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Title: Deutsche Nordseeküste: Friesische Inseln und Helgoland.
Author: Haas, Hippolyt
Language: German
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*** Start of this LibraryBlog Digital Book "Deutsche Nordseeküste: Friesische Inseln und Helgoland." ***

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  | Anmerkungen zur Transkription                                    |
  |                                                                  |
  | Gesperrter Text ist als ¯gesperrt¯ dargestellt, Antiquaschrift   |
  | als ~Antiqua~.                                                   |
  | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs.       |
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                            Land und Leute


                       Monographien zur Erdkunde


                            Land und Leute

                       Monographien zur Erdkunde


            In Verbindung mit hervorragenden Fachgelehrten

                           herausgegeben von

                               A. Scobel


                                ~VIII.~



                         Deutsche Nordseeküste

                   Friesische Inseln und Helgoland.


                         Bielefeld und Leipzig

                     Verlag von Velhagen & Klasing

                                 1900



                               Deutsche
                             Nordseeküste

                   Friesische Inseln und Helgoland.


                                  Von


                        Professor ~Dr.~ H. Haas


         ¯Mit 166 Abbildungen nach photographischen Aufnahmen
                      und einer farbigen Karte.¯

                            [Illustration]


                         Bielefeld und Leipzig

                    ¯Verlag von Velhagen & Klasing¯
                                 1900


                      ¯Alle Rechte vorbehalten.¯


                Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.



Inhalt.


                                                                  Seite

     I. Allgemeines                                                   3

    II. Etwas von der Nordsee                                         5

   III. Geologisches                                                 17

    IV. Sturmfluten                                                  26

     V. Land und Leute                                               39

    VI. Geschichtliches                                              58

   VII. Von Husum nach Tondern und an die Grenze Jütlands            62

  VIII. Die nordfriesischen Inseln                                   74

    IX. Eiderstedt                                                   98

     X. Die schleswig-holsteinische Westküste von der Eider
        bis Hamburg-Altona                                          102

    XI. Hamburg-Altona                                              114

   XII. Helgoland                                                   129

  XIII. Die Marschlande am linken Elbufer                           137

   XIV. Das Geestland zwischen Unterelbe und Unterweser             142

    XV. Bremen und die Marschlande am rechten Ufer der Weser        147

   XVI. Das Küstengebiet Oldenburgs und Ostfrieslands.
        Die ostfriesischen Inseln                                   158

        *       *       *       *       *

        Litteratur                                                  172

        Register                                                    173


[Illustration: Abb. 1. ¯Helgoland. Unterland und die Düne.¯

(Nach einer Photographie von F. Schensky in Helgoland.)]


[Illustration: Abb. 2. ¯Strand von Wyk auf Föhr¯.

(Nach einer Photographie von Waldemar Lind in Wyk auf Föhr.)]



Deutsche Nordseeküste.


                        Thalatta, Thalatta!
                        Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!
                        Sei mir gegrüßt viel tausendmal
                        Aus jauchzendem Herzen,
                        Wie einst dich begrüßten
                        Zehntausend Griechenherzen,
                        Unglückbekämpfende, heimatverlangende,
                        Weltberühmte Griechenherzen.

                        Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer,
                        Wie Sprache der Heimat rauscht mir dein Wasser,
                        Wie Träume der Kindheit seh’ ich es flimmern
                        Auf deinem wogenden Wellengebiet. --

                                                          (H. ¯Heine¯.)



~I.~

Allgemeines.


Thalatta, Thalatta!

Gekannt hatte ich ihn zwar schon von meinen Schülerzeiten her, den
Freudenruf der Zehntausend, die nach langem Umherstreifen in der
Fremde den wogenden Ocean wieder erblicken durften. Gekannt wohl,
aber nachempfunden? Nein! Man wird’s wohl bei den Tertianern einer
Gelehrtenschule in einer weit von den Gestaden der See belegenen
Binnenstadt verzeihlich finden, daß ihnen das nötige Verständnis
für den Jubelschrei der griechischen Söldner und noch für sonstige
andere Schönheiten in des Xenophon Anabasis gemangelt hat. Das lag
so in der Natur der Sache, und die Gründe dafür mögen hier besser
nicht erörtert werden. Viele Jahre später aber, an einem hellen und
sonnigen Junimorgen, sollte mir dieses Verständnis für den Erlösungsruf
des umherirrenden Griechenvolkes desto gewaltiger aufgehen, und
sicherlich mit nicht geringerer Ergriffenheit, als des jüngeren Cyrus
Waffengefährten sie vor Zeiten hinausgeschmettert haben in die schöne
Gottesnatur, hat auch mein Mund damals die Worte hervorgestammelt:
„Thalatta, Thalatta!“

[Sidenote: Einleitung.]

Auf den Höhen des roten Kliffs bei Wenningstedt auf der Insel Sylt
ist’s gewesen, als ich zum erstenmal die brausende Nordsee erblickte
(Abb. 3). In meinem Leben habe ich viel Schönes gesehen und manches
herrliche Landschaftsbild im Norden und Süden, im Westen und Osten
bewundert. Nichts aber von dem allem hat mir jemals wieder einen so
großartigen Eindruck gemacht, nichts meine Sinne wieder in solchem
Maße gefangen genommen, als diese meine erste Bekanntschaft mit dem
brandenden und tosenden nordischen Meere. Noch ebenso lebendig, als ob
es gestern gewesen wäre, steht heute, nach mehr als zwanzig Jahren,
jenes herrliche Bild in meiner Erinnerung. Vor mir am Rande des steil
wie eine Mauer abfallenden Kliffs die stark bewegte, wild aufschäumende
See, zu meinen Füßen das lang dahingestreckte, wie ein Schild gegen den
unermeßlichen Ocean vorgeschobene Eiland mit seinen weiß schimmernden
Dünenketten, seinen freundlichen Dörfern und seiner braunen Heide,
im Norden die klargezeichnete Insel Röm, tief am südlichen Horizont
der Leuchtturm von Amrum und die Umrisse von Föhr, und hinter mir die
grauen, schlammigen Fluten des Wattenmeeres, begrenzt im fernen Osten
von der nur leicht angedeuteten Küstenlinie Schleswigs. Und das alles
beschienen von der warmen Sonne eines schönen nordischen Sommertages,
während um mich herum die Bienen summten und die Möven in den Lüften
umherflogen, fürwahr ein Bild, an dem sich mein schönheitstrunkenes
Auge nicht genugsam satt sehen konnte! Ganz im fernen Westen aber, auf
den Wellen schaukelnd und nicht größer als wie Nußschalen erscheinend,
die rauchenden und hochmastigen Panzerkolosse unserer zu jenen Zeiten
noch in ihren Kinderschuhen steckenden deutschen Flotte, die auf einer
Übungsfahrt in den heimischen Gewässern begriffen waren.

Nichts von der leuchtenden Farbenpracht, welche den blauen Spiegel
des Mittelmeeres verklärt, nichts von der Lieblichkeit und Anmut der
vom Schatten der Buchenwälder und vom schwellenden Grün der Wiesen
umrahmten Ostsee zeigen die Gestade des nordischen Meeres. Grau in
grau, nur selten unbewegt und meist gepeitscht von schäumenden Wellen
liegt es da. Keine großen Städte, keine üppigen Fluren spiegeln sich
in seinen Fluten, allein der von einer dünnen Grasnarbe bewachsene
Deich oder der blinkende weiße Sand der Dünen rahmen seine weiten
Ufer ein. Eine gewisse Öde und Einförmigkeit schwebt auf dem Wasser,
aber eine Öde und Einförmigkeit, welchen der Stempel der Erhabenheit
und Gewaltigkeit aufgeprägt ist. Wie ein überirdischer Schimmer,
wie ein mystischer Schleier liegt’s über dem Gebrüll und Getobe der
Nordseewellen. Freilich, die menschliche Sprache ist zu arm, um das in
Worten ausdrücken zu können, aber die Tonkunst vermag’s. Einer ihrer
größten Meister hat es fertig gebracht, den Zauber, den die Nordsee
auf ihren Beschauer ausübt, in Töne zu bannen: Richard Wagner in den
gespensterhaften Akkorden seiner Einleitung zum Fliegenden Holländer.
Ob sie mit ihrer wellendurchfurchten Fläche im Sonnenschein daliegt, ob
das scheidende Abendrot sie rosig erglühen läßt, oder ob aus schwarzer
Wolkenwand der zackige Wetterstrahl rasch aufleuchtet über das wüste,
wogende Wasser, wenn der Donner weithin rollt und des Boreas weiße
Wellenrosse dahinspringen, die Nordsee bleibt sich doch immer gleich
in ihrer eigenartigen Pracht, ein Abglanz der Unendlichkeit und der
Allmacht Dessen, der sie ins Dasein gerufen hat.

Goethe hat einmal gesagt: „Das freie Meer befreit den Geist.“ Wohl
auf wenige Stellen auf unserem Planeten dürfte dieses Wort bessere
Anwendung finden, als auf dasjenige Gebiet, dessen Beschreibung dieses
Büchlein gewidmet ist. Die Unbeugsamkeit und der Freiheitsdrang des
steifnackigen Friesenvolkes, das seine Wohnplätze an den Ufern der
Nordsee hat, sie sind zweifellos Produkte jenes fortgesetzten und
harten Kampfes, den es seit mehr denn zweitausend Jahren mit den wilden
Meeresfluten um seine Heimat führen mußte. Denn nur durch unausgesetzte
Anstrengungen sind die Bewohner der Nordseeküste im stande gewesen, das
ihnen von der Vorsehung angewiesene Land dem Meere abzugewinnen und
dasselbe vor dem Untergang zu bewahren.

                   ~Deus mare, Friso litora fecit~,

so lautet ein alter stolzer Spruch des friesischen Stammes. Seine
Richtigkeit werden wir im Verlaufe der nun folgenden Schilderungen
kennen lernen, zugleich aber auch die Wahrheit der Verse vom alten
Vater Homer:

             Denn nichts Schrecklicheres ist mir bekannt,
                     als die Schrecken des Meeres.

Ist doch die Nordsee zugleich auch eine Mordsee!



~II.~

Etwas von der Nordsee.


                                „Das Meer ist der Raum der Hoffnung
                                Und der Zufälle launisch Reich:
                                Wie der Wind mit Gedankensschnelle
                                Läuft um die ganze Windesrose,
                                Wechseln hier des Geschickes Lose,
                                Dreht das Glück seine Kugel um:
                                Auf den Wellen ist alles Welle,
                                Auf dem Meer ist kein Eigentum.“

                                                      (¯Schiller.¯)

[Sidenote: Grenzen der Nordsee.]

Unter allen Meeresräumen unserer Erde nimmt die Nordsee insofern eine
Ausnahmestellung ein, als ihre Grenzen genau so wie die politischen
Areale der civilisierten Welt auf diplomatischem Wege vereinbart
und festgesetzt sind. Das ist in dem internationalen Vertrage zu
Haag geschehen, der am 6. Mai 1882 von den sechs Nordseemächten:
Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und
Dänemark über die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee
außerhalb der Küstengewässer abgeschlossen wurde.

[Illustration: Abb. 3. ¯Rotes Kliff bei Wenningstedt.¯

(Nach einer Photographie von Bernh. Lassen in Westerland-Sylt.)]

Nach den Bestimmungen dieses Vertrages werden die Grenzen der Nordsee
gebildet:

im Norden: durch den 61. Grad nördl. Breite,

im Osten und im Süden:

 1. durch die norwegische Küste zwischen dem 61. Grade nördl. Breite
 und dem Leuchtturm von Lindesnäs (Norwegen),

 2. durch eine gerade Linie, die man sich von dem Leuchtturm von
 Lindesnäs (Norwegen) nach dem Leuchtturm von Hanstholm (Dänemark)
 gezogen denkt,

 3. durch die Küsten Dänemarks, Deutschlands, der Niederlande, Belgiens
 und Frankreichs bis zum Leuchtturm von Gris-Nez (Frankreich);

im Westen:

 1. durch eine gerade Linie, die man sich vom Leuchtturm von Gris-Nez
 (Frankreich) nach dem östlichen Feuer von South Foreland (England)
 gezogen denkt,

 2. durch die Ostküsten von England und Schottland,

 3. durch eine gerade Linie, welche Duncansby Head (Schottland) mit
 der Südspitze von South Ronaldsha (Orkneyinseln) verbindet,

 4. durch die Ostküsten der Orkneyinseln,

 5. durch eine gerade Linie, welche das Feuer von North Ronaldsha
 (Orkneyinseln) mit dem Feuer von Sumburgh Head (Shetlandinseln)
 verbindet,

 6. durch die Ostküsten der Shetlandinseln,

 7. durch den Meridian des Feuers von North Unst (Shetlandinseln) bis
 zum 61. Grad nördl. Breite.

[Illustration: Abb. 4. ¯Rettungsstation „Borkum Süd“.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

[Sidenote: Der deutsche Anteil an der Nordsee.]

Der deutsche Anteil der Nordseeküste gleicht in seiner Grundform einem
rechten Winkel, dessen Scheitel etwa bei Brunsbüttel an der Elbe zu
suchen ist, und dessen beide Schenkel gleiche Länge besitzen, und
einerseits bei Borkum, andererseits bei Hvidding in Nordschleswig
endigen. Ihr westlichster Punkt ist die Westspitze der äußersten
der ostfriesischen Inseln, des Eilands Borkum, der unter 6° 40′
östl. Länge und 53° 35′ nördl. Breite liegt, ihr nördlichster ist
da zu suchen, wo die deutsch-dänische Grenze zwischen dem dänischen
Grenzorte Vester-Vedstedt und dem deutschen Dorfe Endrup bei Hvidding
in Nordschleswig das Wattenmeer erreicht, und zwar unter 8° 40′
östl. Länge und 55° 17′ nördl. Breite. Der südlichste Punkt der
deutschen Nordseeküste ist zugleich der südlichste des deutschen
Dollartufers, da, wo die deutsche Westgrenze den Dollart erreicht, an
der Mündung des Grenzflüßchens zwischen Deutschland und Holland, der
Westerwoldschen Aa, und befindet sich unter 7° 13′ östl. Länge und 53°
14′ nördl. Breite. Als der östlichste Punkt präsentiert sich Meldorf in
Ditmarschen unter 9° 2′ östl. Länge und 54° 29′ nördl. Breite.

Zwei Inselguirlanden umsäumen das deutsche Nordseegestade, und auf
diese Weise entsteht eine Doppelküste, deren innerer Teil von der
eigentlichen Festlandsküste gebildet wird, während der äußere der
Inselküste mit der Westspitze von Borkum und der Nordspitze von Röm als
Eckpfeiler angehört.

[Illustration: Abb. 5. ¯Boot zu Wasser.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

Der nordsüdlich verlaufende Teil unseres Küstengebietes zeigt in
seiner nördlichen Hälfte drei Einbuchtungen, diejenige von Husum,
von Tönning und von Meldorf, denen die Halbinseln Eiderstedts, der
Landschaft Wesselburen und Dieksands entsprechen. Die Buchten des
Dollart und der Jade und die Mündungen der Weser und der Elbe gliedern
den ostwestlich verlaufenden Küstenteil.

[Sidenote: Gezeiten und Strömungen.]

Eine selbständige Flutwelle besitzt die Nordsee bekanntlich nicht,
sondern ihre Gezeitenbewegung erhält sie durch zwei aus dem
Atlantischen Ocean nördlich von Schottland und durch den Ärmelkanal
eintretende Flutwellen. So entstehen eine Anzahl von Strömungen, welche
die Gezeitenbewegungen an der Nordseeküste zu recht komplizierten
machen. Sechs Stunden braucht die Flutwelle, um von der britischen
Ostküste bis zu den nordfriesischen Inseln zu gelangen, sechs
Stunden lang läuft der Ebbestrom denselben Weg zurück. Wenn sich
der Meeresspiegel am Ostrande des Beckens hebt, sinkt er an dessen
Westrande, und umgekehrt.

An der dem offenen Meere zugewandten deutschen Nordseeküste schwankt
der Flutwechsel zwischen 2,5 und 3,5 Meter, und wird im Mittel als
3,3 Meter angenommen. Den höchsten Betrag zeigt Wilhelmshaven mit 3,5
Meter, dann folgen Geestemünde und Bremerhaven mit 3,3 Meter, Brake mit
3 Meter, Emden mit 2,8 Meter, Borkum und Wangeroog mit 2,5 Meter u.
s. f. Das Minimum aller unmittelbar am Meere gelegenen deutschen Orte
weist Helgoland aus, 2,8 Meter zur Springzeit, 1,8 Meter zur Nippzeit.

[Illustration: Abb. 6. ¯Versandetes Wrack.¯]

Von den Gezeiten unabhängige, also selbständige Strömungen sind
nur in demjenigen Teile der Nordsee vorhanden, in welchem die
Gezeitenerscheinungen nahezu verschwinden, kommen also für unser
Küstengebiet nicht in Betracht. In den geringen Tiefen der Nordsee, wo
die Wellenbewegung sich bis auf den Grund fortpflanzt, vermögen die
Windströmungen die ganze Wassermasse in Bewegung zu setzen. Sobald aber
der Wind wieder aufhört, müssen auch diese ganzen Wallungen derselben
wieder verschwinden. Von der Erregung beständiger Strömungen in der
mittleren Windesrichtung kann in der Nordsee keine Rede sein. Dagegen
bedingt die Gestaltung der Küsten Veränderungen des Meeresniveaus,
sobald der Wind das Wasser vor sich hertreibt, und dieser Windstau gibt
dann zu Strömungen Veranlassung, welche noch andauern können, wenn sich
die Windrichtung bereits geändert hat.

[Sidenote: Sturmfluten.]

Zu den charakteristischen Erscheinungen der Nordsee gehören
die Sturmfluten, die dann eintreten, wenn auf einen starken und
anhaltenden Südweststurm, der das Wasser durch den Kanal in die Nordsee
gepreßt hat, plötzlich ein Nordweststurm folgt, der die vereinigten
Wassermassen gegen die deutschen Küsten treibt. Vernichtende Wirkungen
von grausiger Art, beträchtliche Verluste an Land und Menschenleben
haben diese Sturmfluten zuweilen hervorgebracht, wenn auch diese
Verheerungen von der Sage manchmal ins Maßlose und Ungeheuerliche
übertrieben worden sind. An den Küsten, und besonders an deren sich
verengenden Winkeln und Buchten steigt die Flut dann am höchsten. Nach
den von Eilker angestellten Untersuchungen fällt die Mehrzahl der
sämtlichen Sturmfluten, von denen man bisher überhaupt Kunde erhalten
hat, in den Monat November, etwa ein Viertel der Gesamtsumme! Dann
folgen Januar, Dezember und Oktober, die geringste Zahl zeigen Juni und
Juli. Auf die sechs Wintermonate Oktober bis März kommt eine fünfmal
größere Zahl schwererer Sturmfluten, als auf die Sommermonate. Das
wird erklärlich, wenn man bedenkt, daß es heftige Stürme, förmliche
Orkane sind, welche diese Katastrophen herbeiführen. Ungewöhnlich
heftige Stürme und Orkane sind aber weiter nichts, als abnorme
Gleichgewichtsstörungen des Luftmeeres, und die an unserer Nordseeküste
gemachten Beobachtungen zeigen, daß gerade in den Wintermonaten die
extremsten Barometerschwankungen vorkommen. Unser Gebiet ist in dem
Zeitraum von 1500–1800 durchschnittlich von 50 schweren Sturmfluten in
jedem Jahrhundert heimgesucht worden.

[Illustration: Abb. 7. ¯Postfahrt durch das Wattenmeer im Sommer.¯]

Weiter oben ist bereits betont worden, daß die Überlieferungen von
den durch diese Katastrophen hervorgerufenen Verheerungen in vielen
Dingen zuweilen gar sehr übertrieben sind. Ganz besonders gilt dies von
den Chronisten des Mittelalters, deren Zahl keine geringe ist. Ihre
Erzählungen bedürften daher erst einer recht gründlichen kritischen
Sichtung, bevor man dieselben als Grundlagen für eine Gesamtdarstellung
der Sturmfluten an unserer Nordseeküste benutzen könnte. Für
Nordfriesland ist das durch die schönen Untersuchungen Reimer Hansens
geschehen, und es soll deshalb in einem der folgenden Abschnitte ein
kurzer Überblick über die hier in Frage kommenden Ereignisse an der
schleswig-holsteinischen Meeresküste mit eingehender Berücksichtigung
der soeben angeführten Forschungen gegeben werden.

[Sidenote: Temperatur.]

Die Temperatur an der Wasseroberfläche der Nordsee folgt der
Temperatur der Luft, unter Abstumpfung der Extreme, wegen der
großen Wärmeabsorption des Wassers. Die Temperaturschwankungen des
Oberflächenwassers sind in der Nähe des offenen Oceans am geringsten,
da, wo das Wasser vom Lande eingeschlossen ist, am größten, und das
Maximum der Temperatur fällt in die Mitte August, das Minimum in
die erste Hälfte des Monats März. Mit zunehmender Tiefe nehmen die
Temperaturschwankungen des Wassers ab.

[Sidenote: Salzgehalt der Nordsee.]

Die Schwankungen des Salzgehalts im Nordseewasser sind weniger groß
und weniger ungleichmäßig als die der Lufttemperatur folgenden
Wassertemperaturen. Im nördlichen tiefen Teil der Nordsee treffen wir
das schwerste, salzigste Wasser an, mit 3,56–3,52% Salzgehalt.

Als dem Nordseewasser in seinem mittleren, von fremden Zuflüssen
wenig berührten Becken zukommend kann ein Salzgehalt von 3,52–3,48%
gelten. In der deutschen Bucht erleidet das Seewasser durch die
Zuflüsse der deutschen Ströme eine Verdünnung, die sich sehr weit
bemerkbar macht. Das Maximum der Dichtigkeit fällt hier in den
Sommer und Herbst, das Minimum in den Winter und in das Frühjahr,
entsprechend den schwankenden Wassermengen, welche von den Flüssen
abgeführt werden. Für die Zeit vom November bis einschließlich April
betragen die Abflußmengen der Elbe und Weser mehr als das Doppelte
(1 : 0,45) derjenigen für die Sommerzeit vom Mai bis Oktober. Die Weser
erreicht im Februar, die Elbe im März ihren höchsten, beide Flüsse im
September ihren niedrigsten Wasserstand. Für die Weser verhält sich die
Abflußmenge des wasserärmsten Monats zu der des wasserreichsten (bei
Minden) wie 1 : 4, für die Elbe (bei Torgau) wie 1 : 5,2.

[Illustration: Abb. 8. ¯Postfahrt durch das Wattenmeer im Winter (von
Dagebüll nach Föhr).¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

Folgende Jahreszeitenmittel des Salzgehaltes an der Oberfläche des
Nordseewassers sind in den Jahren 1874–1876 festgestellt worden:

  =====================================================================
  Beobachtungsort         | Winter | Frühling | Sommer | Herbst | Jahr
  ========================+========+==========+========+========+======
  Borkum (Feuerschiff)    |  3,25  |   3,25   |  3,28  |  3,31  | 3,28
  Weser (Außenfeuerschiff)|  3,46  |   3,31   |  3,28  |  3,35  | 3,35
  Helgoland               |  3,42  |   3,29   |  3,26  |  3,41  | 3,34
  List auf Sylt           |  2,97  |   3,03   |  3,24  |  3,08  | 3,08

Nach den Mitteilungen von Arends enthalten 7680 Teile Nordseewasser:

  Chlornatrium             197,5   Teile
  Chlormagnesium            28,362   "
  Chlorkalium                4,446   "
  Schwefelsaure Talkerde    10,2     "
  Schwefelsaure Kalkerde     4,926   "
  Kieselerde                 0,782   "

Nach Pfaff zerfällt der Salzgehalt des Nordseewassers, zu 3,44%
angenommen, in:

  Chlornatrium              74,20 Teile
  Chlormagnesium            11,04   "
  Chlorkalium                3,80   "
  Bromnatrium                1,09   "
  Schwefelsaurer Kalk        4,72   "
  Schwefelsaure Magnesia     5,15   "

Der starke Salzgehalt und die hohe Temperatur ihres Wassers lassen
ein Zufrieren der Nordsee auf hoher See niemals zu. Dagegen sind
Eisbildungen an den Küsten und im Wattenmeer nicht selten; wir werden
noch im folgenden Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen. Unsere Abb.
7 u. 8 veranschaulichen die besonders im Winter erhöhte Schwierigkeit
des Verkehrs im Wattenmeer.

[Illustration: Abb. 9. ¯Eine Hallig bei Sturmflut.¯]

[Sidenote: Deutsche Nordseeschiffahrt.]

Bezüglich der dem deutschen Küstengebiete der Nordsee zugehörigen
Schiffe mögen hier einige genaue Mitteilungen gemacht werden. Dieselben
sind der Statistik des Deutschen Reiches entnommen und gelten für
den 1. Januar 1897. An diesem Tage waren in den Häfen des gesamten
deutschen Nordseegebietes beheimatet:

        2043  Segler  mit    550258 Registertonnen
                                    br. Rauminh.

         737  Dampfer  "    1200348 Registertonnen
                                    br. Rauminh.
  ------------------------------------------------
  Zus.: 2780 Seeschiffe mit 1750606 Registertonnen
                                    br. Rauminh.

Auf die einzelnen Teile der Nordseeküste verteilen sich diese Zahlen
wie folgt:

Nordseeküste Schleswig-Holsteins:

        383 Segler mit  16985 Rt. br.
         29 Dampfer "   10608  "   "
  -----------------------------------
  Zus.: 412 Schiffe mit 27593 Rt. br.

Hamburg und die zu diesem Freistaat gehörigen Häfen:

        430 Segler mit  205842 Rt. br.
        388 Dampfer "   764146  "   "
  ------------------------------------
  Zus.: 818 Schiffe mit 969988 Rt. br.

Provinz Hannover, u. zw. Elbe- und Wesergebiet:

        422 Segler mit  17843 Rt. br.
         51 Dampfer "   30468  "   "
  -----------------------------------
  Zus.: 473 Schiffe mit 48311 Rt. br.

Freie Stadt Bremen:

        221 Segler mit  199982 Rt. br.
        218 Dampfer "   369072  "   "
  ------------------------------------
  Zus.: 439 Schiffe mit 569054 Rt. br.

Großherzogtum Oldenburg:

        219 Segler mit  78063 Rt. br.
         19 Dampfer "   11303  "   "
  -----------------------------------
  Zus.: 238 Schiffe mit 89366 Rt. br.

Provinz Hannover, u. zw. Emsgebiet und Regierungsbezirk Aurich:

        365 Segler mit  31010 Rt. br.
         23 Dampfer "    3305  "   "
  -----------------------------------
  Zus.: 388 Schiffe mit 34315 Rt. br.

[Illustration: Abb. 10. ¯Eine Halligwerft nahe vor dem Einsturz
(Langeneß).¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

[Sidenote: Schiffsunfälle.]

In betreff der Schiffsunfälle, welche etwa durchschnittlich in
Jahresfrist auf der 295 Seemeilen langen Küstenstrecke des deutschen
Nordseegebietes stattfinden, geben die Mitteilungen des kaiserlichen
statistischen Amtes ebenfalls interessante Aufschlüsse.

Die Aufstellung für das Jahr 1896 weist aus:

             51 Strandungen,
              7 Kentern,
              5 Sinken,
             65 Kollisionen,
             37 andere Unfälle.
        ----------
  Zusammen: 165 Unfälle.

Der Verlust an Schiffen betrug 31, Verluste an Menschenleben werden 22
verzeichnet.

Diese Zahlen beziehen sich natürlich nicht nur auf deutsche Schiffe
allein, sondern auch auf solche anderer seefahrender Nationen, also
auf sämtliche Schiffsunfälle an der deutschen Nordseeküste überhaupt.
Betrachten wir die Verunglückungen, die nur deutsche Schiffe betroffen
haben, so finden wir in der Statistik für das Jahr 1896 folgende Daten:

Der Gesamtverlust an deutschen Schiffen in sämtlichen Meeren dieser
Erde zusammen betrug 79. Darunter befanden sich 35 Strandungen und 10
verschollene Schiffe.

[Illustration: Abb. 11. ¯Grab Theodor Storms in Husum.¯

(Nach einer Photographie von Hans Breuer in Hamburg.)]

Auf das Gebiet der Nordsee mit dem Skagerak fallen hiervon: 28
Schiffe mit 36 verlorenen Menschenleben, auf dasjenige der Ostsee,
einschließlich der Belte, des Sundes und des Kattegats: 20 Schiffe mit
20 verlorenen Menschenleben!

Auch in Bezug auf die Verluste an Schiffen und Menschenleben, mit
welchen die Schiffsunfälle verbunden waren, steht das deutsche
Nordseegebiet dem Ostseegebiet im Verhältnis zu seiner Küstenlänge
bedeutend voran. Besonders stark ist dort der Verlust an Schiffen und
Menschenleben im Küstengebiet zwischen Eider und Elbe mit den Mündungen
und Gebieten dieser Flüsse, an welch letzterem Küstenteile sich
zugleich der stärkste Verlust an Menschenleben zeigt. Ziemlich groß
ist auch die Zahl der verlorenen Schiffe an der Küste von Ostfriesland
mit den ostfriesischen Inseln nebst dem Dollart und dem Emsgebiet bis
Papenburg, dann im Mündungsgebiet der Weser und Jade, und schließlich
an der Westküste von Schleswig-Holstein von der dänischen Grenze bis
zur Eidermündung mit den dazu gehörigen Inseln.

Untersucht man das Verhältnis der Totalverluste zur Gesamtzahl der
von Unfällen betroffenen Schiffe, so war im Jahre 1896 die Strecke
zwischen der dänischen Grenze und der Eidermündung die verlustreichste.
Ihr stand an Gefährlichkeit am nächsten die Küstenstrecke zwischen
Wangeroog und der niederländischen Grenze. Dann folgt das
Mündungsgebiet der Weser und Jade. Der verhältnismäßig geringste
Verlust entfiel auf die Westküste Schleswig-Holsteins zwischen Eider
und Elbe.

[Sidenote: Deutsche Hochseefischerei.]

Es wäre nicht angängig, von der deutschen Schiffahrt in der Nordsee
zu sprechen, ohne nicht auch etwas der im blühenden Aufschwunge
begriffenen deutschen Hochseefischerei zu gedenken. Am 1. Januar 1898
betrug die im Dienste der deutschen Hochseefischerei stehende Flotte
der Nordsee:

563 Fahrzeuge mit 94898 ~cbm~ Raumgehalt und 3503 Mann Besatzung.
Darunter waren 117 Dampfer mit 48027 ~cbm~ Raumgehalt und 1185 Mann
Besatzung.

Der Wert der Hochseefischereifahrzeuge im deutschen Nordseegebiet und
ihrer Ausrüstung, unter Abrechnung von 10–25% vom Anschaffungswert
betrug für 1897 etwa 12660000 Mark. Heute kann man nach der Begründung
großer Gesellschaften für Hochseefischerei in den Jahren 1897 und 1898
jedoch einen wesentlich höheren Kapitalsanlagewert annehmen.

Zu den Zeiten der alten Hansa beherrschte Deutschland in Wisby, Bergen,
Schonen und vor allem in Island den Fischmarkt. Dann aber wurden die
deutschen Fischer und Händler überall von den Engländern und Schotten,
Franzosen, Holländern, Skandinaviern und Dänen zurückgedrängt. Vor
achtzig Jahren machte man in Bremen nach langer Zeit wieder einen
Versuch, die Heringsfischerei neu zu beleben, doch konnte sich die zu
diesem Behufe gegründete Aktiengesellschaft nicht lange halten, weil
der Zoll für deutsche Heringe höher war als derjenige für holländische,
und so ging das Unternehmen wieder ein. Später und besonders in den
vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts wurde dann von Bremen
aus ein lebhafter Walfischfang sowohl im nördlichen wie im südlichen
Eismeer betrieben.

[Illustration: Abb. 12. ¯Hafen von Tönning.¯

(Nach einer Photographie von Hans Breuer in Hamburg.)]

[Sidenote: Hochseefischerei.]

Im Jahre 1866 erwachte in weiteren Kreisen der Nation auch wieder
der Sinn für die Förderung der deutschen Seefischerei, und zu Beginn
der siebziger Jahre war bereits in Blankenese und Finkenwerder eine
nennenswerte Hochseefischerei im Betrieb, welche über 139 kleine Segler
mit 437 Mann Besatzung verfügen konnte und, je nach der Güte des
Jahres, Erträgnisse von 100000 bis 250000 Mark aufwies. Der eigentliche
Aufschwung der deutschen Hochseefischerei stammt jedoch erst aus
dem Ende des neunten Jahrzehnts. Wie groß dieselbe für das deutsche
Nordseegebiet zur Stunde schon geworden ist, das haben wir weiter oben
schon gesagt.

Bedeutende kapitalistische Hochseefischereiunternehmungen der
neueren Zeit sind die Aktiengesellschaft Nordsee in Nordenham, die
mit 26 Dampfern und drei Millionen Mark Kapital Fischfang betreibt,
sodann eine große Herings- und Hochseefischereigesellschaft in
Geestemünde, welche den Heringsfang mit zehn Dampfloggern statt mit
Segelloggern betreibt, ferner neue Heringsfischereigesellschaften in
Emden, in Vegesack, in Elsfleth und in Glückstadt. Man hofft, damit
der großen Einfuhr von Heringen aus dem Auslande eine erfolgreiche
Konkurrenz bieten und die hohen Geldsummen, welche für dieses wichtige
Volksnahrungsmittel fremden Nationen zufließen, dem Reiche erhalten zu
können, namentlich wenn entsprechende Zollveränderungen durchgeführt
würden. Im Zeitraum von fünf Jahren hat Deutschland nicht weniger als
355 Millionen Mark für eingeführte frische und zubereitete Seefische an
das Ausland bezahlt, darunter für Salzheringe und frische Fische, meist
sogenannte grüne Heringe, 330 Millionen Mark!

[Illustration: Abb. 13. ¯Kirkeby auf Röm.¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

[Illustration: Abb. 14. ¯Die Blockhäuser des Seebades Lakolk auf Röm.¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

Die Fischkutter der verschiedenen Hochseefischereigesellschaften
gehen in der Regel als Flottillen von zwanzig, dreißig und noch mehr
Schiffen in See. Die Dampfer sind etwa 31 Meter lang, besitzen 150
Tonnen Rauminhalt und Maschinen von 259 Pferdekräften. Etwa acht Tage
bleiben die Fahrzeuge in der Regel dem Heimathafen fern, und es kommt
vor, daß ein solcher Dampfer 30000 Kilogramm und noch mehr Fische an
den Markt bringt. Sie sind bestrebt, am Sonntag zurück zu sein, Montag
und Dienstag findet alsdann die Versendung der gefangenen Fische statt,
um vor Freitag, dem Haupttage für den Fischgenuß, die gesamte Beute auf
die Märkte zu schaffen.

[Illustration: Abb. 15. ¯Mädchen in Römer Tracht.¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

Mangelnder Absatz hat ursprünglich die gedeihliche Entwickelung des
Fischhandels gehemmt, so daß der Verbrauch von frischen Seefischen
eigentlich nur auf die Küstenstriche beschränkt gewesen ist. Erst
die fortschreitende Organisation des Fischhandels, besonders
vermittelst großer Fischauktionen in Hamburg, Altona, Geestemünde und
Bremerhaven, der verbesserte, mit praktischen neuen Verpackungs- und
Kühlvorrichtungen versehene Transportdienst der Fische ins Binnenland
u. dergl. Dinge mehr konnten die Fortentwickelung unseres Fischhandels
in gedeihlicher Weise fördern, so daß im Jahre 1896 die Bruttoerträge
der deutschen Hochseefischerei in der Nordsee bereits zehn Millionen
Mark erreichten. Der dauernd steigende Umsatz der Fischauktionen betrug
im Jahre 1898:

  in Hamburg        1295139 Mark,
  in Altona         1993632  "
  in Geestemünde    3459908  "
  in Bremerhaven     729946  "

was an diesen vier Plätzen einem Gesamtumsatz von 7478625 Mark
entspricht, gegenüber 6938902 Mark im Vorjahre. Doch ist hier zu
bemerken, daß den Auktionsmärkten auch von ausländischen Fischereien
und Fischern Waren zugeführt werden. Dagegen aber ist in der
Gesamtsumme ein fünfter Fischmarkt, Nordenham, nicht verzeichnet, wo
Auktionen nicht stattfinden, der aber jährlich für mindestens 1500000
Mark Fische anbringen dürfte.

Sowohl das Reich, als auch dessen dabei interessierte Einzelstaaten
suchen die Seefischerei in Deutschland nach Kräften zu fördern, wobei
der Deutsche Seefischereiverein wirksame Unterstützung bietet. Von
Reichs wegen werden gegenwärtig 400000 Mark im Jahre für diese Zwecke
aufgewendet, abgesehen von verschiedenen wissenschaftlichen Forschungen
und Unternehmungen, die aus dem Reichssäckel bezahlt werden und der
Erweiterung unserer Gesamtkenntnisse von der Tiefsee, also damit auch
den Fischverhältnissen dienen (Plankton- und Valdiviaexpedition).

[Illustration: Abb. 16. ¯Strand von Sylt zur Zeit der Flut.¯]

Die deutsche Hochseefischerei wird bekanntlich alle Jahre von
einem Kreuzer der Kaiserlichen Marine überwacht. An Bord desselben
war in den jüngstverflossenen Jahren eine Fischereischule
eingerichtet, in der eine Anzahl von Berufsfischern -- 1897 waren
es deren 14 -- durch einen besonders ausgebildeten Offizier und
einen Arzt Unterricht in Navigation, über Wissenswertes aus ihrem
Gewerbe und über den menschlichen Körper nebst Anleitung für das
Verhalten bei Unglücksfällen erhielten. Dieser Kreuzer dient
zugleich als Sanitätswache für die Fischer, und er hilft auch den
Fischereifahrzeugen, die bei schwerem Wetter in Seenot wrack geworden
sind. Für den allgemeinen Reiseplan dieser Marinefahrzeuge sind die
Wünsche des Deutschen Seefischervereins angehört worden.

Vom 29. März bis zum 18. November 1898 versah die „Olga“ den
Schutzdienst der Nordseefischerei; 1899 haben „Zieten“ und „Blitz“
diese Arbeit besorgt.

  Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
  Wie Orgelton und Glockenklang!

[Sidenote: Rettungsstationen.]

Wer müßte nicht an Bürgers Verse denken, wenn er der Rettungsstationen
der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ansichtig
wird, die, 116 an der Zahl, allenthalben an der deutschen Meeresküste
verbreitet sind. 51 davon sind sog. Doppelstationen, mit Boot und mit
Raketenapparat ausgerüstet, 49 Boots-, 16 Raketenstationen. 44 dieser
Stationen entfallen auf das Gebiet der deutschen Nordseeküste, 72 auf
das Gelände an der Ostsee. Seit der Begründung der Gesellschaft im
Jahre 1865 sind 2510 Menschenleben durch ihre Stationen und Geräte
dem grausigen Tod in den Fluten entrissen worden, und zwar 2169
Personen in 388 Strandungsfällen durch Boote und 341 Menschen in 75
Strandungsfällen durch die Raketenapparate. Allein im Jahre 1898–1899
wurden auf solche Weise 96 brave Seeleute vor dem Untergang bewahrt
(Abb. 4 u. 5).

Aus dem gesamten deutschen Vaterlande fließen diesem Unternehmen
warmer Nächstenliebe milde Gaben zu, und ein über das ganze Reich
ausgespanntes Netz von Vereinigungen ist thätig, um diese Hilfsquellen
nicht versiegen zu lassen, deren Totalbetrag im Rechnungsjahre
1898/1899 151064 Mark 62 Pfennige betrug, wozu noch 87107 Mark 81
Pfennige außerordentlicher Einnahmen hinzukamen, so daß sich die
Gesamtsumme der Einnahmen in der besagten Zeit, incl. der Zinsen
von belegten Kapitalien, auf 301714 Mark 20 Pfennige belaufen hat,
denen 199846 Mark 32 Pfennige Ausgaben gegenüber standen. Seit ihrer
Begründung, also in den verflossenen 35 Jahren, hat die Gesellschaft
4674254 Mark 37 Pfennige für ihre edlen Zwecke verausgabt.

Freilich, neben diesen Aufwendungen an klingender Münze hat es noch
ganz anderer an Aufopferung und kühnem Mute von seiten der Männer von
der Waterkante bedurft, die furchtlos ihr Leben einzusetzen gewohnt
sind, wenn es gilt, die armen Schiffbrüchigen aus schwerer Todesnot zu
erretten. Aber diese Dinge lassen sich ja nicht in gemünztes Gold und
Silber umwerten!

[Illustration: Abb. 17. ¯Westerland auf Sylt.¯ (Nach einer Photographie
von Bernh. Lassen in Westerland-Sylt.)]



~III.~

Geologisches.


„Wie viele der Reisenden, die die Nordsee auf den großen Post- und
Passagierrouten kreuzten, mögen sich wohl gefragt haben, wie lange
diese merkwürdige See schon existiere, d. h. wann die jetzt von ihren
Wogen überspülte Fläche sich so weit gesenkt habe, daß sie so viel
niedriger liegt, als ihre Umgebung?“ So fragt der bekannte Kieler
Geograph und Oceanograph Otto Krümmel in einem kleinen Aufsatz über die
geographische Entwickelung der Nordsee, aus dessen reichem Inhalte wir
hier Verschiedenes schöpfen wollen.

[Sidenote: Tiefe der Nordsee. Urgeschichte der Nordsee.]

Die Nordsee ist ein sehr seichtes Gewässer -- sie besitzt nur eine
durchschnittliche Tiefe von 89 Metern --, und eine Hebung des Bodens
um hundert Meter würde völlig genügen, ihren ganzen südlichen Teil in
trockenes Land umzuwandeln, das dann England, Dänemark und Holland
verbände. Nun ist wohl kaum eine Stelle auf unserem Erdballe vorhanden,
welche, wenn sie heute vom Ocean überspült wird, im Verlaufe der Äonen
nicht auch einmal festes Land gewesen wäre, und umgekehrt. Das ist
so auch mit dem von der Nordsee der Gegenwart eingenommenen Areale
der Fall gewesen. Während der cretaceischen Periode zog sich wohl
ein ziemlich tiefes Meer vom Atlantischen Ocean her über Frankreich,
die Britischen Inseln, die Nordsee, das südliche Skandinavien und
die baltischen Gebiete hin, dessen Absätze -- die Kreideschichten --
hier überall bekannt sind. Mit Beginn der Tertiärzeit war das Bild
wohl schon ein etwas anderes. Der Norden unseres Gebietes war zum
größeren Teil Festland, das von Skandinavien nach Schottland und von
dort über die Britischen Inseln nach Frankreich herüberreichte und ein
flaches, von sumpfigen Küsten umgebenes Meer über dem jetzigen unteren
Themsengebiete, der südlichen Nordsee und Belgien im Norden und Westen
abschloß. Im nördlichen Teile des Landes erhoben sich mächtige Gebirge
und Hochländer, Vulkane rauchten dort, und große Flüsse strömten dem
Meere zu. Etwas später, zur Zeit als die Londonthone abgesetzt wurden,
griff dieses flache Binnenmeer nach Nordwesten hinüber, und am Ende
des Eocäns stand es auch durch Flandern, Nordfrankreich und die Gegend
des jetzigen Ärmelkanals durch einen schmalen Zugang mit dem damaligen
Atlantischen Ocean in Verbindung.

[Illustration: Abb. 18. ¯Kurhaus in Westerland.¯

(Nach einer Photographie von Bernh. Lassen in Westerland-Sylt.)]

Wiederum verschieden gestalteten sich die Verhältnisse während des
Oligocäns, indem sich wieder ein Abschluß in Gestalt eines Isthmus von
Dover nach Flandern und den Ardennen hinüber gebildet hatte, welcher
die holländisch-ostenglische Bucht dieses Oligocänmeeres von einem
Golfe des Atlantischen Oceans trennte.

Von nun an beginnt eine allmähliche allgemeine Trockenlegung
unseres Areals, und gegen Schluß der Miocänzeit griff das miocäne
Meer nur noch durch einen verhältnismäßig schmalen Arm über Belgien,
Schleswig-Holstein und Hannover bis in das baltische Gebiet hinüber,
ohne jedoch den Osten Deutschlands und Skandinavien noch zu erreichen.
Jukes-Browne ist der Ansicht, daß sich damals auch die bekannte tiefe
Rinne ausgebildet habe, welche die Uferlinien Norwegens gegen die
jetzige Nordsee abgrenzt und dem Skagerrak so erhebliche Tiefe gibt.
Sie soll zu jener Zeit das breite Thal eines großen, aus den baltischen
Landflächen hier den Weg ins Nordmeer sich suchenden und mit der
fortschreitenden Hebung des Landes sich immer tiefer einschneidenden
Riesenflusses gewesen sein.

In der Pliocänzeit war im anglo-belgischen Gebiete wiederum Meer,
das im Westen durch das Festland begrenzt wurde, welches sich noch
ungebrochen von England nach Frankreich hinüberzog. Die damals
abgelagerten Diesterschichten enthalten eine große Überzahl von
mediterranen Fossilien; von 250 Arten haben 205 unzweifelhaft ihre
Hauptverbreitung in den südeuropäischen Gebieten, und 51 davon sind
noch im heutigen Mittelmeer lebend zu finden. Doch reichte dieser Golf
wärmeren Wassers sicherlich nicht weit nach Norden, wo noch das alte
schottisch-skandinavisch-baltische Festland eine gewaltige Schranke
gegen das Nordmeer hin bildete. Dieses Festland genoß lange Zeit
hindurch ein warmes und feuchtes Klima, unter dessen Einwirkung die
Gesteine seiner Oberfläche zu lateritischem Detritus verwitterten. Und
aus diesem dürfte wiederum das Material zu den tertiären marinen und
vielleicht auch noch andersgestaltigen Ablagerungen in dem hier in
Frage kommenden Areale genommen worden sein.

[Illustration: Abb. 19. ¯Friedhof für Heimatlose.¯

(Nach einer Photographie von Bernh. Lassen in Westerland-Sylt.)]

Noch in die Pliocänzeit hinein fallen wohl die großartigen
Bodenbewegungen, welche den völligen Zusammenbruch dieses soeben
erwähnten, Schottland mit Skandinavien und Finland verbindenden
Festlandes zur Folge hatten und auch einen sehr großen, wenn nicht gar
den allergrößten Teil des heutigen Norddeutschlands in Mitleidenschaft
gezogen haben. Dadurch trat eine Verbindung mit dem nördlichen Ocean
ein, und es entstand ein Meeresgebilde, das unserer heutigen Nordsee
in vielem wohl schon recht ähnlich gesehen haben mag, doch noch etwas
kleiner war, als diese. Die Shetlandsinseln waren damals noch mit
Schottland landfest, die Ostküste Englands reichte etwa 100 Kilometer
weiter nach Osten, dagegen waren wieder die östlichen Teile von
Norfolk und Suffolk vom Meere bedeckt, ebenso auch Belgien, das untere
Rheingebiet, die Küste Ostfrieslands, jedenfalls aber nicht viel mehr
vom schleswig-holsteinischen Lande. Der Süden Englands war noch im
landfesten Zusammenhang mit Frankreich. Diese erste, pliocäne Nordsee
hatte also die Gestalt eines allein nach Norden zum arktischen Gebiet
hin geöffneten Golfes. Groß wurde ihr Alter jedoch nicht. Schon am
Schlusse der Pliocänzeit wurde der belgisch-niederländische Teil wieder
trockenes Land, vielleicht zugebaut von den Anschwemmungen des Rheines,
der damals, wie aus seinen Schottern und Ablagerungen im sogenannten
Cromer-forest hervorgeht, an der Küste Nordenglands nach Norden strömte
und die Themse als linken Nebenfluß aufnahm, um irgendwo in der Höhe
von Norfolk in einer see- und sumpfreichen Deltalandschaft zu münden.

[Illustration: Abb. 20. ¯Leuchtturm bei Kampen.¯

(Nach einer Photographie von Bernh. Lassen in Westerland-Sylt.)]

Dann kam die Eiszeit. Mächtige Eisströme zogen von Skandinavien her
über die wieder ganz festländisch gewordene Nordsee, überall ihren
Moränenschutt ausbreitend. Und als diese Kälteperiode auch zum Abschluß
gelangte und die gewaltigen Eismassen zum Schmelzen gebracht worden
waren, lag an der Stelle der heutigen Nordsee wiederum ein ausgedehntes
Festland. Ein milderes Klima herrschte über dieses von Mitteleuropa
aus überall zugängliche Gebiet, und die Vertreter derselben Flora und
Tierwelt, die wir heute noch finden, gediehen auf seinem Boden neben
vielen anderen seitdem ausgestorbenen Formen, wie Mammut, Nashorn,
Löwen, Bären u. s. w. Gleichzeitig hielt der paläolithische Mensch
seinen Einzug in das eisfrei gewordene Land. Abermals ließ der Rhein
als Hauptsammler der atmosphärischen Niederschläge Mitteleuropas
seine gewaltigen Fluten nach Norden strömen. Die Doggerbank, unseren
Fischern als Fischgrund wohlbekannt, bildet das Überbleibsel eines
alten Höhenrückens, der durch keine jüngeren Ablagerungen sich hat
verdecken lassen, und hier scharren die Fischer, mit ihren Grundnetzen
nach Plattfischen jagend, die Überreste vom Mammut, vom Bison, vom
wollhaarigen Rhinoceros, von Rentieren, Elchen, Hyänen, Wildpferden
und noch anderen Tieren mehr auf. Diese Knochenansammlungen werden als
die Ablagerungen und Schotter des alten Rheinlaufes gedeutet, die hier
zusammengeschwemmt zur Ruhe gelangt sind.

Die zweite, und zwar die heutige Nordsee folgte dann durch allmähliche
Senkung auf dieses letzte angloskandinavische Festland. Allenthalben
drang das Meer vor, dessen Wellen erst die Doggerbank als eine
Insel umspülten und in später Zeit ganz überflutet haben. Von der
Nordspitze Jütlands bis zum Isthmus von Calais-Dover zog sich, auf
erhöhtem Vorlande belegen, ein großartiger Dünenwall dahin, der einem
hinter ihm vorhandenen weiten von Hügeln, Heiden, Mooren und Sümpfen
bedeckten Gebiete Schutz gewährte. Größere und kleinere, von dem
hohen Geestrücken der cimbrischen Halbinsel herabkommende Wasserläufe
mögen dasselbe durchzogen haben. An dem höher belegenen Küstensaume
brachen sich die Seewinde, so daß sich auf dem Hinterlande eine
kräftige Waldvegetation entwickeln konnte. Dem gewaltigen Andrange
der Meereswogen von Norden und Westen her konnte die immer schmaler
gewordene anglogallische Landenge nicht länger mehr widerstehen. Sie
zerriß, und die Verbindung zwischen Kanal und Nordsee entstand. Ein
allgemeiner Senkungsprozeß im fraglichen Gebiet begünstigte wohl
diesen Vorgang. Damit war aber auch die das Festland schützende
Dünenkette preisgegeben. Die Fluten brachen in das Land ein und
zerstörten die Dünenwälle mehr und mehr, so daß im Laufe der Zeit nur
noch die Inseln davon übriggeblieben sind, welche heute die äußere
Umsäumung unserer Nordseeküste bilden. Auch diese sind durch den
stetigen Anprall der Wellen immer geringer an Umfang und Ausdehnung
geworden, und jedes Jahr bringt hier neue Zerstückelungen mit sich. Die
Überreste der zerstörten Waldungen und Moorbildungen sind uns in den
unterseeischen Wäldern und in den Dargmassen erhalten geblieben, die
sich in großartiger Ausdehnung längs der ganzen deutschen Nordseeküste
finden und die Unterlage des Watts bilden. An gewissen Stellen, so in
den Marschen von Jever in Ostfriesland, besitzen diese Moore sogar
an 16 Meter Mächtigkeit. Ohne Ausnahme zeigen sie deutlich, daß sie
von Süßwasserpflanzen gebildet wurden; Eichen, Birken, Espen, Erlen,
Weißdorn, Haselstaude und mehrere Arten von Nadelhölzern nehmen an
dieser Zusammensetzung teil. Die Bäume stehen teilweise noch frei und
aufrecht im Meerwasser, teilweise sind dieselben von einer zwei bis
drei Meter mächtigen Schlickschicht bedeckt; in den meisten Fällen sind
sie, jedenfalls unter der Einwirkung der Stürme und Fluten, denen sie
einst ausgesetzt waren, in der Richtung nach Südost überkippt. Es sind,
wie schon vor Jahren von dem schleswig-holsteinischen Geologen Ludwig
Meyn ausdrücklich betont worden ist, keine brackischen oder salzigen
Lagunenmoore, sondern vollkommene Festlands- und Süßwasserbildungen,
welche mit diesen ihren Eigenschaften nur entstehen konnten in einem
wesentlich über der See erhabenen, hügeligen Terrain und unter einem
Klima, das der natürlichen ungepflegten Baumvegetation mehr hold ist,
als das gegenwärtige Klima unserer Westküste mit ihren ungebrochenen
Sturmwinden.

[Illustration: Abb. 21. ¯Weg nach Rantum.¯

(Nach einer Photographie von Bernh. Lassen in Westerland-Sylt.)]

[Sidenote: Der Boden der Nordsee.]

An der Westküste von Sylt liegen sogar noch solche untermeerische
Torfbänke, über welche die äußere Landgrenze längst zurückgeschritten
ist. Ungewöhnliche Sturmfluten zerreißen die äußersten derselben und
werfen ihre losgelösten Schollen ans Land, ein Umstand, der auf der
Insel stets als eine Wohlthat und eine dankenswerte Gabe des Meeres
betrachtet wird, da dieselbe an Brennmaterial arm ist.

[Sidenote: Entstehung von Watt und Marsch.]

Man wird kaum fehlgehen, wenn man sich das Landschaftsbild an
der deutschen Nordseeküste nach dem Eindringen des Meeres in das
obenerwähnte Areal nicht viel anders vorstellen will, als dasselbe
in der Gegenwart erscheint. Natürlich nur dem Typus, dem Charakter
nach, denn was die Umgrenzungen des damaligen Festlandes und der
Inselwelt jener vergangenen Tage betrifft, so waren dieselben
grundverschieden von denjenigen der Jetztzeit. Der westliche Rand der
Inseln lag sicherlich viel weiter seewärts, als dies nunmehr der Fall
ist, und die Konturen der Festlandsküste, so wie sie sich heutzutage
darstellen, sind nach vielen Peripetien größtenteils die Produkte der
späteren Zeiten und das Werk menschlicher Arbeit und unablässigen
Fleißes. Aber gerade so wie heute haben wohl auch dazumal größere und
kleinere Eilande aus dem seichten Meere hervorgeragt, die Überreste
der hügeligen Partien des untergesunkenen Landes, geradeso wie heute
füllte das Watt mit seinen Tiefen und Prielen den Zwischenraum
zwischen diesen Inseln und dem Festlande aus, geradeso vollzog sich
schon damals jener eigentümliche Wechselprozeß der Zerstörung des
Küstenlandes durch das Meer und das Wiederabsetzen dieses losgelösten
Materials an einer anderen Stelle, jener Vorgang, dem das Watt und die
daraus hervorgegangenen Marschen ihr Dasein verdanken. Denn was die
See an einer Stelle nimmt, das schenkt sie an einer anderen wieder
her. Allerdings, sehr einfach ist dieser Prozeß der Landneubildung
nicht, es ist derselbe vielmehr ein kompliziertes Ding, bei welchem
vielerlei noch nicht gehörig aufgeklärt ist. Das Material, das hierbei
in Betracht kommt, ist ein sandiger und glimmerreicher Schlick, welcher
unter der Einwirkung von Ebbe und Flut abgesetzt wird, und zwar nicht
vom Meere allein, sondern auch von den verschiedenen Zuflüssen der
Nordsee. Er besteht aus den feinerdigen Stoffen, welche die Flüsse mit
sich führen, aber mehr von zerstörten älteren Flußalluvionen als von
zerstörtem Gebirge herrührend, dann aus den mineralischen Teilen, die
von den Abnagungen des Meeres an den benachbarten tertiären, diluvialen
und alluvialen Küsten stammen, aus dem feinen Meeressande, welcher
durch die Brandung mit in Suspension gebracht wird, aus den unzähligen
Resten von winzig kleinen Lebewesen der marinen Tier- und Pflanzenwelt
und der ins Meer geführten Süßwasserbewohner, und den Humussäuren der
von allen Seiten kommenden Moorwässer, welche sich mit den Kalk- und
Talkerdesalzen des Meeres niederschlagen. „Letztere liefern so den
Schlamm, das wichtigste Bindemittel für die Sandmassen und übrigen
Stoffe, welche vom Meere und den Flüssen an den Mündungen angehäuft
werden. Die humussauren Salze bilden den Hauptfaktor für die Entstehung
der Watten und der Marschen. Hieraus erklärt sich auch in gewisser
Hinsicht das Fehlen der Wattenbildungen in anderen Meeren, wie z. B. in
der salzarmen Ostsee“ (Haage).

Die Watten sind nun, wie man sie treffend genannt hat, ein
amphibisches Übergangsgebilde zwischen Wasser und Land, ein Gebiet, das
für das gewöhnliche Auge vom übrigen Meere nicht zu unterscheiden ist,
wenn das Wasser seinen Höhepunkt erreicht hat, das aber bei niedrigem
Wasser in der Gestalt von trockenen gelben Sandflächen erscheint,
die nur nach dem Festlande hin und in der Umrandung der Inseln mit
grauem Schlick bekleidet sind. Eine Unmenge von Wasserrinnen, sog.
Tiefe, Baljen, Priele u. s. f., umsäumen und gliedern die Watten und
vereinigen sich zu größeren Tiefen, in welchen Strömungen cirkulieren,
die, wie Meyn sagt, „mit der Geschwindigkeit des Rheinstromes dem Meere
zuschießen, allen eingewehten Sand vor sich herfegend und den größten
Schiffen Einfahrt räumend“. Der eingeborene Fischer und Schiffer,
dessen Erwerb, ja dessen Leben von der richtigen Beurteilung der
Wasserfläche abhängen, gewahrt bei Hochwasserstand mit Leichtigkeit
diese Tiefen und vermag dieselben von den ausgedehnten Untiefen zu
unterscheiden, auch wo sie nicht durch die in Wind und Wogenschlag
schwankenden jungen Birkenstämme bezeichnet sind, die überall als
Zeichen des Tiefs in seinen untiefen Rändern versenkt sind und die
Binnenschiffahrt erleichtern. Das Areal dieser amphibischen Grenzzone
der Watten zwischen dem deutschen Festlandsboden und der Nordsee ist
3655,9 Quadratkilometer groß; hiervon bilden 3372 Quadratkilometer =
92¼% einen geschlossenen Grenzsaum, die übrigen 283,9 Quadratkilometer
= 7¾% liegen als Exklaven innerhalb des Meeresgebietes. Es sind diese
letzteren isolierte Wattinseln, die mit dem geschlossenen Wattensaum
nicht in fester Berührung stehen und sich nicht wie dieser an dauernd
trockenes Land anlehnen. Vereinzelt tauchen sie als „Sande“ vor den
Friesischen Inseln und innerhalb der zahlreichen Buchten, die das
Meer in das Wattland hineinsendet, aus dessen Wassern auf. Auf die
Watten an der Küste Schleswig-Holsteins entfallen insgesamt 2023,4
Quadratkilometer, auf diejenigen an der Küste von Hannover und
Oldenburg 1632,5 Quadratkilometer.

[Illustration: Abb. 22. ¯Keitum nebst Kliff, von Osten gesehen.¯

(Nach einer Photographie von Bernh. Lassen in Westerland-Sylt.)]

Die großen Flächen der Watten sind sandig und fest zu betreten, dagegen
sinkt man tief in dieselben ein, wenn sie schlammiger Natur sind. Der
Marschbewohner Nordfrieslands geht bei Ostwind an vielen Stellen von
Insel zu Insel, sogar von Sylt nach dem Festlande. Doch ist eine solche
Wanderung, ein Schlicklauf, nicht immer ohne Gefahr, und Vorsicht thut
hier besonders not (Abb. 6–8).

[Sidenote: Bernsteinfunde.]

In früheren Zeiten hat der auf den Watten häufig vorkommende Bernstein
bei den Bewohnern der umliegenden Küsten zur Beleuchtung gedient.
Nach jeder höheren Flut wirft die See Bernsteinstücke verschiedenen
Formates aus und diese bleiben dann, wie Meyn bemerkt, „mit einem
schwarzen Brockenwerk aus Braunkohlenstückchen, Schiffstrümmerchen,
Torfstückchen und zerriebenem Torfholze, teilweise auch glattgerollten
größeren Holzstücken aus dem Torfe, dem sog. ‚Rollholz‘, in langen
braunen Streifen als äußerste Wattenkante an Hochsanden, Hochstranden
und sonstigen erhabenen Stellen liegen, wo sie von den Schlickläufern
gesammelt, weiter südlich durch die abenteuerlichen ‚Bernsteinreiter‘
gefischt werden“. Über die mit diesem Bernsteinsammeln verbundenen
Gefahren hat vor 112 Jahren der Pastor Heinrich Wolf zu Wesselburen
eine belehrende Darstellung in den schleswig-holsteinischen
Provinzialberichten gegeben, worin derselbe u. a. mitteilt, daß oft
Stücke von 24 Lot gefunden würden und kurz vorher sogar ein solches von
dritthalb Pfund aufgelesen worden sei. „Man will mir sagen,“ schreibt
er weiter, „daß ein gewisser Mann in einer benachbarten Gegend jährlich
über tausend Mark auf diese Weise umgesetzt habe.“ Tausend Mark Banko
waren aber im Jahre 1788 eine recht beträchtliche Summe.

[Illustration: Abb. 23. ¯Kurhaus in Wittdün auf Amrum.¯

(Nach einer Photographie von Waldemar Lind in Wyk auf Föhr.)]

Ludwig Meyn hat den Beweis dafür erbracht, daß hier an ein originales
Bernsteingebirge nicht gedacht werden kann, sondern daß das Material
aus dritter, vierter oder fünfter Lagerstätte kommen müsse, und daß
seine Anwesenheit demnach als das Zeichen eines zerstörten Miocän-
resp. Diluviallandes zu gelten habe.

Aber nicht nur vom geologischen Standpunkte aus, auch von demjenigen
des Altertumsforschers ist das Vorkommen des Bernsteins in größerer
Menge an den deutschen Nordseeküsten von Wichtigkeit. Es ist
bekanntlich ein lange Zeit hindurch strittiger Punkt gewesen, woher
die Römer ihren Bernstein bezogen hätten, und wo die von Pytheas von
Massilia geschilderte Bernsteininsel Abalus zu suchen sei. Der eben
genannte Reisende hat zu Alexander des Großen Zeiten, den Schritten der
Phönicier und Karthager folgend, die britannische Küste und auch zuerst
das germanische Nordseegestade besucht, von dem er die Schilderung
eines Ästuars -- Mentonomon nennt er es -- von 6000 Stadien Ausdehnung
gibt. „Dort,“ so lautet sein durch Aufzeichnungen des Timäus von
Müllenhoff ergänzter Bericht, „wohnen die Teutonen und vor ihrer Küste
liegt im Meere außer mehreren unbenannten Inseln in der Entfernung von
einer Tagefahrt die Insel Abalus, wohin im Frühjahr die Fluten den
Bernstein, der eine Absonderung des geronnenen Meeres ist, tragen und
in großer Menge auswerfen. Die Einwohner dort sammeln ihn und haben so
reichlich davon, daß sie ihn statt des Holzes zum Feuern gebrauchen“ u.
s. f. Oberhalb der Elbe im Gebiete der Eidermündungen wird noch jetzt
der meiste Bernstein an der Nordsee gefunden und in dieser Gegend mag
wohl die mythische Bernsteininsel gelegen haben, die, wie Müllenhoff
meint, Pytheas wohl mit eigenen Augen erblickt hat, was mehrfach in
Zweifel gezogen worden war. Er war der erste namhafte Mann, der wohl
die Germanen in ihrer Heimat aufsuchte und von Angesicht sah, und
jedenfalls der erste, der von ihnen eine Kunde erlangt und Nachricht
gegeben hat. Wenn es auch unzweifelhaft erscheinen dürfte, daß ein
großer Teil des von dem römischen Volke verbrauchten Bernsteins,
besonders seit Domitian, aus dem Samland kam, so ist es doch wohl nicht
minder sicher, daß schon in früheren Zeiten auch von der Nordseeküste
aus dieses edle Harz seinen Weg an den Tiberstrom gefunden hat.

In eigentümlicher Weise geschliffen, von den rollenden Wellen zu
Kugeln, Ellipsoiden, Doppelkugeln, Spindeln u. s. f. geformt, stellt
sich das Rollholz dar, das aus den submarinen Mooren und Wäldern
stammt. Seine Spalten sind erfüllt von Sandkörnern, Foraminiferen und
winzigen Tierresten, als kleine Echinitenstacheln u. s. f. Es zeigt
uns, daß Moore und Wälder unter dem Sande jetzt bis an die äußerste,
vor der Brandung liegende und sich verzehrende Kante reichen, daß also
jetzt die Brandung bereits innerhalb des ehemaligen hochbelegenen
Küstensaums im Bereich des vormaligen Niederlandes aufschlägt.

[Sidenote: Bernstein. Die Watten.]

Die Unterlage der Watten besteht, wie gezeigt worden ist, aus einem
untergetauchten und von den Wellen teilweise zerstörten, mannigfaltig
gegliederten Festlande, und damit hängt auch der Umstand zusammen, daß
sich auf ihrem Gebiete Süßwasserquellen vorfinden, wodurch wiederum der
geologische Zusammenhang mit dem naheliegenden Küstenlande bewiesen
wird. So soll vormals bei der Hallig Nordmarsch eine solche Quelle
gewesen sein, eine andere nördlich von Langeneß, wo „ein Brunnen mit
frischem Wasser mitten in dem salzen Meere hervorquillt“, wie Lorenz
Lorenzen, der Halligmann, in Camerers Nachrichten von merkwürdigen
Gegenden der Herzogtümer Schleswig und Holstein erzählt. Dann ist in
früheren Zeiten nicht selten berichtet worden, daß Tuulgräber im Watt
ertrunken seien, weil plötzlich in der unterseeischen Torfgrube das
süße Wasser aufsprudelte.

[Illustration: Abb. 24. ¯Leuchtturm auf Amrum.¯

(Nach einer Photographie von Waldemar Lind in Wyk auf Föhr.)]

[Sidenote: Landverluste. Sturmfluten.]

Die Watten und ganz besonders diejenigen Nordfrieslands verdienten
eigentlich als ein großer Kirchhof bezeichnet zu werden. Denn alsbald,
nachdem die Anschlickung an die Überreste des zusammengerissenen und
teilweise von den Wogen verschlungenen alten Festlandes wieder begonnen
und die erste Marschbildung sich vollzogen hatte, mag es auch nicht
an Menschen gefehlt haben, welche von dem so gebildeten Neulande
Besitz nahmen und in diesem Gebiete ihre Ansiedelungen erbauten.
Neue Meereseinbrüche, veranlaßt durch die von den Sturmfluten auf
das nunmehr schutzlos gewordene Land hinaufgetriebenen Wassermassen,
brachten neue Zerstörungen mit sich, denen wiederum neue Anschlickungen
und neue Besiedelungen folgten, die ebenfalls ein Opfer der Wellen
wurden. Und so ist es zweifellos von den ältesten Zeiten her gegangen,
in denen der Mensch im Lande erschien; ein immerwährender Wechsel war
es, der die Oberfläche des Gebietes immer und immer wieder anders
gestaltete, allerdings aber so, daß der Landverlust den Landgewinn
durch Anschlickung schließlich um ein sehr Bedeutendes überwog. Erst
als der Mensch gelernt hatte, sich vermittelst der Deiche Schutzwehren
gegen den vernichtenden Anprall und den alles zernagenden Zahn der
Meereswogen zu bauen, wurde es besser. Aber auch in dieser Beziehung
hat der Marschbewohner mit Leib und Leben, mit Hab und Gut gar oft
Lehrgeld bezahlen müssen, und bis er die Kunst des Deichbaues so
erfaßt hatte, daß ihm die grünen an der Küste aufsteigenden Wälle
nicht nur bei der nächsten besten Sturmflut von der Brandung wieder
zusammengerissene Brustwehren waren, sondern zum mächtigen Schild
wurden, hinter dem er sein Eigentum und sein Leben in Sicherheit
barg, hat es gar lange und bis in unser Jahrhundert hinein gedauert!
Millionen von Menschen, Tausende von Wohnstätten haben bis dahin dem
wütenden Elemente zum Opfer fallen müssen, ganze Kirchspiele sind
von der Erdoberfläche verschwunden, große Landareale von den nassen
Wogen verschlungen worden, bedeutende Städte mußten „vergehen“, wie
die Chronisten aus früheren Zeiten sich ausdrückten, bevor dies
geschah. Über diese weiten großen Flächen, in deren Tiefen dies alles
versunken ist, rollt heute die salzige Welle der Nordsee dahin und
nur Pfahlstümpfe, Mauertrümmer, verwitterte Leichensteine und dergl.
Dinge mehr, welche die tiefe Ebbe bisweilen auf dem Watt bloßlegt,
erinnern daran, daß ehemals hier menschliche Wohnstätten gestanden und
menschliche Wesen hier gelebt, geliebt, gehofft und auch gelitten haben.



~IV.~

Sturmfluten.


Plinius berichtet schon von einer gewaltigen Sturmflut, welche den
größten Teil der Cimbern und die Teutonen gezwungen haben soll, sich
nach gesicherteren Wohnstätten in Südeuropa umzuschauen. Wie wir aus
Mitteilungen des eben genannten Schriftstellers und aus solchen des
Ptolemäus wissen, lag die Heimat des cimbrischen Volkes im äußersten
Norden des germanischen Landes, im cimbrischen Chersonesus, also in
dem heutigen Jütland und wohl auch im nördlichen Teil des Herzogtums
Schleswig. Das erste Erscheinen der Cimbern im Lande der Taurisker,
in der Umgegend von Klagenfurt, fällt in das Jahr 113 v. Chr., woraus
zu schließen wäre, daß die obenerwähnte Wasserflut wohl einige
Jahre früher stattgehabt hätte. Nach Eugen Traeger ist jedoch die
erste historisch festgestellte Flut diejenige gewesen, welche 445
Jahre später, ~anno~ 333 nach des Heilands Geburt, die germanische
Nordseeküste verheert hat. In den darauf folgenden Jahrhunderten
haben sich derartige Ereignisse mehrfach wiederholt, so um 516, wo in
den friesischen Landen über 6000 Menschenleben von den Wasserfluten
vernichtet wurden, und im Jahre 819, das den Untergang von 2000
Wohnstätten an der Nordsee gesehen hat. In jene fernen Zeiten fallen
auch die ersten bedeutenderen Versuche, die Küsten durch besondere
Schutzbauten, durch Deiche, vor der Zerstörung durch die See zu
bewahren, zumal die von den Fluten immer mehr und mehr zerrissenen und
zu Grunde gerichteten Dünensäume nicht länger mehr dem Anprall der
Wogen stand zu halten vermochten. Aber erst vom Jahre 1100 ab wurden
die Deichbauten mit größerem Eifer betrieben, insbesondere in den
Dreilanden, dem jetzigen Eiderstedt und auf Nordstrand.

[Illustration: Abb. 25. ¯Strand von Wyk auf Föhr.¯

(Nach einer Photographie von Waldemar Lind in Wyk auf Föhr.)]

[Sidenote: Sturmfluten.]

Von den zahlreichen Fluten, über welche uns von den verschiedenen
Chronisten Frieslands, insbesondere von Anton Heinreich in seiner
nordfriesischen Chronik berichtet wird, ist, wie in neuerer Zeit von
Reimer Hansen an der Hand kritischer historischer Forschung dargethan
wurde, bei weitem der größere Prozentsatz zu streichen. Im zwölften
Jahrhundert kommen für Dithmarschen und Nordfriesland in Betracht die
Flut vom 16. Februar 1164 und vielleicht auch diejenige von 1158. Für
das dreizehnte Säkulum ist wohl die Katastrophe vom 17. November 1218
verbürgt, bei welcher nach Peter Sax „im Oldenburgischen Jadeleh,
Wardeleh, Aldessen in Rustringen vergangen; in den Nordländern volle
36000 Menschen ertrunken“. Vielleicht ist damals auch die Lundenburger
Harde durchgerissen worden, wie Heimreich erzählt. Ebenso wird die
Flut vom 28. Dezember 1248 von nordalbingischen Chronisten so ziemlich
sicher bezeugt. 1277 und 1287 entstand durch die Zerstörung von 385
Quadratkilometern des fruchtbarsten Landes mit 50 Ortschaften der
Mündungsbusen der Ems mit dem Dollart, und mit dem Jahre 1300 begann
dann eine Periode, die im Bereich der friesischen Lande mit Recht die
Elendszeit genannt worden ist. Eine wenig günstige Schilderung der
Charaktereigentümlichkeiten des Friesenvolkes jener Zeit haben uns,
allerdings erst einige Jahrhunderte später, einige Chronisten gegeben.
Es heißt da, sie seien durch ihren Reichtum hochmütig gewordene und das
Wort Gottes und die heiligen Sakramente verachtende Menschen gewesen,
die sich durch ihre Sündhaftigkeit diese schrecklichen Strafen Gottes
zugezogen hätten. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob dieses harte
Urteil nicht sehr durch Parteilichkeit getrübt ist, und inwiefern
die Ursache der Unfolgsamkeit des sonst so schlichten, wenn auch
derben friesischen Volkes nicht in einem gegründeten Verdachte oder
in Mißtrauen gegen seine katholischen Priester zu suchen war, denn,
wie Petrejus in seiner Beschreibung des Landes Nordstrand sagt: „Die
Papisterey und Mönnicherey ist ihnen vielleicht verdächtig gewesen.“

[Illustration: Abb. 26. ¯Frauentracht auf Föhr.¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

Unsicher ist die Flut vom 1. Mai 1313, sicherer eine solche aus dem
Jahre 1341, wahrscheinlich eine weitere am 1. Mai 1380, am sichersten
aber diejenige vom 16. Januar 1362, die schlimmste von allen vor
der zweiten großen Manndränke am 11. Oktober 1634. Damals stieg das
Wasser über die höchsten Deiche Nordfrieslands, richtete in den
Außenlanden furchtbare Verwüstungen an und riß an der Südseite der
Insel Nordstrand einen beträchtlichen Teil des Landes hinweg, so daß
ein bedeutender Meerbusen an dessen Stelle entstand. Die überaus
reiche Stadt Rungholt und noch sieben andere Kirchspiele auf dem
ebengedachten Eiland wurden zerstört, an der Hever und ihren Enden
sollen 28 Gemeinden untergegangen sein, und 7600 Menschen haben dabei
ihren Tod in den mörderischen Wellen gefunden. Der Rungholter Sand
zwischen Pellworm und dem heutigen Nordstrand erinnert jetzt noch an
die versunkene Stadt, deren Missethaten der Sage nach den Zorn des
Herrn besonders heraufbeschworen haben sollen. Als die Rungholter gar
ein Schwein betrunken gemacht und dasselbe in ein Bett gelegt hatten
und hierauf ihren Priester rufen ließen, damit dieser dem Kranken
das heilige Abendmahl gebe, war das Maß göttlicher Langmut voll. Der
Bitte des gesalbten Mannes, der ob jener Zumutung aufs höchste empört
in die Kirche gelaufen war, um dort Gottes Strafe auf die gottlosen
Leute herabzuflehen, wurde von oben stattgegeben, und es erfolgte, wie
uns Jonas Hoyer überliefert hat, „in der Nacht ein so erschrecklich
Erdbeben und gräulich Wetter“, daß Rungholt gänzlich umkam und in den
Tiefen des Meeres versank.

  Als endlich sich der Tag gelichtet
  Und sich besänftigt die Natur,
  Da sah man, Rungholt war gerichtet --
  Der ganzen Landschaft keine Spur!
  Nur Wasser deckte ihre Matten
  und floß im Wechsel zu und ab;
  Noch heute sind die Rungholtwatten
  Ein weites, nasses Totengrab.

                      (¯Eugen Traeger.¯)

Am gleichen Tage sollen auf Sylt das alte Wendingstadt und der
Friesenhafen der Zerstörung anheim gefallen sein. Den letzteren
haben der Überlieferung nach die Angelsachsen auf ihren Zügen ins
britannische Land als Abfahrtshafen benutzt.

[Illustration: Abb. 27. ¯Dorfstraße in Nieblum.¯

(Nach einer Photographie von Waldemar Lind in Wyk auf Föhr.)]

Zeitgenossen haben die Zahl der an jenem Unglückstage zwischen Elbe
und Ripenersfjord umgekommenen Menschen auf etwa 200000 geschätzt,
weshalb diese gewaltige Flut auch den Namen „Manndränke“ oder
„Manndrankelse“ bekommen hat, eine Bezeichnung, die übrigens noch für
andere ähnliche Ereignisse in Anspruch genommen worden ist. „Wenn man
nun,“ so äußerte sich Traeger, „fortwährend von solchen Zahlen hört,
so drängt sich die Vermutung auf, daß die Schätzungen damaliger Zeit
wiederholt nur pessimistischer Abrundung eine so erschreckende Höhe
verdanken. Wo hätten denn immer wieder in den sicherlich nicht dicht
bevölkerten Küstengebieten die Menschen herkommen sollen, um allein
von den Meeresfluten so massenweise verschlungen zu werden!“ Man darf
ja nicht vergessen, daß, wie solches von Reimer Hansen ausdrücklich
hervorgehoben wird, die Chronisten des sechzehnten und siebzehnten
Jahrhunderts über die Fluten des zwölften, dreizehnten, vierzehnten
und zum Teil auch des fünfzehnten Jahrhunderts außerordentlich wenig
sichere Mitteilungen machen und, daß Heimreichs zahlreiche Angaben fast
ganz wertlos sind.

Größere Fluten des fünfzehnten Jahrhunderts waren am 22. November 1412,
am 29. September 1426, am 1. November 1436, am 6. Januar 1471, am
16. Oktober 1476, am 4. Dezember 1479 und am 16. Oktober und 22.
November 1483. Die bedeutendsten davon scheinen die vom 1. November
1436 und vom 16. Oktober 1483 gewesen zu sein.

Am Allerheiligentage 1530, und am gleichen Tage genau zwei Jahre
später brachen die Wogen der Nordsee von neuem mit besonderem Ungestüm
in Nordfriesland ein. Dann begann mit den ersten Novembertagen
1570 wiederum eine neue Periode großen Elends in der langen
Leidensgeschichte des Friesenvolkes, die ebenfalls eine ungeheure
Anzahl Menschenleben zum Opfer gefordert haben soll.

[Illustration: Abb. 28. ¯Dorfstraße in Boldixum.¯

(Nach einer Photographie von Waldemar Lind in Wyk auf Föhr.)]

Genauere und bestimmtere Darstellungen von dem durch die Sturmfluten
verursachten und heraufbeschworenen Unglück besitzen wir erst aus
späteren Jahrhunderten, und das erste derartige Ereignis, von dem sich
einigermaßen zuverlässige Mitteilungen bis auf unsere Tage erhalten
haben, ist wohl die Sturmflut vom 11. Oktober 1634 gewesen. Diese
bildet, um hier Traegers Worte zu gebrauchen, einen entscheidenden
Zeitpunkt in der Geschichte der schleswigschen Westküste. In seiner im
Jahre 1652 erschienenen großen neuen Landesbeschreibung der Herzogtümer
Schleswig und Holstein erzählt der ehrenwerte Kaspar Danckwerth von
dieser „überaus argen und grausamen Flut, so anno 1634 auf Burchardi
durch Gottes Verhängnis inner fünf oder sechs Stunden alle diese
Nordfriesische Marschländer übergangen, und den Nordstrandt schier ganz
dahin gerissen hat, also daß nur das Kirspel Pillworm wieder errettet
worden: und ist zu verwundern, daß man zu der Zeit in Holland von
überaus großem Sturm weniger von erfolgetem Schaden durch Einbrüche
des Meeres nicht gehöret“. Und Adam Olearius, der Sekretarius,
Mathematikus, Antiquarius und Rat Friedrichs ~III.~, Herzogs von
Holstein-Gottorp (1600–1671), schreibt darüber in seinem kurzen Begriff
einer Holsteinischen Chronik: „Es halten ihrer viel davor, daß dies
erschreckliche Unglück und Garauß sie (die Bewohner Nordstrands) unter
anderen ihren groben frevelhafften Sünden, auch mit dem Ungehorsam
und Rebellion wider ihren frommen Landesfürsten durch einen Fluch
ihnen über den Hals gezogen. Matthias Boetius, ihr eigen Landsmann und
Pfarrherr gedenket bei Beschreibung des Cataclismi, so sie anno 1615
auch erlitten, ihrer groben Laster, Wildheit und Frechheit mit vielen
Worten: daß sie den Todtschlag eines Menschen nur eines Hundes gleich
geachtet, daher sie auch damahls solche Straffe wol verdienet hätten.“

[Illustration: Abb. 29. ¯Strand von Wyk auf Föhr.¯ (Nach einer
Photographie von Waldemar Lind in Wyk auf Föhr.)]

Es mag hier wohl am Platze sein, etwas bei dem Berichte über jene
verhängnisvolle Sturmflut zu verweilen, welchen uns C. P. Hansen
in seiner Chronik der friesischen Uthlande in warmempfundener und
poetischer Sprache hinterlassen hat. Derselbe fußt größtenteils auf
Niederschriften von Augenzeugen und von Zeitgenossen der Katastrophe.

„Endlich kam,“ so beginnt der Autor, „der jüngste, der schrecklichste
Tag des alten Nordstrands, und ich möchte sagen, des alten
Nordfrieslands. Noch am 10. Oktober 1634 lag es da, das grüne, von
Fett und Fruchtbarkeit erfüllte Tiefland inmitten der finsteren,
grollenden See, die Freude, die Kraft, der Stolz und Mittelpunkt der
Uthlande, nicht ahnend dessen, was ihm bevorstand, nach hundert trüben
Erfahrungen noch immer fest bauend auf den Schutz seiner erst vor
kurzem wieder errichteten Deiche. Ringsum lag ein Kranz von Halligen
und Hallighütten, die wie seltsam gestaltete und gruppierte Felsen
aus der Wasser- und Wattenwüste hervorragten; weiterhin, jenseits
derselben, glänzte ein Schaumgürtel der sich brechenden Wellen an den
äußeren Sandbänken und Inseln. Im Westen und Süden zogen finstere
Wolkenmassen am Himmel herauf, obgleich der Wind noch ruhte. Es war die
Totenstille, die oft dem Sturm vorhergeht. Im fernen Westen blitzte
es, und als es Abend wurde, die finstere lange Nacht heranschlich,
da flüchtete ahnungsvoll der Schiffer wie die Seemöve ans Ufer, die
vorsichtige Krähe aber aufs Festland. Die Nacht verging, der Morgen
des 11. Oktober kam, der letzte, welchen das altberühmte Nordstrand
erlebte. Blutrot stieg die Sonne im Südost hinter Eiderstedt herauf,
beschaute noch einmal das schöne, fruchtbare Eiland mit seinem
goldenen Ring, mit seinen grünen Wiesen und weidenden Viehherden, mit
seinen gesegneten Äckern, seinen Kirchen und Mühlen, seinen stillen
Dörfern und zerstreuten Bauernhöfen, seiner emsigen, tüchtigen, Gott
und sich selber vertrauenden Bevölkerung; dann verbarg sie sich wie
weinend hinter die dichten Wolken, die für den Tag ihr die Herrschaft
stahlen. Noch einmal läuteten die Kirchenglocken die gläubigen Christen
zum Gottesdienst in die Kirchen -- denn es war eben Sonntag. Noch
einmal scharten sich die Schlachtopfer betend in den heimatlichen
Gotteshäusern, stimmten noch einmal ein Loblied dem Herrn an, während
der Donner schon über ihre Häuser rollte und der Regen sich in Strömen
ergoß. Noch einmal sammelten sich die Familien an ihrem freien
Eigentumsherd und um den gefüllten Tisch im Frieden, nicht ahnend, daß
es das letzte Mal sein würde.“

[Illustration: Abb. 30. ¯Blick auf das Watt zwischen Föhr und Amrum.¯]

Ein ungeheurer Sturmwind aus Südwesten kommend brach los, dessen
Ungestüm sich den Tag über immer mehr und mehr steigerte, und gegen
neun Uhr abends geschah das Entsetzliche, daß im Verlaufe einer
einzigen Stunde das Meer durch 44 Deichbrüche in die Köge stürzte.
Schon um zehn Uhr war die Insel vernichtet, und Nordstrand hatte
aufgehört zu sein. „Da waren mehr als 6200 Menschen und 50000 Stück
Vieh dort ertrunken; da waren die Deiche der Insel an zahllosen Stellen
zerstört; da lagen 30 Mühlen und mehr als 1300 Häuser zertrümmert
danieder; da war vernichtet die Heimat und das Glück von mehr als
8000 Menschen. Nur die Kirchtürme und Kirchen ragten, obgleich auch
beschädigt, aus diesem wilden Chaos, aus diesem großen Kirchhofe wie
kolossale Grabmäler hervor. Der kalte Nordwest hatte unterdessen in der
Nacht über die Trauerscene geweht, jedoch der Sturm sich allmählich
gelegt. Nur 2633 Menschen hatten diese Schreckensnacht, hatten den
Untergang ihrer Heimatinsel überlebt, blickten aber jetzt trostlos
auf die verödeten Land- und Häusertrümmer, auf die zerrissenen Deiche
und das frei ein- und ausströmende erbarmungslose Meer, auf die im
Wasser und Schlamm umherliegenden Menschen- und Tierleichen, auf die
zerstörten und verdorbenen Geräte und Vorräte und vor allem auf den
nahen Winter mit seinem Frost und Schnee, mit neuen Stürmen und Fluten
und neuem Elend, und auf ihr eigenes nacktes Dasein inmitten dieser
Wasserwüste und dieser wilden Elemente.“

[Illustration: Abb. 31. ¯Peterswerft auf Langeneß vor dem Einsturz.¯

(Nach einer Photographie von Waldemar Lind in Wyk auf Föhr.)]

[Sidenote: Nordstrandisch-Moor.]

Der gelehrte und in diesen Blättern schon genannte friesische Chronist
Anton Heinrich Walther, der 30 Jahre lang (1656–1685) Prediger an
der Kirche der Hallig Nordstrandisch-Moor gewesen ist, fügt seinem
eigenen Bericht über den 11. Oktober 1634 noch die Worte hinzu: „Es
ist aber der Wasserfluth nicht genug gewesen, sondern es hat auch
Gott der Herr viele daneben mit der Feuerruthe gestrafet, indem eines
Theils aus Unvorsichtigkeit, anderen Theils aus Ungestümigkeit der
Winde ihr Feuer ihre eigenen Häuser, darauf sie gesessen und den Tod
stündlich erwartet, hat eingeäschert, also daß sie einen zwiefachen Tod
vor ihren Augen haben sehen müssen, auch wol, wie man Exempel weiß,
aus Furcht vor dem Feuer selbst in’s Wasser gesprungen und sich also
ersäuft, da man sonst noch das Leben hätte retten können. Und ist nicht
ungläublich, daß mehrermeldeter ungeheurer Sturmwind mit einem Erdbeben
vermenget gewesen.“

Von der Mitte der Insel Nordstrand waren nur einige Halligen
übriggeblieben, die im Laufe der Zeit bis auf wenige Überreste nach
und nach gänzlich von den Meereswogen verschlungen worden sind. Eines
dieser Überbleibsel bildet die heutige Hallig Nordstrandisch-Moor,
ehemals ein in der Mitte des alten Nordstrand befindliches, hoch
belegenes Moor, auf welches sich ein Teil der Einwohner geflüchtet
hatte. Sie bauten sich hier Werften, Häuser und 1656 sogar eine eigene
Kirche und nährten sich in der Folge von Fischfang, Schiffahrt,
Schafzucht und Torfgraben. Auch Nordstrandisch-Moor hat hernach
noch viele böse Zeiten erleben müssen, mehrfach sind die brandenden
Wogen der Nordsee wieder über die Hallig hinweggezogen und Elend und
Not haben sie in noch mannigfacher Weise heimgesucht. Ihre letzten
Unglückstage waren der 1. Dezember 1821 und dann wieder der 4. Februar
1825, an denen die Meereswellen die Kirche zusammengerissen haben,
die seither nicht wieder aufgebaut worden ist. Die Kirchwerft steht
heute verlassen da. Der letzte Geistliche, welcher in dem zerstörten
Gotteshause seines Amtes gewaltet hat, war Johann Christoph Biernatzki,
der berühmte Verfasser der Novelle „Die Hallig“. Seine darin
niedergelegte ergreifende Schilderung der Sturmflut von 1825 ist längst
ein Gemeingut des deutschen Volkes geworden.

[Sidenote: Nordstrand.]

Das westliche Ende des alten Nordstrand, Pellworm, wurde später
mit Hilfe der Holländer wiedergewonnen, das östliche, das jetzige
Nordstrand, erst viele Jahre nachher wieder eingedeicht. Von den 40000
Demat, welche die Insel eben vor der Flut noch maß, sind jetzt, nach
276 Jahren, kaum der dritte Teil wieder dem Meere entrissen.

Es mangelt uns hier an Raum, um weiter von den Zerstörungen zu
berichten, welche die Sturmflut von 1634 noch an anderen Stellen der
deutschen Nordseeküste angerichtet hat. Die Schätzung Hansens, daß
dieselbe in allen ehemaligen nordfriesischen Uthlanden etwa 9089
Menschen, in ganz Nordfriesland ca. 10300 menschliche Wesen, in allen
Marschländern der cimbrischen Halbinsel jedoch deren an 15000 zum Opfer
gefordert habe, dürfte kaum zu hoch gegriffen sein.

[Illustration: Abb. 32. ¯Auf der Hallig Oland.¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

Im achtzehnten Jahrhundert verzeichnet die Chronik eine ganze Anzahl
von Unglückstagen, welche das stürmische und wildbewegte Meer über die
friesischen Lande heraufbeschworen hat. Da war es der Christtag 1717,
an dem, fünf Tage nach dem Vollmond, bei heftig wütendem Südwestwinde,
der in der Nacht nach Nordwesten umsprang, das Wasser an der Küste
um eine ganze Elle höher gestanden haben soll als im Jahre 1634.
Schon um die dritte Stunde des Weihnachtsmorgens war das ganze Land
überschwemmt, aber erst gegen acht Uhr hatte die Flut ihren höchsten
Stand erreicht. Die Halligen, die Inseln Föhr und Sylt, Dithmarschen
und das Land nördlich der Eider mußten alle gewaltig unter dem Andrang
des Wassers leiden. Auf Langeneß durchwühlten die Wogen den Kirchhof
und rissen die Särge aus ihren Gräbern. In Süderdithmarschen kamen
468 Menschen und 6530 Stück Vieh um, 1067 Häuser wurden zerstört. Man
begann überall sofort, soweit das bei der Witterung im Winter angängig
war, die entstandenen Schäden wieder auszubessern, allein schon zwei
Monate später, am 25. Februar 1718, entstand abermals ein entsetzliches
Unwetter, das eine neue Überflutung zur Folge hatte. Der Sturm trieb
das Wasser der Nordsee in ungewöhnliche Höhe über die Inseln und
Marschen Frieslands hinweg, zerbrach die Eisdecke des inneren Haffes,
schob die Eistrümmer aufeinander und führte sie mit sich gegen die
Ufer und Deiche, ja zum Teil weit in das Land hinein, so daß die
Wirkungen dieser Sturmflut teilweise noch viel zerstörender wurden, als
diejenigen der Weihnachtsflut.

Eine weitere Katastrophe ereignete sich in den Tagen des 9. zum
11. September 1751, wobei unter anderen die Insel Föhr durch einen
fünffachen Deichbruch stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dann ist
der Oktobersturm von 1756 (7. Oktober) nicht zu vergessen, der von
gewaltigen Deichbrüchen und Unheil aller Art begleitet gewesen ist.
„Auf Gröde,“ so erzählt Hansen, „schien eine Auferstehung der Toten vor
sich zu gehen. Die aus den Gräbern des dortigen Kirchhofes durch die
tobenden Wellen herausgespülten Särge stießen die Wand des dortigen
Pastorates ein und stürzten in die Stube desselben.“

Nachdem schon der Dezember 1790 sehr sturmreich gewesen war -- allein
während dieses Monats werden sieben Sturmtage gezählt --, brachte das
Jahr 1791 eine wahre Unzahl von Stürmen, deren stärkster mit einer
großen Wassersflut am 21.–22. März erfolgte. Noch gewaltiger tobten
aber die aufgeregten Wellen der See in der Zeit vom 4. zum 11. Dezember
1792, bei vorherrschendem Südwest- und nachher wieder, wie gewöhnlich
nach Nordwesten umspringendem Winde. Die friesischen Deiche litten
überall in hohem Maße; nur noch „wie Klippen ragten die besonders
arg mitgenommenen Deiche Pellworms aus dem wogenden und schäumenden
Meere hervor“, und die dortigen Köge sollen sogar meist sechs Fuß
unter Wasser gestanden haben. Von Föhr und von verschiedenen Stellen
des Festlandes werden ebenfalls viele Deichbrüche gemeldet, und die
Marschen blieben dort noch geraume Zeit vom salzigen Wasser bedeckt,
das sich nur langsam verlief. Übrigens ereigneten sich schon wieder am
18., 19. und 21. Dezember neue, wenn auch viel schwächere Stürme.

Kaum waren die so arg heimgesuchten Bewohner wieder etwas zur Besinnung
gekommen, als bereits am 3. März 1793 und am 26. Januar 1794 neuer
Schrecken und Not über Nordfriesland hereinbrachen.

[Sidenote: Höhen der Fluten.]

Traeger hat die Höhen einzelner Fluten des achtzehnten Jahrhunderts
zusammengestellt. Sie betrugen:

  Anno 1717     20 Fuß
   " 1751       20  " 2 Zoll,
   " 1756       20  " 5  "
   " 1791       20  " 2  "
   " 1792       20  " 6  "

Zum letztenmal in größerem Umfang ist die friesische Küste am Ende
des neunzehnten Jahrhunderts der Tummelplatz der zerstörenden Wellen
gewesen. Das ist in der denkwürdigen Nacht vom 3. zum 4. Februar
1825 geschehen. In vielen Dingen soll dieses grausige Ereignis den
Sturmfluten von 1634 und 1717 ähnlich gewesen sein. Auch diesmal kam
der Sturm erst aus Südwesten und drehte dann nach Nordwesten um.
Sylt, Amrum, Föhr, am meisten aber die Halligen und Pellworm wissen
von dieser Unglücksnacht zu erzählen. In mehr als 100 Häuser auf
der erstgenannten Insel drangen die Wasserströme ein, viele davon
wurden zerstört, und das kleine, verarmte Dorf Rantum ging fast ganz
verloren. Föhrs Deiche brachen an fünf verschiedenen Stellen; seine
Marschen wurden überschwemmt, zwei Menschenleben, viele Kühe und 4000
Schafe kamen in den Wellen um. Auf den Halligen standen vor dieser
Sturmflut 339 Häuser; davon waren 79 ganz verschwunden und 233 durch
das Wasser unbewohnbar geworden. Auf Hooge ertranken 28 Menschen, 30
auf Nordmarsch und Langeneß, 10 auf Gröde. Die von den Wellen verschont
gebliebenen Halligbewohner saßen durchnäßt, hungernd und frierend auf
den Trümmern ihrer Wohnstätten, fanden aber durch die Barmherzigkeit
der Föhringer fast alle Obdach und freundliche Aufnahme in Wyk auf
Föhr. Manche blieben für immer dort, andere siedelten sich auf dem
Festlande an, die übrigen kehrten bald wieder auf ihre verödeten
Heimstätten zurück und fingen von neuem an zu bauen an Werften und
Häusern. Nur Norderoog ist nach dieser Flut nicht wieder bewohnt
worden. Im Sommer 1825 ist König Friedrich ~VI.~ von Dänemark selbst
nach den nordfriesischen Inseln gekommen, um sich persönlich von dem
unhaltbaren Zustand an den Westmarken seines Reiches zu überzeugen. Das
Königshaus auf der Hallig Hooge erinnert heute noch an diesen seltenen
Besuch. Seither ist manches geschehen, um den bestehenden Übelständen
abzuhelfen und das gefährdete Land vor neuem zerstörenden Anprall der
Nordseewogen zu beschützen. Im Laufe der Jahre hatte man gelernt, daß
die Eindeichung des Landes die größte Gefahr bringt, solange sie nicht
auch gegen die höchste Flut Sicherheit zu gewähren vermag. „Während
selbst das empörteste Meer und die höchste Flut machtlos über den
uneingedeichten ebenen Rasen rollt, vernichtet die Sturmflut, welche
den Deich zerbricht, nicht bloß diesen, daß er in ruinenhaften Trümmern
stehen bleibt und maßlose Erdopfer zu seiner Wiederherstellung braucht,
sondern an der Stelle des Bruches entsteht auch durch den Wasserfall
ein ausgewühlter, tiefer Kolk, eine Wehle, die sich wohl immer und
immer wieder als neue Angriffsstelle darbietet. Auch das innerhalb
des Kooges beackerte, also seiner Rasendecke beraubte Land wird bis
zu jener Tiefe abgeschält, die dem Aus- und Einlaufen der Fluten
entspricht, und geht dadurch, wenn neue Eindeichung nicht bald möglich
ist, gänzlich verloren, wird wieder zu Watt. Leider ist diese Erfahrung
so spät gewonnen, daß der größte Teil des alten Nordfrieslands verloren
war, als man lernte, die Kraft des ganzen Hinterlandes zu verwenden, um
den Schutz gegen das Meer zu einem wirklich vollständigen zu machen“
(Meyn).

[Illustration: Abb. 33. ¯Die Häuser der Hallig Gröde.¯ (Nach einer
Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

[Sidenote: Rettung der Inseln.]

Die heutigen, gegen die verflossenen Zeiten so sehr veränderten
Verkehrsverhältnisse ermöglichen das Heranziehen großer Arbeitermengen,
und dadurch ist nach dem Landesbaurat Eckermann, aus dessen Geschichte
der Eindeichungen in Norderdithmarschen wir citieren, der Deichbau der
Jetztzeit gegen die früheren Jahrhunderte in außerordentlich günstiger
Lage. In alter Zeit war jede Kommune bei den Eindeichungen auf ihre
eigenen Kräfte angewiesen; nur bei ganz außergewöhnlichen Aufgaben
wurden die benachbarten Harden und Kirchspiele auf fürstlichen Befehl
mit zu der Arbeit herangezogen. Dammbauten zwischen den Halligen und
dem Festlande helfen neuerdings zur Befestigung und Rettung der Inseln.

[Illustration: Abb. 34. ¯Haus der Hallig Gröde.¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]



~V.~

Land und Leute.


[Illustration]

[Sidenote: Die Watten.]

Bei Endrup, gegenüber der kleinen dänischen Insel Manö, beginnt der
deutsche Teil der Nordseeküste und zieht sich in etwa nordsüdlicher
Linie bis zu der Elbmündung hin. Von hier nimmt ihr Verlauf eine
westöstliche Richtung und erreicht an dem Einfluß der Ems ins Meer und
am Dollart die holländische Grenze. Wie wir schon weiter oben gesehen
haben, trägt das deutsche Gestade an der Nordsee den Charakter einer
Doppelküste, indem der mannigfach gegliederten Festlandsküste eine
Inselküste vorgelagert ist, der Überrest eines großen, im Laufe der
Äonen zerstörten und vormals bis weit nach Westen reichenden Areales.
Zwischen beiden Küstenlinien dehnt sich das Watt aus, das vor den
Einmündungen der Eider, Elbe, Weser und Ems Unterbrechungen erleidet,
aber längs der Unterläufe dieser Ströme seine Fortsetzung in das
Flachland hinein in der Gestalt der Flußwatten besitzt. Neben diesen
Wasserläufen ergießen sich noch eine beträchtliche Anzahl von kleineren
Flüssen in das deutsche Meer, so von Schleswig-Holstein her die Bredau,
die Wiedau bei Hoyer, die Husumer Au, die Miele bei Meldorf u. s. f.,
und die zahlreichen Küstenflüsse in Hadeln und Wursten, Butjadingen, im
Gebiete der Jade und in Ostfriesland.

[Illustration: Abb. 35. ¯Küche des Gröder Hauses.¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

Es ist in allerneuester Zeit die Ansicht ausgesprochen worden, daß
in den sogenannten Baljen, welche die einzelnen ostfriesischen Inseln
voneinander trennen, die Fortsetzung etlicher dieser Gewässer zu suchen
sein könnte, ebenso, wie an der Westküste von Schleswig-Holstein
die dort ins Meer fallenden Wasserläufe in Verbindung mit den ihren
Mündungsstellen entsprechenden Tiefen stehen dürften, so die Brönsau
im äußersten Norden unseres Gebietes mit dem Juvrer Tief, die Wiedau
mit dem Römer Tief, die Eider mit dem Süderhever, die Miele mit dem
Norderpiep u. s. f.

[Sidenote: Die Inselreihen.]

Die Inselküste gliedert sich in die zur cimbrischen Halbinsel
gehörige Kette der nordfriesischen Eilande. Röm oder Romö ist das
nördlichste derselben, dann folgen das lang gestreckte Sylt und Amrum,
mehr landeinwärts und von Amrum gedeckt, Föhr, hierauf die Gruppe
der Halligen mit Nordstrand und Pellworm. Vor dem linken Ufer der
Elbemündung erhebt sich Neuwerk aus den Fluten und weit draußen, rings
von der offenen Nordsee umspült, steigt der rote Felsen Helgolands
mit seinen Riffen aus dem Wasser empor. Wangeroog eröffnet den
ostfriesischen Inselkranz, den weiter Spiekeroog, Langeoog, Baltrum,
Norderney, Juist und Borkum bilden, und der sich jenseits der deutschen
Meeresgrenze längs der niederländischen Küste über die Zuidersee hinaus
fortsetzt. Von der vielgestaltigen Gliederung der Festlandsküste mit
den Halbinseln Eiderstedt, Dieksand u. s. f. ist schon weiter oben kurz
die Rede gewesen.

[Illustration: Abb. 36. ¯Einholen des Netzes beim Sandspierenfang.¯]

Was nun das Klima anbetrifft, so schreibt Penck darüber, daß nicht
die Bodengestaltung die klimatischen Verschiedenheiten einzelner
Teile Norddeutschlands bedinge. Die geographische Breite im Verein
mit der mehr oder minder großen Nähe des Meeres erweist sich
dagegen als Hauptfaktor bei der Bestimmung der Temperatur und
Regenverhältnisse eines Ortes. Die wärmsten Gegenden sind im Westen,
im Bereiche der großen Moore belegen, und längs der Ems findet man
mittlere Jahrestemperaturen von 9° und darüber. Die Regenmenge auf
den nordfriesischen Inseln erhebt sich bis auf 1000 ~mm~; in den
Moorgegenden beträgt dieselbe an 800 ~mm~.

In politischer Beziehung gehören die Lande an dem deutschen
Nordseegestade mit alleiniger Ausnahme des Gebietes der freien Städte
Hamburg und Bremens, sowie des oldenburgischen Küstenstriches dem
Königreich Preußen, und zwar den Provinzen Schleswig-Holstein und
Hannover an.

[Illustration: Abb. 37. ¯Seehundsjäger.¯]

[Sidenote: Geest und Marsch.]

Mit Ausnahme einiger weniger Stellen, an denen anstehendes Gestein
zu Tage tritt (Helgoland, Stade, Hemmoor, Umgebung von Altona und an
anderen Orten, Lägerdorf bei Itzehoe, Schobüller Berg bei Husum),
das dem Zechstein, der Trias, der Kreide und dem Tertiär angehört,
nehmen ausschließlich nur Diluvium und Alluvium, in den Dünen und dem
Flugsande auch Gebilde äolischer Art an dem Aufbau der Lande an der
deutschen Nordseeküste teil. Aus dem Diluvium besteht der innere Kern
des Küstenlandes, der wiederum in der Tiefe auf älteren Formationen
aufruht. Da und dort tritt diese Quartärbildung hervor, jedoch wird
sie auch vielfach von Alluvium und zwar von Mooren und Marschen,
oder von Dünen überlagert. Vom geographischen Standpunkte aus sind
zu unterscheiden: die Geest und die Marsch. Schon vor 50 Jahren hat
Bernhard von Cotta den zwischen den beiden ebengenannten Bildungen
bestehenden Gegensatz also definiert: „Die Marsch ist niedrig, flach
und eben, die Geest hoch, uneben und minder fruchtbar. Die Marsch
ist kahl und völlig baumlos, die Geest stellenweise bewaldet, die
Marsch zeigt nirgends Sand und Heide, sondern ist ein ununterbrochener
fetter, höchst fruchtbarer Erdstrich, Acker an Acker, Wiese an Wiese;
die Geest ist heidig, sandig und nur stellenweise bebaut. Die Marsch
ist von Deichen und schnurgeraden Kanälen durchzogen, ohne Quellen
und Flüsse, die Geest hat Quellen, Bäche und Ströme.“ Der eigentliche
Geest- oder Heiderücken, ursprünglich nur mit Heide, Brahm und
verkrüppelten Eichen bestanden und Roggen als Ackerfrucht tragend,
wird von einem schwach lehmigen, aber sehr eisenschüssigen Sande
bedeckt, der gewöhnlich reich an Grand und stark abgerundeten Geröllen
ist. Nicht selten liegen einzelne Riesenblöcke umher, welche von den
germanischen Ureinwohnern zu ihren Steinsetzungen und zur Herstellung
ihrer Hünengräber verwendet worden sind. Breite Thäler unterbrechen
zuweilen den Geestrücken, von grobem Sande ohne Rollsteine erfüllt oder
auch wirkliche Moorsümpfe tragend. Man hat diese Erscheinungen zum
Unterschiede von der eigentlichen Geest auch als Blachfeld bezeichnet.
Der Sand des letzteren ist alluvialen Alters, während die sandigen
Lagen der eigentlichen Geest, der Geschiebedecksand, noch dem Diluvium
zugerechnet werden müssen, wie auch der an manchen vom letzteren freien
Stellen des Bodens zu Tage tretende Geschiebe- resp. Moränenmergel.
Weiter nach der Küste zu entwickelt sich aus dem Blachfelde die von
steinleerem, mehligem Sande bedeckte Heideebene oder Vorgeest, deren
unfruchtbarste Teile durch die unzugänglichen Einöden der Hochmoore
gebildet werden oder von Binnenlandsdünen durchzogen sind, Sandschollen
und Sandhügel, die der Wind aus dem Heidesand aufgetürmt hat. Solche
Hochmoore befinden sich in ganz besonders großartiger Entfaltung im
westlichen Teil der deutschen Nordseeküstenländer, am stärksten im
Gebiete zwischen den Mündungen der Weser und Ems. Im Regierungsbezirk
Aurich entfallen 748,8 Quadratkilometer = 24,6% der Bodenfläche
auf Moor, im Regierungsbezirk Osnabrück 1249,9 Quadratkilometer
= 20,5%, im Regierungsbezirk Lüneburg 776,4 Quadratkilometer =
7%, im Regierungsbezirk Stade 1877,6 Quadratkilometer = 28,2%, im
Großherzogtum Oldenburg 945,4 Quadratkilometer = 18,6%. Etwa 27500
Quadratkilometer Moorlandes befinden sich innerhalb der Grenzen des
Deutschen Reiches, und davon kommt auf die Provinz Hannover mit
Oldenburg zusammen allein beinahe der vierte Teil, ungefähr 6525
Quadratkilometer. Schleswig-Holsteins Moorflächen schätzt man auf 1500
Quadratkilometer, von denen etwa ein Drittteil auf das eigentliche
Areal der Nordseeküste zu stellen wäre, und wenn man die Wasserscheide
zwischen Nord- und Ostsee als östliche Grenzlinie unseres Areals
ansehen wollte -- was in rein geographischem Sinne seine Richtigkeit
hätte --, so müßte der weitaus beträchtliche Teil dieser Zahl dazu
gerechnet werden.

[Illustration: Abb. 38. ¯Nordstrand. Partie am Norderhafen.¯
(Liebhaberaufnahme von A. Höck in Nordstrand.)]

[Sidenote: Moorbildungen.]

Man hat in unserem Gebiet zweierlei Moorbildungen zu unterscheiden,
nämlich die Grünlands-, Wiesen- oder Niederungsmoore und die
Hochmoore. Die ersteren bestehen vorwiegend aus den Resten von
Gräsern, Scheingräsern, Moosen und Sumpfwiesenpflanzen und sind
reich an wichtigen Pflanzennährstoffen, so an Stickstoff und Kalk.
Wir finden diese Art Moore in den Niederungen, den Thälern träge
fließender Gewässer, die zur Versumpfung des Geländes Anlaß geben. Ihre
Erhebung über den Wasserspiegel ist nur sehr gering. In den weiten
Flußthälern des Nordwestens sind sie in großer Ausdehnung vorhanden, so
beispielsweise im Gebiet der Wümme und Hamme, die vereint als Lesum in
die Weser fließen.

[Illustration: Abb. 39. ¯Ein Mövennest.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

[Sidenote: Moor und Heide.]

Die verbreitetste Moorart im deutschen Nordwesten stellen jedoch
die Hochmoore dar, die dort ungeheure Flächen bedecken. Sphagneen
(Torfmoose), einzelne grasartige Pflanzen, als Simsen und Wollgräser
und heidekrautartige Gewächse nehmen an ihrer Zusammensetzung teil.
Die Hochmoore zeigen eine Art von Schichtung, indem deren untere Lagen
gewöhnlich sehr dicht, ziemlich stark zersetzt, dunkel gefärbt und
nicht selten reich an Holzresten sind, während die oberen häufig hell,
locker, faserig und mit bloßem Auge schon als Reste von Torfmoosen
erkennbar sind. „Diese letzteren besitzen ein außerordentlich hohes
Vermögen, das Wasser aufzusaugen und festzuhalten, sie bilden einen
ungeheuren, wassererfüllten Schwamm, Generationen auf Generationen
wachsen empor, solange die Feuchtigkeit ausreicht, und gehen unter, um
dem eigentümlichen Prozeß der Vertorfung zu verfallen; nicht selten
erheben sich die centralen Teile des Hochmoors merklich über die
Umgebung, was zur Entstehung des Namens Veranlassung gegeben haben mag.
In unberührtem, jungfräulichem Zustand trägt die Oberfläche unserer
Hochmoore ein dichtes, üppiges Torfmoospolster, in dem spärlicher oder
zahlreicher Simsen und Wollgräser, und nach dem Grade der natürlichen
Abwässerung Heidekräuter eingestreut erscheinen. Hin und wieder fristet
eine Kiefer oder eine Birke ein kümmerliches Dasein. In unzähligen
Lachen und Rinnsalen steht das braune Moorwasser; ein Beschreiten des
schwankenden Bodens ist unmöglich oder mit großer Vorsicht nur zu sehr
trockener Zeit oder im Winter, bei Frost ausführbar“ (Tacke).

Da, wo das Gebiet der Vorgeest von Bächen durchzogen wird, die vom
Blachfeld herkommen, tritt die Heidebildung zurück, und ihre Stelle
nimmt eine dem Acker- und Wiesenbau zugängliche Grasvegetation ein,
die zur förmlichen Sandmarsch wird und an manchen Stellen in die
eigentliche Marsch übergeht. Dieser Übergang wird nicht selten durch
graswüchsige Grünlandsmoore vermittelt.

Ohne ihre landschaftlichen Reize ist die Heide übrigens nicht, und sie
bietet dem Beschauer gar oftmals ganz herrliche Stimmungsbilder, denen
eine gewisse schwermütige Färbung zu eigen ist. Meisterlich hat es
der schleswig-holsteinische Schriftsteller und Dichter Wilhelm Jensen
verstanden, in seinen Werken die eigentümlichen, düsteren Reize der
Heide in seiner Heimat zu schildern, und ein wundervolles Bild davon
rollt uns Theodor Storm in seinem „Abseits“ betitelten Gedicht auf:

    Es ist so still; die Heide liegt
  Im warmen Mittagssonnenstrahle,
  Ein rosenroter Schimmer fliegt
  Um ihre alten Gräbermale,
  Die Kräuter blühn; der Heideduft
  Steigt in die blaue Sonnenluft.

    Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
  In ihren goldnen Panzerröckchen,
  Die Bienen hängen Zweig um Zweig
  Sich an der Edelheide Glöckchen,
  Die Vögel schwirren aus dem Kraut --
  Die Luft ist voller Lerchenlaut.

[Illustration: Abb. 40. ¯Meldorf.¯]

Wenn uns so der große Sohn Husums die Heide in der Schwüle eines heißen
Sommertages zeigt, im rotvioletten Schimmer ihrer blühenden Erica, so
hat uns Herman Allmers, der Friesendichter, eine nicht minder herrliche
Beschreibung der Heidelandschaft gegeben, wenn sie mit ihren weiten
Flächen im Zwielicht der Dämmerung oder in der gespenstigen Beleuchtung
des Mondscheins daliegt:

    Wenn trüb’ das verlöschende letzte Rot
  Herschimmert über die Heide,
  Wenn sie liegt so still, so schwarz und tot,
  Soweit du nur schauest, die Heide;
  Wenn der Mond steigt auf und mit bleichem Schein
  Erhellt den granitenen Hünenstein,
  Und der Nachtwind seufzt und flüstert darein
  Auf der Heide, der stillen Heide.

    Das ist die Zeit, dann mußt du gehn
  Ganz einsam über die Heide,
  Mußt achten still auf des Nachtwinds Wehn
  und des Mondes Licht auf der Heide;
  Was du nie vernahmst durch Menschenmund,
  Uraltes Geheimnis, es wird dir kund,
  Es durchschauert dich tief in der Seele Grund
  Auf der Heide, der stillen Heide.

[Sidenote: Marsch und Watt.]

Ein Marschgürtel von verschiedener Breite (an der Küste
Schleswig-Holsteins von 7 bis 22 Kilometer) umgibt das deutsche
Küstenland an der Nordsee von Hoyer in Nordschleswig bis zu den
Grenzpfählen der Niederlande. Es ist das dem Meere wieder abgerungene
und durch Deiche vor seiner Zerstörungswut geschützte Land, Watt, das
urbar gemacht und in kulturfähigen Zustand übergeführt worden ist. Dies
wird bewirkt durch geeignete Vorrichtungen, als die zapfenförmig in das
Meer hineinreichenden, sogenannten Schlengen oder Lahnungen, lange mit
Pfählen befestigte Buschdämme und durch Auswerfen von sehr breiten,
aber ganz flachen Gräben, in denen sich bei richtiger Anlage und unter
günstigen Verhältnissen der Schlick rasch ablagert. „Im Frühling,“ sagt
L. Meyn, „sieht man das sonst schwarzgraue Watt auf weite Flächen vom
Lande aus mit dunkelgrüner Farbe bedeckt. Der Landmann sagt: das Watt
blüht. Im Sonnenschein wird das Grün heller, es trocknet ein und wird
schließlich zu einer gelben oder braunen Kruste, aus unzähligen Fäden
einer Konserve zusammengefügt, welche vorher während der Bedeckung lang
hingestreckt mit dem Ebbe- oder Flutstrom im Wasser schwanken.“

[Illustration: Abb. 41. ¯Binnenhafen zu Brunsbüttel.¯

(Nach einer Photographie von Th. Backens in Marne.)]

Die zarten, schnell wachsenden Keime dieser Kryptogamen, welche
unendlich verbreitet sind, finden ihren Halt, indem sie sich auf die
weichen Teile des Schlicks heften. Mit jeder neuen Flut aufgeweicht
oder neugesät, erscheinen sie von neuem, beitragend zur Vermehrung der
Masse und zur Befestigung des neuen Bodensatzes. Mit bezeichnendem
Namen ist diese nur in Massen sichtbare Pflanze als „landbildend“
(~Conferva chtonoplastes~) in der Naturgeschichte eingeführt.

[Illustration: Abb. 42. ¯Kaiser Wilhelms-Kanal. Elbschleuse.¯ (Nach
einer Photographie von Th. Backens in Marne.)]

Wenn die Anschlickung nun schon so hoch geworden ist, daß die
gewöhnliche Flut sie täglich nur noch kurze Zeit bedecken kann, so
erscheint ein Gewächs, das „zu den auffallendsten Gestalten im ganzen
deutschen Pflanzenschatze gehört“. Das ist der Queller oder Quendel
(~Salicornia herbacea, L.~). Dasselbe besitzt das Aussehen eines
fetthenneartigen, fausthohen, vollsaftigen Pflänzchens mit vielen Ästen
und Abzweigungen, das vermöge dieser letzteren besonders geeignet ist,
den Schlick festzuhalten. Noch im Bereiche der Wellen, als wären sie
künstlich in den Sand gesteckt, finden sich bereits einige Individuen
des Quellers; landaufwärts zeigen sich immer mehr und gehen dann
ziemlich rasch, aber immer nur der Böschung gerecht werdend, in einen
ganz geschlossenen buschigen Rasen über.

[Sidenote: Entstehung der Marschen.]

Durch stetiges Auffangen des Schlammes erhöhen und festigen die
Quellergewächse die Wattflächen, und in stillen Buchten, wo keine
heftige Strömung oder große und stürmische Fluten diesen Prozeß störend
unterbrechen, kann der Anwuchs bis zu 50 Meter im Jahre groß werden,
während das geringste Maß auf 2 Meter geschätzt wird. Allmählich
stellen sich dann noch andere Pflanzen ein, darunter fleischige
Salzpflanzen (~Salsola Kali, L.~, ~Atriplex arenaria, Woods~, u.
s. f.), Sandkräuter von kleinem Wuchse (~Lepigonum marinum, L.~,
~Plantago maritima, L.~, ~Armeria maritima, Willd.~), das Seegras, die
Meergrasnelke, der Strandwermut u. s. f.

Ihnen allen gelingt es aber nicht, den Queller zu verdrängen;
das vollbringt nur die sich nun in gewaltiger Masse ausbreitende
Binsenlilie (~Juncus bottnicus, Wahlenb.~), „die den bezeichnenden
Namen Drückdahl erhalten hat, weil sie alles Höherwachsende
niederdrückt“.

[Illustration: Abb. 43. ¯Kaiser Wilhelms-Kanal. Brunsbütteler Schleuse.¯

(Nach einer Photographie von Th. Backens in Marne.)]

Nun wächst die Anschlickung immer mehr und mehr, bis sie jene Höhe
bekommen hat, wo sie durch das Regenwasser genügend von den immer
seltener werdenden salzigen Überflutungen der See ausgesüßt werden
kann. Wenn das der Fall geworden ist, müssen die vorgenannten Gewächse
dem Graswuchse weichen. Bald entstehen denn auch auf dem so dem
Meere entstiegenen Vorlande dichte Rasen von zwei Gräsern, ~Glyceria
distans, Wahlenb.~ und ~Glyceria maritima, Drej~, der Andel, die
reiches Futtergras und äußerst wertvolles Heu liefern. Wenn sich nun
im Laufe der Jahre der Boden noch mehr erhöht und seinen Salzgehalt
fast gänzlich verloren hat, so ist die Zeit gekommen, sein Areal vor
dem ferneren Eindringen des Meeres dauernd zu schützen. Es hat nun
alle hierzu erforderlichen Eigenschaften erhalten, es ist „deichreif“
geworden, und das deutsche Küstenland kann einen Koog (an der
schleswig-holsteinischen Küste) oder Polder (westlich der Elbe) mehr zu
seinem Gebiete zählen.

[Illustration: Abb. 44. ¯Kaiser Wilhelms-Kanal. Binnenhafen am
Brunsbüttelkoog.¯ (Nach einer Photographie von Th. Backens in Marne.)]

[Sidenote: Eindeichungen.]

Die Deiche, in einigen Gegenden auch Kaje genannt (das französische
Wort ~quai~ ist ja bekannt), welche im Landschaftsbild als hohe,
grasbewachsene Wälle erscheinen, die jede Fernsicht abschneiden und
den Horizont der Marsch recht einförmig begrenzen, umranden das ganze
Gebiet unserer Nordseeküste und ziehen sich bis weit in die Unterläufe
der großen Wasserläufe hinein. Nur an wenigen Stellen, auf der langen
Linie zwischen dem Dollart und Hoyer und zwar da, wo Geest oder Dünen
bis an den Meeresstrand vorrücken, setzt diese Deichumwallung aus. Dies
ist der Fall beim Dorfe Dangast am Jadebusen, in der Nähe von Cuxhaven,
an der Hitzbank bei St. Peter in Eiderstedt und am Schobüller Berg bei
Husum. Nach der Seeseite zu sind diese 6–8 Meter über der gewöhnlichen
Fluthöhe sich erhebenden, grasbewachsenen Deiche sanft abgeböscht,
und zuweilen ist hier ihr Fuß mit starken Pfählen berammt oder mit
großen Steinsetzungen bewehrt, um sie widerstandsfähiger gegen den
Andrang der Wogen zu machen. Förmliche Steindossierungen an besonders
exponierten Stellen kommen ebenfalls vor. Nach dem Lande zu fällt der
Deich ziemlich steil ab, etwa mit 45° Neigung. Im allgemeinen dürfte
die Breite des Deichfußes 15–40 Meter betragen, diejenige des Kammes
oder der Kappe ungefähr 2–4 Meter.

Um dem Binnenwasser Abfluß zu verschaffen, ebenso um dessen Wasserläufe
in schiffbarer Verbindung mit dem Meere zu erhalten, sind die Deiche
mit Schleusenanlagen, mit Sielen versehen, deren Thore durch die
ankommende Flut geschlossen, bei Niedrigwasser jedoch durch den Druck
der davor angesammelten Binnengewässer wieder geöffnet werden.

Die Unterhaltung ihrer Deiche ist eine der Hauptsorgen der
Marschbewohner und eine nicht minder kostspielige Sache, als deren
Aufbau. Nach Jensen waren zur Eindeichung eines Kooges in der
tondernschen Marsch von 670 Hektar Größe 6,5 Kilometer Deich notwendig,
zu rund 700 Mark Kosten für das Hektar. Nach dem Genannten erforderte
der 14,32 Kilometer Gesamtlänge besitzende Osterlandföhrer Deich
in dem Zeitraum von 1825–1880 etwa 300000 Mark für Verstärkung und
Verbesserung, außerdem noch jährlich an 37318 Mark für Strohbestrickung
und ähnliche Dinge, ein Betrag, der von den Besitzern der 2591,56
Hektare deichpflichtiger Marschländereien aufgebracht werden mußte.
Durch die Deichverbände wird für diese Instandhaltung bestens gesorgt.
Das Herzogtum Schleswig hat beispielsweise drei solche Vereinigungen,
deren eine die Marschen des früheren Amtes Tondern, 32 Köge mit 32500
Hektaren, die zweite diejenige des vormaligen Amtes Bredstedt, 40 Köge
mit 20500 Hektaren, und die dritte diejenige des früheren Amtes Husum,
Eiderstedt u. s. f. mit ungefähr 31800 Hektaren Marschlandes umfaßt.
Holsteins Marschen sind in sechs größere Deichverbände eingeteilt,
so derjenige der Wilstermarsch, der Süderdithmarschens, derjenige
Norderdithmarschens u. s. f.

Übrigens darf nicht zu früh zur Eindeichung geschritten werden, und
Hand in Hand mit derselben muß auch eine rationelle Entwässerung des
neueingedeichten Landes vor sich gehen, damit das letztere nicht unter
allzu großer Nässe zu leiden hat, wie dies z. B. mit dem Stedinger
Lande am linken Weserufer der Fall ist.

Dem „blanken Hans“, so nennt der Nordfriese die Nordsee, hat man
im Verlaufe der Jahrhunderte an der Westküste Schleswigs etwa 120
Köge abgerungen, die in ihrem gegenwärtigen Bestand ungefähr 900
Quadratkilometer umfassen. „Von den 20000 Hektaren,“ sagt Jensen,
„welche Nordstrand 1634 verloren, sind 6700 Hektare wieder gewonnen
worden, während im übrigen seit 1634 an der ganzen schleswigschen
Westküste etwa 130 Quadratkilometer eingenommen worden sind.
Seit 1860 haben 2252 Hektare Fläche mit 2476000 Mark Wert dem
Überschwemmungsgebiete des Meeres entzogen werden können. Wie demnach
die Watten der ausgebreitete Kirchhof der Marschen sind, so sind also
die Marschen Koog an Koog ein ebenso langer Triumphzug des Menschen
über die Natur.“

Der auf diese Weise gewonnene Boden, der Marschklei, ist von äußerster
Fruchtbarkeit; derselbe besitzt eine zu ungewöhnlichen Tiefen
reichende, fast gar nicht schwankende Zusammensetzung der tragfähigen
Krume und ist in ausgezeichneter Weise für den Anbau des Korns, der Öl-
und der Hülsenfrüchte geeignet. Natürlich ist dementsprechend auch der
Wert des Landes in den Marschen ein hoher. So sind im jüngsten Kooge
an der Westküste der Herzogtümer, im Kaiserin Auguste Viktoria-Kooge
im April 1900 für 367 Hektare 1038850 Mark erzielt worden, so daß der
Durchschnittspreis für 1 Hektar 2617 Mark beträgt. Der höchste Preis
für 1 Hektar war 3000 Mark, der niedrigste 1500 Mark.

[Illustration: Abb. 45. ¯Kaiser Wilhelms-Kanal. Hochbrücke bei
Grünenthal.¯]

[Sidenote: Deiche.]

Innerhalb des vom großen See- resp. Außendeich umwallten Landes
liegen vielfach kleine Erdwälle, die Sommerdeiche, welche größere
Landkomplexe umschließen und gegen Überschwemmung von seiten der die
Marschländereien durchziehenden Kanäle schützen sollen, teilweise auch
ehemalige durch Gewinnung vom neuen Vorlande außer Dienst gesetzte
Seedeiche sind. Windmühlen und andere derartige Anlagen schaffen das
überflüssige Wasser aus den Gräben und kleineren Kanälen fort und
dann durch die Schleusen bei Ebbezeit in die See. Wie schon weiter
oben bemerkt wurde, trägt die Marsch keinerlei größere Holzungen,
dagegen sind die Wohnstätten oftmals von ansehnlichen, wohlgepflegten
Baumgruppen umgeben, welche von der Ferne gesehen den Eindruck kleiner,
schattiger Haine beim Beschauer erwecken.

[Sidenote: Werften.]

Schon Plinius erwähnt in seiner Naturgeschichte jene von Menschenhand
aufgeworfenen Hügel, worauf das armselige Volk an den Gestaden des
germanischen Meeres seine Hütten erbaut hatte. Auf solchen Erhöhungen,
die entweder aus gewachsenem Boden bestehen, also natürliche Erhebungen
des Erdreiches darstellen, oder künstlich gemacht worden sind, steht
die größte Mehrzahl der menschlichen Ansiedelungen in den Marschlanden.
Man nennt diese Hügel Warfen, Warften, Würten, Worften, Werften und
Wurthen.

[Sidenote: Geographische Lage der Städte.]

In seinem interessanten Werke über die Städte der norddeutschen
Tiefebene in ihren Beziehungen zur Bodengestaltung hat der Königsberger
Geograph Hahn auf die Lage der Städte in unserem Areale, als Randstädte
an der Grenze zwischen Geest und Marsch aufmerksam gemacht. Der Boden
der eingedeichten Marschlande mit seinem hohen Wert war offenbar kein
günstiger Bauplatz für größere Ortschaften und Städte. Man wollte das
kostbare Land nicht durch Bebauung der Kultur entziehen, andererseits
aber auch Haus und Hof vor etwaigen Überschwemmungen schützen, und
darum suchte man sich besonders dort, wo das Marschgebiet nicht
mehr so breit war, den nahebelegenen Geestrücken zur Errichtung
der Ansiedelungen aus. Von dort ließen sich die Marschareale gut
übersehen und ebenso bequem bewirtschaften. So liegt z. B. Hoyer auf
einem Geesthügel, der rings von Marschwiesen umgeben ist, dagegen
macht Tondern eine Ausnahme, und seine niedere Lage ist wohl mit
Rücksicht auf die Ausnützung der Schiffahrtsgelegenheit gewählt
worden. Bredstedt, Husum, Garding in Eiderstedt, Lunden, Heide,
Meldorf, Itzehoe gehören zu dieser Art von Randstädten, hinwiederum
sind Wesselburen und Marne typische Marschorte. Ebenso ist Hamburg
ursprünglich auf der schmalen Geestzunge erwachsen, welche Elbe
und Alster trennt. Erst später griff sein Weichbild über auf das
Marschland. Dann müssen links des Elbstroms Harburg, Buxtehude,
Horneburg an der Lühe, Stade, Varel und Jever hier genannt werden,
ebenso in Ostfriesland Wittmund, Esens und Norden. Zu denjenigen
Randstädten, welche zwar auf Geestboden erbaut sind, der aber mehr von
Moor als von Marsch oder ganz von ersterem umgrenzt wird, wären Aurich,
Weener und Bunde, alle drei in Ostfriesland, zu zählen.

[Sidenote: Volksdichte.]

Sehr verschieden ist die Größe der Volksdichte im Geest-, Moor- und
Marschland. Auf den Geestflächen Schleswig-Holsteins beträgt sie 30–40
Seelen auf den Quadratkilometer, in den Gegenden der großen Moore sinkt
sie sogar öfters unter 30 herab, während in den Marschen an 80 Menschen
den Quadratkilometer Land bewohnen. Der Stader Marschkreis weist eine
Volksdichte von 75 Einwohnern für den Quadratkilometer auf, der Stader
Geestkreis nur eine solche von 42 Seelen für die gleiche Fläche.

[Illustration: Abb. 46. ¯Itzehoe.¯

(Nach einer Photographie von H. Mehlert in Itzehoe.)]

[Sidenote: Die Bevölkerung.]

Dänen im Norden, Friesen, Sachsen, eingewanderte Holländer in den
Marschen, Sachsen auf der Geest, das sind die Volksstämme, welche
die deutsche Nordseeküste bewohnen. Die ursprünglichen Landsassen
waren wohl die germanische Völkerschaft der Chauken, welchen Tacitus
das Lob gespendet hat, der edelste Stamm unter den Germanen zu sein,
gerechtigkeitsliebend, ohne Gier nach fremdem Hab und Gut, mann- und
wehrhaft. Die großen Sachsenzüge nach England im fünften Jahrhundert
entvölkerten das Land, und die Friesen nahmen, von Westen her
vordringend, die leer gewordenen Wohnplätze der Chauken ein. Noch zur
Römerzeit reichten die Ansiedelungen dieses ersteren Volkes im Osten
nur bis zur Ems. So kamen die Friesen auch auf die cimbrische Halbinsel
und machten die Treene und Wiedau zur Grenze ihrer Ansiedelungen. Von
Hattstedt bei Husum bis nach Hoyer und auf den nach ihrer Bevölkerung
benannten nordfriesischen Inseln ist heute noch dieses Element unter
den eigentlichen Einwohnern des Landes vorherrschend. Jenseits der
Elbe hat Kehdingen eine aus Sachsen und Friesen gemischte Bevölkerung,
Wursten, das Vieland, Wührden und Osterstade sind ganz friesisch, und
bis oberhalb Bremen läßt sich am rechten Weserufer der friesische
Charakter, wenn auch nicht allgemein, so doch da und dort nachweisen.
Auch an der linken Seite der Weser finden sich mitten im Sachsenlande
friesische Enklaven. Stedingerland, Stadland, Butjadingen und die ganze
Provinz Ostfriesland mit Ausnahme des Lengener Landes gehören völlig
den Friesen an. Dithmarschen und die Geestgebiete der cimbrischen
Halbinsel sind sächsisch, ebenso wird links der Elbe das Land Hadeln
von Sachsen bewohnt, während im Alten Lande und teilweise in den
Elbmarschen eingewanderte Holländer sich niedergelassen haben.

[Illustration: Abb. 47. ¯Elmshorn.¯]

Diese Verschiedenheit in der Abstammung der Bewohner unserer
Nordseeküste kommt naturgemäß auch in ihrem Körperbau und ihrem
Charakter, in ihren Sitten und Gebräuchen, ihrer Sprache, Tracht und
in der Art ihrer Wohnstätten zum Ausdruck. So ist beispielsweise
der Marschfriese von breitschultriger, nicht über das Mittelmaß der
Höhe hinausgehender Gestalt, stark, mit breiten Händen und feinem,
schlichtem hellfarbigen Haar, hellblauen oder grauen Augen, weißer
Gesichtsfarbe und rundlichem Antlitz, meist ohne scharf ausgeprägte
Züge. Sein Charakter ist ernst, zuweilen sogar finster, er wird nicht
leicht fröhlich, wenn er aber lustig wird, so hat seine Heiterkeit
leicht etwas Gewaltsames. Das Sprichwort: „~Frisia non cantat~“ ist ja
bekannt. Schwer geht der Friese aus sich heraus, zeigt aber großen Hang
zum Aufwand und zur Pracht, ist von peinlicher Sauberkeit und stolz
auf seinen von seinen Vätern dem Meere abgerungenen Besitz. Dagegen
ist der Sachse schmächtiger und hagerer gebaut, hat lange Beine und
einen kurzen Oberkörper, ein schmales Gesicht und ausgeprägte Züge.
Bewunderungswürdig ist die Heimatsliebe der Friesen. Wie weit sie auch
in der Welt herumkamen, wie groß auch der Wohlstand war, zu dem sie es
dort gebracht hatten, Länder und Städte draußen hatten keinen Reiz für
sie, immer und immer wieder zog sie ihre meerumspülte Heimat an. Hier
war es am schönsten und besten; nach langem Umherfahren auf den Meeren
dieser Erde hier ausruhen und in Frieden sterben zu dürfen, das war ihr
Wunsch vor Zeiten, das ist auch heute noch die Sehnsucht, die jeder
Nordseefriese in den geheimen Falten seines Herzens birgt. Das mag
wohl, so hat schon vor anderthalbhundert Jahren der Halligmann Lorenz
Lorenzen gesagt, darin seinen Grund haben, weil sie auf der ganzen Welt
keinen besseren Fleck finden konnten, als ihr Heim, wo sie geboren und
erzogen waren!

[Illustration: Abb. 48. ¯Uhlenhorst, mit Fährhaus.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

Dem Friesen wird eine hervorragende Begabung für die Mathematik
nachgerühmt, ein Umstand, der übrigens wohl auch für den Niedersachsen
volle Geltung hat. Eine Reihe großer Männer in Litteratur und
Wissenschaft sind dem deutschen Volke in den Ländern an der Nordsee
erwachsen. In Heide in Norderdithmarschen kam der Sänger des Quickborn,
Klaus Groth, zur Welt, Wesselburen darf sich rühmen, der Geburtsort
eines der Größten unter unseren Großen im Reiche der Geister, Friedrich
Hebbels, zu sein, in Husum, der grauen Stadt am Meer, hat Theodor
Storm die Sonne zum erstenmal gegrüßt. Zu Rechtenfleth in Osterstade
weilt noch heute Hermann Allmers, der Friesendichter, und Garding
in Eiderstedt hat den weltbekannten Historiker Theodor Mommsen zum
Landsmann. In Jever in Ostfriesland sind der Geschichtsschreiber
Schlosser und der Chemiker Mitscherlich geboren. Die schaffende
Tonkunst hat an den deutschen Nordseegestaden weniger ihr Heim
gefunden, doch hat auch sie unter den hier zur Welt gekommenen Männern
einen hoch bedeutenden Namen zu verzeichnen, denjenigen von Johannes
Brahms, der zwar von Geburt Hamburger, aber, wenn wir nicht irren,
von dithmarsischer Abkunft ist. Dagegen ist unser Areal unter den
ausübenden Tonkünstlern recht gut vertreten. Für die plastischen
Künste ist von jeher viel Sinn an unseren Nordseeküsten gewesen; die
wundervoll geschnitzten Schränke und Truhen, die man allenthalben
in wohlhabenderen Häusern noch finden kann, der berühmte Swynsche
Pesel aus Lehe, jetzt in Meldorf, und des großen Bildschnitzers
Hans Brüggemann Werke, so das Altarblatt im Schleswiger Dom, legen
beredtes Zeugnis dafür ab. Prächtige Schilderungen von den Halligen
und aus dem Volksleben der Friesen, die wir dem Pinsel der noch jetzt
wirkenden Meister Alberts und Jessen verdanken, haben weit und breit
die verdiente Anerkennung gefunden, und die Worpsweder Schule durfte
in der Darstellung ihrer stimmungsvollen Bilder aus dem Moor nicht
minder große Erfolge verzeichnen. Die Städte und Ortschaften an der
Westküste Schleswig-Holsteins haben leider mit der Zeit so manche
Gebäude, die ihrer Architektur einen bestimmten Stempel aufgedrückt
hatten, verloren. Doch wird dem Auge des aufmerksamen Beschauers auch
in Husum oder Tondern noch vielerlei Schönes und Beachtenswertes
auffallen. Durch den großen Brand von 1842 erhielt Hamburg eine
veränderte Physiognomie, und ein großer Teil der alten Stadt fiel den
Flammen zum Raub. Andere alte, wenn auch vom Standpunkte der Baukunst
nicht besonders in Betracht fallende Stadtviertel mußten den neuen
Hafenanlagen weichen, und so ist denn heute Deutschlands reichste
und größte Handelsstadt durchweg eines besonderen architektonischen
Charakters bar. Hinwiederum bietet Bremens Altstadt desto mehr, und
da und dort in den Städten links der Elbe und in Ostfriesland sind
noch manche Bauten erhalten geblieben, die an vergangene Pracht und
Herrlichkeit erinnern und wohlthuend von dem modernen Kasernenstil
abstechen, der sich auch hier, wie anderswo, breit zu machen anfängt.

[Illustration: Abb. 49. ¯Außenalster und Binnenalster.¯]

[Illustration: Abb. 50. ¯Hamburger Hafen. Abendstimmung.¯

(Nach einer Photographie von W. Dreesen in Flensburg.)]

[Sidenote: Bauart der Häuser.]

Auf dem Lande dagegen und in den kleineren Ortschaften tragen die
Wohnstätten auch heute noch ihr eigentümliches Gepräge. Da treffen
wir in den von den Sachsen eingenommenen Gebieten auf die sächsische
Bauart der Häuser. Lange, schornsteinlose Gebäude, deren Ende der
Straße zugekehrt liegt, und die am Giebelende eine Einfahrt haben,
charakterisieren dieselbe. Wenn wir das Haus durch die letztere
betreten, kommen wir auf die Diele, die auch als Tenne dienen muß;
rechts und links davon befinden sich die Ställe, in denen das Vieh
mit seinen Köpfen nach innen zugekehrt steht. Der Einfahrt gegenüber
erblicken wir den oben gewölbten, schornsteinlosen Herd, dessen Rauch
unter der Decke hinzieht und zum Einräuchern von Speckseiten, Würsten
etc. benützt wird. Dahinter, am anderen Ende des Hauses, sind die Wohn-
und Schlafräume der Familie. Zuweilen, so in Dithmarschen, tritt am
oberen Ende der Diele noch ein großer Raum, der Pesel, hinzu. Hölzerne
Pferdeköpfe am Ende der First schmücken meist noch das Haus.

[Illustration: Abb. 51. ¯Hamburger Segelschiffhafen.¯]

Der Hauberg, Heuberg oder kurzweg „Berg“ ist friesischen Ursprungs.
Sein Name will so viel besagen als Bergeplatz des Heus. Hauberge kannte
man schon im Mittelalter in den Niederlanden, und gegen Ende des
sechzehnten Jahrhunderts tauchten sie bereits in der Gegend zwischen
Ems und Weser und in Dithmarschen auf. Von hier aus breitete sich
diese Bauart über Eiderstedt aus, wo dieselbe vor einem Menschenalter
noch die herrschende war, und ging sogar auch noch weiter nach Norden
bis in die Umgegend von Tondern. Das charakteristischste Merkmal am
Hauberg ist der von vier bis sechs hohen Pfosten getragene Vierkant,
westlich von der Elbe Gulf genannt, ein Raum von sechs bis acht
Metern im Quadrat, bei den älteren Gebäuden hoch wie eine Kirche.
Selbst an sonnenhellen Sommertagen ist er düster, da Licht nur durch
ein einziges Loch im First einfällt, das zuweilen 50 Fuß über dem
Fußboden angebracht ist. Der gewaltige Dachraum wird zum Unterbringen
des Heues oder auch als Kornmagazin benutzt. Um den Vierkant liegen,
wie die Seitenschiffe einer Kirche um das Hauptschiff, vier weitere
langgestreckte Räume, deren vorderster, meist nach Süden gekehrt, die
Wohnung des Besitzers und seiner Familie birgt. Auch hier trägt die
größte Stube den Namen Pesel. Gegen Osten und Norden befinden sich
die Ställe, gegen Westen die Tenne. Zumeist ist der Hauberg auf einer
Werft erbaut, die wiederum von einem fünf bis acht Meter breiten Graben
umgeben ist und in vergangenen Zeiten durch eine Zugbrücke mit der
Umgebung verbunden war, die in der Gegenwart durch feste Stege ersetzt
wird.

Die anglisch-dänische Bauart, die wir im Norden finden, ist wiederum
anderer Gestalt. Hier stellen die Gebäude eines Hofes ein Viereck
dar, das den Hofplatz einschließt. Eine Seite des Vierecks bildet das
mit einem ebenfalls als Pesel bezeichneten Raume versehene Wohnhaus,
welches Schornsteine besitzt, und von dem Stall, Scheune und andere
Nebengebäude streng gesondert sind. Das Vieh steht in den Ställen mit
den Köpfen der Außenwand zugekehrt.

Selbstverständlich kommen in den verschiedenen Landstrichen wiederum
mancherlei Abweichungen in der Bauart der Häuser vor, und in der
neueren Zeit gar verwischt sich da und dort der landesübliche Stil,
und Wohnungen moderner Art treten an seine Stelle. Das alte Strohdach
verschwindet mehr und mehr, mit Schiefer oder Dachpfannen gedeckte
Dächer kommen dafür auf, und die von den Ureltern herstammenden
Schränke, Truhen und andere Haushaltungsgeräte kunstvoller Art werden
verschachert und müssen modernen Möbeln und neumodischem Tand weichen.

Ebenso ist es mit den Trachten, die nur noch bei besonderen
Gelegenheiten getragen werden oder auch überhaupt gar nicht mehr. Hier
ebenfalls hat die städtische Kleidung das Alte und Schöne fast schon
ganz ersetzt, und die Zeit ist vielleicht nicht mehr allzu ferne, in
der auch der letzte Rest davon von dem Moloch Mode verschlungen sein
wird. Und so geschieht es noch mit vielen anderen Dingen, auf die wir
wegen Mangels an Raum nicht mehr näher eingehen können.

[Illustration: Abb. 52. ¯Hamburger Hafen und Werft von Blohm & Voß.¯]

[Sidenote: Sprache und Charakter der Bevölkerung.]

Was die Sprache anbetrifft, so hat das Plattdeutsche die friesische
Mundart heutzutage fast vollständig verdrängt. Friesisch wird
heute nur noch im oldenburgischen Saterlande, auf den ost- und den
nordfriesischen Inseln gesprochen und ist aber auch hier im Aussterben
begriffen. In konfessioneller Beziehung gehören die Bewohner unserer
deutschen Nordseeküste fast durchgängig dem protestantischen Glauben an.

„Marsch, Geest und Moor,“ so sagt Hermann Allmers einmal in seinem
Marschenbuch, „vergegenwärtigen uns gewissermaßen die menschlichen
Temperamente. Die Marsch repräsentiert, auf den ersten Blick erkennbar,
das Phlegmatische. Die leichte Geest dagegen ist durch und durch
sanguinisch. Hier ist alles Wechsel, bald ernst, bald heiter, bald
dürr, bald fruchtbar, bald Thal, bald Hügel, hier dämmeriger Wald,
dort schattenlose Sandwüste; hier grünender Wiesengrund und wallende
Kornfelder, dort steiniges unfruchtbares Heideland; hier rauschende
Mühlenbäche, dort stille, rohrumflüsterte Teiche -- alles in schroffen
Gegensätzen, wie der Ausdruck eines sanguinischen Gemüts. Wie das
Geestvieh leichter und lebhafter ist, als das Vieh der Marsch, so oft
auch der Menschenschlag. Im Moor endlich findet die tiefste Melancholie
ihren Ausdruck, welche der köstlichste Frühlingsmorgen und der
sonnigblaueste Sommertag nicht ganz verscheuchen können, der aber bei
trübem, wolkigem Himmel, im Spätherbst und zur Winterszeit wahrhaft
grauenerregend auf die Seele zu wirken vermag.“

[Illustration: Abb. 53. ¯Sandthorkai und Freihafenlagerhäuser.¯ (Nach
einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]



~VI.~

Geschichtliches.


Es leuchtet ein, daß ein von so verschiedenartigen Volksstämmen
bewohntes und im Laufe der Jahrhunderte so vielen verschiedenen
Herren unterthan gewesenes Areal wie das Land, welches die deutsche
Nordseeküste umsäumt, auch eine höchst wechselvolle Geschichte hat.
Nun ist es nicht unseres Amtes, eingehendere Ausführungen darüber zu
machen, ganz abgesehen vom Mangel an Platz dafür, so daß wir uns hier
auf einige allgemeine Bemerkungen über dieses Thema zu beschränken
haben werden.

[Illustration: Abb. 54. ¯Fleet zwischen Deichstraße und Cremon.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

[Sidenote: Älteste Völkerverschiebungen. Kämpfe mit den Dänen.]

Die cimbrische Halbinsel hat schon im grauen Altertum mannigfache
Schicksale über sich ergehen lassen müssen. Der eherne Tritt der
römischen Legionen wird wohl ihren Boden kaum berührt haben, wenn
ihre Adler auch an den Mündungen des Elbstroms aufgepflanzt gewesen
sein dürften. Um so mehr Unruhe hat aber die Zeit der Völkerwanderung
in das schleswig-holsteinische Land getragen. Von hier aus wanderten
die Cimbern und Teutonen in den sonnigeren Süden, von hier aus zogen
Hengist und Horsa mit ihren Mannen nach Britannien hinüber. Als es
in der germanischen Welt wieder etwas ruhiger geworden war und die
einzelnen Volksstämme dauernd seßhaft wurden, da kamen von Norden und
von Osten her andere Eindringlinge ins Land. Hier Slaven, dort Dänen.
Erstere berührten freilich die Gegenden an der Nordsee kaum, dagegen
hat es bis in die Gegenwart hinein von seiten der dänischen Nachbarn
nicht an stetig erneuten und nie erlahmenden Versuchen gefehlt, sich
des meerumschlungenen Landes zu bemächtigen. Und diese Umstände sind
nicht zum geringsten Teil maßgebend geworden für die ferneren Geschicke
der Herzogtümer. Am Maria-Magdalenentage 1227 schlug der Holsteiner
Graf Adolph ~IV.~ den Dänenkönig Waldemar ~II.~ aus dem Felde, und bei
Oldenswort und Mildenburg mußte König Abel der friesischen Streitmacht,
die er zu unterjochen gedachte, durch eilige Flucht weichen.
Jahrhunderte hindurch folgte dann noch Fehde auf Fehde bis in die
neuere Zeit hinein. Die Bauernrepublik der Dithmarschen war den Holsten
und den Dänen schon lange ein Dorn im Auge, und mit vereinten Kräften
zogen sie los, um den kleinen Staat zu vernichten. Der aber war auf der
Hut, und beim Dusenddüvels-Warf bei Hemmingstedt in Dithmarschen kam
es am 17. Februar 1500 zur blutigen Schlacht. Zwar blieben die Bauern
dieses Mal noch Sieger, aber die Stunde, welche ihrer Unabhängigkeit
ein Ende machen sollte, war nicht mehr fern, und im Entscheidungskampf
bei Heide wurde ihnen durch Heinrich Rantzau ihre Selbständigkeit für
immer genommen.

[Illustration: Abb. 55. ¯Fleet bei der Reimersbrücke, mit
Katharinenkirche.¯ (Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring
in Hamburg.)]

[Sidenote: Schleswig-Holstein bis zur Neuzeit.]

Von den Schreckensjahren des großen Religionskrieges ist
Schleswig-Holstein schwer heimgesucht worden. Als Kreisoberster von
Niedersachsen rückte bekanntlich Christian ~IV.~ von Dänemark, Herzog
von Schleswig-Holstein, ins Feld und zog sich nach dem verhängnisvollen
Tage bei Lutter am Barenberge in seine Stammlande zurück. Tilly und der
Friedländer folgten ihm eilends nach, und so wurde Schleswig-Holstein
ein großes Schlachtfeld. Dann kamen nach dem Frieden zu Lübeck die
Zeiten des dänisch-schwedischen und hierauf die Tage des großen
nordischen Krieges; Steenbock verheerte das Land. Mit Anbeginn des
Jahrhunderts sahen die Herzogtümer wiederum fremde Söldnerscharen
innerhalb ihrer Grenzen. Das Jahr 1848 brachte die erste Erhebung,
und die Totenglocken Friedrichs ~VII.~ am 15. November 1863 waren
zugleich das Grabgeläut für die dänische Herrschaft im Lande. Am
Morgen des 18. April 1864 hat der Danebrog zum letztenmal auf dem
schleswig-holsteinischen Festlande geweht, am 29. Juni des gleichen
Jahres wurde auch Alsen, die letzte Insel des Landes, über der er noch
flatterte, frei vom dänischen Joch.

Einige der wichtigsten Begebenheiten in der Geschichte der beiden
Hansastädte Hamburg und Bremen werden wir bei der Besprechung und
Schilderung dieser letzteren selbst bringen.

[Illustration: Abb. 56. ¯Winserbaum in Hamburg.¯]

[Sidenote: Geschichte des Gebietes westlich der Elbe.]

Mancherlei Ähnlichkeiten mit der Geschichte der Herzogtümer
Schleswig-Holsteins hat diejenige der Herzogtümer Bremen und
Verden. Hier waren es die Bischöfe, die fast in ständiger Fehde
mit den Bewohnern der Marschlande links der Elbe lagen. Die Macht
der Kirchenfürsten verfiel aber immer mehr und mehr im fünfzehnten
Jahrhundert, und das sechzehnte Säculum brachte die Reformation, die
1521 bereits in Hadeln, 1522 durch Heinrich von Zütphen in Bremen
eingeführt wurde. Erzbischof Christoph von Verden wollte zwar ihrer
Verbreitung mit allen Mitteln Einhalt thun, doch hinderten ihn seine
langen Kämpfe mit den Wurstern daran, dies mit Erfolg zur Ausführung
zu bringen. 1567 trat Eberhard von Holle, Bischof von Verden, zum
evangelischen Glauben über, kurz darauf that Erzbischof Heinrich ~III.~
von Bremen ebenso. Von nun ab folgte die fast hundertjährige Periode
der protestantischen Bischöfe, und nur kurze Zeit über wurde gemäß dem
Restitutionsedikt der katholische Gottesdienst in Verden und Stade
wiederhergestellt. Der Westfälische Friede verwies die Herzogtümer
an Schweden, unter dessen Scepter sie bis 1719 blieben. Hierauf nahm
Hannover Besitz davon, wie denn auch das Land Hadeln um 1773 nach
Aussterben der Herzöge von Lauenburg an diese Regierung kam. Während
der Napoleonischen Herrschaft zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts
wurden bekanntlich alle deutschen Küstenländer an der Nordsee dem
französischen Kaiserstaate einverleibt. 1811 wurden dieselben mit dem
Königreich Westfalen, später abermals mit Frankreich vereinigt. Nach
dem Sturze des korsischen Eroberers fielen diese Lande wieder ihren
rechtmäßigen Fürsten zu und blieben unter deren Scepter, bis 1866
Hannover eine preußische Provinz geworden ist.

Der in der Geschichte berühmt gewordenen Kämpfe der Stedinger gegen die
Erzbischöfe von Bremen im dreizehnten Jahrhundert mag hier ebenfalls
mit einigen Worten Erwähnung gethan werden. Letztere veranstalteten
förmliche Kreuzzüge gegen die Stedinger, die zuvor als Ketzer erklärt
und vom Papst in den Bann, vom Kaiser in die Reichsacht gethan worden
waren. Erst war der Erfolg auf seiten der braven Bauern; mehrfach
schlugen sie den gegen sie aufgebotenen Heerbann zurück, mußten aber
am 27. Mai 1234 bei Altenesch unterliegen, und damit war auch ihr
Schicksal besiegelt. Ein im Jahre 1834 errichteter Obelisk erinnert
heute noch an diesen Kampf, in dem die tapferen Stedinger für Freiheit
und Glauben gefallen sind.

[Illustration: Abb. 57. ¯Steckelhörn in Hamburg.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

Unter den Vasallen Heinrichs des Löwen werden bereits Oldenburger
Grafen genannt. Nach deren Aussterben gegen die Mitte des siebzehnten
Jahrhunderts fiel ihr Land in den Besitz der dänischen Könige
und der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorp. Als Herzogtum
Holstein-Oldenburg erscheint es im Jahre 1777 zuerst, Friedrich August
von Holstein-Gottorp, Bischof von Lübeck, eröffnet die Reihe seiner
selbständigen Fürsten. Zu Beginn des Jahrhunderts war Oldenburg
französisches Land, 1813 wurde das Herzogtum aber wiederhergestellt,
und 1829 nahm Paul Friedrich August den Titel eines Großherzogs an.

Ostfriesland, das sogenannte Emder Land, war ehemals eine unabhängige
Grafschaft, die seit dem Jahre 1454 unter der Regierung des Cirksena
stand. Seine Herrscher erhielten 1654 den Rang von Reichsfürsten. 1744
starb der letzte Cirksena, der Fürst Carl Edzard, und nach dessen Tode
nahm Friedrich der Große das Land für Preußen in Besitz. 1807 kam aber
Ostfriesland an Holland, wurde dann auf kurze Zeit wieder preußisch,
hierauf nochmals an Hannover abgetreten, bis es 1866 wieder unter
Preußens Oberhoheit kam. Heute bildet Ostfriesland den Regierungsbezirk
Aurich.

[Illustration: Abb. 58. ¯Hamburg, von Steinwärder gesehen.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]



~VII.~

Von Husum nach Tondern und an die Grenze Jütlands.


  Am grauen Strand, am grauen Meer
  und seitab liegt die Stadt;
  Der Nebel drückt die Dächer schwer,
  und durch die Stille braust das Meer
  Eintönig um die Stadt.

  Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
  Kein Vogel ohn’ Unterlaß;
  Die Wandergans mit hartem Schrei
  Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
  Am Strande weht das Gras.

  Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
  Du graue Stadt am Meer;
  Der Jugendzauber für und für
  Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
  Du graue Stadt am Meer.

[Sidenote: Husum.]

So hat ein großer Sohn Husums, so hat der am 14. September 1817 hier
geborene Dichter von Immensee und vom Schimmelreiter seine Vaterstadt
mit wenigen Strichen gekennzeichnet. In einer seiner Novellen entwirft
Theodor Storm allerdings ein etwas heitereres und sonnigeres Bild von
der grauen Stadt am Meer. „Es ist nur ein schmuckloses Städtchen, meine
Vaterstadt; sie liegt in einer baumlosen Küstenebene und ihre Häuser
sind alt und finster. Dennoch habe ich sie immer für einen angenehmen
Ort gehalten, und zwei den Menschen heilige Vögel scheinen diese
Meinung zu teilen. Bei hoher Sommerluft schweben fortwährend Störche
über der Stadt, die ihre Nester unten auf den Dächern haben; und wenn
im April die ersten Lüfte aus dem Süden wehen, so bringen sie gewiß die
Schwalben mit, und ein Nachbar sagt’s dem anderen, daß sie da sind.“
Ein schmuckloses Städtchen am Rande von Geest und Marsch! Je nun, aber
mit Einschränkungen! Denn es hat etwas an sich, was manchen anderen
Städten und Städtlein Schleswig-Holsteins fehlt: es heimelt einen
an, um einen süddeutschen Ausdruck für dieses Gefühl zu gebrauchen.
Und dann birgt das kleine Husum doch noch einige Erinnerungen an die
alte Zeit seines nunmehr verblichenen Glanzes in seinen Mauern, an
die dahingeschwundenen Tage, da „die vor Kurtzem so florisante Stadt“
noch nicht in „Decadence“ geraten war, wie in seinem ~Theatrum Daniae~
Erich Pontoppidan berichtet. Da stehen noch etliche schöne alte Häuser,
deren Zahl freilich mit jedem Jahr geringer wird, und dann das Schloß,
welches Herzog Adolph ~I.~ von 1577–1582 an der Stelle eines alten
Franziskanerklosters errichten ließ, „mit großen Kosten und dessen
verwittibten Hertzoginnen des Gottorfischen Hauses zur Residentz
gewidmet“.

Durch die Größe und Schönheit ihrer Hallen und den reichen Schmuck
ihres Inneren erfreute sich die gotische Marienkirche in verflossenen
Jahrhunderten eines großen Ruhmes. Im Jahre 1474 erbaut, um 1500
vergrößert, wurde sie, angeblich wegen Baufälligkeit, zu Beginn des
neunzehnten Säculums abgebrochen. Damals machte im Volksmund der
Spottvers die Runde:

  De Tönninger Tom is hoch und spitz;
  De Husumer Herrn hemm Verstand in de Mütz!

1829 wurde die Kirche durch ein Gotteshaus ersetzt, dem man besonders
Schmeichelhaftes leider nicht nachsagen kann. Die schönste Zierde der
Marienkirche war das vom großen Bildschnitzer Hans Brüggemann, der ein
Sohn Husums gewesen sein soll, gefertigte Sakramentshäuschen, welches
leider verschwunden ist. Vor hundert Jahren soll es noch in irgend
einem Winkel des Städtchens in sehr verdorbenem Zustand herumgestanden
sein.

[Illustration: Abb. 59. ¯Schnelldampfer „Auguste Victoria“.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

Ja, Husum hat bessere Tage gesehen, und wenn es auch heute noch
der bedeutendste Ort an Schleswigs Westküste ist, weithin bekannt
durch seine großen Viehmärkte und die bedeutende Ausfuhr von Rindern
und Schafen -- der jährliche Geldumsatz auf dem Viehmarkt dürfte
gegenwärtig 28–30 Millionen Mark betragen --, so will das doch nichts
sagen gegen die hohe Blüte, in welcher die Stadt im sechzehnten und
bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein gestanden hat. Heinrich Rantzau
schreibt im Jahre 1597 von Husum: „Eine reiche und ansehnliche und
mit Flensburg wetteifernde Stadt, mit berühmtem Seehafen und Handel
aus Schottland, England, Holland, Seeland durch viele eigene Schiffe,
in kurzer Zeit zu hohem Wohlstand erwachsen. Ihr Aussehen zeugt
von erstaunlichem Reichtum; darin und auch an Größe übertrifft sie
eigentlich alle Städte des Herzogtums.“

[Illustration: Abb. 60. ¯Deutsche Seewarte.¯

(Nach einer Photographie von Strumper & Co. in Hamburg.)]

Im siebzehnten Jahrhundert haben auch „die zwei vortrefflich gelahrte
Männer“ Caspar Dankwerth und Johannes Meyer hier gelebt, der erstere
als Bürgermeister und als „Geographus, der das große und rühmenswürdige
Werk: Landes-Beschreibung der beyden Herzogthümer Schleswig und
Holstein genannt, abgefaßt, der zweyte aber als Mathematicus, der die
dabey befindliche viele Speciale Land Karten und Grund Risse der Städte
verfertiget“.

Eine Aue fließt an der Stadt vorbei und mündet in den Hever. Trotz des
zur Ebbezeit fast wasserleer daliegenden Hafens, der nur von Fahrzeugen
mit geringem Tiefgang benützt werden kann, ist die Schiffahrt, welche
Husum auf dem Wattenmeere mit Nordstrand, Pellworm und den Halligen
unterhält, durchaus nicht unbedeutend.

[Sidenote: Der Geestrücken nördlich von Husum.]

Wenn wir uns von Husum nordwärts begeben, sehen wir vor uns einen
breiten Geestrücken, den Schobüller Berg. Ein Spaziergang auf denselben
lohnt sowohl in landschaftlicher, als auch in naturwissenschaftlicher
Hinsicht aufs beste. Es ist ein ganz eigenartiges Bild, das sich auf
diesem Wege vor uns aufrollt. Langsam steigt die sandige Straße an, und
bald tritt zur Rechten der hohe Kirchturm von Hattstedt hervor, dessen
Einwohner viele Jahre hindurch so sehr von den großen Deichlasten
bedrückt wurden, daß das Sprichwort entstand:

  Hatten de Hattstedter nich de böse Diek,
  Se kehmen nümmer int Himmelriek.

[Sidenote: Geestufer von Schobüll.]

Zur Linken aber blicken wir erst auf den grünbewachsenen Außendeich,
dessen gerade Linie bis zu dem an die See vorgeschobenen Schobüller
Geestrücken reicht. Hier verläuft er dann in diesem Vorsprung. Ueber
dem hohen Schutzwall aber erscheint eine graue einförmige, kaum bewegte
Fläche, auf der die verschiedensten Lichter spielen, das Wattenmeer.
Fern am Horizont hebt sich, wie über dem Wasser schwebend, ein Streifen
Landes heraus: klar sind darauf eine Windmühle und die Dächer einiger
Häuser zu erkennen. Es ist die Insel Nordstrand. Je mehr wir ansteigen,
um so größer wird auch der Raum, den unser Gesichtskreis umspannt,
und wenn wir etwa an der kleinen Schobüller Ziegelei angelangt sind,
so dünkt uns derselbe grenzenlos. Dunklere Punkte, kleine Eilande im
Westen und Nordwesten gewähren dem Auge einige Ruhepunkte. Je nach der
Beleuchtung tritt ihr Umriß bald nur ganz licht, wie Luftspiegelung
hervor, bald aber so scharf und klar gezeichnet, daß wir die Häuser
auf ihren Werften ganz deutlich zu erkennen vermögen. Das sind die
Halligen. An regentrüben Sommertagen jedoch, wenn Flut und Land am
Horizont miteinander verschwimmen und die See regungslos daliegt,

  Dann steht an unserm grauen Strande
  Das Wunder aus dem Morgenlande,
  Morgane, die berufne Fee ...
  Doch hebt sich nicht, wie dort im Süden
  Auf rosigen Karyatiden
  Ein Wundermärchenschloß ins Blau;
  Nur eines Hauberg graues Bildnis
  Schwimmt einsam in der Nebelwildnis,
  Und keinen lockt der Hexenbau.

[Illustration: Abb. 61. ¯Michaeliskirche in Hamburg.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

Der Eindruck, den solche Anblicke bei ihren Beschauern hinterlassen,
ist ein unbeschreiblich großartiger, zumal wenn man das Glück hat,
dieses einzig in seiner Art dastehende Landschaftsbild bei wechselnden
Farben genießen zu können. Für denjenigen aber, der sich auch für
geologische Dinge interessiert, bietet dieser Geestvorsprung noch eine
ganz besondere Überraschung. Die schon weiter oben erwähnte kleine
Ziegelei ist nämlich auf anstehendem Gestein erbaut, das sich an der
Oberfläche als eine rötliche, zuweilen von helleren Adern durchzogene
thonige Masse darstellt, nach der Tiefe zu jedoch steinhart wird und
zweifelsohne ein Analogon des thonigen Gesteines ist, von welchem die
Basis der roten Felsen Helgolands zusammengesetzt wird. Aber nicht nur
dieser am Strande des Wattenmeeres anstehende Zechsteinletten ist von
großer Merkwürdigkeit, sondern auch das Vorkommen der gequetschten und
wiederverkitteten Kalksteingeschiebe, die sich an der oberen Grenze des
roten Thones mit dem darüber liegenden diluvialen Moränenmergel finden
und besondere Curiosa im Gebiete der norddeutschen Diluvialablagerungen
sind.

[Sidenote: Die Küstenlandschaft von Bredstedt bis Niebüll.]

Von Wobbenbüll bis Hattstedt, wo der Deich nordwärts zu wieder seinen
Anfang nimmt, bis hinauf nach Hoyer tritt die Geest nicht wieder an die
Meeresküste heran. „In alter Zeit war hier ein sich stets veränderndes
und für uns unentwirrbares Labyrinth von Halligen, Meeresarmen und
Geestinseln. Hier finden sich auch die tief ins Land hineingehenden
Auen, welche das Wasser der Geest in die unbedeichten und später auch
in die bedeichten Niederungen gesandt haben, denn erst hart am Rande
der Ostseebuchten liegt die Wasserscheide.“ Eindeichungen, die sich
an die Geest anschlossen, oder auch solche, welche von den Inseln
selbst ausgegangen sind, schufen die jetzige Küstenlinie. Eine,
wenn auch nicht sehr starke Bevölkerung bewohnte schon vor dieser
Landfestigung die Niederungen auf künstlich aufgeworfenen Wurthen. Die
Nutzung der sich neu bildenden Landflächen fand aber von der Geest aus
statt, deren Rand hier stark besiedelt ist. Hier befinden sich das
stattliche Bredstedt mit dem nahebei belegenen Missionsort Breklum,
Bordelum, Bargum, Stedesand, Leck und noch andere Flecken und Dörfer
mehr. In der Marsch selbst treffen wir zuweilen auf einsam liegende
Geestinseln, auf denen sich dann ebenfalls stattliche Ansiedelungen
erheben. Lindholm, Riesum, Niebüll-Deezbüll mögen hier als Beispiele
dafür angeführt werden. Die Marschen und deren erste Eindeichungen sind
zweifelsohne schon sehr alt. Bereits im zwölften Jahrhundert beschreibt
Saxo Grammaticus die Friesische Marsch als einen von niedrigen Wällen
umgebenen gesegneten Boden, eine Bezeichnung, die sie heute noch in
vollem Maße verdient. Steht doch der alte Christian-Albrechts-Koog
bei Tondern im Rufe, das fruchtbarste Land im gesamten Marschgebiete
zu sein! Bei der Eindeichung der rückliegenden Ländereien ist aber
in früheren Zeiten bisweilen etwas zu rasch verfahren und unreifes
Marschland mitgenommen worden. Der Gotteskoogsee ist ein warnendes
Beispiel hierfür.

[Illustration: Abb. 62. ¯Großer Burstah in Hamburg.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

[Sidenote: Die Horsbüllharde.]

Der vorspringende Teil unserer Küstenlinie, welcher etwas südlich
von Emmelsbüll beginnt und sich über Horsbüll und Klauxbüll bis etwas
nördlich von Rodenäs hinzieht und heute noch den Namen der Horsbüll-
oder Wiedingharde führt, war jahrhundertelang eine erst uneingedeichte,
später aber nur ungenügend eingedeichte feste Marschinsel, die von
der Geest zwischen Hoyer, Tondern u. s. f. durch niedrige Ländereien,
große Wasserflächen und Meeresarme getrennt gewesen ist. Ihre Bewohner
konnten die westlichen Grenzen des Eilands aber nicht gegen den Ansturm
des Meeres behaupten, und die Deiche mußten mehrfach zurückverlegt
werden, während viel Land verloren ging. So versanken die Kirchen
von Wippenbüll und Alt-Feddersbüll; ebenso wurde am 1. Dezember 1615
die Rickelsbüller Kirche im Norden der Harde, welche damals schon
mit ihrem Kirchdorf im Haffdeich lag, in den Meeresfluten begraben.
Die Särge sind dabei aus den Gräbern getrieben worden. Es hat in das
siebzehnte Jahrhundert hinein gedauert, bis die Horsbüllharde mit dem
schleswigschen Festlande verbunden war, nachdem mehrere Versuche immer
und immer wieder gescheitert waren.

[Illustration: Abb. 63. ¯Hopfenmarkt und Nikolaikirche in Hamburg.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

[Sidenote: Die Marsch bei Tondern.]

Als weiteres Beispiel für die Verhältnisse dieser verwickelten
Marschlandschaft mag hier noch die merkwürdige, inselartig aus den
Marschalluvionen herausragende sandige, im Kerne moorige Fläche des
Risummoor, auch Kornkoog genannt, erwähnt werden, an deren Rändern
Deetzbüll und Lindholm belegen sind. Noch im Jahre 1624 war dies
abgesonderte Ländchen so sehr Insel, daß eine schwedische Flottille an
ihr landen konnte. ~Tempora mutantur!~ Heute ist Lindholm Station der
Marschbahnstrecke Husum-Tondern.

[Illustration: Abb. 64. ¯Lombardsbrücke in Hamburg.¯]

[Sidenote: Die Marschbahn.]

Es ist wirklich eine angenehme Sache, an einem schönen Sommertage auf
dieser Eisenbahnlinie, welche das nordwestliche Schleswig so recht dem
Verkehr erschlossen hat, dem Rücken der Geest entlang zu fahren. Da
liegen gegen Westen die grünen Marschen vor uns ausgebreitet, flach und
eben wie ein Teller und durchzogen von unzähligen Gräben und Sielen. Da
und dort ein einsames Gehöft oder ein kleines Stück Deich, der wie ein
Festungswall erscheint, am Horizont, sonst nichts als weites Grasland,
darauf unzählige Rinderherden weiden. Bisweilen scheucht die keuchende
Lokomotive auch ein paar Pferde auf, die sich hier gütlich thun
dürfen; beängstigt von dem so ungewohnten Lärm in der sonst so stillen
Landschaft galoppieren sie in wilder Hast davon. Phlegmatisch aber
steht Freund Adebar dabei und beschaut sich in philosophischer Ruhe den
dahinbrausenden Eisenbahnzug. Ihn stört das alles nicht; verächtlich
blickt er auf die erschrocken dahinspringenden Vierfüßer herab, die
noch nicht über die Grenzen ihrer Gemarkung gekommen sind, während er,
der Weltreisende, der Globetrotter unter der Tierwelt unserer Zonen,
doch schon so viel gesehen hat, und ebenso zu Hause ist in südlichen
Geländen, wo der Nil träge dahinflutet und die Pyramiden gen Himmel
ragen, als hier, in seiner Sommerheimat an den Gestaden des deutschen
Meeres. Und ihre Sommerheimat ist es wirklich, dieses Marschland, das
mit seinem Reichtum an Fröschen und anderem kleinen Getier den Störchen
geradezu die allergünstigsten Lebensbedingungen bietet. Im weiten
Umkreis ist fast kein Giebel zu schauen, der nicht wenigstens ein
Storchennest trüge, und Meister Langbein gehört mindestens so gut zum
vollen Landschaftsbild, wie sonst etwas darin: ja, er ist geradezu ein
eigentümliches Merkmal desselben.

[Illustration: Abb. 65. ¯Rathaus in Hamburg.¯

(Nach einer Photographie von Conrad Döring in Hamburg.)]

Dem Charakter des Landes und seiner Bevölkerung entsprechend, dem
sie als Verkehrsmittel dient, geht es in gewöhnlichen Zeiten auf der
Marschbahn nicht allzu lebhaft zu. Es wird eben alles, wenn auch
pünktlich und genau, so doch mit einer gewissen Ruhe und Behäbigkeit
besorgt. Eigentliche Schnellzüge befahren die Strecke im Winter nicht,
denn die Bahn soll ja in erster Linie den lokalen Verhältnissen
Rechnung tragen. Anders aber ist’s in den schönen Sommertagen, wenn in
den Monaten Juli, August und September die Badezüge durch das weite
grüne Feld dahinsausen und die erholungsbedürftige Menschheit aus der
heißen Stickluft der großen Städte des Binnenlandes hinausführen zu
dem stärkenden Odem der Nordsee. Dann ist die Physiognomie der Bahn
eine gänzlich veränderte. Dann zieht das schnaubende Dampfroß nur
vollbesetzte Wagen hinter sich her durch die saftigen Auen der Marsch,
und erstaunt ob des ungewohnten Anblicks schaut der kleine Hirtenjunge
da unten am Bahndamm dem mit Windesbraus an ihm vorbeirollenden und
seinem Gesichtskreise alsbald wieder entschwindenden funkensprühenden
Ungetüm nach, vielleicht zuweilen nicht ohne die leise Sehnsucht, es
doch auch einmal so zu können und zurückgelehnt in die schwellenden
Polster durch die Lande fliegen zu dürfen.

[Sidenote: Dagebüll.]

Und vollends gar, wenn die Zeit der Schulferien beginnt! In Niebüll
reißt der Schaffner die Wagenthüren auf. „Niebüll,“ schreit er,
„Wagenwechsel für die Reisenden nach Dagebüll und Wyk auf Föhr!“ Da
stürzt es heraus aus den vollgepfropften Abteilen, ein erster Schwarm
von Großen und Kleinen verläßt den Zug und stürmt die auf einem
Nebengeleise schon bereitstehenden Vehikel der kleinen Bahnlinie nach
Dagebüll. Von da geht’s auf das Schiff, das in einer kurzen Stunde das
Wattenmeer durchquert und seine Passagiere wohlbehalten und von der
bösen Seekrankheit unbehelligt im sicheren Hafen von Wyk landet.

[Sidenote: Hoyerschleuse.]

Von Niebüll nach Tondern ist es nur eine kurze Strecke. Hier verlassen
auch wir den Zug, der nach kurzem Aufenthalt weiterrast nach Hoyer und
zur Hoyerschleuse. Dort entleert er seine Wagen, deren Insassen die
Insel Sylt zum Reiseziel genommen haben und von hier aus zuweilen noch
tüchtig von den Wellen geschaukelt werden, bevor der Dampfer sie bei
Munkmarsch wieder auf festen Boden gesetzt hat. Der Geburtsort Johann
Georg Forchhammers und die Heimat des Propsten Balthasar Petersen ist
es aber wohl wert, daß wir ihr einige wenige Stunden der Betrachtung
schenken.

[Illustration: Abb. 66. ¯Partie aus dem Hamburger Ratskeller.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

[Sidenote: Tondern.]

Tondern ist eine kleine freundliche und saubere Stadt von etwa 3800
Seelen, an der wasserreichen Widau auf einer äußerst geringfügigen
Bodenerhebung gelegen. Dieser ungünstige Bauplatz ist vermutlich
darum gewählt worden, um von der Schiffahrt Nutzen ziehen zu können,
denn die Nähe der Stadt zur See war ehedem eine viel größere, als in
der Gegenwart, und Tondern besaß zahlreiche Meeresfahrzeuge. Bis zum
Jahre 1554 konnten selbst größere Schiffe noch ungehindert an Tondern
herankommen, als aber von 1553 bis 1555 die sich von Hoyer bis Humptrup
erstreckenden und vor der Tonderner Geest gelegenen Niederungen
eingedeicht wurden, versperrte die von holländischen Baumeistern
erbaute neue Schleuse bedeutenderen Schiffen den Weg. Später konnten
selbst kleinere Fahrzeuge nicht mehr bis zur Stadt gelangen, als
nach und nach neue Anschlickungen stattfanden und immer mehr Deiche
entstanden. Seiner tiefen Lage wegen hat Tondern mehrfach unter den
Sturmfluten zu leiden gehabt. Im Jahre 1532 stand das Wasser drei Ellen
hoch in der Stadt, 1593 brach es abermals in die Häuser herein und that
großen Schaden, nicht minder ~anno~ 1615. Am stärksten aber ist Tondern
von der großen und denkwürdigen Oktoberflut 1634 heimgesucht worden.
Auch die Pest war in verflossenen Tagen ein mehrfacher unheimlicher
Gast in der Stadt. So besonders im sechzehnten und zu Beginn des
siebzehnten Jahrhunderts. Vielleicht, so meint Hahn, hängen diese
zahlreichen Pestepidemien mit der niedrigen Lage der Stadt zusammen.

[Illustration: Abb. 67. ¯Rathausbrunnen in Hamburg.¯

(Nach einer Photographie von Joh. Thiele in Hamburg.)]

In Tondern befindet sich eins der Lehrerseminare der Provinz
Schleswig-Holstein. Der schon erwähnte Propst Balthasar Petersen hat es
gegen Ende des verflossenen Säculums gegründet. Dann hat, wie ebenfalls
schon kurz angedeutet wurde, die Wiege eines großen Naturforschers
des Landes, des im Jahre 1863 zu Kopenhagen verstorbenen Geologen
Forchhammers hier gestanden. Er hat zu den bedeutendsten Männern seiner
Zeit gehört und hat bis zum heutigen Tage in seinem engeren Heimatlande
leider immer noch nicht die Anerkennung gefunden, die er eigentlich
verdiente.

Weder in landschaftlicher noch in künstlerischer Hinsicht besitzt
Tondern viel Bemerkenswertes, es sei denn eine sehr schöne, alte
Kirche, deren innere im Stil der Renaissance gehaltene Ausstattung alle
anderen des Landes in ihrem jetzigen Zustand an Pracht übertrifft,
sodann einige gotische Giebelhäuser, die zierlichen, in Hausteinarbeit
ausgeführten Barock- und Rokokoportale, welche sich an verschiedenen
Wohnhäusern finden, nicht zu vergessen. Es sind dies wahre Juwele in
ihrer Art.

In früheren Zeiten blühten in Tondern neben dem Handel besonders die
Weberei und das Spitzenklöppeln. Das letztere Gewerbe soll schon gegen
1639 von Dortmund aus eingeführt worden sein und gelangte sowohl für
die Stadt selbst, als auch für ihre Umgebung zu hoher Bedeutung. Im
Jahre 1780 waren an 1200 Frauen damit beschäftigt, und zu Anbeginn
dieses Jahrhunderts sind noch 13 Spitzenfabriken vorhanden gewesen.
Seit 1825 ist die Spitzenklöppelei sehr zurückgegangen, wird aber bis
in die Gegenwart noch, wenn auch in kleinerem Umfange betrieben. Die
Tonderner Spitzen sind bei der Frauenwelt des deutschen Nordens auch
jetzt noch ein sehr geschätzter Gegenstand.

[Illustration: Abb. 68. ¯Kriegerdenkmal in Hamburg.¯]

[Sidenote: Der Strand von Jerpstedt bis zur dänischen Grenze.]

Westlich von Tondern, an Mögeltondern und dem schon sehr alten,
früheren bischöflichen Schlosse Schackenburg vorbei, führt uns die
Bahn nach dem auf einem rings von Marschlanden umgebenen Geesthügel in
der Nähe des Meeres erbauten Hoyer und von da in wenigen Minuten zur
Hoyerschleuse, dem bereits genannten Hafenort für die Schiffahrt nach
der Insel Sylt. Zieht man von hier aus am Strande nordwärts, so gelangt
man über Emmerlef mit seinem hell ins Wattenmeer hinausschimmernden
Kliff, einem kleinen Steilufer, über Jerpstedt nach Ballum, dem
Ausgangspunkt für die Insel Röm. Über die Brede-Au hinüber führt der
Weg nach Bröns, woselbst man die von Tondern über Bredebro, Döstrup
und Scherrebek nach dem Norden führende Westbahn wieder erreicht. Dann
folgen noch Reisby, das keine selbständige Bahnstation hat, und hierauf
Hvidding. Hier ist dann die Nordgrenze des Reiches erreicht und wir
betreten dänisches Gebiet. Der ganze Meeresstrand von Jerpstedt ab bis
hinauf nach Jütland ist so flach, daß bei Hochfluten die Bahnlinie
sogar schon überschwemmt und das Wasser bis nach Döstrup und Scherrebek
hineingetrieben worden ist. Von diesen ebengenannten Ortschaften nimmt
eigentlich nur das letztgenannte Kirchdorf unser besonderes Interesse
in Anspruch, und zwar wegen der mannigfachen und segensreichen
Bestrebungen seines geistlichen Hirten, des Herrn Pastor Jacobsen.
Dieselben beruhen auf echt nationaler Basis und sind industrieller
und socialer Natur, darunter ein Bankinstitut, eine Webeschule, mit
ganz hervorragenden Leistungen, einen Arbeiterbauverein und andere die
Volkswohlfahrt in hohem Maße befördernde Einrichtungen mehr.

[Sidenote: Entwaldung.]

Im Mittelalter soll fast ganz Nordschleswig vom Walde bedeckt gewesen
sein, und von den Marschwiesen bei Farup nördlich von der jetzt
dänischen Stadt Ripen erstreckte sich der Sage nach der Farriswald,
über die ganze Halbinsel bis zum Kleinen Belt, acht Meilen lang und
anderthalb Meilen breit. Im Osten sind diese Wälder noch vorhanden und
ziehen sich bis Gramm, Rödding und Lintrup gegen Westen. Von hier ab
fehlen aber mit nur wenigen und kümmerlichen Ausnahmen die Holzungen,
weil man fortwährend Holz geschlagen, aber keine jungen Bäume zum
Nachwuchs gepflanzt hat. Auch durch Heidebrand entstandene Waldbrände
mögen Schuld daran tragen. Stellenweise legten die Bauern sogar selbst
Feuer an, wie beispielsweise bei Scherrebek, um eine Räuberbande
auszurotten, die sich im Holz verborgen hielt. Die Eiche war der
wichtigste Baum; auf sumpfigem Boden jedoch hatten sich besonders
die Erle und die Birke angesiedelt. In den Waldungen wimmelte es von
allerhand Wild; Hirsche, Rehe und Wildschweine lebten dort in großer
Zahl. Auch an Wölfen soll kein Mangel gewesen sein.

Das Land im Westen ist heutzutage nackt und kahl, bei so magerem
Boden, daß selbst das Heidekraut nur niedrig bleibt und das Getreide
erbärmlich steht. Aber an Wasserläufen und Bächen, wo Binsen und
Seerosen wachsen, wo dichtes mit Wachtelweizen untermengtes Gras grünt
und das Vergißmeinnicht und die goldgelbe Butterblume wachsen, da hat
es dennoch auch seine Reize.

[Sidenote: Lügumkloster.]

Schon im bewaldeten Teil des Mittelrückens Nordschleswigs, in
lieblicher, holzreicher Umgebung befindet sich der Flecken
Lügumkloster, von dem hier noch einige wenige Worte gesagt seien, bevor
wir von dieser Gegend Abschied nehmen wollen. Seinen Namen hat der Ort
von einem ehemaligen der heiligen Jungfrau gewidmeten Kloster, das um
1173 Cisterciensermönche gegründet haben. In verflossenen Jahrhunderten
erfreute es sich keines geringen Ruhmes in den cimbrischen Landen,
und bei mancherlei Anlässen ist das Wort seiner 23 Äbte gar gewichtig
in die Wagschale gefallen. Vier Bischöfe von Ripen, deren Hirtenstab
Lügumkloster vor Zeiten untergestellt gewesen ist, liegen in der
spätromanischen und im Übergangsstil aufgeführten schönen Klosterkirche
begraben. Nach der Marienkirche in Hadersleben wird sie für das
schönste Bauwerk Nordschleswigs gehalten. Der anmutige und freundliche
Flecken ist durch eine von Bredebro abgehende Zweiglinie mit der
Westbahn verbunden. Die vormals auch hier, wie in und bei Tondern
eifrig betriebene Spitzenklöppelei, die früher vielen Wohlstand in die
Gegend brachte, hat nunmehr fast ganz aufgehört.

[Illustration: Abb. 69. ¯Der Jungfernstieg in Hamburg.¯]



~VIII.~

Die nordfriesischen Inseln.


[Sidenote: Röm.]

Röm, die nördlichste der nordfriesischen Inseln, ist ungefähr zwei
deutsche Meilen lang und fünf Kilometer breit, von halbmondförmiger
Gestalt, und durch das Lister Tief von Sylt getrennt. Letzteres ist
eine der wenigen tiefen Wasserstraßen an der sonst so flachen deutschen
Nordseeküste, und die einzige für große Schiffe zugängliche Einfahrt an
diesem ganzen Areal. Die ungemein reißende Strömung verhindert auch im
strengsten Winter das Zufrieren des Lister Tiefs, das sich als Römer
Tief um die Südseite der Insel herum bis an deren Ostküste fortsetzt.

[Illustration: Abb. 70. ¯Hamburger Volkstrachten.¯]

Der größte Teil Röms ist von Dünen bedeckt, die am Westrande auch
Ketten bilden, im Inneren der Insel aber meist als Einzeldünen
auftreten und an vielen Stellen dicht bewachsen sind. „Am Ostrande
der Dünen, aber teilweise tief in dieselben hineingedrängt liegen die
dadurch vollkommen unregelmäßig verstreuten Häuser der Insulaner,
welche durch aufgeschüttete, mit Tang und Marschschlick gedeckte,
durch Dünenpflanzen gefestete, hohe Wälle sich und ihre kleinen
Gärten schirmend, vor dem Flugsande sich gewehrt und teilweise seiner
Verbreitung andere, als die natürlichen Formen gegeben haben“ (Meyn).
Dazwischen finden sich mit üppigen Früchten, so besonders mit Gerste
bestandene Ackerfelder.

Kirkeby im Süden belegen, ist das Kirchdorf der Insel, welche sonst
noch eine Anzahl von kleineren und größeren Gehöften als Juvre, Toftum,
Bolilmark u. s. f. im Nordosten, Kongsmark im Osten u. s. f. trägt.
Die Bewohner sind friesischer Abstammung, und deren männlichem Teil
wird große Erfahrung und Tüchtigkeit im Seemannsberufe nachgerühmt.
Ihre ursprüngliche friesische Sprache, die sich heutzutage nur noch in
einzelnen Ausdrücken und Worten verrät, hat dem landesüblichen Idiom
des Plattdänischen weichen müssen.

Mit dem Festlande steht Röm durch Schiffahrt über Ballum oder über
Scherrebek in Verbindung. Die letztere ist neueren Datums. Nach einer
Fahrt von etwa fünfzig Minuten landet man bei Kongsmark, und von
hier führt eine Dampfspurbahn die Passagiere in wenig Minuten nach
dem Westrande der Insel, in das Nordseebad Lakolk. Den Namen hat
dieses jüngste der deutschen Nordseebäder von dem jetzt in den Fluten
versunkenen Dorfe gleicher Benennung erhalten, das vor Zeiten westwärts
vom jetzigen Westrande des Eilands lag, und dessen Überreste bei
besonders tiefer Ebbe zuweilen noch sichtbar sein sollen (Abb. 13–15).

[Illustration: Abb. 71. ¯Denkmal für Matthias Claudius bei Wandsbek.¯]

[Sidenote: Sylt.]

Sylt, die nächstfolgende Insel, zwischen 55° 3´ und 54° 44´ nördlicher
Breite belegen, erstreckt sich in nordsüdlicher Richtung 35 Kilometer
weit, bei einer wechselnden Breitenausdehnung von 1–4 Kilometer.
Sylts Flächeninhalt beträgt 102 Quadratkilometer, 50 davon sind von
Dünen bedeckt, die im Norden, bei List, über 80 Meter Höhe erreichen
und sowohl am nördlichen, als auch am südlichen Teile der Insel ein
Hochgebirge im kleinen darstellen, das die verschiedenartigsten
Bildungen von Längs- und Querthälern aufweist und auch kleine
Binnengewässer enthält. Hinter den Dünen kommt das Heideland und auf
dem weit nach Osten zurückgestreckten mittleren Teile der Insel das
fruchtbare Marschland mit den Dörfern Keitum, Archsum und Morsum.
Nahe bei der äußersten Spitze dieses Vorsprungs gegen Norden liegt
das Morsumkliff, an dessen Steilabhang die Schichten des oberen
Miocängebirges in der Gestalt von Limonitsandsteinen, Glimmerthon
und Kaolinsand zu Tage treten. Das Kliff selbst steigt im Munkehoi
(Mönchshügel) bis zur Höhe von 23 Meter über den Spiegel der Nordsee
auf. Auch noch an anderen Stellen der Insel, so in der Nähe des Roten
Kliffs bei Wenningstedt, können diese tertiären Bildungen anstehend
beobachtet werden.

[Illustration: Abb. 72. ¯Vierländerin.¯

Studie von Friedrich Kallmorgen.]

Der mittlere Teil des Eilands trägt an der Westseite die beiden
Ortschaften Westerland und Wennigstedt. In diesen beiden konzentriert
sich auch das eigentliche Badeleben. Westerland, das 1900 das 43. Jahr
seines Bestehens als Nordseebad feiert und bisher von weit über 100000
Badegästen besucht worden ist, trägt im Höhepunkt der Saison durchaus
den Charakter eines Badeortes ersten Ranges. Große Gasthöfe, breite und
saubere Straßen, flankiert von schön gebauten Ziegelhäusern, in jeder
Beziehung gut ausgestattete Kaufläden und ein imposantes, in den Jahren
1896–1897 erbautes Kurhaus lassen uns ganz und gar vergessen, daß wir
uns auf einer einsamen Insel im Wattenmeer befinden. Am merkwürdigsten
ist das Leben am Strand, das auf den ersten Anblick völlig einem
bunten Jahrmarkttreiben gleicht. Am Abhang der Düne und teilweise
über diese selbst hin zieht sich die lange hölzerne Wandelbahn und
längs derselben haben die hauptsächlichsten Gasthöfe Westerlands zur
Bequemlichkeit ihrer Kurgäste besondere Strandhallen erbaut. Dort
erhebt sich auch der kleine Musiktempel für die Kurkapelle, deren Töne
sich freilich gegenüber der brausenden, wenn auch etwas monotonen
Symphonie, welche die Wellen der Nordsee hier aufspielen, zuweilen
recht ärmlich ausnehmen. Am Strand aber reiht sich Zelt an Zelt und
Burg an Burg. So nennt man die aus dem feinen weißen Ufersande von
den Badegästen aufgeführten Bauten, in ihrer primitivsten Einrichtung
einfach Umwallungen, die eine Vertiefung im Sande umschließen, in
welche Stühle, Bänke, Tische oder auch Zelte gestellt werden, und deren
jede einen kleineren oder größeren Flaggenmast oder auch nur eine
einfache Stange besitzt, von welchen herab die Fahne des Landes weht,
dessen Angehöriger der Burgbesitzer ist. Ein ungemein farbenreiches,
vom Lärmen und geschäftigen Treiben von Tausenden von Menschen, Großen
wie Kleinen belebtes Bild ist’s, das so entsteht, und zu dem die Wogen
ihr sich ewig gleichbleibendes Lied bald im gemächlichen Andante, bald
im Allegro furioso singen.

[Illustration: Abb. 73. ¯Bauernhäuser von Neuengamme.¯]

Wie an vielen anderen Stellen auf unserer Erde, so berühren sich auch
hier die Gegensätze. Gleich hinter dem Badestrande mit seinem frisch
pulsierenden Leben steht ein dunkles Mauerviereck. „Heimatstätte für
Heimatlose“ besagen die Worte an der Eingangspforte. Der stille und
friedliche Raum birgt eine große Anzahl von Gräbern; jedes derselben
trägt ein einfaches Kreuz, dessen Inschrift Auskunft gibt über den Tag,
da der hier Bestattete in die kühle Erde gebettet worden ist, und über
die Stelle, wo er gefunden wurde. Nur eine einzige Grabstätte nennt
auch noch den Namen des Toten, der unter dem Hügel schläft, von allen
den übrigen armen Schiffbrüchigen aber, welche das Meer an den Sylter
Strand geworfen hat, kennt man weder „Nam’ noch Art“. Vor 45 Jahren,
am 3. Oktober 1855 hat man hier den ersten Heimatlosen in die kühle
Erde gesenkt, und seither sind über 40 Strandleichen an dieser Stelle
geborgen worden. Wenn das so recht wehmutsvoll stimmende Fleckchen Land
heute in so gutem Stande gehalten und im vollen Sinne des Wortes eine
Heimatstätte für Heimatlose geworden ist, so gebührt das Verdienst
hierfür in allererster Linie einer deutschen Fürstin auf einem fremden
Throne, der rumänischen Königin Elisabeth. Im Sommer 1888 weilte sie
auf Sylt, hat den kleinen Friedhof oft besucht, seine Gräber mit Blumen
geschmückt und für denselben einen großen Granitblock gestiftet, in
welchen die folgenden, vom verstorbenen Hofprediger Kögel gedichteten
schönen Verse eingemeißelt stehen:

  Wir sind ein Volk, vom Strom der Zeit
  Gespült zum Erdeneiland,
  Voll Unfall und voll Herzeleid,
  Bis heim uns holt der Heiland.
  Das Vaterhaus ist immer nah,
  Wie wechselnd auch die Lose --
  Es ist das Kreuz von Golgatha
  „Heimat für Heimatlose“.

[Illustration: Abb. 74. ¯Vierländer.¯]

[Illustration: Abb. 75. ¯Einfahrt der Heuernte auf den Hof eines
Bauerngutes in Kurslak.¯]

Ein schärferer Kontrast, als derjenige zwischen Westerland und dem
etwa 4,5 Kilometer nördlich davon belegenen Wenningstedt ist kaum
denkbar. Hier alles noch im ursprünglichen Zustande, keine großen
Gasthöfe, keine Kurhäuser, keine Kurtaxe, nur etliche strohbedeckte
Friesenhäuser, dort der gesamte Komfort des modernen Modebades, hier
idyllische Ruhe, dort geräuschvolles Badeleben. Wenningstedt liegt am
Ostabhange einer alten auf hohem Steilufer aufsitzenden Dünenkette,
mitten in der Sylter Heide und etwa fünf bis zehn Minuten vom Strande
selbst entfernt, zu dem eine breite und bequeme Holztreppe hinabführt.
In landschaftlicher Beziehung bietet der Ort selbst nicht viel,
um so schöner und herrlicher ist aber seine Umgebung. Ein kurzer
Spaziergang bringt uns an diejenige Stelle, wo sich die Natur Sylts
am großartigsten entfaltet, an den Steilabsturz des Roten Kliffs
mit einer der wundervollsten Fernsichten, die man überhaupt an der
deutschen Nordseeküste haben kann. Eine der darauf befindlichen
Einzeldünen, der Uwenberg, erreicht die Höhe von 46 Meter über dem
Meeresspiegel. Auf luftiger Höhe des Kliffs steht ein im großen Stil
erbauter Gasthof, das Kurhaus von Kampen. Dessen Erbauung soll, wie
man sich erzählt, den Westerländern wegen der für ihren Badeort zu
fürchtenden Konkurrenz ein arger Dorn im Auge gewesen sein. Mehr
landeinwärts liegt das Dorf Kampen selbst mit einer Rettungsstation für
Schiffbrüchige und seinem weit auf das Meer hinaus und über die Insel
dahinschauenden 35 Meter hohen Leuchtturm, dessen Fuß selbst schon
27 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Nahebei sieht man auf etliche
Hünengräber, wie denn die Insel Sylt im wahrsten Sinne des Wortes mit
solchen Grabhügeln aus grauer Vorzeit überdeckt ist. Der schönste davon
ist der Denghoog ganz dicht bei Wenningstedt, der „Gerichtshügel“,
wie sein friesischer Name besagt. Der Denghoog ist ein sogenannter
Gangbau und stellt in seiner heutigen Gestalt einen etwa 4½ Meter
hohen Hügel dar, dessen Erdmauern ein aus mächtigen, teilweise ganz
herrliche Gletscherschrammen tragenden und glatt polierten Findlingen
aufgemauertes Gewölbe, die Steinkammer, decken. Letztere war von Westen
her durch einen gepflasterten Gang zu betreten. Die mannigfachen
Gegenstände, welche in diesem Grab aus der jüngeren Steinzeit gefunden
wurden, so Knochenreste, Thonwaren, Steingeräte, Bernsteinperlen,
Holzkohlen u. s. f. befinden sich im Museum vaterländischer Altertümer
zu Kiel.

[Illustration: Abb. 76. ¯Wohnstube mit geöffnetem Wandbett in einem
Bauernhaus in Neuengamme.¯]

Vor Wenningstedt, draußen im Meer, liegt das alte Wendingstadt mit dem
berühmten Friesenhafen, das am 16. Januar 1300 (nach anderen Ansichten
vielleicht erst 1362) von den Fluten verschlungen worden ist. Noch im
Jahre 1640 waren die Überreste der alten Stadt etwa eine halbe Meile
weit von der Küste bei tiefer Ebbe sichtbar. Heute erinnert nur noch
der kleine Ort Wenningstedt an diese vergangenen Zeiten, über den
Ruinen Wendingstadts aber rollen die Wogen der See.

Am Strande entlang wandern wir nordwärts, unter den Abhängen des Roten
Kliffs vorbei, das seinen Namen eigentlich nicht ganz mit Recht trägt,
denn die Farbe seines zumeist aus diluvialen Gebilden bestehenden
Steilabsturzes ist eher gelblich, als rot. Bald sind wir mitten in
die großartige Dünenlandschaft gelangt, die hier beginnt und sich bis
an die Nordspitze der Insel hinauf zieht. Die gewaltigen, beweglichen
Sandberge bildet vorzugsweise der Nordwestwind und treibt dieselben
nach Südosten zu, in der vorherrschenden Windrichtung weiter. Man hat
berechnet, daß ihr jährliches Vordringen bis sechs Meter betragen kann.
Schon im verflossenen Jahrhundert wurde der Versuch gemacht, den Sand
der Dünen durch rationelles Bepflanzen mit gewissen Gewächsen, so mit
dem Halm, dem Sandhafer und der Dünengerste festzulegen. Diese Pflanzen
besitzen nämlich sehr lange und ausdauernde Wurzelstöcke, die sich weit
hinein in den Sand bohren und denselben binden. Derartige Dünenkulturen
lagen besonders den Frauen ob. In neuerer Zeit wird diese Methode in
großem Maßstabe angewendet, und seit 1867 ist diese Arbeit Sache des
Staates selbst. Im verflossenen Jahrzehnt sind jährlich etwa 16000 Mark
für die Bepflanzung der Sylter Dünen verausgabt worden.

[Illustration: Abb. 77. ¯Diele in einem Bauernhaus in Kurslak.¯]

Zum weiteren Schutze des Strandes führt man in der Gegenwart
kostspielige Pfahl- und Steinbuhnen auf, so beispielsweise im Zeitraum
von 1872–1881 20 Stück, welche allein einen Aufwand von 596550 Mark
verursacht und deren Unterhaltung von 1875–1881 beinahe 60000 Mark
gekostet hat. Seither sind noch eine ganze Reihe weiterer solcher
Bauten hinzugekommen, und unablässig ist die Regierung bemüht, ihr
möglichstes für die Erhaltung des Strandes zu thun.

Achtzehn Kilometer nördlich von Westerland zeigen sich auf einer
grünen Oase die Häuser der kleinen Ortschaft List, im Westen von
gewaltigen Dünenzügen geschützt, im Norden und Osten von den Wellen des
Wattenmeeres bespült, das hier als tiefe Bucht in die Nordspitze der
Insel eingreift, und der Königshafen genannt wird. Derselbe muß einst
eine immerhin beträchtlichere Tiefe gehabt haben, denn im Jahre 1644
lagen darin die verbündeten holländischen und dänischen Flotten, welche
Christian ~IV.~ von Dänemark angriff und schlug. In der Gegenwart ist
der Königshafen mehr und mehr versandet. Am Ufer des Wattenmeeres
selbst hat die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ein
Bootshaus erbaut, und ganz dicht dabei liegt, vom Sande schon halb
überdeckt, das Wrack eines größeren Fahrzeugs, das hier gestrandet ist.

Das äußerste Nordende der Insel wird von der sandigen Halbinsel
Ellenbogen gebildet, welche zwei 18 und 20 Meter hohe Leuchtfeuer
trägt, der Ost- und der Westleuchtturm, wichtige Orientierungspunkte
für die in das Lister Tief einsegelnden Schiffe.

Den Rückweg von List nehmen wir längs des Wattenmeeres und haben
nun die Gelegenheit, die zahlreichen Vögel aller Art, als Möven,
verschiedenerlei Enten, Strandläufer, Eidergänse, Seeschwalben,
Kiebitze u. s. f. zu beobachten, welche die weiten Dünenketten und die
dazwischen gelegenen Thäler bevölkern. Im Frühjahr wird hier zuweilen
eifrig nach Möveneiern gesucht, und die bewaffnete Staatsgewalt der
Insel hat mehr als genug zu thun, um die Nester dieser Vögel vor der
Ausraubung beutegieriger Eiersucher zu schützen. In verflossenen
Jahren, bevor das Eiersammeln verboten war, sollen jährlich an
50000 Stück davon in den Lister Dünen aufgelesen worden sein. An
der Vogelkoje, welche sich auf unserem Wege befindet -- sie soll
die älteste auf den nordfriesischen Inseln und schon im Jahre 1767
hergestellt worden sein --, gehen wir nicht vorbei, ohne nicht auch
einen Blick hineingeworfen zu haben. Es ist, wie auch alle übrigen
Einrichtungen dieser Art, ein viereckiger Teich, von dichtem Gebüsch,
das aus Weiden, Eschen, Pappeln und anderen Bäumen und Gesträuchen
besteht, umgeben, und an jedem Ende mit einem immer enger werdenden
und schließlich mit Netzen überspannten Kanal, einer Pfeife, versehen.
Gezähmte Enten verschiedener Art locken die wilden an, die in die
Pfeifen und von da in die Netze geraten und dort ergriffen werden. Bis
150 Vögel sind auf ein einziges Mal in einer solchen Vogelkoje gefangen
worden, deren es auf Sylt, Amrum und Föhr zusammen elf gibt. Im Jahre
1887 wurden auf diesen drei Inseln zusammen etwa 56000 Stück Enten in
den Vogelkojen gefangen.

[Illustration: Abb. 78. ¯Schloß Friedrichsruh. Einfahrtsthor und
Hauptansicht.¯]

[Illustration: Abb. 79. ¯Das Schlaf- und Sterbezimmer des Fürsten
Bismarck.¯]

[Illustration: Abb. 80. ¯Schloß Friedrichsruh. Zimmer im Erdgeschoß.¯]

[Illustration: Abb. 81. ¯Das Mausoleum des Fürsten Bismarck in
Friedrichsruh.¯

(Nach einer Photographie von H. Breuer in Hamburg.)]

Einen nicht minder guten Einblick in das Tierleben des Wattenmeeres
gewährt uns ein zur Ebbezeit von List nach Kampen oder umgekehrt
unternommener Spaziergang. Da liegen leere Gehäuse des Wellhorns,
dort ein wabenpäckchenartiges Gebilde, die leeren Eischalen dieser
Schnecke (~Buccinum undatum, L.~). Hier hat ein seltsames Tier, der
Einsiedlerkrebs (~Pagurus Bernhardus, L.~), seinen nackten Hinterleib
zum Schutze in ein leeres Wellhorn gesteckt. In den von der Flut
zurückgelassenen Wassertümpeln wimmelt es von kleinen Nordseekrabben
(~Crangon vulgaris, L.~), welche die Watten bevölkern und hier in Menge
gefangen werden, dichte Haufen von Muscheln aller Art, so ~Cardium~,
~Pecten~, und vor allem die Mießmuschel (~Mytilus edulis~) haben die
Wellen auf dem Lande aufgetürmt und dazwischen lagern zahllose Leichen
von Quallen, welchen der Rückzug des Wassers das Leben gekostet hat.
Hier und da trifft man auch auf Fische, die sich nicht rechtzeitig
mit den Wellen auf und davon gemacht haben, und häufig auf leere
Austernschalen, welche die Wogen von den im Wattenmeere vorhandenen
Austernbänken losspülten. Die Befischung dieser letzteren hat in
vergangenen Zeiten den Bewohnern des Wattenmeeres reichen Erwerb
gebracht. Seit 1587 hatte Friedrich ~II.~ von Dänemark ihre Ausbeutung
als ein Recht der Krone in Anspruch genommen und vom 1. September bis
zum Mai wurde der Fang dieses Schaltieres betrieben. Im Jahre 1746
betrug die von den Pächtern des Fangrechtes zu erlegende Summe noch
2000 Thaler, im Jahre 1879 mußten Hamburger Herren 163000 Mark dafür
zahlen.

[Illustration: Abb. 82. ¯Rathaus in Altona.¯

(Nach einer Photographie von M. Kruse in Altona-Ottensen.)]

[Illustration: Abb. 83. ¯Altona. Palmaille mit Blücherdenkmal.¯

(Nach einer Photographie von M. Kruse in Altona-Ottensen.)]

[Sidenote: Die Austernbänke.]

Die Austernbänke, deren es in Sylt etwa elf gibt, liegen am Rande
der tiefen Rinnen des Wattenmeeres, ihre Ergiebigkeit ist aber
allmählich immer geringer und geringer geworden, indem man dieselben
zweifelsohne zu stark ausgebeutet hat. So ist denn im letzten
Jahrzehnt ihre Befischung ganz und gar eingestellt worden. Doch sorgen
die Austernzuchtanstalten bei Husum einigermaßen für Ersatz dieses
Leckerbissens, den schon anno 1565 der ehrsame Johannes Petrejus,
Pastor zu Odenbüll auf Nordstrand, „vor ein Fürsten Essen geachtet“.
Allerdings ist auch hier die Nachfrage größer, als die Produktion, und
meist sind schon im Januar keine Husumer Austern mehr zu haben. Noch
im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts kosteten 1000 Stück Austern an
der Westküste Schleswig-Holsteins eine Mark, in den letzten Fangjahren
war der Preis schon auf 40–50 Mk. gestiegen und dürfte in Zukunft
ein beträchtlich höherer werden, falls der Austernfang hier wieder
aufblühen sollte. Im Dezember des verflossenen Jahres galten 100 Stück
Husumer Austern an Ort und Stelle 18 Mk.

Auch Seehunde leben im Wattenmeere, und die Jagd auf diese klugen, den
Fischgründen aber äußerst verderblichen Tiere wird von den Badegästen
auf den nordfriesischen Inseln nicht selten als Sport geübt. Jährlich
sollen am Sylter Strande etwa 100 Stück davon geschossen werden (vergl.
Abb. 37).

Von Kampen aus schlagen wir den Weg über das Heidedorf Braderup nach
Munkmarsch ein, der heutigen Landungsstelle für den Schiffsverkehr mit
Sylt, nachdem der frühere Hafen der Insel bei Keitum im Laufe der Jahre
so versandete und verschlickte, daß er seit 1868 nicht mehr benützt
werden konnte. Mehrere Dampfer halten die Verbindung Sylts mit dem
Festlande einigemal am Tage aufrecht, außerdem ist das Eiland aber
auch noch von Hamburg aus auf dem direkten Seewege zu erreichen, und
zwar dreimal wöchentlich über Helgoland, täglich aber für die aus dem
Westen Deutschlands kommenden Reisenden über Bremerhaven-Helgoland-Wyk,
jedoch derart, daß die Passagiere zur Fahrt auf dem Wattenmeere selbst
auf kleinere Dampfer übersteigen müssen. Für denjenigen, welcher die
Seekrankheit fürchten sollte, ist die Reise über Hoyerschleuse immer
das geringere Übel, wenn auch dabei die Gefahr, Ägir opfern zu müssen,
nie ganz ausgeschlossen ist. Von Munkmarsch führt eine vier Kilometer
lange Kleinbahn nach Westerland.

[Illustration: Abb. 84. ¯Klopstocks Grab.¯

(Nach einer Photographie von M. Kruse in Altona-Ottensen.)]

Am Panderkliff vorbei lenken wir unsere Schritte nach dem freundlichen
Keitum, einem etwa 870 Einwohner zählenden hübschen Orte, mit
freundlichen Häusern, netten Gärten und schönen Bäumen in denselben,
ein sonst für Sylt mit seinen baumlosen Heiden und wenigen vom Winde
im Baumwuchse gedrückten Hainen ziemlich seltener Anblick, den wir nur
an den vor dem Westwinde geschützten Stellen der Ostseite des Eilandes
genießen können. Keitum hat eine schöne, dem heiligen Severinus
geweihte Kirche, deren hoher Turm den Schiffern des Wattenmeeres als
Merkzeichen gilt, und ist das Kirchdorf für Archsum, Tinnum, Kampen,
Braderup, Wenningstedt und für Munkmarsch. Hier ist der berühmte
schleswig-holsteinische Patriot Uwe Jens Lornsen geboren, dem sein
Heimatsdorf ein hübsches Denkmal gesetzt hat, und hier befindet sich
auch das Sylter Museum, eine Gründung des verstorbenen und um die
Geschichte der nordfriesischen Inseln sehr verdienten Lehrers C. P.
Hansen.

Wenige Kilometer von Keitum treffen wir das niedrig gelegene Dorf
Archsum mit den Resten eines alten Burgwalles an, der Archsumburg,
welche vom Volksmund dem Zwingherrn Limbek zugeschrieben wird. Das Dorf
hatte unter der Sturmflut von 1825 viel zu leiden. Wenn wir von hier
aus unsere Wanderung ostwärts ausdehnen, so betreten wir schon nach
kurzer Zeit die hufeisenförmig angelegte Ortschaft Morsum mit ihrem
bleigedeckten und turmlosen Gotteshause.

Über das uns schon bekannte Morsumkliff steigend, statten wir noch dem
östlichsten Punkte Sylts, Näs Odde oder Nösse, einen kurzen Besuch ab.
In Näs Odde befindet sich eine Eisbootstation, die wir etwas näher
kennen lernen wollen. Wenn nämlich bei eintretendem starken Froste das
Wattenmeer sich mit Eis überzieht, nicht mit einer zusammenhängenden
Decke, sondern mit unzähligen, von den Wellen und den Strömungen stetig
übereinander geschobenen Eisschollen, die zuweilen zu eisbergähnlichen
mächtigen Bildungen werden, so hört die gewöhnliche Postverbindung der
nordfriesischen Inseln, vermittelst der Postfahrzeuge und Dampfer auf,
und das Eisboot tritt an ihre Stelle (Abb. 7 u. 8).

[Illustration: Abb. 85. ¯Neumühlen.¯]

So gelangt dann die Post, zuweilen mit recht unliebsamem Aufenthalt von
13–14 Stunden, an ihr Ziel! Wenn die Eisdecke die nötige Festigkeit
erlangt hat, um Pferde und Gefährt zu tragen und ein zusammenhängendes
Ganzes bildet, dann kommt wohl auch der von Rossen gezogene Schlitten
zur Postbeförderung in Betracht. Im Winter 1899–1900 sind zwischen
Ballum und Röm in jeder Richtung 26 schwierige Eisfahrten verrichtet
worden, zwischen Rodenäs und Näs Odde 28 ebensolche, zwischen Husum und
Nordstrand 18, u. s. f.

[Illustration: Abb. 86. ¯Blankenese und Süllberg, vom Bismarckstein
gesehen.¯

(Nach einer Photographie im Verlag von Conrad Döring in Hamburg.)]

[Illustration: Abb. 87. ¯Blankenese, vom Süllberg gesehen.¯]

Neun Kilometer südwärts von Westerland grüßen uns die wenigen Häuser
von Rantum, dem südlichsten Dorfe auf der Insel, vor Zeiten ansehnlich
und wohlhabend, aber durch die Fluten und die landeinwärts wandernden
Dünen zu einem der ärmsten Dörfer herabgesunken. Die im Jahre 1757
aufgeführte Kirche Rantums, deren Vorgängerin schon einmal wegen
Gefahr der Verschüttung durch die Sandberge abgebrochen werden mußte,
war bereits 1802 zur Hälfte von den Dünen bedeckt und mußte ebenfalls
wieder abgerissen werden. Am 18. Juli 1801 bestieg der Prediger
zum letztenmal die schon vom Sande umgebene Kanzel. Auch die alte
Rantumburg, auf welcher in den ältesten Zeiten die Sylter ihre Landtage
abhielten, ist jetzt vom Sande begraben. Bei anhaltendem Ostwinde
sollen die Spuren vergangener Dörfer, Kirchen, Wohnstellen und Brunnen
draußen im Wasser vor Rantum noch deutlich zu erkennen sein.

[Illustration: Abb. 88. ¯Hafeneinfahrt von Cuxhaven.¯]

[Illustration: Abb. 89. ¯„Alte Liebe“ bei Cuxhaven.¯]

Eine nicht minder großartige Dünenlandschaft, als der Nordflügel der
Insel aufweist, zeigt auch deren südliches Ende, das bei Hörnum in
einer Art Hochstrand endigt.

Daß Sylt einen verhältnismäßig geringen, nur in geschützter Lage
gedeihenden Baumwuchs hat -- einige Gehölzanpflanzungen, die jedoch
auch an Verkrüppelung durch den Westwind leiden, sind der Viktoriahain
und der Lornsenhain im Centrum der Insel --, das wurde schon
angedeutet. Die Flora bietet aber sonst allerlei Interessantes und
Schönes, und als besonderes Curiosum wird angeführt, daß alpine Formen
von Enzian darunter sind.

In verflossenen Jahrhunderten hatten die Sylter, wie auch die Bewohner
der anderen nordfriesischen Inseln ihre besondere Tracht, die in der
Gegenwart ganz und gar abgekommen ist. „Die Weiber aber“, so hat in
der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts Herr Erich Pontoppidan
in seinem ~Theatrum Daniae~ gemeint, „distinguieren sich durch ihre
lächerliche Kleidung am allermeisten. Ihre Haare tragen sie ganz
lang herabhangend, und zieren einen jeden Zopff, mit verschiedenen
Messingen Ringen, Rechen-Pfennigen, und dergleichen Possen. Ihre Wämbse
sind weit, und bestehen aus lauter Falten; und ihre Röcke sind gar
nicht nach der Ehrbarkeit eingerichtet, indem sie kaum bis über die
bloßen Knie hinunterreichen, gleich wie vormals an denen Spartanischen
Weibern, denen sie sich auch an Muth und Herz gleichen.“ Die
Bevölkerung Sylts zählt gegenwärtig etwa 4000 Seelen, die Zahl der im
Jahre 1899 in Westerland und Wenningstedt zusammen anwesenden Kurgäste
betrug 12695, im Jahre 1890 nur erst 7300.

[Illustration: Abb. 90. ¯Insel Neuwerk.¯]

[Sidenote: Amrum.]

Südlich von Sylt, südwestlich von Föhr, von der ersteren Insel durch
das Fartrapp-Tief, von letzterer durch das Amrumer Tief getrennt,
liegt das Eiland Amrum, 10 Kilometer lang, bis 3 Kilometer breit, und
30 Kilometer vom Westrande des schleswig-holsteinischen Festlandes
entfernt. Amrum ist nicht mit Unrecht als kleines Sylt bezeichnet
worden, mit dem es in seiner Beschaffenheit viel Ähnlichkeit hat. Dem
hochliegenden (16–20 Meter über dem Meer) diluvialen Hauptkörper der
Insel sind in dessen östlichen Buchten schmale, sandige Marschbildungen
angelagert, eine Dünenkette folgt dem ganzen Verlaufe der Insel,
und nördlich wie südlich bildet dieselbe, über dem Hauptkörper
hinausragend, eine eigene Dünenhalbinsel. Die scharf abgebrochenen
Ränder, die wir auf Sylt in den verschiedenen Kliffbildungen kennen
gelernt haben, fehlen Amrum bis auf eine einzige Stelle an der
Ostseite, wo das jüngere Diluvium sich kliffartig bis zur Höhe von
12,6 Meter aus dem Wattenmeer erhebt. Amrums Bewohner beanspruchen,
der edelste Stamm unter den Friesen zu sein, bestehen aus ca. 900
Seelen und leben von Schiffahrt, Fischerei und Ackerbau. Für den
Altertumsforscher besitzt Amrum großes Interesse, befindet sich doch
nordwestlich von Kirchdorf Nebel und südwestlich von Norddorf die
altheidnische Opferstelle des Skalnas-Thales dort. Es ist dies ein von
hohen Dünenwällen eingerahmtes, von diesen aber auch schon verschüttet
gewesenes 100 Schritt langes, und 80 Schritte breites Thal mit 22
verschiedenen Steinkreisen von verschiedener Form und Größe, mit und
ohne Thorsetzungen, die -- leider! -- zum Teil beim Deichbau benutzt
worden sind.

[Illustration: Abb. 91. ¯Scharhörnwatt.¯]

Ein gewaltiger Leuchtturm im Süden Amrums, dessen Laterne (Drehfeuer)
in 67 Meter Meereshöhe leuchtet und 22 Seemeilen weit sichtbar ist,
der höchste an der deutschen Nordseeküste, gewährt einen guten
Überblick über das Eiland und seine Umgebung, über Föhr, die Halligen,
die der Insel im Westen vorgelagerte Sandbank Kniepsand u. s. f.
Im Norden stehen die Häuser von Norddorf, schon auf der südlichen
Hälfte desselben das Haupt- und Kirchdorf Nebel mit der alten St.
Clemens-Kirche und dem interessanten Friedhofe, und südlich davon das
Süddorf. Auf Amrum sind in den jüngstverflossenen Jahren mit allem
Komfort der Neuzeit ausgerüstete Badeetablissements entstanden. Dahin
gehört Wittdün mit schönem Kurhaus und vorzüglich eingerichteten
Gasthöfen an der Südseite. Von dort führt eine Dampfspurbahn
die Badegäste an den Badestrand auf Kniepsand. Etwa 4 Kilometer
nordwestlich von Wittdün treffen wir mitten in den Dünen, am Fuße der
29 Meter hohen Satteldüne das gleichnamige Hotel mit eigenem, durch
eine Pferdebahn mit dem Gasthofe verbundenen, ebenfalls auf Kniepsand
belegenen Badestrande (Abb. 23 u. 24).

[Illustration: Abb. 92. ¯Helgoland aus der Vogelperspektive.¯]

[Illustration: Abb. 93. ¯Helgoland, von der Düne gesehen.¯

(Nach einer Photographie von F. Schensky in Helgoland.)]

Für eine direkte Verbindung Amrums mit verschiedenen Stellen der
deutschen Nordseeküste während des Sommers ist bestens gesorgt. Dampfer
der Nordseelinie vermitteln dieselbe, sowohl von Bremerhaven ab, als
auch von Hamburg aus, beide Fahrten über Helgoland. Wer eine allzulange
Seefahrt scheut, kann Amrum aber auch von Husum aus erreichen; diese
interessantere Reise führt durch die Inselwelt der Halligen hindurch.
Noch bequemer aber ist der Weg über Niebüll und Wyk auf Föhr. Die
Landungsbrücke für alle Dampfer befindet sich in Wittdün.

[Illustration: Abb. 94. ¯Mönch und Predigtstuhl.¯

(Nach einer Photographie von F. Schensky in Helgoland.)]

[Sidenote: Föhr.]

Wesentlich anders als der Boden der drei nordfriesischen Inseln, die
wir bisher kennen gelernt haben, ist der Untergrund der übrigen,
hierher gehörigen Eilande beschaffen. Derselbe besteht nämlich
größtenteils aus Marschboden. Föhr macht davon allerdings insofern
eine kleine Ausnahme, als dessen südwestlicher Teil, etwa zwei
Fünftel des ganzen Areals dieser Insel, hochliegendes Geestland, das
übrige aber Marschland ist. Neben Föhr kommen hier in Betracht die
Eilande Pellworm und Nordstrand und die zehn Halligen, als Oland,
Langeneß-Nordmarsch, Gröde mit Appelland, Habel, Hamburger Hallig,
Hooge, Nordstrandisch-Moor, Norderoog, Süderoog, Südfall. Pohnshallig
hat seine Eigenschaft als selbständige Insel verloren infolge seiner
Verbindung mit Nordstrand durch einen Damm, und ist nur mehr noch
als ein Vorland dieses letzten Eilandes zu betrachten. Die südliche
Begrenzungslinie dieser ganzen Inselwelt bildet der Hever.

Föhr hat einen Umfang von 37 Kilometer, einen Flächeninhalt von 82
Quadratkilometer und seine Marschen sind durch starke Deiche gegen
den Anprall der Nordseewogen geschützt. Im Westen der Insel tritt an
die Stelle des gewöhnlichen Deiches ein gewaltiger Steindeich, dessen
Gesamtlänge zur Zeit über 3500 Meter beträgt. Zur Verstärkung der
Deiche Föhrs, die voraussichtlich im Jahr 1900 beendet sein wird, sind
362000 Mark (als 4. und letzte Rate) in den Staatshaushaltsplan des
Königreichs Preußen für 1900 eingestellt worden.

[Illustration: Abb. 95. ¯Helgoland. Das Oberland und die Nordspitze.¯

(Nach einer Photographie von F. Schensky in Helgoland.)]

Der Flecken Wyk im Südosten ist die bekannteste und wichtigste
Ortschaft der Insel Föhr, berühmt durch sein seit 1819 bestehendes
Nordseebad, das in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts
ein Sammelplatz der dänischen Aristokratie gewesen ist. Die Könige
Christian ~VIII.~ und Friedrich ~VII.~ hielten sich gerne hier auf.
Wyk ist noch immer im stetigen Aufschwung begriffen, und 1899 wurde
das Bad von 5169 Kurgästen besucht. Der Verein für Kinderheilstätten
an den deutschen Seeküsten hat hier eine Kinderheilanstalt gegründet,
ein Liebeswerk, das in erster Linie armen Kindern aus allen deutschen
Gauen zu gut kommt, und in neuester Zeit ist an der Südseite von Föhr
und nahe bei Wyk ein Nordsee-Sanatorium entstanden, das bezweckt,
der leidenden Menschheit einen verlängerten Aufenthalt an der See zu
ermöglichen und als Herbst- und Winterstation dienen soll.

[Illustration: Abb. 96. ¯Helgoländerinnen.¯

(Nach dem Gemälde von Bennewitz von Loesen jr.)]

Neben Wyk, das bei der Volkszählung von 1895 von 1154 Menschen bewohnt
war, liegen noch eine große Anzahl von Dörfern auf dem im ganzen von
etwa 5000 Menschen bevölkerten Eilande Föhr, so Alkersum, Boldixum,
Goting, Nieblum, Övenum, Utersum u. s. f. Der höchste Punkt der Insel
ist der 13 Meter hohe Sülwert bei Witsum am Südrande Föhrs. Etwas
östlich davon, bei Borgsum ist ein alter Burgwall, dessen Errichtung
ebenfalls auf den uns schon von Sylt her bekannten Ritter Claes Limbek,
einen Vasallen König Waldemars von Dänemark, zurückgeführt wird. An
Grabhügeln und anderen Denkmälern aus prähistorischer Zeit fehlt es auf
Föhr ebensowenig als auf Sylt oder Amrum.

In Nieblum steht die große St. Johannis-Kirche, eine der größten
Landkirchen des Landes, 58 Meter lang. Die Nordseite des Schiffes
besitzt Stroh-, der übrige Teil des Gotteshauses Bleibedeckung. St.
Johannis ist die Mutterkirche Föhrs, das außerdem noch im Westen,
östlich von Utersum die St. Laurenti-Kirche und im Osten, in Boldixum
ein dem heiligen Nikolaus geweihtes Gotteshaus hat. Eine Anzahl von
Kirchen sind im Verlaufe der Zeiten durch die Fluten in die Tiefe
gerissen worden, so beispielsweise die Hanumkirche, von der in einem
Hause von Midlum noch Balken vorhanden sein sollen.

Das Föhringer Land ist gut bebaut; üppige Kornfelder und fruchtbare
Wiesen bedecken es, und viel Wohlstand ist auf dem Eilande zu finden.
Ihre reizende, durch schöne, große, in Filigranarbeit ausgeführte
Silberknöpfe ausgeschmückte Nationaltracht haben die Föhringerinnen
noch nicht in dem Maße abgelegt, wie die Frauen von Sylt. Die
erheblichen Kosten bei der Neuanschaffung des Kleides mögen immerhin an
dem allmählichen Verschwinden der Tracht auch auf Föhr Schuld tragen
(Abb. 25–29).

[Sidenote: Nordstrand. Pellworm.]

Nordstrand und Pellworm sind Reste der großen Insel Nordstrand, welche
die Sturmflut 1634 zerrissen und zerstört hat. Das übriggebliebene
östliche Stück ist das heutige Nordstrand, das westliche Pellworm, ein
Ueberbleibsel vom Mittelstück bildet die Hallig Nordstrandisch-Moor
(vgl. hier den Abschnitt über die Sturmfluten, S. 26).

Das 8 Kilometer lange und ebenso breite Nordstrand wurde nach der
Katastrophe von 1634 von Herzog Friedrich ~III.~ von Gottorp Brabantern
und Niederländern zur Eindeichung überlassen, nachdem sich die von der
Sturmflut übriggebliebenen früheren Bewohner zum Teil geweigert hatten,
wieder auf die Insel zurückzukehren. Gegenwärtig besteht es aus 6
Kögen und wird von etwas über 2400 Menschen bewohnt. Von den vor 1634
vorhanden gewesenen Gebäuden ist nur noch die Vincenzkirche zu Odenbüll
erhalten, zugleich das einzige, das die Fluten damals verschonten.
Der in diesen Blättern mehrfach genannte Chronist Johannes Petrejus,
gestorben 1608, war hier Pastor. Die Vincenzkirche ist ein turmloser
Ziegelbau auf hoher Werft mit schöngeschnitztem Altar aus dem Ende des
fünfzehnten Jahrhunderts.

Pellworm ist 8 Kilometer lang und 7 Kilometer breit, von mächtigen
Deichen, darunter im Westen ein riesenhafter Steindeich, umwallt.
Es bildete früher ein sehr hohes Marschland, das aber infolge einer
beträchtlichen Lagerung des Bodens in den letzten Jahrhunderten
gegenwärtig unter gewöhnlicher Fluthöhe liegt. Das Moor unter der
Marsch ist zusammengepreßt, und so wurde die Marscherde selbst
allmählich dichter. An den in der Mitte der Insel belegenen „großen
Koog“ gliedern sich 10 weitere, verschieden eingedeichte, aber, wie
betont, von einem einheitlichen Außendeich umzogene Köge an.

[Illustration: Abb. 97. ¯Helgoländer Fischerwohnung.¯]

Zwei Kirchspiele befinden sich auf der Insel, die alte Kirche und die
neue Kirche. Die erstere, ein sehr merkwürdiges und mit verschiedenen,
interessanten Kunstschätzen ausgestattetes Gotteshaus, aus dem Anfang
des elften Jahrhunderts, hatte einen Turm von 57 Meter Höhe, der um
1611 einstürzte und dabei einen Teil der Kirche zerschmetterte. Seine
stehen gebliebene Westmauer war lange Zeit hindurch ein wichtiges
Seezeichen. Die Einwohnerzahl Pellworms betrug am 1. Dezember 1890 2406
Seelen.

[Illustration: Abb. 98. ¯Hengst und Nordspitze von Helgoland.¯

(Nach einer Photographie von F. Schensky in Helgoland.)]

[Sidenote: Die Halligen.]

Unter demselben Namen „Halligen“ umfaßt der heutige Sprachgebrauch
„alle Grasländereien, die ohne den Schutz von Dämmen den
Überschwemmungen durch die See ausgesetzt sind, also auch den ganzen
Vorlandssaum längs der Außendeiche“, sagt Eugen Traeger, der beredte
Schilderer und unermüdliche Anwalt der Halligenwelt. Mit diesem Autor
beschränken wir hier diesen Ausdruck auf die echten Inselhalligen, die
wir weiter oben schon namentlich aufgeführt haben. Eine elfte Hallig
ist das erst im Laufe dieses Jahrhunderts neu emporgewachsene und noch
unbewohnte Helmsand in der Meldorfer Bucht, eine zwölfte Jordsand bei
Sylt, das nicht mehr bewohnt ist. Die Halligen sind insulare Reste
des in geschichtlicher Zeit von den Sturmfluten, dem Eisgang und den
Gezeitenströmungen zerrissenen Festlandes, welche das Meer ehemals im
Schutze der äußeren Dünenkette abgelagert hatte. Eine Hallig steigt
mit stark zerklüfteten und zerrissenen, ½–1½ Meter hohen Wänden
senkrecht von dem Wattenplateau empor, welches um sie her bei Ebbe vom
Meer verlassen, bei Flut aber wieder überschwemmt wird. Ihr Boden ist
ganz eben, von größter Fruchtbarkeit und dicht bestanden mit einem
feinen, kräftigen und außerordentlich dichten Gras (~Poa maritima~ und
~Poa laxa~), zwischen dessen Halmen weiß blühender Klee und die Sude
(~Plantago maritima~) neben vielen anderen Kindern Floras gedeihen. Bei
jeder Überschwemmung läßt das Meer eine Schicht feinen Schlicks auf dem
Halligboden zurück und besorgt so dessen Düngung. Die Halligen nehmen
also, ähnlich wie die Lande am Nilstrom, jährlich unmerklich an Höhe
zu. Gräben von verschiedener Länge und Tiefe durchziehen die Halligen,
bisweilen in solchem Maße, daß sie den Wattenfahrzeugen als Häfen
dienen können. Wie freundliche Oasen liegen die Halligen in der grauen,
öden Wüste der Wattengefilde da.

Die menschlichen Wohnstätten und Stallungen für das Vieh liegen auf
Werften von etwa vier Meter absoluter Höhe, bald nur eine, bald mehrere
an der Zahl, mit Gärtchen umgeben. Bei den Häusern befindet sich der
„Fething“ genannte Teich, welcher zum Auffangen der Niederschläge dient
und im Falle der Not mit seinem Wasservorrat auszuhelfen hat. Aus dem
Fething werden auch die Wassertröge für das Vieh gespeist. Das Wasser
für den menschlichen Gebrauch wird in etwa zehn bis zwölf Fuß tiefen,
aufgemauerten Cisternen gesammelt (vergl. Abb. 9 u. 10, sowie Abb.
31–35).

Eigenartig ist die innere Einrichtung der mit Rohrschauben bedeckten,
ziemlich hochgiebligen Häuser mit ihren holzverschalten oder mit
Kacheln verkleideten Zimmerwänden, ihren durch Thüren abgeschlossenen
Bettnischen, der reinlichen Küche u. s. f. Eine berühmte
Hallighauswohnstube birgt das Könighaus auf Hooge, den „Königspesel“,
so genannt nach Friedrich ~VI.~ von Dänemark, der hier im Jahre 1825
einige Tage zugebracht hat.

Die Halligbewohner sind von ungeheuchelter Frömmigkeit und
bemerkenswerter Wohlanständigkeit, ihre Frauen züchtig, ehrbar und
freundlich, dagegen von etwas schwerfälliger Bedächtigkeit, so daß es,
wie Traeger bemerkt, fast unmöglich erscheint, sie zu Privatleistungen
zu bewegen, bei denen gemeinsames Handeln unter Aufbietung persönlicher
Opfer im allgemeinen Interesse erforderlich ist. „Das ist ihr
Hauptfehler, ihr nationales Unglück, welches sie im Kampfe mit den
Fluten der Nordsee durch schreckliche Verluste an Menschenleben, Land
und beweglicher Habe gebüßt haben.“ Ihre hauptsächlichste Beschäftigung
bilden die Viehzucht und die Schiffahrt. Die Männer der Halligen
sind geborene Seeleute und sollen in dieser Beziehung von keinem
Volk der Erde übertroffen werden. Im achtzehnten Jahrhundert blieb
kein Mensch, der gesunde Glieder hatte, zu Haus: gleich im Frühjahr
verschwand die ganze männliche Bevölkerung und ging aufs Schiff, um
erst um Weihnachten heimzukehren. Mancher freilich hat die Heimat nicht
wieder gesehen. Mitsamt den Männern von Amrum, Föhr, Sylt und den
Nachbarinseln lieferten die Halligleute vorzugsweise die Bemannung der
nach Indien, China oder ins Eismeer zum Walfischfang fahrenden Schiffe.
Viele brachten es zu hohen Ehren und großem Reichtum, aber zäh und fest
hingen sie doch immer mit allen Fasern ihres Herzens an ihrer Heimat.

[Illustration: Abb. 99. ¯Helgoland. Oberland und Unterland.¯

(Nach einer Photographie von F. Schensky in Helgoland.)]

Eine kleinere Erwerbsquelle für die Halligbewohner bildet auch der
Porren-(Krabben-)fang. Jede Hallig hat ihren Porrenpriel, woselbst
diese kleinen Krebse, besonders in der Zeit nach der Heuernte bis zu
Anfang November vermittelst eines besonders dazu konstruierten Netzes
gefangen werden. Man nennt diesen Vorgang das Porrenstreichen. Die
Fische fängt man in sogenannten Fischgärten, Faschinenreiser, die in
der Gestalt eines langschenkligen Winkels auf geneigten Wattenflächen
in den Boden gesteckt werden und am Scheitelpunkte des Winkels einen
mit einem Netz in Verbindung stehenden Durchlaß haben. Die in die
Einhegung geratenen Fische ziehen sich bei eintretender Ebbe immer
weiter nach dem Durchlaß hin zurück und geraten schließlich ins Netz.
In der Gegenwart soll diese Art der Fischerei immer mehr abkommen.
Dagegen pflegt man mit dem Stecheisen die Plattfische aufzuspießen,
und in den schlammigen Halliggräben die darin befindlichen Fische,
besonders Aale, mit der Hand zu greifen.

[Illustration: Abb. 100. ¯Die neue Brücke von Harburg nach Hamburg.¯

(Nach einer Photographie von Max Wichmann in Harburg.)]

Die Jagd auf Vögel (Regenpfeifer, Austernfischer, wilde Enten, Gänse u.
s. f.) wird selten mehr mit dem Netz, sondern durch Schießen ausgeübt,
mit besonderem Erfolge bei Nacht, indem man die Vögel durch den Schein
einer brennenden Laterne anlockt. Das systematische Einsammeln der
Vogeleier (Möven, Enten u. s. f.) verschafft den Halligbewohnern
gute Einnahmen. An den Rändern der Wasserflächen befinden sich
zahllose Nester, und von hier holen sie sich ihre Ernte an Eiern und
Jungen. Auf Süderoog soll es besonders von Vögeln wimmeln. Am Ende
des achtzehnten Jahrhunderts war die Menge dort so groß, daß die
kleinen Leute auf Pellworm fast den ganzen Sommer hindurch davon leben
konnten. Ganze Massen davon wurden ferner auf das Festland gebracht
und dort von den Bauern als Schweinefutter verwendet. Des weiteren
sind die Halligbewohner nicht selten geschickte Seehundsjäger; der
Schiffszimmermann Holdt auf Hooge hat im Jahre 1891 80 Stück davon
erlegt, deren Durchschnittsertrag sechs Mark war, so daß ihm eine
Bruttoeinnahme von 500 Mark daraus erwachsen ist (Abb. 36 u. 37).

Die längste der Halligen ist Langeneß-Nordmarsch; nach der Vermessung
von 1882 betrug ihr Areal etwa 1025 Hektar, gegenüber 1179 Hektaren,
die sie bei derjenigen von 1873–1874 noch besaß. Norderoog, mit 16,96
Hektaren (gegenüber 22,72 Hektaren 1873–1874) ist die kleinste. In der
Gegenwart hat die preußische Regierung die Fürsorge für die fernere
Erhaltung dieser kleinen Inseln, die schon deshalb besonders geschützt
werden müßten, weil sie die Wellenbrecher für das Festland bilden,
besonders im Auge. 1896 bewilligte der Landtag hierfür die Summe von
1320000 Mark. Ein großer Teil des Verdienstes, das mit veranlaßt und
herbeigeführt zu haben, mag wohl dem Sekretär der Handelskammer zu
Offenbach a. M., ~Dr.~ Eugen Traeger gebühren, der unablässig dafür
eingetreten ist. So hat in den jüngstverflossenen Jahren Oland mächtige
Dämme mit schwerer Steindecke und Busch und Pfahlbuhnen erhalten, und
nicht minder großartige Dämme wurden zur Verbindung dieser Insel mit
dem Festlande bei Fahretoft (Kosten 408000 Mark) und mit Langeneß
(Kosten 207000 Mark) in die See gebaut, zum Teil unter unsäglichen
Schwierigkeiten, denn die Strecke Oland-Fahretoft hat allein im
Jahre 1898 infolge schwerer Beschädigung durch die Wellen an 100000
Mark Ausbesserungskosten verursacht und mußte in ihrer Anlage etwas
verändert werden. Die Herstellung der Olander Dämme, deren Sohlenbreite
10 Meter beträgt, die sich zu einer Kronenbreite von 4 Metern verjüngt,
an besonders exponierten Stellen aber, so am Olander Tief 7½ Meter groß
bleibt, hat rund 90000 Kubikmeter Faschinen, 100000 laufende Meter
Würste aus Busch- und Pfahlwerk, 200000 Stackpfähle zur Befestigung und
4000 Kubikmeter Felsbelag erfordert, von der massenhaft verwendeten
Erde ganz zu schweigen. Zur Zeit haben auch die Arbeiten zum Schutze
der Insel Gröde ihren Anfang genommen, und man war im Frühjahr 1900
damit beschäftigt, an denjenigen Stellen Erde auszuheben, wo die
Steindossierung angelegt werden soll.

Über Hooge läuft das Kabel, das von Amrum, Pellworm und Nordstrand nach
dem Festland führt. Hooge ist auch die einzige der Halligeninseln, die
außer Kirche und Pfarrhaus noch ein eigenes Schulhaus besitzt. Die
Kirchen sind einfache Gebäude, ohne Turm, mit dem Giebel von Osten
nach Westen gerichtet, wie alle Gebäude auf den Halligen, daneben ein
kleines hölzernes Glockentürmchen. Im Inneren sind Gänge und Altarraum
mit Ziegelpflaster versehen, der übrige Raum ist mit Meeressand
bedeckt, Bänke, Kanzel und Altar sind bescheiden ohne viel Schmuck.
Dem Langenesser Gotteshaus fehlt das Glockentürmchen an der Seite; das
Zeichen zum Beginn des Gottesdienstes wird hier mit der Kirchenflagge
gegeben. Von besonderem Interesse sind auch die Friedhöfe mit manchen
alten Grabsteinen und bemerkenswerten Inschriften darauf. Den alten
Kirchhof von Nordstrandisch-Moor haben die Wellen zerstört, und aus dem
tiefen Schlamm schauen die Reste der Särge und die Skelette der Toten
hervor. Auf verschiedenen Halligen sind Schulen; wo das nicht der Fall
ist, da werden die schulpflichtigen Kinder in Pension gegeben.

[Illustration: Abb. 101. ¯Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm der Große“.¯

(Nach einer Photographie im Besitz des Norddeutschen Lloyd.)]

Die Postverbindung mit den Halligen erfolgt über Husum-Nordstrand,
von hier weiter durch einen Postschiffer zwei- bis dreimal in der
Woche. Bei starken Stürmen oder bei schwerem Eisgang erleidet dieselbe
natürlich allerlei Unterbrechungen von kürzerer oder längerer
Dauer. Dies war beispielsweise im Winter 1888 der Fall, wo man auf
Hooge und Gröde noch am 22. März den 91. Geburtstag des damals
schon seit 14 Tagen entschlafenen Kaisers Wilhelm ~I.~ feierte. Die
Telegraphenverbindung Hooges mit der Festlandküste war damals noch
nicht vorhanden.

[Illustration: Abb. 102. ¯Gesellschaftszimmer im Schnelldampfer „Kaiser
Wilhelm der Große“.¯

(Nach einer Photographie im Besitz des Norddeutschen Lloyd.)]



~IX.~

Eiderstedt.


[Sidenote: Die Landschaft Eiderstedt.]

Südlich von Husum, zwischen dem vom Heverstrom durchzogenen Teil
des Wattenmeeres im Norden und der Eidermündung in ihrer heutigen
Gestalt, sowie den Ditmarscher Gründen im Süden, westlich von der
Nordsee begrenzt, dehnt sich die erst in historischen Zeiten mit
dem Festland verbundene Landschaft Eiderstedt aus. Politisch bildet
dieselbe den 330,5 Quadratkilometer umfassenden, gleichnamigen
Landkreis, dessen Bewohnerzahl nach der Volkszählung vom 2. Dezember
1895 15788 Seelen betrug, was einer Volksdichte von etwa 49 Menschen
auf dem Quadratkilometer gleichkommt. Eiderstedts Boden besteht
größtenteils aus dem besten Marschlande, und der dortige Klei ist, um
mit Pontoppidan zu reden, „eine Mutter des wohlriechenden und großen,
kräftigen Wiesen-Klees: daher in Eiderstedt die vortrefflichsten
Meyereyen anzutreffen, und soll eine Kuh des Tages 16 ~à~ 18 Kannen der
allerbesten Milch ausgeben können; daher die Eiderstedtische Butter und
Käse in sehr großer Menge außerhalb Landes verführet wird“. Nach aus
dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts datierenden Zollabrechnungen
wurden jährlich an dritthalb Millionen Käse nach Hamburg, Bremen und
sogar nach Amsterdam versandt. Und was der Autor des ~Theatrum Daniae~
vor nunmehr 170 Jahren schrieb, hat auch noch heute volle Geltung. Es
geht die Rede, daß nach dem Garten Eden Eiderstedt der schönste Fleck
auf Gottes weiter Erde sei. Für den Eiderstedter Bauern mag diese
Auffassung sicherlich ihre Berechtigung haben. Behauptet doch ein
landesübliches Sprichwort, daß ein solcher Landmann von echtem Schrot
und Korn weiter nicht viel mehr zu thun habe, als: Slopen, Äten, Supen,
Spazierengahn und -- ordentlich zu verdauen. Das letzte Reimwort im
Originaltext richtig wiederzugeben, verbietet mir hier der Anstand.

[Illustration: Abb. 103. ¯Rauchzimmer im Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm
der Große“.¯

(Nach einer Photographie im Besitz des Norddeutschen Lloyd.)]

[Sidenote: Der Boden Eiderstedts.]

Eigentliche Bodenerhebungen gibt es im Inneren Eiderstedts kaum.
Seine Küstenlinie umzieht der grüne Wall der Seedeiche, und
Binnendeiche trennen die zu verschiedenen Zeiten dem Meere abgetrotzten
Köge voneinander. Ebensowenig wird man von der Natur geschaffene
Vertiefungen hier finden und vergebens nach Flüssen, Bächen oder Seen
suchen. Aber Graben- und Wasserzüge durchqueren Eiderstedt allenthalben
und schaffen die viereckige Landeinteiluug der Fennen. Wenn der Bauer
über Land geht, so führt er den „Klüwerstock“, einen vier bis sechs
Ellen langen Springstock, mit sich, mit dessen Hilfe er über diese
Gräben hinwegsetzt. Frauen, Kinder und Landfremde müssen aber den
Fußsteigen folgen, die oftmals erst über lange Umwege zum Hause des
Nachbarn führen. Einen Gang durch Eiderstedt hat Professor Meiborg in
Kopenhagen in gar anziehender Weise mit folgenden Worten geschildert:
„Wir gehen landeinwärts. Der Kuckuck ruft, solange der Tag währt,
und die Lerche schlägt ihre Triller. Eine zahllose Menge von Pferden
und Rindern grast auf den Weiden; ausgedehnte Strecken sehen von der
Anzahl des Viehes aus, wie ungeheure Marktplätze. Bald fesseln das Auge
einzelne Tiere, bald ziehen es einzelne Gruppen an, die sich um die
Scheunenplätze gesammelt haben. Mehr in der Ferne sehen sie aus wie
bunte Flecke auf dem grünen Teppich, die, je weiter der Blick geht,
desto enger zusammenrücken. -- Sonst läßt sich die Landschaft mit einem
englischen Park von ungemessener Größe vergleichen: auf meilenweiter
Grasfläche, die wie ein einziger wundervoll herrlicher Rasen erscheint,
hingesäet liegen die Gehöfte, wie im Gehölze halb versteckt, hinter
Gruppen prächtiger Eschen, und der Kranz dieser Haine vereinigt sich am
Gesichtskreis wie in einen einzigen zusammenhängenden Wald.“

In der Nähe der Küste ist das Landschaftsbild zuweilen ein etwas
anderes, denn die jüngsten Köge sind teilweise noch von Sümpfen
eingenommen und stehen in Regenzeiten manchmal sogar unter Wasser.
In trockenen Sommern aber erscheinen sie dann auf weite Strecken hin
als nackte Lehmflächen, die von modernden Algen weiß und blaurot
gefärbt sind und dann in grellem Kontraste mit dem sonst so üppigen
Pflanzenwuchse stehen. Zahlreiche Schafherden weiden hier, und eine
Menge von Möven (Abb. 39), Kiebitzen, Regenpfeifern und anderen
Strandvögeln halten sich hier auf.

[Sidenote: Viehzucht und Ackerbau in Eiderstedt.]

Große Strecken Landes haben seit undenklichen Zeiten nur als
Weideplätze gedient, und da dem Landmann, welcher nur Viehzucht treibt,
ein viel leichteres und angenehmeres Leben blüht, als dem Ackerbauern,
so hat das weiter oben angeführte Verslein natürlich in erster Linie
auf jenen Bezug. Soll doch das fette Eiderstedter Gras sogar dem Hafer
an Mastwert gleichkommen. Jährlich werden hier etwa 3000 bis 4000 Stück
Fettvieh und eine bedeutende Zahl von Schafen hervorgebracht, welche
meistenteils nach Husum auf den Markt wandern. Bei der Zählung am 10.
Januar 1883 betrug der gesamte Viehstand des Kreises 2522 Pferde, 13304
Rinder, 24453 Stück Schafe und 1322 Schweine.

In vergangenen Zeiten hatte Eiderstedts Viehzucht nicht wenig unter
Ueberflutungen zu leiden gehabt, so daß das Vieh unter unaufhörlichem
Gebrüll ruhelos auf den Fennen herumwaten mußte und kein trockenes
Plätzchen zum Hinliegen finden konnte. Seitdem aber das Sielwesen
im Lande so verbessert wurde, ist das anders geworden. Auch die
Rinderpesten haben zuweilen viel Schaden gebracht, so besonders
im Jahre 1745, wo wiederholt binnen wenigen Wochen fast der ganze
Viehstand fiel.

Nicht minder lohnend als die Viehzucht ist aber auch der Ackerbau im
Lande Eiderstedt, wenn auch sehr viel mühsamer und beschwerlicher.
Denn in trockenem Zustande ist der schwere Kleiboden so hart, daß der
Pflug kaum hindurchkommen kann, und bei Regenwetter wiederum wird die
Erde so weich, daß es den Pferden nur bei allergrößter Anstrengung
möglich ist, sich hindurchzuarbeiten. Bisweilen müssen ihrer sechs am
Pfluge ziehen, und dann müssen die Schollen doch noch hier und da mit
Schlägeln zertrümmert werden. Dafür steht aber in guten Jahren das
Korn so dicht und stark, daß es mit der Sichel geschnitten werden muß,
und der Hafer 30-, die Gerste 44fältig trägt; vom Raps geben 20 Kannen
Aussaat 150–200 Tonnen Ertrag. „Wer,“ so schreibt Meiborg weiter, „von
den angrenzenden Harden des mittleren Schleswigs, die den magersten
Sandboden haben, herüberkommt nach Eiderstedt, dem erscheint es, als
komme er in ein ganz anderes Land, und er versteht wohl die Äußerung
des alten eiderstedtischen Bauern, der zu seinem wanderlustigen Sohne
sagte: ‚Hier ist die Marsch; die ganze übrige Welt ist nur Geest; was
willst du doch in der Wüste?‘“

Der wohlhabende Eiderstedter Bauer ist eine stattliche Erscheinung und
soll noch heutzutage, wie vorzeiten seine Ahnen etwas phlegmatisch
angelegt sein und mit einer gewissen Geringschätzung auf Leute anderen
Berufes und anderer Herkunft herabschauen.

Große, hochgiebelige Häuser, sogenannte Hauberge, sind die
Wohnstätten des Eiderstedter Landmannes. Im Verlaufe des siebzehnten
und des achtzehnten Jahrhunderts kamen sie in Eiderstedt immer
mehr auf und verdrängten nach und nach den bisher im Lande üblich
gewesenen Haustypus, den man im übrigen schleswigischen Frieslande
noch allgemeiner findet, und der in der Gegenwart im Eiderstedtischen
bis auf ganz wenige vereinzelte Überreste vollständig verschwunden
zu sein scheint. Ein berühmtes Beispiel eines Haubergs steht an der
Nordküste, nahe bei Husum; es ist der sogenannte „rote Hauberg“,
einer der ältesten im Lande und wohl schon in der ersten Hälfte des
siebzehnten Jahrhunderts errichtet. Es unterscheidet sich derselbe
übrigens in manchen Einzelheiten von seinen Genossen, so durch seine
zwei Hauptthüren, seine beiden Dachgiebel, durch die eigentümlichen
Verzierungen seiner Thüreinfassungen und noch durch anderes mehr. Im
Volksmunde heißt er auch der Hauberg mit den 100 Fenstern, und die Sage
nennt den leibhaftigen Satan als seinen Baumeister.

[Illustration: Abb. 104. ¯Bremen.¯ (Nach einer Photographie von Louis
Koch in Bremen.)]

Denselben Anstrich von prunkendem Reichtum, den das eiderstedtische
Haus in seinen äußeren Teilen zeigt, besitzt es meist auch in seinen
inneren Räumen. Der Fremde, der dort willkommen geheißen wird, kann
sich des Gefühles nicht erwehren, als ob er bei einem Landedelmann zu
Gaste wäre.

Über die Sitten und Gebräuche der Eiderstedter in dahingeschwundenen
Tagen ließe sich recht viel Interessantes berichten. Leider aber
mangelt uns der nötige Platz hierfür. Immerhin mag hier noch die
Blutrache Erwähnung finden, die noch lange Zeit nach der Einführung
des jütischen Gesetzbuches Waldemars des Siegers in den Marschlanden
vorgeherrscht hat. Ein vor nicht gar langer Zeit im roten Hauberg
entdecktes Gefängnis, ein unterirdisches Verließ mit Pfahl, Ketten
und Halseisen erinnert an diese schreckliche Sitte. Rings auf den
Bauernhöfen gab es ähnliche Kerker, in denen man Angehörige des
Getöteten, die man am Leben lassen wollte, in Ketten gefangen hielt,
bis die Mannbuße für sie gezahlt war.

[Sidenote: Tönning.]

Verhältnismäßig gute Landstraßen und die Bahnlinie
Husum-Tönning-Garding sind die Adern des Verkehrs in Eiderstedt. Große
Städte hat es nicht; die größte, Tönning, zugleich Sitz des Landrats,
hat etwa 3300 Einwohner. Sie liegt an der Eider, nur wenige Meilen von
deren Mündung entfernt, und hat einen 1613 von Herzog Johann Adolph
mit großem Kostenaufwand angelegten, früher recht bedeutenden Hafen,
der an 100 Schiffe mittlerer Größe, deren Tiefgang nicht mehr als elf
Fuß betrug, fassen konnte. In der Gegenwart kommt derselbe nicht mehr
in Betracht, und von dem lebhaften Handel, den sie ehemals betrieb,
ist in der recht still gewordenen Stadt wenig mehr zu merken. Am 1.
Januar 1891 war ihr Schiffsbestand sechs Segler und acht Dampfschiffe
groß, mit insgesamt 5081 Registertons Rauminhalt (Abb. 12). Besondere
Berühmtheit in der Kriegsgeschichte Schleswig-Holsteins hat Tönning
durch das Bombardement im April 1700 erlangt -- die Dänen unter dem
Herzog von Württemberg warfen damals 11000 Bomben und 20000 Kugeln in
die Stadt -- und durch die unter ihren Mauern am 16. Mai 1713 erfolgte
Kapitulation des schwedischen Generals Steenbock nach seinem bekannten
Übergang über die vereiste Eider.

Am Endpunkte der Bahn steht Garding, eine kleine, kaum 1700 Einwohner
zählende Stadt, die Heimat des Historikers Theodor Mommsen. Von hier
aus gelangt man auf guten Wegen nach Tating, dessen Umgebung von der
Sturmflut im Jahre 1825 hart mitgenommen wurde, und wenn man noch
weiter westwärts zieht, zu dem durch den langen Dünenwall der Hitzbank
geschützten Kirchdorfe St. Peter. Hier hat sich im Verlaufe der
jüngsten Jahre ein kleiner Nordseebadeort entwickelt, der zweifelsohne
einer günstigen Zukunft entgegensieht. Beinahe ganz in Eiderstedts
Nordwestecke treffen wir auf das Kirchspiel Westerhever, einen Teil der
in den Fluten vergangenen Insel Utholm. Die älteste Kirche des Dorfes
soll um 1362 von den Wellen der See weggespült worden sein.



~X.~

Die schleswig-holsteinische Westküste von der Eider bis Hamburg-Altona.


Die lange Küstenstrecke von der Eider bis Hamburg wird durch eine
Anzahl von Eisenbahnlinien durchzogen, die meist in den letzten
Jahrzehnten entstanden sind und viel dazu beigetragen haben, diese
bis dahin ziemlich abgelegenen Lande dem Reiseverkehr zu erschließen.
Die Hauptlinie, die Marsch- oder Westbahn, zweigt in Elmshorn von
der Bahnlinie Altona-Vamdrup, der verkehrsreichsten Ader in den
Herzogtümern ab. Über Glückstadt, Itzehoe, Meldorf, Heide und
Friedrichstadt erreicht sie Husum, Tondern und geht jenseits der Grenze
in die Bahn nach Ripen über. Von Husum bis nach Jütland hinauf ist uns
die Strecke ja schon bekannt geworden. An die Marschbahn schließen
sich nun mehrere Zweiglinien an, so in Husum diejenige nach Eiderstedt
(Garding über Tönning), die uns ebenfalls schon bekannt ist, und die
die Marschbahn mit der Hauptlinie bei Jübek verbindende Strecke. Bei
Heide mündet ein weiterer Verbindungsstrang mit dieser letzteren,
der bis Neumünster läuft und bei Grünenthal den Kaiser Wilhelm-Kanal
vermittelst einer schönen Hochbrücke überquert, von der im folgenden
noch einiges gesagt werden soll. Nach Westen zu setzt sich diese Linie
über Wesselburen bis nach Büsum fort. In St. Michaelisdonn steigen
die Reisenden für Marne und den Friedrichskoog um, eine andere nur
kurze Zweigbahn verbindet die Hafenanlagen des ebenerwähnten Kanals
an den Brunsbütteler Schleusen mit der Station St. Margareten, und
von Itzehoe aus ist die Hauptlinie ebenfalls wieder über die Strecke
Lockstedt-Kellinghusen-Wrist zu erreichen. Endlich besteht eine von
Altona bis nach Wedel reichende Bahnlinie über die Ortschaften am
rechten Elbufer.

[Illustration: Abb. 105. ¯Bremer Freihafen.¯ (Nach einer Photographie
von Louis Koch in Bremen.)]

[Illustration: Abb. 106. ¯Weserbrücke in Bremen.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

[Sidenote: Die Marschen südlich der Eider.]

Der nördliche Teil unseres Gebietes gehört noch zum Kreis Schleswig,
der hier weit nach Westen übergreift, dann folgen Norderditmarschen,
Süderditmarschen, Steinburg und Pinneberg. An der Zusammensetzung
des Bodens nehmen sowohl Geest, als auch Marsch teil, in dem von uns
zu besprechenden Küstenareal in vorwiegender Weise die letztere,
die aus einer größeren Menge der fruchtbarsten Köge besteht, so der
Sophienkoog, der Kronprinzenkoog, der Friedrichskoog (so genannt nach
König Friedrich ~VII.~ von Dänemark) auf der früheren, jetzt zur
Halbinsel gewordenen Insel Dieksand, der Kaiser Wilhelm-Koog, u. s. f.
Daran schließen sich südlich die holsteinischen Elbmarschen, und zwar
im Kreise Steinburg die im zwölften Jahrhundert von Holländern und
Flamländern eingedeichten Wilstermarsch und die Krempermarsch, und dann
noch weiter nach Süden die Haseldorfer Marschen.

[Sidenote: Friedrichstadt. Lunden. Heide.]

An der Mündung der Treene in den Eiderstrom liegt Friedrichstadt,
mit 2350 Einwohnern, 1621 nach holländischer Art im Viereck mit
regelmäßigen und gerade verlaufenden Straßen von Herzog Friedrich
~III.~ von Gottorp gebaut. Die Hoffnungen ihres Begründers, daß sie
einmal einer der ersten Handelsplätze in seinen Landen werden sollte,
hat die Stadt im Laufe der Zeit unerfüllt gelassen. Ihre ursprünglichen
Bewohner waren holländische Remonstranten, sogenannte Arminianer, die
ihr Vaterland aus Glaubensgründen verließen, und in der Gegenwart
noch gibt es hier eine remonstrantisch-reformierte Gemeinde neben der
lutherischen. In den verflossenen Jahrzehnten hat Friedrichstadt einen
nicht unbedeutenden industriellen Aufschwung zu verzeichnen gehabt
(Knochenmehl-, Kunstdünger-, Seifenfabriken), in der Kriegsgeschichte
der Herzogtümer ist es durch den Kampf, der am 4. Oktober 1850
zwischen den Dänen und den Schleswig-Holsteinern unter seinen Mauern
ausgefochten wurde (der Friedrichstädter Sturm), bekannt.

Hier führt eine lange Brücke über die Eider (Ägidora, Ögysdyr, das
heißt Meeresthor, Thor des Meergottes Ägir), die wir bereits von
Tönning her kennen. Schon auf holsteinischem Boden liegt das alte
Lunden, ein Flecken in Norderditmarschen, mit 4000 Seelen, in sandiger
Gegend, am Rande der Marsch. In den vergangenen Tagen des freien
Ditmarschens war es einmal ein reicher und wichtiger Punkt für Handel
und Verkehr, nunmehr ist es ein stiller Ort. Joachim Rachel, der
bekannte Satirendichter, hat im Jahre 1618 das Licht der Welt hier
erblickt. Nicht weit davon ist das alte Kirchdorf Weddingstedt mit
seiner dem heiligen Andreas geweihten Kirche, welche nächst derjenigen
Meldorfs die älteste Ditmarschens ist. Heide, mit 7500 Einwohnern ist
die Hauptstadt Norderditmarschens und war nach Meldorf die zweite der
ehemaligen Bauernrepublik, in deren Gebiet wir uns befinden. Riesig,
27000 Quadratmeter groß, ist der Marktplatz von Heide, auf dem seit
1434 die Landesversammlungen gehalten wurden. Auch heute herrscht
noch rühriges Leben in der Stadt, welche sich rühmen darf, des Landes
Schleswig-Holsteins größten Lyriker, den erst 1899 zu Kiel verstorbenen
Dichter Klaus Groth, hervorgebracht zu haben.

[Illustration: Abb. 107. ¯Rathaus in Bremen.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

[Sidenote: Wesselburen. Büsum.]

Westlich von Heide erhebt sich auf großen Werften das alte Wesselburen
mit etwa 6500 Einwohnern, ein seines bedeutenden Kornhandels wegen
wichtiger Ort. In der Geschichte der deutschen Litteratur steht
Wesselburens Namen vorne an. Dort wurde am 18. März 1813 der Mann
geboren

  Von düstrer Größ’ umwoben,
  Der uns den Nibelungenhort
  Zum zweitenmal gehoben.
  Der von der Tischlertochter Lied
  Das grause Lied gesungen!
  Ditmarschens Trotz und Mächtigkeit
  Hat keinen so durchdrungen.

                          (Bartels.)

Ein einfaches Denkmal mit der Büste des Geistestitanen erinnert an
Friedrich Hebbel. Das Haus seiner Eltern steht nicht mehr, wohl aber
noch die ehemalige Kirchspielvogtei, in deren dumpfer Schreiberstube
der Dichter geduldet und gelitten hat, bis er, einem jungen
freigelassenen Adler gleich, seinen Flug anheben konnte in die weite
Welt, die er mit seinem Ruhm erfüllen sollte. Draußen an der See liegt
Büsum, der alte Rest eines großen Kirchspiels, das in vergangenen
Jahrhunderten südwestlich sich ausgedehnt hat, aber größtenteils von
den Fluten verschlungen worden ist.

Später setzte sich dafür wieder an einer anderen Stelle Land an, und
mit der Zeit wurde Büsum mit dem festen Lande verbunden. Auf der
ehemaligen, in der Gegenwart ebenfalls landfest gewordenen Insel Horst
befindet sich ein vielbesuchtes Seebad. Es wird an der dortigen Küste
der Krabbenfang in großem Maße betrieben, von Büsum allein zur Zeit
durch nicht weniger als 36 Fahrzeuge, denen sich im Sommer noch ein
dazu erbautes Dampfschiff zugesellen wird. Büsum ist die Heimat des
bekannten Chronisten aus dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts,
Neocorus.

[Illustration: Abb. 108. ¯Saal im Bremer Rathaus.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

[Sidenote: Hemmingstedt.]

Im Süden von Heide gelangen wir bei Hemmingstedt auf das bekannte
Schlachtfeld vom Jahre 1500, auf welchem sich seit wenigen Monaten
ein Erinnerungsdenkmal an den großen Sieg der Ditmarscher erhebt.
Vor vierzig Jahren wurde hier auch Erdöl gewonnen, das im Jahre 1856
bei Anlaß einer Brunnenbohrung in den daselbst ziemlich nahe an die
Erdoberfläche tretenden Kreideschichten zufällig entdeckt worden war.
Das mit der Ausbeutung dieses Vorkommens beschäftigte Unternehmen
stand längere Zeit hindurch in Blüte und das Erdöl von Heide erhielt
sogar auf der Weltausstellung zu London im Jahre 1862 eine ehrenvolle
Auszeichnung. Der Betrieb konnte wegen der immer mehr zunehmenden
Konkurrenz des billigeren amerikanischen Petroleums später nicht
mehr aufrecht erhalten werden, und auch ein weiterer, im Jahre 1880
unternommener Versuch der Erdölgewinnung mußte leider scheitern.

[Illustration: Abb. 109. ¯Partie aus dem Bremer Ratskeller.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

[Illustration: Abb. 110. ¯Partie aus dem Bremer Ratskeller.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

[Sidenote: Meldorf.]

Meldorf ist das vormalige Melinthorp oder auch Milethorp. Noch bis
in das sechzehnte Jahrhundert hinein besaß die Stadt einen Hafen, der
aber nunmehr an eine halbe Meile von ihrem Weichbild entfernt ist. Das
sehr gemütliche Städtchen zählt zur Zeit etwa 4000 Einwohner und ist
auf der Geest, dicht am Marschrande erbaut (Abb. 40). Schon um 1259
hatte Meldorf Stadtrecht erhalten, sank aber nach der Eroberung von
Ditmarschen zum Flecken herab, um 1870 aufs neue zum Range einer Stadt
erhoben zu werden. Hier tagten in alten Zeiten die Landesversammlungen
der Bauernrepublik. Man rühmt der Kirche Meldorfs nach, nunmehr die
schönste in den schleswig-holsteinischen Landen zu sein, nachdem sie
in den jüngstverflossenen Jahrzehnten einer gründlichen Reparatur
unterworfen gewesen ist. Sie ist schon sehr alt, und der erste Bischof
von Bremen, Willehad, soll sie um 780 begründet haben. Dann befindet
sich in Meldorf noch der aus Lehe bei Lunden hierher gebrachte Pesel
des ersten ditmarschen Landvogts Markus Swyn, mit wundervollen
Schnitzereien und herrlichen Möbelstücken. Ferner ist auch die alte
berühmte, aus dem sechzehnten Jahrhundert stammende Gelehrtenschule zu
erwähnen, die sich heute noch des besten Rufes erfreut. Im Pastorate
Meldorfs wurde der Reformator Heinrich von Zütphen gefangen genommen,
um nach Heide gebracht und daselbst als Märtyrer verbrannt zu werden.
Heinrich Christoph Boje, der bekannte Hainbunddichter, ist in Meldorf
geboren, und der weitberühmte Reisende Karsten Niebuhr, der Vater des
Historikers, hat hier gelebt.

[Illustration: Abb. 111. ¯Bremer Börse.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

[Illustration: Abb. 112. ¯Der Dom in Bremen¯ (links das Rathaus, rechts
die Börse).

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

Südwestlich von Meldorf, mitten im fetten Marschlande, an der
Zweigbahn St. Michaelisdonn-Friedrichskoog liegt das große Kirchdorf,
resp. der Flecken Marne (2600 Einwohner), der bedeutenden Kornhandel
treibt, für welchen der Neudorfer Hafen an der Elbe, südlich von Marne,
von Bedeutung ist. Zwei große Männer des Landes sind hier zur Welt
gekommen, der Germanist Karl Müllenhoff in Marne selbst, und im ganz
nahebei belegenen Fahrstedt der Theologe Klaus Harms, weiland Propst in
Kiel und ein weithin bekannter Kanzelredner und Menschenfreund.

[Illustration: Abb. 113. ¯Das Essighaus in Bremen.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

[Sidenote: Kaiser Wilhelms-Kanal.]

Brunsbüttel mit Brunsbüttlerhafen war bis vor wenigen Jahren ein
kleiner für die Kornausfuhr wichtiger Hafenort an der Elbe, der mehr
als einmal in verflossenen Jahrhunderten durch die Wasserfluten zu
leiden gehabt hat. Im Jahre 1676 war der ganze Flecken mitsamt der
Kirche davon zu Grunde gerichtet worden. Durch die Einmündung des
Kaiser Wilhelm-Kanals in die Elbe nahe beim Orte hat Brunsbüttel
nunmehr erhöhte Bedeutung gewonnen. Gewaltige Schleusenanlagen
bezeichnen den Anfang dieser 98,65 Kilometer langen, durchschnittlich
etwa neun Meter tiefen Wasserstraße, die mit zwei großen weit in
die Elbe bis zur Fahrwassertiefe hinausgebauten Molen beginnt. Die
Schleusenhäupter selbst liegen 250 Meter hinter der Deichlinie
zurück, so daß dadurch ein geräumiger, nach innen trichterförmig
verlaufender Vorhafen geschaffen worden ist. Um den Wasserstand im
Kanal regulieren zu können und denselben von den Einflüssen der durch
Ebbe und Flut hervorgerufenen Schwankungen des Wasserstandes der
Elbe unabhängig zu machen -- bei Brunsbüttel beträgt der Unterschied
zwischen mittlerem Niedrig- und mittlerem Hochwasser 2,8 Meter --,
sind große Schleusen mit zwei nebeneinander liegenden Schleusenkammern
von 150 Meter nutzbarer Länge und 25 Meter Breite erbaut, deren
eiserne Thore durch hydraulische Maschinen bewegt werden. Da, wo bei
Grünenthal die westholsteinische Bahn Neumünster-Heide die Kanallinie
überquert, spannt sich eine großartige eiserne Bogenbrücke von 156,5
Meter Stützweite, deren Unterkante 42 Meter hoch über dem mittleren
Kanalwasserspiegel liegt, über diese ebengenannte Wasserstraße,
mit ihrer Schwester bei Levensau, welche zur Überführung der Bahn
Kiel-Eckernförde-Flensburg über den Kanal dient, wahre Wunder der
Brückenbaukunst. Neben der eminenten strategischen Bedeutung des
Kanals besitzt derselbe eine kaum minder große für die Handelsflotte.
Der Verkehr der Handelsschiffe auf demselben nimmt seit den fünf
Jahren seiner Eröffnung ständig zu und diese Wasserstraße trägt
ungemein viel zur Förderung des sich mehr und mehr entwickelnden
Schleppschiffverkehrs aus der Nord- in die Ostsee und umgekehrt bei
(Abb. 41–45).

[Illustration: Abb. 114. ¯Der Markt in Bremen.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

[Sidenote: Die Wilstermarsch.]

Etwas südöstlich von Brunsbüttel liegt St. Margareten. Von hier aus
wird in einer knappen halben Stunde das Dorf Büttel mit der bekannten
Elblotsenstation der „Bösch“ erreicht. Besteigen wir in St. Margareten
wieder den Bahnzug, so erscheint bald nach Eddelak und dem flachen
Kudensee die kleine in der Anlage und Bauart ihrer Häuser an Holland
gemahnende Stadt Wilster (ca. 2750 Einwohner) in der Wilstermarsch.
Charakteristisch für diese Landschaften sind die zahlreichen
Windmühlen, welche angelegt wurden, um das von der Geest zur Marsch
herniederströmende Wasser mittels Schnecken aus den Laufgräben in
die Abzugskanäle zu heben. Der größte Teil der Wilstermarsch liegt
nämlich auf Moorgrund, und durch die fortschreitende Entwässerung und
Trockenlegung dieses letzteren senkte sich allmählich der darüber
liegende Marschboden, und zwar so tief, daß derselbe jetzt unter dem
Wasserspiegel der Elbe liegt. In den Häusern der Wilstermarsch läßt
sich holländischer Einfluß nachweisen; dieselben nehmen insbesondere
noch unser Interesse dadurch in Anspruch, als der Rokokostil Eingang
darin gefunden hat, ohne jedoch die bäuerliche Behaglichkeit zu
beeinträchtigen. Die übrigen Elbmarschen Schleswig-Holsteins weisen
echte Sachsenhäuser auf, sogar die schönsten und reichsten in den
Marschlanden überhaupt.

[Sidenote: Itzehoe. Breitenburg.]

Wir werfen noch einen kurzen Blick auf das kleine in blauer Ferne auf
hohem Geestrande thronende Burg und eilen dann weiter nach Itzehoe
(Abb. 46). Ein buntes und bewegtes Bild heiteren Wallensteinischen
Lagerlebens wird sich bei Nennung dieses Namens vor dem geistigen Auge
unserer Leser aufrollen.

  Ihr kennt ihn alle aus dem „Wallenstein“,
  Den langen Peter aus Itzehö.
  Zwar würd’ er schwerlich unser Landsmann sein,
  Wenn nicht der schöne Reim wär’ auf „Mußjö“.

                                      (Bartels.)

[Illustration: Abb. 115. ¯Bremer Typen.¯]

[Illustration: Abb. 116. ¯Das Museum für Natur-, Völker- und
Handelskunde in Bremen.¯

(Nach einer Photographie von Louis Koch in Bremen.)]

Und dem langen Peter mag es Itzehoe wohl zu verdanken haben, wenn es
in den Landen deutscher Zunge die bestbekannte Stadt an der Westseite
Schleswig-Holsteins ist. In anmutiger Lage am schiffbaren Störfluß
erbaut, zählt das gewerbe- und industriereiche Itzehoe (Cement- und
Zuckerfabriken etc.), in der Gegenwart etwa 12500 Seelen. In früherer
Zeit nahm die Stadt als der Versammlungsort der holsteinischen Stände
eine besonders wichtige Stellung ein, doch hat sie dadurch, daß
dies nunmehr aufgehört hat, nicht verloren, sondern ist in stetigem
Aufblühen begriffen. Durch das Villenviertel hindurch führt ein schöner
Spazierweg an Amönenhöhe vorbei, längs der windungsreichen Stör nach
dem Schlosse Breitenburg, das von Johann von Rantzau, dem Statthalter
der Herzogtümer und dem Besieger der Ditmarschen in der letzten Fehde
(1559), erbaut worden ist. Hier hat sich in den Septembertagen 1627
eine Episode abgespielt, die wohl wert ist, in einigen Worten an dieser
Stelle erwähnt zu werden. Damals war Breitenburg eine von starken
Mauern umgebene, durch Türme und Bastionen geschützte und vom Störfluß
umspülte Feste, in welcher der in dänischen Kriegsdiensten befindliche
schottische Major Dumbarre mit vier Compagnien Schotten und einigem
deutschen Fußvolk lag, im ganzen wohl nicht viel mehr als 600 Mann.
Außerdem hatten aber die Landleute der Umgebung ihre Familien und
ihren wertvolleren Besitz nach Breitenburg geflüchtet. Vor der Feste
erschien nun Wallenstein mit seinen Scharen und versuchte bereits am
17. September den ersten Sturmlauf auf Breitenburg, der abgeschlagen
wurde. Alsdann begann eine regelmäßige vom Friedländer selbst geleitete
Belagerung, die elf Tage später zur Übergabe Breitenburgs führte,
nachdem inzwischen Dumbarre getötet worden war. Alle noch am Leben
befindlichen Verteidiger des Schlosses wurden von den erbarmungslosen
Feinden niedergemacht, nur wenige Frauen und Kinder blieben verschont.
Die ergrimmten Sieger sollen der Leiche Dumbarres das Herz aus dem Leib
gerissen und in den Mund gesteckt haben. Damals wurde auch Breitenburgs
Stolz, die berühmte Bibliothek des Humanisten Heinrich Rantzau,
des Sohnes des Erbauers von Breitenburg, verschleppt und teilweise
vernichtet. Wallenstein hatte dieselbe dem Beichtvater Ferdinands
~II.~, dem Pater Lamormain, zum Geschenk gemacht und nach Leitmeritz
schaffen lassen.

Vom alten Breitenburg steht noch die Schloßkapelle, als
Sehenswürdigkeit das einzige Stück des alten Schlosses, sonst erinnert
nichts mehr, auch in der ganzen friedlichen Umgebung nicht, an die
Greuel des Septembers 1627, mit Ausnahme eines ehrwürdigen Eichbaumes,
der Wallensteineiche.

Etwas südöstlich von Itzehoe, bei Lägerdorf, tritt die senone Kreide
zu Tage und wird daselbst in großartigem Maßstabe ausgebeutet, um
teils dort, teils in Itzehoe unter Zusatz von tertiärem Thon, der
bei dieser letzteren Stadt und in deren Umgebung gefunden wird, zu
Cement verarbeitet zu werden. Nordöstlich von Itzehoe befindet sich
das Lockstedter Lager, ein riesiger Truppenübungs- und Schießplatz,
auf welchem sich das ganze Frühjahr und den Sommer hindurch reges
militärisches Leben entfaltet. Lockstedt ist eine der Zwischenstationen
auf der Bahnlinie Itzehoe-Wrist, die auch das kleine freundliche
Städtchen Kellinghusen berührt.

[Sidenote: Krempe. Glückstadt. Elmshorn. Ütersen.]

Mitten im kornreichen Marschgebiete gleichen Namens liegt Holsteins
kleinste Stadt, das alte Krempe. Die Gründung Glückstadts hat ihm viel
Schaden gethan, denn bis dahin war es der Stapelplatz der Landschaft
für den Kornhandel gewesen und soll auch keine geringe Schiffahrt
besessen haben, bevor die Kremper Aue verschlammte. Als Festung
genoß Krempe eines bedeutenden Rufes und ist durch die lange und
schwere Belagerung von seiten der Kaiserlichen, die es im Jahre 1627
durchzumachen hatte, in der Geschichte des dreißigjährigen Krieges
bekannt geworden. Später sank Krempe zum Range einer kleinen, nicht
vermögenden Landstadt herab, und der Spruch: „Ein Herr von Glückstadt,
ein Bürger von Itzehoe, ein Mann von Wilster und ein Kerl von Krempe“
war für die Vergangenheit charakteristisch.

Auch Glückstadt ist vormals eine starke Festung gewesen. Von dem
Dänenkönig Christian ~IV.~ in der Absicht gegründet, dem Handel des
emporblühenden Hamburgs erfolgreich die Spitze zu bieten, und zu diesem
Zwecke mit weitgehenden Privilegien ausgestattet, hat es mit der Zeit
die Hoffnungen seines Erbauers aber nicht zu erfüllen vermocht. Doch
ist es in der Gegenwart eine aufstrebende Landstadt mit gutem Hafen,
dessen Verkehr durch die in den jüngsten Jahren hier aufgekommene
Heringsfischerei sicherlich gehoben werden wird. Die etwa von 6000
Menschen bewohnte Stadt hat ein Gymnasium, und die Korrektionsanstalt
der Provinz befindet sich in ihren Mauern.

Lebhaften Handel und Industrie besitzt das an 10000 Einwohner zählende
Elmshorn an der Krückau, am Rande von Geest und Marsch (Abb. 47).
Nahebei, zwischen Elmshorn und dem kleinen Tornesch hat der preußische
Fiskus vor 25 Jahren auf Steinkohlen gebohrt, aber vergeblich. Das
Bohrloch an der Lieth hatte mehrere Jahre über die Ehre, das tiefste
der Erde (1330 Meter) zu sein, bis dasselbe von demjenigen zu
Schladebach überflügelt worden ist.

Ütersen an der schiffbaren Pinnau, am Rande der Haseldorfer
Marsch belegen, ist ein nicht unbedeutender Industrieort von über
5300 Einwohnern, hat seit 1870 Stadtrecht und steht vermittelst
einer Pferdebahn mit der eben erwähnten Station Tornesch der
schleswig-holsteinischen Hauptbahnlinie in Verbindung. Das ehemalige,
dem Cistercienserorden angehörige Nonnenkloster ist in der Gegenwart
ein Stift für die Töchter der Ritterschaft des Landes geworden. Im
Jahre 1412 soll eine Sturmflut Ütersen so sehr mitgenommen haben, daß
die Klosterjungfrauen bettelnd ihre Nahrung in der Umgegend suchen
mußten.

Pinneberg an der schon erwähnten, bis dahin schiffbaren Pinnau (3800
Einwohner) war lange Zeit hindurch der Sitz einer eigenen Linie der
Schauenburger Grafen. Es ist mit seinen herrlichen Buchenwaldungen
ein beliebter Ausflugsort der Hamburger Bevölkerung. In historischer
Beziehung ist es bekannt durch die Belagerung durch Tilly im Jahre
1627, der hier verwundet wurde, und dann hat es den Ruhm, den bekannten
schleswig-holsteinischen Geologen ~Dr.~ Ludwig Meyn hervorgebracht zu
haben. Das Gebiet zwischen Pinnau und Krückau pflegt man auch nach dem
alten Kirchdorfe Seestermühe die Seestermüher Marsch zu nennen, an die
sich dann südlich die eigentliche Haseldorfer Marsch anschließt. Auf
den geräumigen Vorlanden der letzteren, zwischen dem Deich und dem
Elbstrom gedeiht die Korbweide in großer Zahl und wird als Material für
Tonnen- und Faßbänder benützt. Dessen Zurichtung, das „Bandreißen“,
gewährt zahlreichen Bewohnern der dortigen Gegenden lohnenden Erwerb.
Auch das Rohrschilf (~Phragmites communis~) wird dort gezogen und
verwertet.

[Illustration: Abb. 117. ¯Geestemünde.¯]

Am schönen Haseldorfer Schloß, einem alten prächtigen Herrensitze
vorbei gelangen wir nach dem etwa 2000 Einwohner zählenden Städtchen
Wedel an der Wedelau, der zweitkleinsten Stadt Holsteins. Hier war in
alten Zeiten eine bedeutende Fähre über die Elbe, und Wedels große
Ochsenmärkte hatten eine ganz außerordentliche Bedeutung. Auf dem
Marktplatz steht eine alte Rolandssäule, um deren Restaurierung sich
der Stifter des Elbschwanenordens Johann Rist, der als Prediger zu
Wedel geamtet hat, Verdienste erwarb. Eine eigene Bahnlinie verbindet
Wedel über das an hohem Geestrücken malerisch an den Ufern der Elbe
gelegenen Blankenese mit den Städten Hamburg-Altona, die wir im
folgenden kennen lernen wollen.



~XI.~

Hamburg-Altona.


[Sidenote: Hamburg.]

Das Areal des Freistaates Hamburg mit der dazu gehörigen, 256 Hektare
großen Elbfläche, beträgt 414,97 Quadratkilometer und wird von
insgesamt 681632 Seelen bewohnt (Volkszählung vom 2. Dezember 1895.
Die Einwohnerzahl Hamburgs am 1. Dezember 1890 betrug dagegen 622530
Menschen). Danach kommen auf ein Quadratkilometer Landfläche 1642,61
Einwohner.

An den Mündungen der Alster und der Bille in den Elbstrom ist die Stadt
Hamburg erbaut. Die erstere, deren beide seenartigen Erweiterungen,
die Große oder Außenalster und die Kleine oder Binnenalster, dem
Städtebild Hamburgs besondere Reize verleiht, kommt aus der Gegend von
Poppenbüttel in Holstein und trägt durch ihre starke Strömung nicht
wenig zum Schutze des Hamburger Hafens vor Versandung bei, während
die Bille, im Amte Steinhorst entspringend, bis nahe an ihre Mündung
die Südostgrenze des eben genannten Herzogtums bildet, um im letzten
Teil ihres Laufes auf Hamburger Gebiet überzutreten. Die Elbe selbst
durchschneidet mit zahlreichen Armen das Marschgebiet der Stadt.

Die älteste Anlage Hamburgs befand sich nämlich auf der schmalen
Geestzunge, welche die Elbe von der Alster trennt. Zwischen dem
ersteren Strom und der Stadt lag eine erst später eingedeichte
Marschfläche, welche im Verlaufe der Zeiten dann bebaut wurde, deren
tiefer belegenen Teile aber bis in die letzten Jahre hinein bei den
Sturmfluten und bei starkem Hochwasser der Überschwemmung ausgesetzt
waren. Nicht mit Unrecht ist darum von einem sachkundigen Manne
behauptet worden, daß nicht die Nähe einer zum Weltmeer führenden
großen Wasserstraße die Gründung der Stadt Hamburg bedingt habe,
sondern daß der günstigen Baugrund darbietende Geestrücken, der hier
erleichterte Elbübergang und das große Wasserbecken der Alster (Abb. 48
u. 49) wohl die hauptsächlichsten Ursachen dafür gewesen seien.

[Illustration: Abb. 118. ¯Bremerhaven, vom Leuchtturm gesehen.¯]

Nordwärts von der Stadt breitet sich ein wellenförmiges, vom
Alsterthale durchschnittenes Gelände aus, die Geestlande, längs des
Elbstromes dagegen fette Marschlande. In treffender Weise hat man diese
Wasserstraße die Pulsader von Hamburgs Leben und Weben genannt. 135
Kilometer unterhalb der Stadt ergießt sich dieselbe in die Nordsee,
welche die regelmäßigen Tagesschwankungen ihres Wasserspiegels bis
nach Hamburg hinauf fortpflanzt. Von Hamburg abwärts hat die Elbe eine
so bedeutende, nur hin und wieder durch Sandplatten unterbrochene
Tiefe, daß Segler oder Dampfer vom größten Tiefgange bis an die
Stadt herankommen können, und durch kostspielige Baggerarbeiten wird
die Fahrrinne des Stromes stets offen gehalten. An der Ostseite, am
Deichthor, tritt ein schmaler Elbarm in die Stadt ein und teilt sich
hier in mehrere Kanäle, die sogenannten Fleete, um sich weiter unten,
im Binnenhafen, wiederum mit dem Hauptstrom zu vereinigen. Diese
Fleete schlängeln sich auf der Hinterseite der Häuser durch die untere
Stadt, wo die großen Speicher und Magazine sich befinden, und werden
mit Booten befahren, welche die eingegangenen Waren, die Erzeugnisse
aller Zonen des Erdenrundes, aus dem Hafen holen und die zur Ausfuhr
bestimmten Produkte deutscher Arbeit nach dem Hafen zum Verladen
auf die Schiffe führen. Auch die Alster spaltet sich innerhalb des
Weichbildes Hamburgs in mehrere Fleete, die zur Zeit der niedrigsten
Ebbe allerdings halb trocken liegen, da das Wasser des erwähnten
Flusses zu ihrer Speisung nicht ausreicht, dagegen bei eintretender
Flut rasch von den aufsteigenden Fluten der Elbe gefüllt werden (Abb.
50 bis 58).

[Illustration: Abb. 119. ¯Das Schloß in Oldenburg.¯]

„Für den Verkehr auf der Elbe selbst,“ sagt Hahn, „ist Hamburg ein
weit wichtigerer Grenzort zwischen Fluß- und Seeschiffahrt, als Bremen
dies für die Weser ist. Die Elbe ist der Weser gegenüber fast in allen
Beziehungen im Vorteil. Die Weserschiffahrt reicht kaum bis in das
nördliche Hessen, die Elbe dagegen beherrscht mit ihren Nebenflüssen
noch einen ansehnlichen Teil von Sachsen und Böhmen. Sie steht mit Oder
und Weichsel durch die märkischen Kanallinien in Verbindung, während
die Weser nur auf sich selbst angewiesen ist. Ist auch die Elbe, wie
alle deutschen Flüsse, vom Ideal einer Wasserstraße ziemlich weit
entfernt, so fehlen ihr doch so auffällige Schiffahrtshindernisse, wie
sie an der Weser zwischen Minden und Karlshafen, namentlich bei Hameln
vorkommen.“

Während im Verlaufe der Zeit die Süderelbe immer mehr dem Schicksal
der Versandung anheimgefallen ist, nahm die Norderelbe zusehends an
Bedeutung zu. An ihren Ufern entstanden die ersten Hafenanlagen,
Kaimauern wurden gebaut, Pfahlreihen in das Flußbett geschlagen, und es
entwickelte sich hier der Hafen- und Liegeplatz der Schiffe. Bis zur
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts dauerte dieser Zustand an. Immerhin
war dadurch der ganze Hafenverkehr ein noch recht primitiver, zumal
besondere Lösch- und Ladevorrichtungen fehlten und die Waren aus den
Seeschiffen vermittelst der Schuten und Leichter nach den Lagerschuppen
übergeführt wurden. Als aber bei der stetig zunehmenden Entwickelung
der Seeschiffahrt diese Übelstände und besonders auch der Platzmangel
sich recht merklich fühlbar machten, ging man an das Errichten von
Dockhäfen und Kaianlagen mit genügender Wassertiefe, an denen die
großen Fahrzeuge direkt anlegen konnten und in die Lage versetzt
wurden, mit Hilfe mächtiger Kranen Löschen und Laden rasch und bequem
zu bewerkstelligen. Die langen Kaistrecken wurden mit Schienengeleisen
versehen und dadurch die Hafenbauten in direkte Verbindung mit den
inzwischen ebenfalls entstandenen Bahnhöfen und Eisenbahnlinien
gebracht.

Auch diese eben geschilderten Hafenanlagen genügten dem gewaltig
emporwachsenden Bedürfnis des Verkehrs nicht mehr, und der am 15.
Oktober 1888 vollzogene Zollanschluß Hamburgs mit Altona und Wandsbek
an das Reich bedingte vollends gänzlich veränderte Hafenverhältnisse in
diesem ersten Seehandelsplatz Deutschlands.

Die Folge dieser Umstände war eine gründliche Umwälzung der
Hafenbauten Hamburgs, und es entstand das Freihafengebiet, das von
1883–1888 mit einem Kostenaufwand von über 120 Millionen Mark, von
welchen das Reich 40 Millionen zu tragen hatte, geschaffen wurde.
Ein ganzer Stadtteil des alten Hamburgs ist niedergerissen worden,
um den neuen Hafenanlagen Platz zu machen, etwa 20000 Einwohner
mußten anderswo untergebracht und an 1000 Häuser expropriiert werden.
Durch dieses großartige Unternehmen wurde die Stadt mit ihrer ganzen
Bevölkerung und ihren sämtlichen Verkehrsanlagen in das Zollinland mit
eingeschlossen, ohne daß aber die freie Bewegung des Schiffsverkehrs
und des großen Warenhandels dadurch preisgegeben worden ist. Auch für
die Lagerung und gewerbliche Verarbeitung der dem Ausland entstammenden
Rohmaterialien wurde im Freibezirk genügender Raum vorgesehen, so daß
auch fernerhin die Exportindustrie ohne jede Zollkontrolle ermöglicht
ist. Der Zollkanal und schwimmende Schranken im Elbstrom grenzen das
Freihafengebiet gegen die Stadt hin ab; es erstreckt sich 5 Kilometer
in die Länge und 2 Kilometer in die Breite und umfaßt etwa 300 Hektar
Wasserfläche und 700 Hektar Land.

[Illustration: Abb. 120. ¯Rathaus in Oldenburg.¯]

Und schon wieder sind abermals große Erweiterungen der Hafenanlagen
Hamburgs ins Auge gefaßt worden, welche bereits die Genehmigung der
maßgebenden Behörden erlangt haben und wohl in den nächsten Jahren der
Verwirklichung entgegensehen werden. Das kann uns aber bei dem enormen
Aufschwung, den Hamburgs Handel während der jüngstverflossenen Jahre
genommen hat, nicht wundern. Einige Zahlen mögen das belegen:

Im Jahre 1897 sind -- nach den Aufzeichnungen des statistischen Büreaus
in Hamburg -- im dortigen Hafen eingelaufen:

 11173 Seeschiffe mit insgesamt 6708070 Registertonnen Rauminhalt.
 Davon waren 3336 Segler mit 672374 Registertonnen und 7837 Dampfer mit
 6035696 Registertonnen.

Aus dem Hamburger Hafen sind während derselben Zeit ausgelaufen:

 11293 Seeschiffe mit 6851987 Registertonnen, und zwar 3367 Segler mit
 698303 Registertonnen und 7926 Dampfer mit 6153684 Registertonnen.

Nach der vom Deutschen Reich herausgegebenen Statistik wies Hamburgs
Seeverkehr im Jahre 1898 insgesamt folgende Zahlen auf -- (die
angekommenen und abgegangenen Schiffe zusammengezählt, und davon die
Hälfte):

 11163 Schiffe mit 7273778 Registertonnen (netto).

In den zum Gebiet der freien Hansestadt Hamburg gehörigen Häfen waren
am 1. Januar 1897 beheimatet:

  Segler  430          mit 205842 Registertonn. br.
  Dampfer 388           "  764146       "        "
  --------------------------------
  Summa   818  Schiffe mit 969988 Registertonn. br.

Davon gehören dem Hamburger Hafen besonders:

  Segler  275         mit 200276 Registertonn. br.
  Dampfer 387          "  763923      "         "
  -------------------------------
  Summa   662 Schiffe mit 964199 Registertonn. br.

Im Jahre 1900 besitzt Hamburg 690 Schiffe mit 767168 Registertonnen
netto, davon 392 Dampfschiffe mit 542200 Registertonnen.

Hamburg hat die größte Seglerflotte Deutschlands, sowohl was die Zahl,
als auch was den Rauminhalt der Schiffe betrifft, und ebenso ist
seine Dampferflotte derjenigen der übrigen deutschen Seehäfen weit
voran, indem sie mehr als die Hälfte des gesamten Dampferraumgehalts
aller deutschen Küstenstaaten ihr eigen nennt. Im Jahre 1897
zählte Hamburg sieben Schiffe von mehr als 6000 Registertonnen zu
seinem Flottenbestand. Innerhalb der letzten 50 Jahre hat sich der
Schiffsbestand Hamburgs an Zahl der Schiffe fast auf das Dreifache und
an Raumgehalt der Schiffe fast auf das Fünfzehnfache vermehrt.

Einige wenige Angaben über die Größe der deutschen Kauffarteiflotte
überhaupt, mögen hier wohl am Platze sein. Dieselbe nimmt unter den
Handelsflotten der Erde jetzt den zweiten Platz ein und dürfte etwa
750 Millionen Mark Wert besitzen. Die Reichsstatistik vom 1. Januar
1897 ergibt an registrierten Fahrzeugen von mehr als 50 Kubikmeter
Bruttoraumgehalt:

 3678 Schiffe mit einem Gesamtraumgehalt von 2059948 Registertonnen
 brutto und 1487577 Registertonnen netto.

Davon waren:

 2552 Segler mit 632030 Registertonnen brutto und 1126 Dampfer mit
 1427918 Registertonnen brutto.

Der Löwenanteil dieser Flotte fällt, wie wir weiter oben schon gesehen
haben, Hamburg zu. Ein Vergleich dieses seines Schiffsbestandes mit
demjenigen der in dieser Beziehung drei nächstfolgenden deutschen
Seehäfen ist von großem Interesse:

  =====================================================================
  Hafen   Segel- Rauminhalt,  Dampf-  Rauminhalt, Schiffe   Rauminhalt,
         schiffe Reg.Tonnen,  schiffe Reg.Tonnen, insgesamt insgesamt
                      brutto               brutto           Reg.Tonnen,
                                                                 brutto
  =====================================================================
  Hamburg     275     200276      387      763983       662      964259
  Bremen      177     161845      170      334668       347      496513
  Bremerhaven  30      37036       48       34404        78       71440
  Flensburg     8       1432       61       57572        69       59004

[Illustration: Abb. 121. ¯Der Stau in Oldenburg.¯]

Im Jahre 1897 betrug das Gewicht der Gesamteinfuhr im Hamburger Hafen
122598236 Doppelcentner und dasjenige der Gesamtausfuhr 79451087
Doppelcentner. Die Gesamteinfuhr und -ausfuhr betrugen also 202043323
Doppelcentner.

1851 hatte sie 15279249 Doppelcentner betragen, sie hat sich demnach
seit dieser Zeit um das Dreizehnfache vermehrt.

Der Wert der Gesamteinfuhr im Hamburger Hafen war im Jahre 1897
= 3026582308 Mark, und zwar verteilte sich derselbe auf die
Hauptwarengruppen, wie folgt:

  Verzehrungsgegenstände           36,4%
  Bau- und Brennmaterial            2,0"
  Rohstoffe und Halbfabrikate      52,0"
  Manufakturwaren                   3,4"
  Kunst- und Industriegegenstände   6,2"
                                 -------
                                  100%

Der Wert der Gesamtausfuhr war = 2693445570 Mark, der Gesamtwert der
Ein- und Ausfuhr zusammen betrug 1897 im Hamburger Hafen also:

5720027878 Mark,

gegen 920166156 Mark im Jahre 1851, so daß sich derselbe seither also
versechsfacht hat.

[Illustration: Abb. 122. ¯Die Lambertikirche in Oldenburg.¯]

Wichtige Handelsartikel sind Kaffee, Zucker, Spiritus, Farbstoffe,
Wein, Eisen, Getreide, Butter, Häute, Galanteriewaren, letztere fünf
besonders in der Ausfuhr, und Kohlen (1897 Einfuhr von etwa 21,5
Millionen Doppelcentner von England und 9,7 Millionen Doppelcentner
deutsche Kohlen). Von den bedeutenderen Industriezweigen Hamburgs
selbst nennen wir Dampfzuckersiedereien, Wachsbleichen, Cigarren-
und Tabakfabriken, Chemikalien, Lederwaren, Maschinen, Stöcke,
Musikinstrumente, Schiffsbau (Blohm und Voß, Reiherstiegwerft) und
die dazu gehörigen Gegenstände wie Ankertaue, Seile, Segeltuch, Anker
u. s. f., Branntweinbrennereien, Eisengießereien, Maschinenfabriken,
Manufakturen für Kautschuk- und Guttaperchawaren, Seifen- und
Leimsiedereien, Konservenfabriken u. s. f.

Weltberühmt sind Hamburgs Reedereien, in erster Linie die über eine
Gesamttonnage von 541083 Registertonnen brutto verfügende im Jahre 1847
gegründete Hamburg-Amerikanische-Packetfahrt-Aktien-Gesellschaft, die
größte Reederei der Erde. Weitere Schiffe von 116300 Registertonnen
Rauminhalt hat die Gesellschaft z. Z. im Bau. Vergessen wollen wir hier
nicht die den Schiffsverkehr zwischen Hamburg und verschiedenen Küsten-
und Inselorten vermittelnde Nordseelinie, deren bequem und luxuriös
eingerichtete Dampfer für die Reisenden in die Nordseebäder besonders
in Betracht kommen (Abb. 59).

Daß Hamburg einer der wichtigsten Auswanderungshäfen Deutschlands ist,
das ist ja bekannt, und wenn in den letzten Jahren die Auswanderung aus
Deutschland auch erheblich zurückgegangen ist, so dürfte das bei der
jährlichen Bevölkerungsvermehrung im Reiche doch nicht lange anhalten,
und ein Wiederanwachsen des Auswanderungstriebes wird wohl bald wieder
bemerkbar werden.

Der Freistaat Hamburg wird regiert vom Senat und der Bürgerschaft
als gesetzgebenden Faktoren, und vom Senat als der vollziehenden
Gewalt. Die Verwaltung geschieht durch die sogenannten Deputationen
oder Kollegien, deren jede von einem Senator geleitet wird; die
Militärhoheit übt Preußen aus. Die vorwiegende Konfession ist die
protestantische, etwa 24000 Seelen der Bevölkerung bekennen sich
zur römisch-katholischen Kirche, und ungefähr 18000 gehören der
israelitischen Religion an. Der Rest verteilt sich auf andere
Glaubensgemeinschaften. Durch ein Oberlandesgericht, ein Landgericht
und verschiedene Amtsgerichte ist für die Rechtspflege gesorgt, sehr
gut ist das Unterrichtswesen eingerichtet. Hervorragend ist die
Rolle, die Hamburg in der Entwickelung der deutschen Litteratur und
Kunst gespielt hat. Wem fielen da nicht die Namen Schröder, Lessing,
Klopstock, Matthias Claudius, die Neuberin und noch andere mehr ein?

Auch Heinrich Heine gehört so etwas zu Hamburg, wenn er auch sonst
nicht recht gut auf die alte Hansestadt zu sprechen war.

  Ihr Wolken droben, nehmt mich mit,
  Gleichviel nach welchem fernen Ort!
  Nach Lappland oder Afrika,
  Und sei’s nach Pommern -- fort! nur fort!

singt er einmal in jungen Tagen, von der Sehnsucht ergriffen, aus
dieser Stadt „des faulen Schellfischseelendufts“ herauszukommen.

Vor mehr als zweihundert Jahren fand die erste deutsche Opernbühne ihr
Heim in Hamburg, und der Sinn für das Musikdrama und das Singspiel hat
sich in seinen Mauern seither nicht vermindert. Manches Meisterwerk
dieser Gattung, das nachher seinen Triumphzug durch die weite Welt
gehalten hat, erblickte hier zuerst das Licht der Lampen; wir erinnern
nur an Flotows Alessandro Stradella, dessen erste Aufführung am
Weihnachtstage 1844 in Hamburgs Theater erfolgte, und an den am 15.
April 1845 hier begonnenen Siegeslauf von Lortzings Undine.

Hamburgs Bevölkerung ist äußerst intelligent und besitzt einen
ausgesprochenen Zug für die praktischen Seiten des Lebens, ohne
daß aber das Geistige nicht auch seine Rechnung dabei fände. Diese
praktische Veranlagung, verbunden mit einem hohen Maße von Energie
bildet einen der bezeichnendsten Charakterzüge des Hamburger
Kaufmanns. Rasch und bestimmt wird alles abgewickelt, denn Zeit ist
Geld. Dabei zeigt der wohlhabende Hamburger eine ausgeprägte Vorliebe
für ein wohlgepflegtes Äußeres und schätzt die Genauigkeit und
Pünktlichkeit nicht nur im geschäftlichen, sondern auch ebensosehr
im gesellschaftlichen Leben. Letzteres ist in vielen Dingen nach
englischem Muster zugeschnitten.

Harte und herbe Urteile sind bisweilen über die Hamburger
gefällt worden, Pfeffer- und Kaffeesäcke hat man sie gescholten,
indem man ihnen dabei jede tiefergehende Neigung für des Lebens
idealere Güter von vornherein absprach. Aber das ist alles nicht
wahr. Hochentwickelter Gemeinsinn, gepaart mit einem großen
Wohlthätigkeitstrieb, gehört mit zu den allerbesten Eigenschaften des
Hamburger Bürgers. Nicht nur die zahlreichen Anstalten und milden
Stiftungen für Waisen, Arme, Kranke und die von den Schlägen des
Schicksals hart Betroffenen zeugen öffentlich für diesen Hang des
Hamburgers zum Wohlthun, sondern in noch viel höherem Maße ist das mit
jenen thätlichen Äußerungen der Nächstenliebe der Fall, von denen die
Allgemeinheit nur wenig bemerkt, und die zu jener Art von Handlungen
gehören, welche die linke Hand nicht wissen lassen, was die rechte thut.

Hamburgs Gründung fällt in Karls des Großen Zeit, welcher hier eine
Kirche und eine Burg errichtete. Unter Ludwig dem Frommen wurde der
Ort der Sitz eines nordischen Metropoliten, den zuerst der berühmte
Mönch von Corvey, Ansgar, der Apostel des Nordens, innegehabt hat.
Von hier aus nahm das Christentum seinen Weg in die mitternächtigen
Länder. Unter den holsteinischen Grafen wuchs Hamburgs Bedeutung, die
nach Bardowieks Zerstörung durch Heinrich den Löwen noch mehr zunahm.
Schon um 1255 besaß die Stadt ein eigenes Stadtrecht, seit 1255 die
Münzgerechtigkeit, und im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert sehen
wir sie als ein starkes Glied des mächtigen Hansabundes, an dessen
wichtigen Unternehmungen sie lebhaften Anteil genommen hat. Seine sich
immer vergrößernde Geldmacht und seine kluge Politik gewannen Hamburg
den Schutz des deutschen Reiches, und neben der einsichtigen Benutzung
von Handelsvorteilen aller Art, welche Örtlichkeit und die Verhältnisse
darboten, dachte seine strebsame Bürgerschaft, besonders seit dem
fünfzehnten Jahrhundert an den Ausbau ihres Staatsorganismus.

[Illustration: Abb. 123. ¯Wilhelmshaven. Kriegshafen und Hauptschleuse.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

Kaiser Maximilian nahm die Stadt um 1510 in die Reihe der
Reichsstädte auf, nachdem sie bereits seit 1470 zum Reichstage berufen
worden war. Günstig beeinflußt wurde die Entwickelung Hamburgs durch
die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Ostindien. Dagegen hatte
es durch die jahrhundertelang fortgesetzten Angriffe Dänemarks,
des Erben der schauenburgischen Hoheitsrechte, auf ihre städtische
Selbständigkeit nicht wenig zu leiden. Erst im Vergleich von 1768
wurde die Unabhängigkeit Hamburgs vom Gesamthause Holstein dauernd
festgestellt. Fast gar nicht berührt wurde die Stadt von den Schrecken
des dreißigjährigen Krieges trotz des vielfachen Vorbeiziehens von
allerhand Kriegsvölkern in der Nähe ihrer Mauern. Doch geriet Hamburg
über den Zoll mit Christian ~IV.~ in Streitigkeiten, die zu einem Kampf
zwischen hamburgischen und dänischen Schiffen auf der Elbe führten,
jedoch 1643 durch Entrichtung einer Abfindungssumme an Dänemark zum
Abschluß gebracht wurden. Als nun am Ende des siebzehnten Jahrhunderts
viele Flüchtlinge aus Frankreich sich in der Stadt ansiedelten und
Großhandel betrieben, erhöhte sich der blühende Zustand von Handel
und Schiffahrt immer mehr, und neue kommerzielle Verbindungen kamen
zu stande. Allerlei Mißhelligkeiten und Zwietracht zwischen dem Rat
und der Bürgerschaft, dann ferner noch Fehden und Streit mit dem
Herzog von Braunschweig-Lüneburg, mit den dänischen Königen und
noch anderen mehr hatten eine Zeit des Rückganges zur Folge, die
jedoch mit dem zwischen Holstein und Hamburg zu Gottorp am 27. Mai
1768 abgeschlossenen Vertrage einer neuen Periode des Aufschwungs
weichen mußte. Hamburg erhielt unbeschränkte Handelsfreiheit, König
Christian ~VII.~ von Dänemark erkannte dessen Reichsunmittelbarkeit
an, die Grenzstreitigkeiten hörten auf, und so konnte der Schluß
des achtzehnten Jahrhunderts noch eine große Anzahl zweckmäßiger
Anordnungen und Einrichtungen zur gedeihlichen Fortbildung des Handels
und der Erwerbszweige registrieren. Die politischen Stürme und
Umwälzungen, denen in den letzten Jahren des achtzehnten und in den
ersten des neunzehnten Säculums Europa zum Opfer fiel, haben auch für
Hamburg allerlei böse Zeiten mitgebracht. Erst zog der Landgraf Karl
von Hessen mit den Dänen in seine Mauern ein, dann kam der Marschall
Mortier mit seinen Franzosen, und am 18. Dezember 1810 verleibte ein
Napoleonisches Dekret die deutsche Hansestadt dem französischen Reiche
ein. Unberechenbare Nachteile und Zerrüttungen erlitt in jenen Zeiten
die Stadt; starke Einquartierungen, Kontributionen, die Blockierung der
Elbe durch die Engländer und noch anderes Elend mehr ließen Handel und
Wohlstand immer tiefer sinken. So ging das bis zum März 1813; da schien
es, als ob die Zeit des Unglücks vorbei wäre. Die Franzosen zogen ab,
Tettenborn rückte ein, der Senat nahm die Regierung der Stadt wieder in
seine Hände. Aber die Stunde der Erlösung hatte noch nicht geschlagen.
Am 30. Mai mußte der russische General Hamburg wieder räumen, und die
Franzosen schlugen abermals ihr Quartier darin auf. Hamburg wurde außer
dem Gesetze erklärt, mußte 48 Millionen Franken Strafgelder zahlen und
unter Vandamme und Davoust schwere Unbill erdulden. Napoleons Fall
machte auch diesen bösen Tagen ein Ende, am 25. April 1814 hatten seine
Truppen Hamburg geräumt, und unter großem Jubel der Einwohner zog Graf
Bennigsen in die befreite Stadt ein.

[Illustration: Abb. 124. ¯Das Rathaus in Wilhelmshaven.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

[Illustration: Abb. 125. ¯Denkmal Kaiser Wilhelms ~I.~ in
Wilhelmshaven.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

Nimmer ruhender Fleiß und rastlose Thätigkeit verwischten binnen
wenigen Jahrzehnten nicht nur alle Spuren, welche die Fremdherrschaft
des Korsen in der Hansestadt hinterlassen hatten, sondern hoben deren
Wohlstand auf eine bisher noch nicht dagewesene Höhe empor. Dank
dieser zähen und trotz alles Mißgeschickes immer wieder üppigere
Blüten treibenden Energie und Lebenskraft vermochte Hamburg auch
das schreckensvolle Ereignis des großen Brandes überwinden, der am
5. Mai 1842 ausbrach und innerhalb einiger Tage den fünften Teils
ihres Weichbildes verzehrte. Aber schon drei Jahre nachher waren
die abgebrannten Stadtteile dem Phönix gleich desto schöner aus der
Asche erstanden. Welchen ungeahnten Aufschwung Hamburgs Handel in den
jüngstverflossenen 50 Jahren genommen hat, das haben wir schon weiter
oben gesehen.

Die Stadt Hamburg selbst mit ihren ehemaligen 15 Vororten (Rotherbaum,
Harvestehude, Eimsbüttel, Eppendorf, Borgfelde, Hamm, Hohenfelde u.
s. f.) zählt in der Gegenwart 668000 Einwohner. Der Fremde, welcher
die Stadt besichtigen will, wird seine Schritte wohl zuerst zu den
Hafenanlagen lenken, die sich etwa 8000 Meter weit auf beiden Ufern
der Elbe bis nach Altona hin erstrecken. Hunderte von großen und
kleinen Schiffen fast aller seefahrenden Nationen liegen dort, und ihre
so verschiedenfarbigen Flaggen und Wimpel bringen einen gar bunten
Ton in das großartige Bild. In neuester Zeit sind von verschiedenen
Unternehmern eigene Hafenrundfahrten für die auswärtigen Besucher ins
Leben gerufen worden, welche Gelegenheit bieten, unter sachkundiger
Führung nicht nur das großartige Leben und Treiben im Hafen selbst
in den Hauptsachen kennen zu lernen, sondern auch einen der großen
transatlantischen Dampfer eingehend in Augenschein zu nehmen. Auch
ein Besuch des gewaltigen am Kaiserquai erbauten Staatsspeichers mit
seinen ingeniösen Einrichtungen und des 32 Meter hohen Riesenkrans
sollte nicht versäumt werden. Auf luftiger Höhe über dem Hafen erhebt
sich das Seemannshaus, ein Asyl für alte und kranke Seeleute und ein
Unterkommen für beschäftigungslose Männer dieses Berufes, und nicht
weit davon ist auf einer schönen Terrasse die deutsche Seewarte
erbaut, ein Institut der deutschen Kriegsmarine (Abb. 60). Es werden
dort die meteorologischen Tagebücher und die nautischen Berichte
über Seehäfen und dergleichen Dinge aller deutschen Kriegsschiffe
und der größten Zahl deutscher Handelsschiffe, die freiwillige
Mitarbeiter sind, gesammelt und zu großen maritim-meteorologischen
Segelhandbüchern für die großen Weltmeere verarbeitet, und auch sonst
besondere meteorologische Arbeiten von weittragender wissenschaftlicher
Bedeutung, die Wetterkarten, welche auch in den bedeutendsten
Tagesblättern Veröffentlichung finden, und dergleichen mehr
veröffentlicht. Dann besorgt die Seewarte den für die Schiffahrt so
äußerst wichtigen Sturmwarnungs- und Witterungsdienst.

Durch allerlei alte und teilweise recht enge Straßen und Gassen,
welchen weder die Wohlgerüche des Morgenlandes noch die Reinlichkeit
holländischer Ansiedelungen zu eigen sind, gelangen wir zu der St.
Michaels-Kirche mit ihrem 132 Meter hohen Turm, einem Meisterwerk
des bekannten Architekten Sonnin, der sie 1762–1786 erbaute, nachdem
ein Blitzstrahl 1750 ihre Vorgängerin, die St. Salvator-Kirche,
eingeäschert hatte. Von hier ziehen wir über den Zeughausmarkt zum
Millernthor, und an Hornhardts Konzerthaus vorbei nach St. Pauli. Der
Spielbudenplatz mit seinen verschiedensten Lockungen für die nach
langer Seefahrt wieder festen Boden betretenden Seeleute, mit seinen
Wachsfigurenkabinetten, seinen Tingel-Tangeln, Theatern, Tanzlokalen,
Menagerien und solchen Dingen mehr vermag uns nicht lange zu fesseln.
Wir besteigen die elektrische Ringbahn, die uns auf breiter Straße,
zur linken Hand das weite Heiligengeistfeld, zur rechten schöne
Anlagen an der Stelle der ehemaligen Wälle, die schon mehrfach als
Ausstellungsplatz gedient haben, -- so 1897 bei Anlaß der hervorragend
schön gelungenen Gartenbauausstellung -- rasch zum Holstenthore bringt.
Hier erheben sich die neuen und weitläufigen Justizgebäude und das
Untersuchungsgefängnis, die wir zur Rechten liegen lassen, um am
botanischen Garten und den alten Begräbnisplätzen vorbei den Eingang
zum zoologischen Garten zu erreichen, der seinesgleichen in Deutschland
sucht, und zwar nicht nur wegen der Reichhaltigkeit seiner vierfüßigen,
fliegenden und kriechenden oder schwimmenden Bewohner, sondern auch
wegen seiner ganz wundervollen landschaftlichen Anlage. Eine prächtige
Aussicht auf den Garten selbst, dann aber auf die Riesenstadt und ihre
Umgebung gewährt die auf einem Hügel belegene Eulenburg. Das Aquarium,
das lehrreiche Einblicke in die marine Tierwelt und in die Fauna des
Süßwassers thun läßt, ist ein besonderes Schaustück.

Durch das Dammthor betreten wir die innere Stadt. Zunächst fesseln
am Stephansplatz der große Renaissancebau der kaiserlichen Post-
und Telegraphenverwaltung und das architektonisch nicht besonders
hervorragende, aber geräumige und durch seine künstlerischen Leistungen
bedeutende Stadttheater unsere Blicke, dann nimmt am Gänsemarkt
Lessings Bronzebild, von Schaper modelliert, unsere Aufmerksamkeit in
Anspruch. Der Dichter der Minna von Barnhelm ist auf hohem Granitsockel
sitzend dargestellt: an letzterem sind die Medaillons von Eckhof und
Reimarus angebracht.

Nun sind wir bis zur Binnenalster vorgedrungen. Das von Dampfschiffen,
Segel- und Ruderbooten und Frachtschiffen belebte Wasserbecken, auf
dem sich Schwäne und andere Wasservögel tummeln, bietet vollends vom
Jungfernstieg aus gesehen, ein ganz besonders anziehendes Bild. Ein
Rundgang um dasselbe lohnt der Mühe. Da ist der neuerdings verbreiterte
Jungfernstieg selbst, mit einer Reihe von großartigen Baulichkeiten
(Hamburger Hof, Filiale der Dresdener Bank), dann der Alsterdamm mit
seiner stattlichen Häuserreihe. Bald stehen wir auf dem parkartig
angelegten Platze vor der Kunsthalle und betrachten uns die von
Blumenteppichen umgebene Lippeltsche Statue Schillers. Der im Stil
italienischer Frührenaissance aufgeführte Ziegelbau der Kunsthalle
steht offen und ladet zu einer eingehenden Besichtigung seiner
zahlreichen Gemälde und plastischen Kunstwerke ein (Abb. 61–70).

Auf den in der Gegenwart schön angepflanzten ehemaligen Umwallungen
spazieren wir zur Lombardsbrücke. Weit schweift von hier der Blick
über die glänzende Fläche der Außenalster hin, deren grüne Ufer
dicht besetzt sind von Villen, Gärten-, Baum- und Parkanlagen. An
der linken Alsterseite erheben sich die Stadtteile St. Georg und die
langgedehnte Uhlenhorst, während die Dächer von Winterhude und von
Eppendorf dieses herrlichste aller deutschen Städtebilder im äußersten
Hintergrunde abschließen. Auf dem anderen Ufer wird das Wasserbecken
von den nicht selten schloßartig gebauten Häusern von Harvestehude und
des Rabenstraßenviertels umsäumt. Hier steigt das Gelände allmählich
an, während das linke Ufer flach ist, so daß beide Seiten des zur
See erweiterten Flusses landschaftlich starke Kontraste bilden. Am
Harvestehuder Weg wohnt das „reiche“ Hamburg, und dieses Wort will
etwas heißen. Durch die Rabenstraße und den Mittelweg führt uns der Weg
an das Alsterglacis und zurück auf die alten Umwallungen. Zur Zeit,
als Hamburg noch eine Festung war, lagen jenseits derselben am Flusse
einige Vergnügungsörter, wo man sich an den Genüssen der Tafel und des
Tanzes ergötzen konnte oder unter den Klängen von Musik und Gesang
auf der Alster umher gondelte. Ein deutscher Dichter aus jenen fernen
Tagen, Friedrich von Hagedorn, hat uns ein Lied davon gesungen.

An der Esplanade hat Hamburg seinen im Kriege von 1870–1871 gefallenen
Söhnen durch den berühmten Bildhauer Schilling ein schönes Denkmal
errichten lassen. Zwei der Hauptverkehrsadern Hamburgs zweigen sich
vom Jungfernstieg ab, die Große Bleichen und der Neue Wall. Großartige
Läden mit reichbesetzten Auslagen hinter den hohen Spiegelglasfenstern
bieten hier die verschiedensten Erzeugnisse der Kunst und Industrie zum
Kaufe an.

Nahebei, am Adolphsplatze, erhebt sich die schon vor 60 Jahren erbaute,
seitdem aber mehrfach vergrößerte und verschönerte Börse. Wenn man
den Elbstrom die Pulsader von Hamburgs Leben und Weben genannt hat,
so verdient die Börse dagegen die Bezeichnung vom Herzen seines
Handels. Hier ist zwischen ½2 und ½3 Uhr die kommerzielle Welt Hamburgs
versammelt, um ihre Geschäfte abzuschließen und abzuwickeln und jeden
Tag viele Millionen umzusetzen. Nebendran, auf dem Rathausmarkte,
befindet sich dann das politische Centrum des Freistaates, sein
Rathaus. Dieser imponierende und gewaltige Renaissancebau, aus
Sandstein aufgeführt, ist für das beim großen Brande von 1842
untergegangene alte Rathaus in den Jahren 1886–1897 erbaut worden.
Zahlreiche Bildwerke und Wappen aus Stein und Erz schmücken sein
Äußeres.

[Illustration: Abb. 126. ¯Rathaus in Leer, vom Hafen gesehen.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

Die alte Domkirche Hamburgs, sein ältestes Gotteshaus, existiert
nicht mehr. Im Verlaufe der Zeit wurde es baufällig und kam 1805 zum
Abbruch. Seine Stelle als städtische Hauptkirche hat nunmehr St.
Nikolai eingenommen, die nach dem Brande von 1842 im gotischen Stil
des dreizehnten Jahrhunderts neu erstanden ist, und deren 147 Meter
hohe Turm, eins der Wahrzeichen Hamburgs, zu den höchsten Bauten
Europas gehört. Auch die schon um 1195 urkundlich erwähnte Petrikirche
wurde bei der Brandkatastrophe ein Raub der Flammen und stammt in
ihrer heutigen Gestalt erst aus dem Jahre 1849. Dagegen hat das
Feuer St. Katharinen verschont; durch einige alte Gemälde in ihren
Hallen, darunter ein schönes Altarblatt, ist ihre Besichtigung nicht
ohne Interesse. Reichhaltige Sammlungen zoologischer, geologischer,
mineralogischer und ethnographischer Natur birgt das am Steinwall
neuerbaute naturhistorische Museum. Es verfügt dasselbe nicht nur über
verhältnismäßig große Mittel, sondern die Munificenz der Hamburger
Kaufherren und Privatleute hat auch viel zu seiner Bereicherung
beigetragen. Im ehemaligen Realschulgebäude beim Lübeckerthor ist die
botanische Sammlung aufgestellt, deren kolonialer Teil nicht genug
gerühmt werden kann. Kein Besucher Hamburgs möge aber versäumen, dem
Museum für Kunst und Gewerbe in St. Georg einige Stunden aufmerksamer
Betrachtung zu schenken, das nächst seiner Schwesteranstalt in Berlin
wohl das beste seiner Art im Reiche ist. Die herrlichen Fayencen
und wundervollen geschnitzten alten Schränke und Truhen aus den
niederdeutschen und holländischen Gebieten sind das Entzücken aller
Kenner.

Zu den besichtigungswerten Dingen der Hansestadt gehören noch das große
Musterkrankenhaus von Eppendorf, ganz am Ende der Außenalster, und
die großartigen Friedhofsanlagen von Ohlsdorf, wo das still gewordene
Hamburg von dieses Lebens Hast und Kampf ausruht. Dann werden Fachleute
die Stadt nicht verlassen, ohne noch einen Blick auf die großen
Sandfiltrationen auf der Elbinsel Kaltehofe bei Billwerder geworfen zu
haben, welche das von der Wasserleitung Hamburgs gebrauchte Stromwasser
reinigen und genießbar machen. Diese Werke wurden 1893 nach der großen
Choleraheimsuchung angelegt.

[Sidenote: Wandsbek. Die Vierlande.]

Ein Zeitaufwand von nur wenig Stunden genügt, um die in nordöstlicher
Richtung gelegene, holsteinische Stadt Wandsbek an der Wanse kennen zu
lassen. Der 21700 Einwohner zählende Ort ist durch eine elektrische
und die Bahnlinie nach Lübeck leicht zu erreichen und bot den
Bankerottierern früher eine Freistatt dar, ein Umstand, welcher dem Ruf
des Städtchens begreiflicherweise nicht wenig geschadet hat. Friedrich
~V.~ von Dänemark hob im Jahre 1754 aber dieses sonderbare Privilegium
auf. Auf dem Friedhof Wandsbeks ist Matthias Claudius begraben, und im
nahen Gehölz hat die Stadt dem Wandsbeker Boten ein einfaches, aber
stimmungsvolles Denkmal gesetzt (Abb. 71).

Südlich von Hamburg ist Bergedorf, ebenfalls ein freundliches
Städtchen am Ufer der Bille. Es besitzt ein von schönen Gärten
umgebenes altes Schloß, das in der Vergangenheit eine Rolle gespielt
hat. Der Weg dorthin zieht an den bekannten Anstalten des „Rauhen
Hauses“ vorbei. Der Marschdistrikt zwischen Elbe und Bille, aus
den vier reichen Kirchspielen Neuengamme, Altengamme, Kurslack und
Kirchwerder, außerdem noch aus der Ortschaft Geesthacht bestehend,
führt den Namen „Vierlande“; derselbe ist vortrefflich angebaut und
von größter Fruchtbarkeit. Es ist Hamburgs Obst- und Gemüsegarten. Die
Vierländer zeichnen sich durch ihre Obst-, Erdbeeren-, Gemüsekultur und
Blumenzucht aus, die Reinlichkeit ihrer Behausungen ist sprichwörtlich
geworden. Originell ist die Frauentracht in den Vierlanden,
eigentümlich sind dort Sprache und Sitten (Abb. 72–77). Auch des
reizend gelegenen Kurortes Reinbeck an der Bille mit seinen vielen
Villen und Sommerhäusern und des nicht minder freundlich gelegenen
Aumühle sei hier gedacht, sowie des nahen Friedrichsruh, wo unweit von
seinem einfachen Schlosse, das die Zuflucht seiner letzten Lebensjahre
war, der Alte vom Sachsenwalde in einem zwar äußerlich schmucklosen,
aber würdigen Mausoleum zur Ruhe gebettet worden ist (Abb. 78–81).

St. Pauli verbindet Hamburg mit dem diesen gegenüber verhältnismäßig
jungen Altona, dessen Name urkundlich erst um 1547 Erwähnung gethan
wird.

[Sidenote: Altona.]

Altona ist Schleswig-Holsteins größte Stadt, zählt 156800 Einwohner
und liegt auf einem Höhenzuge, der ziemlich schroff gegen die Elbe
hin abfällt, so daß die zum Hafen führenden Straßen abschüssig sind.
Es besitzt eine in den letzten Jahren sich immer mehr ausbreitende
Handelsthätigkeit, besonders im Export mit Nordamerika, und hat in
neuerer Zeit Anstrengungen gemacht, um sich in der Hochseefischerei
einen achtunggebietenden Platz zu erobern, den es in früheren Jahren
schon einmal inne gehabt hatte. Sein Fischmarkt ist beträchtlich; im
Jahre 1898 erzielten die in Altona abgehaltenen Fischauktionen einen
Umsatz von 1993632 Reichsmark. Daneben blühen in der Stadt allerlei
industrielle Unternehmungen.

In architektonischer Beziehung bietet die Stadt Altona nicht viel.
Ihre Hauptstraße ist die Palmaille, eine mit schönen Linden bepflanzte
Verkehrsader, in der das eherne Standbild des früheren dänischen
Oberpräsidenten Grafen Konrad von Blücher steht. Ihm dankt die Stadt
ihre Errettung von dem Schicksale, zur Franzosenzeit in Brand gesetzt
zu werden. In der Königstraße pulsiert das gewerbliche Leben. Hier
befindet sich auch das hübsche Stadttheater und eine vom Bildhauer
Brütt geschaffene Statue des Fürsten Bismarck (Abb. 82–84).

Die sich an die Hamburger anschließenden Hafenanlagen Altonas sind
gut und zweckmäßig eingerichtet, haben geräumige, mit Lagerschuppen
versehene Kaibauten, starke Kräne neuester Konstruktion und stehen
durch ein Schienennetz mit der Eisenbahn in Verbindung. 1894 sind 938
Seeschiffe aus dem Altonaer Hafen ausgelaufen und 677 darin angekommen.
Die von überseeischen Ländern in gleichem Jahre eingeführten Waren
besaßen ungefähr 29000 Mark an Wert, die seewärts ausgeführten 11000000
Mark.

[Illustration: Abb. 127. ¯Emden, vom Hafen gesehen.¯]

Im Verlaufe ihrer Entwickelung hat die Stadt Altona nicht minder viele
Krisen durchzumachen gehabt, als ihre Nachbarstadt Hamburg. Zu den
schlimmsten Ereignissen, welche in ihren Annalen verzeichnet stehen,
dürften die Brandlegung der Stadt gehören, mit welcher sie Steenbock am
9.–11. Januar 1713 wegen des durch die Dänen verursachten Brandes von
Stade und einer nichtbezahlten Kriegskontribution bestraft hat. 1546
Wohnungen wurden durch Hineinwerfen von Pechkränzen und Brandfackeln
ein Raub der Flammen, und nur 693 Häuser blieben vom Feuer verschont.

Trotzdem blühte aber Altona im achtzehnten Jahrhundert rasch empor,
der Handel hob sich zusehends, besonders als ihm der in Nordamerika
entbrannte Krieg neue Bahnen eröffnete. Während der Zeit der
Kontinentalsperre stockten die Geschäfte aber wieder, der Wohlstand
verschwand, und Altona wurde eine recht stille Stadt, bis sie in
den letzten 40–50 Jahren, unter Preußens Oberhoheit, einen erneuten
Aufschwung genommen hat. Im Jahre 1835 zählte sie kaum 26300 Einwohner,
heute das Sechsfache dieser Zahl.

Seit dem Jahre 1889 ist Ottensen, dem ehemals der Ruhm zukam, Holsteins
größtes Kirchdorf zu sein, mit Altona vereinigt. Auf seinem Friedhofe
ruht unter einer alten Linde der Dichter Klopstock im gemeinsamen Grabe
mit seinen beiden Frauen aus. „Saat von Gott gesäet, dem Tage der
Garben zu reifen“ steht auf dem Grabstein zu lesen.

[Illustration: Abb. 128. ¯Am Delft in Emden.¯]

[Sidenote: Die Elbe unterhalb Hamburgs.]

Zwei Wege stehen uns offen, um von Hamburg-Altona an die See zu
gelangen. Der eine führt uns aufs Dampfboot, das uns in etwa 3½–4½
Stunden nach Cuxhaven bringt, der andere ist die Eisenbahnlinie,
welche über Harburg und Stade an der linken Elbseite das gleiche Ziel
erreichen läßt. Wir bestiegen einen der recht bequem eingerichteten
Dampfer der Nordseelinie, der alsbald die Landungsbrücke von St.
Pauli verläßt und seinen Bug elbabwärts wendet. Das rechte Stromufer
ist zunächst noch von allerlei industriellen Anlagen dicht bebaut,
bald aber treten diese zurück, Villen und Landhäuser mit prächtigen
Parkanlagen und große Vergnügungslokale mit weiten Gärten zeigen sich
im bunten Wechsel, darunter die vielbesuchten Neumühlen (Abb. 85)
und Teufelsbrücke. Dann erscheint das freundliche Blankenese am Fuße
des 76 Meter hohen Süllberges, eines bis an den Strom herantretenden
Vorsprunges der Geest (Abb. 86 u. 87). Dem linken Ufer sind breite und
flache Inseln vorgelagert, so daß dasselbe nicht besonders anziehend
erscheint und von dem Alten Lande wenig zu sehen ist. Gegenüber von
Nienstedten nahe bei Blankenese vereinigt sich die Süderelbe mit
dem Hauptstrom. Rechts folgen bald Schulau und dann die fruchtbaren
Marschen Holsteins, links bis nach Stade hin immer noch die grünen
dorfbesäeten Flächen des Alten Landes, welche nordwärts von der
ebengenannten Stadt in diejenigen des Landes Kehdingen und von hier
noch weiter nach Norden in die Landschaft Hadeln übergehen. Bei
Cuxhaven (Abb. 88 u. 89) ist die offene See beinahe schon erreicht. Nur
ein kurzer Aufenthalt, schon werden die Anker wieder gelichtet, und das
Schiff dampft seewärts, an Neuwerk und Scharhörn vorbei (Abb. 90 u.
91). Dann umspülen es die echten und rechten Nordseewellen, weit hinter
uns verschwindet allmählich das Land, und um uns herum ist nichts mehr
zu sehen, als das wellenbewegte Meer, über uns hängen graue Wolken
am Himmel. So geht es einige Zeit fort, bis plötzlich am Horizont
ein kleiner dunkler Punkt auftaucht. „Helgoland in Sicht!“ ruft der
Kapitän. Unter den Passagieren wird es lebendig, selbst die armen
Seekranken erheben sich von ihrem Schmerzenslager und schöpfen neuen
Mut. Fernstecher und Fernrohre werden hervorgeholt, Seekarten studiert,
Gepäck zurechtgelegt. Mit Macht arbeitet sich der Dampfer durch die
Wogen, der Punkt wird größer und größer, rasch kommen wir ihm näher,
und ebenso rasch verwandelt er sich auch in das rötlich schimmernde
Felseneiland, in dessen Hafen wir in wenigen Minuten vor Anker gehen
werden.

[Illustration: Abb. 129. ¯Rathaus in Emden.¯]



~XII.~

Helgoland.


  Grön is det Lunn,
  Road is de Kant,
  Witt is de Sunn;
  Deet is det Woapen
  Vun’t „hillige Lunn“.

[Sidenote: Helgoland.]

Zwischen den Mündungen der Elbe und denjenigen der Weser, unter 54°
11′ nördlicher Breite und 7° 53′ östlicher Länge von Greenwich, 50
Kilometer von Neuwerk, 62 von Cuxhaven und ca. 150 von Hamburg entfernt
liegt Helgoland. Senkrecht bis zur Höhe von 58 Meter steigt dieses
jüngste Glied deutscher Erde aus den Fluten der Nordsee auf mit seinen
bräunlichrot gefärbten felsigen Kanten, die das ungefähr 46 Hektare
große Oberland tragen. Die Schichten der Insel fallen von Nordwesten
nach Südosten in einem Winkel von 10–15° ein. An der Ostseite steigen
die Felswände zumeist steil ab und bilden eine kahle Mauer, an der
Westseite jedoch zeigt die Insel ein abwechselungsreiches Bild der
Zerklüftung, mit Buchten, Felsthoren und einzeln dastehenden Pfeilern,
welche vom Mutterfelsen losgenagt worden sind, so den Mönch, den
Predigerstuhl und das Nathurn. Gegen Südosten ist dem Oberland das nur
wenige Meter über den Meeresspiegel erhabene, aber sehr geschützte
Unterland vorgelagert. Helgoland ist 0,59 Quadratkilometer groß, und
gestaltet als ein langes und schmales Dreieck, dessen Spitze, das eben
erwähnte Nathurn, nach Nordwesten gerichtet ist. Die größte Länge der
Insel mag 1600 Meter betragen, die größte Breite 500 Meter, der Umfang
des Oberlandes etwa 3000 Meter und derjenige des Unterlandes ungefähr
900 Meter (Abb. 1 u. 92–99).

Im Osten der Insel und etwa einen halben Kilometer davon entfernt
erstreckt sich die längliche, jetzt durch weit in die See hinaus
gebaute Buhnen vollkommen geschützte Düne. Ihr Untergrund besteht aus
geschichteten Gesteinen (Triasformation), wird jedoch von Rollsteinen
und Sanden bedeckt. Die Länge der Düne bei Ebbe mag etwa 2000 Meter
groß sein, bei 300 Meter Breite. Es ist so recht der Lebensnerv
Helgolands; dort befindet sich der schöne, stets steinfreie, feste
und ebene Badestrand. Die auf der Insel wohnenden Kurgäste erreichen
denselben vermittelst Überfahrt in Fährbooten, welche entweder durch
Riemen und Segel vorwärts bewegt oder seit dem Jahre 1897 durch einen
Dampfer geschleppt werden. Für diejenigen aber, welchen ein Bad in der
offenen See nicht zuträglich ist, ist ein geräumiges und möglichst
vollkommenes Badehaus mit hoher luftiger Schwimmhalle, warmen Seebädern
u. s. f. erbaut worden, das seinen Platz an der äußersten Südseite
des Unterlandes gefunden hat. Wenn stürmisches Wetter die Überfahrt
zur Düne nicht gestattet, ist damit ein gewisser Ersatz für die Bäder
in See gegeben. Die Düne setzt sich nach Nordwesten in riffartigen
Klippenreihen fort, die bei Niedrigwasser stellenweise freiliegen, wie
denn überhaupt das ganze Eiland von solchen Felsenriffen rings umgeben
wird. Letztere sind zwar den nahenden Schiffen gefährlich und die
Ursache zu vielen Strandungen gewesen, der Insel selbst aber bieten
sie als natürliche Wogenbrecher Schutz, indem sie den Hauptanprall der
Wellen von ihr fernhalten.

Unter der Zahl der Nordseebäder figuriert Helgoland seit dem Jahre
1823. Sein günstiges Inselklima und die reine, feuchte und warme
Seeluft, deren Wärme während der Monate Juni bis September zwischen 14°
und 15° ~C.~ schwankt, während die Nordsee als höchste und niedrigste
Temperaturen während der Badezeit 20° und 12° ~C.~ aufweist, haben dem
Eiland als Seebad im Laufe der Jahre immer mehr Freunde verschafft, so
daß der Fremdenbesuch sich stetig hob und damit Hand in Hand auch der
Wohlstand der Insulaner dauernd gestiegen ist. Die Fremdenfrequenz,
welche im Jahre 1890 noch 12732 Besucher aufweist, hat im Jahre 1898
schon die hohe Zahl 20669 erreicht.

[Illustration: Abb. 130. ¯Norden.¯]

Die Straßen des Ober- und Unterlandes mit ihren vom Dach bis zum Keller
blitzblanken Häusern machen einen gar freundlichen Eindruck. Ihrer
großen Reinlichkeit und Sauberkeit wegen sind die Bewohner Helgolands
ja bekannt. Interessant und eigenartig ist das Innere der Kirche,
deren Gewölbe mit den lukenartig geformten oberen Fenstern lebhaft an
das Innere eines Schiffes erinnert. Auf dem Altar stehen zwei große
silberne Leuchter, welche der Gemeinde Helgoland von dem als Oberst
Gustavsson bekannten entthronten König Gustav ~IV.~ Adolph von Schweden
zur Erinnerung an seinen Aufenthalt auf der Insel im Jahre 1811 verehrt
worden sind.

Auf dem höchsten Teil des Oberlandes befindet sich der 1810
aufgeführte neue Leuchtturm mit weiter Rundsicht; westlich davon
erblickt man den „Pharus“, den alten Leuchtturm, welchen die
Hamburger um 1670 errichtet haben und in den ersten Zeiten durch
Kerzenlicht erleuchteten. Derselbe dient in der Gegenwart nur noch
als Signalstation. Bei Anlaß seiner Erbauung zeigte sich, daß die
Erderhebung, auf welcher er steht, ein alter Grabhügel war, der Urnen
und Gebeine enthielt. Ähnliche Grabstätten aus vorgeschichtlicher Zeit
dürften auch der Flaggenberg, der Bredberg und der Billberg gewesen
sein; vom Moderberg steht das unzweifelhaft fest. Im letzteren hat man
ein männliches Skelett, von zwei Gipsplatten eingeschlossen, gefunden,
eine Bronzewaffe und zwei goldene Spiralringe.

[Illustration: Abb. 131. ¯Inneres der Liudgerikirche in Norden.¯]

An der Falm, der Hauptverkehrsstation, „dem Ausguck der Helgoländer“,
wie sie genannt worden ist, steht das die kaiserliche Kommandantur
beherbergende Regierungsgebäude. Die Straße selbst mündet auf die
das Oberland mit dem Unterland vermittelst 188 Stufen verbindende
Treppe; in der Nähe ihres Fußes befindet sich die heilige Quelle, ein
Süßwasserbrunnen, an welchem der Sage nach die Taufen der von Liudger
bekehrten heidnischen Bewohner des Eilands stattgefunden haben sollen,
wie Müllenhoff in seinen Sagen, Märchen und Liedern der Herzogtümer
Schleswig-Holstein und Lauenburg erzählt. Im Unterlande finden wir
die zwecks Erforschung der Nordseefauna und -Flora im Jahre 1892 vom
preußischen Staate ins Leben gerufene biologische Anstalt mit dem
Nordseemuseum, das im alten Konversationshause untergebracht ist. Den
Grundstock des Museums bildet die vom Deutschen Reiche angekaufte
berühmte Gätkesche Vogelsammlung, welche im unteren Saale aufgestellt
ist, während die oberen Räumlichkeiten der Veranschaulichung der
marinen Tier- und Pflanzenwelt Helgolands und der Nordsee dienen.
Besondere Berücksichtigung haben dabei die nutzbaren Seetiere, wie
auch die verschiedenen Arten ihres Fanges gefunden. Die geologische
Beschaffenheit der Insel wird durch eine Sammlung von Gesteinen und
Fossilien erläutert.

Am 26. August 1841 dichtete hier auf dem England unterthanen Stück
deutscher Erde August Heinrich Hoffmann, in der Litteratur Hoffmann von
Fallersleben genannt, sein berühmtestes Lied „Deutschland, Deutschland
über alles, über alles in der Welt“. Zur Erinnerung an diese That
ist ihm 50 Jahre später am Meeresstrande Helgolands ein aus Schapers
Meisterhand hervorgegangenes Denkmal gesetzt worden, nachdem kurz
vorher, am 10. August 1890, Kaiser Wilhelm ~II.~ namens des Deutschen
Reiches wiederum von der Insel Besitz ergriffen hatte. Sie ist dann
dem schleswig-holsteinischen Landkreis Süderditmarschen zugeteilt
worden. 76 Jahre lang war Helgoland englisch gewesen; von 1674 bis
1714 hatte der Danebrog darüber geweht. In noch früheren Zeiten war
das Eiland abwechselnd Eigentum der Hansestadt Hamburg und der Herzöge
von Schleswig-Gottorp, die wiederum in normännischen Seeräubern und im
ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung in verschiedenen Friesenkönigen
ihre Vorgänger gehabt haben. Der bekannteste unter diesen letzteren
war nach des Alkuins Bericht König Ratbod, der als Bundesgenosse König
Dagoberts mit diesen zugleich von Pipin 689 bei Dorstedt geschlagen
worden ist und auf Helgoland eine sichere Zuflucht fand. Alkuin
erwähnt unser Eiland unter dem Namen Fositesland, dessen Identität
mit Helgoland jedoch von Adam von Bremen (nach 1072) als „Heiligland“
ausdrücklich bezeugt worden ist. Als der schon weiter oben erwähnte
Liudger, Bischof von Münster, um 785 die Insel auf Weisung Karls des
Großen hin aufsuchte, war dieselbe der geheiligte Wohnsitz des Gottes
Fosete, dessen Heiligtümer hier erbaut waren. Ob Helgoland bereits
den Römern bekannt gewesen ist, oder ob nicht, das muß dahingestellt
bleiben; nach gewissen Stellen in des Tacitus Germania sowie in dessen
Annalen wäre die Annahme nicht ganz von der Hand zu weisen, daß auch
schon römische Augen auf die roten Felsen Helgolands geschaut und
daß Wimpel römischer Schiffe, die des Germanicus Kohorten nach der
Schlacht auf dem idistavischen Felde aus der Ems in die Nordsee trugen,
nach Fositesland hinübergegrüßt haben könnten. Noch unbestimmter aber
ist es, ob Herr Pytheas von Massilia, der um die Zeit Alexanders des
Großen in das sagenhafte und vielfach und immer wieder anders gedeutete
Thule eine Reise gethan hat, seinen Fuß auf Fositesland setzte. Es ist
zuweilen die Ansicht laut geworden, daß die Bernsteininsel Abalus im
Busen Metuonis Helgoland gewesen sei. Aber wer mag das mit Bestimmtheit
wissen?

In den meisten Schriften früherer Jahrhunderte wird von unserer
Insel als vom „hilligen Lunn“ gesprochen, aus welcher Bezeichnung
das offizielle englische „Heligoland“ und das deutsche „Helgoland“
sich mit der Zeit herausgebildet haben. Auch der Name „Farria“ ist
bisweilen dafür gebraucht worden, der nach Lindemann am richtigsten als
„Far-öer“, „Schafinsel“ gedeutet wird, „denn Schafe waren früher in
großer Menge auf der Insel“.

In den Blättern der neuesten deutschen Kriegsgeschichte finden wir
Helgoland zweimal verzeichnet. Am 4. Juni 1848 fand hier die Feuertaufe
der deutschen Flotte statt, indem drei Schiffe des Deutschen Bundes mit
einer dänischen Segelkorvette ins Gefecht gerieten, und am 9. Mai 1864
kamen hier österreichische und preußische Kriegsschiffe mit einem Teil
der dänischen Flotte aneinander. Der Befehlshaber des österreichischen
Geschwaders, der spätere Seeheld von Lissa, Freiherr Wilhelm von
Tegethoff, hat sich bei diesem Anlaß die Kontreadmirals-Epauletten
geholt.

Kernig und kräftig ist der zum friesischen Stamme gehörige
Menschenschlag Helgolands, die Männer sind entschlossene und
willensstarke Leute, zierlich und schlank die Frauen und Mädchen.
Phlegmatische Ruhe ist der Grundcharakterzug der Bevölkerung; mitten in
den stürmischen Wogen des Meeres verliert der Helgoländer diese Ruhe
nicht, sondern bleibt kaltblütig und gelassen, eine Eigenschaft, die
für seinen Beruf als Seefahrer nicht hoch genug angeschlagen werden
kann. Am Althergebrachten hält er unwandelbar fest, so auch an der
friesischen Mundart, welche die Kinder dort schon sprechen, bevor sie
in der Schule deutsch reden lernen. Die schöne Nationaltracht der
Helgoländerinnen hat allerdings mit der Zeit der modernen Kleidung
weichen müssen und wird heutzutage nur noch bei besonderen festlichen
Gelegenheiten angelegt. Schiffahrt, Fischerei und Lotsendienst, und
nicht zum geringsten der Badebetrieb bilden die hauptsächlichsten
Erwerbsquellen der Inselbewohner. In früheren Jahrhunderten pflegten
gewaltige Heringszüge vor Helgoland zu erscheinen, und damit brachen
Zeiten des Glanzes und besonderen Wohlstandes für das Eiland an.
Die Gewässer wimmelten von fremden Schiffen, und große Faktoreien
entstanden auf der Insel. Schon im sechzehnten Jahrhundert fingen
die Heringszüge aber wieder an abzunehmen und waren im achtzehnten
Jahrhundert beinahe ganz verschwunden.

Gebilde des Zechsteins, der Trias und der Kreide nehmen am
geologischen Aufbau Helgolands teil. Die ältesten Ablagerungen der
Insel bestehen aus einer einheitlichen Folge rotbrauner, dickbankiger,
kalkhaltiger Thonschichten, die auf ihren Schichtflächen häufig
Glimmerblättchen führen, nur unterbrochen durch eine etwa 20 Centimeter
starke Schicht eines weißen zerreiblichen Sandes -- der Katersand
der Helgoländer. Eine Anzahl von Kupfermineralien, so Rotkupfererz,
Ziegelerz, Kupferglanz und gediegenes Kupfer kommt in diesen Thonbänken
vor, ebenso zeigen sich elliptische Kalkmandeln, im Inneren oft hohl
und an den Wänden mit Kalkspatkrystallen ausgekleidet, darin. Gemäß dem
Fallen und Steigen der Schichten taucht dieser untere Gesteinskomplex
etwa in der Mitte der Westseite aus dem Meer empor und steigt bis zur
Nordspitze derart an, daß er am Nathurn und Hengst fast den ganzen
Steilabfall bildet und nur noch durch wenige Meter mächtige Schichten
der darüber liegenden Gebilde der Trias überlagert wird.

Diese älteren Ablagerungen Helgolands, Äquivalente der Zechsteinletten,
also oberster Zechstein, sind, auch im unteren Elbgebiet, so an der
Lieth bei Elmshorn in Holstein, bei Stade in Hannover und auf dem
Schobüller Berg in der Nähe von Husum bekannt geworden.

[Illustration: Abb. 132. ¯Wangeroog.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

Dem unteren Buntsandstein entspricht ein Wechsel von roten, schiefrigen
Thonen mit grünlich-grauen oder rot und grün gefleckten Kalksandsteinen
und dünn geschichteten grauen Kalken, ohne Beimengungen von Kupfererz.
Aus diesen Schichten setzt sich die Oberfläche der Insel zusammen. Aus
Bildungen des Muschelkalks und wohl auch des unteren Keupers sind die
Düne und die sich von dieser nordwestwärts erstreckenden Klippenzüge
des Wite Klif und Olde Höve Brunnens aufgebaut. Zwischen diesen
letzteren und der Hauptinsel dürfte wohl im Verlaufe der Aeonen eine
etwa 370 Meter mächtige Reihe von Sedimenten verschwunden sein, welche
den mittleren und den oberen Buntsandstein repräsentiert hat.

Ablagerungen des mittleren und oberen Keupers sowie der Juraformation
sind auf Helgoland unbekannt, dagegen finden sich dort Schichten
sowohl der unteren, als auch der oberen Kreide vertreten, teils als
anstehendes Gestein, teils in der Gestalt von Geröllen. Erstere
zeigt sich in dem etwa 500 Meter breiten, den ersten vom zweiten
Klippenzuge trennenden Graben, im Skit-Gatt. Fossilien aus diesen
als graue, schiefrige Thone oder gelbrote und gelbe thonige Kalke
auftretenden älteren cretaceischen Sedimenten stellen die von
den Helgoländern den Badegästen zuweilen zum Kauf angebotenen
„Katzenpfoten“ und „Hummerschwänze“ dar, Ausfüllungen der Luftkammern
von Cephalopodenschalen (Crioceras).

Auf den östlich vom Skit-Gatt sich hinziehenden, bei Ebbe hochgelegenen
Klippenzügen des Krid-Brunnens (resp. des Selle-Brunnens), des
Kälbertanzes und des Peck-Brunnens kommt die obere Kreide vor.
Cenomane Gesteine und solche der tiefsten Zone des Turons sind nur
aus Geschieben bekannt, während die Kreideschichten mit Feuerstein
am Krid- und am Selle-Brunnen den Zonen des Inoceramus Bonguiarti
und des Scaphites Geinitzi entsprechen, und in ähnlichem Gestein
des Peck-Brunnens das untere Senon anstehend nachgewiesen ist. Aus
Petrefaktenauswürflingen der See geht auch das Vorhandensein jüngerer
senonen Bildungen bei Helgoland hervor.

Die Diluvialablagerungen der Insel unterscheiden sich nicht wesentlich
von denjenigen Schleswig-Holsteins und des nordwestlichen Deutschlands,
und das in größeren Blöcken und in kleineren Geröllen auf der Insel
sowie auf der Düne herumliegende erratische Material stammt aus dem
mittleren und dem südlichen Schweden.

Zwischen der Hauptinsel und den die Fortsetzung der Düne bildenden
Riffen und Klippen liegt der Nordhafen. In einer -- geologisch genommen
-- sehr jungen Zeit stellte derselbe einen Süßwassersee dar. Den Grund
dieses Nordhafens bildet nämlich ein hellgrauer bis dunkelbrauner
Thon, von den Helgoländern Töck genannt, wobei zu beachten ist, daß
diese Bezeichnung auch noch auf die Gesteine der unteren Kreide
im Skit-Gatt angewandt wurde. In dem Töck des Nordhafens nun sind
zahlreiche Süßwassermollusken gefunden worden, welche sämtlich noch
unter der heutigen Fauna Norddeutschlands vertreten sind, und daneben
noch einzelne Pflanzenreste (Ahornblätter und anderes). Damit ist der
Beweis geliefert worden, daß der rote Felsen auf einer Insel lag,
welche eine Ausdehnung besaß, daß eine Süßwasserfauna und Landflora
auf ihr existieren konnten, daß also das Eiland ehemals, und zwar
schon in Zeiten der jetzt währenden Erdbildungsperiode -- ob sonst in
historischer Zeit, muß dahingestellt bleiben -- größer war, als in der
Gegenwart. Es ist aber nicht ein größeres Felseneiland gewesen, sondern
eine Geestinsel von gleicher Beschaffenheit etwa wie Sylt und die eine
Hälfte von Föhr, eine Geestinsel, aus welcher der rote Fels und das
weiße massige Gestein des Witen Kliff hervorragten.

[Illustration: Abb. 133. ¯Wangeroog, vom Leuchtturm gesehen.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

„Helgoland,“ sagt Dames, „stellt einen vorgeschobenen Posten deutschen
Bodens dar. Durch seine Einverleibung in Deutschland ist auch politisch
ein Zusammenhang wiederhergestellt, der geologisch seit dem Schluß der
paläozoischen Formation fast ununterbrochen bestanden hat.“

[Illustration: Abb. 134. ¯Strand von Wangeroog, mit Seezeichen und
Giftbude.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

Der schon früher bei der Besprechung seiner Vaterstadt Husum und a.
a. O. erwähnte „königliche Geographus und Mathematicus“ Johann Meyer
hat um das Jahr 1649 eine „Newe Landtcarte von der Insel Helgelandt“
gezeichnet und dazu eine höchst phantastische Darstellung dieser
Insel „in ~annis Christi~ 800 und 1300“, welche dem Buche Danckwerths
beigefügt ist. „Die Insel soll viel größer gewesen seyn, dann itzo“,
und „der Author der Land Carten hat davon zweyerley Vorbilde des
alten Heiligen Landes vorgestellet, ~de annis~ 800 und 1300, wie
man sie ~ex traditionibus~, ~sed humanis~ erhalten“, schreibt der
vormalige Bürgermeister der grauen Stadt am Meere dazu. Eben diese,
von der kritischen Forschung unserer Tage längst in das Reich der
Mythe verwiesene kartographische Darstellung des Eilands hat nicht
wenig dazu beigetragen, die alte Sage von der vormaligen gewaltigen
Ausdehnung Helgolands noch bis in die neueste Zeit hinein, und sogar in
wissenschaftlichen Lehrbüchern, aufrecht zu erhalten. Die Umrisse des
alten, von Meyer rekonstruierten Eilands verhalten sich zu denjenigen
der gegenwärtigen Insel etwa wie der Elefant zur Maus. Wenn man die
zuverlässigen und geschichtlichen Zeugnisse überblickt, so kommt man zu
dem bestimmten Schluß, daß das Eiland, soweit historische Nachrichten
zurückreichen, immer nur eine kleine, stark isolierte Insel mit einer
geringen Bewohnerzahl gewesen ist.

Daß der Umfang der Insel allmählich abnimmt und daß einmal eine
Zeit kommen muß und wird, in der die Meeresfluten ungehindert über
den Boden Helgolands dahinrollen werden, das ist jedoch sicher. Der
Verwitterungsprozeß am Gestein, hervorgerufen durch Frost, Sonnenwärme
und Niederschläge, unterstützt ferner durch die Thätigkeit gewisser
Meerestange (Laminarien) nagt unaufhaltsam an den Wänden und Klippen
des Eilands, und die zerstörende, am roten Felsen und seinen Riffen
stetig anprallende Brandungswelle übt eine noch vernichtendere Wirkung
daran aus. Wann das aber geschehen wird, das läßt sich in präzisen
Zahlen nicht ausdrücken. Der Zukunft mag’s vorbehalten bleiben, und
zweifelsohne werden noch Jahrtausende darüber hingehen bis zu dem
Zeitpunkte, an dem die letzte Felsenklippe Helgolands in die Wogen
hinabgestürzt sein wird.

Noch im siebzehnten Jahrhundert verband ein Steinwall, „de Waal“,
die Düne mit dem Unterlande Helgolands, so daß dadurch je ein nach
Norden und Süden geöffneter, halbkreisförmiger Hafen gebildet war. Im
Zusammenhang mit der Düne war ferner der in ihrem Nordwesten belegene
Klippenzug des Wite Klif. Um 1500 soll dieser weiße Gipsfelsen noch
so hoch gewesen sein, wie die Hauptinsel selbst; er verlieh der Düne
und dem Steinwall den nötigen Schutz vor dem Ansturm der Wellen, zumal
die Hauptströmung des Meeres von Nordwesten her eindrang. Nicht die
stark brandenden Wogen tragen aber die Schuld an der allmählichen
Zerstörung des Wite Klif allein, sondern die Bewohner Helgolands
selbst, indem sie Stücke von dem Felsen abtrugen und verkauften. Die
alte Bolzendahlsche Chronik der Insel verzeichnet im Jahre 1615 unter
anderen Begebenheiten auch noch den Umstand, daß „die Gips oder weiße
Kalksteine hier bey Lande bei der Wittklippe häufig vorhanden gewesen
und hat man die Last von zwölf Heringtonnen allhier verkauft vor 5
Pfund“. Am 1. November 1711, des Nachmittags um drei Uhr, wurde der
letzte damals noch vorhandene Rest des Wite Klif, „so bey zwölf Jahren
noch als ein Heuschober gestanden, durch eine hohe Fluth bey N. W. Wind
vollends umgeworfen und absorbiert“. Nach der Vernichtung des Felsens,
an den heute nur die bei tiefer Ebbe aus dem Meere hervorragende
Klippe erinnert, hielt der schmale Steinwall den Andrang der Wogen
nicht mehr lange aus. Ein „rechter Haupt-Sturm und hieselbst ein
ungemein hohes Wasser mit so grausamen Wellen, daß auch einige Häuser
und Buden bey Norden dem Lande wegspülten“, riß am Sylvesterabend und
dem darauffolgenden Neujahrstag gegen zwei Uhr den Steinwall zwischen
dem Lande und der Düne durch, „und war beynahe ein ganzes Jahr ein
Loch darin, daß man allemal mit halber Fluth mit Giollen und Chalupen
durchfahren konnte“.

Damit war die Düne für immer vom Haupteiland getrennt. Die andringenden
Wogen schwemmten die Geröllmassen und den Schutt des Steinwalls an
das Unterland an, welches dadurch bedeutend vergrößert wurde, so daß
am Strande neue Häuserreihen entstehen konnten. Dagegen nahm die Düne
besonders im Norden und Osten ab, und das blieb in der Folgezeit
lange so, bis vor etwa 30 Jahren eine allmähliche Versandung der
nordöstlichen Klippen und eine Änderung in der Strömung eintrat, die
seither eine Verringerung der Düne im Westen und eine Zunahme im Osten
bedingte. Besonders die Breite der Düne hat sich in der letzten Zeit
vergrößert, wie ihre Gestaltung denn abhängig ist von Meeresströmung
und Windrichtung, indem Nordostwinde sie verkleinern, Südwestwinde
dagegen zunehmen lassen.

Helgolands Flora stimmt, wie auch diejenige der übrigen nordfriesischen
Inseln, mit dem Pflanzenteppich der cimbrischen Halbinsel im großen und
ganzen völlig überein. Doch fehlen die Heidepflanzen hier völlig.

Sämtliche Holzpflanzen sind von Menschenhand an geschützten Orten
angepflanzt worden; in vergangenen Jahrhunderten war die Insel
baumlos. In der Gegenwart zeigt Helgoland verschiedene, teilweise
recht schöne Bäume, so den alljährlich reife Früchte tragenden, im
Jahre 1814 gepflanzten Maulbeerbaum im Garten des Pastors, die Ulmen
mit 1½ Fuß Stammesdurchmesser am Fuße der Treppe, die Ahornbäume der
Siemensterrasse im Unterland und noch andere mehr. Auf dem Oberlande,
in der Nähe des Armenhauses, dem „langen Jammer“, ist der größte
Blumengarten der Insel, eine Gärtnerei, in der neben vielen anderen
Zierpflanzen jährlich 4000 Rosenstöcke zur Blüte gelangen. Einen
Beweis der Vorliebe der Helgoländer für blühende Blumen geben die
zahlreichen Blumenstöcke und die zierlichen Gärtchen ihrer schmucken
Häuser. Bekannt ist der „Kartoffelallee“ benannte Spazierweg auf dem
Oberland, so benannt nach den an seinen beiden Seiten befindlichen
Kartoffelfeldern. Daneben wird noch etwas Klee, Gerste und Hafer
gebaut. Den Rest des Oberlandes nehmen Wiesen ein. Bei Niedrigwasser
zeigen sich rings um das Eiland weite, submarine Wiesen, von grünen,
roten und braunen Algen und Tangen bedeckt.

Ebensowenig, wie das auf den übrigen Nordseeinseln der Fall sein soll,
kommen Maulwürfe oder Spitzmäuse auf Helgoland vor. Auf der Sanddüne
haben früher Kaninchen in großer Anzahl ihr Unwesen getrieben. Durch
Unterwühlen und Abfressen der Pflanzen thaten sie großen Schaden,
so daß, wie Hallier berichtet, 1866 die Sandinsel geradezu ihres
Vegetationskleides beraubt war. In der Gegenwart dürften die kleinen
Tiere dort wohl vollständig ausgerottet sein. Haustiere, so Kühe und
besonders Schafe, werden von den Bewohnern in dem für ihren und ihrer
Badegäste Lebensunterhalt erforderlichen Verhältnis gehalten. Bei dem
in verflossenen Tagen auf dem Oberlande betriebenen Kornbau sollen auch
Pferde verwendet worden sein.

An Zugvögeln ist Helgoland besonders reich, und über 300 Vogelarten
statten im Früh- und Spätjahr auf ihren Wanderzügen der Insel ihren
Besuch ab. Unter ihnen finden sich zuweilen seltene Formen, sogar
solche aus Sibirien und Nordamerika. Möven, Taucher, Seeschwalben
und Strandläufer beleben das Eiland, auch Sperlinge fehlen nicht,
und auf einem Felsen an der Nordküste, dem Lummenfelsen, brüten die
Lummen, nordische Tauchervögel, die vom Februar bis Ende August auf
Helgoland erscheinen. Die Meeresfauna ist eine überaus reichhaltige,
und an schwülen Augustabenden rufen hier die zahlreich im oceanischen
Wasser vorhandenen Mikroorganismen die Erscheinung des Meeresleuchtens
besonders schön hervor, woran das funkelnde Leuchtbläschen (~Noctiluca
scintillans~) wohl einen Hauptanteil hat. Bei jeder Bewegung, beim
Ruderschlag, beim Hineinwerfen von Steinen ins Wasser, im Kielwasser
des Bootes und auf den Kämmen der sich überstürzenden Wellen funkelt
und erglänzt das Meer in phosphorischem Scheine.

Helgoland besitzt ein ausgeprägtes gleichmäßig mildes Seeklima und
weist infolgedessen im Spätherbst und Winteranfang (November, Dezember
und Januar) eine höhere Durchschnittstemperatur auf, als Bozen, Meran,
Montreux und Lugano. In diesen erwähnten Monaten ist die Insel, mit
zahlreichen, wahrscheinlich sämtlichen Städten Deutschlands verglichen,
der wärmste Ort. Der Herbst ist warm, der Winter mild, das Frühjahr
kalt, der Sommer kühl.

[Illustration: Abb. 135. ¯Spiekeroog.¯]



~XIII.~

Die Marschlande am linken Elbufer.


Ein breites Band fetter Marschländereien begleitet die linke Seite der
Elbe von dem aufblühenden Harburg, das durch gewaltige Elbbrücken mit
Hamburg verbunden ist (Abb. 100), an bis an die Mündungen des Stromes
in die See. Da ist zuerst vom Amte Moorburg an bis an das Ufer der
Schwinge das Alte Land, von den Schwingemündungen bis zu denjenigen der
Oste das Land Kehdingen, dann an der Oste die Ostemarsch, als schmaler,
sich südlich in die Geest hineinziehender Landstreifen zwischen
Kehdingen und dem Lande Hadeln. Dieses grenzt seinerseits an das Land
Wursten, das wir bei Besprechung der Marschen auf dem rechten Weserufer
kennen lernen werden.

[Sidenote: Das alte Land.]

Das Alte Land betreibt den Obstbau im großen und im Frühjahr, wenn
die zahllosen Kirschen-, Zwetschen- und Apfelbäume in Blüte stehen,
bietet es ein Landschaftsbild von besonderer Pracht dar. Alle Häuser
sind umgeben von den eben genannten Obstbäumen, zwischen denen auch
Walnuß- und Birnbäume in geringerer Menge zu sehen sind, und wo nur ein
Fleckchen frei ist, selbst auf den Deichen, werden dieselben bepflanzt.
Der Export des gewonnenen Obstes ist ein ungemein bedeutender und geht
neben Hamburg besonders in den Norden, so nach Dänemark, Schweden und
Norwegen und nach Rußland, selbst nach London. Daneben werden Ackerbau
und Viehzucht nicht vernachlässigt, von welchem etwa die Hälfte der
Bevölkerung lebt, -- in Bezug auf das Großvieh nimmt das „Alte Land“
eine bedeutende Stellung ein -- ebenso wird in einzelnen Gegenden viel
Gemüse, unter anderem besonders Meerrettich kultiviert. Die Einwohner
sind eingewanderte Niederländer, höchst wahrscheinlich Flamländer und
die lebendigsten und rührigsten sämtlicher Marschbewohner. Ihre Frauen
und Mädchen gelten als die schönsten und zierlichsten der Marschlande
überhaupt. Ihre eigenartig eingerichteten Häuser mit dem farben- und
formenreichen Vordergiebel, die Wahrzeichen an denselben, zwei Schwäne
darstellend, deren jeder sich in die Brust beißt, ihre schön gepflegten
Hausgärten und kleidsame, aber mehr und mehr in Abgang kommende Tracht,
sowie eine Anzahl besonderer Gebräuche und Sitten unterscheidet die
Altenländer scharf von ihren sächsischen Nachbarn.

[Sidenote: Buxtehude.]

Das Alte Land -- der Sitz seines Amtsbezirkes ist Jork mit Amtsgericht
und Superintendenten -- wird von der unterhalb Buxtehude in dasselbe
eintretenden Este und von der Lühe durchflossen. Am östlichen Rande
des Alten Landes liegt das gewerbreiche Buxtehude an der schiffbaren
Este. Die Stadt, welche vor Zeiten Mitglied des Hansabundes gewesen
ist, zählt gegenwärtig an 3600 Einwohner. Ihre drei Thore, das Marsch-,
Geest- und Moorthor, lassen die Lage der Stadt sofort erkennen, doch
ist sie selbst auf Moorboden erbaut. Schöne Laubwaldungen befinden sich
auf der nahen Geest und tragen dazu bei, Buxtehude zu einem hübschen
Aufenthaltsort zu stempeln. Schon im siebzehnten Jahrhundert ist es
„eine feine und lustige Stadt“ genannt worden, ein Ehrentitel, den
sie, wie man sagt, heute auch noch verdienen soll. Buxtehude liegt
an der Bahnlinie von Harburg nach Cuxhaven, die sich bis Kadenberge
teils dem Geestrande entlang zieht, teils auf dieser selbst erbaut ist
und erst von dort ab die Marsch des Landes Hadeln durchquert. Diese
Bahnlinie berührt nördlich von Buxtehude das ebenfalls am Geestrande
erbaute Horneburg an der Lühe mit einer vorwiegend Ackerbau treibenden
Bevölkerung.

[Illustration: Abb. 136. ¯Dorfstraße in Spiekeroog.¯]

[Sidenote: Land Kehdingen.]

In großem Gegensatze mit dem obstreichen Alten Lande steht das Land
Kehdingen mit seiner ausgedehnten Wiesen- und Weidenwirtschaft und
seinen gut bestellten Äckern. Dieses lange, aber ziemlich schmale
Marschgebiet wird von hohen Deichen umsäumt, denen es auch seinen Namen
verdankt. Kehdingen (von Kaje-Deich) bedeutet ein gedeichtes Land.
Sächsische Stämme haben vom Geestrücken bei Kadenberge her den Norden
und von Stade aus den Süden besiedelt, Friesen sind später, von den
Erzbischöfen zur Urbarmachung des Moor- und Buschlandes herbeigezogen,
dazu gekommen. Die Bevölkerung treibt Viehzucht, in neuerer Zeit auch
Pferdezucht, und Ackerbau, der des schwer zu pflügenden Bodens wegen
zwar mühsam, doch um so lohnender ist. An den schlammigen Ufern der
Elbe wächst viel Rohr, hier Reet oder Reit genannt, das gewonnen und
zur Bedachung der Häuser verwendet wird. Auch Weiden werden gepflanzt
und zu gewerblichen Zwecken verbraucht.

Der Mittelpunkt des Amtsbezirkes ist Freiburg, das durch das Freiburger
Tief, einen zwei Meter tiefen Kanal, mit der Elbe in Verbindung steht.
Die Ortschaften liegen entweder langgestreckt an der das Land der Länge
nach durchziehenden Landstraße, so Assel, Neuland, Hammelwörden u.
s. f., die jede mehr als 1000 Einwohner besitzen, oder auch am Rande
des Kehdinger Moores, welches Kehdingen im Westen vom eigentlichen
Geestrücken trennt.

[Illustration: Abb. 137. ¯Spiekeroog. Teil des Dorfes.¯]

Am Südrande dieser Moorbildung, auf einem Ausläufer der Geest gegen
die Marsch treffen wir Stade an der schiffbaren Schwinge mit über
10000 Einwohnern, Hauptstadt des Regierungsbezirks und des Herzogtums
Bremen, ehemals ein bedeutender Handelsort und Hansestadt. Stade
hat viel industrielles Leben (Cigarrenfabrik, Eisengießereien,
Maschinenfabriken) und betreibt Fischerei und Schiffahrt. Es ist
Station der Eisenbahnlinie Harburg-Cuxhaven und ferner durch einen
weiteren Schienenstrang von 69 Kilometer Länge über Bremervörde mit
Geestemünde in Verbindung. In geschichtlicher Hinsicht ist diese Stadt
durch verschiedene Ereignisse bekannt geworden, so durch die Belagerung
durch Tilly, dem es sich am 5. Mai 1628 ergeben mußte, durch den großen
Brand vom 26. Mai 1659, sowie durch die Belagerung der Dänen, vor denen
es nach heftiger Beschießung am 7. September 1712 kapitulierte.

Um und in Stade treten Gebilde des permischen Systems, rote
Zechsteinletten, auf, und fiskalische Bohrungen haben daselbst in
etwa 180 Meter Tiefe eine sehr gesättigte Sole erschrotet. Gleiches
war in der Nähe, bei Campe, der Fall, wo die Sole schon bei 162 Meter
erschlossen wurde. An der Mündung der Schwinge ist die Schwinger
Schanze und das Dorf Brunshausen, wo früher der 1861 abgelöste Stader-
oder Elbzoll erhoben worden ist, und die transatlantischen Dampfer der
Hamburger Linien zu leichtern pflegen.

Die Ostemarsch beginnt mit einer schmalen Zunge, die südlich bis in die
Gegend von Kranenburg reicht, füllt anfänglich den Raum zwischen den
Krümmungen des Flusses aus, um sich dann allmählich zu verbreitern,
indem sie sich auf dem rechten Ufer schneller entwickelt, als auf
dem linken. Zahlreiche Ortschaften, darunter welche mit mehr als
1000 Bewohnern (Hüll, Altendorf, Isensee u. s. f.), teils am Rande
der Geest, teils im Marschland selbst belegen, gehören zu diesem
Gebiet, das bei Neuhaus an die Elbe tritt und durch den Hadeler Kanal
vom Lande Hadeln geschieden wird. Ackerbau und Viehzucht bilden die
Haupterwerbszweige der Bewohner. Die untere Ostemarsch hat Neuhaus an
der Oste (mit etwa 1500 Seelen) mit lebhafter Schiffahrt zum Hauptort,
die obere Ostemarsch bildet einen eigenen Amtsbezirk mit Oste (etwa 850
Einwohner) als Mittelpunkt.

[Sidenote: Land Hadeln.]

Vor Ablagerung der Marsch war das heutige Land Hadeln zum größten Teile
ein tief in die Geest hineinschneidender Meerbusen zwischen Wingst und
Hoher-Lieth. Allmählich wurde derselbe von Schlick ausgefüllt, und nur
in der Innenseite, welche bei der Marschbildung immer niedriger bleibt,
erhielt sich das Wasser, und in ihr bildete sich das ausgedehnte
Moor, welches Hadeln im Süden bedeckt. Das abgelagerte Marschland
hat die Gestalt eines Dreiecks, dessen Grundlinie nach der Elbe
zu, dessen Spitze aber im Süden liegt. Der nach dem Flusse zu sich
erstreckende Teil der Marsch ist höher als das innere Gebiet, und so
unterscheidet man das äußere „Hochland“ von dem inneren „Sietland“
(Niedrigland), die beide heute noch politisch getrennte Gebiete bilden.
Letzteres, an der Grenze der Moore mit ihren Seen belegen, war im
Winter stets Ueberschwemmungen ausgesetzt und drohte zu versumpfen,
da die beiden Flüsse, die Aue und die Gösche, es nicht hinreichend
entwässern konnten. Um dem Abhilfe zu schaffen, wurde von 1854 bis
1856 der Hadeler Kanal gegraben, der nach Norden mit der Elbe in
Verbindung steht, und 1860 begann man den Geestekanal zu schaffen,
der nach Süden zur Geeste verläuft. Beide Kanäle haben ihren Ausgang
im Bederkesaer See. Durch eine große Schleuse ist der Kanal mit der
Medem in Verbindung, welche nördlich von Oster-Ihlienworth aus der
Vereinigung der Gösche und Aue entsteht und in vielen Krümmungen den
Deich erreicht. Die „torfgefärbte Mäme“ hat der Dichter J. H. Voß
diesen Fluß genannt. Geeste- und Hadeler Kanal sind zusammen 43,5
Kilometer lang und dienen neben den Zwecken der Entwässerung des Landes
auch der Schiffahrt, da sie bei gewöhnlichem Wasserstande 1,5 Meter
Tiefe besitzen, so daß Schiffe bis zu 16 Tonnen von der Elbe zur Weser
gelangen können. Durchschnittlich wird diese Wasserstraße jährlich von
700–800 Fahrzeugen benützt.

Die ausgedehnten Moorländereien des Südens (20,8% des Gesamtareals von
Hadeln) sind nur teilweise entwässert und in Kultur genommen und werden
nur zum Torfstich benützt. Das Wasser aus dem Westermoor führt die
unterhalb Altenbruch in die Elbe fallende Bracke ab, das Wannaer Moor
entwässert die Emmelcke, ein Nebenfluß der Aue. An das letztgenannte
Moor grenzt die kleine gleichnamige Geestinsel mit dem Kirchspiel
Wanna, aus leichtem, mit Heidekraut bewachsenem Sandboden bestehend.
Der Boden der Hadeler Marsch selbst ist nicht so schwer, als derjenige
Kehdingens und darum zum Ackerbau auch sehr geeignet. Sein Untergrund
besteht aus einem kalkreichen Schlick, der aus der Tiefe an die
Oberfläche gebracht und mit Dünger und Ackerkrume vermischt, dem Boden
eine besondere Ertragsfähigkeit gibt. Man nennt diese Bodenumarbeitung
das Kuhlen; trotz seiner Kostspieligkeit trägt es reichlich Zinsen.
Die Viehzucht tritt in Hadeln zurück, dafür blüht der Ackerbau um so
mehr, und im Sommer ist das Marschland von einem Ende zum anderen
ein prächtig wogendes Saatenmeer. Raps, Weizen und Roggen bilden den
Hauptbestand der Felder.

[Illustration: Abb. 138. ¯Langeoog, von der westlichen Kaapdüne
gesehen.¯]

[Illustration: Abb. 139. ¯Langeoog, Abtei und Blick auf die Nordsee.¯]

Hadelns Bewohner sind rein sächsischen Stammes, und unter allen
Marschen hat dieses Land seine Eigentümlichkeiten und Freiheiten
(Hadelnsche Provinzialstände u. s. f.) am treusten bewahrt. Politisch
zerfällt das Land in drei Verbände, in die Stadt Otterndorf, Kreisstadt
und Amtsgericht, der Mittelpunkt des Landes, in dem sich Hadelns
Handel und Verkehr vereinigt, in das Hochland und in das Sietland.
Otterndorf, ein altmodisches, aber freundliches Landstädtchen, in das
noch vor einigen Jahrzehnten ein altes Burgthor führte, geschmückt mit
dem lauenburgischen und dem Stadtwappen, einer Otter (Fischotter) über
dem sächsischen „Rautenkranze“, wie Allmers schreibt, hat eine höhere
Bürgerschule, die früher als Progymnasium existierte, und an welcher
der Dichter Johann Heinrich Voß einst Prorektor gewesen ist. Die
einzelnen Ortschaften,

  -- -- die Wohnung ländlicher Freiheit,
  Durch die Gefilde verstreut, jede von Eschen begrünt --

liegen auf einen weiten Raum verteilt, die größeren Höfe vereinzelt.
Noch mehr Bewohner, als Otterndorf (etwa 1760 Seelen) zählt die
Gemeinde Altenbruch (2200 Seelen) mit der ältesten und bedeutendsten,
einen berühmten Altarschrein aus dem Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts bergenden zweitürmigen Kirche. Neben Altenbruch sei hier
noch Lüdingworth, der Geburtsort des bekannten Reisenden Karsten
Niebuhr, erwähnt.

[Illustration: Abb. 140. ¯Langeoog-Dünen mit Blick auf das Dorf.¯]



~XIV.~

Das Geestland zwischen Unterelbe und Unterweser.


[Sidenote: Geestland zwischen Unterelbe und Unterweser.]

Die im vorigen beschriebenen Marschlande am linken Elbufer umschließen
zusammen mit den im folgenden Abschnitte zu besprechenden Marschen von
Osterstade, Wührden, Vieland und Wursten ein weites und großes Areal,
das zum allergrößten Teile den ehemaligen Herzogtümern Bremen und
Verden angehört hat und in der Gegenwart der Hauptsache nach unter der
Verwaltung der Landdrostei resp. des Regierungsbezirkes Stade steht.

Das Teufelsmoor und die ausgedehnten Moore an der Oste trennen das
Geestland unseres Areals in zwei Hälften, in eine östliche und in
eine westliche, die durch einen schmalen Arm bei Bremervörde, etwa im
Mittelpunkt des Landes miteinander in Verbindung stehen. Im Nordosten
reicht der östliche Teil bis an die Elbmarschen, westlich wird
derselbe vom Teufelsmoor und dem mittleren Thal der Oste begrenzt.
Wir unterscheiden in seinem Gebiet verschiedene scharf ausgeprägte
Rücken, so denjenigen von Zeven im Süden, am Oberlaufe der Oste, in der
Mitte den Rücken von Harsefeld, und nördlich von diesem und durch die
Schwinge getrennt, denjenigen von Himmelpforten.

Bei Bremervörde durchbricht die Oste das auf 3,5 Kilometer
zusammengedrängte Verbindungsglied der östlichen und westlichen Hälfte.
Letztere tritt im Süden und im Westen an den Weserstrom, während ihr
nördliches Ende im Amte Ritzebüttel die Elbe erreicht und hier auf
eine kurze Strecke die Deiche überflüssig macht. Ein schmaler Rücken,
vom Verbindungsraume bei Bremervörde ausgehend, zieht zwischen dem
langen und großen Moore hin und teilt sich wieder in die Hügelgruppen
des Westerbergs und der Wingst; letztere bildet in den sie umgebenden
Marschen eine weithin sichtbare Marke. Ein zweiter Zug folgt beiden
Seiten der Geest; sein südlicher Teil dacht sich allmählich zum
Vielande hin ab, der nördliche hingegen kehrt sich zwischen Geest und
den Hadeler Mooren nach Norden und endet mit Sanddünen an der äußersten
Landesspitze. Als öder Heiderücken der Hohen Lieth scheidet er Hadeln
von Wursten. Südlich von der Lüne endlich, zwischen dem Teufelsmoor und
der Weser ist ein weiterer Geestrücken entwickelt, der von Süden an in
Höhe zunimmt und die Garlstedter und Brundorfer Heide trägt. Er fällt
im Süden steil in das Thal der Lesum und Weser ab, letztere dadurch zur
westlichen Richtung zwingend.

[Illustration: Abb. 141. ¯Langeoog, Badestrand und Badewärter.¯

(Nach einer Photographie von A. Overbeck in Düsseldorf.)]

Das Land bildet eine 10–20 Meter hohe, von zahlreichen Bächen und
Flüssen durchflossene leichtwellige Ebene, deren höchste Punkte 80
Meter nicht erreichen (Camper Höhe bei Stade 24 Meter; Litberg bei
Sauensiek auf dem Harsfelder Rücken 65 Meter; Lohberg auf dem Rücken
von Himmelpforten 42 Meter; Wingst 74 Meter; Hohe Lieth bei Altenwalde
31 Meter; höchster Punkt der Garlstedter Heide 45 Meter).

[Illustration: Abb. 142. ¯Langeoog. Neutraler Strand mit der
gestrandeten „Aurora“.¯

(Nach einer Photographie von A. Overbeck in Düsseldorf.)]

[Sidenote: Grünlandsmoore.]

Im Gebiete des Regierungsbezirks Stade werden 183576 Hektare oder 28%
der Gesamtfläche des Landes von Mooren bedeckt (der Regierungsbezirk
Osnabrück enthält deren nur 20,5% und der von Aurich 24,6% seines
Areals). Kein einziger Amtsbezirk unseres Areals ist ohne Moore, die im
Amte Lilienthal an der Grenze des Bremerlandes 80% des Flächeninhalts
ausmachen, dagegen in anderen, so im Amte Jork, nur wiederum 0,7%.
Die Moore, die sich zwischen Marsch und Geest oder auch zwischen zwei
Marschgebieten hinziehen, nennen wir Randmoore. Es sind größtenteils
Grünlands- resp. Wiesenmoore, mit scharfem Absatz gegen die Geest, aber
nur allmählich durch „anmooriges Land“, welches meist tiefer liegt als
das Moor und die Marsch, in diese übergehend. Hierher zu rechnen sind
das Altenländer Moor, das Kehdinger Moor, die unteren Oste-Moore, die
Hadeler Moore, die Osterstader Moore. Moore, die sich in Niederungen
oder auf beinahe horizontal liegenden Flächen der Geest gebildet
haben, bezeichnet man als Binnenmoore. Es sind fast nur Hochmoore.
Als Beispiel dieser auf unserem Gebiete sehr verbreiteten Moore möge
der größte hierher gehörige Moordistrikt dienen, das Teufelsmoor, das
sich nördlich von dem flachen Bremer Gebiet keilartig in die Geest
hineinschiebt.

[Sidenote: Die Moorkulturen.]

Die von Holland zu uns herübergekommene Art der Moornutzung, das
Moorbrennen oder die Moorbrandkultur, deren Wirkungen sich im weiten
Umkreise durch den Moor- oder Höhenrauch in so unangenehmer Weise
bemerkbar machen, hat sehr wenig segenbringend gewirkt, und da, wo
solche Hochmoorsiedelungen lediglich auf Grundlage des Moorbrennens
angelegt wurden, ohne vorherige Aufschließung der Moore durch Kanäle
und Wege u. s. f., verfielen dieselben meist schon nach kurzer Zeit dem
allergrößten Elend.

Dagegen hat eine zweite Form der Hochmoorkultur, gleichfalls
holländischer Herkunft, sehr segensreich gewirkt, die Fehnkultur
oder Sandmischkultur, welche den Zweck hat, die unter den Torfmooren
befindlichen Landflächen urbar und der Kultur zugänglich zu machen.
Es kommt dabei auch darauf an, den abgegrabenen Torf zu verwerten und
ihm billige Transportwege zu eröffnen, und zu diesem Behufe legt man
von dem zunächst befindlichen Wasserlaufe Kanäle in das Moor hinein
an, die mit Schiffen befahren werden können, die Fehnkanäle, an die
sich wiederum im Laufe der fortschreitenden Unternehmung Seiten-
und Parallelkanäle anschließen. Durch dieses Netz von Wasserstraßen
wird außerdem noch für die notwendige Entwässerung des in Fehnkultur
begriffenen Areals gesorgt. Die abgetorften Ländereien werden mit
Seeschlick, mit Kleierde, mit Sand und mit Dünger bedeckt und dann
bebaut.

Die Fehnkultur ist um den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts in
Holland zuerst aufgekommen, und im Jahre 1630 brachte der Graf
Landsberg-Velen diese Art der Moorbebauung bereits in Anwendung auf
deutschem Boden, indem er die Kolonie Papenborg, das heutige Papenburg,
anlegte, eine aufblühende Stadt im Regierungsbezirk Osnabrück, mit etwa
7000 Einwohnern, dem Muster einer Fehnkolonie. Die deutschen Fehnkanäle
haben zur Zeit eine Gesamtlänge von 195,8 Kilometer.

Fehnkolonien befinden sich besonders in Ostfriesland und im
Oldenburgischen. In einem gewissen Gegensatz zu denselben stehen
die Moorkolonien, die nicht die Bebauung des Mooruntergrundes,
sondern der Mooroberfläche selbst als Endzweck haben. Das preußische
Landwirtschafts-Ministerium hat es als eine seiner vornehmsten
Aufgaben erachtet, die Moorkultur immer mehr und mehr thatkräftig
zu fördern. Zu diesem Zweck wurde von dieser Behörde in Bremen
eine Moorversuchsstation gegründet, welche durch wissenschaftliche
Forschungen die Eigenschaften und Eigenarten des Hochmoorbodens
feststellen und zugleich durch praktische Versuche in den Mooren
selbst neue Hilfsmittel für die Hochmoorkultur schaffen soll. An
den verschiedensten Stellen des Areals zwischen Elbe und Weser und
Ostfrieslands sind neue Moorsiedelungen unter der Leitung der Regierung
entstanden, und im letztgenannten Lande ist diesen Unternehmungen
die Erschließung der weiten Flächen durch den Ems-Jade- und den
Süd-Nord-Kanal sehr zu statten gekommen. Im Jahre 1890 bestanden
im deutschen Flachlande westlich der Elbe (Regierungsbezirk Stade,
Osnabrück und Aurich, sowie Oldenburg) bereits über 250 Moorkolonien
von 55000 Hektaren Gesamtareal und mit 60000 Einwohnern. Das Gebiet
von Waakhausen am südlichen Ufer der Hamme zeichnet sich durch sein
weit und breit bekanntes „schwimmendes Land“ aus. Es ist dasselbe ein
Grünlandmoor von noch unsolider Beschaffenheit, an seiner Oberfläche
mit einer festen Borke versehen, die aus verfilztem Wurzelgeflecht
besteht, aber eine Verbindung mit dem Untergrunde noch vermissen läßt.
Die zwischenliegende Schicht ist ein schlammiger Moorboden, der sich
mit steigendem Wasser ausdehnt und die obere Schicht, solange sie nicht
zu schwer ist, hebt. Bei eintretendem niedrigen Wasserstand senkt sich
das Moor wieder und das Land erhält seine frühere Lage zurück. Die
Häuser auf dem schwimmenden Lande sind auf Wurten gebaut, die auf dem
festen Untergrunde aufgeschüttet sind, und infolge des wechselnden
Wasserstandes bald auf Hügel erbaut zu sein, bald in Vertiefungen zu
stehen scheinen, da sie von den Hebungen und Senkungen des schwimmenden
Landes ja selbst unberührt bleiben. Da aber auch der Untergrund, der
die Wurten trägt, nicht sehr fest ist, und diese letzteren erst mit der
Zeit beständiger werden, so senken sich oftmals die auf neuen Wurten
erbauten Häuser oder sie werden schief und müssen dann geschroben
werden, meistens alle zehn Jahre. Darum sind alte Wurten gesuchte
Grundstücke. Ähnliche schwimmende Ländereien haben auch das Altländer
Moor (bei Dammhausen) und das Oldenburger Land an verschiedenen Stellen
aufzuweisen.

[Illustration: Abb. 143. ¯Baltrum, Ostdorf.¯

(Nach einer Photographie von A. Overbeck in Düsseldorf.)]

Nahe bei Waakhausen liegt das Malerdorf Worpswede, von dem im nächsten
Abschnitt noch etwas eingehender die Rede sein wird.

Südlich der Hamme trifft man ein weites Niederungsgebiet, das St.
Jürgens-Land, ein großes Wiesenmoor, das von mehreren Kanälen und
zahllosen Gräben durchzogen wird, aber auch stellenweise größere
Wasserflächen neben einer Unmenge von „Braaken und Kuhlen“ besitzt.
Es ist 4569 Hektare groß. Vom Oktober bis April ist das Land meist
überschwemmt, und selbst im Sommer treten zuweilen noch Überflutungen
ein. Das Leben der Bewohner hat sich den Verhältnissen angepaßt, und
der Verkehr zwischen den einzelnen Wurten geschieht fast nur zu Boot.
Die das Land durchquerende Landstraße ist im Winter meist nicht zu
benutzen.

[Illustration: Abb. 144. ¯Baltrum, Westdorf.¯

(Nach einer Photographie von A. Overbeck in Düsseldorf.)]

Die zahlreichen Wasserläufe, welche das hier besprochene Gebiet
durchziehen, haben wir zum größten Teil schon da und dort kennen
gelernt. Im Südosten tritt die Este in unser Gebiet, der weiter
nördlich die Horneburg bespülende Lühe, in ihrem Oberlauf Aue genannt,
folgt, hierauf die durch den Elmer Schiffgraben mit der Oste in
Verbindung stehende Schwinge, die Oste und die aus Aue und Gösche
entstandene Medem. Diese alle sind der Elbe tributpflichtig. Im Westen,
als Nebenflüsse der Weser, treffen wir die Geeste, die Lüne und die
Drepte und noch weiter südlich die Lesum, wie die Vereinigung der
aus dem Moorlande herauskommenden Hamme mit der langen, unser Areal
im Süden begrenzenden Wümme heißt. Größere Wasserbecken weist der
Nordwesten und Norden des Landes zwischen Elbe und Weser auf, so den
Balksee, dem der Remperbach das Wasser des nördlichen Westerberges
und der südlichen Wingst zuführt. Seine öde, unwirtliche und schwer
zugängliche Umgebung hat ihn beim Volke zum Schauplatz schauriger Sagen
gestempelt. Durch schöne Waldungen und liebliche Umgebung ist der See
von Bederkesa ausgezeichnet, die Dahlemer, Halemmer und Flögelner Seen
sind mit der Hadelner Aue verbunden, in der Nähe des Hymensees war im
Mittelalter ein berühmter Falkenfang.

[Illustration: Abb. 145. ¯Baltrum, Pfahlwerk in Sturmflut.¯

(Nach einer Photographie von A. Overbeck in Düsseldorf.)]

Neben den Gebilden des Diluviums und Alluviums, welche der Hauptsache
nach den Boden des Landes zwischen Unterelbe und Unterweser bilden,
treffen wir noch einige ältere Formationsglieder in unserem Gebiete an.
Der Zechsteinletten von Stade ist bereits Erwähnung gethan worden. Am
Südostrande der Wingst, bei Hemmoor, treten die Schichten der oberen
weißen Kreide auf, welche daselbst die Veranlassung einer bedeutenden
Cementfabrikation geworden sind, neben verschiedenen tertiären
Sedimenten (eocäner Thon u. a. m.). Tertiäre Ablagerungen sind noch da
und dort im Lande zerstreut.

[Sidenote: Bremervörde. Harburg.]

Die wichtigeren Niederlassungen im Osten des Landes sind bereits
aufgeführt worden. Von den Ortschaften im Inneren ist das beinahe
central gelegene Bremervörde an der Oste, 1852 zur Stadt erhoben, die
bedeutendste. Es lebt hauptsächlich von Ackerbau. Doch treibt es auch
etwas Handel. Die Flut der Oste steigt bis hierher, so daß Bremervörde
für die Elbschiffe zugänglich ist, die besonders Holz aus den
benachbarten größeren Waldungen und Torf verfrachten und hauptsächlich
in Hamburg absetzen, jährlich etwa 4500 Ewerladungen Torf und an 300
solcher mit Holz. Die Einwohnerzahl beträgt etwa 2920 Seelen. Zeven
im Süden, ehemals Sitz eines Nonnenklosters vom Orden St. Benedikts,
hat etwas über 1250 Bewohner. Es wird in der Kriegsgeschichte
Niedersachsens oftmals genannt und ist durch den hier zwischen dem
Herzog von Cumberland und dem Herzog von Richelieu am 8. September 1757
abgeschlossenen Vertrag (Konvention von Kloster Zeven) noch besonders
bekannt geworden. Bederkesa, durch einen Schienenstrang mit Lehe
verbunden, am gleichnamigen, schon weiter oben erwähnten See, mit einem
Lehrerseminar, hat gegenwärtig etwa 1300 Einwohner. Reger Fabrikbetrieb
und große industrielle Thätigkeit entfaltet das an der Süderelbe
belegene, rasch aufblühende Harburg. Die gegenwärtig von 49000 Seelen
bevölkerte Stadt hat einen bedeutenden Schiffahrtsverkehr; mehr als
700 Seeschiffe laufen jährlich im Harburger Hafen ein. Die Bahnlinie
Hamburg-Hannover-Cassel berührt Harburg und überquert die zwischen
dieser Stadt und Hamburg dahinziehenden beiden Elbarme auf zwei großen
eisernen Brücken. Harburg ist ferner Knotenpunkt für die Linie nach
Cuxhaven und nach Bremen. Letztere ist 114,5 Kilometer lang und führt
über Buchholz und den im dreißigjährigen Kriege vielgenannten Flecken
Rotenburg (2350 Einw.). Die Cuxhavener Bahn ist besonders wichtig,
seit sie von Stade und von Cuxhaven Verbindung mit Bremerhaven hat.
Die Lande am rechten Weserufer mit ihren Städten, Flecken und Dörfern
werden wir im Anschluß an die Beschreibung von Bremen im folgenden
Abschnitt kennen lernen.



~XV.~

Bremen und die Marschlande am rechten Ufer der Weser.


Das Gebiet der freien Handelsstadt Bremen umfaßt ein Areal von 255,56
Quadratkilometer, von denen 23,12 Quadratkilometer auf die Stadt
selbst, 226,33 Quadratkilometer auf das Landgebiet des Freistaates
fallen. Letzteres gliedert sich in das Blockland im Nordosten, in
das Hollerland im Osten, in das Werderland im Nordwesten und das
Niedervieland im Westen. Im Süden der Stadt liegt dann noch das
Obervieland. Der Boden des Freistaates besteht aus Geest und aus
Marschland, im äußersten Nordwesten nimmt auch Hochmoor an dessen
Zusammensetzung teil.

[Sidenote: Die Weser.]

Bremens Lebensader ist die Weser (Oberweser von Münden bis Bremen,
Unterweser von Bremen bis Bremerhaven, Außenweser von Bremerhaven bis
zur eigentlichen Mündung, den untersten Flußtrichter begreifend).
Früher konnten nur flachgehende Fahrzeuge nach Bremen hinaufgelangen.
Da der Tiefgang der Schiffe mit der Zeit zunahm, die Versandung des
Weserstroms aber stärker wurde, so entstand im siebzehnten Jahrhundert
der Hafen von Vegesack, 17 Kilometer stromabwärts von Bremen, aber
schon bald darauf mußten größere Fahrzeuge noch weiter unterhalb,
in Elsfleth und Brake, vor Anker gehen. Der aufblühende Handel der
alten Hansestadt verlangte gebieterisch die Anlage eines geeigneten
Hafens für Schiffe mit größerem Tiefgange, und so wurde um das Jahr
1830 ein solcher bei Bremerhaven gebaut, auf den wir später noch
zurückkommen werden. Mit der Zeit trat aber der Umstand deutlich
zum Vorschein, daß Bremen selbst wieder zum Seehafen werden mußte,
wenn es seine Stellung auf dem Weltmarkt ebenbürtig neben Hamburg,
Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen behaupten wollte. Nachdem sich
Bremen 1884 zum Zollanschluß bereit erklärt hatte, ging man zuerst
an die Erweiterung der Hafenanlagen der Stadt. Unter der bewährten
Leitung des Oberbaudirektors Franzius erstand so in dem ein Areal von
90 Hektaren umfassenden Freibezirk der 22 Hektare große, 2000 Meter
lange, 120 Meter breite und 7,8 Meter tiefe Freihafen mit seinen
Verwaltungsgebäuden, Warenschuppen, hydraulischen Kränen u. s. f. Den
Hafen umschließt eine große Kaimauer, deren Oberkante 5 Meter über
Null, im ganzen 7,2 Meter hoch liegt, eine 5 Meter breite Sohle besitzt
und auf einem Pfahlrost steht, der auf 30000 Rundpfählen von großer
Stärke ruht. Die Gesamtkosten des Zollanschlusses Bremens an das Reich
wurden auf 34,5 Millionen Mark berechnet, wozu das Reich selbst zwölf
Millionen beigesteuert hat. Und schon wieder ist Bremen im Begriff,
seine Hafenbauten mehr als zu verdoppeln und über 40 Millionen Mark
für die Verbesserung seiner Verkehrsanlagen auszuwerfen. Durch die
fortgesetzte Korrektion der Unter- und der Außenweser ist dieser
Strom nämlich im Begriff, sich zu einer Wasserstraße ersten Ranges zu
entwickeln.

[Illustration: Abb. 146. ¯Haus in den Dünen von Baltrum.¯

(Nach einer Photographie von A. Overbeck in Düsseldorf.)]

[Sidenote: Die Weserkorrektion.]

Die nutzbare Wassertiefe der Unterweser bei gewöhnlichem Hochwasser
betrug früher etwa 2,75 Meter. Infolge der nach den Plänen von
Franzius ausgeführten und im Jahre 1887 in Angriff genommenen
Korrektionsarbeiten war schon im Jahre 1894 eine nutzbare Wassertiefe
von 5,4 Meter erreicht. Die Deckung der über 30 Millionen betragenden
Kosten dieses riesigen Unternehmens wurde ebenfalls mit Beihilfe des
Reiches erreicht, indem ein Reichsgesetz vom 5. April 1886 Bremen
ermächtigt, auf der Strecke Bremen-Bremerhaven von allen über 300
Kubikmeter Raum besitzenden Schiffen eine Abgabe zu erheben, sobald
Fahrzeuge mit fünf Meter Tiefgang dort fahren könnten. Doch darf
dieselbe nur von solchen Ladungen erhoben werden, welche aus See nach
bremischen Häfen oberhalb Bremerhavens bestimmt sind oder von solchen
Häfen nach See gehen, also nicht von den für die oldenburgischen Häfen
Brake, Elsfleth u. s. f. bestimmten Schiffen.

Mit dem 1. April 1895 konnte diese Schiffahrtsabgabe zum erstenmal
erhoben werden, und der Erfolg war der, daß an Stelle der 3 Schiffe mit
4,5–5 Meter Tiefgang, welche 1891 nach Bremen kamen, dies 1896 schon
300 waren, daß die Verzinsung des Anlagekapitals nicht, wie vorsichtig
veranschlagt, nach 28 Jahren, sondern schon nach drei Jahren eintrat,
und daß der Handel Bremens sich schon jetzt auf das Fünffache gehoben
hat.

[Illustration: Abb. 147. ¯Landungsbuhne von Baltrum.¯

(Nach einer Photographie von A. Overbeck in Düsseldorf.)]

Infolge dieses überraschend günstigen Ergebnisses schlossen Preußen,
Bremen und Oldenburg ein Abkommen miteinander, dahinzielend, die
Außenweser unterhalb Bremerhaven auf acht Meter unter Niedrigwasser
zu vertiefen, so daß die großen Kriegs- und Handelsschiffe bei ihrem
Ein- und Auslaufen nicht mehr an die Zeit des Hochwassers gebunden sein
werden. Die Ausführung der Arbeiten wurde Bremen übertragen, und die
bisherigen Fortschritte derselben berechtigen zu den weitestgehenden
Hoffnungen. Gleichzeitig mit dieser Unternehmung ist auch eine
Erweiterung der Hafenanlagen in Bremerhaven in Angriff genommen worden.

Bremen besitzt gegenwärtig 517 Schiffe mit 556665 Registertonnen,
darunter 225 Dampfer mit 285500 Registertonnen. Darunter sind, wie
ebenfalls in der Hamburger Flotte, die größten Oceanriesen. Deutschland
besitzt über 20 Dampfer von mehr als 10000 Tonnen, mehr, als irgend
eine andere Nation der Erde.

[Sidenote: Bremens Schiffahrt und Handel.]

Bereits im Jahre 1773 machte man von Bremen aus den ersten Versuch
einer Fahrt nach Amerika, welcher mißlang, aber zehn Jahre später einen
weiteren zur Folge hatte, der so günstig verlief, daß schon um 1796
etwa 70 Bremer Schiffe in der Amerikafahrt beschäftigt waren. Den im
folgenden Jahrhundert sich rasch steigernden überseeischen Verkehr
nahm auch Bremen wahr und trotz der damals noch geringen Erfahrungen
und des allgemein herrschenden Mißtrauens gegen eine transatlantische
Verbindung mittels Dampfschiffe erkannten Mitte der fünfziger Jahre
weitblickende Bremer Kaufleute, an ihrer Spitze H. H. Meyer, die
weltumgestaltende Bedeutung des Dampfes und gründeten im Jahre 1857
den Norddeutschen Lloyd mit drei Millionen Thaler Gold als Kapital.
Die vier in England gebauten Dampfschiffe „Bremen“, „New-York“,
„Hudson“ und „Weser“ sind die ersten der neuen Gesellschaft gewesen,
die gegenwärtig 69 Seedampfer, davon 10 im Bau, 36 Küstendampfer,
davon ebenfalls 10 im Bau, 24 Flußdampfer, das Schulschiff „Herzogin
Sophie Charlotte“ und 114 Leichterfahrzeuge und Kohlenprähme zählt,
mit einem Gesamtraumgehalt von 506754 Registertonnen. Die großen
neuesten Lloyddoppelschraubenschnelldampfer des Lloyd, „Kaiser Wilhelm
der Große“ (Abb. 101–103) und „Kaiserin Maria Theresia“, werden mit
Recht als ein Triumph des deutschen Schiffs- und Maschinenbaues
geschildert und bilden den Gegenstand der Bewunderung der ganzen Welt.
Der Norddeutsche Lloyd beherrscht heutzutage 20 Schiffahrtslinien, und
zwar die Schnelldampferlinien Bremen-New-York und Genua-New-York, eine
Postdampferlinie nach New-York, zwei Linien nach Baltimore, eine nach
Galveston, zwei nach Brasilien, je zwei nach Argentinien und Ostasien,
eine nach Australien, vier Zweiglinien im asiatischen Verkehr und vier
europäische Linien. Am 1. Dezember 1899 verfügte der Norddeutsche
Lloyd über ein Aktienkapital von 80000000 Mark, die Prioritätsanleihen
der Gesellschaft betrugen 31050000 Mark, der Anschaffungspreis der
vorhandenen Schiffe erreicht die Höhe von 143710000 Mark und deren
Buchwert eine solche von 93530000 Mark.

[Illustration: Abb. 148. ¯Alter Friedhof von Baltrum.¯

(Nach einer Photographie von A. Overbeck in Düsseldorf.)]

Neben dem Norddeutschen Lloyd bestehen in Bremen zur Zeit noch
sechs weitere Reedereien (Rickmers’ Reismühlen, Reederei und
Schiffbauaktiengesellschaft, 13000000 Mark Aktien- und 5000000
Prioritätsanleihenkapital; Deutsche Dampfschiffahrtsgesellschaft
„Hansa“, 10000000 Mark Aktien-, 4950000 Prioritätsanleihenkapital u. s.
f.).

Im Jahre 1897 betrug Bremens Einfuhr 2233212 Tonnen brutto, seine
Ausfuhr 1161371 Tonnen brutto, das Gesamtgewicht seiner ein- und
ausgeführten Handelswaren 3394583 Tonnen brutto, der Wert der Einfuhr
613500000 Mark, derjenige der Ausfuhr 385700000 Mark, der Wert der
gesamten aus- und eingeführten Waren also 999000000 Mark. Im Jahre
1896 wanderten über Bremen aus 67040 Personen, 1897 deren 47000.
Sehr bedeutend ist die Industrie und der Gewerbebetrieb Bremens,
als Eisengießereien, Reismühlen, Jutespinnereien und Webereien,
Cigarrenfabrikation, Segelmachereien, Seilereien, Schiffswerften u. s.
f.

[Sidenote: Bremen.]

Bremen wurde um 789 durch den heiligen Willehad gegründet und
zum Bischofssitze erhoben, der vom heiligen Ansgar um 848 mit
demjenigen von Hamburg vereinigt wurde. Unter dem starken Schutz
der Kirche entwickelte sich die Stadt rasch weiter, die im zwölften
Jahrhundert von Heinrich dem Löwen mehrfach hart bedrängt wurde. An
dem Kampf der Welfen mit den Staufern nahm Bremen als kaisertreue
Stadt teil. Schon im dreizehnten Jahrhundert war die Abhängigkeit
vom Bischof fast völlig beseitigt, und die Stadt fing an, sich die
Verkehrsfreiheit auf der Weser vertragsmäßig zu sichern und auch mit
den Waffen zu erkämpfen. Schwere innere Zwistigkeiten hatte Bremen im
dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert durchzumachen. Als Mitglied
des Hansabundes hatte es zuweilen eine eigene Stellung gegenüber den
übrigen Verbündeten inne, und seine Weigerung, sich dem Kampfe gegen
Norwegen anzuschließen, trug ihm eine zeitweilige Ausschließung,
die Verhansung, ein. Heinrich von Zütphen brachte ums Jahr 1522 die
Reformation nach Bremen, das später ein Glied des schmalkaldischen
Bundes wurde. 1623 errichteten die Oldenburger Grafen den Elsflether
Zoll, gegen den Bremen jahrhundertelang vergebens Einspruch erhoben
hat, und dessen Abschaffung erst im Jahre 1820 gelungen ist. 1646 wurde
die Reichsunmittelbarkeit Bremens durch den Kaiser ausgesprochen, aber
von den Schweden bestritten, denen das Erzstift durch den Westfälischen
Frieden zugefallen war. Der kleine Staat führte deshalb zwei Kriege
mit Schweden, die aber keinen Erfolg hatten. Als im Jahre 1741 das
Erzstift in den Besitz des Kurfürsten von Hannover übergegangen war,
wurde die Reichsunmittelbarkeit anerkannt, die aber durch schwere
Opfer (Gebietsabtretungen) erkauft werden mußte. 1810 wurde Bremen
dem französischen Kaiserreiche einverleibt und blieb bis 1813 die
Hauptstadt des Departements der Wesermündungen. 1812 zählte Bremens
Bevölkerung 35000 Seelen. Seit dieser Zeit hat es, wie wir auch schon
weiter oben gesehen haben, einen gewaltigen Aufschwung genommen, wozu
die Gründung Bremerhavens 1827–1830 den ersten bedeutenden Anstoß
gegeben hat. Die jetzt in Bremen gültige Verfassung stammt von 21.
Februar 1854. Die Stadt zählt jetzt 152000 Einwohner.

Die Stadt Bremen liegt 74 Kilometer von der Nordsee entfernt, am
rechten Ufer die ehemals von Wällen umgebene Altstadt, am linken die
Neustadt. Auf den drei Hauptplätzen der Altstadt, dem Markt, dem
Domshof und der Domsheide, konzentriert sich das Leben Bremens. Vom
Markt gehen auch drei der bedeutendsten Verkehrsadern der Stadt, die
Langen-, Ober- und Sögestraße ab. Derselbe gewährt ein malerisches
Bild; hier liegt zunächst das gotische, 1405–1410 erbaute Rathaus mit
einer um 1610 hinzugekommenen Renaissancefassade an der Südwestseite.
An der Westseite des Hauses ist der Eingang zu dem durch Hauffs
„Phantasien“ weit und breit bekannt gewordenen Ratskeller, der mit
Fresken von Arthur Fitger und mit Kernsprüchen von Hermann Allmers und
anderen verziert ist (Abb. 104–116).

Vor der Südwestseite des Rathauses erblickt man die aus grauem
Sandstein gefertigte Bildsäule des Roland, 5,5 Meter hoch, 1404
an Stelle einer hölzernen Statue des Paladins Karls des Großen
hierhergestellt. Dem Rathause gegenüber steht das ehemalige Gildehaus
der Kaufleute, 1537–1594 erbaut, jetzt der Sitz der Handelskammer,
mit renovierter Fassade, und nahebei die im gotischen Stil gehaltene
1861–1864 errichtete Börse. Auf dem kleinen Platz zwischen Börse,
Dom und Rathaus befindet sich der aus dem Jahre 1883 stammende
Willhadibrunnen, auf dem die Statue des heiligen Willehad, von vier
wasserspeienden Delphinen umgeben, zu sehen ist. An der Nordwestseite
des Rathauses erhebt sich seit 1893 das von Bärwald modellierte
Reiterstandbild Kaiser Wilhelms ~I.~

Der dem Alter nach bis zu den ersten Anfängen Bremens hinabreichende
Dom ist mehrfach umgestaltet worden. Das dem heiligen Petrus geweihte,
103 Meter lange, 40 Meter breite und 31 Meter hohe Gotteshaus ist reich
an verschiedenartigen Kunstschätzen, darunter eine von der Königin
Christina von Schweden geschenkte Kanzel, ein bronzenes Taufbecken aus
dem elften Jahrhundert u. s. f. Es besitzt ferner eine vorzügliche
Orgel. Eigenartig ist der unter dem Chor befindliche Bleikeller, in
welchem die darin aufbewahrten Leichname -- der älteste soll 400 Jahre
alt sein -- nicht verwesen.

Nördlich vom Dom breitet sich der Domhof aus, an welchem verschiedene,
in architektonischer Beziehung hervorragende Baulichkeiten liegen, so
der Rutenhof und das Museum. Südlich vom Dom kommt man zur Domsheide,
die das ursprünglich für Gotenburg bestimmte Denkmal des Königs Gustav
Adolph von Schweden ziert. Stattliche Gebäude umgeben den Platz, so
das gotische Künstlervereinsgebäude mit geräumigen Sälen, das im
Renaissancestil gehaltene Reichspostgebäude von Schwalbe, 1876 bis
1878 erbaut, und das Gerichtshaus, ein Ziegelhausteinbau in deutscher
Renaissance.

Von weiteren interessanten Bauten der Altstadt erwähnen wir hier
noch die aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert stammende
Liebfrauenkirche und die St. Johannis-Kirche, ein reingotischer
Backsteinbau aus dem vierzehnten Jahrhundert, die alte Klosterkirche
der Franziskaner. Am nördlichen Ende der verkehrsreichen Obernstraße
treffen wir auf die 1856 restaurierte gotische Ansgariikirche
(1229–1243 erbaut) mit einem schönen Altarblatt von Tischbein und einem
97 Meter hohen Turme. Davor steht eine von Steinhäusers Meisterhand
geschaffene Marmorgruppe, der heilige Ansgar, der Apostel des Nordens,
im Begriff, einem Heidenknaben das Joch abzunehmen. Gegenüber erblicken
wir das alte Gildehaus der Tuchhändler, mit schöner Renaissancefassade.
Dasselbe zeigt eine besonders schöne Eingangshalle mit den lebensgroßen
Porträts bremischer Bürgermeister und Ratsherren und geräumige Säle
(großer Saal und Kaisersaal). Zur Zeit ist das Haus der Sitz der
Gewerbekammer von Bremen. Die Stephanikirche, eine in Kreuzform
gehaltene romanische Pfeilerbasilika aus dem zwölften Jahrhundert, am
nordwestlichen Ende der Altstadt, ist neuerdings renoviert worden und
birgt ein schönes Marmorrelief von Steinhäuser, die Grablegung Christi.
In der Langenstraße kann man noch eine Reihe interessanter Giebelhäuser
beobachten, so das alte Kornhaus, das Stissersche Haus, das Essighaus
u. s. f.

[Illustration: Abb. 149. ¯Strand von Norderney.¯

(Nach einer Photographie von E. Risse in Norderney-Bochum.)]

Die Brücken vermitteln den Verkehr aus der Altstadt in die Neustadt,
im Nordwesten die auch für Fußgänger eingerichtete Eisenbahnbrücke,
dann die 204 Meter lange eiserne Kaiserbrücke in der Mitte und die
ebenfalls eiserne 137 Meter lange und 19 Meter breite Große Brücke
im Süden. Am Rande der Altstadt ziehen sich die vom zickzackförmigen
Stadtgraben umspülten und von Altmann geschaffenen Wallanlagen an
Stelle der ehemaligen Festungsumwallungen hin, die, umrahmt von
schönen Villen, mit den vor der Kontreskarpe belegenen Vorstädten
durch sechs nach den alten Stadtthoren benannten Übergängen verbunden
sind. Auf den Wallanlagen stehen das Stadttheater, die Kunsthalle mit
der Gemäldesammlung, meist von der Hand moderner Meister, und schönen
plastischen Kunstwerken, das Denkmal für die im Feldzuge 1870 bis
1871 gebliebenen Söhne Bremens, das Marmorstandbild des Astronomen
Olbers, die Büste Altmanns und Steinhäusers Marmorvase mit der
Reliefdarstellung des sogenannten „Klosterochsenzuges“. Am südlichen
Ende befindet sich ein kleiner Hügel mit schönem Blick auf die Weser
und die Neustadt, die Altmannshöhe.

Jenseits des Stadtgrabens gelangt man in die von geschmackvollen
Häusern und Villen -- meist Einfamilienhäusern -- gebildeten neuen
Stadtteile mit schönen Kirchenbauten (St. Remberti, Methodistenkirche,
Friedenskirche), und Brunnen (Centaurbrunnen), sowie dem großen
Krankenhause (am Ende der mit Ulmen bepflanzten Humboldtstraße). Am
Körnerwall, nahe bei dem an der Weser sich hinziehenden Osterdeiche
steht ein Miniaturbronzestandbild Theodor Körners. In der Nähe des
geräumigen Hauptbahnhofes trifft man das städtische Museum für Natur-,
Völker- und Handelskunde, 1891–1893 erbaut, mit den vereinigten
städtischen Sammlungen, die äußerst sehenswert und sehr wertvoll
sind; daneben erhebt sich die Stadtbibliothek, ein holländischer
Renaissancebau, mit 120000 Bänden. Ueber dem Bahnhof hinaus führt der
Weg zum Herdenthorfriedhof und zu dem 136 Hektare großen, wundervoll
angelegten Bürgerpark mit herrlichen Waldpartien, Wildgehege, Meierei
und dem äußerst behaglichen Parkhause, das Wirtschaftszwecken dient.

Der Freibezirk mit dem 7,8 Meter tiefen Freihafen liegt vor dem
Stephanithor, im Nordwesten der Altstadt, nahebei das Haus Seefahrt,
ein Asyl für alte Seeleute und deren Witwen, mit Fresken von Fitger
im Hauptsaale. Über dem Thorwege liest man die Inschrift: „~Navigare
necesse est, vivere non necesse est.~“ Am Freibezirk sind ferner eine
Reihe bedeutender gewerblicher Anlagen, so die Reparaturwerkstätten des
Norddeutschen Lloyd, die Werkstätten und Werft der Aktiengesellschaft
Weser, Reismühlen u. s. f.

Die von 1622–1626 angelegte Neustadt weist keine große Besonderheiten
auf. Im Barockstil erbaut, erhebt sich dort am Weserstrom die aus dem
Ende des siebzehnten Jahrhunderts stammende St. Pauli-Kirche und die
1822 gegründete Seefahrtsschule. In der Neustadt befinden sich auch die
Kasernen.

[Sidenote: Bremen. Vegesack. Worpswede.]

Bremens Umgebung ist reich an großen und wohlhabenden Dörfern,
welche teilweise beliebte Ausflugsorte seiner Bevölkerung sind.
Mittels Dampfboot sowohl, als auch durch die Bahn ist das rechts
von der Weser befindliche, über 4000 Einwohner besitzende, von den
Landhäusern reicher Bremer Bürger umgebene Vegesack zu erreichen, mit
bedeutender Industrie (Schiffswerften, Bootsbauereien, Tauwerkfabriken,
Baumwollenspinnereien u. s. f.). Eine Fischereigesellschaft für
Heringsfischerei besteht hier ebenfalls. In der Nähe sind die schöne
Villen und Gärten besitzenden Orte Blumenthal und Rönnebeck. Auf
der Bahnfahrt nach Vegesack erblicken wir bei Oslebshausen die
große bremische Strafanstalt; bei Burglesum zweigt die Bahn nach
Geestemünde und Bremerhaven ab. Osterholz-Scharmbeck mit regem
gewerblichen Betriebe (Cigarren und Eisenwaren) an dieser Linie ist die
Eisenbahnstation für die Malerkolonie Worpswede.

Letzteres ist ein freundlicher Ort am Weyersberge, von dessen mit
einem Denkmal des Moorkommissars Findorf geschmückten Höhe man einen
weiten Rundblick genießen kann. Wie eine Insel steigt die Erhebung aus
der weiten Ebene auf, die im Hintergrunde von den blauen Linien der
Geesthöhen begrenzt wird. Aus der Ferne winken die Türme der alten
Hansestadt an der Weser herüber.

Den Künstlern, die dort schaffen, den „Worpswedern“, ist die Natur,
mit welcher sie dauernd zusammenleben, aufs innigste vertraut. „Und
doch ist nicht photographisch korrekte Wiedergabe, sondern die stark
persönliche Auffassung, das Temperament für diese Worpsweder Bilder
charakteristisch. Daher das Befremden des Beschauers, der ein solches
Bild der wohlbekannten heimischen Natur verlangt, wie er es sieht.
Daher die packende Wirkung auf den, welchem die Persönlichkeiten in
der Kunst (und vielleicht auch in Wissenschaft und Leben) alles sind.
Denn was uns sterblichen Menschen erreichbar und nötig, ist subjektive
Wahrhaftigkeit, nicht objektive Wahrheit“ (Gildemeister).

Durch die so stimmungsvollen Bilder Fritz Overbecks, Fritz Mackensens,
Otto Modersohns und Heinrich Vogelers ist die landschaftliche Scenerie
um Worpswede weit in der Welt bekannt geworden. Freilich, wer etwas von
der Worpsweder Malerkunst sehen will, wird in München oder in Dresden
mehr davon finden, als in Worpswede selbst. „Was dort sichtbar ist,“
sagt Gildemeister, „sind die Ateliers der Maler -- von außen.“

[Illustration: Abb. 150. ¯Kaiserstraße in Norderney.¯

(Nach einer Photographie von E. Risse in Norderney-Bochum.)]

[Sidenote: Geestemünde. Bremerhaven.]

An Oldenbüttel und Stubben, sowie an Loxstedt mit seiner großen
Torfstreufabrik vorbei wird die hannoversche Stadt Geestemünde am
linken Ufer der Geeste, die hier in die Weser mündet, erreicht.
Der 17500 Einwohner besitzende Ort ist 1857 von der hannoverschen
Regierung angelegt worden, um Bremerhaven Konkurrenz zu machen, von
dem es nur das Geesteflüßchen trennt. Geestemünde verfügt über einen
geräumigen Hafen, 506 Meter lang, 117 Meter breit, mit hydraulischen
Hebevorrichtungen u. s. f., der mit der Weser durch einen Vorhafen
und eine mächtige Kammerschleuse mit Ebbe- und Flutthoren, die 67
Meter lange Schiffe aufnehmen kann, betreibt ferner eine aufblühende
Hochseefischerei und besitzt Schiffswerften und Trockendocks (Abb. 117).

Bremerhaven ist an der Stelle der alten schwedischen Feste Karlsburg
entstanden, die Karl ~XII.~ 1673 durch seinen Artillerieobersten Melle
anlegen ließ. Dahinter sollte sich eine neue Handelsstadt mit Namen
Karlsstadt erheben, von der bereits einige wenige Häuser standen,
als ein vereinigtes Korps von Dänen, münsterischen, cellischen und
wolfenbüttelischen Truppen vor Karlsburg erschien, dasselbe belagerte
und größtenteils zerstörte. Ein späterer Wiederherstellungsversuch
scheiterte, und die furchtbare Weihnachtsflut im Jahre 1717 that den
Rest. Durch Vertrag vom 11. Januar 1827 trat Hannover das Gebiet des
heutigen Bremerhavens an Bremen ab (für 73658 Thaler 17 Groschen
1 Pfennig), wofür Bremen sich verpflichtete, hier einen Seehafen
anzulegen. Bald darauf fing man an, und am 12. September 1830 lief als
erstes Schiff das amerikanische Fahrzeug Draper im neuen Hafen ein.
Dem damaligen Bürgermeister Smidt von Bremen hat man im Jahre 1888 auf
dem Markte des von ihm gegründeten 1853 zur Stadt erhobenen Ortes ein
Denkmal aufgerichtet.

[Sidenote: Bremerhaven. Wesermündung.]

Das rasche Emporblühen Bremerhavens ist aufs innigste verknüpft
gewesen mit dem großen Aufschwung, den Bremens Handel seit 50 Jahren
genommen hat, wie wir weiter oben schon betont haben. Zur Zeit hat
die Bevölkerung der Stadt die Zahl von 20000 Menschen erreicht. Drei
mächtige, durch Deiche gegen Sturmfluten wohlgeschützten Dockhäfen, der
Alte Hafen (jetzt 730 Meter lang und 100 Meter breit) südlich belegen
und 1830 in Betrieb genommen, der 1851 eröffnete Neue Hafen in der
Mitte (840 Meter lang und 100 Meter breit) und als nördlichster der
1876 dem Verkehr übergebene Kaiserhafen, der 1897 bedeutend vergrößert
worden ist und den größten Schiffen Einfahrtsgelegenheit bietet --
die neue Kaiserschleuse hat eine Länge von 215 Meter, 26 Meter Breite
und 10,56 Meter Tiefe -- bilden die 34 Hektare große Wasserfläche des
Hafens. Zum Freihafengebiete, das nach dem Anschluße Bremens an den
Zollverein geblieben ist, gehören der Kaiserhafen und der nördliche
Teil des Neuen Hafens.

[Illustration: Abb. 151. ¯Seesteg in Norderney.¯

(Nach einer Photographie von E. Risse in Norderney-Bochum.)]

Bremerhaven ist mit breiten und regelmäßigen Straßen angelegt. Die
etwa 70 Meter hohe Turmspitze seiner schönen, gotischen Kirche dient
weithin auf der Weser dem Schiffer als Wahrzeichen (Abb. 118). Von
großem Interesse ist auch ein Besuch im 1849 erbauten Auswandererhause,
das zur Aufnahme der Auswanderer vor ihrer Einschiffung dient und von
mustergültiger Einrichtung ist. Es kann 2000 Auswanderer zugleich
beherbergen.

„Meine Besuche dieses Hauses,“ so erzählt Hermann Allmers, „gehören
zu den interessantesten Erinnerungen meines Lebens, und manche Stunde
schon trieb ich mich umher unter dem bunten Gewimmel, das von unten bis
oben seine Räume füllte, mischte mich unter die Gruppen der Männer und
Frauen, frischen Burschen und rosigen Mädchen, redete freundlich mit
ihnen und fragte sie wohl mit Freiligrath:

  O sprecht! warum zogt ihr von dannen?
  Das Neckarthal hat Wein und Korn;
  Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen,
  Im Spessart klingt des Älplers Horn.

Da hab’ ich denn manch tiefen Blick ins Menschenherz gethan, war’s
nun in ein hoffnungsfreudiges oder in ein armes, halb verzweifelndes,
und oft Niegeahntes hab’ ich vernommen.“ Unmittelbar grenzt im Norden
Bremerhavens der hannoversche Flecken Lehe mit 22000 Einwohnern an
die Stadt. Sowohl die Eisenbahn als auch eine teilweise elektrisch
betriebene Straßenbahn verbinden beide Orte miteinander. Die Einfahrt
in die Unterweser wird durch starke Befestigungen beherrscht, die auf
beiden Seiten des Stromes aufgeworfen sind. Sieben Leuchttürme, zwei
Leuchtschiffe und mehrere Leuchtbaken bezeichnen zur Nachtzeit das
Fahrwasser des Weserstromes. Der Hohewegsleuchtturm und derjenige auf
Rotesand sind besonders erwähnenswert. Der erstere von beiden erhebt
sich im Dwarsgatt, und seine Laterne leuchtet aus einer Höhe von 35
Metern über das Wasser. Der Rotesandleuchtturm im offenen Meere wurde
1885 fertiggestellt und steht 14 Meter tief im Sande auf Caissons. Sein
Laternendach erhebt sich 28,4 Meter über Hochwasser. Beide Leuchttürme
sind mit Telegraphenstationen versehen.

[Sidenote: Osterstade.]

Nördlich von Bremen, zwischen Lesum und Neuenkehn, tritt die Geest
an das rechte Weserufer heran, alsdann begrenzt wiederum Marschland
in der Breite von 5–7 Kilometer und mehr den Strom. Dieser schmale
Marschstrich zerfällt in das Land Osterstade im Süden, etwa von
Rade im Amte Blumenthal an bis zum Lande Wührden. Osterstade gehört
zu Hannover, das nicht einmal eine Quadratmeile große Land Wührden
dagegen ist oldenburgisches Gebiet. Dann folgt nördlich von Wührden das
hannoversche Vieland, ein schmaler, aber sehr fruchtbarer Marschrand,
der sich bis zum Geestefluß hinzieht. Die vier sehr wohlhabenden
Dörfer, die dazu gehören, liegen alle auf der Geest selbst. Daran
schließt sich wiederum weiter nach Norden zu das uns bereits bekannt
gewordene Gebiet von Geestemünde und Bremerhaven, und dann kommt
schließlich als nördlichstes der Marschlande am rechten Weserufer das
Land Wursten.

[Illustration: Abb. 152. ¯Ausblick von den Dünen in Norderney.¯]

Osterstade -- der Name will so viel besagen als das östliche
Stedingerland -- unterscheidet sich eigentümlich auf den ersten
Blick von den meisten Marschlanden. „Es trägt den Charakter einer
einzigen weiten, üppiggrünen, von zahllosen Wassergräben nach allen
Richtungen durchschnittenen Ebene, die, als fast durchweg kräftiges
Weideland, von tausend buntscheckigen Rindern belebt wird. Hier und
dort inmitten der weiten grünen Flächen ein paar Kornfelder; alle
halbe Stunde ein buschreiches Dorf, meistens in der Nähe des Deiches,
und endlich die großen Bauernhöfe, nicht wie in anderen Marschen
einzeln umhergestreut, sondern fast alle im Weichbilde der Dörfer
selbst liegend, die dadurch ein stattliches Ansehen erhalten. -- Außer
den Bäumen, welche die Häuser beschatten, und außer einer langen
Reihe hoher Weiden der äußeren Deichbärme trifft das Auge selten auf
Baumwuchs, da die Wege hier nicht, wie in anderen Marschen mit solchen
bepflanzt sind.“ So beschreibt Hermann Allmers seine engere Heimat!
Bei Alisni, dem jetzigen Dorfe Alse im oldenburgischen Kirchspiele
Rodenkirchen, überschritt Karl der Große 797 die Weser und betrat
Osterstade beim Dorfe Rechtenfleth, das, nebenbei bemerkt, Hermann
Allmers’ Wohnsitz ist. Von hier aus zog er über Stotel nach Bederkesa
und von dort ins Hadelner Land, dessen sächsische Bewohner er nach
hartnäckigem Widerstand bezwang. Nahe bei Bederkesa wurde im Jahre
1855 eine lange Holzbrücke im Moor entdeckt, wie man meint, ein
Denkmal dieses Heereszuges. Von den männlichen Bewohnern wird hier,
wie übrigens auch noch in anderen Marschgebieten, der Springstock, in
Osterstade „Klubenstock“ benannt, benützt, den wir schon bei den Bauern
Eiderstedts kennen gelernt haben. Im Süden Osterstades herrscht das
rein niedersächsische Element vor, im Norden das gemischt friesische,
in Wührden dagegen tritt das Friesische im Gesichtstypus, im Charakter
und in dem Namen der Bewohner schon ungleich merklicher hervor und läßt
den Wührdener schon bedeutend derber, selbständiger und entschlossener
auftreten, als seinen südlichen Nachbar, den Allmers, dem wir hier
weiter folgen, als den in politischer Hinsicht allerzahmsten,
gleichgültigsten und allerloyalsten sämtlicher Marschbewohner
schildert. In Wührden und in den Marschen der nördlich davon in die
Weser mündenden Lune ist reger Ziegeleibetrieb, da der schwarze
Marschthon sich sehr gut dazu eignet und sehr harte und dauerhafte
Mauersteine liefert, die fast durchweg von Arbeitern aus dem Lippeschen
hergestellt werden.

[Sidenote: Vieland. Wursten.]

Das Vieland -- vom altfriesischen, mit „Sumpf“ gleichbedeutendem Worte
„Vie“ -- ist die Übergangsregion von der Fluß- zur Meeresstrandflora.
Das Rohr nimmt ab, und dafür zeigen sich das Löffelkraut und andere
Pflanzen des Meeresstrandes. In landwirtschaftlicher Beziehung steht
dieser kleine Marschdistrikt oben an. Die Nähe von Bremerhaven,
Geestemünde und Lehe, der vortrefflichen Absatzgebiete für die Produkte
des Vielandes, trägt ungemein viel zu dessen stetig wachsendem
Wohlstande bei.

[Illustration: Abb. 153. ¯Im Bade von Norderney.¯

(Nach einer Photographie von E. Risse in Norderney-Bochum.)]

[Sidenote: Land Wursten.]

Das Land Wursten ist fast gänzlich von Seemarsch gebildet, doch
tritt in seinem nördlichen Teil, der vom Hamburger Amte Ritzebüttel
eingenommen wird, die Geest bis an den Elbstrom heran. Die Marsch
Wurstens grenzt unmittelbar an das Geestland, deutliche Randmoore
fehlen hier. Dem südlichen Teil des Landes liegt auf dem linken
Weserufer der Langlütjensand gegenüber, vor dem mittleren und
nördlichen Teile desselben breiten sich weitausgedehnte Watten aus.
Besonders fest ist der Seedeich gebaut; in seiner jetzigen Stärke wurde
derselbe erst in den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts
errichtet und durch einen großen Umzug sämtlicher Bauern Wurstens
zu Pferd und zu Wagen, durch einen feierlichen Gottesdienst in der
Hauptkirche des Landes zu Dorum und durch ein Festessen eingeweiht.
„In seiner Grundfläche 160 Fuß breit und nahe an 30 Fuß in seiner Höhe
haltend, steht der Wurster Deich wohl als der stärkste Seewall der
Provinz Hannover da. An schönen Sommertagen auf ihm zu lustwandeln ist
einer der interessantesten Genüsse, gehoben durch die überraschenden
Kontraste des segeltragenden Flusses, des mövenumschwärmten Watts und
des fruchtbaren Landes mit seinen auffallend zahlreichen Kirchtürmen,
Höfen und Dörfern im wogenden Saatenmeere“ (Allmers). Wursten ist
3,97 Quadratmeilen groß (= 21797 Hektaren) und hat eine Bevölkerung
von 9000 Seelen, so daß auf die Quadratmeile 2264 Menschen kommen.
Dorum mit etwa 1850 Bewohnern ist sein Hauptort und liegt etwa in der
Mitte zwischen den vier südlichen Kirchspielen (Imsum, Wremen, Mulxum,
Misselwarden) und den vier nördlichen (Paddingbüttel, Midlum, Cappel
und Spieka). Die Kirchen sind klein und niedrig, an der Westseite
mit einem dicken stumpfen Turm versehen und aus einem cyklopischen
Mauerwerk von unbehauenen Findlingen aufgeführt. Der Boden Wurstens
ist heller und sandiger als in den oberen Weser- und Elbmarschen,
daher geeigneter zum Ackerbau, der die Haupterwerbsquelle der Bewohner
bildet; nur im Süden des Landes wird auch Viehzucht getrieben. Der Name
bedeutet so viel als das Land der auf den Wurten (Werften) sitzenden
Bauern, der „Wurtsassen“, „worsati“ der lateinischen Schriftsteller,
und des Plinius bekannte Beschreibung von unserer Nordseeküste paßt
ganz für die ersten Ansiedelungen der Wurster, die sich schon in
frühen Zeiten zu einem kühnen Seeräubervolk ausgebildet hatten. Die
Bevölkerung ist rein friesischer Abkunft, und noch bis in die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts hinein hatte sich in Wursten die friesische
Sprache erhalten, die jetzt nur noch in den Namen der Einwohner und
der Ortschaften klingt. Von den alten Rechten der Wurster ist noch
vielerlei erhalten geblieben, so die Landesversammlung zu Dorum, welche
die Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Landes, wie das Deich-
und Sielwesen zu regeln hat.

[Illustration: Abb. 154. ¯In den Dünen von Norderney.¯

(Nach einer Photographie von E. Risse in Norderney-Bochum.)]

Zwei große Übelstände im Lande Wursten, die sich übrigens auch in
den übrigen Marschlanden mehr oder weniger fühlbar machen, sind das
Marschfieber und der Mangel an gutem Wasser, so daß besonders in
letzterer Hinsicht Winterkälte und dürre Sommer große Not hervorrufen.

Ihre besondere Freiheitsliebe und ihren großen Unabhängigkeitssinn
haben die Wurster von alters her in vielen Kriegen bewährt, die
meist von seiten der Bremer Erzbischöfe zu ihrer Unterwerfung gegen
sie geführt worden sind, und selbst schreckliche Niederlagen, die
sie erleiden mußten, und die argen Verwüstungen ihres Landes durch
den Feind (1516 und 1526) hielten sie nicht ab, den Kampf für ihre
Selbständigkeit immer wieder von neuem zu beginnen. In der Mitte des
sechzehnten Jahrhunderts trat in der Geschichte des Landes Wursten ein
Wendepunkt ein. Des langen Haders und Kämpfens müde, entschlossen sie
sich, dem Bremer Erzbischof billige Steuern zu zahlen, der dafür ihre
Rechte anerkannte und gewährleistete. Später kam Wursten dann unter das
schwedische, hierauf unter das dänische Scepter, im Jahre 1715 aber
unter den Schutz des Kurhuts von Hannover. Seither hat es die Geschicke
dieses letzteren Landes geteilt.

[Sidenote: Cuxhaven. Das Land zwischen Weser und Ems.]

Eine 44 Kilometer lange Eisenbahnlinie verbindet nunmehr, das Land
Wursten durchziehend, Geestemünde über Lehe, Imsum, Dorum u. s. f. mit
Cuxhaven. Letzteres ist ein emporstrebender Flecken im hamburgischen
Amte Ritzebüttel und seit 1872 mit dem gleichnamigen letzteren Orte
vereinigt. Gegenwärtig zählt es 6200 Einwohner, verfügt über große im
letzten Jahrzehnt erbaute Hafenanlagen (Anlegestelle für die Dampfer
der Hamburg-Amerika-Linie), eine Lotsenstation und hat zugleich auch
ein früher vielbesuchtes, später durch die Konkurrenz der Seebäder
auf den ostfriesischen Inseln etwas herabgekommenes, neuerdings aber
wieder im Aufschwung begriffenes Seebad (Abb. 88 u. 89). Am Ende
der Alten Liebe, der Strandpromenade Cuxhavens, steht ein 25 Meter
hoher Leuchtturm; draußen an den äußersten Mündungen der Elbe erheben
sich zwei weitere Leuchtfeuer auf der kleinen Marschinsel Neuwerk,
nordwestlich von dieser bezeichnet die „Rote Tonne“ die Einfahrt in
den Strom. Starke Küstenbefestigungen etwas nördlich von Cuxhaven
verteidigen diese letztere. Ganz an der Nordspitze des Landes liegen
endlich noch die kleinen unbedeutenden Orte Döse auf Marschland und
Duhnen auf Geest, in welchen in neuerer Zeit Kinderhospize entstanden
sind.



~XVI.~

Das Küstengebiet Oldenburgs und Ostfrieslands. Die ostfriesischen
Inseln.


Ein schmales Band Landes trennt die Weser vom Jadebusen. Es hat einmal
eine Zeit gegeben, in der die Weser in mehrere Arme geteilt sich in die
Nordsee ergoß und im Westen des gegenwärtigen Stromes die Entwickelung
einer großen Deltabildung verursacht hatte. Das war in den Tagen, da
der Jadebusen noch festes Land war, und bevor noch die Meeresfluten
das Land Rustringen durchbrochen und diese 190 Quadratkilometer große
Meereseinbuchtung geschaffen hatten, deren heutige Gestaltung erst
in historischer Zeit vollendet worden ist. Soll doch die sogenannte
Eisflut vom 17. Januar 1511 noch fünf Kirchspiele mit Mann und Maus
alldort verschlungen haben.

Durch spätere Anschlickung, Verschlemmung und wohl auch durch
die Arbeit fleißiger Menschenhände ist dieses Weserdelta in der
Gegenwart verschwunden, wenn auch die einzelnen Arme desselben in der
orographischen Beschaffenheit des Landes sich noch nachweisen lassen.
Die Weser fließt heutzutage als ein breiter Strom nach der Nordsee,
dessen Fahrwasser sich dicht an der Küste Oldenburgs hinzieht, hier
und dort mit Sanden und Platen in ihrem Bette, wie beispielsweise die
Strohauser Plate, die Luneplate u. s. f. Bei Geestemünde hat der Strom
bereits eine Breite von 1325 Meter. Nordwestlich von Bremen legen sich
die Marschen des Stedinger Landes an das linke Weserufer, denen weiter
nördlich diejenigen des Stadlandes, und nach diesen das Butjadingerland
folgen. Dem Nordosten und dem Norden der Halbinsel zwischen Weser und
Jade lagern sich Watt- und Sandbildungen vor, der uns schon bekannte
Langlütjensand im Osten, das Solthörner Watt, der Hohe Weg und die
Alte Mellum im Norden. Westlich wird dieses Areal vom Jadebusen selbst
und dann weiter nach Süden von großen Mooren umrandet. Derjenige Teil
des Großherzogtums Oldenburg, der in das Bereich unserer Betrachtungen
fällt und südlich etwa von der Bahnlinie begrenzt wird, welche von der
Landeshauptstadt nach Leer führt, besteht aus Geestland (Ammerland)
mit der Wasserfläche des Zwischenahner Meeres und daran liegenden
großen Moorgebieten (Jührdener Feld), während die östliche Grenze
des Oldenburger Küstenlandes in seinem südlichen Teil vom Lengener
Moor bezeichnet wird, das mit dem großen Hochmoor Ostfrieslands im
Zusammenhang ist. Der an der Jade belegene nördliche Teil besteht
wiederum aus Alluvionen. Es ist das Jeverland.

Moore in überwiegendem Maße und dann Geest setzen Ostfrieslands Boden
zusammen, der im Norden und Westen, an der See, am Dollart und am
äußeren Mündungstrichter der Ems von Marschen und diesen vorgelagerten
Watten umsäumt wird, über welchen hinaus die Wellen der Nordsee das
Band der ostfriesischen Inseln bespülen.

Bäche und Flüsse in großer Zahl entwässern das ganze Areal zwischen
Weser und Ems, von denen die an der Stadt Oldenburg vorbeiziehende und
bei Elsfleth in die Weser fallende Hunte und die unweit von Leer in die
Ems sich ergießende Leda die beiden bedeutendsten sind. Auch der 22
Kilometer lange Küstenfluß der Jade, welcher aus dem Vareler Hochmoor
kommt und sich in den gleichnamigen Meerbusen wirft, mag hier noch
erwähnt werden.

[Sidenote: Stedingen. Stadland. Butjadingen.]

Das Stedinger Land besteht aus sehr tiefliegenden und vielfach den
Überschwemmungen ausgesetzten Marschen, in denen viel Hafer, Hanf
und Weiden gebaut und kultiviert werden, letztere um als Korbweiden,
Faßbänder, zu Schlengen u. s. f. Verwendung zu finden. Die Entwässerung
des Landes wird von großen, aus Steinen gebauten und einer Anzahl
kleinerer wasserhebender Windmühlen besorgt. Großer Reichtum herrscht
im Stedinger Lande nicht, dagegen ist aber auch kaum wirkliche Armut
unter der dortigen, äußerst intelligenten, soliden und wohlgesitteten
Bevölkerung zu finden, die ein beträchtliches Kontingent der Seeleute
für die Weserhäfen abgibt. Wer nicht Landmann oder Handwerker ist,
fährt zur See. Am Einfluß der Hunte in die Weser liegt an der Eisenbahn
von Hude, einem Knotenpunkt an der Linie Bremen-Oldenburg-Leer, nach
Nordenham, die kleine Stadt Elsfleth, wo früher ein wichtiger Weserzoll
erhoben wurde, ein Schiffbau, Schiffahrt und Handel treibender Ort mit
Navigationsschule. Hier schiffte sich am 7. August 1809 der Held von
Olfers und von Quatrebras, Herzog Wilhelm von Braunschweig, mit dem
Häuflein seiner Getreuen am Schlusse seines Zuges durch das vom Feinde
besetzte deutsche Land ein. Eine gotische Steinpyramide erinnert an
diese Begebenheit.

Zwischen der Hunte und dem Südrande des Stadlandes heißt das Land
Moorriem, zu dem Elsfleth eigentlich schon gehört. Etwa elf Kilometer
nördlich von dieser Stadt erscheint Brake (mit über 4000 Einwohnern),
Station der Bahn nach Nordenham und durch eine Zweigbahn mit
Oldenburg verbunden, eine gewerbreiche und viel Schiffahrt treibende
Hafenstadt, in den Jahren 1848 und 1849 die Hauptstation der deutschen
Kriegsflotte, in früherer Zeit ein wichtiger Ausfuhrort für das nach
England verschiffte Butjadinger Vieh, worin ihm nun Nordenham den Rang
abgelaufen hat.

Stadland trägt den Charakter der Flußmarsch, während Klima und
Strandflora die Marschen Budjadingens als völlige Seemarsch
kennzeichnen, die rings vom Salzwasser bespült werden. Auch hier steckt
im Untergrunde des Bodens jener kalkreiche Schlick, wie in der Hadelner
Marsch, den man ebenfalls zur Aufbesserung der Bodenoberfläche benützt,
indem man denselben heraufbringt, eine Arbeit, die hier „wühlen“
genannt und etwas anders ausgeführt wird, als in den Elbmarschen.
Stadland treibt mehr Viehzucht als Ackerbau, in Butjadingen herrscht
letzterer vor. Die Marschhöfe sind gut gepflegt, und die Wohnstätten
sind nicht nur zu zahlreichen kleinen Dörfern vereinigt, sondern auch
als Einzelhöfe, dann aber fast immer an den Hauptstraßen des Landes
reihenweise angeordnet, vorhanden. Die Bauart der Häuser ist meist
die uns schon als Hauberg, hier „Berg“ genannt bekannt gewordene.
Butjadingen und Stadland gehörten zu dem durch die Meeresfluten
teilweise verschlungenen Land Rustringen, einem der sieben zu einem
Bunde vereinigten friesischen Seelande, die ihre Versammlungen bei
Aurich unter dem Upstallsboom abhielten.

[Illustration: Abb. 155. ¯Leuchtturm von Norderney.¯

(Nach einer Photographie von E. Risse in Norderney-Bochum.)]

[Sidenote: Nordenham. Delmenhorst. Neuenburger Urwald.]

Golzwarden, in der Geschichte des Landes viel genannt, Rodenkirchen
mit seiner alten Kreuzkirche und Atens, wo die erste der von den
Bremern erbauten Zwingburgen sich erhob, sind wichtige Orte unseres
Gebietes. Bei Atens liegt das durch eine Dampffähre mit Geestemünde
in Verbindung stehende Nordenham, ein Hochseefischereihafen. Die
dortige Dampffischereigesellschaft „Nordsee“ hat in den drei ersten
Monaten des Jahres 1900 2100500 Kilogramm Seefische auf den Markt
gebracht (im gleichen Zeitraume 1899 1648000 Kilogramm), was etwa dem
Schlachtgewicht von 21000 fetten Schweinen entsprechen würde. Blexen,
Burhave, an dessen Kirchenmauer das alte Rustringer Landesmaß, eine
Rute von 22 Fuß Länge, eingehauen ist, und Langwarden befinden sich
noch weiter nördlich. Beim letztgenannten Orte wendet das Land um, und
über die Kirchdörfer Tossens, Eckwarden, Stollhamm und Seefeld kommen
wir längs der durch starkes Mauerwerk von hartgebrannten Ziegeln und
sonstige Befestigungsmittel geschützten mächtigen Deiche am Ufer der
Jade nach dem freundlichen, 5000 Seelen zählenden Städtlein Varel,
das bedeutende Fabriken, so Spinnereien, Webereien, Färbereien, auch
Eisengießereien und Maschinenfabriken, außerdem Viehhandel hat und
ebenso regen Schiffsverkehr in seinen vom Vareler Siel gebildeten Hafen
betreibt.

Die direkte Bahnverbindung von Bremen nach Varel führt über Delmenhorst
nach Oldenburg. Hier zweigt der Schienenstrang nach Wilhelmshaven ab,
welcher Varel berührt.

[Illustration: Abb. 156. ¯Juist.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

Das industriereiche Delmenhorst mit über 12500 Einwohnern, an der
Delme, liegt zwölf Kilometer westlich von Bremen und hat große
Cigarren- und Korkfabriken. Im Amte Delmenhorst selbst gibt es viele
Korkschneidereien. Auch die Linoleum-Industrie Delmenhorsts ist von
großer Wichtigkeit. Bei Grüppenbühren befindet sich der berühmte
Eichenwald Hasbruch, der zusammen mit dem Urwald von Neuenburg im
Jadegebiete im nördlichen Deutschland seinesgleichen sucht. „Echt
urwaldschauerlich weht es uns an,“ wenn wir diesen prächtigen Wald
mit seinen urgewaltigen Stämmen betreten, deren es so gewaltige gibt,
daß sechs Männer sie kaum umklaftern können. Nach den Jahresringen
zu urteilen, waren mehrere dieser Eichenbäume, welche gefällt werden
mußten, 1000–1100 Jahre alt, reichten also auf die Zeit Karls des
Großen heran. Und diese gefällten Eichen waren nicht einmal die
größten. Das in der Nähe liegende Hude ist seiner großartigen Ruine
der ehemaligen, im Jahre 1538 durch den bischöflich münsterischen
Drosten Wilke Steding zerstörten Cisterzienserabtei wegen berühmt, ein
frühgotischer Ziegelbau aus dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts.

[Sidenote: Oldenburg.]

Oldenburg, die Haupt- und Residenzstadt des Landes, an der hier
schiffbaren Hunte und am Hunte-Ems-Kanal, sowie an einer Anzahl nach
den verschiedensten Richtungen hinführender Bahnlinien belegen,
zugleich bedeutender Garnisonsort, zählt gegenwärtig 26000 Einwohner.
Im Südosten der Stadt erhebt sich das Schloß des Großherzogs, das
schöne Gemälde und Fresken und mancherlei sehenswerte Kunstschätze
enthält, auch eine reichhaltige Bibliothek sowie verschiedene
Sammlungen. Besonders gerühmt werden die schönen Anlagen des
Schloßgartens. Im Augusteum ist eine treffliche Gemäldesammlung
älterer, besonders zahlreicher niederländischer Meister aufgehängt, die
Sammlungen des Museums gewähren einen vortrefflichen Einblick in die
Natur- und die älteste Kulturgeschichte Oldenburgs. Die ehrwürdige, aus
dem dreizehnten Jahrhundert stammende, nunmehr renovierte fünftürmige
Lambertikirche steht am Markt und ist das älteste Gotteshaus der
Stadt, deren neuere Viertel von schönen Villen bebaut sind. Das 1891
abgebrannte und im verflossenen Jahrzehnt neu aufgeführte stilvolle
Theatergebäude mag hier ebenfalls Erwähnung finden. Oldenburg betreibt
lebhaften Handel und Schiffahrt, seine Pferdemärkte sind von großer
Bedeutung und werden von weither besucht (Abb. 119–122).

Auf der Bahnfahrt zwischen Oldenburg und Varel kommen wir an der
kleinen Ortschaft Rastede mit einem reizend gelegenen großherzoglichen
Schlosse aus dem achtzehnten Jahrhundert in schattigen Parkanlagen
vorbei. Hier stand früher ein Benediktinerkloster. In Rastede pflegt
der Landesfürst einen Teil des Sommers zuzubringen.

[Illustration: Abb. 157. ¯Juist. Strand und Giftbude.¯

(Nach einer Photographie von Römmler & Jonas in Dresden.)]

Nördlich von dem uns schon bekannten Varel finden wir am Jadebusen
auf einem Dünenvorsprung das Seebad Dangast, eine der wenigen Stellen
an der ganzen Nordseeküste, an denen die künstliche Eindeichung
unterbrochen ist. Draußen im Jadebusen liegt die Insel Arngast, die
viel und stark von den Fluten heimgesucht worden ist und früher ein
ansehnliches Dorf und grüne Weiden getragen hat. Nördlich davon, nahe
dem Westrande des Busens, sind kleine uneingedeichte Schollen alten
Marschlandes, echte Halligen, im Winter unbewohnt und nur im Sommer von
Hirten mit ihren Schafherden aufgesucht, die Oberahnschen Felder.

Westlich von Varel, bei dem durch eine 19 Kilometer lange Zweigbahn mit
diesem verbundenen Neuenburg, steht ein ähnlicher Urwald, wie derjenige
von Hasbruch, der wundervolle Baumgruppen enthält und einen Flächenraum
von etwa 30 Hektaren bedeckt, eine der ältesten Waldungen Deutschlands.

Die von Varel nach Wilhelmshaven ziehende Bahnlinie berührt Sande,
den Knotenpunkt für die nach Wittmund oder nach Karolinensiel in
Ostfriesland führenden Strecken, die sich wiederum in Jever verzweigen.

[Sidenote: Wilhelmshaven.]

Wilhelmshaven, gegenwärtig 28000 Einwohner zählend, ist eine neue
Stadt und die deutsche Marinestation der Nordsee, am in seinen inneren
Teilen flachen, hier aber unseren größten Kriegsschiffen Einfahrt
gestattenden Jadebusen. Als Preußen 1853 das Gebiet zur Anlage von
Wilhelmshaven von Oldenburg erwarb, zählte dasselbe 109 Einwohner auf
340 Hektaren. Mit der zunehmenden Bedeutung, die unsere Marine durch
die Gründung des Reiches erlangt hat, hat sich auch Wilhelmshavens
Weichbild mehr und mehr gehoben. Die großartigen Hafenanlagen zerfallen
in den im Südwesten der Stadt belegenen Neuen Hafen, der eine Fläche
von 70000 Quadratmeter umfaßt und 8 Meter Tiefe hat. Derselbe dient
für die in Dienst gestellten Kriegsschiffe und hat eine besondere für
die Torpedoboote bestimmte Abteilung. Eine 174 Meter lange Schleuse
verbindet den Neuen Hafen mit der 1886 eröffneten Neuen Einfahrt. Im
Westen mündet der Ems-Jade-Kanal, von dem noch später die Rede sein
wird, vermittelst einer 50 Meter langen und 7,5 Meter breiten Schleuse
in diesen Hafen.

Nördlich vom Neuen Hafen treffen wir auf den Ausrüstungshafen, der
sich in einer Länge von 1168 Meter bei 136 Meter Breite ausdehnt und
mit dem vorgenannten in Verbindung steht. Eine 48 Meter lange Schleuse
führt von hier in den Vorhafen und dann durch die Alte Einfahrt in
die Jade hinaus. Der Bauhafen (377 Meter lang, 206 Meter breit) mit
Trockendocks, je zwei zu 138 Meter und eines zu 120 Meter Länge,
schließt sich im Westen an den Ausrüstungshafen an. Die Hafenanlagen
sind von den zahlreichen Gebäuden der kaiserlichen Werft umgeben, auf
welcher eine Anzahl unserer achtungsgebietenden Kriegsschiffe vom
Stapel gelaufen sind, und die in Zukunft wohl noch weitere solcher Art
erbauen wird (Abb. 123–125). Der deutsche Michel ist ja in diesen Tagen
erwacht und hat begriffen, was der Große Kurfürst einmal in den Worten:
„Schiffahrt und Handelung sind die fürnehmsten Säulen des Estats“
ausgedrückt hat.

  Michel, horch, der Seewind pfeift,
  Auf und spitz’ die Ohren!
  Wer nicht jetzt ins Ruder greift,
  Hat das Spiel verloren.
  Wer nicht jetzt sein Teil gewinnt,
  Wird es ewig missen,
  Michel, horch, es pfeift der Wind,
  Segel gilt’s zu hissen!

  Denk des Ruhms vergangner Zeit
  Und der alten Lehre:
  Volkes Wohl und Herrlichkeit
  Blüht auf freiem Meere.
  Schläfst du wieder, altes Kind?
  Hurtig aus den Kissen!
  Hurtig auf, ins Boot geschwind,
  Segel gilt’s zu hissen!

                 (Gottfried Schwab.)

Zweier Denkmäler, die in Wilhelmshaven errichtet worden sind, sei hier
noch kurz gedacht, desjenigen des Prinzen-Admiral Adalbert von Preußen,
von Schuler entworfen und 1882 enthüllt, vor der Elisabethkirche, und
des vom gleichen Künstler modellierten Monuments Kaiser Wilhelms ~I.~,
im Jahre 1896 eingeweiht. Heppens im Norden und Bant im Westen der
Stadt Wilhelmshaven befinden sich bereits auf oldenburgischem Grund
und Boden. Wilhelmshaven wird nach der Land- und der Seeseite zu von
starken Befestigungen verteidigt.

Das Jeverland (Wangerland), das bis 1575 eine selbständige Herrschaft
bildete und seit 1818 unter der Oberhoheit Oldenburgs steht, breitet
sich nördlich von Wilhelmshaven bis an das Gestade der Nordsee aus.
Jever, an einem nach Hooksiel führenden schiffbaren Kanale, mit 5300
Einwohnern, ist die Hauptstadt dieses Gebietes. Das Schloß ist der
herrlichen im Renaissancestil gehaltenen Decke seines Audienzsaales
wegen berühmt. Die Heimat der „Getreuen“ ist zugleich auch der
Geburtsort des großen Historikers Schlosser (1776 bis 1861) und
des bekannten Chemikers Mitscherlich (1791 bis 1863). Beiden hat
ihre Vaterstadt Denkmäler gesetzt. Hooksiel am Jadebusen besitzt
Schiffswerften und betreibt Schiffahrt.

[Sidenote: Von Oldenburg nach Leer.]

Über die reichbewaldete Geest, nur hier und da die vom Süden
herantretenden Moorflächen berührend, zieht die Bahnlinie von
Oldenburg nach Leer am schönen Zwischenahner Meer vorbei, das von
einem Dampfer befahren wird und ein beliebtes Ausflugsziel der
Bewohner der Landeshauptstadt bildet. Dann folgt Ocholt mit einer nach
dem Geestorte Westerstede führenden Zweigbahn. Noch bevor wir die
Landesgrenze überschreiten, erscheint Augustfehn im Lengener Moor mit
seinem 4 Kilometer langen, etwa 6 Meter Sohlbreite und 1,5 Meter Tiefe
besitzenden Kanal. Diese Fehnkolonie gedeiht besonders durch die dort
im Jahre 1856 gegründete und mit Torf heizende Eisenhüttengesellschaft.
Südlich dehnt sich das Saterland aus. Während Moor und Geestland die
Bahnlinie im Norden begrenzen, zeigen sich allmählich im Süden die
Alluvionen der Jümme, durch welche dieser Fluß sich hindurchwindet, der
sich eine Meile oberhalb Leer mit der Leda vereinigt.

[Illustration: Abb. 158. ¯Borkum, von der hohen Düne gesehen.¯ (Nach
einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

[Sidenote: Ostfriesland.]

Ostfriesland bildet in politischer Beziehung den Regierungsbezirk
Aurich. Die einzelnen Teile Ostfrieslands tragen jedoch im Volksmunde
besondere Bezeichnungen. Im Norden und Osten von der Ems, im Westen
vom Dollart und der holländischen Grenze, südlich von dem Bourtanger
Moor umzogen breitet sich das Reiderland aus. Weener mit etwas über
3800 Einwohnern ist sein Hauptort, der Sammelplatz seiner Produkte,
mit Handel und Industrie, großen Baumschulen und weithin bekanntem
Pferdemarkt.

Auf dem rechten Emsufer bis Oldersum und landeinwärts bis gegen
Oldendorf an der Westseite des Hochmoors heißt das Gebiet Moormer Land.
Zwischen Ems und der 2 Kilometer unterhalb in diese mündenden Leda
treffen wir als beträchtlichste Niederlassung dieses Gebiets die 11500
Einwohner zählende Handels- und auch Industriestadt Leer an. Erst spät
hat sich der so günstig belegene Ort zum Handelsplatz entwickelt und
bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wird er als solcher kaum
genannt. Schiffe bis zu 5 Meter Tiefgang können auf der Ems und Leda
bis zur Stadt gelangen und hier löschen (Abb. 126). Im Osten reicht
das kleine nur das eine Kirchspiel Remels (in alten Zeiten Uplengen
genannt) umfassende Lengener Land an das Moormer Gebiet. Besondere,
hier übliche Rechtsgebräuche lassen darauf schließen, daß es eine
sächsische Kolonie innerhalb des alten Friesenlandes ist. Nördlich von
Oldersum, zwischen Ems, Dollart und dem Emsbusen der Ley, folgt das
fast nur aus reinem Marschboden bestehende Emsiger Land. Seine Marschen
sind reich an Werften, auf denen sich die Bevölkerung angesammelt hat.
Einige derselben sind so klein, daß nur die dichtgedrängten Häuser
des Dorfes darauf Platz haben und die Gärten auf dem tiefer liegenden
Boden angelegt werden mußten. Den Marschgürtel Ostfrieslands begleitet
ein Streifen anmoorigen Bodens, das sogenannte Dargland, auf seiner
Innenseite, der wesentlich tiefer liegt als Marsch und Hochmoor,
aus welchem Grunde er auch mit zahlreichen Seenflächen besetzt ist,
beispielsweise das große Meer bei Wiegoldsbur nordöstlich von Emden.
Es sind im Darglande dieselben Verhältnisse, die wir im Sietlande
Hadelns bereits kennen gelernt haben. Im Winter ist das Ganze meist
überschwemmt.

[Illustration: Abb. 159. ¯Borkum. Das Dorf.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

Noch bis in die zweite Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts hinein war
das heute vom Dollart eingenommene Areal ein etwa 400 Quadratkilometer
großes Land, darauf eine Stadt, drei Flecken und fünfzig Ortschaften
und Dörfer standen. Die Mehrzahl dieser Orte lag im nordöstlichen
Teil des Gebietes. Am 12. Januar 1277 fingen die Zerstörungen durch
die Meereswellen an, und die Flut von 1287 vollendete, was die
ersteren begonnen hatten. Von 1539 ab datieren die Versuche, dem
Ocean das entrissene Land wieder abzugewinnen, zunächst auf der
Seite Hollands, seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts auch auf
der rechten Seite des Busens. 1682 wurde der Charlottenpolder, 1752
der Landschaftspolder, gesegnete Marschländer, eingedeicht. Die Ems
floß vor dem Einbruch des Dollart mit einem Bogen von kurzem Radius
unmittelbar an der Stadt Emden vorüber, und die Seeschiffe konnten
vor ihren Thoren ankern. Als aber 1277 der hoch aufgestaute Fluß
die Halbinsel Nesserland zerriß und zur Insel machte, bevorzugten
die Gezeitenströme das nunmehr gerade gelegte Flußbett und spülten
die seitwärts gelegene Stromschlinge, das Emdener Fahrwasser nur
mangelhaft, so daß dort ein fataler Schlickfall die Wassertiefen rasch
und stetig verminderte. „Emden,“ sagt Krümmel, dessen Abhandlung über
die Haupttypen der natürlichen Seehäfen wir diese Mitteilungen entlehnt
haben, „stand damals, im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, unter
den berühmten und blühenden Hansastädten vorn in erster Reihe, was es
dem Vorzug verdankte, daß die Schiffahrt auf der unteren Ems niemals
durch Eis behindert wird; der Tuchhandel nach England und die nordische
Fischerei auf Wale und Heringe beschäftigten über 600 große Seeschiffe,
und an Unternehmungsgeist und Reichtum übertraf es unzweifelhaft das
damalige Hamburg und Bremen. Der noch heute viel bewunderte Rathausbau
entstammt dieser goldenen Zeit.“

[Illustration: Abb. 160. ¯Strandstraße in Borkum, vom Leuchtturm
gesehen.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

[Sidenote: Emden.]

Bei zunehmender Versandung des Flußarmes am Ende des sechzehnten
Jahrhunderts stellten die Emdener unter großen Kosten und mit vieler
Mühe den Zustand von 1277 vermittelst des langen Dammes „Neßmer Höft“
wieder her. Die Ems wurde in ihr altes Bett zurückgeleitet, und
Nesserland wurde wieder zur Halbinsel. Im Verlaufe der Zeit waren aber
Emdens Bewohner durch verschiedene Umstände verhindert, das Neßmer
Höft zu erhalten. Dasselbe verfiel und wurde im Jahre 1632 aufgegeben.
Infolgedessen suchte der Fluß abermals sein geradeaus führendes Bett
auf, das alte, an Emden vorbeiziehende verschlickte, und so liegt
die Stadt denn heutzutage etwa 4 Kilometer von der Ems entfernt.
Der kurze Aufschwung von Handel und Schiffahrt, den Emden nach dem
Frieden zu Basel 1795 erleben durfte, nahm durch die Kriege mit
Napoleon, die Kontinentalsperre, die holländische und die französische
Fremdherrschaft ein rasches Ende. Während dieser Zeiten wurden 278
Emdener Schiffe mit wertvoller Ladung in fremden Häfen fortgenommen.
Emden wurde zum Rang einer kleinen Landstadt herabgedrückt. Auch
das im Jahre 1846 mit großen Opfern von der Stadt geschaffene neue
Fahrwasser nach der Ems konnte ihr nicht aufhelfen. In der Gegenwart
ändert sich aber die Sachlage. Dadurch, daß die preußische Regierung
die Unterhaltung des Hafens in Verbindung mit der Anlage des
Ems-Jade-Kanals übernahm und eine neue Seeschleuse (120 Meter lang,
6,5 Meter tief und von 15 Meter nutzbarer Breite) schuf, die den
Wasserspiegel beständig auf Hochwasser erhält, ferner umfangreiche
Binnenhafenanlagen erstehen ließ, hat der Schiffsverkehr zugenommen und
wird durch den weiteren Umstand, daß der Dortmund-Emshäfen-Kanal Emdens
Handel ein großes Hinterland durch eine schiffbare, ihresgleichen
suchende Wasserstraße erschlossen hat, noch weiter und glänzend gehoben
werden (Abb. 127–129).

Nach einer Zusammenstellung des königl. Hafenamtes zu Emden aus dem
laufenden Jahre über die Entwickelung des dortigen Schiffsverkehrs seit
der Verstaatlichung des Hafens im Jahre 1888 betrug die Zahl der ein-
und der ausgegangenen Schiffe:

  1888:  806 Seeschiffe  ( 33818 Registert.),
        1209 Flußschiffe ( 18599 Registert.),
  1893: 1022 Seeschiffe  ( 51774 Registert.),
        2938 Flußschiffe ( 42811 Registert.),
  1899: 1319 Seeschiffe  (141844 Registert.),
        4290 Flußschiffe ( 70553 Registert.).

In der Berichtszeit hat sich also der Verkehr, was die Schiffszahl
anlangt, beinahe, was den Raumgehalt der Fahrzeuge angeht, mehr als
verdreifacht.

[Illustration: Abb. 161. ¯Borkum. Flut.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

[Illustration: Abb. 162. ¯Borkum. Nach der Flut.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

Der Dortmund-Emshäfen-Kanal liegt außerhalb des Bereiches unserer
Betrachtungen, der Ems-Jade-Kanal jedoch, der Ostfriesland durchquert,
gehört in unser Gebiet. Derselbe war ursprünglich geplant und angelegt,
um die großen Moorflächen dieses Landes aufzuschließen und um in
Kriegszeiten Wilhelmshaven von Ostfriesland her verproviantieren
zu können, ferner um die Entwässerung eines großen Teiles dieser
Provinz zu verbessern und um seine Spülkraft für den Kriegshafen an
der Nordsee zu verwerten. In Emden beginnt diese Wasserstraße und
endet im Neuen Hafen zu Wilhelmshaven. Dieselbe ist 73 Kilometer
lang. Mit Benutzung der älteren Treckfahrt zwischen Emden und Aurich
wurde der Kanal von der preußischen im Verein mit der Reichsregierung
in den Jahren 1880–1887 mit einem Kostenaufwand von 13967500 Mark
gebaut. Er ist im Wasserspiegel 18 Meter breit, 8,5 Meter auf
seiner Sohle und in der Mitte 2,1 Meter tief. Vor der Mündung bei
Wilhelmshaven ist diese Tiefe auf einen Kilometer Strecke auf 3
Meter erhöht worden. Fünf Schleusen, mit je 33 Meter Kammerlänge,
6,5 Meter lichter Weite und 2,1 Meter Tiefe befinden sich auf seiner
Gesamtlänge. Der Schleuse in Wilhelmshaven ist schon früher gedacht
worden; ihre größeren Dimensionen wurden im Hinblick auf eine spätere
Erweiterung der Wasserstraße, die wohl einmal in denjenigen des
Dortmund-Emshäfen-Kanals ausgebaut werden dürfte, gewählt. Mit dem
letzteren steht der Ems-Jade-Kanal durch den Seitenkanal Oldersum-Emden
in Verbindung. Kleine Schraubendampfer vermitteln den Güterverkehr und
die Passagierfahrten zwischen Emden-Aurich und Aurich-Wilhelmshaven.
Auf die Melioration des von ihm durchzogenen Landes wirkt der Kanal
ungemein fördernd ein (Marccardsmoor bei Wiesede). Die Baggerarbeiten
in der Jade fördern jährlich etwa 200000 Kubikmeter Schlick, wovon
große Mengen auf dem Kanal für die daran belegenen Moorkolonien
verschifft werden.

Das älteste Emden wurde auf einer großen Werft, vielleicht der größten
an der ganzen Nordseeküste, 400 Morgen Fläche umfassend und 10–12 Fuß
über die umliegende Marsch erhaben, erbaut. Daraus entstand die später
so bedeutende Handelsstadt. Gegenwärtig zählt Emden 14800 Einwohner.
Es bietet mancherlei Interessantes. Das im edelsten Renaissancestil
errichtete Rathaus aus den Jahren 1574 bis 1576 enthält wertvolle
alte Waffen, das Museum der Gesellschaft für Kunst und vaterländische
Altertümer, schöne Gemälde niederländischer Künstler, Münzen- und
Altertumssammlungen. Auch die Große Kirche mit dem Denkmal des
Grafen Enno ~II.~ von Ostfriesland ist sehenswert. Eine Kleinbahn
führt von Emden in die Halbinsel Krumme Hörn. Die Leybucht, welche
dieselbe nördlich umgrenzt, ist wohl erst durch die Flut im Jahre 1373
entstanden.

[Illustration: Abb. 163. ¯Borkum. Ebbe.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

[Sidenote: Aurich. Norden.]

Die Marschen des Norderlandes im Norden, der Rücken des Hochmoores
im Osten begrenzen das sich östlich an das Emsiger Land anschließende
Broekmer Land, dessen Name von den vielen Wiesenmooren oder Brüchen,
die seinen Boden bedecken, kommt. Es war in den Zeiten des Mittelalters
seiner vier ansehnlichen Kirchspiele Marienhave, Utengerhave,
Victorhave und Lambertushave wegen berühmt. Marienhave stand, bevor
die Eindeichungen an der Ostseite der Ley zustande gekommen waren,
durch ein vertieftes Fahrwasser, das Störtebeckers Tief, in Verbindung
mit der See und bot den Vitalienbrüdern einen Zufluchtsort. Auf dem
quer durch das sonst unwegsame Hochmoor verlaufenden, sich bis Esens
und Wittmund hinziehenden und zuweilen sogar von Dünen besetzten
Geestrücken, über welchen der Verbindungsweg von der Ems zur Nordküste
Frieslands dahingeht, lag die von zehn Dörfern umgebene Kirche von
Lambertushave. Eines dieser letzteren, Aurichhave oder Aurike,
überflügelte die übrigen und wurde von den Cirksena, den Fürsten des
Landes, zu ihrer Residenz erhoben. Die heutzutage 5900 Einwohner
zählende Stadt Aurich, Hauptort des Regierungsbezirks, Gewerbe und
Handel betreibend, bekannt durch ihren starken Gartenbau und ihren
bedeutenden Pferdemarkt, ist daraus entstanden. Südlich von Aurich,
bei Rahe, erhebt sich ein kleiner, rasenbewachsener Hügel, der von
niedrigem Gestrüpp umgeben ist. Vor Zeiten trug sein Scheitel drei
hohe Eichen, und hier, am Upstallsboom (Obergerichtsbaum) kamen die
Abgeordneten von ganz Friesland zusammen, um über Landfriedensbündnisse
oder kriegerische Dinge zu beraten. Im Osten von Aurich dehnt sich das
Hochmoor und weites Heidegebiet aus bis an die Marschen Wangerlandes.
Dieser Teil, die ödeste Strecke Ostfrieslands, bildete ehemals zusammen
mit dem früheren Amte Friedburg und dem schon im Marschlande liegenden
Gebiete von Neustadt-Gödens das Land Ostringen. Die Marschen an der
Nordsee zerfallen in das Nordernerland im Westen, etwa mit Dornum als
Ostgrenze; die nachher zu besprechenden Eilande Norderney und Baltrum
gehören dazu. Von der Gegend von Dornum bis an die oldenburgischen
Marken, Langeoog und Spiekeroog in sich einbegreifend, reicht das etwa
400 Quadratkilometer umfassende Harlinger Land. Ein tiefer Busen,
die Harlbucht, die trichterförmig in das Land eingriff und südlich
bis Wittmund vordrang, trennte dasselbe noch bis in das sechzehnte
Jahrhundert hinein vom Wangerlande. 1547 wurde mit den Eindeichungen
der Anfang gemacht. Wittmund, Esens und Stedesdorf waren die drei
Häuptlingschaften vom Harlinger Land, dessen Herrscher zwar die
Cirksena als Nachfolger der alten Häuptlingsfamilie des Sibo waren,
das aber nur durch Personalunion mit Ostfriesland verbunden gewesen
ist. Erst durch Preußen wurde es 1745 mit letzterem vereinigt.
Norden mit 7000 Einwohnern, an einem zum Leybusen führenden Kanal,
mit viel Gewerbsamkeit (Geneverbrennereien, Zuckerwarenfabrikation,
Tabakindustrie) und Handel, hat einen architektonisch schönen
Marktplatz (s. Abb. 130 u. 131). Vier Kilometer davon liegt Norddeich,
die Dampferstation für Norderney. Eine Eisenbahnlinie verbindet Norden
über Georgsheil, von wo sich ein Schienenstrang nach Aurich abzweigt,
mit Emden, und längs der Marsch über Esens, einer Stadt mit etwa
2100 Seelen, die durch das Benser Siel mit dem Meere verbunden ist,
sowie Wittmund und Jever. Das erstere ist durch das Harletief für
kleinere Fahrzeuge vom Meere her erreichbar. Es hat nicht unbedeutenden
Viehhandel. Nördlich davon, an der See, liegt Karolinensiel mit gutem
Hafen und aufblühendem Handel.

[Illustration: Abb. 164. ¯Borkum. Im alten Dorf.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

[Sidenote: Die ostfriesischen Inseln.]

Eine Gesamtlänge von 90 Kilometer hat die Kette der ostfriesischen
Inseln, die sich von der Jade im Osten bis zur Westerems hinzieht
und erst eine ost-westliche Richtung bis einschließlich Norderney
einnimmt, um dann mit den beiden westlichsten dieser Eilande, mit Juist
und Borkum, nach Süden abzuweichen. Im Osten beginnt die Kette mit
dem unter Oldenburgs Oberhoheit stehenden Wangeroog, nach Westen zu
folgen Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum, zum
Regierungsbezirk Aurich gehörig. Schmale Seegate trennen die einzelnen
Eilande voneinander, bis auf das mitten im äußersten Mündungstrichter
der Ems belegene Borkum, und mit Ausnahme dieses letzteren sind die
Inseln auch alle wattfest. Ihre Größe ist verschieden angegeben worden,
je nachdem man nur die Dünen und das bewachsene Grasland, oder auch
den oft weit ausgedehnten Strand mit einbezieht. Wenn man als diesen
letzteren das bei gewöhnlichem Hochwasser noch unbenetzte Areal
begreift, so würde der Flächenraum der Inseln etwa 80 Quadratkilometer
ausmachen. Der Körper der Eilande besteht aus einem sehr gleichmäßigen
und feinen gelblich weißen Sande mit Beimengung von zahlreichen
Titaneisenkörnern und von Kalk, dem Überreste der zerriebenen
Muschelschalen, und diese gesamten Sandmassen ruhen wiederum entweder
auf alten Sandbänken oder auf dem Schlick der Wattwiesen. Auch auf
den ostfriesischen Inseln tritt uns die Dünenbildung in großartiger
Weise entgegen. Buchenau, dem wir eine interessante und sehr wertvolle
Darstellung dieser Eilande und ihrer Flora verdanken, schildert
dieselbe wie folgt:

„Dem mannigfachen Aufbau der Dünen entsprechend ist denn auch der
Anblick unserer Inseln ein überraschender. Er bietet sich am besten auf
dem Watt von einem Fährschiff aus dar. Die Insel mit ihren mannigfach
eingeschnittenen Erhebungen gleicht dann einem fernen Hochgebirge,
und die Schwierigkeit der Schätzung von Entfernungen und Höhen auf
der Wasserfläche verstärkt diesen Eindruck für den Landbewohner noch
sehr. Das Gewirre der Sandhügel ahmt steile Gipfel und ausgedehnte
Schneefelder, schroffe Einstürze und plötzliche Gletscherabstürze nach,
und vor ihnen dehnen sich scheinbar bewaldete Berge und die flache
Kulturebene aus.“

[Illustration: Abb. 165. ¯Landungsbrücke von Borkum.¯

(Nach einer Photographie von Wolffram & Co. in Bremen.)]

Bäume gedeihen nur im unmittelbaren Schutze der Dünen und Häuser.
Auf den Dünen wachsen der Dünenweizen, die Dünengerste und besonders
der Dünenhafer oder Helm, der bekanntlich durch seine Stöcke dazu
beiträgt, die Düne zu erhöhen, und durch seine zähen, bis 5 Meter
Länge erreichenden Wurzelausläufer mit ihren zahlreichen, nicht minder
langen, geschlängelten Wurzeln die Düne durchzieht und sie auf solche
Weise festigen hilft. Auf den Wattweiden grünen die Meerstrandbinse
und der Krückfuß, in den Dünenthälern die Zwergweide, der stachelige
Sanddorn u. s. f. Die Gesamtzahl der auf den ostfriesischen Inseln
einheimischen höheren Gewächse beträgt etwa 400 Arten.

Unter der Tierwelt zeichnet sich der hier ungewöhnlich häufige Kuckuck
aus, Strand- und Wasservögel beleben die Inselwelt, Fledermäuse, die
Wühlmäuse und am Strande die Seehunde vertreten die Säuger, die früher
hier zahlreichen Kaninchen sind ausgerottet worden. In neuerer Zeit
wurden Hasen eingeführt, die sich auf einigen Inseln, so auf Langeoog,
sehr vermehrt haben.

Die Bevölkerung ist echt friesisch; sie treibt Schiffahrt, Fischfang
und da, wo es geht, etwas Ackerbau, so die Kartoffelkultur, immerhin
aber nur in sehr beschränktem Maße. Die meisten ostfriesischen Inseln
besitzen Rettungsstationen, und auf allen sind Nordseebäder, die, wie
Borkum und Norderney, Weltberühmtheit erlangt haben. Das letztgenannte
Eiland hat das besuchteste deutsche Nordseebad überhaupt und zählt
jährlich etwa 24000 Badegäste. Starke Uferschutzwälle halten an den
dem Andrang der Fluten ausgesetzten Stellen die brandenden Wogen der
Nordsee ab und tragen zur Sicherung der auf den Inseln befindlichen
Dörfer und Wohnstätten bei.

Wangeroog (Abb. 132–134) steht über Karolinensiel-Harle mit dem
Festlande in Verbindung. Als Seebad ist die Insel schon seit dem
Jahre 1819 bekannt. Kirche und Dorf befinden sich auf dem Eiland.
Spiekeroog (Abb. 135–137) ist auf demselben Wege oder über Esens
und Neu-Harlingersiel zu erreichen, und vom Dorfe bis zum Strand
führt eine Pferdebahn. Auf Langeoog, das 1717 durch die Wogen mitten
durchgerissen worden ist, so daß Kirche und Dorf zerstört wurden, ist
ein vom Kloster Loccum verwaltetes Hospiz; das dortige aufblühende
Seebad ist, wie dasjenige von Spiekeroog einfacheren Verhältnissen
angepaßt (Abb. 138–142). Über Esens und Bensersiel gelangt man dorthin,
und über Dornum und Neßmersiel nach Baltrum, der kleinsten der sieben
ostfriesischen Inseln, die ein Ost- und ein Westdorf besitzt (Abb.
143–148). Nach der Flut vom Jahre 1825 mußten Dorf und Kirche, die an
der Westseite der Insel gelegen hatten, nach deren Mitte übertragen
werden.

Norderney ist 13 Kilometer lang und 4 Kilometer breit; an der
Südwestecke der Insel erhebt sich das gegenwärtig 3000 Seelen
zählende gleichnamige Dorf. In der schönen Sommerszeit ist das unter
staatlicher Verwaltung stehende Seebad Norderney ein Modebad im vollen
Sinne des Wortes, mit allen Annehmlichkeiten und jedem nur denkbaren
Komfort, das Ostende und Blankenberghe in den Schatten stellt. Ein
schön und zweckmäßig eingerichtetes Konversationshaus, großartige
Gasthöfe, praktische Badehäuser, auch für warme Seebäder, wie sich
solche übrigens auch auf der Mehrzahl der anderen ostfriesischen
Inseln finden, gut ausgerüstete Verkaufsläden und dergleichen Dinge
mehr befinden sich hier. Am nördlichen Strande steht der bekannte
Restaurationspavillon, die Giftbude. In Norderney hat der Verein
für Kinderheilstätten an den Seeküsten ein zur Aufnahme von 240
Kindern eingerichtetes Seehospiz erbaut, das unter dem Protektorate
der Kaiserin Friedrich steht, ebenso ist auf der Insel eine
evangelische Diakonissenanstalt zur Heilung skrophulöser Kinder, zwei
Unternehmungen, die seit der Zeit ihres Bestehens schon vielen Segen
gestiftet und manchem kranken Kinde wieder zur Gesundheit verholfen
haben (Abb. 149–155).

Im Osten ist Norderney von 11–15 Meter hohen Dünen bedeckt, im Süden
steigt der 54 Meter hohe, einen prächtigen Rundblick gewährende
Leuchtturm auf, nördlich davon erhebt sich der höchste Punkt der Insel,
die nunmehr mit Helm bepflanzte, früher aber kahle Weiße Düne.

Während der tiefen Ebbe ist Norderney vom Festlande aus durch das
seichte Watt trockenen Fußes zu erreichen. Auch der Postwagen fährt
dann über die Watten.

Das langgestreckte Juist hing in alten Zeiten mit Borkum zusammen. Im
dreizehnten Jahrhundert soll eine grausige Wasserflut beide Eilande
voneinander getrennt haben. Der Pastor Janus zu Juist war zu Ausgang
des achtzehnten Jahrhunderts der erste, der, wenn auch damals ohne
Erfolg, auf die heilsamen Wirkungen der Seebäder hingewiesen hat.
Juists Bedeutung als Seebad nimmt jährlich zu. Gegenwärtig ist der
Landungsplatz mit dem Dorfe bereits durch eine Eisenbahn verbunden
(Abb. 156 u. 157).

Man fährt nach Norderney und Juist über Norden und Norddeich, Norderney
ist außerdem noch in direktem Seeverkehr mit Bremen und Hamburg durch
Schiffe der Hamburger Nordseelinie, die auch nach Borkum fahren.
Letzteres erreicht man auch mittels Dampfboot von Emden oder von Leer
aus.

Das 8 Kilometer lange und 4 Kilometer breite Borkum, das ~Burchana~
oder ~Fabaria~ der Römer, hat durch die Sturmfluten in früheren
Jahrhunderten viel zu leiden gehabt. Nunmehr ist die in West- und
Ostland zerfallende Insel ein sehr emporstrebender und vielbesuchter
Badeort, der Norderney nicht allzusehr nachstehen dürfte (jährlich
14000 Badegäste) und einen vorzüglichen Badestrand besitzt. Der
Hauptort liegt auf dem Westlande; in demselben ragen die beiden
Leuchttürme empor, der alte, 47 Meter hohe, und der neue, 60 Meter
Höhe aufweisende und ein Blinkfeuer erster Ordnung besitzende (Abb.
158–165). Der Ort selbst steht mit der Landungsbrücke durch eine
Eisenbahn in Verbindung. Borkums Weiden ernähren einen ansehnlichen
Viehstand. Eine Eigentümlichkeit der Insel bilden die aus
Walfischknochen hergestellten Straßenzäune. Ansehnliche Brutstätten von
vielerlei Seevögeln liegen auf Borkums Ostlande, in noch größerem Maße
ist dies auf Rottum der Fall, einem westwärts von Borkum belegenen und
schon Holland zugehörigen Eiland.

Hier sind wir am Ziele unserer Reise angelangt. Hoch oben, im Norden
Schleswigs, bei Endrup haben wir den Wanderstab in die Hand genommen,
an der Nordwestgrenze des Reiches, angesichts der holländischen
Küste, stellen wir denselben wieder beiseite. Unseren Lesern aber,
die uns auf dieser langen Fahrt begleitet haben, die mit durch die
großen Hansestädte, durch die alten Flecken und die reichen Dörfer
gezogen sind, über die schwermütig stimmende Heide, das düstere und
öde Moorland oder in die fetten Marschen, und dann hinaus an den vom
frischen und lebendigen Hauch der brandenden Nordsee durchwehten
Inselstrand mit seinem weißblinkenden Dünensaum, sagen wir ein
herzliches Lebewohl!

[Illustration]



Einige der wichtigsten Quellenwerke und Abhandlungen zu dem
vorliegenden Buche.


 =Allmers=, Hermann. Marschenbuch. Land- und Volksbilder aus den
 Marschen der Weser und Elbe. Dritte Auflage. Oldenburg und Leipzig.
 Ohne Jahreszahl.

 =Boysen=, L. ~Dr.~ Statistische Übersichten über die Provinz
 Schleswig-Holstein. Kiel und Leipzig, 1892.

 =Buchenau=, ~Dr.~ F. Über die ostfriesischen Inseln und ihre Flora.
 (Verhandlungen des elften deutschen Geographentages zu Bremen, 1895.)
 Berlin, 1896.

 =Bücking=, H., Baurat in Bremen. Die Unterweser und ihre Korrektion.
 (Verhandlungen des elften deutschen Geographentages zu Bremen, 1895.)
 Berlin, 1896.

 =Eckermann=, Baurat in Kiel. Verschiedene Abhandlungen über die
 Geschichte der Eindeichungen an der Westküste Schleswig-Holsteins.
 (Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburgische
 Geschichte.) Kiel.

 =Eilker=, Georg. Die Sturmfluten der Nordsee. Emden, 1877.

 =Festschrift= zur fünfzigjährigen Jubelfeier des Provinzial-Vereins zu
 Bremervörde (Regierungsbezirk Stade). Stade, 1885.

 =Guthe=, H. Die Lande Braunschweig und Hannover, mit Rücksicht auf
 ihre Nachbargebiete geographisch dargestellt. Hannover, 1867.

 =Haage=, Reinhold. Die deutsche Nordseeküste in physikalischer und
 morphologischer Hinsicht. (Inauguraldissertation) Leipzig, 1899.

 =Haas=, H., =Krumm=, H. und =Stoltenberg=, Fritz. Schleswig-Holstein
 meerumschlungen in Wort und Bild. Kiel, 1897.

 =Hahn=, F. G. Die Städte der norddeutschen Tiefebene in ihrer
 Beziehung zur Bodengestaltung. Stuttgart, 1885.

 =Hansen=, C. P. Chronik der friesischen Uthlande. Altona, 1856.

 =Hansen=, Reimer. Beiträge zur Geschichte und Geographie
 Nordfrieslands im Mittelalter. (Zeitschrift der Gesellschaft für
 Schleswig-Holstein-Lauenburgische Geschichte, Bd. 24.) Kiel, 1894.

 =Jensen=, Chr. Die nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr, Amrum und die
 Halligen vormals und jetzt. Hamburg, 1891.

 =Krümmel=, Otto. Die geographische Entwickelung der Nordsee. Ausland.

 =Lepsius=, R. Geologische Karte des Deutschen Reiches. Gotha,
 1894–1897.

 =Meiborg=, R. Das Bauernhaus im Herzogtum Schleswig und das Leben des
 schleswigschen Bauernstandes im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Deutsche
 Ausgabe besorgt von R. Haupt. Schleswig, 1896.

 =Meyn=, Ludwig. Geographische Beschreibung der Insel Sylt und ihrer
 Umgebung. Berlin.

 =Meyn=, L. Geologische Übersichtskarte der Provinz Schleswig-Holstein
 1 : 300000. Berlin, 1881.

 =Nauticus.= Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen. Berlin, 1899.

 =Reventlow=, Graf Arthur von. Über Marschbildung an der Küste des
 Herzogtums Schleswig und die Mittel zur Beförderung derselben. Kiel,
 1863.

 =Salfeld=, ~Dr.~ Die Hochmoore auf dem früheren Weser-Delta.
 (Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 16. Bd.) Berlin,
 1881.

 =Schröder=, J. von und Herm. =Biernatzki=. Topographie der Herzogtümer
 Holstein und Lauenburg, des Fürstentums Lübeck und des Gebiets der
 Freien und Hanse-Städte Hamburg und Lübeck. Oldenburg i. Holstein,
 1855 bis 1856.

 =Schröder=, J. von. Topographie des Herzogtums Schleswig. Schleswig,
 1837.

 =Seelhorst=, C. von. Acker- und Wiesenbau auf Moorboden. Berlin, 1892.

 =Segel-Handbuch= für die Nordsee, herausgegeben von dem
 hydrographischen Amte der Admiralität. Erstes Heft. Berlin, 1884.

 =Tacke=, ~Dr.~ Br. Die nordwestdeutschen Moore, ihre Nutzbarmachung
 und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung. (Verhandlungen des elften
 deutschen Geographentages zu Bremen, 1896.) Berlin, 1896.

 =Tittel=, Ernst. Die natürlichen Verhältnisse Helgolands und die
 Quellen über dieselben. (Inauguraldissertation.) Leipzig, 1894.

 =Traeger=, Eugen. Die Halligen der Nordsee. Stuttgart, 1892.

 =Traeger=, Eugen. Die Rettung der Halligen und die Zukunft der
 schleswig-holsteinischen Nordseewatten. Stuttgart, 1900.

 =Vierteljahrsheft= zur Statistik des Deutschen Reichs, herausgegeben
 vom kaiserlichen statistischen Amt. Siebenter Jahrgang, 1898. Berlin,
 1898.

 =Wichmann=, E. H. Die Elbmarschen. (Zeitschrift der Gesellschaft für
 Erdkunde zu Berlin, 20. Bd.) Berlin, 1885.



Register.


  Alkersum 92.

  Alse 155.

  Alster 114.

  Alte Land, das 128. 137. 138.

  Alte Mellum 158.

  Altenbruch 140. 142.

  Altendorf 140.

  Altengamme 126.

  Altenländer Moor 143.

  Altenwalde 143.

  Altländer Moor 145.

  Altmannshöhe 152.

  Altona 126. 127. 128;
    Palmaille mit Blücherdenkmal 82 (Abb. 83);
    Rathaus 82 (Abb. 82).

  Ammerland 158.

  Amönenhöhe 111.

  Amrum 36. 87–90;
    Leuchtturm 25 (Abb. 24).

  Amrumer-Tief 87.

  Appelland 90.

  Archsum 75. 84.

  Archsumburg 84.

  Arngast 161.

  Assel 139.

  Atens 159.

  Aue 140. 145.

  Augustfehn 163.

  Aumühle 126.

  Aurich 163. 168.

  Außenalster 114. 53 (Abb. 49).

  Austernbänke 82.


  Baljen 39.

  Balksee 146.

  Ballum 72. 74.

  Baltrum 170. 145 (Abb. 144);
    alter Friedhof 149 (Abb. 148);
    Haus in den Dünen 147 (Abb. 146);
    Landungsbuhne 148 (Abb. 147);
    Ostdorf 145 (Abb. 143);
    Pfahlwerk in Sturmflut 146 (Abb. 145).

  Bant 162.

  Bargum 66.

  Bauernhäuser in Kurslak 77 (Abb. 75). 79 (Abb. 77);
    in Neuengamme 76 (Abb. 73); 78 (Abb. 76).

  Bederkesa 146. 155.

  Bederkesaer See 140. 146.

  Benser Siel 169.

  Bergedorf 126.

  Bernstein 24. 25.

  Bevölkerung 51. 52. 56.

  Billberg 131.

  Bille 114. 126.

  Billwerder 126.

  Binnenalster 114. 53 (Abb. 49).

  Binnenmoore 144.

  Blankenese 128. 85 (Abb. 86), (Abb. 87).

  Blexen 160.

  Blockhäuser des Seebades Lakolk auf Röm 14 (Abb. 14).

  Blockland 147.

  Blumenthal 152. 155.

  Boldixum 92. 30 (Abb. 28).

  Bolilmark 74.

  Boot zu Wasser 6 (Abb. 5).

  Bordelum 66.

  Borkum 170. 171. 6 (Abb. 4).
    163 (Abb. 158). 164 (Abb. 159). 165 (Abb. 160). 166 (Abb. 161);
    (Abb. 162). 167 (Abb. 163). 168 (Abb. 164). 169 (Abb. 165).

  Bösch 110.

  Bracke 140.

  Braderup 83. 84.

  Brake 147. 159.

  Bredau 39.

  Bredberg 131.

  Brede-Au 72.

  Bredebro 72. 73.

  Bredstedt 66.

  Breitenburg, Schloß 111.

  Breklum 66.

  Bremen 147–152. 101 (Abb. 104);
    Börse 108 (Abb. 111);
    Dom 108 (Abb. 112);
    Essighaus 109 (Abb. 113);
    Freihafen 103 (Abb. 105);
    Markt 110 (Abb. 114);
    Museum 111 (Abb. 116);
    Rathaus 105 (Abb. 107); 106 (Abb. 108). 107 (Abb. 109); (Abb. 110);
    Weserbrücke 104 (Abb. 106).

  Bremer Typen 111 (Abb. 115).

  Bremerhaven 147. 153. 154. 115 (Abb. 118).

  Bremervörde 142. 146.

  Broekmer Land 167.

  Bröns 72.

  Brönsau 39.

  Brundorfer Heide 143.

  Brunsbüttel 109. 44 (Abb. 41). 46 (Abb. 43).

  Brunsbüttelkoog, Binnenhafen 47 (Abb. 44).

  Brunshausen 140.

  Buchholz 146.

  Burg 110.

  Burglesum 152.

  Burhave 160.

  Büsum 106.

  Butjadingen 159.

  Butjadingerland 158.

  Büttel 110.

  Buxtehude 138.


  Campe 140.

  Camper Höhe 143.

  Cappel 156.

  Charlottenpolder 165.

  Christian-Albrechts-Koog bei Tondern 66.

  Cuxhaven 128. 157. 158. 86 (Abb. 88). (Abb. 89).


  Dagebüll 70.

  Dahlemer See 146.

  Dammhausen 145.

  Dangast 161.

  Dargland 164.

  Deetzbüll 68.

  Deichen 48. 49.

  Delme 160.

  Delmenhorst 160.

  Denghoog 78.

  Dieksand 104.

  Doggerbank 20.

  Dollart 28. 158. 164.

  Dornum 168.

  Dorum 156. 157.

  Döse 158.

  Döstrup 72.

  Drepte 145.

  Duhnen 158.

  Düne (Helgoland) 130. 2 (Abb. 1).

  Dwarsgatt 154.


  Eckwarden 160.

  Eddelak 110.

  Eider 105.

  Eiderstedt 98. 99. 100. 102.

  Eindeichungen 48.

  Elbe 114. 126.

  Elbschleuse 45 (Abb. 42).

  Ellenbogen, Halbinsel 79.

  Elmer Schiffgraben 145.

  Elmshorn 112. 51 (Abb. 47).

  Elsfleth 147. 158. 159.

  Emden 165. 166. 167. 127 (Abb. 127);
    am Delft in 128 (Abb. 128);
    Rathaus 129 (Abb. 129).

  Emmelcke 140.

  Emmelsbüll 66.

  Emmerlef 72.

  Ems 158. 165.

  Ems-Jade-Kanal 166. 167.

  Emsiger Land 164. 167.

  Endrup 39.

  Eppendorf 126.

  Esens 169.

  Este 138. 145.


  Fahretoft 97.

  Fahrstedt 109.

  Fartrapp-Tief 87.

  Fehnkolonien 144.

  Fischerwohnung, Helgoländer 93 (Abb. 97).

  Flaggenberg 131.

  Flögelner See 146.

  Föhr 36. 90. 92;
    Strand von Wyk auf Föhr 3 (Abb. 2).

  Frauentracht auf Föhr 28 (Abb. 26).

  Freiburg 139.

  Freiburger Tief 139.

  Friedburg 168.

  Friedhof für Heimatlose (Sylt) 19 (Abb. 19).

  Friedrichskoog 104. 108.

  Friedrichsruh 126. 80 (Abb. 78). 81 (Abb. 80);
    Mausoleum 81 (Abb. 81);
    Schlaf- und Sterbezimmer des Fürsten Bismarck 80 (Abb. 79).

  Friedrichsstadt 104. 105.


  Garding 102.

  Garlstedter Heide 143.

  Geest 41.

  Geeste 142. 145.

  Geestemünde 153. 158. 113 (Abb. 117).

  Geesthacht 126.

  Geestland zwischen Unterelbe und Unterweser 142.

  Geestufer von Schobüll 65.

  Geologisches 17.

  Georgsheil 169.

  Gerichtshügel 78.

  Geschichtliches 58.

  Gezeiten 7.

  Glückstadt 112.

  Golzwarden 159.

  Gösche 140. 145.

  Goting 92.

  Gotteskoogsee 66.

  Gramm 73.

  Gröde 36. 90. 97; 37 (Abb. 33). 38 (Abb. 34). 39 (Abb. 35).

  Grünenthal 109;
    Hochbrücke 49 (Abb. 45).

  Grünlandmoor 144.

  Grüppenbühren 160.


  Habel 90.

  Hadeln 128. 137. 140. 141.

  Hadeler Kanal 140.

  Hadeler Marsch 140.

  Hadeler Moore 144.

  Halemmer See 146.

  Halligen 36. 94. 95. 96. 97. 10 (Abb. 9).

  Halligwerft nahe vor dem Einsturz (Langeneß) 11 (Abb. 10).

  Hamburg 114–126. 61 (Abb. 57). 62 (Abb. 58). 64 (Abb. 60);
    Fleet zwischen Deichstraße und Cremon 58 (Abb. 54);
    Fleet bei der Reimersbrücke 59 (Abb. 55);
    Freihafenlagerhäuser 57 (Abb. 53);
    Großer Burstah 66 (Abb. 62);
    Hafen 54 (Abb. 50). 56 (Abb. 52);
    Hopfenmarkt 67 (Abb. 63);
    Jungfernstieg 73 (Abb. 69);
    Katharinenkirche 59 (Abb. 55);
    Kriegerdenkmal 72 (Abb. 68);
    Lombardsbrücke 68 (Abb. 64);
    Michaeliskirche 65 (Abb. 61);
    Nikolaikirche 67 (Abb. 63);
    Rathaus 69 (Abb. 65);
    Rathausbrunnen 71 (Abb. 67);
    Ratskeller 70 (Abb. 66);
    Sandthorkai 57 (Abb. 53);
    Seewarte 64 (Abb. 60);
    Segelschiffhafen 55 (Abb. 51);
    Steckelhörn 61 (Abb. 57);
    Winserbaum 60 (Abb. 56);
    neue Brücke nach Harburg 96 (Abb. 100).

  Hamburger Hallig 90.

  Hamburger Volkstrachten 74 (Abb. 70).

  Hamme 42. 144. 145.

  Hammelwörden 139.

  Harburg 137. 146; neue Brücke nach Hamburg 96 (Abb. 100).

  Harlbucht 168.

  Harletief 169.

  Harlinger Land 168.

  Harsefeld 142.

  Harsfelder Rücken 143.

  Hasbruch 160.

  Haseldorfer Marschen 104. 112.

  Haseldorfer Schloß 114.

  Hattstedt 64.

  Heide 43. 105.

  Helgoland 129–137. 89 (Abb. 92), (Abb. 93);
    Hengst und Nordspitze 94 (Abb. 98);
    Oberland und Unterland 95 (Abb. 99);
    Oberland und Nordspitze 91 (Abb. 95);
    Unterland und die Düne 2 (Abb. 1).

  Helgoländer Fischerwohnung 93 (Abb. 97).

  Helgoländerinnen 92 (Abb. 96).

  Helmsand 94.

  Hemmingstedt 106.

  Hemmoor 146.

  Heppens 162.

  Hever 64. 90.

  Himmelpforten 142. 143.

  Hitzbank 102.

  Hochland 140. 141.

  Hochmoore 41. 42. 144.

  Hochseefischerei, deutsche 13–15.

  Hohe Lieth 143.

  Hoher-Lieth 140.

  Hoher Weg 158.

  Hohewegsleuchtturm 154.

  Hollerland 147.

  Hooge 36. 90. 95. 96. 97.

  Hooksiel 162. 163.

  Horneburg 138. 145.

  Hörnum 86.

  Horsbüll 66.

  Horsbüllharde 67. 68.

  Horst 106.

  Hoyer 50. 70. 71. 72.

  Hoyerschleuse 70. 72.

  Hude 159. 160.

  Hüll 140.

  Humptrup 71.

  Hunte 158. 159. 161.

  Hunte-Ems-Kanal 161.

  Husum 62. 63. 64;
    Storms Grab in 12 (Abb. 11).

  Husumer Au 39.

  Hvidding 72.

  Hymensee 146.


  Imsum 156.

  Isensee 140.

  Itzehoe 110. 111. 50 (Abb. 46).


  Jade 158.

  Jadebusen 158. 161.

  Jerpstedt 72.

  Jever 162. 169.

  Jeverland 158. 162.

  Jordsand 94.

  Jork 138. 143.

  Jührdener Feld 158.

  Juist 170. 171. 160 (Abb. 156). 161 (Abb. 157).

  Jümmer 163.

  Juvre 74.

  Juvrer Tief 40.


  Kaiser Wilhelm-Kanal 109. 45 (Abb. 42). 46 (Abb. 43).
    47 (Abb. 44). 49 (Abb. 45).

  Kaiser Wilhelm-Koog 104.

  Kaltehofe 126.

  Kampen 78. 84;
    Kurhaus 77;
    Leuchtturm 20 (Abb. 20).

  Karolinensiel 162. 169.

  Kehdingen 128. 137. 138. 139.

  Kehdinger Moor 139. 144.

  Keitum 75. 83. 23 (Abb. 22).

  Kellinghusen 112.

  Kirchwerder 126.

  Kirkeby 74. 14 (Abb. 13).

  Klauxbüll 67.

  Klopstocks Grab 83 (Abb. 84).

  Kniepsand 88.

  Kongsmark 74.

  Königshafen 79.

  Königspesel 95.

  Kornkoog 68.

  Kranenburg 140.

  Krempe 112.

  Krempermarsch 104.

  Kronprinzenkoog 104.

  Krückau 112.

  Krumme Hörn 167.

  Kudensee 110.

  Kurslack 126;
    Bauernhaus 77 (Abb. 75). 79 (Abb. 77).


  Lägerdorf 112.

  Lakolk 74;
    Blockhäuser 14 (Abb. 14).

  Land und Leute 39.

  Landschaftspolder 165.

  Langeneß 25. 36. 97;
    Halligwerft 11 (Abb. 10);
    Peterswerft 34 (Abb. 31).

  Langeneß-Nordmarsch 90. 96.

  Langeoog 170; 141 (Abb. 138). 141 (Abb. 139); 143 (Abb. 141);
    Neutraler Strand 143 (Abb. 142).

  Langeoog-Dünen 142 (Abb. 140).

  Langlütjensand 156. 158.

  Langwarden 160.

  Leck 66.

  Leda 158. 163. 164.

  Leer 158. 164;
    Rathaus 125 (Abb. 126).

  Lehe 154.

  Lengener Land 164.

  Lengener Moor 158. 163.

  Lesum 42. 143. 145. 154.

  Ley 164.

  Lieth 112.

  Lilienthal 143.

  Lindholm 66. 68.

  Lintrup 73.

  List 79.

  Lister Tief 74. 79.

  Litberg 143.

  Lockstedt 112.

  Lockstedter Lager 112.

  Lohberg 143.

  Lombardsbrücke in Hamburg 68 (Abb. 64).

  Lornsenhain 86.

  Lüdingworth 142.

  Lügumkloster 73.

  Lühe 138. 145.

  Lunden 105.

  Lune 145. 156.


  Manö 39.

  Marccardsmoor 167.

  Marne 109.

  Marschen 22. 41. 44. 46.

  Marschlande am linken Elbufer 137.

  Marschlande am rechten Weserufer 147.

  Medem 140. 145.

  Meldorf 107. 108. 43 (Abb. 40).

  Meldorfer Bucht 94.

  Midlum 156.

  Miele 39.

  Misselwarden 156.

  Moderberg 131.

  Mögeltondern 72.

  Mönch 90 (Abb. 94).

  Mönchshügel 75.

  Moorburg 137.

  Moore 43.

  Moorbildungen 42.

  Moorkolonien 144.

  Moorkultur 144.

  Moormer Land 164.

  Moornutzung 144.

  Moorriem 159.

  Morsum 75. 84.

  Morsumkliff 75.

  Mövennest 42 (Abb. 39).

  Mulxum 156.

  Munkehoi 75.

  Munkmarsch 70. 83. 84.


  Näs Odde 84.

  Nebel, Kirchdorf 88.

  Nesserland 165.

  Neßmer Höft 165.

  Neudorfer Hafen 109.

  Neuenburg 162;
    Urwald von 160.

  Neuengamme 126;
    Bauernhäuser in 76 (Abb. 73). 78 (Abb. 76).

  Neuenkehn 154.

  Neuhaus 140.

  Neuland 139.

  Neumühlen 128. 84 (Abb. 85).

  Neustadt-Gödens 168.

  Neuwerk 128. 158. 87 (Abb. 90).

  Nieblum 92. 29 (Abb. 27).

  Niebüll-Deezbüll 66.

  Niedervieland 147.

  Nienstedten 128.

  Norddeich 168.

  Norddeutscher Lloyd 148.

  Norddorf 88.

  Norden 168. 130 (Abb. 130);
    Liudgerikirche 131 (Abb. 131).

  Nordenham 159. 160.

  Nordernerland 168.

  Norderney, Ausblick von den Dünen 155 (Abb. 152);
    Dünen 157 (Abb. 154);
    Leuchtturm 159 (Abb. 155);
    Seesteg 154 (Abb. 151);
    Strand 151 (Abb. 149).

  Norderoog 36. 90. 96.

  Norderpiep 40.

  Nordmarsch 25. 36.

  Nordsee, Grenzen 5;
    Salzgehalt 9.

  Nordseeschiffahrt, deutsche 10.

  Nordstrand 35. 64. 90. 93. 42 (Abb. 38).

  Nordstrandisch-Moor 34. 90. 93. 97.

  Nösse 84.


  Oberahnsche Felder 162.

  Obervieland 147.

  Ocholt 163.

  Odenbüll 93.

  Ohlsdorf 126.

  Oland 90. 96. 97. 35 (Abb. 32).

  Oldenburg 158. 161;
    Lambertikirche 119 (Abb. 122);
    Rathaus 117 (Abb. 120);
    Schloß 116 (Abb. 119);
    der Stau in 118 (Abb. 121).

  Oldenbüttel 153.

  Oldendorf 164.

  Oldersum 164.

  Oslebshausen 152.

  Oste 137. 140. 142. 145.

  Ostemarsch 137. 140.

  Oste-Moore 144.

  Osterholz-Scharmbeck 152.

  Oster-Ihlienworth 140.

  Osterstade 154. 155.

  Osterstader Moore 144.

  Ostfriesische Inseln 158. 169.

  Ostfriesland 163. 164. 165.

  Ostringen 168.

  Ottensen 128.

  Otterndorf 141. 142.

  Övenum 92.


  Paddingbüttel 156.

  Panderkliff 83.

  Papenburg 144.

  Pellworm 35. 36. 90. 93. 96.

  Pinnau 112.

  Pinneberg 112.

  Pohnshallig 90.

  Poppenbüttel 114.

  Postfahrt durch das Wattenmeer 8 (Abb. 7). 9 (Abb. 8).

  Predigtstuhl 90 (Abb. 94).


  Rade 155.

  Rahe 168.

  Rantum 85. 21 (Abb. 21).

  Rastede 161.

  Rechtenfleth 155.

  Reiderland 164.

  Reinbeck 126.

  Reisby 72.

  Remperbach 146.

  Rettungsstationen 6 (Abb. 4). 16 (Abb. 16).

  Riesum 66.

  Risummoor 68.

  Ritzebüttel 156.

  Rödding 73.

  Rodenäs 67.

  Rodenkirchen 155. 159.

  Röm 72. 74. 14 (Abb. 13).

  Römer Tief 40. 74.

  Römer Tracht, Mädchen in 15 (Abb. 15).

  Rönnebeck 152.

  Rotenburg 146.

  Rotesand 154.

  Rotes Kliff 75. 77. 78. 5 (Abb. 3).

  Rottum 171.

  Rungholter Sand 29.

  Rustringen 158.


  Sande 162.

  Sandspierenfang 40 (Abb. 36).

  Sankt Jürgens-Land 145.

  Sankt Margareten 110.

  Sankt Michaelisdonn 108.

  Sankt Peter 102.

  Saterland 163.

  Satteldüne 89.

  Sauensiek 143.

  Schackenburg, Schloß 72.

  Scharhörn 128.

  Scharhörnwatt 88 (Abb. 91).

  Scherrebek 72. 74.

  Schiffsunfälle 12.

  Schleswig-Holsteinische Westküste 102.

  Schnelldampfer „Auguste Victoria“ 63 (Abb. 59);
    „Kaiser Wilhelm der Große“ 97 (Abb. 101). 98 (Abb. 102). 99 (Abb. 103).

  Schobüll, Geestufer 65.

  Schobüller Berg 64.

  Schwinge 137. 139. 145.

  Seefeld 160.

  Seehundsjäger 41 (Abb. 37).

  Seestermühe 112.

  Seestermüher Marsch 112.

  Seewarte in Hamburg 64 (Abb. 60).

  Sietland 140. 141.

  Skalnasthal 88.

  Solthörner Watt 158.

  Sophienkoog 104.

  Spieka 156.

  Spiekeroog 170. 137 (Abb. 135). 138 (Abb. 136). 139 (Abb. 137).

  Stade 139.

  Stadland 158. 159.

  Stedesand 66.

  Stedinger Land 158. 159.

  Steinhorst 114.

  Stollhamm 160.

  Störfluß 111.

  Störtebecker Tief 168.

  Stotel 155.

  Strömungen 7.

  Stubben 153.

  Sturmfluten 7. 8. 26. 28. 29. 30. 32. 33.

  Süddorf 88.

  Süderhever 40.

  Süderoog 90. 96.

  Südfall 90.

  Süllberg, vom Bismarckstein gesehen 85 (Abb. 86).

  Sülwert 92.

  Sylt 36. 74–87. 16 (Abb. 16). 17 (Abb. 17).

  Sylter Heide 77.


  Tating 102.

  Temperatur 8.

  Teufelsbrücke 128.

  Teufelsmoor 142. 144.

  Tinnum 84.

  Toftum 74.

  Tondern 50. 70. 71.

  Tönning 102;
    Hafen 13 (Abb. 12).

  Tornesch 112.

  Tossens 160.

  Trachten: Hamburger Volkstrachten 74 (Abb. 70);
    Römer Tracht 15 (Abb. 15);
    Vierländer 75 (Abb. 72). 77 (Abb. 74).


  Uhlenhorst 52 (Abb. 48).

  Unterland (Helgoland) 129. 2 (Abb. 1).

  Ütersen 112.

  Ütersum 92.

  Uwenberg 77.


  Varel 160.

  Vareler Hochmoor 158.

  Vegesack 147. 152.

  Versandetes Wrack 7 (Abb. 6).

  Vieland 143. 155. 156.

  Vierlande 126.

  Vierländer 75 (Abb. 72). 77 (Abb. 74).

  Viktoriahain 86.

  Vogelkoje 80.

  Volksdichte 80.


  Waakhausen 144. 145.

  Wandsbek 126;
    Denkmal für Matthias Claudius 75 (Abb. 71).

  Wangerland 162. 168.

  Wangeroog 170. 133 (Abb. 132). 134 (Abb. 133). 135 (Abb. 134).

  Wanna 140.

  Wannaer Moor 140.

  Wanse 126.

  Watten 22. 24. 25. 39. 44. 33 (Abb. 30).

  Wattenmeer 64.

  Weddingstedt 105.

  Wedel 114.

  Wedelau 114.

  Weener 164.

  Wendingstadt 29.

  Wenningstedt 75. 77. 84;
    Rotes Kliff 5 (Abb. 3).

  Werderland 147.

  Werften 49.

  Weser 143. 147. 158.

  Weserbrücke in Bremen 104 (Abb. 106).

  Wesselburen 105. 106.

  Westerberg 142. 146.

  Westerhever 102.

  Westerland auf Sylt 75. 17 (Abb. 17). 18 (Abb. 18).

  Westerstede 163.

  Widau 70.

  Wiedau 39.

  Wiedingharde 67.

  Wiegoldsbur 164.

  Wiesede 167.

  Wilhelmshaven 162;
    Kaiser Wilhelmsdenkmal 123 (Abb. 125);
    Kriegshafen und Hauptschleuse 121 (Abb. 123);
    Rathaus 122 (Abb. 124).

  Wilster 110.

  Wilstermarsch 104. 110.

  Wingst 140. 142. 143. 146.

  Wite Klif 136.

  Witsum 92.

  Wittdün 88. 24 (Abb. 23).

  Wittmund 162. 168. 169.

  Worpswede 145. 152.

  Wremen 156.

  Wührden 155. 156.

  Wümme 42. 145.

  Wursten 137. 155. 156. 157.

  Wyk 70. 90. 92. 3 (Abb. 2). 27 (Abb. 25). 31 (Abb. 29).


  Zeven 142. 146.

  Zwischenahner Meer 163.


[Illustration: DIE DEUTSCHE NORDSEEKÜSTE.]



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  | S. 46: „Lepigonim“ in „Lepigonum“ geändert.                    |
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  | S. 49: „wohl gepflegten“ in „wohlgepflegten“ geändert.         |
  | S. 92 & 176: „Uetersum“ und „Ütersum“ in „Utersum“ geändert.   |
  | S. 114: „Phragmitis“ in „Phragmites“ geändert.                 |
  | S. 124: „Heilgengeistfeld“ in „Heiligengeistfeld“ geändert.    |
  | S. 133: „Steichen“ in „Steigen“ geändert.                      |
  | S. 143: „Garlsstedter“ in „Garlstedter“ geändert.              |
  | S. 144: „Ems-Jahde“ in „Ems-Jade“ geändert.                    |
  | S. 146: „Hadelner“ in „Hadeler“ geändert.                      |
  | S. 170: „Kirche und Insel befinden sich auf dem Eiland“ in     |
  |   „Kirche und Dorf befinden sich auf dem Eiland“ geändert.     |
  | S. 176: „Rotes“ in „Rotes Kliff“ geändert.                     |
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