsteak 70, 117

  Belatongfluss 194

  Bengkum 174

  Bentheim Tecklenburg (Graf) 125

  Beo 17

  Beramfluss 191

  Beratusberg 191

  Bergklima 12, 123

  Beri-beri 53

  Beschneidung der Mädchen 77, 219

  Beschneidung der Knaben 77, 212, 220

  Besteigung des Kinibalu 192

  Bestattung der Leichen 83

  Bier 25, 134

  Bigal 126

  Bitter 68

  Blangga 109, 162

  Blasbalg 150

  Blasrohr 64

  Blattern 84

  Bliam 40, 107

  Blumentöpfe 103

  Blutegel 157

  Blutrache 63

  Bock, Dr. 19, 147, 193, 194 ff.

  Boerhave 210

  Bolanganfluss 235

  Bontius 74

  Boranus, flabelliformis 204

  Brackwasser 20

  Brautschatz der Dajaker 62

  Breitensteinia insignis 197

  Brooke, James 236

  Brunei 190

  Bruneifluss 191

  Buckel 145

  Büffel 160

  Buginesen 1, 15, 35

  Buitenzorg 103

  Bulanganfluss 191

  Buntok 89, 126

  Burg, Dr. van der 22, 143, 144, 168, 226, 230

  Buru-Budur 13

  Butter 32


  C.

  Caesalpina sappan 166

  Caesalpinen 9

  Cajaputiöl 3

  Calamus 101

  Californische Früchte 167

  Camper 176

  Campher 9

  Carica papaya 69, 73, 182

  Casper 33

  Casuarinen 9, 138

  Celsus 205, 210

  Cercopithecus cynomolgus 16, 64, 98

  Cercopithecus nemestrinus 97

  Certificate 186

  Charakter der eingeborenen Frauen 230

  Charon der Dajaker 110

  Chinesen 1, 18, 101, 179

  Chinin 20, 163

  Chirurgen 178

  Chloralhydrat 36

  Cholera 3, 11, 21

  Cicade 157

  Circumcision, rituelle 211, 222

  Cissus cinerea 165

  Citrus 9, 74

  Civil-Aerzte 178

  Closet 121

  Clown bei den Dajakern 111

  Clubs 49

  Cocosmilch 119

  Cocosnüsse 104, 148

  Cocosöl 67

  Cognac 25, 134

  Concubinat 135

  Conserven 117

  Consilium 183

  Cornu cutaneum 44

  Cretonne 102

  Culex 3

  Cypris 22


  D.

  Dacop 43, 63, 160

  Dajaker 35

  Dajakfluss 172, 191

  Dalton 193

  Damarlampe 153

  Danau 9

  Danom Kaharingan 163

  Daun baba 166

   „   bisol 166

   „   gatel 166

   „   sedjang 166

   „   sedjuk 165

  Dapur 106, 151

  Darwinismus bei den Dajakern 98

  Declariren 86

  Deli 198, 209, 218

  Demong Djatra 65

    „    Lehmann 79

  Demoralisirung 135

  Depilation 203

  Deng-deng 167

  Dewall 193

  Diablotins 228

  Diät 133

  Dialekte der Dajaker 46

     „     der malayischen Sprache 35

  Diamanten 150

  Diluvium 10

  Dioscorides 205

  Djamblang 181

  Djambu 69, 73, 181

    „    bidji 73

  Djata 163

  Djatiholz 101

  Djawat 39

  Djembang-See 195

  Djongkok 128

  Djukung 81, 149

  Doctor djawa 168

  Doctorinnen 174

  Dolmetsch 35

  Don Juan 145

  Douche 123

  Dubang 30

  Dudelsack 40

  Duku 69, 74

  Dukun 164, 219

  Durian 69, 73, 104, 228

  Durio Zebethinus 69, 228

  Dusson-ilir 125, 194

    „   -ulu 125, 149, 194

  Dussonfluss 194

    „   lande 1

  Dwangarbeiders 30

  Dysenterie 11, 80 ff.

  Dyspepsie 69


  E.

  Ectyma 102

  Eczema aestivum 10

  Eheliche Treue 145

  Ei im Kaffee 117

  Eiche, javanische 138

  Eidechsen 114

  Einrichtung der Wohnung 24, 104

  Einwohnerzahl von Bandjermasing 6

       „        von S. O. Borneo 7, 194

  Eis 22

  Eisen 149

  Eisenbahn auf Borneo 153

      „      „  Java 177

  Eisenchlorid 20

  Eisenholz 89, 149

  Eisfabrik 22

  Eismaschine 23

  Eiweiss 119

  Elephanten in Borneo 99

  Elfenbein 99

  Elster, indische 17

  Entwicklung der Kinder 145

  Epidemiologie 34

  Epiphyten 157

  Erbsen 117

  Erdäpfel 70, 138

  Ernährung der Säuglinge 119

  Erröthen der Eingeborenen 140

  Essen, gesundes 71

    „    nahrhaftes 69

  Experimente mit Ipoh 64


  F.

  Fabriken von Mineralwässern 22

  Factotum in einem Fort 96

  Falk 9

  Färben der Zähne 78

  Farrenkraut 138

  Faulen der Leiche 83

  Fauna 22

  Feldmedicinkiste 36, 56

  Feldverbandkiste 56

  Fermentation der Speisen 67

  Feuerwerk 59

  Fiebig, Dr. 25

  Filtrirapparate 20

  Filtrirsteine 20

  Fische 117

  Fischgeräthe 107, 161

  Fischreichthum 149

  Fischschuppenkrankheit 46

  Fisolen 117

  Flanellhemd 134

  Fledermäuse 158

  Fleischspeise 117

  Flora 9, 22

  Floss 151

  Fluor albus 142

  Fracastor 210

  Frank, Peter 183

  Frauen, dajakische 76

    „     europäische 75

    „     halbeuropäische 75

    „     junge 78

    „     malayische 77

  Friedmann 9, 93, 99, 138, 193

  Frösche 114

  Früchte 69

  Früchtekur 72

  Fuchs 183

  Furunculosis 101


  G.

  Gadja 99

  Gaffron 194

  Galenus 210

  Gamaschen 157

  Gandruwo 29

  Gänse 47

  Gantang 162

  Garnisonsdienst 132

  Garten 103

  Garzina mangostana 69, 74

  Gasbeleuchtung 54

  Gebirge von Borneo 191

  Geburtshülfe der Malayen 173

  Geer, Professor 156

  Gefühlsleben 223

  Geisterleben der Malayen 226

  Gelpke, Dr. 169

  Gendi 23

  Genesungsfest 66

  Genevre 25, 68, 109

  Genie 34

  Genussmittel 27

  Geographie von Borneo 190

  Gerichtliche Medicin 33

  Gerichtsärzte 175

  Geringschätzung der „Indischen“ 142

  Gerstäcker 29

  Geschichte von Bandjermasing 238

  Geschlechtliche Erziehung 230

  Geschlechtsleben 142

  Geschwüre 4, 182

  Gesichtswinkel 176

  Gesundheitslappen 143

  Gesundheitsrath 188

  Gewandtheit des Körpers 145

  Gewehre 64

  Gewissenloser Beamter 86

  Gewürze 69

  Gibbon 10, 57, 95, 233

  Giesshübler Wasser 22

  Giftzähne 68

  Glasperlen 148

  Gold 150

  Gonorrhoea rectalis 120

  Gonzalo Hermandes de Oviedo 205

  Gourmands, javanische 115

  Gracula 17

  Gras 47, 117

  Grissee 20

  Grund der Häuser 100

  Grundwasser 100

  Grünzeug 117

  Guling 56

  Gurken 116

  Gürtel 39

  Gusti Lehmann 126

  Gutta-percha-Baum 9, 152

  Gymnastik 228

  Gynäkologen 103

  Gyps 119


  H.

  Hadji 152, 220

  Haemorrhoiden 67, 120

  Hafen von Bandjermasing 15

  Haie 228

  Haiti 205

  Halbaffen 98

  Halbeuropäer 146

  Halicore Dujong 228

  Hallewyn 194

  Handelsmaatschappy 152

  Handlanger 34

  Hängebauch 118

  Hantu 106

  Harimaung 62

  Harnsäure 122

  Hartmann 193

  Hasselt, van 55

  Hasskarl 69

  Häuser der Dajaker 106

     „    „  Europäer 6, 100

  Haushälterinnen 78, 209, 215

  Hebamme 172

     „    Schule 169

  Hebra 10

  Heilkünstlerinnen, halbeuropäische 165

          „          malayische 164

  Heiltrieb der Eingeborenen 173

  Heirath 135

  Heirathsannonce 66

  Helmhut 133

  Henrici 193

  Heroismus eines Sträflings 38

  Herzparalyse 53

  Heyden, van der 124

  Hibiscus elatus 101

  Hidajat 79, 125

  Hippokrates 210

  Hoffmann 33

  Höhenklima 138

  Holzkohle im Filtrirapparat 20

  Holzsplitter 107

  Honig 149

  Honigbär 50

  Honorar der Aerzte 179

  Horford 70

  Hörner 193

  Horsfield 168

  Hospitalbediente 34

  Huhn 117

  Hund, fliegender 153

    „   rother 10

    „   schwarzer 10, 135

  Hunter 210

  Hüte 15

  Hydrops pericardi 53

  Hylobates concolor 4, 51


  I.

  Ichthyosis 46

  Icterus 73

  Impetigo 182

  Impfärzte 188

  Impfung 140

  Impfung gegen Lyssa 38

  Impfzeugnisse 186

  Indican 122

  Induambang 77, 126

  Industrie 149

  Insecten 144

  Insel Bawean 2

    „   Labuan 190

    „   Lombok 87, 136

    „   Kupang 191

    „   Madura 2

    „   Nussah Gambangan 37

    „   Petak 191

  Intelligenz des Menschenaffen 92

  Ipoh 64

  Islam auf Borneo 8


  J.

  Jacob 89

  Jacobs, Dr. 182

  Jagd 157

  Jasmium 114

  Javane 1, 35

  Jeanne d’Arc der Dajaker 126

  Jochbein 146


  K.

  Kabaya 75, 103

  Käfer 228

  Kaffee 9

  Kahaja 62

     „   fluss 18, 127, 191

  Kaiman 228

  Kajau 126

  Kaju besi 9

  Kalong 9, 158

  Kamala Sari 125

  Kampong 18, 106

  Kanäle 10

  Kantjil 159

  Kapitän van Os 171

  Kapok 106

  Kaposi 46

  Kapuasfluss 127, 171, 191

  Karbau 110

  Karimatastrasse 191

  Karraufluss 81

  Kaserne 29, 214

  Kasernen, malayisch 36

  Katinganfluss 191

  Katjang 117

  Kattie 131

  Kentering 52, 86, 114, 182

  Kerry 69

  Ketjab 69

  Keesch-Affe 16

  Kieselstein 20

  Kinderernährung 118

  Kindermeer 228

  Kinderpraxis 184

  Kinibalangfluss 191

  Kinibalu (Berg) 191

  Kirchhof 34

  Klapper 148

  Kleidung der Dajaker 46

     „     der Europäer 134

  Klima 137

    „   schiessen 91

  Klintjoufluss 195

  Koch 20

  Kochen des Wassers 21

  Kohl 138

  Kopfjagd 61

  Kopftuch 46

  Koralle 100

  Korb 47

  Korthals 193

  Krakatau 19

  Krankenliste 54

     „   rapport 90

     „   wärter 34

     „   wäsche 38

  Krause 122

  Kraushaar 146

  Kreolen 12, 75

  Kriegstanz 170

  Kris 41

  Krocker 70

  Krokodil 9

  Krondorfer Wasser 22

  Kühe von Bengalis 117

  Kuhmilch 119

  Kunsteis 23

  Kurorte 139

  Küsse der Malayen 223

  Kutang 75

  Kutei 190

  Kwala Kapuas 62

  Kwien 7, 16


  L.

  Labak 8

  Labufrucht 40, 74, 117

  Lackschuhe 146

  Ladang 77

  Lagenaria idolatrica 74, 117

  Lahey 129

    „   fluss 148

  Lakki 136

  Lamiungfluss 150

  Landbau 149

  Landbaucolonie 154

  Langsat 74

  Lantium domesticum 69

  Larong 114

  Lawafluss 195

  Lawu (Berg) 138

  Lebensdauer 136, 156

  Lebensmittel 31

  Lebensversicherung 185

  Leberabscesse der Orang-Utangs 233

  Lesbische Liebe 107

  Leuchtkäfer 158

  Lex 133

  Lianen 9, 157

  Liau 110

  Libelula 9

  Liberiakaffee 104

  Libido 143

  Lichen tropicum 10

  Liebe 223

  Liebesleben 223

  Liebestränke 230

  Liederlichkeit der Dajaker 225

  Lieferanten der Armee 31

  Lignum Quassiae 3

  Lingamdienst 198, 210

  Loebisch 72

  Lombok (vide auch Insel Lombok) 67

  Lorbeerbaum 138

  Lori-Affe 99

  Lotongtor 18

  Lues 3, 46

  Luftcurorte 123

  Lyssa 38


  M.

  Madagascar 35

  Madjopahit 8

  Maduresen 1

  Magazine (schwimmende) 18

  Magelang 86, 138, 220

  Magenkrebs 23

  Magensaft 69

  Mahakam-Fluss 44, 191, 195

  Mahatara 126, 163

  Makujangfluss 149

  Malacca 35

  Malaye 1, 146

  Malayische Sprache 35

  Malaria 11, 20

  Mandau 39, 64

  Mandoi-Fest 162

  Manggafrucht 69, 74, 182

  Mangga-Kopior 182

     „  -Padang 182

  Mangifera indica 69

  Mangistanfrucht 69, 74

  Mangroven 113

  Mangkosari 43, 63, 149

  Manis pentadactyla 64

  Mantri Djadjar 188

  Marabahan 149

  Marawyfluss 148

  Marodenzimmer 30

  Martapura 15, 125

      „     fluss 3, 9, 20

  Marujan 162

  Massage der Dajaker 107, 161, 228

     „     „  Dukun 219

  Mata hari 163

    „  udang 165

  Matten 59, 149

  Medan 218

  Medara-See

  Medicin der Dajaker 161

     „     „  Malayen 164

  Mehlspeisen 116

  Melatti 114

  Melihat (Berg) 191, 235

  Melosira 22

  Mengkatip 1, 81

  Menschenrassen 1

     „    raub 94

  Menstruation 143

  Mikroskop 31

  Milch 117

    „   condensirt in Büchsen 118

  Milchspeisen 116

  Militair-Hygiene 34

     „     Recht 34

  Mineralwasser 22

        „       fabrik 22

  Miri 62

  Missbrauch von Arzneien 31

      „       „  Alcohol 26

  Missionäre 79

  Mittagsschläfchen 68

  Möbelmacher, chinesische 101

  Mode 102

  Monsun 52

  Montalat 19, 127

  Mortalität 118, 136

  Mortjon 59

  Mosquitos 3, 102

  Mosquitonetze 3

  Motten 101

  Muarah Teweh 17

  Müller 193

  Murong 1, 64, 149

     „   fluss 194

  Musa sapientium 16

    „  paradisiaca 16

  Muscatbaum 9

  Mydracz, Dr. 136

  Mylabris rubri pennis 166

  Mysticismus der Malayen 17, 30

  Mythologie der Dajaker 8


  N.

  Nangkafrucht 104

  Napoleon 6

  Nasalis larvatus 98

  Nasen-Affe 98

  Nassi-goreng 67

    „   tim 167

  Natureis 22

  Naturmensch 112

  Navicula 22

  Negara 8, 149

     „   strom 235

     „   klinge 149

  Nepentes 9, 192

  Nephelium lapaceum 74

  Netze 107

  Neujahr der Malayen 58

  Neurasthenie 186

  Neuritis brachialis 58

  Nierenfunctionen 122

  Nieuwenhuizen 125

  Nipa fructicans 3

  Nipapalme 3

  Njahi 135, 214

  Njamuk 3

  Noggerath 142

  Nonafrucht 69

  Nonna 12, 145


  O.

  Oberkiefer 146

  Oculisten 178

  Oedipussage bei den Dajakern 8

  Ohrenheilkunde 183

  Ohrringe 78

  Olo Ngadju 160

  Olo Ott 1, 147

  Onanie 144

    „    bei den Affen 226

  Onrust 19, 79, 129

  Opfern von Sclaven 110

  Opium 41

  Orang-Anga 127

    „   Baru 17, 121, 131

    „   Bonoi 127

    „   Ngadju 160

    „   Njamet 127

    „   Pari 148

    „   Punang 147

    „   Tabayan 127

    „   Utang 50, 90, 98

  Orchideen 50

  Orgien 112

  Orographie von Borneo 191

  Ossohfluss 147

  Ostmonsun 52


  P.

  Päderastie 40, 203, 204

  Pajong 221

  Pali 110

  Palissaden 89, 162

  Palme 109, 148

  Palmwein 109

  Panax quinquefolium 228

  Panpfeife 40

  Pantjoran 123

  Pantoffel 101

  Pantoffelheld 135

  Papaya 69, 73, 182

  Pappan 93

  Parachella Breitensteini 197

  Parasiten 157

  Pari 148

  Passantenhaus 13

  Passirfluss 191, 235

  Pasteur 38

  Patih 220

  Pattaifluss 81

  Pauke 40

  Pembuanfluss 191

  Pengaron 125

  Perelaer 62, 112, 150, 161, 166, 172, 227

  Persea gratissima 73

  Pesang-grahan 13

  Petroleum 103, 152

      „    -Büchsen 103

  Pfahlbauten 7

  Pfeffer 9

  Pfeifer, Ida 147, 218

  Pfeile 64, 149

  Pfeilgift 64, 149

  Pferdeharn 227

     „  milch 117

  Philippinen 35

  Phlegmone bei einem Gibbon 96

  Picket 130

  Pidjet 219

  Pikol 131

  Pisangfrucht 16, 72

  Plasmodien 52, 132

  Plethora 67

  Plumplori 99

  Pollitzer 70

  Polyandrie 213

  Polygamie 227

  Polyglotte Krankenwärter 35

  Polynesien 35

  Polypragmasie 31, 174

  Pongka 105

  Pontianak 153, 190

  Posewitz 7, 8, 190, 193, 232

  Prabu Anam 125

  Praxis der Aerzte 183

  Priapdienst 210

  Pringin 235

  Pristis Antiquorum 85

  Prolapsus uteri 142

  Prostituées 177, 209

       „      bei Affen 98

       „      clandestine 217

  Provost 29

  Pruys van der Hoeven 124

  Psydium guajava 73, 181

  Pulu-Petak 79

    „  Kupang 191

  Pulvermagazin 29

  Putri Kalarang 8

  Pylephlebitis ulcerosa 223

  Python 47

    „    Breitensteini 197


  R.

  Râbab 40

  Radja ontong 40

    „   Antuën 161

  Rajap 115

  Rajangfluss 191

  Rambutan 74

  Rambi 93

  Rasch 42

  Rassen 1

  Rassenverbesserung 84

  Rausch von Chloralhydrat 36

  Rechtspflege 34

  Redjangfluss 191

  Regenwasser 124

  Regierungscommission 124

  Rehe 159

  Reigentanz 111

  Reiher 18

  Reis 70

  Reisen auf Borneo 193

  Reisbauch 93, 118

  Reiswasser 167

  Renangonfluss 195

  Reorganisation d. ärztlichen Dienstes 33

  Rhachitis 145

  Rhinoceros 99

  Rhizoforen 113

  Rhododendron 192

  Ricinusöl 163

  Riechnerven der Ameisen 115

  Riesentaube 18

  Rindfleisch 117

  Robertson Jackson 132

  Ronggeng 209

  Rosenbaum 203

  Roth 133

  Rottang 101, 149

  Rousseau 112

  Rudjak 71

  Runganfluss 18

  Rysttafel 68


  S.

  Saba 190

  Sagehai 85

  Saigon 38

  Sakumbang (Berg) 234

  Salatiga 123, 139

  Saloi 62

  Salz 148

  Samangka 74

  Samatra 8

  Sampitfluss 191

  Sandbank 2

  Sandwich-Inseln 35

  Sanggiangs 110

  Sanitätspolizei 107

  Santonin 163

  Saquerus saccharifer 204

  Särge der Dajaker 83

  Sarong 75, 103, 139

  Sasawi 166

  Sassafras 138

  Satui (Berg) 234

  Sawahfeld 34

    „  schlange 47

    „  wasser 87

  Schaukelstühle 104

  Scheube 10

  Schiffsbad 68, 123, 214

  Schild 64

  Schilderhäuschen 101

  Schildkröteneier 228

  Schimmel 119

  Schirm gegen Sümpfe 101

  Schlafzimmer 100

  Schlangenbiss 48

      „    beschwörer 48

  Schlingpflanzen 113

  Schmelzofen 150

  Schönlein 183

  Schuhe 101

  Schulbesuch 77

  Schuppenthier 64

  Schwalbennester 149, 228

  Schwaner 3, 62, 149, 193, 240

  Schwanzmenschen 43

  Schweine 225

  Schweinsaffe 97, 159

  Schwein 121, 213

  Schweissdrüsen 122

  Scrophulose 145

  Scrotum 144

  Seen 9

  Seekühe 228

  Seeschlange 49

  Selatan (Cap) 234

  Segnin 122

  Selindang 77

  Semajangsee 195

  Semarang 21, 134

  Serawak 190

  Sero 107

  Seruway 203

  Siang 149

  Sideroxylon 9

  Siethoff, ten 5, 190

  Simon 89

  Simulant 55

  Sinapis alba 166

  Sindanglaya 123, 139

  Singapore 59, 132

  Sinjo 12, 146

  Sinnlichkeit 143

  Siangfluss 81

  Siram 123

  Siren 64

  Siwa 198

  Sclaven 110

  Slametan 109, 220

  Smegma 212

  Soda 20

  Soja 69

  Solanum melongena 107

     „    nigrum 166

  Soldatenfrauen 215, 217

  Sonius 72

  Sonnenstich 132

  Sonnerat 211

  Soxhlet 119

  Spargel 117

  Speisekasten 116

  Spencer St. John 93, 193

  Spiel 144, 211

  Spinat 117

  Splitter 107

  Sport in Indien 133

  Spruw, indische 72, 167

  Spukgeschichte 29

  Staaroperation bei einem Gibbon 95

  Stadtärzte 177

  Stahl 149

  Statistik 87, 137

  Stellung der Aerzte 175

  Stemfoort 5, 190

  Stenops tardigradus 99

  Sterbeziffer 136

  Sterilisirungsofen 31

  Sternocoris varicornis 114

  Stoffwechsel 69

  Stokvis, Professor 156

  Strategie der Dajaker 171

  Sträflinge 34

  Stratz, Dr. 142, 164, 172, 173

  Streichhölzer-Mangel 71

  Stricker 65

  Strombrecher 89

  Strümpfe 101

  Struwe 183

  Strychnin 65

  Strychnos Tiente Lechenault 64

  Styl der Häuser 5, 100

  Sultan Adam 125

    „    von Kutei 190

  Sulu-Inseln 99

  Sumbing (Berg) 138

  Sundanesen 35

  Sungei 81

  Superarbitrirungscommission 188

  Suriansat 8

  Suropatti 43, 126

  Suto-Ono 79

  Swediaux 199

  Swiss condensed milk 118

  Sydenham 210

  Synedra 22

  Syphilis 198 ff.

  Syphilisation 210

  Syzygium jambolanum 181


  T.

  Tabanio 153, 234

  Tahudjafluss 148

  Taktik 171

  Tamdschit Illah 125

  Tamejang Lajang 79

  Tampasikfluss 192

  Tana Laut 233

  Tandak 209

  Tapeten 100

  Tarsius spectrum 99

  Tatus (Fort) 235

  Taufe bei den Dajakern 162

  Tauschhandel 140

  Tawaranfluss 193

  Teakbaum 9

  Tectonia grandis 101

  Telaga Warna 9

  Telang 79

  Telenfluss 195

  Telok-Betong 19, 23, 200

  Tempel der Chinesen 6

  Tempon Telon 98, 110

  Temperatur der Menschen 131, 156

      „       „  Luft 131

  Teppiche 101

  Termes fatalis 114

  Termiten 114

  Terong 117

  Terpsinoe 22

  Teufelsbeschwörer 40

  Teweh-Fort 24

    „   Fluss 19

  Thee 32

  Tigerschlange 47

  Tipula 3

  Tjebok 120

  Tjemarabaum 138

  Tjilatjap 37

  Tjium 223

  Todtenfest 83, 110

  Tohopfluss 148

  Toko 15

  Topofluss 150

  Tote 40

  Totok 11

  Toxicologie 177

  Transpiration 122

  Transplantation 39

  Trassi 71

  Treibholz 81, 149

  Triangulation 191

  Trinkwasser 20

  Tripang 228

  Tropenhelm 157

  Tropenklima 34, 138

  Tuak 109, 204

  Tuberculose 32

  Tudong 127

  Tungul (Berg) 234

  Tyrannengelüste 108


  U.

  Ueberschwemmung 49

  Ular dedor 50

    „  welang 50

  Ungenirtheit in der Conversation 142, 231

  Unselbständigkeit der Militär-Aerzte 33

  Unsittlichkeit der Dajaker 225

  Unterhosen 76

  Urbewohner 147

  Urlaub nach Europa 186

  Urostigna benjaminum 110

  Ursus malayanus 50

  Urticaria ovalifolia 166

  Urwald 158

  Utensilie 31


  V.

  Vaccinateur 140, 188, 208

  Vaccination 163, 188

  Vaccinestoff 188

  Valentyn 7, 194

  Venerische Krankheiten 211

  Venosität des Blutes 140

  Venus anadyomene 8

    „   Indische 145

  Veranda 104

  Verderben der Speisen 116

  Verfälschungen der Milch 118

  Vergiftung mit Chloralhydrat 36

  Vergiftung mit Arsenik 37

  Verhinderung der Conception 219

  Veronica cineria 166

  Verpflegung der Truppen 32

  Verspyck 125

  Verunreinigung der Flüsse 22

  Verunreinigung der Luft 137

        „        des Wassers 22

  Violine der Malayen 40

  Virchow 130

  Vishnu 198

  Visus practicus 54

  Vitrage 102

  Viverra Zibetha 39

  Volksnahrung 145

  Vorhänge 102

  Vos, de 121


  W.

  Wachs 149

  Waffe 67

  Walang sangiet 114

  Wald 34

  Waldmensch 147

  Wannenbäder 123

  Wanzen 114

  Warangan 37

  Waringinbaum 101, 113

  Wärmeregulator 131

  Warubaum 101

  Wasser 19

     „   am Abort 120

     „   artesisches 21, 137

     „   des Lebens 163

  Wassermelone 74, 117

  Wau-Wau 4, 51, 65

  Wefers-Bethink 59

  Weibliche Aerzte 174

  Wein 26

  Weisser Fluss 120

  Werthscala eines Schädels 61

  Westmonsun 53

  Wildschweine 108, 159

  Windrichtung 34

  Wittwen der Dajaker 110

  Wittwenkleider 110

  Wohnungen aus Bambus 30

      „     der Dajaker 106

      „      „  Europäer 101

  Wolkensee 109

  Wrack, chinesisches 18

  Würfelspiel 211


  Y.

  Young 130


  Z.

  Zauberer 40, 107

  Zeugnisse 186

  Zibethkatze 39

  Ziegenmilch 117

  Ziehbrunnen 124

  Zimmt 9

  Zwiebeln 138



Im gleichen Verlage erschien u. A.:

Führer auf Java.

Ein Handbuch für Reisende.

Mit Berücksichtigung der socialen, commerziellen, industriellen und
naturgeschichtlichen Verhältnisse.

Von

L. F. M. Schulze.

-- Mit einer Eisenbahnkarte von Java. --

Preis: broch. 9 M., gebunden 10 M. 20 Pf.

[Illustration]



Fußnoten:


[1] Aber nicht für junge Mädchen, welchen die Ethnographie nur in
Fragmenten gelehrt werden darf.

[2] Der 2. Theil (Java) und der 3. Theil (Sumatra) werden
voraussichtlich binnen Jahresfrist erscheinen können.

                                                          Der Verleger.


[3] Dr. Posewitz theilt jedoch mit, dass S. O. Borneo im Jahre 1888
eine Grösse von 361653 Quadrat-Km. mit 646772 Einwohnern hatte.

[4] Die Ueberströmung (bandjir) mit „salzigem = mâsin“ Wasser ist auf
den flachen Küsten der Inseln des indischen Archipels eine so häufige
Erscheinung, dass sie nur gezwungen zur Erklärung des Namens dieser
Stadt gebraucht werden kann.

[5] Vide geologische Skizze von „Borneo“, Entdeckungsreisen u. s. w.
von Dr. Th. Posewitz.

[6] Auch auf der Insel Sumatra wird von der Existenz der
Schwanzmenschen gesprochen und beide Inseln -- sind die Heimath des
Orang Utang.

[7] Es wird aber auch von der Topographie des Ortes abhängen, welcher
Theil des Jahres die „gesunde“ und welcher die „ungesunde“ Jahreszeit
genannt werden müsse. Dies beweist Tjilatjap im Süden von Java. Während
gewöhnlich die Regenzeit die „gesunde Jahreszeit“ von Java genannt
wird, entstehen gerade in diesem Theile des Jahres in Tjilatjap jene
fürchterlichen Fieberepidemien, welche ob ihrer In- und Extensität
berüchtigt sind. Im Westen von Tjilatjap befinden sieh nämlich grosse
Sümpfe, deren Miasmen gerade zur Zeit des Westmonsuns von dem Winde
über Tjilatjap getragen werden.

[8] Er hatte ja, wie Jedermann in Holländisch-Indien, ein „guling“ (M),
d. i. einen cylinderförmigen Polster von ungefähr 90 cm Länge und 50 cm
Umfang, zwischen den Schenkeln, um bei der Seitenlage nicht durch die
eigene Körperwärme belästigt zu werden.

[9] Aphthae tropicae ist ihr wissenschaftlicher Name.

[10] Oder mit Quarzkrystallen.

[11] Vide: Letztes Capitel mit der Geschichte des Bandjermasing’schen
Reiches.

[12] Aus einem Vortrage, gehalten in der geographischen Gesellschaft zu
Wien im Jahre 1885.

[13] Die Europäer begraben in Indien ihre verstorbenen Angehörigen
schon innerhalb 24 Stunden.

[14] Das ist ein indisch-holländischer Ausdruck für den höchsten Grad
des „süssen Nichtsthun“.

[15] Zu der „indischen“ Toilette der Europäer gehören keine Schuhe,
sondern Pantoffeln, welche für die Damen oft in grosser Eleganz
verfertigt sind.

[16] Artocarpus integrifolia hat, wie die Palmen und Durian, Früchte,
welche grösser als der Kopf eines Mannes werden.

[17] In Bandong, 714 Meter über dem Meere, habe ich oft eine Temperatur
von 16-17° C. beobachtet.

[18] Ich muss mit Nachdruck bemerken, dass dieser Mann eine Ausnahme im
Corps der Beamten Indiens war, welche in jeder Hinsicht achtungswerthe
Männer sind.

[19] Tuwak wird aus den Blüthenkolben verschiedener Palmsorten gewonnen.

[20]

Eile Seele des Verstorbenen, besteige den Nebel, eile Seele des
Gefallenen, besteige das Wasser, wo der Mond verfinstert.


[21] Wie z. B. in dem neuen Spitale zu Magelang. Dort hat der Fussboden
der Aborte für die eingeborenen Soldaten eine steinerne Platte mit
einer grossen ovalen Oeffnung.

[22] Dieser war der Bruder und nicht der +Sohn+ des im Jahre 1852
verstorbenen Kronprinzen Abdul Rachmann.

[23] „Onrust“ = Unruhe.

[24] Sollte Bangkert diese Verhöhnung der holländischen Flagge nicht
gesehen haben?

[25] = Sei gegrüsst, Herr.

[26] Die +hohe+ Temperatur ist gewiss kein Hinderniss für die
Acclimatisation; denn auch bei einer Lufttemperatur von 40° im Schatten
hat der gesunde Mensch eine Körpertemperatur von ungefähr 37° C. Der
Mensch hat ja überall, in den Tropen wie in den Polargegenden, seinen
Wärmeregulator.

[27] Vide: 10. Capitel.

[28] In einzelnen Kreisen wird selbst zu viel gearbeitet; so z. B.
hielt im Jahre 1897 die grösste Handelsgesellschaft in Indien, in
Samarang, ihre Beamten von 9 Uhr Morgens bis 7, oft bis 7½ Uhr Abends
im Bureau!!

[29] Vide: De Geneesheer (Arzt) in N. Indië von Dr. C. L. van der Burg.

[30] Bei den „Halbeuropäern“ fallen oft, aber nicht immer, die stark
entwickelten Oberkiefer und Jochbeine auf, welche die malayische Rasse
charakterisiren; sie haben selten Kraushaar, und ihre Hautfarbe ist vom
zarten Weiss des Europäers bis zum Braun des Malayen in allen Nuancen
vertreten.

[31] = Cocosnuss.

[32] Ausser den bereits erwähnten Mineralien werden auf Borneo noch
gefunden: Antimon, Kupfer, Zinn, Zink, Schwefel, Porzellanerde, Kohle,
Salz und Platin.

[33] = Mekkapilger.

[34] Die erste Eisenbahn wird von Tabanio nach Bandjermasing ziehen
müssen und zwar erst dann, wenn der Handel =und= die Schifffahrt einen
solchen Aufschwung genommen haben werden, dass die Bank vor der Mündung
des Barituflusses für beide hinderlich werden sollte.

[35] = Kalanchoë laciniata.

[36] Dass man in den Furunkeln constant Bacterien (Staphylococci)
findet, kann an obigen Thatsachen eine Erklärung geben, aber sie nicht
ableugnen.

[37] Diese heissen: Bumbu, Pasir, Kutei, Berouw, Bulangan und Tidung
(an der Grenze von Saba).

[38] Auch die Berichte der Barmer Missionsgesellschaft enthalten
mitunter sehr interessante Details über das Leben der Dajaker.

[39] Siehe Seite 7.

[40] Vide 82. Band der Sitzb. d. K. Akad. der Wissenschaften Juliheft
1880.

[41] Vide 83. Band der Sitzb. d. K. Akad. der Wissenschaften Maiheft
1881.

[42] idem und Ichthyologische Beiträge X. von Hofrath Steindachner.

[43] Seit dem Schreiben dieser Abhandlung ist so manches besser
geworden; 1899.

[44] Ist im Jahre 1887 in Batavia bei Ernst & Comp. erschienen.

[45] Auf Borneo sind die Priester, Basirs genannt, ebenfalls Päderasten.

[46] Im Gegentheile zum nördlichen Theile und den Küstenbewohnern, die
häufig, besonders Frauen, des Erwerbes willen nach Sumatra (Lampong)
übergehen.

[47] Seit dem Jahre 1890 werden eingeborene Frauen von europäischen
Aerzten zu Hebammen abgerichtet.

[48] Seit dem Schreiben dieser Abhandlung ist so manches besser
geworden. 1892.

[49] Die männlichen Götzenbilder der Dajaker haben einen colossalen
Penis.

[50] Da Pollutionen nicht ansteckend sind, kann unter fluxum seminis
nur der Tripper verstanden werden. Auch ist es naheliegend, dass der
Schreiber des Leviticus Trippersecret mit Sperma verwechseln konnte.

[51] Pacificus +Maximus+ lebte von 1440-1500.

[52] Eine Frau that selbst eine 14 Tage-Reise, um mich zu consultiren
über den +Ausfall ihrer Haare+. Die gleichzeitige Phthisis war ihr
jedoch gleichgiltig.

[53] 0·5′ S. B.

[54] Als Mohammedaner unterliegen sie der Circumcision.

[55] Im Jahre 1896 befanden sich unter 17216 europäischen Soldaten 710
= 4·1% Syphilisfälle und unter 21284 eingeborenen Soldaten 179 = 0·8%
Luetiker.

[56] Im Jahre 1895 war die Zahl der +behandelten+ Europäer 34549 mit
710 = 2% und die der Eingeborenen 29781 mit 179 = 0·6 % Luetiker.

                                                         Der Verfasser.


[57] Seit dieser Zeit ist, wie vorige Note zeigt, auch die Zahl der
Syphilitischen kleiner geworden.

[58] In der Caserne wird gewöhnlich nur 1-2mal in der Woche das
Würfelspiel den Eingeborenen gestattet.

[59] Bibliotheken finden sich selbst in kleinen Garnisonen; wo
jedoch soll der Soldat lesen? Höchstens kann er dies zur officiellen
Schlafzeit zwischen ½2-3 Uhr Nachmittags.

[60] Besonders gilt dies von den Unterofficieren, von denen jeder ein
eigenes Zimmer hat.

[61] Die täglichen Bäder bestehen in Indien darin, dass man sich Wasser
über den Kopf schüttet wie auf den Schiffen.

[62] Auch hierin hat sich seit dem Jahre 1884 vieles zu seinem
Vortheile geändert.

                                                         Der Verfasser.


[63] Ist seitdem geschehen.

                                                         Der Verfasser.


[64] An der Ostküste Sumatras, gegenüber der Halbinsel Malakka.

[65] Die Dajaker leiden zwar an Ichthyosis, von der ich beinahe ⅓ der
hiesigen männlichen Bevölkerung behaftet sah. Die Krankheit ist jedoch
dort, wie hier in Europa, nicht durch Syphilis bedingt.

[66] M = gescheite.

[67] Darunter gehörten in erster Reihe die Durian (Durio zibethinus),
die Nonafrucht (Anona reticulata) und die Wurzel von Panax
quinquefolium.

[68] Ich meine damit natürlich nur die +damalige+ Militärmusik von
+Bandjermasing+.

[69] Wenn man die Grenzen des Alluvium und Diluvium des jetzigen
Borneos ins Auge fasst, verdient diese Sage den Rang eines historischen
Datums.

[70] Nur der Ethnograph, welcher sich von der Lehre der Abstammung der
Menschheit von +einem+ Menschenpaar emancipirt hat, wird diese Frage
endgiltig lösen können.



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