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Title: Türkische Märchen
Author: Giese, Friedrich
Language: German
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                               TÜRKISCHE
                                MÄRCHEN

                      HERAUSGEGEBEN VON FR. GIESE
                  VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS IN JENA
                                  1925



EINLEITUNG


Die türkischen Märchen, die dieser Band bietet, sind zweierlei Art:
Volksmärchen und Kunstmärchen. Die ersteren umfassen die Nummern 1 bis
21, die zweiten die Nummern 22 bis 66. Die letzteren sind die Märchen,
die, in der Hauptsache aus Indien stammend, ihren Weg über die ganze
Welt gemacht haben und auch durch Vermittlung des Persischen nach der
Türkei kamen. Sie sind in den Märchensammlungen der Qyrq vezir, dem
Humajunname und dem Tutiname enthalten.

Diese genannten Sammlungen sind keine sklavischen Übersetzungen,
sondern kunstvolle Umarbeitungen, die als Produkte der türkischen
Literatur ihren eigenen Wert und ihre Bedeutung haben. Einfluß auf das
Volk haben sie nur indirekt ausgeübt, da sie ihres künstlichen Stiles
wegen dem Ungebildeten nicht verständlich waren. Trotzdem finden wir
auch in den Volksmärchen viele Stoffe aus diesen Sammlungen.

Türkische Volksmärchen sind zuerst in größerem Umfange von Ignác Kúnos
gesammelt und herausgegeben worden. Ich nenne nur seine
Hauptsammlungen:

1. Osmán-török népköltési gyűjtemény (2 Bände), Budapest 1887–1889.

2. Band VIII von Radloffs Proben der Volksliteratur der türkischen
Stämme, Petersburg 1899.

3. Ada-Kalei török népdalok, Budapest 1906.

4. Materialien zur Kenntnis des rumelischen Türkisch (mit deutscher
Übersetzung), Leipzig 1907.

Er hat auch einen Band: Türkische Volksmärchen aus Stambul. Leiden ohne
Jahr, in deutscher Sprache herausgegeben, die aber mehr eine freie
Bearbeitung als eine Übersetzung sind.

In der Türkei sind verhältnismäßig sehr wenige solcher Sammlungen
gedruckt worden. Abgesehen von einzelnen Erzählungen sind in den
früheren Jahren nur zwei Sammlungen erschienen. Erstens das Billur
kjöschk, so genannt nach dem Titel des ersten Märchens dieser Sammlung,
und zweitens Horos kardasch. Von diesen ist das letztere von Georg
Jacob übersetzt und in der Türkischen Bibliothek, Band V, Berlin 1906,
erschienen. Von dem ersteren, über das man Georg Jacob, Die türkische
Volksliteratur, Berlin 1901, S. 5 ff. vergleiche, war schon oft eine
deutsche Übersetzung gewünscht worden. Die in Amerika erschienene
englische Übersetzung: Told in the Gardens of Araby (untranslated till
now) by Izora Chandler and Mary Montgomery, Neuyork 1905, ist mir
unzugänglich geblieben. Ich habe daher die ganze Sammlung übersetzt. Es
sind die ersten 14 Märchen dieses Bandes. Inzwischen ist nun noch eine
Übersetzung von Theodor Menzel erschienen in Beiträge zur Märchenkunde
des Morgenlandes, herausgegeben von Georg Jacob und Theodor Menzel,
Band II, Hannover 1923.

In neuester Zeit hat man auch in der Türkei angefangen, sich mehr für
das Märchen zu interessieren. Davon gibt zunächst ein Band: Türk
Masallary (Türkische Märchen) von K. D. in Konstantinopel, Druckerei
Mahmud Bej 1329/1911, und die Veröffentlichungen des Türk Yurdu der
letzten Jahre Kunde.

Die Türk Masallary enthalten eine sehr hübsche Sammlung bekannter und
unbekannter Märchen, die recht geschickt erzählt sind. Sie sind zwar im
allgemeinen in einem einfachen Stil gehalten, aber sehr häufig finden
sich doch Wendungen, die dem Volke nicht verständlich sind. Sie wenden
sich mehr an den Durchschnittsgebildeten, dem sie diese Märchen in
etwas verfeinerter und veredelter Gestalt darbieten. Da der gebildete
Türke über diese Gattung Literatur im allgemeinen die Nase rümpft, so
ist dies Bestreben durchaus anzuerkennen, aber von ihrer schlichten
Einfachheit haben sie doch viel verloren. Von diesen Märchen ist bis
jetzt das erste von Beck in dem Korrespondenzblatt der
Nachrichtenstelle für den Orient Nr. 9, Berlin 1917, übersetzt. Der
türkische Text ist von ihm in der Sammlung: Der islamische Orient,
Heidelberg 1917, veröffentlicht. Ich habe in meiner Übersetzung eine
Probe in den Nummern 19 bis 21 gegeben.

Die Publikationen des Türk Yurdu wenden sich an die Jugend. Sie sind in
reinem Türkisch geschrieben. Leider sind neben echt türkischen auch
allerhand moderne europäische Stoffe übernommen. Ich habe aus dieser
Sammlung das Märchen: In der Jugend oder im Alter?, das von Ömer
Sēfüddīn verfaßt ist, übersetzt.

Neben diesen Märchen, die aus türkischen gedruckten Sammlungen
entnommen sind, habe ich dann die Märchen übersetzt, die ich in
Kleinasien aus dem Munde gänzlich ungebildeter Leute gesammelt und in
meinem Werke: Materialien zur Kenntnis des anatolischen Türkisch, Halle
1907, veröffentlicht habe. Es sind dies die Nummern 15 bis 19.
Stilistisch stehen sie natürlich am tiefsten, denn es sind eben keine
Erzähler von Beruf, die sie mir mitgeteilt haben. Aber gerade in ihrer
Unberührtheit von jeder Kunst der Darstellung geben sie ein Bild der
türkischen Märchen in ihrer primitivsten Form.

Von den Kunstmärchen stammen 22 bis 40 aus dem Tutiname oder
Papageienbuch, 41 bis 63 aus dem Humajunname und 64 bis 66 aus dem Qyrq
vezir. Wie schon vorher gesagt, sind dies Übersetzungen, die in letzter
Linie auf indische Vorbilder zurückgehen. Ich verweise hierfür auf den
bibliographischen Wegweiser in Georg Jacob, Beiträge zur Märchenkunde
des Morgenlandes, Band I, Hannover 1923, und auf Johannes Hertel, Das
Pañcatantra. Seine Geschichte und seine Verbreitung, Leipzig und Berlin
1914.

Vom Tutiname gibt es eine vollständige deutsche Übersetzung von Georg
Rosen (Tuti-nameh. Das Papageienbuch. Eine Sammlung orientalischer
Erzählungen. Nach der türkischen Bearbeitung zum ersten Male übersetzt
von Georg Rosen, Leipzig 1858). Aus dieser Übersetzung habe ich die
Verse und auch hier und da besonders glückliche Verdeutschungen des
Prosatextes beibehalten.

Die Qyrq vezir hat Walter Fr. Adolf Behrnauer (Die vierzig Veziere oder
weisen Meister, Leipzig 1851) übersetzt. Ich habe Nr. 64 bis 66 daraus
übernommen mit gelegentlichen Verbesserungen.

Von dem Humajunname existiert bis jetzt keine deutsche Übersetzung,
denn die von Suby Bey: Fabeln und Parabeln des Orients, Berlin 1903,
herausgegebene ist nur eine inhaltliche Wiedergabe einiger
ausgewählter Stücke. Ebendasselbe gilt von der französischen
Bearbeitung Gallands und Cordonnes und der aus ihr geflossenen
deutschen. Es sind alles selbständige Umarbeitungen des Inhaltes.
Allerdings ist nun eine wörtliche Übersetzung für ein nicht
orientalisch gebildetes Publikum eine Unmöglichkeit. Das Humajunname
ist nämlich in einem so gekünstelten, mit Koranstellen und Versen
geschmückten Stil geschrieben, der eine Menge Anmerkungen und
Erklärungen nötig machen und den Leser ermüden würde. Ich habe daher
das überflüssige Beiwerk ausgelassen und die Weitschweifigkeiten
gekürzt, aber sonst, soweit es anging, übersetzt.

So dürfte dieser Band einen guten Überblick über das türkische Märchen
in seinen verschiedenen Darstellungen geben. Verwandte Stoffe der
Volksliteratur, wie den Volksroman, das Karagöz usw., hielt ich nicht
für angebracht, in dieser Sammlung zu vereinigen. Es ist auch schon
mancherlei davon in deutschen Übersetzungen vorhanden. Ich nenne nur
die schöne Übersetzung des Köroglu von Szamatolski in der
wissenschaftlichen Beilage zum Jahresberichte der sechsten städtischen
Realschule zu Berlin, Ostern 1913, sowie die Karagözübersetzungen Georg
Jacobs und verweise für die letzteren auf seine Türkische
Literaturgeschichte in Einzeldarstellungen: Heft I, Das türkische
Schattentheater, Berlin 1900.

Bei der Übersetzung habe ich mich im Gegensatz zu Kúnos möglichst an
das Original gehalten, um dessen Einfachheit nicht zu zerstören. Nur
da, wo sich der türkische Satzbau nicht wiedergeben ließ, habe ich mir
Freiheiten erlaubt. Jedenfalls kann die Übersetzung, soweit das möglich
ist, eine wörtliche genannt werden. Die Weitschweifigkeiten, die
Wiederholung derselben Wörter und die Unebenheiten im Stile, z. B. im
Subjektswechsel, fallen dem Original zur Last.



1. DIE GESCHICHTE VON DEM KRISTALLPALAST UND DEM DIAMANTSCHIFF


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. Die Kinder eines Padischahs blieben in der Welt nicht am
Leben und starben immer. Eines Tages kam dem Padischah ein weiblicher
Nachkomme in dieser Welt zum Leben. Zu dieser Zeit sagten ihm der Arzt
und der Hodscha [1], nachdem sie Untersuchungen angestellt hatten:
„Padischah, wir wollen für deine Tochter unter der Erde eine Grube
machen lassen, dort mag sie dann aufwachsen, da es keinen anderen
Ausweg gibt.“

Dem Padischah der Welt gefiel diese Rede. Es wurde dann unter der Erde
eine an allen vier Ecken bewachte Grube hergestellt. Man brachte das
Kind in die Grube, bestimmte eine Kinderfrau, die ihm morgens und
abends sein Essen brachte. Um es kurz zu sagen: das Kind kam so hier in
sein vierzehntes oder fünfzehntes Lebensjahr. An Schönheit hatte es
nicht seinesgleichen.

Eines Tages langweilte sie sich an diesem Orte und stellte alle Stühle,
die in der Grube vorhanden waren, übereinander und stieg darauf. Sie
brach die Glasdecke entzwei, steckte den Kopf hinaus und sah hinaus. Da
sah sie ein weites Meer. Als die Sonne darauf leuchtete, glänzte es so,
daß man nicht hinschauen konnte. Ach, sagte sie: „Wenn die Erde ein
Unten hat, muß sie auch ein Oben haben“, und war einige Zeit in Staunen
versunken. Dann stieg sie herab und blieb, wo sie war. Danach kam ihre
Kinderfrau. Die sah auf einmal, daß die Glasdecke zerbrochen war. Jetzt
fragte sie das Mädchen: „Wer hat das Glas zerbrochen?“ Da fing die
Prinzessin an zu sagen: „Führe mich von hier fort oder ich bringe mich
selber um.“

Die Kinderfrau ging von dort zum Padischah und erzählte alle die Worte,
die die Prinzessin gesagt hatte, eins nach dem andern. Der rief wieder
die Ärzte zusammen. Die sagten nach wiederholter Prüfung: „Padischah,
hole sie heraus, aber nicht sofort. Bis sich ihr Auge gewöhnt hat, mag
sie etwas spazieren gehen, und dann bringe sie wieder in die Grube.“
Die Wärterin ging und führte die Prinzessin aus der Grube in einen
Rosengarten. Als sie (die Prinzessin) dort spazieren ging, sah sie den
Ozean und verfiel in Nachdenken. Sie ging von dort zu ihrem Vater und
sagte: „Vater, laß mir sofort auf dem Meere, das wir dort sehen, einen
Glaspalast machen, darinnen sollen auch Diamant- und Goldstühle und
schöngestickte Möbel sein. Wenn du ihn nicht machen läßt, bringe ich
mich sofort um.“

Der Padischah sagte: „Aber mein Kind, der Palast soll sein, wie du ihn
dir wünschst.“ Dann gab er den Glasmachern Befehl. Sie fingen sofort
an, auf dem Meere einen Palast zu machen. Genau in einem Jahre wurde er
fertig. Dann gaben sie dem Padischah Kunde. Er ging an das Gestade des
Meeres und sah ihn sich an. Das war ein solcher Glaspalast, daß jeder,
der ihn sah, geblendet wurde. Mit Worten ihn zu beschreiben, ist
unmöglich. Sein Glanz erfüllte die Welt.

Die Prinzessin kam und küßte ihrem Vater die Hand. Der Padischah sagte:
„Mein Kind, der Glaspalast, wie du ihn gefordert hast, ist fertig
geworden. Nimm dir einige Sklavinnen, geh hinein und wohne darin mit
Vergnügen.“

Darauf nahm die Prinzessin, da sie jung war, einige Sklavinnen zu sich
und betrat in feierlichem Zuge mit ihnen den Palast. Sie zogen ein und
gingen dort spazieren.

Die mögen sich nun Tag und Nacht vergnügen, wir kommen jetzt zum
Dschihan-i-alem [2]. Manche kamen zu Schiffe und manche zu Boot und
sahen sich den Palast an. Eines Tages, als der Sohn des Padischahs von
Jemen von diesem Palast hörte, wunderte er sich. Sofort ging er zu
seinem Vater und sagte: „Mein mächtiger Vater, der Padischah von
Stambul hat auf dem Meere einen Glaspalast bauen lassen, der sich nicht
mit Worten beschreiben läßt. Wenn Sie erlauben, möchte ich hinreisen
und ihn ansehen. Nach ungefähr drei bis vier Monaten komme ich wieder.“
Da gab sein Vater die Erlaubnis.

Er nahm einige Gefährten zu sich, bestieg ein Schiff und machte sich
auf den Weg. Tag und Nacht fuhren sie, ohne sich aufzuhalten. Nach
einiger Zeit erschien in der Ferne etwas Wunderbares. Sein Glanz
erfüllte die Welt. Der Prinz sagte zu seinen Gefährten: „Das, was dort
erscheint, muß das erwähnte Schloß sein.“

Endlich nach einigen Tagen kam er an das Schloß heran und umfuhr es von
allen vier Seiten. „Sehe ich ein Luftschloß oder träume ich?“ sagte er
und verfiel in Nachdenken. Schließlich als es Abend wurde, ging er dort
vor Anker.

Der Prinz mag nun auf dem Verdeck liegen; wir wollen uns jetzt wieder
zur Prinzessin wenden. Sie ging vor das Vestibül, blickte nach draußen
und sah, daß vor dem Palast ein Schiff lag. Als sie noch sagt: „Wem
gehört das wohl?“, sieht sie den Prinzen. Das war ein Jüngling, gleich
dem Monde am Vierzehnten. Sofort verliebt sie sich in ihn bis über die
Ohren. Auch der Prinz, als er die Prinzessin sieht, wird bewußtlos und
fällt ohnmächtig auf die Erde. Nach einiger Zeit kommt er wieder zu
sich und steht auf. Er blickt auf das Fenster, kann aber das Mädchen
nicht sehen. Während er sagt: „Ach, einmal möchte ich sie noch sehen!“
und hinblickt, verfällt er in Schlaf. Jetzt kommt die Prinzessin an das
Fenster und sieht, daß der Prinz eingeschlafen ist. Da seufzt sie und
aus ihren Augen fließt statt Tränen Blut. Während sie weint, fällt auf
das Gesicht des Prinzen ein Tropfen. Sofort wacht er auf und sieht, daß
aus den Augen der Prinzessin statt Tränen Blut fließt. Jetzt sagt der
Prinz zum Mädchen: „Da ist das Schiff und da ist ein günstiger Wind
nach Jemen!“ Das Schiff setzt sich in Bewegung und er fuhr in sein
Land. Eines Tages kam er nach Jemen und blieb dort. Wir wollen uns
jetzt wieder zur Prinzessin wenden. Ihre beiden Augen waren eine Quelle
(d. h. sie weinte andauernd in Strömen). Sie ging zu ihrem Vater und
sagte: „Vater, ich wünsche von dir ein Schiff von reinen Diamanten,
dessen Kabinen mit Edelsteinen geschmückt und dessen Masten aus Rubinen
sein und in dessen Innern sich vierzig weiße, junge, schöne Sklaven
befinden sollen. Wenn du mir das nicht machst, werde ich mich töten.“
Er sagte: „Schön, mein Kind, das Schiff soll sein, wie du es
wünschest.“ Dann rief er die Goldschmiede zusammen und gab ihnen
Befehl. Noch an jenem Tage fingen sie mit dem Schiff an. Nach genau
zwei Jahren war es fertig. Jetzt kam die Prinzessin zu ihrem Vater,
küßte seine Hand und sagte: „Vater, gib mir Erlaubnis, ich werde einen
Luftwechsel vornehmen und, wenn Gott will, bald wiederkommen.“ Da ihr
Vater auf der Welt nur eine teure Tochter hatte, so tat er, was sie
wollte, und gab ihr gezwungenerweise wohl oder übel die Erlaubnis und
sagte: „Mein liebes Kind, laß mich nicht lange auf dich warten! Allah
möge Heil geben!“

Das Mädchen nahm dann vierzig weiße Sklavinnen und vierzig weiße
Sklaven zu sich und außerdem eine Palasteinrichtung, ging auf das
Diamantschiff und blieb dort die Nacht. Am nächsten Morgen, als es Tag
wurde, wurden zweiundzwanzig Kanonenschüsse auf der rechten und auf der
linken Seite des Schiffes gelöst. Dann fuhr man ab.

An jenem Tage lobte sie die ganze Welt und Hunderttausende priesen sie
mit den Worten: „Was ist das für eine geschickte Prinzessin!“ Die
Prinzessin war der Kapitän, ihr Gehilfe ein alter Kapitän und die
Sklaven und Sklavinnen in ihrer Begleitung wurden als Soldaten
gebraucht und von ihr befehligt. Eines Tages kamen sie nach Jemen. Sie
lief in den Hafen ein, ging dort vor Anker und blieb jene Nacht dort.

Der dortige Aufsichtsbeamte hörte davon und kam es sich anzusehen. Als
er es sah, sagte er: „Wer ist das wohl? Solch ein Schiff habe ich in
meinem Leben nicht gesehen, Allah möge es vor dem bösen Blick
bewahren!“ Dann ging er sofort zum Schloß und machte Meldung: „Mein
Padischah, gestern ist ein Schiff angekommen, das unbeschreibbar ist.
Reiner Diamant und Juwelen! Es lohnt sich, es einmal anzusehen.“ Da
schickte der Schah seinen Lala [3] und sagte: „Forsche nach und komme
wieder mit der Nachricht, wer es ist.“

Dann bestieg sein Adjutant eine Schaluppe und fuhr nach dem
Diamantschiff. Als nun die Prinzessin sah, daß der Adjutant kam,
kleidete sie ihre Mannschaft vom Kopf bis zu den Füßen in rote Kleider.
Als endlich die Schaluppe sich der Landungstreppe näherte, ging die
gesamte Mannschaft ihm entgegen und führte ihn nach oben geradeswegs
zur Kabine des Kapitäns. Er setzte sich auf einen Stuhl und wurde
freundlich begrüßt. Er sagte: „Aber mein Bej, ich möchte noch gern
länger bleiben, aber der Schah erwartet mich, ich bin gekommen, um
Kunde einzuholen. Wenn Sie mir Ihren schönen Namen sagen würden, würde
ich den Padischah benachrichtigen.“

Der Kapitän sagte: „Ich bin ein Kaufmannssohn und bin auf die Reise
gegangen, um mich zu vergnügen.“ Da ging er dann zum Padischah und
sagte: „Padischah, das angekommene Schiff ist ein Handelsschiff, sein
Kapitän ist ein junger Mann ohne Schnurr- und Backenbart, schön wie ein
Mond am Vierzehnten. Seine Mannschaft ist ihm ganz entsprechend. Ja,
mein Herr, es lohnt sich wirklich, es einmal anzusehen.“ Der Padischah
bekam Lust und wünschte hinzugehen. Dann bestieg er eine Schaluppe mit
sieben Doppelrudern und ging mit seinem ganzen Hofstaat auf das Schiff.

Als der Kapitän sah, daß der Herrscher kam, ließ er die ganze
Mannschaft gelbe Kleider anziehen. Als der König sich der
Landungstreppe näherte, gingen sie ihm alle entgegen und führten ihn
nach oben. Als er in die Kabine des Kapitäns kam, empfingen sie ihn mit
Ehren und bewirteten ihn mit Kaffee und Tabak. Der Padischah war
erstaunt. Danach brach er wieder auf und ging in sein Schloß.

Als der Prinz das hörte, verstand er sofort die Sache. Dann bestieg er
eine Schaluppe und fuhr nach jenem Schiffe.

Wir wollen jetzt wieder zum Kapitän kommen. Wie das vorige Mal, ließ er
die ganze Mannschaft grüne Gewänder anziehen. Jetzt legte der Prinz an
dem Schiffe an. Sie gingen ihm alle mit Ehrerbietung entgegen.
Schließlich kam er in die Kabine des Kapitäns und verweilte dort. Jetzt
fragte der Prinz den Kapitän eingehend nach allem. Der Kapitän gab sich
nicht zu erkennen. Der Prinz verliebte sich in den Kapitän und konnte
sein Auge nicht von seinem Auge trennen. Als es schließlich Abend
wurde, mußte der Prinz wohl oder übel aufstehen und in sein Schloß
fahren.

Wir wollen uns nun wieder zum Kapitän wenden. Er schickte zu dem
Aufsichtsbeamten der dortigen Gegend. Unter seiner Vermittlung legten
sie das Schiff ins Dock. Vor dem Schloß war ein großer Palast. Den
mieteten sie und ließen es sich gut gehen. Wir wollen uns jetzt zum
Prinzen wenden. Am nächsten Morgen, als es Tag wurde, kam er an die
Stelle, wo das Schiff gewesen war, und sieht, daß keine Spur davon da
ist. „Ach, Gott“, sagte er, und schlug mit seinem Kopf auf den Boden.
Er kam zu seinem Lala und fragte ihn. Der Lala erklärte ihm alles,
eins nach dem anderen, und das Herz des Prinzen wurde wieder froh.
Dann ging er ins Schloß. Als er vom Gartenhaus in das Fenster des
erwähnten Palastes sah, fällt sein Blick auf das Mädchen. Der Prinz
wurde verwirrt. Wer ist das wohl? Sollte es die Frau des Kapitäns sein?
vermutete er bei sich. Es war eine Schönheit, die in der Welt nicht
ihresgleichen hatte; die Locken waren nach beiden Seiten gescheitelt.

Als jetzt das Mädchen auch den Prinzen sah, schloß sie das Fenster und
zog sich ins Innere zurück. Da verliebte sich der Prinz von neuem in
sie, und indem er den Palast von allen vier Seiten umging, sagte er:
„Ach, ob ich wohl noch einmal diese Schöne wieder sehen kann?“ Als es
schließlich Nacht wurde, zog er sich in sein Zimmer zurück und weinte.

Am nächsten Morgen kam er in das Gartenhaus und sieht, daß niemand am
Fenster ist. Als er es nicht mehr aushalten konnte, ging er zu seiner
Mutter und sagte: „Ach, Mutter, in diesem Palaste uns gegenüber wohnt
die Frau des Kapitäns, ich habe sie am Fenster gesehen und mich in sie
verliebt, nimm diese diamantbesetzten Holzschuhe und bringe sie ihr als
Geschenk. Ich möchte noch einmal ihr Gesicht sehen, sonst bringe ich
mich um.“ Die Mutter stand wohl oder übel auf und ging sofort zum
Palast des Kapitäns. Nachdem sie eingetreten und gegrüßt hatte, gab sie
die genannten Holzschuhe dem Mädchen. Das Mädchen nahm auch die Schuhe
und gab sie den Sklavinnen in der Küche. Die arme Dame wunderte sich
und sagte zu dem Mädchen: „Meine Prinzessin, der Prinz grüßt Sie
besonders und wünscht Ihr gesegnetes Gesicht zu sehen, aber wie denken
Sie darüber?“ Das Mädchen gab keine Antwort. Nachdem sie noch einige
Zeit gesessen, ging sie in das Schloß und sagte zornig zum Prinzen:
„Ich habe jenem Mädchen die Schuhe gegeben. Sie nahm sie und gab sie
den Sklavinnen in der Küche. Ich war sehr ärgerlich, und obgleich ich
ihr deine Sache auseinandergesetzt habe, gab sie überhaupt keine
Antwort. Dann stand ich auf und ging hierher. Wenn dein Kummer auch
noch so groß ist, so mußt du dich damit abfinden.“

Jetzt ging der Prinz wieder in ein Zimmer und weinte bis zum Morgen.
Dann ging er zu seiner Mutter, küßte ihr die Hand und sagte: „Ach,
liebe Mutter, nur du kannst helfen, denke über ein Mittel nach.“

Die Dame hatte eine sehr kostbare Perlenkette. Die kam ihr ins
Gedächtnis. Sie sagte: „Ich habe im Kasten eine Perlenhalskette, ein
Familienerbstück. Dir zu Liebe werde ich sie ihr geben. Wollen einmal
sehen, was sie tut.“ Der Prinz war erfreut und küßte wieder seiner
Mutter die Hände.

Die Dame ging vom Schloß in den Palast des Mädchens. Nachdem sie
eingetreten, bestellte sie den Gruß des Prinzen und gab jene Perlen dem
Mädchen.

Das Mädchen hatte einen Papagei, der in einem Käfig an der Decke hing.
Sie nahm die Perlen der Dame und gab sie anstatt Futter dem an der
Decke hängenden Papagei. Das Tier fraß sie auf, indem es sie
zerknackte. Da öffnete die Dame ihren Mund vor Erstaunen und sagte zu
sich: „Sieh, der Papagei dieses Frauenzimmers frißt Perlen statt
Futter.“

Dann stand die Dame auf und ging ins Schloß. Als der Prinz eiligst
seine Mutter fragte: „Was hast du erreicht?“, sagte sie: „Ach, mein
Sohn, ich habe die Perlen dem Mädchen gegeben. Sie nahm sie auch und
hat sie einem an der Decke hängenden Papagei statt Futter gegeben. Das
Tier hat sie auch vor meinen Augen aufgefressen. Als ich das sah, wurde
ich traurig. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich weiß nicht, wie
das mit uns wird.“

Der Prinz sagte zu seiner Mutter: „Es ist Dummheit von ihr, trag es ihr
nicht nach.“ Auch in dieser Nacht schlief der Prinz bis zum Morgen
nicht und weinte. Am Morgen ging er wieder zu seiner Mutter und sagte:
„Ach, liebe Mutter, ich habe einen Koran, den bringe ihr. Vielleicht
hat sie diesmal aus Ehrfurcht vor ihm Mitleid mit mir und handelt
billig.“ Kurz, er überredete seine Mutter und schickte sie wieder hin.

Die Dame geht wieder bei Gelegenheit in den Palast. Die Prinzessin
kommt herunter, geht ihr mit Ehrfurcht entgegen und holt sie nach oben.
Die Dame war erstaunt. Schließlich holt sie von ihrer Brust den Koran
heraus und gibt ihn dem Mädchen. Das Mädchen nimmt ihn auch artig, küßt
ihn dreimal und legt ihn auf das Bücherbrett. Die Dame sagt zu ihr:
„Mein Kind, der Prinz weint Tag und Nacht andauernd, schließlich wird
er sich töten. Ach, mein Kind, da kannst nur du helfen. Zeige dem
Prinzen doch nur einmal dein Gesicht, damit er dich sehen kann und für
einige Zeit Freude hat.“ Darauf antwortet das Mädchen: „Mutter, ich
zeige mich nicht für etwas Geringes.“ Die Dame sagte: „Ach, mein Kind,
wir wollen tun, was du verlangst.“ Darauf antwortete das Mädchen:
„Mutter, ich will es dir geradeaus sagen, laß jetzt eine goldene Brücke
machen, schmücke sie rings herum mit echten Rosen. Der Prinz soll dann
an dem einen Ende sein Lager machen und sich dort hineinlegen, dann
werde ich dorthin gehen, und dort mag er mich sehen.“

Danach stand die Dame auf und ging ins Schloß. Der Prinz fragte: „Ach,
Mutter, was hast du erreicht?“ Sie sagte: „Mein Sohn, jenes Mädchen
antwortete sehr bestimmt: ‚Eine goldene Brücke sollst du machen und
rings herum mit echten Rosen schmücken, und der Prinz soll an dem einen
Ende sein Lager bereiten und mich erwarten. Ich werde dorthin kommen
und er kann mich sehen.‘ Wenn du das vermagst, laß es machen.“

Kurz, der Prinz ließ eine Brücke, wie das Mädchen sie beschrieben
hatte, machen und schmückte sie ringsherum mit Rosen. Der Prinz machte
an dem einen Ende der Brücke sein Lager und verweilte dort. Man
schickte dem Mädchen Nachricht. Jetzt schmückte sich das Mädchen und
ging mit seinem Gefolge zur Brücke. Als sie über die Brücke ging, stach
sie sich an einem Rosendorn. Da rief sie: „Ach, mein Gesicht!“ und
kehrte wieder in ihren Palast zurück. Der Prinz schaut aus und sagt:
„Sie kommt, ich werde sie sehen.“ Als er sieht, daß das Mädchen umkehrt
und weggeht, sagt er zu seiner Mutter: „Ach, Mutter, ich habe sie nicht
sehen können.“ Die Dame geht sofort in das Haus des Mädchens und sagt
zu ihr: „Meine Tochter, warum bist du nicht zum Prinzen gegangen?“ Das
Mädchen antwortete: „Mutter, ein Rosendorn hat mir das Gesicht
zerstochen, nun könnt ihr die Brücke und auch den Prinzen behalten.“

Die Dame sagte: „Meine Tochter, was sollen wir tun? Du hast in allem
eine List.“ Da antwortete das Mädchen: „Mutter, ich will dir die
Wahrheit sagen. Jetzt laß eine goldene Brücke machen, stelle auf der
einen Seite einen goldenen und auf der anderen einen silbernen Leuchter
auf. Danach soll der Prinz sterben und ihr sollt ihm auf dem anderen
Ende der Brücke sein Grab graben und ihn hineinlegen, dann will ich
kommen und ihm zu Häupten ruhen. Da kann er mich nach Herzenslust
ansehen.“

Die Dame stand zornig auf, ging ins Schloß und sagte: „Mein Sohn, ein
Dorn hat das Mädchen ins Gesicht gestochen, darauf ist sie umgekehrt
und in ihr Schloß gegangen.“ Als er fragte: „Was sollen wir jetzt
tun?“, sagte sie: „Mein Sohn, das Mädchen gab ihre letzte Antwort. So
wie das vorige Mal sollst du eine goldene Brücke machen lassen und auf
beiden Seiten einen goldenen und einen silbernen Leuchter stellen.
‚Danach soll der Prinz sterben und auf dem einen Ende der Brücke soll
man sein Grab machen, und dann mag er mich darin erwarten. Ich werde
dann kommen und ihm zu Häupten verweilen. Dann mag er mich nach
Herzenslust ansehen.‘ So antwortete sie.“

Der Prinz sagte: „Mutter, ich werde vor den Augen der Welt sterben, ins
Grab gehen und sie erwarten. Wollen sehen, was sie diesmal für Listen
hat.“ Das beschlossen sie.

Am folgenden Tage stellten sie auf der einen Seite der Brücke einen
goldenen Leuchter und auf der anderen Seite einen silbernen auf, der
Prinz ging ins Grab. Das Mädchen beobachtete alles.

Wir wenden uns nun wieder zu dem Mädchen. In jener Nacht ließ sie das
Schiff aus dem Dock ziehen und alles, was an Möbeln in dem Palast war,
mit den Sklavinnen auf das Schiff bringen. Als alles fertig war, ging
das Mädchen zur Brücke zu dem Grabe, wo der Prinz war, und sagte: „Da
ist ein Schiff und da ist günstiger Wind nach Stambul.“ Dann bestieg
sie das Schiff und fuhr ab.

Der Prinz stand sofort auf und sieht, daß das Schiff unverzüglich
abfährt. Der Prinz erhob ein Geschrei und ging sofort zu seiner Mutter:
„Ach, Mutter, was ich getan habe, habe ich mir selber zuzuschreiben.
Die Schuld liegt an mir.“ Da verstand er die Handlungsweise des
Mädchens. Er ging zu seinem Vater, küßte ihm die Hand und sagte:
„Lieber Vater, gib mir die Erlaubnis, ich möchte ins Ausland gehen!“
Der sagte: „Sehr schön, mein Sohn!“ und gab ihm die Erlaubnis. Dann
küßte er auch die Hand seiner Mutter und sagte: „Mutter, mir ist ein
Ausweg erschienen, ich muß gehen.“ Er erhielt von seiner Mutter die
Erlaubnis, ging aus dem Schloß, bestieg ein Schiff und machte sich auf
den Weg. Nachdem er das Schiff verlassen, betrat er den erwähnten
Palast. Die Prinzessin ging ihm mit ihren Sklavinnen entgegen. Sie
führten ihn nach oben. Er sagte zu ihr: „Meine Prinzessin, ist es nicht
schade um mich, daß du mir soviel angetan hast?“ Das Mädchen erwiderte:
„Mein Prinz, du vergißt, was du mir angetan hast. Du bist mit dem
Schiff angekommen, hast mich in Feuer gesetzt. War es da vor Gott zu
verantworten, daß du wieder gingst?“ Da sagte er: „Ach, meine
Prinzessin, verzeih’ mir mein Vergehen, trage es mir nicht nach! Die
Schuld liegt an mir.“ Da umarmten sie sich und die beiden Verliebten
erreichten glücklich ihre Absicht.

Danach ging die Prinzessin zu ihrem Vater, und erzählte ihm ihre
Abenteuer eins nach dem andern. Der Vater war auch erfreut und sagte
Gott Dank. Am folgenden Tage wurde die Ehe eingegangen und vierzig Tage
und vierzig Nächte dauerten die Hochzeitsfestlichkeiten. In der Nacht
auf den einundvierzigsten Tag betraten sie das Brautgemach und die
beiden Verliebten hatten einander. Hiermit endigt unsere Geschichte und
damit Schluß.



2. DIE GESCHICHTE VOM SCHÖNEN HALWAVERKÄUFER [4]


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In alten Zeiten hatte eine Frau in der Welt einen teuren
Sohn und eine Tochter. Die ließ sie nie auf die Straße gehen. Eines
Tages faßte ihr Mann die Absicht, mit seinem Sohn nach dem Hedschas zu
gehen und sagte: „Ich vertraue dich und meine Tochter dem Müezzin [5]
an. Wenn du etwas brauchst, erhältst du es vom Müezzin.“ Dann brachte
er alles mit ihr in Ordnung, und Vater und Sohn gingen nach dem
Hedschas.

Wir kommen nun zu dem Müezzin. Eines Tages stieg er auf das Minaret,
und während er den Gebetsruf rief, sah er das ihm anvertraute Mädchen
im Garten Wasser schöpfen. Da verliebte er sich in das Mädchen und
konnte es nicht mehr aushalten. Dann ging er in sein Haus und verhielt
sich ruhig. In jener Nacht rief er eine alte Nachbarin und sagte zu
ihr: „Da, Mutter, nimm diese zehn Goldstücke. Ich will von dir die
Tochter des N. N., der nach dem Hedschas gegangen ist.“ Die Frau sagte:
„Mein Sohn, ihre Mutter läßt sie nie auf die Straße. Es ist etwas
schwer.“ Er sagte: „Ach, Mutter, nur du kannst helfen.“ Sie antwortete:
„Mein Sohn, hast du einen Platz, wo ich sie hinführen kann, falls ich
sie überrede?“ Der Müezzin sagte: „Mutter, morgen werde ich an dem und
dem Orte ein Bad mieten. Führe sie dorthin. Da werde ich euch erwarten.
Nimm du morgen zum Schein ein Bündel [6] unter den Arm und gehe zum
Hause der Frau. Wenn du sie überredet hast, führe das Mädchen zu mir.“
So verabredeten sie sich.

Als es Morgen wurde, nahm die Frau zum Schein ein Bündel unter den Arm
und ging zum Hause der Frau. Sie sagte zu der Mutter des Mädchens:
„Mutter, heute wird an dem und dem Orte ein Bad eröffnet und
schönsingende Tänzerinnen und schöne Mädchen werden kommen, sich baden
und den Tänzerinnen zuschauen. Ich habe besonders Euer Hochwohlgeboren
besucht, um Ihre Tochter in das Bad zu führen, damit sie mit
ihresgleichen und ihren Altersgenossen sich amüsiert und sich
belustigt. Wenn es Abend wird, bringe ich Ihre Tochter wieder
ordentlich zurück.“

Die Dame antwortete: „Mutter, meine Tochter ist bis jetzt noch nie
irgendwohin gegangen. Außerdem ist es, seitdem ihr Vater nach dem
Hedschas gegangen ist, heute gerade zwei Tage her. Da werden die Leute
uns nachsagen: ‚Der Vater des Mädchens ist gegangen, und gleich laufen
sie auf die Straße‘.“ Die alte Hexe sagte: „Mutter, ich führe ja Ihre
Tochter in ein Bad, nicht an einen andern Ort, daß die Nachbarn Ihnen
Vorwürfe machen könnten. Die Töchter von so vielen Nachbarinnen gehen
hin. Ihre Tochter braucht sich nicht zu schämen. Wenn Sie die Erlaubnis
geben, gehe ich mit Ihrer Tochter hin.“ Schließlich überredete sie die
Dame. Sie nahm das Mädchen mit sich und sie gingen in das Bad, das der
Müezzin gemietet hatte.

Als sie eingetreten waren, sah sich das Mädchen nach allen vier Seiten
um. Niemand war da. Da sagte sie: „Ist dies das von Ihnen gerühmte Bad?
Es ist ja niemand da.“ Da antwortete die Frau: „Ach, mein Kind, es ist
noch früh. Nunmehr werden sie kommen. Treten Sie ein und suchen Sie
sich einen Platz aus, solange noch nicht so viele Leute da sind.“

Das Mädchen hielt das für wahr, zog sich aus und ging hinein. Die Frau
ging nach Hause.

Wir kommen nun zu dem Mädchen. Als sie in den Schwitzraum tritt, sieht
sie, daß der Müezzin ihres Viertels dort ist. Als das Mädchen ihn
sieht, wird sie ohnmächtig. Sie nahm sich jedoch sofort zusammen und
sagte: „Herr Müezzin, wir haben gehört, daß in diesem Bade Tänzerinnen
spielen sollen. Ist dies das von Ihnen gerühmte Bad? Noch ist niemand
da.“

Der Müezzin antwortete: „Meine Prinzessin, wenn niemand kommen sollte,
wollen wir uns beide baden und uns vergnügen.“ Das Mädchen antwortete:
„Bade du mich zuerst, nachher werde ich dich baden.“ Damit war der
Müezzin einverstanden.

Der Müezzin nahm das Mädchen und badete sie ordentlich am Wasserbecken.

Dann sagte das Mädchen: „Komm’, jetzt werde ich dich baden.“ Der
Müezzin setzt sich davor und das Mädchen fängt an ihn zu baden. Sie
seifte seinen Kopf gehörig ein, so daß er die Augen geschlossen halten
mußte. Dann geht sie an das Becken, läßt alles Wasser auslaufen und
verstopft alle Wasserhähne mit einem Lappen. Indem sie sagt: „Sieh, wie
ein Mensch gebadet wird“, geht sie in das Abkühlzimmer des Bades und
nimmt alles, was an Holzschuhen vorhanden ist, in ein Schurztuch, geht
wieder zum Müezzin und schlägt ihm die um den Kopf und die Augen. Des
Müezzins Geschrei drang bis zum Himmel. Um es kurz zu machen. Der
Müezzin fiel auf den Boden und wurde ohnmächtig. Dann ging das Mädchen
hinaus, zog sich ihre Kleider an und kam nach Hause. Als ihre Mutter
fragte: „Nun, meine Tochter, wie war das Bad?,“ da verrät sie ihre
Absicht nicht und sagt: „Sehr gut, Mutter, es war ein Bad
ohnegleichen.“

Die wollen wir nun ruhen lassen und uns zum Müezzin wenden. Als er nach
einer Zeit wieder zu sich kommt, sind seine Augen voll Schaum. Er geht
zum Wasserbecken, taucht die Wasserschale hinein. Auch nicht eine Spur
von Wasser ist da. Er öffnet den Wasserhahn, er sieht, daß kein Wasser
kommt. Um es kurz zu machen. Er geht zu allen Wasserbecken, findet in
keinem Wasser. Darauf kommt der Badewärter. Als er den Müezzin so
sieht, sagt er: „Herr Müezzin, was ist dir geschehen, daß dein Kopf so
voll Schaum ist.“ Der Müezzin antwortete: „Ach, Badewärter, um mir den
Kopf mit dem in dem Becken befindlichen Wasser zu waschen, ging ich mit
den eingeseiften Augen. Wie sehr ich aber auch Wasser suchte, konnte
ich doch nichts finden. Ich muß wohl vorher vergessen haben, den Hahn
zu öffnen.“ Dann öffnete der Badewärter einen Hahn. Der Müezzin wusch
sich und ging hinaus, zog sich die Kleider an und ging nach Hause. Er
legte sich übelgelaunt schlafen, da sein ganzer Körper so zerschlagen
war, daß er sich nicht rühren konnte.

Um sich an dem Mädchen zu rächen, schrieb er eines Tages an den Vater
des Mädchen einen Klagebrief und schrieb darin: „Deine Tochter ist eine
Hure geworden und läßt sogar die Hunde über sich.“ Den Brief schickte
er an den Vater. Als er den Vater erreichte, öffnete er ihn sofort, las
ihn und sagte: „Ach, meine Tochter ist eine Hure geworden. Ist das
nicht eine Schande für mich?“ Dann sagte er voll Zorn zu seinem Sohne:
„Geh sofort nach Hause, schlage meiner Tochter den Kopf ab und bringe
mir schleunigst ihr blutbeflecktes Hemd.“

Sein Sohn stand auf und machte sich auf den Weg. Eines Tages kommt er
in sein Stadtviertel. Indem er von Anfang bis zu Ende bei allen
Nachbarn herumfragt und sich zu vergewissern sucht, bestätigten sie ihm
alle: „Nein, mein Sohn, wir haben nie gesehen, daß deine Schwester auf
die Straße gegangen ist.“ Schließlich kommt er nach Hause und klopft an
die Tür. Die Schwester sagte: „Ach, mein Bruder“, eilt die Treppe nach
unten, öffnet die Tür und führt ihn nach oben und fragt: „Wo ist mein
Vater?“ Ihr Bruder sagt: „Er ist unterwegs, komm, wollen ihm
entgegengehen.“ Sofort legt das Mädchen ihren Mantel an und geht mit
ihrem Bruder aus dem Hause. Der führte sie auf einen Berg und sagte:
„Schwester, man hat dem Vater einen Brief geschrieben: ‚Deine Tochter
ist eine Hure geworden, sie läßt jedermann über sich‘. Als der Vater
dies gehört, wurde er zornig und sagte zu mir: ‚Du mußt meiner Tochter
den Kopf abschlagen und ihr blutbeflecktes Kleid mir bringen‘. Dies ist
der Grund meines Kommens, Schwester.“

Als die Schwester davon hörte, klärte sie ihn nicht auf. Schließlich
sagte ihr Bruder: „Meines Vaters Versprechen muß ausgeführt werden.“ Er
nahm einen jungen Hund, tötete das Tier und befleckte das Hemd seiner
Schwester mit Blut und sagte: „Schwester, nun heißt es Abschied nehmen.
Gehe jetzt in ein anderes Land, Gott möge dir helfen.“ Dann trennten
sie sich für ewig. Dann entwich das Mädchen und ging weinend von Berg
zu Berg.

Der Junge nahm das blutige Hemd seiner Schwester und machte sich auf
den Weg. Eines Tages kam er nach dem Hedschas, ging zu seinem Vater und
sagte: „Da, Vater, habe ich dir das blutige Hemd deiner Tochter
gebracht“ und übergab es ihm. Der sagte: „Gott sei Dank, nun bin ich
aus dem Gerede der Leute gekommen.“

Die wollen wir nun hier lassen und wieder zum Mädchen gehen. Das
Mädchen ging von Berg zu Berg und kam schließlich an ein Wasserbecken.
Dort trank sie klares Wasser. Neben dem Becken war ein Baum. In den
Schatten des Baumes setzte sie sich und ruhte sich etwas aus. Es gab
dort aber sehr viel reißende Tiere. Nach einiger Zeit überlegte sie:
„Es ist Abend geworden, wohin soll ich gehen?“ Schließlich kam ihr
dieser Baum in den Sinn. Sie sagte: „Ich will wenigstens auf jenen Baum
steigen und mich vor den Tieren schützen.“ Dann kletterte sie auf den
Baum. Jene Nacht blieb sie auf dem Baum.

Als es Morgen wurde, war nun gerade der Sohn des Padischahs dieses
Landes auf Jagd ausgezogen. Sein Pferd war sehr durstig und kam
schließlich an das Becken. Der Prinz faßte das Pferd am Halfter und
führte es an das Wasser. Das Pferd nun, während es sein Maul dem Wasser
nähert, scheut, als es trinken will, und ist nicht zum Trinken zu
bewegen. Die Sonne hatte nämlich das auf dem Baume befindliche Mädchen
getroffen und ihr Bild auf das Wasser geworfen. Wie sehr auch der Prinz
das Tier quält, es geht nicht ans Wasser. Auf einmal hebt der Prinz
seinen Kopf nach oben. Als er das Mädchen sieht, verliert er das
Bewußtsein. Er redet sie an: „Bist du ein Geist oder was bist du?“ Das
Mädchen sagte: „Ich bin ein Mensch.“ Schließlich ließ er das Mädchen
heruntersteigen und sagte: „Das war also meine heutige Jagdbeute.“ Dann
nahm er das Mädchen und ging ins Schloß. Dann brachte er seinem Vater
die Kunde und heiratete nach Allahs Anordnung und nach dem hehren
Brauch des Propheten jenes Mädchen.

Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte das Hochzeitsfest. Am
einundvierzigsten Tage betrat er das Brautgemach. Nach einiger Zeit
hatte der Prinz von diesem Mädchen drei Nachkommen.

Diese Kinder mögen nun in der Wiege aufwachsen! Eines Tages kam dem
Mädchen seine Mutter ins Gedächtnis und aus ihren Augen flossen Tränen
so groß wie Regentropfen. Darüber kam der Prinz hinzu. Als er sah, daß
das Mädchen geweint hatte, sagte er: „Meine Prinzessin, warum weinst du
so?“

Das Mädchen antwortete: „Ach, mein Herr, als ich heute dasaß, kam mir
meine Mutter in den Sinn. Aus Sehnsucht nach ihr weine ich.“ Als der
Prinz fragte: „Meine Prinzessin, lebt deine Mutter oder ist sie tot?“,
sagte sie: „Ach, mein Herr, sie lebt. Es ist schon lange her, daß ich
Sehnsucht nach ihr habe. Jetzt habe ich Verlangen nach ihr.“ Da sagte
der Prinz: „Meine Prinzessin, warum hast du mir nichts davon gesagt?
Hätte ich dir sonst nicht die Erlaubnis gegeben? Entweder wollen wir
deine Mutter hierher holen oder du gehst zu deiner Mutter und siehst
sie wieder. Sieh, wie du willst, so wollen wir es tun.“

Das Mädchen antwortete: „Mein Herr, möge Gott Ihnen langes Leben und
Gesundheit geben. Wenn Sie Ihrer Dienerin die Erlaubnis geben, so
möchte ich morgen mit meinen Kindern zu meiner Mutter gehen und sie
noch einmal in dieser Welt wieder sehen und ihr meine Kinder wieder
zeigen.“ Der Prinz sagte: „Meine Prinzessin, sehr schön. Es soll so
sein. Morgen sollst du in Begleitung einiger Leute mit deinen Kindern
gehen und deine Mutter besuchen.“ Schließlich schliefen sie diese
Nacht.

Am nächsten Morgen rief der Prinz seinen Hofmeister und vertraute die
Prinzessin und ihre Kinder dem Hofmeister an. Die Prinzessin stieg mit
ihren Kindern in einen Wagen, der Hofmeister bestieg ein Pferd und nahm
als Begleitung ein Bataillon Soldaten mit. Sie fuhren vom Schlosse fort
und machten sich auf die Reise.

Nach einiger Zeit steckte der Vezir seinen Kopf in den Wagen und sagte
zum Mädchen: „Entweder gibst du dich mir hin oder ich töte deine
Kinder.“ Das Mädchen wurde verwirrt und sagte: „Was ist das für eine
Sache! Das ist ja unmöglich.“ Der Vezir sagte: „Ja, meine Prinzessin,
du mußt dich mir hingeben.“ Das arme Mädchen wollte ihm nicht
willfährig sein und gab ihm eins ihrer Kinder. Der Vezir nahm es,
erwürgte es und warf es auf die Erde. Nach einiger Zeit steckte er
wieder den Kopf in den Wagen und sagte: „Mädchen, du mußt mir
willfährig sein, oder soll ich auch diese Kinder töten?“ Das Mädchen
sagte: „Nein, ich werde mich dir nicht hingeben, da töte die Kinder.“
Der Vezir streckte seine Hand aus, nahm eins von den Kindern und tötete
es. Kurz nach einiger Zeit erwürgte er auch das andere Kind. Als keine
Kinder mehr da waren, blieb die Prinzessin allein im Wagen. Nachdem sie
etwas gereist waren, zog der Vezir am Kopf seines Pferdes und hielt an,
steckte seinen Kopf in den Wagen und sagte: „Heh, Mädchen, deine drei
Kinder habe ich getötet. Auch dich werde ich töten oder du gibst dich
mir hin.“ Das Mädchen antwortete: „Gib mir eine halbe Stunde Zeit, daß
ich die Waschung vollziehe und zwei Gebete bete, dann will ich mich dir
hingeben.“

Der Vezir gab dem Mädchen eine halbe Stunde Erlaubnis. Das Mädchen
stieg aus. Der Vezir band ihr, damit sie nicht entfliehen konnte, einen
Strick um den Leib und ließ sie frei. Das Mädchen ging etwas weiter,
löste den Strick von ihrem Leibe und band das Ende an einen Baum und
entfloh. Nachdem sie von Berg zu Berg gelaufen war, zieht der Vezir am
Strick, sieht, daß er nicht los ist, und denkt: „Das Mädchen vollzieht
die Waschung“, und wartet. Dann überlegt er: „Seitdem dies Mädchen
weggegangen ist, ist eine halbe Stunde verflossen. Das ist ja eine
endlose Waschung. Ich will doch einmal hingehen und nach dem Mädchen
sehen.“ Als er etwas gegangen ist, sieht er auf einmal, daß das Ende
des Strickes an einen Baum gebunden ist und sie selbst entflohen ist.
Er sagte: „Da habe ich sie mir doch entwischen lassen“ und raufte sich
die Haare. Dann kehrte er zu den Soldaten zurück und sie gingen wieder
in das Schloß.

Als er zum Prinzen kam, sagte er: „Mein Prinz, als wir unterwegs waren,
nahm die Prinzessin ihre Kinder, warf sie, ohne daß wir es sahen, aus
dem Wagen und entfloh. Und mein Prinz, ein Mädchen, das von den Bergen
kommt, schafft nichts Gutes. Vom Berge ist sie gekommen und wieder auf
den Berg gegangen.“ Als der Prinz das hört, wird er bewußtlos, fällt
auf der Stelle auf den Boden und wird ohnmächtig. Man besprengte sein
Gesicht mit Rosenwasser, und er kam wieder zu sich. Dann trauerte er um
das Mädchen.

Die wollen wir nun verlassen und sehen, wie es dem Mädchen ergangen
ist. Sie war weinend von Berg zu Berg gegangen und war schließlich in
ihres Vaters Land gekommen. Sie wechselte ihre Kleider und ging auf den
Basar. Sie kam zum Laden eines alten Halwahändlers, dessen Laden
verfallen war. Nachdem sie ihn begrüßt hatte, sagte sie zu dem Alten:
„Willst du mich als Lehrling annehmen?“ Der Halwahändler antwortete:
„Ach, mein Sohn, ich kann kaum das Geld für mein Abendbrot verdienen.
Wenn ich dich als Lehrling nehme, wie sollte ich dir Lohn geben?
Außerdem habe ich auch die Halwazubereitung vergessen.“ Das Mädchen
antwortete: „Vater, ich verlange von dir nichts. Gib mir nur die Kost.
Dafür arbeite ich. Wir ernähren uns von dem, was Gott gibt.“ Als der
Alte diese angenehmen Worte hörte, widersprach er nicht und sagte:
„Gut, mein Sohn, komm.“ Dann küßte das Mädchen seinem Meister die Hand,
trat ein und setzte sich in dem Laden hin. Nach einigen Tagen streifte
das Mädchen seine Ärmel auf, ging an den Herd und fing an Halwa zu
bereiten. Sie machte ein schönes Halwa und setzte ihrem Meister eine
Probe vor. Ihr Meister langte zu, und nachdem er etwas gegessen hatte
und der angenehme Geschmack auf der Zunge geblieben war, sagte er:
„Mein Sohn, du hast ein sehr gutes Halwa gemacht. Möge deine Hand dir
gesund erhalten bleiben! Möge Allah sie vor dem bösen Blick bewahren.“
Dann wusch sie den Stein (auf dem Ladentisch) ab und legte das Halwa,
das schön klar wie Mastix aussah, darauf. Als die Kunden kamen und den
schönen Jüngling sahen, gerieten sie in Erstaunen. Selbst wenn sie
eigentlich kein Halwa kaufen wollten, so kamen sie doch in den Laden
und kauften es. Und wer schon einmal gekauft hatte, kehrte um und
kaufte noch einmal Halwa. Von diesem schönen Halwaverkäufer wurde
überall gesprochen.

Wir wollen den schönen Halwaverkäufer bei seiner Arbeit lassen und uns
wieder zum Prinzen wenden. Als ihm eines Tages dies Mädchen und seine
Kinder ins Gedächtnis kamen, seufzte er und aus seinen Augen flossen
Tränen so groß wie Regentropfen. Dann rief er seinen Hofmeister und
sagte: „Ich will die Prinzessin wieder haben. Ich will sie suchen, ich
muß sie finden, sonst töte ich mich.“ Der Vezir sagte: „Mein Prinz, das
Mädchen wollte dich nicht und ist in die Berge geflohen. Wie willst du
es jetzt finden?“ Alle diese Worte nützten nichts. Jedenfalls nahm der
Prinz den Vezir zu sich. Sie verließen das Schloß und gingen in die
Berge, um das Mädchen zu suchen. Sie kamen in das Land, wo sich das
Mädchen befand. Da sie sehr hungerten, fragten sie ein Kind: „Mein
Sohn, ist hier nicht irgendwo ein Garkoch?“ Das Kind antwortete: „Mein
Herr, hier ist keine Garküche, aber etwas weiter ist der Laden des
schönen Halwaverkäufers. An dem Halwa, das er macht, kann man sich gar
nicht satt essen. Er macht sehr schönes Halwa.“ Als der Prinz das Lob
dieses Halwahändlers hörte, konnte er sich nicht länger halten und ging
mit dem Vezir zu dem Laden des schönen Halwaverkäufers. Als jetzt das
Mädchen den Prinzen mit dem Vezir kommen sah, erkannte es sie, aber gab
sich nicht zu erkennen. Als der Prinz sagte: „Gib uns einige Stück
Halwa“, antwortete das Mädchen: „Meine Herren, wenn Sie diese Nacht
hierbleiben, werde ich Ihnen ein sehr schönes Halwa bereiten und sie
mit einer sehr merkwürdigen Geschichte unterhalten.“ Als der Prinz die
freundlichen Worte des schönen Halwaverkäufers und seine liebenswürdige
Begrüßung hörte, sah er ihm ins Gesicht, erstaunte, konnte nicht mehr
an sich halten und sagte: „Sehr schön, junger Mann, wir bleiben.“ Dann
traten der Prinz und der Vezir in den Laden und setzten sich.

Die mögen nun dort sitzen, wir wollen uns jetzt zu den Leuten aus dem
Viertel wenden. Die wollten an jenem Tage eine Halwagesellschaft
machen. Der eine sagte: „Aber von wem wollen wir das Halwa machen
lassen? An der und der Stelle ist ein schöner Halwajüngling. Der macht
sehr schönes Halwa, von dem wollen wir es machen lassen.“ Einige von
ihnen standen auf, gingen zum Laden dieses Halwahändlers und sagten:
„Kannst du heute zu uns kommen und uns ein schönes Halwa machen? Denn
wir haben die Leute des Viertels eingeladen und wollen heute nacht eine
Halwagesellschaft geben.“

Der schöne Halwaverkäufer sagte: „Sehr gern, meine Herren, aber ich
habe Gäste. Da kann ich nicht weggehen, sonst sind sie allein.“ Da
sagten sie: „Aber bringe sie doch mit. Über uns ist Platz.“ Der schöne
Halwaverkäufer wandte sich zu seinen Gästen und sagte: „Meine Herren,
man hat mich zu einer Halwagesellschaft gerufen. Wollen, bitte,
zusammen gehen, dort werden wir uns unterhalten.“ Der Prinz sagte:
„Sehr schön!“ Die drei verließen zusammen den Laden und gingen mit den
Leuten in das Haus, das sie angaben, und stiegen die Treppe hinauf. Der
Prinz und der Vezir blieben in einem Zimmer. Der schöne Halwajüngling
machte sich daran, unten das Halwa zu bereiten. Nachdem er schließlich
das Halwa fertig hatte, bewirtete er zuerst die Gäste unten in dem
Zimmer und verabschiedete sich. Nun kam die Reihe an die im oberen
Zimmer. Dann nahm er die Kasserolle und das Kohlenbecken und ging nach
oben, trat ein und sieht, daß die Leute des Viertels, sein Vater und
Bruder, der Müezzin, der Prinz und der Vezir alle in dem Zimmer
anwesend sind. Sofort stellt der schöne Halwaverkäufer das Kohlenbecken
in die Mitte des Zimmers und fängt an Halwa zu bereiten. Dann sagte er:
„Meine Herren, Sie sind ja so still. Ein jeder möge eine Geschichte
erzählen, die ihm passiert ist, damit wir uns unterhalten, denn dazu
sind wir ja zusammengekommen.“ Die nichtsahnenden Einwohner fingen an.
Jeder erzählte eine Geschichte, die ihm passiert war. Als sie fertig
waren, sagten sie zu dem schönen Halwaverkäufer: „Wir haben erzählt,
nun erzähle du uns auch eine Geschichte, damit wir zuhören.“ Der schöne
Halwaverkäufer sagte: „Meine Herren, wenn ich eine Geschichte erzähle,
habe ich die Gepflogenheit, keinen aus der Tür hinauszulassen. Wer
hinausgehen will, mag jetzt hinausgehen.“ Die Gesellschaft sagte:
„Nein, es ist keiner da.“ Dann setzte sich der schöne Halwaverkäufer an
die Tür und fing an seine Geschichte zu erzählen. Als er zuerst die
Geschichte, die ihm im Bade passiert war, erzählte, hörte der Müezzin
aufmerksam zu. Als er sie hörte, rief er: „Ach, mein Bauch, mein Bauch
schmerzt mir.“ Der schöne Halwaverkäufer sagte: „Setz’ dich nur hin.“
Als er dann die Geschichte von der Ermordung der Kinder auf der Reise
erzählte, seufzte der Prinz und seine Augen wurden voll Tränen. Da
begriffen der Vater, der Bruder, der Prinz, der Vezir und der Müezzin
die ganze Sache. Dann sagte das Mädchen: „Die Gesellschaft soll wissen,
daß meine Feinde hier der Müezzin und der Vezir sind. Dies hier ist
mein Vater, mein Bruder und mein Gatte, der Prinz.“ Darauf ging sie zu
ihm und setzte sich unter den Saum seines Kleides. Der Prinz bedeckte
das Mädchen und die ganze Gesellschaft biß sich auf den Finger [7] und
war still. Am nächsten Morgen töteten sie den Müezzin und den Vezir
unter verschiedenen Martern. Dann trennten sie sich. Das Mädchen küßte
ihrem Vater und ihrer Mutter die Hand und zog mit dem Prinzen wieder
auf sein Schloß, und sie heirateten sich von neuem. Vierzig Tage und
vierzig Nächte dauerte das Hochzeitsfest. Am einundvierzigsten betrat
der Prinz das Hochzeitsgemach. Sie erreichten, was sie wollten und
damit Schluß!



3. DER SCHÖNE KAFFEESCHENK


Die Geschichtenüberlieferer und Märchenerzähler berichten folgendes. In
alten Zeiten lebte ein erwachsener Jüngling in sehr ärmlichen
Verhältnissen. Eines Tages verkleidete er sich und machte sich auf die
Reise. Nach langem Reisen kam er in ein Land. Er kam an ein altes
Kaffeehaus und fragte den Wirt: „Meister, würdest du mich als Lehrling
annehmen?“ Der Wirt sagte: „Ach, mein Sohn, meine Kaffeeschenke ist
alt. Am Tage kommen ein paar Kunden. Fünf bis zehn Para nehme ich ein,
davon kaufe ich das Brot für den Abend und gebe es für meinen Unterhalt
aus.“ Der Jüngling sagte: „Vater, ich verlange von dir nichts. Ich will
nur meinen Kopf hier ein wenig einstecken und verweilen.“ Dagegen sagte
der Kaffeewirt nicht: „Es ist unmöglich“, sondern: „Sehr schön, mein
Sohn, was Gott schenkt, nimmt man hin.“ Darauf küßte der Jüngling dem
Meister die Hand, trat ein und verblieb im Kaffeehaus. Als es Abend
wurde, sagte sein Meister: „Mein Sohn, ich gehe jetzt nach Hause,
schließe du das Kaffeehaus ordentlich zu und schlafe darin.“ Sein
Meister ging nach Hause weg.

Wir wenden uns nun zu dem Jüngling. Dieser verschloß ordentlich das
Kaffeehaus, legte sich auf die Bank und schlief ein. Ungefähr um vier
oder fünf krachte die Türe des Kaffeehauses, öffnete sich, und ein
Derwisch trat ein und grüßte. Der schlafende Jüngling wachte auf und
erwiderte höflich den Gruß des Derwisches. Jetzt sagte der Derwisch:
„Steh auf, junger Mann, koche mir einen Kaffee umsonst.“ Der Jüngling
stand auch auf und kochte dem Derwisch einen Kaffee umsonst und reichte
ihm den. Der Derwisch trank den Kaffee und ging, ohne ein Wort zu
sagen, hinaus. Der Jüngling sagte: „Hoffentlich ist es eine gute
Vorbedeutung“, schloß die Türe der Kaffeeschenke, setzte sich wieder
auf die Bank und blieb die Nacht dort. Als es Morgen wurde, sagte er
nichts dem Meister davon. Als es wieder Abend wurde, schlief er wieder
wie das erstemal ein. Genau um vier oder fünf ungefähr krachte wieder
die Türe und öffnete sich. Da kamen zwei Derwische herein, grüßten und
sagten: „Koche uns zwei Kaffee umsonst.“ Der Jüngling stand auf, kochte
ihnen zwei Kaffee umsonst und gab sie ihnen. Sie tranken den Kaffee und
gingen weg. Er schloß wieder die Türe des Kaffeehauses und verblieb die
Nacht auf der Bank. Als es Morgen wurde und der Meister kam, sagte er
ihm nichts von den Geschehnissen. Als es Abend wurde, schloß er wieder
das Kaffeehaus und stellte alles, was an Dingen vorhanden war, hinter
die Tür, legte sich auf seine Bank und schlief ein. Genau gegen vier
oder fünf erhob sich ein sehr starker Lärm, die Tür krachte und öffnete
sich, und herein traten drei Derwische. Nachdem sie gegrüßt hatten,
sagten sie: „Steh auf, junger Mann, und koche uns drei Kaffee umsonst.“
Der arme Jüngling stand auf, kochte den Kaffee und gab ihnen den. Sie
tranken ihren Kaffee und standen auf. Der eine sagte: „In der
Kaffeeschenke, in der sich dieser junge Mann befindet, soll nie in der
Kaffeebüchse an Kaffee und Zucker Mangel sein; sie sollen immer bis an
den Rand voll sein.“ Der zweite sagte: „In die Kaffeeschenke, in der
sich dieser junge Mann befindet, sollen Kunden wie Ameisen kommen.“ Der
dritte sagte: „Dieser junge Mann soll alle Löcher zum Sprechen bringen
können.“ Schließlich gingen alle drei Derwische auf einmal davon.

Der Jüngling schloß wieder wie das erstemal die Türe des Kaffeehauses,
legte sich auf die Bank und schlief ein. Als es Morgen wurde, stand er
auf, öffnete das Kaffeehaus und sieht, daß vor dem Kaffeehaus die
Kunden wie Ameisen gedrängt stehen. Er sagte: „Es ist tatsächlich
geschehen, was die Derwische in der Nacht sagten“, und dankte Gott.
Danach ging er an den Herd und als er nach dem Kaffee und Zucker sieht,
um den Kunden Kaffee zu kochen, ist die Büchse bis zum Rande voll. Er
sagte: „Die Derwische waren doch nicht so ohne.“ Dann verfiel er in
Nachdenken. Doch kochte er andauernd Kaffee und setzte ihn den Gästen
vor. Schließlich kommt sein Meister und sieht, — na, was siehst du? [8]
— der Platz vor dem Kaffeehaus und drinnen ist voller Menschen. Er sagt
zu sich: „Das ist ja ein reines Wunder“, steckt den Finger in den
Mund[7] und bleibt stehen. Er denkt: „Jeden Tag kommt sonst nur der
eine oder der andere Kunde. Dahinter muß etwas stecken.“ Er geht umher
und findet keinen Platz zum Sitzen. Dann fragt er den Jüngling: „Hast
du Kaffee und Zucker in dem Kasten?“ Der Jüngling antwortete: „Ja,
Meister, ich habe welchen gekauft. Setze dich nur hin und vergnüge
dich.“ Da setzte sich sein Meister irgendwohin.

Der junge Mann kochte andauernd Kaffee. Als es schließlich Abend wurde,
ging sein Meister an die Schublade, öffnet sie und sieht, — na, was
siehst du? — die Schublade ist bis zum Rande voller Geld. Als der
Meister das sieht, wäre er beinahe ohnmächtig geworden. Dann sagte er:
„Bravo, mein Junge, dein Fuß war glückbringend!“ und küßte den jungen
Mann auf die Augen. Dann steckt er das Geld in den Beutel und trug es
nach Hause.

Der junge Mann verblieb einige Monate im Kaffeehause und an jedem Tage
kamen viele Kunden. Sie wurden nun so reich, daß sie keinen Platz
finden konnten, wo sie das Geld hinlegen konnten. Schließlich sagte der
junge Mann eines Tages zu seinem Meister: „Meister, ich möchte in meine
Heimat reisen, gib mir die Erlaubnis.“ Der Meister wollte sich zwar
nicht von ihm trennen, notgedrungen sagte er aber wohl oder übel: „Sehr
schön, mein Sohn, Allah möge dir Heil geben, geh!“ Dann küßte der junge
Mann seinem Meister die Hand, und der Meister gab ihm ein paar Kleider,
wie es in der Welt nicht Ähnliches gibt, ganz mit Goldstickerei und mit
Juwelen. Er zog sie an und machte sich auf den Weg.

Eines Tages kam er in ein anderes Land; dort mietete er sich ein
Kaffeehaus und fing an zu arbeiten. Wieder kamen wie vorher so viel
Kunden, daß sie sich nicht zählen ließen. Kurz, dieser schöne
Kaffeeschenk wurde in dieser Stadt bekannt.

Als eines Tages einer von den Reichen der dortigen Gegend davon hörte,
konnte er es nicht mehr aushalten, stand auf und ging sofort in das
Kaffeehaus, wo der schöne Kaffeeschenk war. Er setzte sich dort hin und
verblieb dort, konnte aber sein Auge nicht von dem jungen Manne wenden.
Er war so schön, als wenn er aus Wachs geformt wäre. — Der Reiche riß
vor Erstaunen seinen Mund auf.

Der junge Mann kochte einen ganz besonders leckeren Kaffee und setzte
ihm den vor. Dieser Reiche streckte seine Hand aus und trank ihn. Als
er den Genuß ganz ausgekostet hatte, sagte dieser Reiche zu dem schönen
Kaffeeschenk: „Schöner Kaffeeschenk, ich habe eine Tochter. Nach Allahs
Bestimmung werde ich sie dir geben. Wirst du sie nehmen?“ Der schöne
Kaffeeschenk sagte: „Mein Herr, da Sie Ihre Tochter für mich passend
ansehen, warum sollte ich sie nicht nehmen?“ Schließlich führte dieser
Reiche den schönen Kaffeeschenk in sein Haus, rief die Gemeinde
zusammen und verheiratete seine Tochter mit dem Kaffeeschenk. Es wurde
Scherbet getrunken und an jeden verteilt. Den schönen Kaffeeschenk
geleitete man in dieser Nacht ins Brautgemach. Der schöne Kaffeeschenk
ging zu dem Mädchen und sagte: „Loch, wer hat dich durchstochen?“ Das
Loch schrie: „Mich hat mein Vetter durchstochen.“

Am Morgen schied er sich von diesem Mädchen und ging in sein
Kaffeehaus. Als sie das sahen, wunderten sie sich: „Was ist das für
eine Sache, an einem Tage heiraten und am nächsten scheiden?“ Alle
waren verwundert und bedenklich.

Wir wollen die Geschichte nicht in die Länge ziehen. Der schöne
Kaffeeschenk nahm die Tochter eines anderen reichen Mannes. Als es
Morgen wurde, entließ er sie wieder. Am folgenden Tage nahm er
anderswoher ein Mädchen, auch die entließ er.

Als dieser schöne Kaffeeschenk eines Tages am Meeresgestade ging,
begegnete er einem Hirten, bei ihm war seine Tochter. Er redete ihn an:
„He, Hirte, ist dies deine Tochter?“ Der Hirte antwortete: „Ja, mein
Herr.“ Als er sagte: „Ach, Hirte, mein lieber Hirte, dies Mädchen werde
ich nach Gottes Anordnung und nach dem hehren Brauch des Propheten
heiraten“, antwortete der Hirte: „Ach, mein Herr, ist denn ein
Hirtenmädchen Ihrer würdig?“ Da sagte der schöne Kaffeeschenk: „Ich
halte dies Mädchen meiner für würdig.“ Schließlich nahm er den Hirten
und dies Mädchen mit in sein Haus. Dann rief er die Gemeinde zusammen
und heiratete das Mädchen.

Als es Nacht wurde, ging er zum Mädchen und rief: „Loch, wer hat dich
durchstochen?“ Das Loch fing an zu sagen: „Ich bin arm, keiner hat sich
zu mir herabgelassen. Ich bin so, wie ich von der Mutter geboren bin.
Bis jetzt hat noch niemand Hand daran gelegt.“

Als der schöne Kaffeeschenk dies hörte, freute er sich und sagte: „Da
habe ich endlich die Frau gefunden, die ich suchte.“ Dann näherte er
sich dem Mädchen und wohnte ihr bei.

Als es Morgen wurde, stand er auf, ging ins Bad, wusch sich, kaufte
Sahne und ging wieder ins Haus, wo das Mädchen war, verweilte bei dem
Mädchen und sie liebten sich.

Die mögen nun hierbleiben, wir kommen jetzt zu den Reichen. Die hatten
einen nahen Nachbarn. Eines Tages versammelten sie sich und er sagte:
„An dem und dem Orte ist ein schöner Kaffeeschenk. Der nahm meine
Tochter und am Morgen verließ er sie. Gestern hat er ein Hirtenmädchen
genommen. Das heißt, daß ihm meine Tochter nicht gefallen hat. Kommt,
wollen alle einmütig daraus einen ehrenrührigen Prozeß machen und ihn
bestrafen lassen.“

Dies Wort gefiel allen. Darauf schicken sie Nachricht an den schönen
Kaffeeschenk. Schließlich sagte er: „Wenn Allah will, ist es so gut“,
verließ sein Haus und kam zu ihnen, setzte sich und verweilte. Sie
sagten zu ihm: „He, schöner Kaffeeschenk, nach Allahs Anordnung hast du
unsere Töchter geheiratet und am Morgen wieder verlassen. Was ist der
Grund? Schließlich hast du ein Hirtenmädchen genommen und bei der
bleibst du. Schämst du dich nicht? Gehört sich so etwas für dich? Was
hatten unsere Töchter für einen Fehler? Jetzt wollen wir dir einen
ehrenrührigen Prozeß machen. Laß dir das gesagt sein!“

Da antwortete der schöne Kaffeeschenk: „Meine Herren, jetzt ruft eure
Töchter, wir wollen die Sache erklären, damit, wenn die Schuld an mir
liegt, der schöne Kaffeeschenk verderben möge.“ Sie sagten: „Sehr
schön, mein Sohn, wollen sie rufen, sie mögen kommen.“ Dann sandten sie
Nachricht in ihre Häuser und die genannten Mädchen bestiegen ihre
Droschken und kamen in die Versammlung.

Eins von den Zimmern wurde abgesondert und der schöne Kaffeeschenk trat
mit einem Mädchen ein. Er ging zu dem Mädchen und rief: „Loch, wer hat
dich durchstochen?“ Das Loch sagte: „Mein Vetter hat mich
durchstochen.“ Sie horchten hinter der Tür. Der schöne Kaffeeschenk
sagte zu ihnen: „Nun, habt ihr es gehört, meine Herren?“ Sie standen da
und bissen sich auf den Finger.

Darauf ging das Mädchen aus dem Zimmer und sagte zu ihren Genossinnen:
„Ach, Schwestern, steckt in eure Löcher einen Lappen.“ Das taten sie
und eine andere ging in das Zimmer. Der schöne Kaffeeschenk ging zu dem
Mädchen und rief: „Loch, wer hat dich durchstochen?“ Von dem Loch kam
keine Antwort. Er sagte zu dem anderen Loch: „Warum kommt keine Stimme
heraus?“

„Ach, mein Herr, wie soll es sprechen, sie hat es verstopft.“

Darauf ging das Mädchen hinaus und sagte zu ihrer Gefährtin: „Fräulein,
verstopfe deine beiden Löcher, denn deine Sache steht schlecht.“

Die glaubte ihr und verstopfte beide Löcher. Dann kam sie herein und
setzte sich. Der schöne Kaffeeschenk ging zu ihr und sagte: „Loch, wer
hat dich durchstochen?“ Vom Loch kam keine Antwort. Er sagte zum andern
Loch: „Warum kommt keine Stimme heraus?“ Auch dort keine Antwort. Dann
ging er an das Ohr des Mädchens und rief: „Loch, warum antworten nicht
die unteren Löcher?“ Das Loch antwortete: „Ach, mein Herr, wie sollten
sie antworten, sie sind beide verstopft.“ Da sagte der schöne
Kaffeeschenk: „Nun, meine Herren, habt ihr eure Töchter gehört, wie sie
es eingestanden haben? Ihr hättet sie auch nicht genommen, wie sollte
ich sie nehmen?“ Die waren still und sagten keinen Ton.

Dann sagte er wieder: „Nun, meine Herren, ich will auch eure Löcher zum
Sprechen bringen, damit kein Zweifel sei.“ Sie sagten: „Ach, mein Sohn,
bringe nicht unsere Löcher zum Sprechen, da, nimm diese Goldstücke, geh
und lebe ruhig, wo du bist.“

Da stand der schöne Kaffeeschenk auf, ging in sein Haus. Vierzig Tage
und vierzig Nächte dauerte das Hochzeitsfest. Sie erlangten, was sie
wollten.



4. DIE GESCHICHTE VON DER WEINENDEN GRANATE UND DER LACHENDEN QUITTE


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In alter Zeit hatte ein Padischah neun Töchter. Als er eines
Tages bei der Königin saß, dachte er nach und sagte: „Wenn ich sterbe,
habe ich keinen Sohn, der meinen Thron besteigen wird. Wenn du diesmal
wieder ein Mädchen bekommst, werde ich dich töten.“ Schließlich brachte
die Königin nach einigen Monaten wieder ein Mädchen zur Welt. Da machte
die Königin und die Hebamme aus Wachs ein männliches Glied und ließ es
dem Kind an der Scheide befestigen. Als der Vater eintrat und es sah,
freute er sich und war froh. Die Hebamme sagte: „Mein Padischah, Ihre
Augen mögen glänzen! Sie haben einen Sohn.“ Vorsichtig zeigte man das
Glied des Kindes. Da war nun kein Zweifel mehr.

Das Kind wuchs heran. Als die Zeit der Beschneidung herankam, zog sich
die Königin in ein Zimmer zurück und fing an zu weinen. Das Mädchen
ging zu seiner Mutter, und als es sie weinen sah, sagte es: „Mutter,
was ist passiert, daß du so weinst?“ Die Mutter sagte: „Ach, mein
Mädchen, wenn ich nicht weine, wer sollte dann weinen! Denn als du ein
Kind warst, haben wir dich deinem Vater als Jungen angegeben. Obgleich
du ein Mädchen bist, hält dich dein Vater für einen Jungen. Jetzt ist
die Zeit der Beschneidung für dich gekommen. Wenn er sieht, daß du ein
Mädchen bist, wird er mich töten. Deswegen weine ich.“ Das Mädchen
sagte zu seiner Mutter: „Darüber rege dich nicht auf. Ich werde zu
meinem Vater gehen und ihn bitten, dann beschneidet er mich dies Jahr
nicht.“ Am nächsten Morgen ging das Kind zu seinem Vater, küßte ihm die
Hand und fing an zu weinen. Der Padischah sagte: „Mein Sohn, warum
weinst du so?“ Das Kind antwortete: „Vater, Sie wollen mich
beschneiden, deswegen weine ich, denn ich bin noch klein.“ Sein Vater
sagte: „Mein Sohn, weine nicht, wollen es dies Jahr lassen. Im nächsten
Jahr wirst du beschnitten.“ Es küßte wiederum seinem Vater die Hand und
ging froh zu seiner Mutter und sagte: „Ich habe meinen Vater überredet.
Im nächsten Jahr wird die Beschneidung sein.“ Die Mutter freute sich
auch, nahm das Kind auf den Schoß und küßte es auf die Augen.

Im nächsten Jahre zog sich die Mutter wieder in ein Zimmer zurück und
fing an zu weinen. Das Mädchen ging zu ihr, und als es die Mutter
weinen sah, sagte es: „Mutter, warum weinst du?“ Die Mutter antwortete:
„Ach, meine Tochter, auch dies Jahr ist vorüber, ich weiß nicht, was
ich tun soll.“ Das Mädchen ging wieder wie das erstemal zu seinem
Vater, machte ihm wieder etwas vor. Auch in diesem Jahre wollte der
Vater seinem Kinde nicht weh tun und unterließ die Beschneidung auch in
diesem Jahre.

Darauf ging es erfreut zu seiner Mutter und sagte: „Mutter, auch dies
Jahr habe ich meinen Vater überredet. Nun weine nicht mehr.“ Inzwischen
verging reichlich Zeit. Das zweite Jahr war auch vorüber. Wieder zog
sich die Königin in ein Zimmer zurück und fing an zu schluchzen. Als
das Mädchen aus der Schule kam und seine Mutter weinen sah, konnte es
es nicht aushalten und fing an mit seiner Mutter zusammen zu weinen.
Die Mutter sagte: „Ach, meine Tochter, zweimal hast du deinen Vater
davon abhalten können, die Beschneidung zu vollziehen, aber jetzt ist
auch dies Jahr um. Jetzt bist du jedoch erwachsen und nun gibt es
keinen Ausweg mehr. Morgen wird mich dein Vater töten. Heute ist der
letzte Tag meines Lebens.“ Das Mädchen antwortete: „Liebe Mutter, wenn
mich morgen mein Vater ruft, um die Beschneidung zu vollziehen, werde
ich zu ihm gehen und ihn um die Erlaubnis bitten, eine halbe Stunde
spazierengehen zu dürfen, dann werde ich in den Stall gehen ein
schnelles Pferd besteigen und entfliehen. Weine nicht um mich. Ich
werde in andere Länder flüchten. Ich werde mich für dich opfern.“ So
beschlossen sie.

Am nächsten Morgen kamen viele Leute zusammen, die da sagten: „Es
werden große Zelte aufgeschlagen, der Ort für die Beschneidung wird
hergerichtet und der Prinz wird beschnitten.“ Der König rief den
Prinzen und sagte: „Mein Sohn, du bist nun genau dreizehn bis vierzehn
Jahre. Sage nun nicht mehr nein. Heute wirst du sogleich beschnitten.“
Das Mädchen sagte: „Vater, gib mir noch eine halbe Stunde, ich will
hier noch etwas herumreiten, danach mag man mich beschneiden. Ich bin
damit einverstanden.“ Der Vater sagte: „Sehr wohl, mein Sohn“ und gab
dem Prinzen die Erlaubnis. Der ging sofort in den Stall und sieht ein
rabenschwarzes, fleckenloses Pferd, geht zu ihm und fängt an zu weinen.
Das Pferd fängt an zu sprechen und sagt: „Mein Prinz, warum weinst du
so?“ Das Mädchen wundert sich und sagt: „Ach, mein Pferdchen, wenn ich
nicht weine, wer soll dann weinen? Mein Vater hält mich seit meiner
Geburt für einen Jungen. Jetzt will er mich beschneiden. Wenn er dann
merkt, daß ich ein Mädchen bin, wird er meine Mutter töten. Ich habe
von meinem Vater eine halbe Stunde Erlaubnis erhalten und bin
hierhergekommen, damit ich ein Pferd besteige und fliehe.“ Das Pferd
antwortete: „Meine Prinzessin, deswegen rege dich nicht auf. Ich werde
dich zunächst mit Gottes Erlaubnis in andere Länder bringen, aber ich
rate dir: wenn du auf mir sitzest, mußt du mir den Zügel völlig frei
lassen, dich fest am Halfter halten und für dich sorgen; denn ich laufe
wie der wehende Wind. Selbst wenn man hinter mir mit Kugeln schösse, so
würden sie mich nicht erreichen. Dementsprechend richte dein Verhalten
ein.“ Schließlich bestieg das Mädchen das Pferd, ritt zu dem Platze und
tummelte sich dort. Die dort befindlichen Soldaten betrachteten den
Prinzen. Nach einer halben Stunde ging das Pferd mitten durch die
Soldaten und enteilte wie ein wehender Wind. Als die Anwesenden dies
sahen, gingen sie zum Vater und erzählten es ihm. Sofort wurden Leute
nach ihm ausgeschickt, fanden aber keine Spur von ihm. Sie kehrten
wieder um und erzählten es dem Vater. Der Padischah und das ganze Volk
trauerten um den Prinzen. Die dort aufgestellten Soldaten wurden wieder
an ihren Platz, wo sie stationiert waren, entlassen.

Wir kommen nun wieder zu dem Prinzen. Als das Pferd ihn mit sich
genommen, brachte es ihn an einem Tage in ein sechs Monate entferntes
Land, stand still und sagte zum Mädchen: „Meine Prinzessin, nun habe
ich dich soweit gerettet. Jetzt gehe, wohin du willst, und sorge für
dich.“ Das Mädchen stieg vom Pferde, fing an zu weinen und sagte: „Ach,
mein Lieblingspferd. Zuerst sei Allah, dann dir gedankt. Jetzt will ich
von hier gehen, aber wenn mir ein Unglück zustößt, was soll ich da
tun?“ Das Pferd antwortete: „Meine Prinzessin, ich werde dir drei Haare
von mir geben. Bewahre sie bei dir, damit du, wenn dir etwas passiert,
die Haare nimmst und eins an dem andern reibst. Dann werde ich dir
Hilfe bringen.“

Die Prinzessin sagte: „Sehr schön“, nahm von dem Pferde drei Haare und
steckte sie in ihren Busen. Dann trennte sich das Mädchen von dem
Pferde und machte sich auf den Weg. Auch das Pferd verschwand spurlos.

Auf seiner Wanderung kommt das Mädchen in ein Land und sieht vor sich
ein großes Schloß und dabei eine schöne Küche. Es war Abend geworden.
Sie wechselte sofort ihre Kleider und ging in die Küche des Schlosses.
Da sieht sie, daß die Köche eilig eine Mahlzeit kochen. Sie geht zu
ihnen und sagt zu ihnen: „Meister, wollt ihr mich als Lehrling
annehmen?“ Die fuhren sie an: „Siehst du nicht, daß wir unsere Arbeit
haben? Was sollen wir mit dir anfangen?“ Schließlich flehte und
überredete sie sie, daß sie einwilligten. Das Mädchen tat im Hause von
unten bis oben Dienste. Schließlich redete sie einen an: „Meister,
warum kochst du so eilig?“ Die sagten: „Mein Sohn, in dieses Land kommt
in sechs Jahren einmal in der Nacht ein Dev [9]. Der frißt die Leber
des Padischah und geht wieder. Morgen ist die Zeit, da er kommt.
Deswegen sind wir heute so aufgeregt.“ Als das Mädchen das hörte, biß
es sich auf den Finger vor Erstaunen.

Diese Nacht schlief das Mädchen nicht und kochte mit den Köchen bis zum
Morgen. Als es Morgen wurde, ging das Mädchen in das Schloß, stieg nach
oben, kommt in ein Zimmer und sieht eine Prinzessin sitzend, vom Kopf
bis zu den Zehen in schwarzen Kleidern. Dann geht sie in ein anderes
Zimmer und sieht eine Prinzessin gleichfalls wie die erste in Schwarz.
Die Einrichtung des Zimmers war ebenfalls schwarz. Darauf geht sie in
ein anderes Zimmer und sieht mitten in dem Zimmer auf einem Bette eine
Prinzessin vom Kopf bis zu den Zehen in roten Kleidern. Danach kommt
sie in das Zimmer des Padischah und sieht, daß man dem Padischah, der
bewußtlos in einer Ecke lag, Essenzen zu riechen gibt.

Es wurde Abend und die Ankunft des Devs stand bevor. Sogleich zog das
Mädchen aus seinem Busen die Haare, welche das Pferd ihm gegeben hatte,
heraus und reibt eins am andern. Sofort erscheint das Pferd und sagte:
„Was willst du, meine Prinzessin?“ Das Mädchen sagte: „Ich will von dir
ein Schwert, welches einen großen Dev in dem Augenblick, da ich ihn
geschlagen habe, in zwei Teile spalten muß.“ Das Pferd antwortete: „Da,
meine Prinzessin, hast du ein Schwert. Schlage aber nicht zum zweiten
Male auf die Stelle, wo du einmal hingeschlagen hast.“ Dann verschwand
das Pferd spurlos.

Das Mädchen nahm das Schwert, ging in das Zimmer, wo der Padischah war,
trat leise hinein und verbarg sich an einer Stelle. Als es Mitternacht
war, kam ein Geräusch vom Himmel. Die Luft wurde pechschwarz. Danach
geschah ein Gepolter und ein großer Dev stand im Zimmer. Sogleich sagte
das Mädchen: „Mit Gottes Hilfe!“ und schlug mit dem Schwerte, das sie
bei sich hatte, auf den Kopf des Devs einen solchen Schlag, daß der
Kopf vom Körper getrennt wurde. Da schrie der Dev: „Jüngling, ich
möchte wissen, ob du ein Mann bist. Schlage doch noch einmal!“ Das
Mädchen erinnerte sich an die Mahnung des Pferdes, war still und schlug
nicht zum zweitenmal. Da entschwand die Seele des Devs und fuhr in die
Hölle.

Das Mädchen ging dann zum Dev, schnitt ihm ein Ohr ab und steckte es in
die Tasche. Darauf ging sie zu den Köchen und machte wie vorher ihren
Dienst im Hause von unten bis oben. Schließlich am Morgen kam der
Padischah wieder zu sich und sagte: „Bin ich nicht gestorben?“ Er sieht
mitten in das Zimmer und erblickt einen scheußlichen, schwarzen Dev.
Wer ihn sah, wurde ohnmächtig. Er überlegte sich: „Wer kann wohl diesen
Dev getötet haben?“ und dankte Gott. Als er hinausging und alle Leute
des Palastes den Schah sahen, waren sie alle verwundert und sagten:
„Bei Gott, unser Padischah ist am Leben“ und dankten Gott. Als der
Padischah rief: „Wer hat diesen Dev in dieser Nacht getötet?“ da sagten
sie, indem einer nach dem anderen vortrat: „Padischah, wir haben ihn
getötet.“ Da gab der Padischah ihnen reichlich Geschenke; bis zu den
Köchen herab erhielten sie Geschenke. Das Mädchen trat nicht vor. Die
Köche sagten zu dem Mädchen: „Lehrling, wir haben von dem Padischah ein
Geschenk erhalten. Was wartest du, geh hin und hol’ dein Geschenk.“ Das
Mädchen sagte: „Wenn ich zum Padischah gehe, jagt er mich davon.“ Sie
sagten: „Nein, warum sollte er dich wegjagen, er gibt dir ein
Geschenk.“ Sie drangen in das Mädchen, so daß es aufstand und zum
Padischah ging und sagte: „Mein Padischah, diesen bösen Dev habe ich
getötet.“ Der Padischah wies das Mädchen zurück und sagte: „Wie hättest
du die Kraft, ihn zu töten!“

Das Mädchen antwortete: „Mein Padischah, wenn du es nicht glaubst,
werde ich dir das Ohr des Devs zeigen.“ Dann zog das Mädchen das Ohr
des Devs aus der Tasche, gab es dem Padischah und sagte: „Wenn Sie es
nicht glauben, gehen Sie und sehen den Kopf des Devs an.“ Dann ging man
zum Dev und sah, daß tatsächlich ein Ohr fehlte. Der Padischah
antwortete: „Mein Sohn, fordere von mir, was du willst.“ Das Mädchen
antwortete: „Ich wünsche nur deine Gesundheit.“ Als er noch einmal
fragte, sagte es wieder so. Als er zum dritten Male fragte, sagte es:
„In jenem Zimmer ist ein Mädchen in roten Kleidern, das wünsche ich.“
Er sagte: „Mein Sohn, dieses Mädchen habe ich schon so viel schönen
jungen Männern geben wollen. Sie gefielen ihr aber nicht und sie hat
sie nicht genommen. Was willst du mit der Hure machen. In dem anderen
Zimmer sind meine Lieblingstöchter in schwarzen Kleidern, die werde ich
dir geben.“ Das Mädchen sagte: „Mein Padischah, mein Herz liebt diese,
wenn du sie mir geben willst, gib sie mir, eine andere will ich nicht.“
Darauf befahl der Padischah und rief das Mädchen in roten Kleidern. Die
kam auch und blieb mit übereinandergelegten Händen stehen. Der
Padischah sagte: „Meine Tochter, dieser junge Mann wünscht dich, nimmst
du ihn an?“ Das Mädchen antwortete: „Mein Padischah, erlaube mir, daß
ich diese Nacht noch schlafe, damit ich einen Traum habe. Morgen werde
ich Antwort geben.“ Er gab die Erlaubnis und das Mädchen ging in ihr
Zimmer.

In der Nacht ging das Mädchen, das den Dev getötet hatte, an die Tür
des Zimmers, in der das Mädchen mit den roten Kleidern war, und spähte
durch das Schlüsselloch. Da sah es, daß das Mädchen in die Mitte des
Zimmers ein goldenes Becken stellte und reines Wasser hineingoß. Dann
kam durch das Fenster eine Taube, wusch sich in dem Becken, schüttelte
sich und wurde ein mondgleicher Jüngling. Darauf stieg er auf das Lager
des Mädchens, umarmte das Mädchen und sie pflegten der Liebe. Das
Mädchen sagte: „Ach, mein Augenstern, heute hat mich mein Vater gerufen
und will mich einem armseligen Manne geben. Ich habe ihn um Erlaubnis
gebeten, daß ich diese Nacht auf meinen Traum warten dürfte. Ich habe
es nur getan, um mich mit dir zu beraten.“ Der Jüngling sagte: „Meine
Prinzessin, an dem und dem Ort ist bei Deven ein Spiegel, den zu holen
niemand wagt. Morgen trage es dem Jüngling auf und sage ‚Wenn du ihn
holst, werde ich dich heiraten.‘“ Das hörte das Mädchen draußen. So
einigten sie sich. Am Morgen wurde der Jüngling wieder wie vorher ein
Vogel und flog davon. Das Mädchen ging aus dem Zimmer zum Padischah und
sagte: „Mein Padischah, an dem und dem Ort ist bei Deven ein Spiegel.
Wenn er den bringt, werde ich ihn heiraten.“ Danach rief der Padischah
diesen Jüngling und sagte: „Mein Sohn, sagte ich dir nicht, daß dies
Mädchen ihr Spiel mit uns treibt. Da gibt es jetzt einen Spiegel, den
will sie von dir.“ Er sagte: „Mein Padischah, wenn Sie erlauben, hole
ich ihn.“ Der Padischah erwiderte: „Sehr schön, mein Sohn.“ Schließlich
ging das Mädchen aus dem Schloß, holte aus seinem Busen die Haare,
welche das Pferd ihm gegeben hatte. Als es sie aneinandergerieben
hatte, erschien das Pferd und sagte: „Was willst du, meine Prinzessin?“
Das Mädchen antwortete: „Ach, mein Lieblingspferd, an dem und dem Orte
ist bei Deven ein Spiegel, den will ich haben.“ Das Pferd sagte: „Sehr
schön, meine Prinzessin, steige auf meinen Rücken.“ Das Mädchen stieg
auf und wie der wehende Wind ging es auf die Reise. Nach einiger Zeit
kam es an einen großen Berg, machte halt und sagte: „Meine Prinzessin,
bis hierhin habe ich dich gebracht, jetzt gehe du auf den Berg, der vor
dir liegt, dort ist der Platz der Deve. Sieh sie dir an. Wenn ihre
Augen geschlossen sind, schlafen sie nicht, wenn sie offen sind,
schlafen sie. Geh leise hinein. Ihnen zu Häupten hängt der Spiegel.
Nimm sofort den Spiegel, nimm ihn und kehre zu mir zurück, ohne dich
umzusehen.“ Das Mädchen sagte: „Sehr schön“, stieg auf den Berg und
ging an den Platz, wo die Deve waren. Es sieht, daß die Augen der Deve
geöffnet sind, und weiß daraus, daß sie schlafen. Sofort tritt es ein,
nimmt den Spiegel, der ihnen zu Häupten hängt, kehrt, ohne sich
umzusehen, schleunigst zu dem Pferde zurück. In diesem Augenblick
wachen die Deve auf und schreien hinter dem Mädchen her: „Jüngling,
bringe uns unseren Spiegel wieder“ und werfen Steine von der Größe von
Bergblöcken hinter ihm her. Das Mädchen läßt sich nicht halten, kommt
zu dem Pferde und besteigt es. Das Pferd macht sich kraft seiner Hufe
wie ein wehender Wind davon und die Deve sehen ihm nach. Schließlich
kommen sie nach einiger Zeit wieder vor das Schloß. Das Mädchen steigt
vom Pferde und sieht, daß das Pferd spurlos verschwunden ist.

Dann betritt das Mädchen das Schloß, ging zum Padischah und sagte: „Da,
mein Padischah, habe ich den verlangten Spiegel gebracht.“ Der
Padischah rief sofort das Mädchen mit den roten Kleidern und sagte:
„Da, dieser Jüngling hat den von dir verlangten Spiegel gebracht.“ Das
Mädchen nahm den Spiegel und sagte: „Vater, gib mir diese Nacht
Erlaubnis, morgen werde ich euch Antwort geben.“ Der Padischah sagte:
„Sehr schön.“ Dann zog sich das Mädchen in sein Zimmer zurück. Der
Jüngling ging auch aus dem Zimmer und verbarg sich irgendwo.
Schließlich in der Nacht ging er wieder an die Tür des Zimmers, wo sich
das Mädchen befand, und spähte wieder durch das Schlüsselloch. Das
Mädchen stellte wieder wie das erstemal in die Mitte des Zimmers ein
goldenes Becken. Sofort kam eine Taube durch das Fenster, flog in das
Becken, schüttelte sich, wurde ein löwengleicher Jüngling und legte
sich in das Bett des Mädchens. Nachdem sie sich umarmt hatten, sagte
das Mädchen: „Du Freude meines Herzens, du Glanz meines Auges. Dieser
elende junge Mann hat den von dir beschriebenen Spiegel den Deven
entrissen und hergebracht. Ich habe mir für diese Nacht Erlaubnis
erbeten, damit ich die Sache mit dir berate und einen Ausweg finde.“
Der Jüngling sagte: „Meine Prinzessin, darüber rege dich nicht auf. An
dem und dem Orte ist bei den Deven ein Karfunkelstein, den niemand
holen kann. Morgen fordere du diesen von dem Jüngling. Den kann er
nicht bringen und wir bleiben für uns.“ Das Mädchen an der Tür hörte
dies. Am Morgen wird der Jüngling, wie das erstemal, wieder ein Vogel
und flog durch das Fenster davon.

Das Mädchen ging sofort aus dem Zimmer zum Padischah und sagte: „Vater,
an dem und dem Orte ist bei den Deven ein Karfunkelstein. Wenn der
Jüngling den bringt, werde ich ihn heiraten.“ Er rief den jungen Mann
zu sich und sagte: „Mein Sohn, an dem und dem Orte ist bei den Deven
ein Karfunkelstein. Das Mädchen wünscht ihn, bringe ihn ihr.“ Der
Jüngling sagte: „Mein Herr hat nur zu befehlen!“ ging aus dem Schlosse
und rieb die Haare aneinander. Sofort erschien das Pferd und sagte zum
Mädchen: „Was willst du, meine Prinzessin?“ Das Mädchen sagte: „An dem
und dem Orte ist bei den Deven ein Karfunkelstein. Den verlange ich.“
Das Pferd sagte: „Sehr schön, meine Prinzessin.“ Das Mädchen bestieg
das Pferd. Das Pferd wurde ein Feuer und jagte wie ein Drache davon.
Nach einiger Zeit kamen sie an einen großen Berg. Dort hielt es an.
Nachdem das Mädchen herabgestiegen war, sagte das Pferd: „Meine
Prinzessin, gehe auf diesem Wege geradeaus. Vorne ist eine Höhle der
Deve. Da tritt ein. In der Höhle ist der Karfunkelstein. Den nimm und
komm, ohne dich aufzuhalten, sonst ist es dein Todestag. Jeder Fluch,
den sie dir nachrufen, erfüllt sich.“ Das Mädchen ging auf dem vom
Pferde beschriebenen Wege, betrat die Höhle, wo die Deve wohnten, trat
ein, nahm den in der Höhle befindlichen Karfunkelstein, kehrte um und
kam zum Pferde. Währenddessen wachten die Deve auf und verfolgten das
Mädchen. Da sie das Mädchen nicht erreichen konnten, fingen sie an zu
schreien: „Bei Gott, Jüngling, wenn du ein Mann bist, sollst du ein
Mädchen werden, wenn du ein Mädchen bist, sollst du ein Mann werden.“
Das Mädchen kam eiligst zum Pferde und sagte: „Da habe ich ihn.“ Das
Pferd antwortete: „Meine Prinzessin, haben sie Verwünschungen hinter
dir ausgestoßen? Wenn sie es getan haben, so steht es schlimm. Das läßt
sich nicht mehr bessern.“ Das Mädchen sagte: „So haben sie mir
nachgerufen: ‚Bei Gott, Jüngling, wenn du ein Mann bist, sollst du ein
Mädchen sein, wenn du ein Mädchen bist, sollst du ein Mann sein.‘“ Dann
befühlt sich das Mädchen und sieht, — was siehst du? — regelrecht wie
beim Mann hat sie ein Glied. Als das Pferd sieht, daß es dem Mädchen so
ergangen ist, wurde es sehr froh. Das Mädchen sagte zu sich: „Das war
es ja, was ich mir immer gewünscht hatte. Gott sei Dank, ich habe
meinen Wunsch erreicht.“ Das Pferd sagte: „Prinz, was du jetzt noch
wünschst, werde ich dir zuliebe tun, denn du bist ein Mann geworden.“
Das Mädchen bestieg das Pferd. Das Pferd machte sich wie ein wehender
Wind auf den Weg. Nach einiger Zeit kam es vor das Schloß und hielt an.
Der Prinz stieg vom Pferde und das Pferd verschwand spurlos. Der Prinz
ging sofort ins Schloß zum Padischah und sagte: „Mein Padischah, ich
habe den gewünschten Karfunkelstein gebracht.“ Sofort rief der
Padischah das Mädchen und sagte: „Meine Tochter, dieser Jüngling hat
den von ihm verlangten Karfunkelstein gebracht. Was wirst du jetzt für
eine Finte vorbringen?“ Das Mädchen antwortete: „Vater, gib mir um
Gottes willen diese Nacht Erlaubnis. Morgen werde ich endgültig Antwort
geben.“ Er sagte: „Sehr schön, meine Tochter, morgen soll es sein.“
Dann ging das Mädchen aus dem Zimmer. Der Prinz ging auch aus dem
Zimmer, verbarg sich irgendwo, ging an die Tür des Zimmers, wo das
Mädchen war, und spähte wieder wie das erstemal durch das
Schlüsselloch. Das Mädchen setzte wieder ein goldenes Becken in die
Mitte des Zimmers. Sofort kam die bekannte Taube, flog ins Becken,
wusch sich, wurde ein mondgleicher Jüngling und legte sich neben das
Mädchen. Nachdem sie sich umarmt hatten, sagte das Mädchen: „Mein
Herzblatt, dieser elende Jüngling hat den von dir beschriebenen
Karfunkelstein gebracht. Wie wird es uns nun gehen?“ Der Jüngling
sagte: „Darüber rege dich nicht auf. Ich sollte der Sohn eines
Padischahs der Peris [10] sein und nicht einen Ausweg finden? In
unserem Hofgarten ist eine weinende Granate und eine lachende Quitte.
Wenn jemand an diesen Baum geht und seine Hand danach ausstreckt, fängt
die Granate zu weinen und die Quitte, wenn sie sie weinen sieht, zu
lachen an. Niemand kann an sie herankommen. Morgen wird mein Vater alle
Soldaten, die er hat, bewaffnen und wir werden Tag und Nacht unter dem
Baum in Bereitschaft stehen. Wenn der Jüngling dann kommt, werden wir
ihn töten. Morgen verlange du von jenem Jüngling diesen Baum. Er wird
dann gehen, um diesen Baum zu holen. Wenn wir ihn dort sehen, werden
wir ihn mit Gewehren und Kanonen beschießen und töten.“ Als das Mädchen
das hörte, wurde es froh. So beschlossen sie es mit dem Baum.
Schließlich wurde der Jüngling wie früher wieder eine Taube, flog durch
das Fenster und ging in sein Schloß. Dort bewaffnete er die Soldaten
und sie stellten sich unter dem Baume auf.

Wir kommen nun wieder zu dem Mädchen. Am Morgen verließ sie ihr Zimmer,
ging zum Padischah und sagte: „Mein Padischah, an dem und dem Orte ist
in dem Garten des Padischahs der Peris eine weinende Granate und eine
lachende Quitte. Wenn dieser Jüngling jenen Baum brächte, würde ich
nicht mehr nein sagen und ihn heiraten.“ Der Padischah rief sofort den
Jüngling vor sich und sagte: „Jüngling, an dem und dem Orte im Schlosse
des Padischahs der Peris ist eine weinende Granate und eine lachende
Quitte. Wenn du sie auch noch bringst, werde ich eigenhändig dir meine
Tochter geben.“ Der Jüngling sagte: „Ich habe alle die geforderten
Dinge gebracht. Wenn Gott will, werde ich auch diese Bäume bringen.“ Er
nahm die Erlaubnis vom Padischah, ging aus dem Schloß, zog aus seinem
Busen die Haare und rieb sie eins an dem andern. Sofort erschien das
Pferd und sagte: „Was willst du, mein Prinz?“ Der Prinz sagte: „Ach,
mein Lieblingspferd, an dem und dem Orte im Garten des Padischahs der
Peris ist eine weinende Granate und eine lachende Quitte. Die verlange
ich.“ Das Pferd antwortete: „Mein Prinz, das ist etwas schwer. Aber für
dich will ich mich opfern. Wollen gehen und sehen, wie es wird.“

Sofort bestieg der Prinz es. Das Pferd blies aus Maul und Nüstern Feuer
wie ein Drache und machte sich auf den Weg. Nach einiger Zeit kamen sie
in ein Land. Auf dem Wege waren drei Kinder und vor ihnen ein Fell,
eine Derwischmütze, eine Reitpeitsche und ein Pfeil. Diese vier Dinge
waren als Erbschaft von den Vorfahren der Kinder übriggeblieben. Die
drei Brüder konnten diese Dinge nicht teilen und stritten darüber. Als
das Pferd sie so sah, sagte es: „Mein Prinz, diese Dinge sind dir sehr
nötig. Geh, überrede die Kinder, daß du die Dinge von ihnen bekommst.“
Der Prinz sagte: „Sehr gut“, ging zu den Kindern und sagte: „Meine
Kinder, warum streitet ihr euch so? Wartet, ich werde sie euch
einteilen.“ Er nahm den Pfeil vom Boden und sagte: „Ich werde diesen
Pfeil abschießen. Wer ihn holt und zuerst herbringt, dem gehört die
Erbschaft.“ Die Kinder waren damit einverstanden. Der Prinz schoß mit
Armeskraft den Pfeil ab und die Kinder liefen nach der Stelle, wo der
Pfeil hingeflogen war. Der Prinz nahm das vor ihm liegende Fell, die
Derwischmütze und die Reitpeitsche, legte an ihrer Stelle je eine
Handvoll Goldpfunde, ging zum Pferde und bestieg es. Das Pferd machte
sich, ohne zu säumen, auf den Weg. Als die Knaben zurückkamen, sahen
sie, daß an der Stelle der Sachen je eine Handvoll Goldpfunde da war.
Sie freuten sich und nahmen sie. Schließlich kam der Prinz und das
Pferd allmählich zum Schlosse des Padischahs der Peris. Das Pferd
sagte: „Die Derwischmütze, die du genommen hast, setze dir auf, steige
auf das Fell und schlage dies Fell mit der Reitpeitsche. Dann mußt du
dich in die Lüfte erheben, bei dem genannten Baum heruntergehen und mit
einem Schlage die Bäume mit der Wurzel ausreißen und mir bringen.“ Da
setzt der Prinz die Derwischmütze auf, geht in das Schloß, betritt das
Zimmer, wo der Padischah der Peris und sein Sohn sind, und sieht, daß
das Mädchen in roten Kleidern und jener Jüngling dort sitzen und der
Liebe pflegen. Der Prinz geht sogleich zu ihnen, setzte sich zu ihnen,
aber niemand sieht ihn. Danach kamen Speisen. Während das Mädchen und
der Jüngling sitzen und essen, setzt sich der Prinz auch an eine Seite
und fängt an zu essen. Sie sehen, daß auf der anderen Seite auch die
Speisen weniger werden. Der Jüngling sagt: „Meine Prinzessin, dies ist
mein Platz, das ist dein Platz. Aber wessen Platz ist das?“ Das Mädchen
wunderte sich auch. Nachdem sie die Speisen gegessen hatten und fertig
waren, setzten sie sich auf das Polster vor dem Fenster. Vorher hatte
das Mädchen dem Sohne des Padischahs der Peris ein Tuch als Geschenk
gegeben. Der Prinz hatte dies Tuch vom Polster weggenommen und in
seinen Busen gesteckt. Sie sehen, daß das Tuch nicht auf dem Polster
ist. Obgleich sie überall im Zimmer suchen, finden sie es nicht.

Der Prinz setzte sich auf das Fell, schlug es mit der Peitsche und fuhr
in die Lüfte. Mittlerweile war es Abend geworden, sofort fuhr er über
die weinende Granate und über die lachende Quitte, faßte den Baum mit
aller Kraft und zog ihn mit der Wurzel aus. Da weinte der eine Baum und
der andere lachte. Er nahm sie und fuhr gen Himmel. Als die dort
befindlichen Soldaten sahen, daß der Baum verschwand, sagten sie:
„Schießt ohne Säumen.“ Bei dem Kampf kamen die Soldaten in Verwirrung,
riefen: „Der Feind ist da!“ und erschlugen sich gegenseitig. Der
Jüngling und das Mädchen sahen aus dem Fenster. Als sie sahen, daß der
Baum verschwand, riefen sie: „Um Gottes willen!“ und merkten die Sache.
Der Sohn des Padischahs der Peris sagte: „Meine Prinzessin, er hat das
Tuch, das du mir als Geschenk gegeben hast, genommen und auch den Baum.
Jetzt gebe ich dich frei, nun heirate, wen du willst.“ Das Mädchen
verließ weinend den Palast, ging zu ihrem Vater und blieb dort.

Wir kommen nun wieder zu dem Prinzen. Nachdem er den Baum genommen
hatte, ging er wieder zum Pferde, bestieg es und sie machten sich auf
den Weg. Eines Tages betraten sie das Schloß. Der Prinz stieg vom
Pferde und ging zum Padischah, pflanzte den Baum in die Erde und sagte:
„Mein Padischah, da habe ich ihn gebracht.“ Der Padischah antwortete:
„Bravo, mein Sohn, du warst sehr tüchtig. Wie könnte ich wohl einen
Besseren finden, dem ich meine Tochter geben könnte.“ Dann verheiratete
er sie.

Vierzig Tage und Nächte dauerte das Hochzeitsfest. Danach nahm der
Prinz das Mädchen mit sich und ging zum Schlosse seines Vaters zu
seinem Vater und seiner Mutter, küßte den Saum ihres Kleides, setzte
sich und erzählte alles, was ihm passiert war, eins nach dem andern.
Sein Vater und seine Mutter verwunderten sich sehr. Schließlich
verheiratete (der Vater) die angekommene Dame noch einmal mit dem
Prinzen. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerten die
Hochzeitsfestlichkeiten, und sie erlangten, was sie wünschten.



5. DIE GESCHICHTE VON DER SCHÖNEN, DIE DAS ERREICHTE, WAS SIE WOLLTE


Die Geschichtenüberlieferer und Märchenerzähler berichten folgendes. In
alten Zeiten hatte eine alte Frau eine sehr liebenswürdige Tochter, die
an Schönheit nicht ihres gleichen in der Welt hatte. Dies Mädchen saß
in ihrem Zimmer und stickte. Eines Tages am Abend kam durch das Fenster
ein Vogel und sprach sie in wohlgesetzter Rede an: „Meine Prinzessin,
vierzig Tage wirst du einen Toten bewachen und dann das erreichen, was
du willst.“ Dann flog er weg. Das Mädchen legte sich am Abend schlafen
und schlief ein. Am nächsten Tage, am Abend, kam wie das vorige Mal der
Vogel, sprach wieder zu ihr und flog weg. Das arme Mädchen erzählte
ihrer Mutter die Worte des Vogels. Die Mutter sagte: „Ach, mein
Mädchen, wann kommt der Vogel?“ Das Mädchen sagte: „Heute Abend kommt
er wieder.“

Am Abend verbarg sich die Mutter in einem Schranke. Der Vogel kam
wieder und sagte: „Meine Prinzessin, vierzig Tage wirst du einen Toten
bewachen und danach das erreichen, was du willst.“ Dann flog er wieder
fort. Als die Mutter dies hörte, sagte sie: „Ach, mein Mädchen, komm,
wir wollen uns vor dem Vogel retten und flüchten.“ Darauf nahmen sie
ihre Sachen, die an Last leicht, an Wert schwer waren, und machten sich
auf den Weg. Sie kamen an ein anderes Schloß, wohnten in einem Teile
außerhalb des Schlosses. In der Nacht legten sie sich schlafen und
schliefen ein. Der Vogel kam wieder, ergriff leise das Mädchen und
führte es in ein Zimmer innerhalb des Schlosses. Dann flog der Vogel
weg. Als das Mädchen seine Augen öffnete und sich umschaute, sah sie
sich in dem Schlosse, und in der Mitte des Zimmers lag in einem Bette
ein Toter. Als das Mädchen das sah, wäre sie beinahe ohnmächtig
geworden und sagte: „Ach, nun hat der Vogel doch recht. Das ist von
Gott; ich werde ertragen, was mir auf die Stirne geschrieben ist [11].
Das Ende wird ja gut, so Gott will.“

Wir wollen das Mädchen hier lassen und uns zur Mutter wenden. Am Morgen
erwachte die Mutter aus dem Schlaf und sieht, daß das Mädchen nicht
dort ist. Sie sagt: „Ach, während ich meine Tochter vor dem Vogel
retten wollte, habe ich sie mit eigener Hand zugrunde gerichtet“,
schrie und weinte, kehrte in ihr Haus zurück und trauerte um ihr Kind.
Nun kommen wir wieder zu dem Mädchen. Tag und Nacht schlief sie nicht
und weinte. Schließlich am neununddreißigsten Tage saß sie am Fenster
und sah traurig auf das Meer. Da kam von Persien ein Schiff und fuhr
vor dem Schlosse vorbei. Sie gab dem Kapitän mit der Hand Zeichen und
sagte: „Nimm diese zehntausend Piaster und gib mir eine Sklavin.“ Das
Mädchen ließ einen Strick hinab und zog die Sklavin nach oben und hing
ihr eine goldene Kette um den Hals. Das Mädchen freute sich und sagte:
„Gott sei Dank, nun habe ich eine Gefährtin gefunden.“ Genau am
vierzigsten Tage sagte sie zu der Sklavin: „Du, bleibe hier, ich werde
ein wenig die Zimmer ansehen und wiederkommen.“

Das Mädchen ging weg. Die Sklavin bleibt allein. Während sie sich nach
allen vier Ecken umsieht, niest der dort liegende Tote, steht auf, wird
lebendig, öffnet die Augen, sieht die Sklavin und sagt: „Mädchen, hast
du mich bewacht?“ Das Mädchen sagte: „Ja, ich habe dich bewacht.“
Dieser dort liegende Prinz hatte nämlich früher geschworen: „Wenn mich
jemand vierzig Tage bewacht, so werde ich, wenn ich sie bei meinem
Aufstehen sehe, heiraten.“ So hatte er beschlossen.

Dann nahm er die Sklavin und fragte sie: „Ist außer dir noch jemand
sonst hier?“ Da antwortete sie: „Ja, in jenem Zimmer ist meine Sklavin.
Ich habe sie um Geld gekauft und die Goldstücke, die sie am Halse
trägt, habe ich ihr auch gegeben.“ Dann rief sie ihre Herrin: „Komm
Mädchen, der Herr verlangt nach dir.“ Als das Mädchen eintritt und
sieht, daß die Sache ganz anders geworden ist, sagt sie: „Auch das ist
von Gott. Man muß es mit Geduld tragen.“ Das Mädchen zog Dienerkleider
an und tat im Hause oben und unten ihren Dienst. Eines Tages sagte der
Prinz zur Herrin: „Ich werde auf die Reise gehen, was wünschst du dir
von mir?“ Die Herrin antwortete: „Ich wünsche mir von dir eine Menge
Diamanten und Türkise.“ Als er die Dienerin fragte: „Was wünschest du
dir?“ sagte sie: „Ich wünsche mir den Geduldstein. Wenn du ihn vergißt,
soll bei deiner Rückkehr das Vorderteil des Schiffes pechschwarzer
Rauch sein.“

Darauf ging der Prinz weg nach Jemen. Einige Monate blieb er dort und
erledigte seine Geschäfte, kaufte den Auftrag der Herrin und vergaß den
Auftrag der Sklavin. Als er abfuhr, sah er, daß vor dem Schiffe
pechschwarze Dunkelheit und hinter ihm Helligkeit ist. Das Schiff
konnte nicht fahren. Der Kapitän rief die Soldaten und sagte: „Wenn
unter euch ein Verfluchter ist, so soll er hinausgehen.“

Als der Prinz dies hörte, kam ihm der Auftrag der Sklavin in den Sinn.
Es war tatsächlich so geworden, wie sie gesagt hatte. Dann kehrte das
Schiff um, und der Prinz stieg aus, kaufte den Geduldstein wie ihm
aufgetragen und kam zum Schiffe zurück. Da war das Vorderteil des
Schiffes hell und sein Hinterteil Nebel. Mit Gottes Gnade fuhr es wie
ein Vogel in kurzer Zeit nach seinem Lande. Er stieg aus und betrat das
Schloß. Die Herrin und die Dienerin stiegen die Treppe hinab, begrüßten
ihn und führten ihn nach oben. Er gab der Herrin den von ihr verlangten
Auftrag und der Dienerin den Geduldstein. Sie waren zufrieden. Am Abend
ging das Mädchen in ihr Zimmer und blieb dort. Der Prinz und die Herrin
legten sich schlafen. Als sie schlief, kam es dem Prinzen in den Sinn:
„Was mag die Sklavin wohl mit dem Geduldstein anfangen?“ Da die Herrin
schlief, erhob er sich, ging leise an das Zimmer, in dem die Sklavin
war, und beobachtete durch das Schlüsselloch das Mädchen.

Wir kommen jetzt zu dem Mädchen. Der sogenannte Geduldstein war ein
Stein von der Größe einer Linse. Das Mädchen legte ihn auf den Boden
und sagte: „Ach, Geduldstein, einst war ich ein liebes Kind meiner
Mutter. Als ich einmal stickte, kam ein Vogel und sagte in
wohlgesetzter Rede zu mir: ‚Du wirst vierzig Tage einen Toten bewachen
und danach erreichen, was du willst.‘ Dann kam ich durch ein Wunder in
dieses Schloß. Neununddreißig Tage bewachte ich diesen Jüngling. Wenn
du an meiner Stelle gewesen wärest, was tätest du, Geduldstein?“ Der
Geduldstein machte puh puh und schwoll an. „Als an jenem Tage ein
Schiff vorbeifuhr, kaufte ich mir für Geld eine Sklavin. Am vierzigsten
Tage ließ ich die Dienerin im Zimmer und ging ein wenig hinaus. Da
wachte der Jüngling auf, und als er die Sklavin sah, heiratete er sie
und wohnte mit ihr zusammen. Wenn du an meiner Stelle wärest, was
tätest du?“ Der Geduldstein machte puh und schwoll wieder an. „Ich
wurde ihre Sklavin. Geduldstein, wie würdest du das ertragen?“ Der
Geduldstein machte puh und platzte. „Ja, Geduldstein, du hast es nicht
aushalten können und bist geplatzt, wie soll ich es denn aushalten? Ich
werde mich an der Decke aufhängen.“ Sie stellte einen Schemel unter
ihre Füße. Als sie sich aufhängen wollte, zerbrach der Prinz die Tür,
trat ein, umarmte das Mädchen, setzte sie auf die Erde und sagte:
„Meine Prinzessin, wenn du mich bewacht hast, warum hast du es mir so
lange nicht gesagt?“ Dann ging er in das Zimmer des Mädchens, stieß und
schlug sie, ließ sie aufstehen und sagte: „Willst du vierzig Maultiere
oder vierzig große Messer?“ Da antwortete sie: „Ach, die vierzig Messer
mögen über meinen Feind kommen, ich will vierzig Maultiere und in meine
Heimat gehen.“ Dann band er das Mädchen vierzig Maultieren an den
Schwanz und ließ sie los. Auf jedem Berge blieb ein Stück von ihr. Dann
nahm er die Herrin und heiratete sie. Vierzig Tage und vierzig Nächte
dauerten die Hochzeitsfestlichkeiten. Die haben erreicht, was sie
wollten. Damit Schluß.



6. DIE GESCHICHTE VON DER DILBER, DIE NICHT ERREICHTE, WAS SIE WOLLTE


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In alten Zeiten hatte ein armer Mann eine Frau. Sie waren
sehr arm und hatten keinen Platz zum Wohnen. Diese Frau wurde von ihrem
Manne schwanger, und als ihre Zeit herankam, sagte sie zu ihrem Manne:
„Geh zu der Badbesitzerin Aische Molla und sage ihr: ‚Meine Frau hat
keinen Platz, wo sie gebären könnte. Wenn im Bade ein leeres Zimmer
ist, laß sie dort gebären‘.“ Darauf ging der Mann zu der Aische Molla
und erzählte ihr die Sache. Sie antwortete: „Schön, mein Sohn, morgen
mag sie kommen und hier bleiben.“ Dann kehrte der arme Mann wieder nach
Hause zurück und erzählte es seiner Frau. Am nächsten Tage stand die
Frau auf und ging ins Bad. Sofort führte die Aische Molla sie in eine
Kabine und sagte: „Meine Prinzessin, dort können Sie gebären.“ Die Frau
trat ein, bekam die Wehen und brachte ein wunderschönes Kind zur Welt.
Es war so schön, daß man es nicht fertig brachte, ihm ins Gesicht zu
sehen. Da spalteten sich die Wände des Bades und drei Derwische traten
ein. Der erste sagte: „Dieses Kind soll die ihren Wunsch nicht
erreichende Dilber heißen.“ Der andere sagte: „Wenn dies Mädchen sich
wäscht, sollen von ihrem Kopfe Goldstücke fallen, wenn sie lacht,
sollen auf ihren Wangen Rosen blühen, und wenn sie weint, sollen aus
ihren Augen Perlen fallen, und da, wo sie geht, soll Rasen wachsen.“
Der dritte sagte: „Sie soll dies Armband an ihren Arm legen. Wenn sie
es abnimmt, stirbt sie, aber so lange sie das Armband nicht abnimmt,
soll ihr nichts passieren und sie wird jahrelang leben.“ Dann ließ er
sein Armband im Bade zurück und die drei Derwische verschwanden.

Die Mutter legte ihrer Tochter das Armband um, und wusch das Mädchen
ordentlich. Immer, wenn sie ihr Wasser auf den Kopf goß, fielen
Goldstücke herunter. Dann gab die Frau der Badbesitzerin eine Anzahl
Goldstücke, nahm ihre Tochter und kehrte in ihr verfallenes Haus
zurück. Nach einigen Tagen ließ sie ein großes Haus bauen mit
Gartenhaus und schön mit Goldverzierung, daß es sich nicht beschreiben
läßt. Die Frau brachte das Mädchen in dieses Gartenhaus und dort lebten
sie. Wenn das Mädchen weinte, fielen Perlen herab, wenn sie lachte,
blühten Rosen auf ihren Wangen, wo sie ging, sproßte Rasen. Schließlich
wurden sie durch das Mädchen so reich, daß sie den Wert von weißen und
schwarzen Sklavinnen und vom Gelde nicht kannten. Die Zeit verging, das
Mädchen kam in ihr vierzehntes Jahr. Sie hatte nicht ihresgleichen in
der Welt, schlank wie eine Gerte, mit Rehaugen, geschweiften
Augenbrauen, Lippen wie Zucker, mit einem Geruch wie Ambra, von
liebenswürdigem Wesen. Sie war so schön, daß man unfähig war, es zu
beschreiben. Ein Wunder der Welt. Wer sie ansah, wurde geblendet. Es
war, als ob in ihrem Zimmer die Sonne aufgegangen war und strahlte. In
allen Stadtvierteln war sie bekannt und man fand sie schön.

Die wollen wir nun lassen und uns zum Sohne des Padischahs von Jemen
wenden. Eines Nachts sah er im Traum dieses Mädchen und trank aus ihrer
Hand den Becher der Liebe. Morgens stand er auf, ging zu seiner Mutter
und sagte: „Liebe Mutter, Gott möge es zum Guten wenden! Im Traume habe
ich ein Mädchen gesehen. Noch jetzt schwebt mir ihr Bild vor. Nur die
will ich.“ Sie antwortete: „Ach, mein Sohn, was willst du mit ihr
anfangen. An dem und dem Orte ist ein Mädchen. Wenn sie sich wäscht,
fallen Goldstücke von ihrem Kopfe, wenn sie lacht, blühen Rosen auf
ihren Wangen, wenn sie weint, fallen Perlen herab, und wo sie geht,
blüht Rasen.“ Der Sohn sagte: „Ach, Mutter, ist das, was du sagst, ein
Traum? So etwas gibt es ja nicht.“ Die Mutter antwortete: „Mein Sohn,
wenn du mir nicht glaubst, so laß es dir anderweitig bestätigen, ob es
vielleicht falsch ist.“

Man rief die Makler und fragte sie. Die wunderten sich; aber einer
unter ihnen hatte gerade das Mädchen gesehen, trat vor und sagte: „Mein
Prinz, ich habe sie mit eigenen Augen gesehen, sie ist vorhanden.“ Da
blieb nunmehr dem Prinzen kein Zweifel. Er ging zu seiner Mutter und
sagte: „Liebe Mutter, besteige morgen ein Schiff und fahre als
Brautwerberin zu dem Mädchen. Wenn es sich wirklich mit dem Mädchen so
verhält, so verlobe sie mir sofort und bringe sie hierher.“ Am Morgen
bestieg die Dame ein Schiff und machte sich auf den Weg. Nach einigen
Monaten kam sie in dem Lande, wo das Mädchen war, an, verließ das
Schiff und betrat die Stadt. Als sie dort jemand gefragt hatte, zeigte
man ihr das Haus des Mädchens. Die Dame ging hin und klopfte an die
Tür. Als die Tür geöffnet wurde, trat sie ein. Man holte sie nach oben,
und sie kam zu dem Landhause, wo das Mädchen war. Nachdem sie sich
gesetzt hatte, fing sie an, sich ausgiebig mit ihrer Mutter zu
unterhalten. Ihre Absicht war es, zunächst zu erproben, ob es sich
wirklich mit dem Mädchen so verhielte, und sagte: „Meine Tochter, würde
es dir Mühe machen, mir ein Glas Wasser zu bringen?“ Das Mädchen stand
sofort auf. Als sie Wasser holte, wuchs an der Stelle, die sie betrat,
eine Spanne weit Rasen. Als die Dame das sah, verwunderte sie sich. Als
die Dame die Schale nahm und trank, drückte sie das Mädchen an einer
Stelle leicht. Das Mädchen war nahe daran zu weinen, und ehe sie
anfing, fielen Perlen herab. Als die Dame dann eine lustige Geschichte
erzählte, konnte das Mädchen sich nicht halten, lachte, und sofort
blühten Rosen auf ihren Wangen. Schließlich goß sie zufällig dem
Mädchen Wasser auf den Kopf, sofort fielen ihr vom Kopfe Goldstücke. Da
blieb ihr nun in ihrem Herzen kein Zweifel mehr und sie sagte zu der
Mutter: „Den schönen Namen Ihrer Tochter habe ich gehört, nach Gottes
Anordnung und dem heiligen Brauch des Propheten möchte ich Ihre Tochter
mit meinem Prinzen verheiraten. Was denken Sie dazu?“ Da sagte die
Dame: „Meine Königin, sollte ich meine Tochter solchen Leuten, wie Sie
es sind, vorenthalten? Nach Ihrem Belieben. Gott möge Segen geben!“
Dann wurde die Verlobung gemacht und die Königin sagte: „Ich werde nun
gehen. Nachher bringen Sie Ihre Tochter, denn wir wollen dort nun alles
zur Hochzeit herrichten.“ Dann stand die Königin auf und machte sich
auf den Weg. Schließlich kam sie eines Tages nach Jemen, ging in den
Palast, rief den Prinzen und sagte: „Mein Sohn, ich bin hingegangen und
habe das Mädchen gesehen. Es verhält sich mit ihr wirklich so. Wer sie
einmal sieht, sagt: „Ich möchte sie noch einmal sehen.“ So schön ist
sie. Sofort habe ich die Verlobung abgeschlossen und bin hierher
gekommen.“ Als der Prinz das hörte, wurde er ganz verwirrt und seine
Hände und Arme fingen an zu zittern. Dann küßte er seiner Mutter die
Hand und blieb dort.

Die fingen nun mit den Hochzeitsvorbereitungen an, und der Prinz sah
sehnsüchtig nach dem Mädchen aus. Die wollen wir nun lassen und uns
wieder dem Mädchen zuwenden. Die Mutter machte ihrer Tochter kostbare
Kleider und richtete eine kostbar ausgestattete Aussteuer her. Als die
Reisevorbereitungen fertig waren, rief sie die Amme des Mädchens und
sagte: „Du wirst auf meine Tochter ordentlich acht geben und sie nach
Jemen führen. Nach einigen Tagen komme ich auch.“ Dann nahm die Amme
die Tochter der Dame und ihre eigene Tochter und etwas Nahrungsmittel
mit, bestieg ein Schiff und machte sich mit ihnen auf den Weg. Als es
Abend wurde, hungerte die Braut und sagte: „Mutter, gib mir etwas
Brot.“ Die Amme schnitt entsprechend der List, die sie sich ausgedacht
hatte, ein Stück gesalzenes Pasdyrma [12] ab und gab es dem Mädchen.
Als das arme Mädchen das Pasdyrma gegessen hatte, bekam es nach einer
halben Stunde großen Durst und sagte: „Mutter, gib mir etwas Wasser.“
Die Frau sagte: „Wenn du eins von deinen Augen herausreißt und mir
gibst, gebe ich dir Wasser, sonst nicht.“ Das arme Mädchen weinte und
nahm ein Auge heraus und gab es ihr. Nach einiger Zeit hatte das
Mädchen wieder Durst und sagte zu der Frau: „Mutter, mich dürstet.“ Die
Frau antwortete: „Du schweinisches gemeines Mädchen, wenn du das eine
Auge herausreißt, werde ich dir Wasser geben.“ Was soll das arme
Mädchen tun? Ihr Inneres war ganz von Durst verbrannt, gezwungenerweise
riß sie es aus und gab es der Frau. Die Frau gab ihr etwas Wasser, und
das Mädchen trank, aber sie war auf beiden Augen blind. Als sich dann
das Schiff einem Lande näherte, zog die Frau der Braut die Kleider aus,
und führte die Arme auf einen Berg und ließ sie dort. Darauf zog sie
ihrer Tochter die Kleider an, schmückte sie, und sie gingen in das
Schloß des Königs von Jemen. Aus dem Palast ging man ihnen entgegen und
führte sie nach oben. Die Mutter des Prinzen betrachtete das Mädchen
genau, wunderte sich und überlegte innerlich: „Das ist nicht das
Mädchen, das ich dort gesehen. Dahinter steckt sicherlich etwas. Wollen
einmal sehen, worauf das hinauslaufen wird.“ Sie setzten sich und
fingen an zu erzählen. Am Abend wurde die Hochzeit mit dem Prinzen
gefeiert und Scherbet getrunken. In dieser Nacht führte man den Prinzen
in das Brautgemach. Der Prinz sagte zu dem Mädchen: „Lache doch ein
wenig!“ Obgleich das Mädchen zu lachen anfing, geschah nichts von dem
Wunder. Der Prinz wunderte sich. Wenn dies Mädchen lacht, sollen doch
Rosen blühen, wenn sie weint, Perlen fallen, und auf der Stelle, wo sie
geht, soll Rasen wachsen. Ist dies das so gepriesene Mädchen? Bei
diesem Mädchen geschieht nichts derartiges. Nach solchen langen
Überlegungen redete er das Mädchen an: „Meine Prinzessin, wenn du
lachst, sollen Rosen auf deinem Gesicht blühen. Aber du hast gelacht
und keine ist aufgeblüht. Was heißt das?“ Das Mädchen antwortete: „Mein
Herr, sie blühen nur einmal im Jahre.“

Kurz, am Morgen führte die Mutter des Prinzen das Mädchen ins Bad und
fing an sie zu baden. Die Dame goß ihr, um sie zu erproben, Wasser auf
den Kopf, aber keine Goldstücke fielen herab. Die Dame war verwundert.
Darauf kleidete sie schließlich das Mädchen an und schmückte sie und
man führte sie in das Schloß. Das Mädchen setzte sich in einen Winkel.

Die mögen nun dort sitzen, wir wenden uns jetzt zu dem Mädchen, das sie
auf dem Berge gelassen hatten. Mit ihren beiden blinden Augen weinte
sie andauernd und von ihrem Weinen hatte sich vor ihr ein Haufen Perlen
angesammelt. Da kam ein Karawanenführer und, als er das Mädchen in
dieser Lage sah, seufzte er, und sein Herz blutete. Er ging zu ihr und
sagte: „Meine Tochter, welcher Teufel hat dich in solche Verfassung
gebracht?“ Das Mädchen antwortete: „Ach, Vater, frage nicht. Gott hat
es so bestimmt, man muß es tragen.“ Darauf faßte er das Mädchen an der
Hand und nahm auch die Perlen und brachte sie in sein Haus und sagte zu
seiner Frau: „Quäle nicht dieses Mädchen, wasche sie ordentlich. Es ist
ein gutes Werk.“ Schließlich fragten sie das Mädchen nach ihren
Erlebnissen. Das Mädchen erzählte ihnen die Geschichte von Anfang bis
zu Ende. Sie sagten zu der Unglücklichen: „Ach, das ist schade.“ Als
das Mädchen lachte, wuchsen sofort Blumen auf ihren Wangen. Da schnitt
sie sie mit der Schere ab und sagte: „Vater, nimm diese Rose, lege sie
in einen Korb, geh vor das Schloß des Prinzen und rufe: ‚Ich verkaufe
Rosen außer der Jahreszeit.‘ Dann wird man dich rufen und dir sagen:
‚Für wieviel Para gibst du sie?‘, dann sage du: ‚Ich verkaufe sie nicht
für Geld, nur für ein Auge‘.“ Der Vater antwortete: „Sehr wohl, mein
Mädchen.“ Diese Nacht legte er sich schlafen. Am Morgen packte er die
Rosen in einen Korb, stand auf und machte sich auf den Weg.

Als er vor das Schloß kam, rief er: „Ich verkaufe Rosen außer der
Jahreszeit.“ Als das Mädchen aus dem Schlosse das hörte, sagte es zu
seiner Mutter: „Ach, Mutter, da werden Rosen außer der Jahreszeit
angeboten. Wollen sie kaufen und dem Prinzen zeigen und ihm sagen:
„Siehe, heute ist diese Rose auf meiner Wange erblüht.“ Da liefen sie
zu der Tür und riefen: „Komm hierher.“ Der Karawanenführer kam sofort
an die Tür des Schlosses, nahm den Korb von der Schulter und stellte
ihn auf die Erde. Das Mädchen sagte: „Gärtner, um wieviel Piaster gibst
du die Rose?“ Da antwortete er: „Mein Mädchen, für Geld nicht, ich gebe
sie für ein Auge.“ Da wandte sich das Mädchen um und sagte zur Mutter:
„Wollen ihm die Augen des Mädchens, die im Kasten liegen, geben und die
Rose nehmen.“ Das Mädchen ging zu dem Kasten, nahm beide Augen, brachte
sie und gab sie dem Gärtner. Der nahm die Augen, gab die Rosen und ging
ohne Verweilen nach Hause, trat ein, ging zu dem Zimmer, wo sich das
Mädchen befand, und sagte: „Meine Tochter, ich habe deine beiden
Augen.“ Da stand das Mädchen auf, vollzog eine schnelle Waschung und,
um Gottes Wohlgefallen zu erlangen, zwei Gebetsbeugungen, stand auf,
erhob die Hände und betete. Ihr Gebet wurde erhört. Als sie ihre Augen
wieder an die Stelle setzte, wurden mit Gottes, des Höchsten, Erlaubnis
ihre Augen geöffnet, sodaß sie die Welt wieder sah. Sie leuchteten
heller wie vorher. Sie dankte Gott und ging in dem Zimmer auf und ab.
Wenn das Mädchen lachte, blühten die Rosen, und wenn sie sich wusch,
fielen von ihrem Kopfe Goldstücke. Kurz, das Mädchen sah in dem
Karawanenführer ihren Vater und umarmte ihn innig. Sie wurden auch
durch dieses Mädchen so reich, daß sie sich Häuser bauen und paarweise
Sklavinnen und Sklaven hielten. Das Mädchen hatte auch für sich ein
außergewöhnliches Zimmer. Jeden Tag setzte sie sich dorthin und
vergnügte sich. Eines Tages sagte das Mädchen: „Vater, ich wünsche von
dir eine Türbe [13] ganz aus Karfunkelstein und im Inneren einen Kasten
von Gold. Die Türen der Türbe sollen einmal von selbst in der Stunde
schreien: ‚Die Dilber, die nicht ihren Wunsch erlangt hat‘ und sich
nach beiden Seiten öffnen. So sollen die Türen rufen.“ Der
Karawanenführer sagte: „Meine Tochter, du sollst eine Türbe, wie du sie
wünschst, haben. Mit Gottes Hilfe will ich sie dir machen.“ Schließlich
erhob er sich, ging auf den Berg, ließ nach der Beschreibung des
Mädchens aus Karfunkelstein eine Türbe machen und im Inneren auch einen
Kasten. Die Türen öffneten sich von selbst und riefen: „Die Dilber, die
ihren Wunsch nicht erreicht hat.“ Als die Türbe fertig war und bereit
stand, ging der Karawanenführer nach Hause und sagte: „Da habe ich dir
die gewünschte Türbe machen lassen, gräme dich nicht.“

Die wollen wir nun lassen und uns zu dem im Schlosse weilenden Mädchen
wenden. Als sie dem Prinzen die Rose gegeben hatte, nahm er sie, roch
daran und sagte: „Deine Rose ist gekommen. Du selbst wirst auch bald
kommen.“ [14] Als das Mädchen aus der Rose gemerkt hatte, daß die
andere lebe, sagte sie zu ihrer Mutter: „Mutter, dies Mädchen ist am
Leben; sie muß irgendwo in der Nähe leben. Komm, wollen ihr eine
Zauberin schicken. In der Nacht soll sie ihr den Armring ausziehen,
dann wird sie sterben.“

Darauf schickte die Mutter eine Zauberin mit Maßregeln an das Mädchen.
Die Zauberin fragte nach dem Mädchen, ging sofort in das Haus, wo sich
das Mädchen befand und klopfte an die Tür. Als sie geöffnet wurde,
stieg sie auf der Treppe nach oben, trat in das Zimmer des Mädchens ein
und setzte sich. Da es spät geworden, sagte sie zu der Frau: „Ach,
Mutter, ich bin von weit her gekommen; es ist spät, und ich fürchte
mich zu gehen. Ich bin nur hierhergekommen, daß ihr mich als Gottesgast
aufnehmt.“ Da sagte die Frau: „Sehr schön, Mutter. Da ist ein Zimmer,
schlafe dort ruhig.“ Später wird zu Abend gegessen. Danach geht die
Zauberin in ihr Zimmer und legt sich schlafen. Das Mädchen und die
Mutter gehen in ihre Zimmer und schlafen ein. Genau zwischen sieben und
acht verläßt die Zauberin ihr Zimmer, geht in das Sommerhaus des
Mädchens und tritt sofort ein. Als sie eintrat, schlief das Mädchen
fest. Die Zauberin näherte sich, zog dem Mädchen leise den Armring vom
Arm, nimmt ihn mit, geht hinunter in das Zimmer, nimmt ihren Mantel,
zieht ihn an, verläßt das Haus und geht sofort zum Schloß. Nachdem sie
eingetreten, gibt sie der Mutter des Mädchens den Armring. Die nimmt
ihn freudig in Empfang und bewahrt ihn.

Die wollen wir nun verlassen und uns zu der Dame wenden. Am Morgen
steht sie auf, geht in das Zimmer, wo die alte Frau schlief und sieht,
daß sie nicht da ist. Sie wundert sich: „Wohin kann sie wohl gegangen
sein? Sie ist weggegangen.“ Sie sieht nach dem Mantel. Auch der ist
nicht da. Dann geht sie in das Zimmer des Mädchens, und sieht, daß es
schläft. Sie kann es nicht übers Herz bringen, sie zu wecken. Darauf
kehrt sie um, geht in ihr Zimmer. Schließlich wird es gegen vier und
fünf Uhr. Das Mädchen steht nicht auf. Die Dame denkt bei sich: „Das
Mädchen pflegte jeden Tag früh aufzustehen. Warum bleibt sie heute so
lange? Ich werde sie aufwecken.“ Sie geht nach oben, tritt in das
Zimmer, wo das Mädchen liegt und sagt: „Hollah, meine Tochter, man ruft
zum Mittagsgebet. Stehe auf!“ Das Mädchen gibt keine Antwort. Sie ruft
nochmals. Wieder kein Laut. Da sieht sie nach dem Atem des Mädchens.
Auch nicht der geringste Atem ist zu spüren. Sie faßt die Füße an. Sie
sind kalt wie Eis. Als sie das sieht, fängt sie zu jammern und
wehklagen an: „Ach, meine Tochter ist gestorben; nun will ich von der
ganzen Welt nichts wissen“ und fällt auf den Boden. Der Mann der Frau
kommt. Als er sie sieht, fragt er: „Was ist geschehen, Frau, warum
weinst du so?“ Da antwortete die Frau: „Ach, mein Herr, diese unsere
Tochter ist diese Nacht gestorben. Bis zum jüngsten Tage werde ich mich
nach ihr sehnen.“ Als der Karawanenführer dies hörte, fielen aus seinen
Augen Tränen wie Regentropfen. Schließlich wuschen sie das Mädchen,
vollzogen das Gebet und begruben es in der Türbe, die es sich hatte
machen lassen. Dann trauerten sie um das Mädchen.

Die wollen wir nun verlassen und uns zur Mutter des Mädchens in dem
Palaste wenden. Als sie hörten, daß dies Mädchen gestorben war, gehörte
die Welt ihnen, und sie sagten: „Ach, Gott sei Dank, nun sind wir das
Mädchen los.“ Als der Prinz hörte, daß dies Mädchen draußen gestorben
sei, seufzte er und sein Herz blutete. Danach mochte er nun nicht mehr
bei diesem Mädchen im Schlosse bleiben. Eines Tages zog er ärgerlich
andere Kleider an, stand auf und zog mit einem Hofmeister von Berg zu
Berg, brennend von dem Feuer der Sehnsucht, nach dem (anderen) Mädchen.
Nachdem sie einige Zeit gewandert sind, kommen sie an einen großen
Berg. Um sich auszuruhen, setzten sie sich. Da hörte der Prinz eine
leise Stimme: „Dilber, die ihren Wunsch nicht erlangt hat.“ Als der
Prinz das hört, steht er ohne Zaudern auf und steigt auf den Berg. Da
sieht er eine Türbe aus Karfunkelsteinen, die jeden Beschauer blendete.
Die beiden Türen öffnen sich von selbst und sagen schmerzlich: „Dilber,
die ihren Wunsch nicht erreicht hat.“ Als der Prinz das sieht, sagt er:
„Wessen Türbe ist das wohl?“ Nachdem er eine Zeitlang in Erstaunen
dagestanden hat, tritt er in die Türbe ein und sieht einen goldenen
Kasten, in dem er ein Jammern hört. Der Prinz ist sehr neugierig, hebt
den Deckel des Kastens auf und sieht, daß dort ein junges Mädchen,
schön wie der Mond am vierzehnten, liegt und neben ihr ein
allerliebstes, blondes, schönes Kind sitzt, das anstatt an der Brust,
an den Fingern der Mutter saugt. Als er das sieht, füllen sich seine
Augen mit Tränen, und er sagt Gott für seine Güte Dank. Dann nimmt er
das Kind und geht erfreut mit seinem Hofmeister in das Schloß. Als er
in das Zimmer des Mädchens kommt, setzt er sich, legt das Kind aus
seinem Arm auf ein Polster. Das Kind fängt an zu spielen. Der Prinz
sagt zu dem Mädchen: „Hüte dich, dieses Kind zum Weinen zu bringen.“
Dann geht er hinaus, um sich zu waschen. Das Kind kommt während des
Spielens an eine Schublade und findet den Armring, der der Talisman
ihrer Mutter war. Das Kind hält ihn für ein Spielzeug und nimmt ihn in
die Hand. Als das Mädchen den Ring in der Hand des Kindes sieht, kommt
es und will ihn ihm aus der Hand ziehen. Das Kind hält fest, läßt nicht
los und fängt an zu weinen. Als der Prinz das Kind weinen hört, tritt
er sofort ein, geht auf sie zu und fragt: „Warum haben Sie das Kind zum
Weinen gebracht?“ Das Mädchen antwortete: „Mein Herr, das Kind hatte
mein Amulet in seiner Hand. Ich will es ihm wegnehmen, deswegen weint
es.“ Der Prinz sagte: „Laß es doch spielen. Es ißt doch nicht das
Amulet auf.“ Dann fängt das Kind derart an zu weinen, daß es sich nicht
beruhigt. Der Prinz nimmt das Kind, geht zur Türbe und legt es neben
seine Mutter. Als der Ring in der Hand des Kindes den Körper der Mutter
berührt, fangen die Glieder der Mutter zu zittern an und der
Unterkörper wird wieder lebendig. Als der Prinz das sieht, sagt er zu
sich: „Ist das ein Wunder oder hat es mit diesem Amulet eine besondere
Bewandtnis?“ Dann sieht er auf den Arm des Mädchens. Dort ist der Platz
des Ringes. Sofort nimmt er dem Kinde das Amulet aus der Hand und legt
es an den Arm des Mädchens. Das Mädchen nieste, stand auf, wird
lebendig, aus ihrer Brust kommt Milch, und das Kind fängt an, an der
Mutter Brust zu saugen. Als der Prinz das sieht, sagt er: „Meine
Prinzessin, wessen Tochter bist du? Wessen Kind ist dies?“ das Mädchen
sagte: „Mein Prinz, ich habe meine Mutter in Stambul gelassen. Während
ich mit meiner Amme zu dir als Braut fuhr, hat sie mich unterwegs beide
Augen herausreißen lassen, meine Kleider ihrer Tochter angezogen und
dann mich auf einem Berge ausgesetzt. Eines Tages kam ein
Karawanenführer vorbei und nahm mich mit in sein Haus. Da ließ ich auf
meinem Gesichte eine Rose sprossen und nahm dafür meine Augen, steckte
sie wieder an ihre Stelle und mit Gottes gnädiger Hilfe wurden meine
Augen wieder sehend. Schließlich gab das Mädchen dir die Rose, die ich
geschickt hatte. Sie haben daran gerochen und von dieser Stärke des
Riechens wurde ich schwanger. Schließlich kam eines Nachts eine Frau
und stahl mir den Armring vom Arm. Dann starb ich. Man begrub mich und
ich gebar das Kind. Das gehört jetzt dir.“

Als der Prinz das hörte, weinte er blutige Tränen. Als er wieder ruhig
wurde, umarmten sie sich und liebten sich unbeschreiblich. Dann standen
sie auf und gingen ins Schloß. Der Prinz rief die Mutter mit ihrer
Tochter und sagte: „Ihr Verfluchten, ihr macht derartige Dinge?“ Dann
schlug er sie, daß ihre Knochen kurz und klein geschlagen wurden. Ihre
Seele verließ sie, ging in die Hölle, und sie selbst warf er den Hunden
vor und sagte: „Gott sei Dank, bin ich jetzt vor diesen Teufeln sicher.
Nun habe ich meine Kraft wieder.“ Dann rief er die eigentliche Mutter
des Mädchens und die Frau des Karawanenführers und verheiratete sich
mit dem Mädchen. Vierzig Tage und vierzig Nächte dauerten die
Hochzeitsfestlichkeiten. Danach ging er in der Nacht auf den Freitag
ins Brautgemach, erlangte, was er wünschte, und gewährte, was verlangt
wurde.



7. DIE GESCHICHTE VON DEM KUMMERVOGEL


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In alten Zeiten hatte ein gerechter Padischah eine Tochter.
Diese Prinzessin lebte immer mit ihrer Lehrerin in Liebe zusammen.
Eines Tages verfiel die Lehrerin in Nachdenken. Die Prinzessin sagte:
„Frau Lehrerin, woran denkst du?“ Sie sagte: „Ich habe einen Kummer.“
„Aber, Frau Lehrerin, was ist ein Kummer für ein Ding. Kaufe mir doch
einen.“ Da antwortete sie: „Jawohl, meine Prinzessin.“ Sie läßt sich
von der Prinzessin fünf bis sechs Goldstücke geben, geht auf den Markt,
kauft einen Kummervogel in einem Käfig und bringt ihn der Prinzessin
mit den Worten: „Da, meine Prinzessin, das ist der Kummervogel.“

Die Prinzessin vergnügte sich Tag und Nacht mit dem Vogel. Nach einigen
Tagen geht sie mit den Sklavinnen in ihren Garten an den Teich und
hängt den Vogel an einem Baume auf. Der Vogel fängt an zu sprechen und
sagt: „Meine Prinzessin, laß mich ein wenig frei. Ich möchte mit den
Vögeln die Umgebung ansehen, dann komme ich wieder.“ Die Prinzessin
hielt das für richtig und läßt ihn frei. Der fliegt zu den anderen
Vögeln. Während das Mädchen sich am Teich ergeht, kommt der Kummervogel
nach zwei Stunden wieder, ergreift die Prinzessin und fliegt in die
Luft. Nach einigen Stunden läßt er sie auf einem hohen Berge nieder und
sagt: „Da hast du nun den Kummer gesehen? Hiernach werde ich dir noch
mehr derartigen Kummer bereiten.“ Damit fliegt er in die Luft.

Wir kommen nun zur Prinzessin. Sie war hungrig und hilflos auf den
Bergen. Nach längerem Wandern findet sie einen Hirten. Sie sagt zu dem
Hirten: „Gib mir deine Kleider. Ich werde dir die meinigen geben.“
Sogleich zieht der Hirte seine Kleider aus und gibt sie der Prinzessin.
Die Prinzessin zieht sie an und geht weiter. Schließlich kommt sie an
ein Kaffeehaus. Sie tritt ein und sagt: „Vater, willst du mich als
Lehrling annehmen?“ Der Kaffeewirt sagt: „Ich suche gerade solchen
Lehrling“, und behält sie bei sich. Eines Tages sagt der Kaffeewirt zu
ihr: „Heute Abend werde ich nach Hause gehen. Du kannst im Kaffeehaus
schlafen und aufpassen, daß niemand etwas stiehlt.“ Mit diesen
Ermahnungen geht er weg.

Am Abend schließt das Mädchen das Kaffeehaus, legt sich in eine Ecke
und schläft ein. Um Mitternacht kommt der Vogel und zerschlägt alles
was an Nargileh und Tassen vorhanden ist. Dann kommt er zu ihr, weckt
sie auf. Das Mädchen wacht auf und sieht, daß alles kurz und klein
geschlagen ist. Der Vogel sagt: „Hast du nun den Kummer gesehen?
Hiernach werde ich dir noch weiteren Kummer bereiten.“ Damit fliegt er
weg. Am Morgen dachte das Mädchen: „Was soll ich jetzt meinem Meister
sagen?“ Währenddessen kommt der Wirt, sieht, — was soll er sehen — alle
Dinge sind kurz und klein geschlagen, verprügelt das Mädchen
ordentlich, nimmt es bei dem Kragen und wirft es aus dem Kaffeehaus.

Das Mädchen geht weinend und kommt zu einem Schneiderladen. Da in
diesen Tagen das Beiramfest war, hatte man aus dem Schloß Kleider
bestellt. Die Schneider nähten und schnitten ununterbrochen zu. Das
Mädchen geht zu den Meistern und sagt: „Meister, wollt ihr mich als
Lehrling annehmen?“ Die sagten: „Sehr wohl!“ Es ging in den Laden und
setzte sich. Nach einigen Tagen geht ihr Meister nach Hause und das
Mädchen bleibt im Laden. Um Mitternacht kommt der Vogel wieder und
zerreißt alles, was an Kleidern im Laden ist. Dann weckt er das Mädchen
auf. Als das Mädchen aufwacht, sieht es, daß alles, was an Kleidern
vorhanden ist, zerrissen ist. Der Vogel sagt: „Meine Prinzessin, hast
du nun den Kummer gesehen? Hiernach werde ich dir noch manchen Kummer
machen.“ Dann fliegt er weg. Am Morgen kommt der Meister und sieht, daß
alle aus dem Schloß bestellten Kleider und die noch nicht
zugeschnittenen Stoffe zerrissen sind. Als er das sieht, schlägt er mit
dem Kopf auf die Steine, und sagt: „Ach, nach so vieler Arbeit! Und
soviele Tuchballen sind auch zerrissen.“ Dann verliert er die
Besinnung, fällt ohnmächtig auf den Boden. Nach einiger Zeit kommt er
wieder zu sich, geht zornig auf den Lehrling und fragt: „Wer hat das
zerschnitten?“ Das Mädchen gibt keine Antwort. Er sagt sich: „Geld hat
er nicht, damit ich es nehmen könnte. Soll ich ihm das Leben nehmen?“
Dann verprügelt er es ordentlich und jagt es aus dem Laden.

Während das Mädchen weinend dahin geht, kommt es an den Laden eines
Kronleuchterhändlers und fragt: „Meister, willst du mich als Lehrling
annehmen?“ Der sagt: „Mach, daß du fortkommst, du grindiger Bursche.
Was soll ich mit dir anfangen! Ich habe nicht genug, um für mich zu
sorgen.“ Schließlich läßt er sich erweichen und nimmt ihn als Lehrling
an. Eines Tages will sein Meister auf Hochzeit gehen und überläßt den
Laden dem grindigen Jungen und ermahnt ihn: „Paß ordentlich auf, daß
nichts zerbrochen wird.“ Dann geht er weg. Als es Abend wird, schließt
der grindige Junge den Laden und schläft in einer Ecke ein. Um
Mitternacht kommt der Vogel und zerschlägt alles, was an Kronleuchtern
vorhanden ist, und weckt den grindigen Jungen auf. Als der aufsteht,
sieht er, daß alles, was an Kronleuchtern im Laden vorhanden ist,
zerbrochen ist. Der Vogel sagt: „Meine Prinzessin, hast du den Kummer
gesehen? Von der Art werde ich dir noch manchen Kummer bereiten.“ Dann
fliegt er fort. Am Morgen öffnet der grindige Junge den Laden. Dann
kommt sein Meister und sieht — was siehst du? —, alles was an Leuchtern
im Laden vorhanden ist, ist zerbrochen. Vor Zorn war er nahe daran,
sich aufzuhängen. Dann nimmt er einen Stock, verprügelt ordentlich den
grindigen Jungen und wirft ihn aus dem Laden.

Das Mädchen denkt weinend: „In welchen Laden ich auch bis jetzt
gekommen bin, soviel Schaden habe ich von dem Vogel gehabt und soviel
Prügel habe ich bekommen. Jetzt will ich mich aufmachen und in die
Berge gehen.“ Als sie einige Zeit herumgegangen ist, bleibt sie hungrig
und durstig auf den Bergen und sieht, daß wilde und reißende Tiere in
Menge dort sind. Dann steigt sie auf einen Baum und bleibt dort in der
Nacht. Am Morgen als es dämmert, kommt der Sohn des Padischah dieses
Landes der gerade auf Jagd gegangen war, und sieht den grindigen Jungen
auf dem Baume. Er hält ihn für einen Vogel, zielt und schießt den Pfeil
ab. Der Pfeil bleibt im Baum haften. Als er an den Baum kommt, sieht
er, daß es ein Mensch ist. Der Prinz fürchtet sich und sagt: „Bist du
ein Geist oder was sonst?“ Der grindige Junge sagt: „Ich bin kein
Geist, ich bin ein Mensch.“ Schließlich nahm der Prinz ihn herab und
brachte ihn ins Schloß. Nachdem er den grindigen Jungen im Bade hatte
ausziehen und waschen lassen, ließ er ihm Frauenkleider anziehen.
Sofort wird er ein Liebchen wie der Mond am vierzehnten, das in der
Welt nicht seinesgleichen hatte. Es erinnerte einen an die schönen
Jünglinge im Paradiese.

Als der Prinz sie so sieht, verliebt er sich gleich in sie und wird wie
berauscht. Als er nach ein bis zwei Stunden wieder vernünftig ist, ging
er zu seinem Vater und sagte: „Vater, neulich war ich auf die Jagd
gegangen, und während ich jagte, sah ich in einem Baume ein Mädchen und
brachte es hierher. Die ist nun mein Schicksal. Ich will nur sie
heiraten.“ Der Padischah sagte: „Was ist das für eine Sache? Die will
ich mir einmal ansehen.“ Sofort rief er sie, und als er sie sah, hielt
er sie für passend für seinen Sohn.

Er verheiratete das Mädchen mit dem Prinzen und machte vierzig Tage und
vierzig Nächte Hochzeitsfeierlichkeiten. Am einundvierzigsten Tage in
der Nacht auf den Freitag betrat der Prinz das Brautgemach. Infolge
dieser Nacht wurde die Prinzessin schwanger und nach neun Monaten und
zehn Tagen gebar sie dem Prinzen eine Tochter.

Das Kind mag nun in der Wiege heranwachsen. Als eines Nachts der Prinz
und die Prinzessin schlafen, kommt um Mitternacht der Vogel, nimmt die
Tochter der Prinzessin, beschmiert den Mund der Prinzessin mit Blut,
weckt sie auf und sagt: „Dein Kind nehme ich mit; da hast du deinen
Kummer. Hiernach werde ich dir noch ähnlichen Kummer bereiten.“ Darauf
fliegt er weg.

Am Morgen sieht der Prinz, daß das Kind nicht da ist und daß der Mund
der Prinzessin blutig ist. Als er das sieht, wendet er sich, geht zu
seinem Vater und setzt ihm die Sache auseinander. Der sagt: „Mein Sohn,
woher hast du das Mädchen geholt?“ Er antwortete: „Von den Bergen.“ Der
Padischah fährt fort: „Das Mädchen ist ein wildes Mädchen, es frißt
sicherlich Menschen.“

Wir wollen uns kurz fassen. Die Sache geht so weiter. Nach einiger Zeit
bringt die Prinzessin eine zweite Tochter zur Welt. Wie das erste Mal
kommt der Vogel, nimmt das Kind, beschmiert den Mund der Prinzessin mit
Blut und geht wieder weg. Das Mädchen wacht auf, schlägt sich und wirft
sich auf den Boden. Am Morgen wacht der Prinz auf und sieht, daß das
Kind wieder nicht da ist und daß der Mund der Prinzessin blutig ist.
Sofort benachrichtigt er den Padischah. Der Padischah befiehlt, ihr
sofort den Kopf abzuschlagen. Da der Prinz das Mädchen sehr liebt, geht
er zu seinem Vater und bittet ihn für sie, und der schenkt sie diesmal
noch dem Prinzen.

Im Laufe der Zeit nach einigen Monaten wird sie wieder schwanger, und
nach neun Monaten zehn Tagen bringt die Prinzessin einen Knaben zur
Welt. Der Prinz fängt an zu überlegen: „Wenn sie diesmal das Kind
verzehren sollte, wird der Vater sie ohne weiteres töten.“ Während
dieser Überlegung kommt ihm in den Sinn: „Ich will diese Nacht nicht
schlafen und sie heimlich beobachten.“ Die Prinzessin mag nun schlafen,
der Prinz nimmt eine Nadel in die Hand, hält die Spitze der Nadel an
das Kinn und faßt das andere Ende mit der Hand. Wenn der Schlaf über
ihn kommt, drückt er auf die Nadel, sticht sich ins Kinn und wacht auf.
Schließlich fällt ihm die Nadel aus der Hand auf den Boden und er
schläft ein. Da kommt zwischen vier und fünf Uhr der Vogel, nimmt das
Kind, beschmiert den Mund der Prinzessin mit Blut, weckt sie auf und
sagt: „Da, dein Kind nehme ich mit. Da hast du deinen Kummer. Hernach
werde ich dir noch anderen Kummer bereiten.“ Mit diesen Worten fliegt
er weg. Die Prinzessin kann es nicht mehr aushalten und weint bis zum
Morgen. Als der Prinz aufwacht und sieht, — was siehst du? — daß das
Kind nicht da ist und der Mund und die Nase der Prinzessin blutig ist,
benachrichtigt er den Vater. Der Henker wird befohlen. Der Henker
bindet dem Mädchen die Hände auf den Rücken und führt sie auf einen
großen Platz, um sie zu enthaupten. Das Mädchen war von einzigartiger
Schönheit und der Henker konnte es nicht übers Herz bringen, sie zu
töten und sagte: „Vorwärts, geh, meine Prinzessin, komme nicht wieder
ins Schloß, geh, wohin du willst. Gott möge dir Heil geben!“ und
entläßt sie. Die Prinzessin geht weinend in die Berge. Da kommt der
Vogel, packt die Prinzessin und fliegt davon. Nach einiger Zeit läßt er
sie in dem Garten eines Schlosses aus Edelsteinen, wie es das Auge noch
nicht gesehen hat, und das sich nicht beschreiben läßt, nieder. Wer es
ansah, wurde geblendet. Als sie auf den Marmorsteinen angekommen sind,
schüttelt sich der Vogel einmal und wird ein Jüngling, schön wie der
Mond am vierzehnten. Die Prinzessin sieht hin und wundert sich. Als sie
die Treppe hinaufsteigen, waren dort eine Sklavin und drei liebliche
Kinder von sieben bis acht Jahren. Sie kommen herunter und gehen der
Prinzessin entgegen. Ihr Blut kommt in Wallung und die Augen füllen
sich mit Tränen. Dann gehen sie mit dem Jüngling nach oben. Da kommt
ein Platz aus Edelsteinen, ein Zimmer mit gestickten Vorhängen. Sie
heben den Vorhang, treten ein, setzen sich und wenden ihre Augen nicht
von der Prinzessin. Jetzt sagt der Jüngling: „Meine Prinzessin, soviel
Qualen habe ich dir zugefügt. Deine Kinder habe ich dir entführt, dann
hat man dich hinrichten wollen. Du hast alles ertragen und mich nicht
verraten und hast ausgeharrt. Jetzt habe ich dir auf Gottes Befehl ein
großes Schloß bauen lassen. Das ist nur für dich. Mit deinen Kindern
bin ich davongegangen und habe sie mit Milch groß gezogen. Diese drei
Kinder vor dir sind die Deinigen und ich bin von jetzt ab dein Sklave.“

Da umarmte die Prinzessin die Kinder, küßte sie auf beide Augen und
drückte sie an die Brust, und die Kinder umarmten die Mutter und
weinten Blut statt Tränen. Die waren nun bei einander und die Welt
gehörte ihnen. Tag und Nacht trennten sie sich nicht.

Sie alle mögen mit den Kindern im Schlosse wohnen und sich lieben. Wir
wenden uns nun zu dem Prinzen. Er mag nun traurig entweder darüber
sein, daß die Kinder tot sind oder daß seine Gemahlin, die er so sehr
geliebt hatte, vom Henker hingerichtet ist. Tag und Nacht seufzte er
vor Sehnsucht und weinte. Er hatte einen alten Opiumraucher, der kam
jeden Tag zum Prinzen und unterhielt ihn mit Geschichtenerzählen. Dem
Opiumraucher war eines Tages sein Opium ausgegangen, hatte vom Prinzen
eine halbe Stunde Urlaub bekommen und war auf den Markt gegangen. Auf
einmal sieht er ein großes Schloß. Er sagt sich: „Wann ist dieses
Schloß gebaut? Ich komme hier jeden Tag vorbei, niemals war es da. Ist
es Traum oder Phantasie?“ Er denkt bei sich: „Ich will doch einmal dies
Schloß besichtigen“ und geht zum Schlosse. Während die Prinzessin in
dem Schlosse und der Jüngling im Schlosse sitzen und sich vergnügen,
sehen sie von Ferne den Opiumraucher. Der Jüngling sagt: „Meine
Prinzessin, da kommt der Opiumraucher des Prinzen. Mit dem wollen wir
unsern Spaß treiben.“ Die Prinzessin sagt: „Nach Belieben.“ Der
Opiumraucher kommt. Als er um das Schloß wendet, wirft der Jüngling aus
dem Fenster eine verzauberte Rose hinab. Der Opiumraucher nimmt die
fallende Rose auf, riecht daran und sagt: „Ach, wie schön riecht deine
Rose! Wie schön mußt du erst selber riechen.“ Dies wiederholt er immer
und kehrt um. Unterwegs spricht er immer so zu sich. Die Leute, die ihn
sehen, folgen ihm und sagen: „Ist der Mensch verrückt?“ Fünfzig bis
sechzig Leute sammeln sich um ihn und sehen ihn an.

Wir wenden uns zu dem Prinzen. Er sieht, daß zwei Stunden vorüber sind
und der Opiumraucher immer noch nicht kommt. Er langweilt sich und
befiehlt seinem Hausmeister: „Geh, wo du den Opiumraucher findest,
bringe ihn hierher.“ Der Hausmeister geht nach dem Opiumraucher aus.
Auf einmal sieht er auf dem Platze eine Menschenmenge. Indem er sagt:
„Was ist das wohl?“ geht er hin. Er sieht — was siehst du? — unsern
Opiumraucher. Sofort geht er zu ihm und sagt: „Der Prinz verlangt nach
dir.“ Der Opiumraucher sagt: „Ach, wie schön riecht deine Rose. Wie
schön mußt du erst selber riechen.“

Zum Hausmeister sagt er: „Wenn sie aus diesem Schloß Rosen werfen, hüte
dich, nimm sie nicht.“ Der sagt: „Ich will doch hingehen und sie einmal
sehen.“ Als sie zum Schlosse kommen, sieht der Jüngling sie und sagt
zur Prinzessin: „Der Hausmeister des Prinzen kommt, soll ich ihn
empfangen?“ Die Prinzessin sagt: „Nach Belieben, mein Herr.“ Der
Jüngling läßt sofort die Türen des Schlosses aufmachen und der
Hausmeister tritt durch die Türen ein. Sofort kommen Sklavinnen, gehen
ihm entgegen und führen ihn nach oben. Der Jüngling sagt: „Er soll
seine Kleider ausziehen und so kommen.“ Der Hausmeister geht in ein
anderes Zimmer und zieht sich aus. Als er die Hand an seine Mütze
bringt und an ihr zieht, geht die Mütze nicht ab. Wie sehr er sich auch
müht, er kann sie nicht abbekommen. Die Sklavinnen gehen zu ihrem
Herrn. Als sie sagen: „Der Hausmeister kann seine Mütze nicht
herunterbekommen,“ sagte er: „Was ist das für ein Mensch, der seine
Mütze nicht herunterbekommen kann!“ und treibt ihn hinaus. Sofort als
der Hausmeister unter der Tür des Schlosses sich bückt, um seine
Stiefel anzuziehen, fällt ihm seine Mütze vom Kopf auf die Erde. Der
Hausmeister nimmt die Mütze und sagt: „Drinnen wolltest du nicht
abgehen, was gehst du draußen gleich ab?“, wirft die Mütze auf den
Boden und geht zu dem Opiumraucher. Als der Opiumraucher ihn sieht,
wundern sie sich beide sehr.

Wir wollen uns nun zu dem Prinzen wenden. Er hatte den Hausmeister nach
dem Opiumraucher ausgeschickt. Auch der war nicht wieder gekommen.
Danach schickt er den Schatzmeister Aga hinter ihnen her. Kurz, als der
Schatzmeister Aga sie so sieht, wundert er sich, geht zu ihnen und
sagt: „Was ist euch geschehen?“ Der Opiumraucher sagt: „Wenn man aus
diesem Schlosse eine Rose wirft, nimm sie nicht und rieche nicht
daran.“ Der Hausmeister sagt: „Wenn du auch in dieses Schloß gehst, tue
es nur, indem du vorher deine Mütze abnimmst.“ Der Schatzmeister Aga
geht ins Schloß. Der Jüngling sagt: „Meine Prinzessin, der
Schatzmeister Aga des Prinzen kommt. Auch dem will ich einen Streich
spielen.“ Sie antwortet: „Nach Belieben.“ Als der Schatzmeister das
Schloß betritt, sagt der Jüngling: „Auch den zieht aus. Er soll sein
Nachtgewand anziehen und so kommen.“ Sie ziehen ihm die Kleider aus,
aber seine Hose geht nicht aus. Wie sehr er auch Gewalt anwendet, er
kann sie nicht ausbekommen. Sogleich berichten die Sklavinnen dies. Der
Jüngling sagt: „Was ist das für ein Mensch, der seine Hosen nicht
ausziehen kann.“ Darauf treibt man auch den Schatzmeister Aga aus dem
Schlosse. Als er einen Schritt durch das Tor gemacht hat, fallen seine
Hosen von selber herunter. Da sagt er zu den Hosen: „Drinnen konntet
ihr nicht ausgehen, wozu könnt ihr es draußen?“ und schlägt sie auf den
Boden. Dann geht er zu den beiden anderen. Der Prinz ist zornig und
sagt zu sich: „Was ist das wohl mit denen?“ Er geht aus dem Schloß,
trifft sie und fragt sie: „Was ist denn euch geschehen?“ Der
Opiumraucher antwortet: „Wenn man aus dem Schlosse eine Rose wirft,
nimm sie nicht und rieche nicht daran.“ Der Hausmeister sagt: „Geh erst
hinein, nachdem du die Mütze abgenommen hast.“ Der Schatzmeister Aga
sagt: „Geh erst hinein, nachdem du die Hosen ausgezogen hast.“ Als sie
das sagten, wird der Prinz verwirrt, sagt: „Was soll das bedeuten?“ und
geht ins Schloß. Als er eintritt, gehen die Prinzessin, der Jüngling,
die drei Kinder und alle Sklavinnen ihm mit Ehrfurcht und Höflichkeit
entgegen. Sie führen ihn nach oben, setzten sich in einem Zimmer nieder
und begrüßen ihn. Das älteste der Kinder hat in der Hand einen Schemel,
das mittelste ein Handtuch, das kleinste einen Servierteller mit einem
Teller und darinnen Birnen und daneben einen Löffel. Das älteste stellt
den Schemel hin, das mittelste legt dem Prinzen das Handtuch vor, das
jüngste stellt den Servierteller hin. Der Prinz verwundert sich und
sagt zu den Kindern: „Ißt man Birnen mit Löffeln?“ Als die Kinder
antworteten: „Ißt ein Mensch Menschen?“ schweigt der Prinz und denkt
nach. Da sagten sie: „Hier, wir sind deine Kinder, das ist unsere
Mutter.“ Der Jüngling tritt hinzu und sagt: „Prinz, mögen deine Augen
leuchtend sein. Das ist die Prinzessin, das da sind deine Kinder.“

Da kommen die Kinder, hängen sich ihrem Vater an den Hals und die
Prinzessin umarmt ihren Gatten, und sie freuen sich aus vollem Herzen.
Der Jüngling sagt: „Prinz, ich bin ihr Sklave. Die Prinzessin hatte
mich für Geld gekauft, und ich war ein Gefangener. Meine Mutter hatte
mich so verflucht. Das war meine Lage. Wenn Sie mir gütigst die
Erlaubnis geben, werde ich in meine Heimat gehen und meinen Vater und
meine Mutter wieder sehen, da sie Sehnsucht nach mir haben.“ Er erhielt
die Erlaubnis und ging weg. Die machten von neuem Hochzeit. Vierzig
Tage und vierzig Nächte dauerten die Festlichkeiten. Sie erreichten,
was ihr Wunsch war. Gott möge auch uns unsern Wunsch erreichen lassen.
Amen, o Helfer.



8. DIE GESCHICHTE VOM SMARAGDENEN ANKAVOGEL [15]


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In früheren Zeiten hatte ein Padischah in seinem
Privatgarten einen Apfelbaum. Alljährlich brachte er drei Äpfel hervor.
Wenn sie reif waren, kam um Mitternacht ein siebenköpfiger Dev,
pflückte die Äpfel ab und ging weg. Der Padischah bekam nichts von
ihnen zu essen. Der Padischah hatte auch drei Söhne. Eines Tages kommt
der älteste, küßt den Boden und bleibt vor dem Vater stehen. Der
Padischah fragt: „Was wünschst du mein Sohn?“ Er antwortet: „Wenn Euer
Majestät erlauben, werde ich diese Nacht den Apfelbaum bewachen, den
Dev töten und die Äpfel abpflücken.“ Der Padischah sagte: „Sehr schön,
mein Sohn, aber wie willst du den Dev töten? Nachher stößt dir etwas
zu. Wenn du ihn bestrafen kannst, töte ihn.“ Der Prinz nahm einen Pfeil
in die Hand, ging in den Privatgarten und verbarg sich. Um Mitternacht
entstand ein Geräusch und Getobe. Der Himmel war mit schwarzem Nebel
bedeckt. Nach einiger Zeit kam aus dem Nebel ein siebenköpfiger Dev
hervor und ging zum Baum. Als der Prinz ihn sah, verließ ihn die
Besinnung. Er erhob ein Geschrei und lief ins Schloß. Der Dev pflückte
die Äpfel und ging weg. Am nächsten Morgen rief der Padischah den
Prinzen vor sich und fragte: „Mein Sohn, was hast du gemacht? Hast du
den Dev getötet und die Äpfel pflücken und herbringen können?“ Der
Prinz küßte den Boden und antwortete: „Mein Padischah, ich habe nur das
Leben retten können. Das ist ein Dev, daß jeder, der ihn sieht, die
Besinnung verliert.“ Im nächsten Jahre ging der mittlere Prinz zu
seinem Vater und sagte: „Vater, mein älterer Bruder hat den Dev nicht
töten können. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich diesmal hingehen und den
Dev töten.“ Der Padischah antwortete: „Dein älterer Bruder hat den Dev
nicht töten können; wie willst du ihn töten?“ Da antwortete er: „Ich
kenne das Mittel.“ Da er sehr bat, wollte ihn sein Vater nicht erzürnen
und gab ihm die Erlaubnis. Der Prinz nahm einen Pfeil in die Hand, ging
in den Garten und verbarg sich. Genau um Mitternacht entstand ein
Geräusch und Getobe, rabenschwarzer Nebel bedeckte die Erde und den
Himmel. Nach einiger Zeit kam aus dem Nebel ein großer Dev und ging zum
Baum. Als der Prinz das Gesicht des Devs sah, fürchtete er sich; seine
Hände und Füße begannen zu zittern und er flüchtete eiligst in das
Schloß. Der Dev pflückte die Äpfel und ging weg. Auch in diesem Jahre
gab es kein Mittel gegen den Dev. Als das dritte Jahr um war, ging
diesmal der jüngste Prinz zu seinem Vater und sagte: „Vater, wenn Sie
erlauben, werde ich diesmal hingehen.“ Der Padischah sagte: „Deine
Brüder konnten ihn nicht töten. Wie willst du ihn töten?“ Da er sehr
bat und flehte, erhielt er die Erlaubnis von seinem Vater, ging in sein
Zimmer, nahm einen vergifteten Pfeil, steckte einen Koran in seinen
Busen und ging aus seinem Zimmer in den Privatgarten. Nachdem er sich
im Gartenhause hingesetzt hatte, öffnete er den Koran und fing an schön
darin zu lesen. Genau um Mitternacht entstand ein Geräusch und Getobe
und die Erde und der Himmel wurden mit schwarzem Nebel bedeckt. Nach
einiger Zeit kam aus dem Nebel ein siebenköpfiger großer Dev. Als er
auf den Baum zuging, spannte der Prinz den Bogen und schoß mit den
Worten: „Mit Gottes Hilfe“ den Pfeil auf den Kopf des Drachen ab. Er
drang an einem Kopfe ein, ging durch alle sieben Köpfe hindurch und kam
wieder heraus. Der Drache erhob ein Gebrüll, daß die ganze Erde und der
Himmel erdröhnte. Sein Blut floß und er machte, daß er davon kam. Der
Prinz pflückte sofort die Äpfel, ging ins Schloß und sagte: „Mein
Padischah, ich habe den Drachen getötet und die Äpfel mitgebracht.“ Da
war der Padischah sehr erfreut und sagte: „Bravo, mein Sohn, du hast
dich sehr tapfer gezeigt.“ Der Prinz küßte die Erde und sagte: „Mein
Herr, wenn Sie erlauben, werde ich dahin gehen, wohin der Drache
gegangen ist, und die Erde von ihm befreien.“ Der Padischah sagte:
„Mein Sohn, gehe nicht hin, es möchte dir ein Leid vom Drachen
geschehen.“ Aber es nutzte nichts. Am nächsten Morgen geht der Prinz
mit den beiden anderen Brüdern der blutigen Spur des Drachens nach.

Nach einigen Tagen finden sie an der Öffnung eines Brunnens viel Blut.
Die Öffnung des Brunnens war mit einem großen Stein verschlossen. Wie
sehr sich auch die älteren Brüder bemühten, sie konnten ihn auch nicht
das geringste aufheben. Der jüngste Prinz faßte ihn mit seinem kleinen
Finger, hebt ihn auf und wirft ihn auf einen Berg. Als sie das sehen,
wundern sie sich. Jetzt sagt der jüngste Prinz: „Ich werde in den
Brunnen hinabsteigen und den Drachen töten.“ Der Älteste sagt: „Bruder,
ich bin der Älteste, es kommt dir nicht zu, während ich hier bin.“ Sie
waren damit einverstanden. Schließlich banden sie ihm einen Strick um
die Hüfte und ließen ihn in den Brunnen hinab. Kaum ist der Prinz in
den Brunnen gestiegen, da schreit er: „Ach, ich verbrenne, zieht mich
nach oben!“ Sofort zogen sie ihn nach oben. Dann banden sie dem
Mittleren den Strick um den Leib und ließen ihn hinab. Während er
hinunter steigt, schreit er: „Ach, ich erfriere, zieht mich hinauf!“
Sogleich zogen sie ihn hinauf. Da sagte der jüngste Prinz: „Brüder,
bleibt hier, ich werde in den Brunnen steigen. Auch wenn ich sage:
‚Ach, ich verbrenne‘, laßt den Strick nach, ebenso, wenn ich sage: ‚Ich
erfriere.‘“ Die sagten: „Sehr wohl“, banden ihm den Strick um den Leib
und ließen ihn in den Brunnen. Als der Prinz sagte: „Ach, ich brenne,“
ließen die den Strick nach, als er sagte: „Ach, ich erfriere,“ ließen
sie nach. So kam der Prinz bis auf den Grund des Brunnens. Er löste den
Strick von seinem Leibe, ging geradeaus, kam an ein Zimmer, trat ein
und sah am Stickrahmen ein Mädchen, schön wie der Mond am vierzehnten.
Von dort kommt er in ein anderes Zimmer, tritt ein und sieht, — was
siehst du? — dies Mädchen ist noch schöner als das erste. Es saß
gleichfalls am Stickrahmen. Darauf kommt er in ein anderes Zimmer und
sieht — was siehst du? — ein Mädchen, das schönste Wesen der Welt und
der Zeit. So schön war es. Seine Locken waren nach beiden Seiten
gescheitelt. Es war, als ob die Sonne in dies Zimmer gefallen war und
denjenigen, der es ansah, blendete. Man konnte es nicht aushalten
hinzusehen. Als der Prinz dieses Mädchen sah, verlor er fast die
Besinnung und verliebte sich von ganzem Herzen in dieses Mädchen. Er
redete sie an: „Mädchen, bist du ein Geist oder was sonst?“ Das Mädchen
antwortete: „Ich bin ein Mensch. Aber mein Held, wie bist du hierher
gekommen? Denn hier in diesem Brunnen ist ein großer Dev. Wenn er dich
merkt, gibt er keine Gnade und tötet dich.“ Da antwortete der Prinz:
„Meine Prinzessin, ich bin gerade gekommen, um ihn zu töten. Zeige mir,
welches Zimmer das des Devs ist.“ Das Mädchen zeigte ihm das Zimmer, in
welchem der Dev war. Der Prinz tritt in das Zimmer ein und sieht — was
siehst du? — einen häßlichen Dev, so groß wie ein Minaret. Jeder, der
ihn sieht, verliert die Besinnung. Als der Dev den Prinzen sieht, nimmt
er seine Wurfkeule von tausend Batman in die Hand, brüllt so, daß die
Erde und der Himmel dröhnt, und wirft die Keule auf den Prinzen. Der
Prinz deckte sich. Als der Dev fertig war, sagte der Prinz: „Mit Gott“,
schlug mit dem Schwerte nach dem Kopfe des Verfluchten und schnitt ihm
den Hals ab. Sogleich fiel der Verfluchte auf die Erde und schickte
seine Seele in die Hölle.

Dann geht der Prinz in das Zimmer des Mädchens, nimmt die drei Mädchen
und an Wert schwere, an Last geringe Diamanten, Juwelen, Rubinen,
Hyazinthen und derartige andere viele wertvolle Sachen mit sich und
geht mit ihnen an den Grund des Brunnens. Dort ruft der Prinz seinen
obenstehenden Brüdern zu. Die lassen den Strick herunter. Der Prinz
bindet den Strick dem ersten Mädchen um den Leib und sagte: „Mein
ältester Bruder, dies ist dein Anteil.“ Die zogen auch das Mädchen nach
oben. Dann lassen sie den Strick wieder hinunter. Der Prinz bindet das
andere Mädchen an und sagte: „Da, mittlerer Bruder, das ist dein
Anteil.“ Sie ziehen das Mädchen nach oben und lassen den Strick nach
unten. Das Mädchen, das die Geliebte des Prinzen war, sagte zu ihm:
„Mein Prinz, erst steige du nach oben, danach ich. Denn wenn deine
Brüder mich oben sehen, werden sie neidisch werden, den Stick
abschneiden und dich im Brunnen lassen.“ Der Prinz hörte aber nicht auf
die Worte des Mädchens und sagte: „Nein, zuerst steigst du nach oben,
dann ich.“ Das Mädchen antwortete: „Ich werde dir drei von meinen
Haaren geben. Falls sie den Strick abschneiden, so reibst du sofort die
Haare aneinander und auf dem Grunde des Brunnens erscheint ein weißes
und ein schwarzes Schaf. Wenn du auf das weiße fällst, kommst du nach
oben auf die Erde, wenn du auf das schwarze fällst, gehst du noch
sieben mal so tief unter die Erde.“ Der Prinz nahm die drei Haare vom
Mädchen, steckte sie in seinen Busen, band das Mädchen an den Strick
und sagte: „Meine Brüder, das ist mein Anteil.“

Die ziehen das Mädchen nach oben, sehen, daß es wie der Mond am
Vierzehnten ist, und sagen: „Aber uns hat er die schlechtesten gegeben
und für sich das schönste genommen.“ Da werden sie neidisch auf ihn.
Sie ziehen den Prinzen hoch. Als er an die Öffnung des Brunnens kommt,
schneiden der ältere und mittlere Bruder den Strick mitten durch, sodaß
der Prinz kopfüber, kopfunter nach unten rollt. Sofort reibt er die
Haare, die ihm das Mädchen gegeben hat, aneinander und unten auf dem
Brunnen erscheint ein weißes und ein schwarzes Schaf. Er fällt auf das
schwarze und sinkt sieben mal so tief unter die Erde.

Da mag er nun bleiben. Wir wenden uns jetzt zu den anderen Brüdern. Die
nehmen die drei Mädchen und gehen ins Schloß. Sie gehen zum Vater und
sagen: „Vater, unseren jüngsten Bruder hat der Dev im Brunnen getötet.
Wir haben dann diese Mädchen mitgenommen und sind hierher gekommen.“
Als der Vater das hörte, seufzte er, weinte blutige Tränen und trauerte
um den Prinzen.

Die wollen wir nun verlassen und uns zum Prinzen wenden. Er war sieben
Lagen tief unter der Erde. Da sieht er auf einmal eine Welt. Nachdem er
etwas gegangen war, kam er in eine Stadt. Am Abend klopfte er an eine
Haustür. Eine alte Frau kam. Er sagte: „Mutter, nimm mich als Gast
auf.“ Sie antwortete: „Ach, mein Sohn, ich habe nicht einmal Platz zum
Lager für mich. Wie soll ich dich da aufnehmen.“ Der Prinz nahm aus
seiner Tasche drei Goldstücke und gab sie der Frau. Sie sagte: „Komm,
mein Sohn, ich werde dir ein Lager suchen“ und nahm den Prinzen hinein.
Sie stiegen nach oben, gingen in ein Zimmer und setzten sich. Da der
Prinz sehr durstig war, bat er die Frau um Wasser. Die Frau ging an den
Schrank. In einem Kruge war jahrealtes, mit fingerlangen Würmern
angefülltes Wasser. Die Frau goß das Wasser in ein Glas und gab es dem
Prinzen. Der Prinz nahm es und sah, — was siehst du? —, daß es Wasser
war, das selbst die Tiere nicht trinken. Er empfindet Ekel, trinkt es
nicht und sagt: „Mutter, was ist das für Wasser? Da sind ja fingerlange
Würmer drin.“ Sie antwortete: „Ach, mein Sohn, wir trinken jeden Tag
dieses Wasser. Denn in dieses Land kommt jedes Jahr einmal ein Drache
und schneidet das Wasser ab. In jedem Jahre wird ihm ein Mädchen
gegeben. Bis er das zerrissen und aufgefressen hat, kommt Wasser in die
Quelle. Dann streiten wir uns alle, zerschlagen uns die Köpfe, und die
ganze Bevölkerung holt sich Wasser. Danach wird das Wasser wieder
abgeschnitten. Mit diesem Wasser müssen wir uns ein Jahr einrichten.
Hier ist große Not an Wasser. Wir leiden sehr an dem Wassermangel. Dies
Jahr ist nun auch zu Ende. Morgen wird man die Tochter des Padischah
dem Drachen geben. Wenn man sie nicht gibt, werden wir alle sterben.“

Als der Prinz das hörte, dachte er etwas nach. Am Morgen ging er aus
dem Hause zur Quelle und sieht eine große Menschenmenge. Ein jeder
wartete mit einem Kruge in der Hand. Jetzt hatten sie die Tochter des
Padischahs in rote Kleider gekleidet und geschmückt. Neben ihr waren
einige Dienerinnen, die sie unter den Armen stützten. Sie brachten das
Mädchen an den Mittelpunkt des Wassers und ließen das Mädchen dort
stehen. Die Dienerinnen gingen wieder weg. Das Mädchen fängt an zu
weinen. Als der Prinz das Mädchen so sieht, seufzte er und sein Herz
blutete. Die Ankunft des Drachen stand nahe bevor. Der Prinz ging zu
dem Mädchen und sagte: „Meine Prinzessin, umarme mich von hinten und
halte dich fest, fürchte dich nicht.“ Der Prinz spannte seinen Bogen,
stellte sich vor das Mädchen und hielt sich still bereit. Nach einiger
Zeit kam von Westen ein siebenköpfiger Drache mit Brausen, wirbelte
Staub und Nebel auf und sprühte Feuer aus Rachen und Nase. Als der
Drache sie beide sieht, sagt er: „Ah, bis jetzt hatte ich nur einen
Anteil, jetzt habe ich zwei Anteile.“ Atemlos von dem halbstündigen
Wege fing er an, sie zu zerren. Der Prinz stand fest auf seinen Füßen.
Der Drache zog so, daß er sie, selbst wenn sie ein Berg gewesen wären,
in seinem Maule hätte davon tragen können. Aber wie sehr er auch zog,
es glückte ihm nicht. Da kam der Drache näher und fing an, keuchend zu
ziehen. Da setzte der Prinz seine Füße fest in den Boden, spähte nach
dem Maule des Drachen und schoß seinen Pfeil mit den Worten: „Im Namen
Gottes“ ab. Dieser Pfeil flog wie eine Flintenkugel, drang in das Maul
des Drachen ein und kam aus dem Nacken wieder heraus. Der Drache schrie
gräßlich, erhob sich dreimal und warf sich in die Luft. Die Erde an der
Stelle, wo er fiel, ließ er wie auf der Tenne geworfelt in die Luft
steigen. Aus dem Maule und der Nase des Drachen floß so viel Blut, daß
die Eigenschaft des Wassers nicht zu erkennen war. Kurz, der Drache
warf sich immer wieder auf die Erde und starb. Das Mädchen tauchte ihre
fünf Finger in das Blut und drückte leise ihre Hand, als wollte sie ihn
streicheln, auf den Rücken des Prinzen mit den Worten: „Bravo, mein
Held!“ Dann trennte sie sich von ihm und ging ins Schloß.

Als der Padischah das Mädchen sah, tadelte er sie und sagte: „Meine
Tochter, warum bist du weggelaufen? Wenn man es merkt, wird man kommen
und mich töten“, und sagte seiner Tochter alle Worte, die ihm in den
Mund kamen. Das Mädchen antwortete: „Mein Herr, Ihre Sklavin ist nicht
weggelaufen. Dort war ein junger Mann, der tötete den Drachen und
rettete mich. Dann kam ich wieder hierher. Wenn du es nicht glaubst,
gehe auf den Berg und sieh dir den Leichnam des Drachen an.“

Sofort ging der Padischah an die Stelle, wo der Drache lag, und sah, —
was siehst du? — daß es ein so häßlicher großer Drache ist, daß jeder,
der ihn sieht, besinnungslos wird. Niemand ging nahe an ihn heran und
alle schauten ihn aus der Ferne an. Da ging der Padischah wieder ins
Schloß und sagte zum Mädchen: „Wenn du den Jüngling sähest, würdest du
ihn wieder erkennen?“ Das Mädchen antwortete: „Er trägt mein Zeichen
auf dem Rücken. Ich erkenne ihn sofort wieder, wenn ich ihn sehe.“ Da
wurden Ausrufer ausgeschickt und dem ganzen Lande bekannt gegeben, daß
alle Leute vom ersten bis zum siebenzigsten Lebensjahre, männlich und
weiblich, Kind und Kegel vor dem Schloß vorbeiziehen sollten.

Wir kommen zum Prinzen. Als er den Drachen getötet hatte, ging er in
das Haus der Frau von vorher und setzte sich hin. Da sagte die Frau:
„Mein Sohn, heute hat der Padischah befohlen, daß vom ersten bis zum
siebenzigsten Lebensjahre alles am Schlosse vorbeiziehen soll. Was
sitzt du hier, zieh auch am Schlosse vorbei.“

Der Prinz verließ das Haus und machte sich auf den Weg, da sieht er,
daß der Zug zu Ende ist. Während er jetzt vorüber geht, sieht ihn das
Mädchen vom Fenster und wirft, als sie ihn erkennt, ein Tuch auf ihn.
Die Posten sehen dies, fassen den Prinzen leise an und führen ihn in
das Schloß zu dem Padischah.

Als der Padischah den Jüngling sieht, sagt er: „Mein Sohn, hast du den
Drachen getötet?“ Da antwortete er: „Ja, mein Padischah, Ihr Sklave hat
den Drachen getötet.“ Er sieht auch das Zeichen auf dem Rücken des
jungen Mannes, sodaß kein Zweifel war. Da sagte er: „Mein Sohn, bitte
von mir, was du willst.“ Der Prinz antwortete: „Ich bitte nur um Ihre
Gesundheit.“ Als er ihn weiter drängte, sagte er wieder: „Ich bitte nur
Ihre Gesundheit.“ Da sagte der Padischah: „Mein Sohn, was hast du für
Nutzen von meiner Gesundheit. Bitte von mir, was du willst.“ Da sagte
der Bursche: „Mein Padischah, gib mir drei Tage Bedenkzeit, dann will
ich es mir überlegen und dir dann Antwort geben.“ Danach stand er auf
und ging in das Haus der alten Frau.

Während er dort wohnte, langweilte er sich eines Tages, nahm seinen
Pfeil und Bogen und ging auf den Berg. Da es Sommer war, wurde er sehr
müde, legte sich in den Schatten eines Baumes und schlief ein. Auf dem
Baume waren nun gerade die Jungen des Smaragd-Ankavogels. In jedem
Jahre kam zu ihnen eine große Schlange, fraß sie auf und ging weg. Die
Ankunft der Schlange fiel gerade auf diesen Tag. Als der Prinz schlief,
kam eine große Schlange. Während sie den Baum hinaufklettert,
erschrecken sich die Jungen, als sie sie sehen, und fangen an zu
schreien. Der Prinz wacht auf und springt auf, als er das Schreien der
Vögel hört. Da sieht er — was siehst du? — eine lange schwarze Schlange
die Cypresse hinaufklettern. Als der Prinz die Schlange sieht, nimmt er
den Pfeil von der Hüfte, sagt: „Mit Gottes Hilfe!“, schießt den Pfeil
ab und nagelt die Schlange in ihrer Mitte an den Baum, so daß die
beiden Enden der Schlange, der Kopf nach unten, herunter hängen. Der
Prinz schläft wieder ein. Nach einiger Zeit entsteht ein Geräusch und
vom Himmel her erscheint der Smaragd-Ankavogel. Als er den Prinzen
sieht, denkt er: „Ach, der hat meine Jungen getötet.“ Während er aus
der Luft mit einem Flügelschlag wie eine Flintenkugel auf ihn
herabschießt, sagen die Jungen: „Mutter, Mutter, dieser schlafende
Jüngling hat uns gerettet. Sieh dir einmal die Cypresse an.“ Als der
Vogel das hört, steigt er leise herab und sieht eine große Schlange an
den Baum festgenagelt. Als er das sieht, freut er sich, geht zum
Prinzen, hat nicht das Herz ihn aufzuwecken, öffnet seinen einen Flügel
und deckt ihn über den Prinzen, damit er nicht von der Sonne verbrannt
wird. Nach einiger Zeit wacht der Prinz auf und sieht, daß über ihm ein
Zeltdach ist. Als der Vogel sieht, daß er aufgewacht ist, zieht er
leise seinen Flügel ein und sagt: „Mein Held, fordere von mir, was du
willst.“ Als er ihn dreimal aufgefordert hatte, sagte der Prinz: „Ich
bitte, daß du mich wieder auf die Erde zurückbringst.“ Der Vogel sagte:
„Mein Held, das ist ein bißchen schwer. Aber du hast meine Jungen von
ihrem Feinde gerettet. Dir zuliebe will ich mich opfern. Aber ich
verlange von dir vierzig Schafe und vierzig Schläuche Wein. Die mußt
du mir bringen, und wenn ich unterwegs ‚Gak‘ sage, mußt du mir das
Fleisch, und wenn ich ‚Guk‘ sage, den Wein geben. So werde ich dich
wieder auf die Erde bringen.“

Der Prinz geht zum Padischah und sagt: „Mein Herr, ich bitte von Ihnen
vierzig Schafe und vierzig Schläuche Wein.“ Der Padischah befiehlt
vierzig Schafe und vierzig Schläuche Wein zu bringen. Nachdem er an der
Stelle, wo der Vogel ist, angekommen ist, legt er die vierzig Schafe
auf den einen Flügel und die Weinschläuche auf den anderen. Er selbst
setzt sich in die Mitte.

Als der Vogel dies auf sich genommen hat, fliegt er in die Luft. Nach
Anordnung des Vogels gab er ihm, wenn er Gak sagte, Fleisch, und wenn
er Guk sagte, Wein. Auf der Reise war eines Tages das Fleisch zu Ende
und als der Vogel Gak sagte, war nichts mehr da. Als er wieder Gak
sagte, war nichts da. Als er noch einmal Gak sagte, schneidet der Prinz
seine Wade ab und gibt sie dem Vogel. Der Vogel sieht, daß es
Menschenfleisch ist, frißt es nicht und behält es im Maule. Dann kommen
sie an die Öffnung des Brunnens. Der Vogel sagt: „Da, mein Prinz, nun
habe ich dich wieder auf die Erde gebracht. Nun geh du weiter, Gott
möge dir Heil geben.“ Der Prinz sagte: „Geh du zuerst, dann werde ich
gehen.“ Der Vogel nimmt das Fleisch, das er im Schnabel hatte, heraus,
drückt es an die Wade und sie wird besser als vorher.

Nachdem der Prinz: „Gott befohlen“ gesagt hatte, macht er sich auf den
Weg, kommt in sein Land und geht zu einem Schlächterladen. Er kauft
sich eine Haut und zieht sie sich über den Kopf. [16] Unterwegs trifft
er einen Hirten und sagt zu ihm: „Ach, Hirte, gib mir deine Kleider,
ich werde dir meine geben.“ Der Hirte gibt seine und nimmt die des
Prinzen. Der Prinz geht zum Privatgarten seines Vaters und sagt zum
Obergärtner: „Ach, Obergärtner, willst du mich als Lehrling annehmen?“
Wie sehr der Gärtner auch sagt: „Es ist unmöglich“, nimmt er ihn
schließlich wohl oder übel als Lehrling. Nach einigen Tagen pflückt der
Obergärtner einen Strauß Rosen und sagt, als er weggehen will: „Mein
Sohn, ich gehe jetzt aus. Passe ordentlich auf den Garten auf.“ Der
Prinz reibt die Haare, die ihm das Mädchen gegeben hatte, aneinander
und ein Mohr erscheint und sagt: „Befehle, mein Prinz“. Der Prinz sagt:
„Ich verlange von dir einen Falben und rote Kleider und eine
Waffenausrüstung.“ Er antwortet: „Mein Herr hat nur zu befehlen“, geht
weg, bringt alle die Sachen, die der Prinz verlangt hatte und gibt sie
dem Prinzen. Der Prinz steigt aufs Pferd und zerbricht dann alles, was
an Bäumen und Blumen im Garten vorhanden ist. Darauf gibt er das Pferd
und die Kleider dem Mohren wieder und bleibt ruhig an seiner Stelle.
Darauf kommt sein Meister und sieht, — was soll er sehen? — im Garten
ist nichts geblieben und der grindige Junge sitzt in einer Ecke und
weint. Als sein Meister sich auf ihn stürzen will, rufen die Mädchen,
die aus dem Fenster sehen, dem Obergärtner zu: „Schlage nicht den
Jungen, denn von draußen ist ein Mann auf einem Falben gekommen und hat
den Garten verwüstet. Es ist nicht die Schuld des Jungen.“ Da muß der
Gärtner wohl oder übel den Garten in Ordnung bringen. Nach Verlauf
einiger Tage, pflückt er wieder einen Rosenstrauß. Als er weggeht,
ermahnt er den Jungen dringend, ordentlich auf den Garten acht zu geben
und geht weg. Der grindige Junge verwüstet wieder wie das vorige Mal
den ganzen Garten und setzt sich irgendwo still hin. Als die
Prinzessinnen diesen Jungen sehen, wissen sie, daß der Prinz wieder auf
der Erde ist, danken Gott und fassen sich in Geduld.

Als der Obergärtner kommt, sieht er, daß die Verwüstung noch größer als
das vorige Mal ist. Während er sich auf den Jungen stürzen will, um ihn
zu schlagen, rufen die Prinzessinnen ihm zu und ermahnen ihn, den
Jungen nicht zu schlagen. Nach einigen Tagen nimmt der Obergärtner
wieder einen Strauß Rosen und ermahnt den Jungen gehörig und geht weg.
Der Junge verwüstet wieder wie das vorige Mal den ganzen Garten, sodaß
kein Zweig im Garten bleibt. Der Obergärtner kommt wieder und sieht,
daß im Garten nichts ist. Sofort ruft er den Jungen und jagt ihn aus
dem Garten. Der Junge macht, daß er davon kommt, geht zu einem
Goldarbeiterladen und sagt: „Ach, Meister, nimm mich als Lehrling an.“
Der Goldschmied sagt: „Mach, daß du davon kommst, grindiger Junge, was
sollte ich mit dir anfangen.“ Der Junge sagt: „Ach, Meister, laß mich
wenigstens Kohlen auf dein Kohlenbecken legen.“ Da er so fleht, nahm
der Meister ihn als Lehrling an und ließ ihn dort wohnen.

Als vorher die Mädchen ins Schloß gekommen waren, war die Zeit für die
Hochzeit angesetzt, aber sie waren damit nicht einverstanden und
sagten: „Wir haben alle vierzig Tage Trauer.“ Deswegen war die Hochzeit
verschoben. Als sie merkten, daß der Prinz wieder auf der Erde war,
wurde wieder der Befehl zur Hochzeit gegeben, aber da die Mädchen noch
nicht ganz sicher waren, ob der Prinz gekommen wäre, sagte die eine:
„Ich verlange einen goldenen Stickrahmen und eine goldene Nadel, die
von selber sticken kann.“ Die andere sagte: „Ich verlange eine goldene
Platte, auf der ein goldenes Huhn und vierzig Küchlein goldene Gerste
fressen und umherlaufen.“ Die dritte sagte: „Ich verlange eine goldene
Platte, auf der ein goldener Jagdhund und ein goldener Hase ist, der
erstere muß den anderen verfolgen.“

Der Padischah rief die Goldarbeiter und befahl ihnen dies anzufertigen.
Die Goldarbeiter dachten nach und verlangten vierzig Tage Bedenkzeit.
Der Padischah gab ihnen auf ihr Verlangen vierzig Tage Zeit und sagte:
„Wenn ihr am einundvierzigsten Tage die Sachen nicht bringt, töte ich
euch“ und entläßt sie in ihre Läden.

In ihren Läden angekommen, mögen sie nun einen Rat abhalten. Wir kommen
jetzt zu dem grindigen Jungen. Er fragte: „Meister, warum denkst du
nach und bist so besorgt?“ Der Meister sagte: „Ach, geh, grindiger
Junge, wenn ich nicht nachdenken soll, wer soll denn nachdenken?“ Er
bat: „Ach, Meister, lieber Meister, worüber denkst du nach, sage mir es
doch.“ Der Meister antwortete: „Frage mich nicht mehr, unsere Sache
steht bei Gott. Nämlich die Söhne des Padischahs haben drei Mädchen
mitgebracht. Eine jede verlangt etwas. Wie wir das machen sollen, weiß
ich nicht.“ Der grindige Junge fragte: „Ach, Meister, was ist es? Sage
es doch mal.“ Da sagte er: „Ach was, die eine verlangt einen goldenen
Stickrahmen und die andere einen goldenen Hasen und die dritte eine
goldene Henne. Alle sollen lebendig sein. Wie ist das möglich?“ Darauf
antwortete er: „Aber Meister, ich glaubte, es handele sich um etwas
Unmögliches. Darum habe ich gefragt. Wegen solcher Sache sei doch nicht
bekümmert. Gib mir einen Zentner Haselnüsse und einen Zentner Rosinen
und vierzig Okka Lichte, dann werde ich dir in vierzig Tagen das, was
du verlangst, machen.“ Sein Meister sagte sich: „Das Herz des Jungen
verlangt Haselnüsse und Rosinen. Ich würde meinen Kopf und meine Augen
für ihn hingeben.“ Dann kaufte er die Sachen und gibt sie ihm.

Der Junge geht in sein Zimmer, läßt keinen zu sich herein, bleibt dort
vierzig Tage, ißt die Haselnüsse und Rosinen, verbrennt die Lichte und
lebt vergnügt. In der Nacht auf den vierzigsten Tag reibt er wieder die
Haare an einander. Ein Mohr kommt und sagt: „Befiehl, mein Prinz. Was
wünschst du?“ Der Prinz sagte: „Ich verlange den in dem Laden
befindlichen Stickrahmen, den goldenen Hasen und den goldenen Jagdhund
und die goldene Henne.“ Auf diesen Befehl hin geht der Mohr, holt die
Dinge und gibt sie dem Prinzen. Der Prinz nimmt die Sachen und verwahrt
sie im Schranke. Am Morgen kommt sein Meister und sagt: „Was hast du
gemacht, grindiger Junge?“ Der grindige Junge sagt: „Was fragst du
mich, öffne den Schrank und sieh zu.“ Sogleich öffnet der Meister den
Schrank und sieht, daß alles vorhanden ist. Da sagt er: „Ach, mein
Sohn“ und fällt ihm um den Hals. Schließlich nimmt er alles und bringt
es in das Schloß und liefert es ab. Als die Mädchen das sehen, glauben
sie, daß der Prinz wieder auf die Erde gekommen ist, und danken Gott.

Wir wenden uns nun zu dem grindigen Jungen. Als sein Meister in den
Laden kommt, sagt er: „Meister, gib mir Urlaub, ich möchte gehen.“
Obgleich der Meister damit nicht einverstanden war und obgleich er noch
so sehr bat, so gab er ihm doch den Urlaub, da er keinen Ausweg fand.
Der grindige Junge geht von dort zu einem Schneiderladen und sagt zu
dem Schneider: „Meister, willst du mich als Lehrling annehmen?“ Der
Schneidermeister sagt: „Ich brauche keinen Lehrling. Mach, daß du
fortkommst.“ Da er ihn jedoch nicht forttreiben kann, nimmt er ihn,
weil er sich nicht anders zu helfen weiß, als Lehrling an.

Wir wenden uns nun zu den Mädchen. Sie senden dem Padischah Nachricht:
„Wir wünschen ein Kleid, das nicht mit der Schere geschnitten und nicht
mit der Nadel genäht ist und in einer Haselnußschale sein soll.“ Der
Padischah ruft die Schneider und sagt: „Ich verlange von euch ein
Kleid, das nicht mit der Schere geschnitten und nicht mit der Nadel
genäht ist und in einer Haselnußschale sein soll.“ Die Schneider
überlegten und erbaten eine Frist von vierzig Tagen. Der Padischah
sagte: „Ich gebe euch eine Frist von vierzig Tagen. Wenn es nicht am
einundvierzigsten Tage kommt, schneide ich euch den Hals ab.“ Damit
entläßt er sie. Sie gingen in ihre Läden und berieten sich. Da sagte
der Junge: „Ach, Meister, lieber Meister, worüber denkst du nach?“ Der
antwortete: „Grindiger Junge, mach, daß du fortkommst, belästige mich
nicht.“ Das Reden nützte ihm aber nichts, der Junge bat, es ihm zu
sagen. Da kein Ausweg war, sagte er: „Der Padischah hat uns ins Schloß
gerufen und verlangt von uns ein Kleid, das mit keiner Schere
geschnitten und mit keiner Nadel genäht werden soll und in eine
Haselnußschale hineingehen soll. Wenn wir es nicht machen, wird er uns
alle töten.“ Der grindige Junge sagte: „Ist das eine Sache, über die du
nachdenkst? Gib mir vierzig Zentner Haselnüsse und vierzig Zentner
Rosinen und vierzig Okka Lichte, so werde ich es dir am
einundvierzigsten Tage machen und bringen.“ Der Meister sagte: „Das
Herz des Jungen verlangt Haselnüsse und Rosinen. Ich würde mein Auge
und meinen Kopf ihm geben.“ Dann kauft er sie und gibt sie ihm. Der
Junge nahm sie, trat in das Zimmer, blieb dort und aß die Haselnüsse
und Rosinen. In der Nacht auf den einundvierzigsten Tag rieb er die
Haare an einander. Der Mohr kam und sagte: „Mein Prinz möge befehlen.
Was wünschst du?“ Der Prinz sagte: „Ich verlange die Kleider in der
Haselnußschale im Laden.“ Sofort holt der Mohr sie. Der Prinz nimmt sie
und verbirgt sie im Schranke. Am Morgen kommt sein Meister und sagte:
„Grindiger Junge, was hast du gemacht? Na, ich bin neugierig.“ Der
grindige Junge sagte: „Was fragst du mich, sieh in den Schrank.“ Der
Meister sieht in dem Schrank, was nicht seinesgleichen in der Welt hat.
Sofort trägt er sie ins Schloß und gibt sie dem Padischah. Der
Padischah nimmt sie und befiehlt die Hochzeit herzurichten.

Damals pflegten die Bräutigams, wenn eine Hochzeit hergerichtet wurde,
auf einem offenen Platz mit dem Bogen zu schießen. Deswegen ging der
älteste Prinz am ersten Tage auf den Platz und alles, was an Leuten
vorhanden war, kam zum Zuschauen. Der Schneider sagte: „Vorwärts, mein
Sohn, heute wollen wir uns zusammen das Polospiel vom ältesten Sohne
des Padischah ansehen.“ Der grindige Junge sagt: „Ach, Meister, gehen
Sie nur hin, mein Kopf ist grindig. Wenn meinem Kopf in dem Gedränge
etwas passiert, was soll ich dann machen?“ Er bleibt im Laden. Nachdem
der Meister weggegangen ist, reibt er die Haare an einander. Der Mohr
erscheint und sagte: „Mein Prinz möge befehlen.“ Er sagt: „Ich verlange
von dir einen Falben, einen Satz sauberer Pfeile und schwarze Kleider.“
Sofort bringt der Mohr ihm alles. Der Junge zieht die Kleider an,
besteigt das Pferd und geht auf den Schießplatz. Er sieht, daß der
Prinz Polo spielt. Der grindige Junge betritt den Platz, verfolgt den
Prinzen und schlägt ihm bei Gelegenheit auf den Arm und verwundet ihn.
Als der Prinz auf die Erde gefallen ist, verschwindet der Junge vom
Platz, geht schnell in den Laden, gibt Pferd und Bogen dem Mohren und
bleibt im Laden. Da kommt sein Meister und sagt: „Mein Sohn, es ist
gut, daß du nicht mitgegangen bist.“ Er fragt: „Ach, was ist
geschehen?“ Er antwortet: „Ein Jüngling auf einem Falben kam und schlug
den Prinzen, aber er ist nicht gestorben.“ Der Junge sagt: „Meister, es
ist gut, daß ich nicht hingegangen bin. Wenn meinem Kopfe etwas
geschehen wäre, was hätte ich anfangen sollen?“

Am zweiten Tage steigt der mittlere Prinz auf das Pferd und geht auf
den Platz. Der Meister geht wieder hin. Der Jüngling bleibt im Laden
und reibt wieder die Haare an einander. Als der Mohr kommt, sagt er:
„Ich verlange einen Pfeil und ein gelbes Pferd.“ Sofort bringt ihm der
Mohr alles. Der Junge besteigt das Pferd und geht auf den Platz. Da
sieht er, daß sein mittlerer Bruder Polo spielt. Bei Gelegenheit trifft
er ihn mit dem Pfeil in den Schenkel, sodaß er vom Pferde fällt. Dann
geht der Junge wieder in den Laden, gibt dem Mohren Pfeil und Pferd und
bleibt ruhig an seinem Platze. Dann kommt sein Meister und sagt: „Es
ist gut, daß du nicht mitgegangen bist.“ Er fragt: „Ach, Meister, was
ist denn heute geschehen?“ Der Meister antwortet: „Ein Reiter auf einem
gelben Pferde kam, hat den mittleren Sohn des Padischah am Schenkel
getroffen und auf die Erde geworfen.“ Der grindige Junge dankte Gott
dafür, daß er nicht hingegangen war. Am nächsten Tage zieht der Sohn
des Vezirs auf den Platz, um zu spielen. Der Meister läßt wieder den
grindigen Jungen im Laden und geht hin. Der grindige Junge reibt wieder
die Haare an einander. Als der Mohr kommt, sagt er: „Ich verlange von
dir einen Pfeil und einen Schimmel.“ Sofort bringt der Mohr alles. Der
Junge nimmt den Pfeil, besteigt das Pferd und geht auf den Platz. Da
sieht er, daß der Sohn des Vezirs Polo spielt. Er schießt bei
Gelegenheit einen Pfeil ab, der ins Herz eindringt, aus dem Rücken
wieder herauskommt und ihn tötet. Er selbst fängt an auf dem Platze
herumzureiten. Sofort ergreift man den Jüngling und führt ihn vor den
Padischah. Der Padischah befiehlt, ihn zu töten. Da sagt der Prinz:
„Ach, mein mächtiger Padischah, meine Brüder haben mich im Brunnen
gelassen, willst du mich auch töten?“ Darauf sagte der Padischah: „Ach,
bist du es, mein Sohn?“, fiel ihm um den Hals, weinte und sagte: „Ach
mein Sohn, was willst du, soll ich deine Brüder töten?“ Der Prinz
antwortete: „Ich bin mit dem zufrieden, was Gott bestimmt hat, aber gib
jedem einen Palast und dem ältesten Bruder das älteste Mädchen, dem
mittleren das mittlere und die jüngste verheirate mit mir.“ Sofort
wurden die zwei Brüder aus dem Schloß, jeder in einen besonderen Palast
gebracht und das jüngste Mädchen mit dem Prinzen verheiratet. Vierzig
Tage und vierzig Nächte dauerten die Hochzeitsfeierlichkeiten. Am
einundvierzigten Tage in der Nacht auf den Freitag betrat er das
Hochzeitsgemach. Sie erlangten und gewährten, was sie wünschten. Damit
ist auch diese Geschichte aus und somit Schluß.



9. DIE GESCHICHTE VON DEM VATER SPINDELHÄNDLER


Die Geschichtenüberlieferer und Märchenerzähler berichten folgendes. In
früheren Zeiten lebten in einem Hause drei Schwestern. Eines Tages geht
unvermutet auf der Straße ein Spindelhändler mit seinem Korbe auf dem
Rücken vor dem Hause der drei Schwestern vorbei und ruft: „Spindeln zum
spinnen.“ Die Mädchen rufen: „Was verlangst du, Vater? Pack doch aus.
Hast du gute Spindeln?“ Der Alte legt die Spindeln, die er in seinem
Korbe hatte, auf die Erde. Die Mädchen sehen sich die Spindeln an,
keine gefiel ihnen. Sie fragen: „Vater, hast du noch andere?“ Er sagte:
„Fräulein, zu Hause habe ich welche. Komm mit mir und suche dir die
schönsten aus.“ Sie sagten: „Sehr schön.“ Das älteste Mädchen steht auf
und macht sich mit dem Alten auf den Weg. Nach einiger Zeit kommen sie
auf die Höhe eines Berges. Nachdem sie noch etwas weiter gegangen sind,
kommen sie in eine Höhle. Sie treten ein und das Mädchen blickt sich
nach den beiden Seiten um und sieht, daß die zwei Wände mit
Menschenleichnamen bedeckt sind, die in der Mitte aufgeschnitten und an
die Wand gehängt sind.

Als das Mädchen diese sah, verlor es die Besinnung. Nach einiger Zeit
geht sie mit dem Alten weiter. Sie treten in ein Zimmer. Als es Abend
wird, sagt der Alte: „Mädchen, koche etwas von dem dort aufgehängten
Fleisch, wir wollen essen.“ Das arme Mädchen steht auf, nimmt einen von
den aufgehängten Leichnamen, kocht ihn, legt ihn dem Alten vor. Der
fängt an zu essen und sagt zu dem Mädchen: „Warum ißt du nicht?“ Das
Mädchen antwortet: „Ich liebe kein Fleisch.“

„Ja, was willst du denn essen? Willst du meinen Finger essen?“

Das Mädchen denkt, daß er sich nicht den Finger abschneiden wird, und
sagte: „Ja, ich werde ihn essen.“

Sofort schnitt sich der Alte seinen Finger ab, wirft ihn dem Mädchen
hin und sagte: „Da, iß!“

Das Mädchen, das sehr erstaunt war, fürchtete sich und warf bei
Gelegenheit den Finger unter den Tisch.

Der Alte sagte: „Hast du den Finger gegessen?“

Das Mädchen sagt: „Ja.“

Der Alte: „Soll ich dich töten, wenn du ihn nicht gegessen hast?“

Das Mädchen denkt bei sich, wie sollte er es wissen, und sagt: „Ja,
töte mich.“

Der Alte schreit: „Finger, wo bist du?“

Der Finger antwortet: „Ich bin unter dem Tisch.“

Da steht der Alte auf, schneidet das Mädchen vom Ohr bis nach unten in
zwei Teile und hängt es an die Wand. Am nächsten Morgen geht der Alte
zum Hause der zwei Schwestern. Die fragen: „Vater Spindelverkäufer, wo
ist unsere Schwester?“

Der Alte antwortet: „Unterwegs hat sie ein Prinz gesehen und mit sich
genommen. Die lebt jetzt bequem. Kommt mit, ich werde euch führen und
euch einem reichen Mann geben.“

Die hielten das für Wahrheit, und die Mittlere stand auf und machte
sich mit dem Alten auf den Weg, kam an die Höhle, trat ein und sieht
auf beiden Seiten viele Menschen aufgehängt und ihre Schwester auch
mitten durchgeschnitten dort hängen.

Als sie das sieht, seufzt sie und verliert die Besinnung. Ihr Herz
blutet. Sie gehen weiter und betreten das Zimmer. Er läßt das Mädchen
wie das erste Mal Fleisch kochen. Das Mädchen sagt auch: „Ich esse
nicht.“

Er sagt: „Ich werde dir meinen Finger geben, ißt du den?“

Das Mädchen sagt: „Ich werde ihn essen.“

Der Alte schneidet seinen Finger ab und wirft ihn dem Mädchen zu.

Das Mädchen nimmt leise den Finger und wirft ihn in den Garten.

Er sagt: „Mädchen, hast du den Finger gegessen?“

Das Mädchen sagt: „Ich habe ihn gegessen.“

Der Alte fragt: „Finger, wo bist du?“ Der Finger schreit: „Ich bin im
Garten auf dem Kehrichthaufen.“

Wie das erste Mal steht er auf, zerschneidet das Mädchen und hängt es
an die Wand.

Am nächsten Tage steht er auf, geht wieder in das Haus. Das jüngste
Mädchen schreit: „Wo sind meine Schwestern? Wohin hast du sie
gebracht?“

Der Alte sagt: „Die eine habe ich einem Prinzen gegeben, die andere
einem reichen Manne. Deine Schwestern sind gut untergebracht. Ich werde
dich auch mitnehmen und einem schönen Jünglinge geben.“

Das Mädchen hatte im Hause eine gelbe Katze, die nahm sie unter dem Arm
mit und ging mit dem Alten. Sie kommen an die Höhle und treten ein. Das
Mädchen sieht nach beiden Seiten, — was siehst du? — ihre beiden
Schwestern sind mitten durch gespalten und hängen an der Wand. Das
Mädchen sagt: „Ach, meine Schwestern sind tot“ und aus ihren Augen
fließt Blut anstatt Tränen. Sie sagt: „Du gottloser Kerl, ich werde
dich bestrafen“ und geht weiter.

Wir wollen die Geschichte nicht in die Länge ziehen. Der Alte kommt in
sein Zimmer und, wie das vorige Mal, sagt er zum Mädchen: „Ich hungere,
koche deine Schwester, wir wollen essen.“ Das Mädchen steht auf, nimmt
einen Leichnam, kocht die eine Hälfte im Herde, die andere nicht und
setzt sie vor. Der Alte nötigt das Mädchen, das Mädchen sagt: „Ich esse
kein Menschenfleisch.“

„Ja, was ißt du denn? Ißt du meinen Finger?“

Das Mädchen sagt: „Ich werde ihn essen.“

Sofort schneidet er seinen Finger ab und wirft ihn dem Mädchen vor. Das
Mädchen gibt ihn leise der unter dem Tisch liegenden Katze. Die Katze
verschluckt ihn. Wie das vorige Mal fragt er: „Mädchen, hast du den
Finger gegessen? Wenn du ihn nicht gegessen hast, werde ich dich
töten.“

Das Mädchen sagt: „Du kannst mich töten.“

Der Alte fragt: „Finger, wo bist du?“ Der Finger sagt: „Ich bin in
einem warmen Magen.“

Der Alte sagt: „Bravo, mein Mädchen, jetzt bist du mein Mädchen.“

Schließlich gewöhnt das Mädchen dem Alten das Menschenfleisch ab, holt
von draußen ein Lamm und sie essen es zusammen.

Eines Tages sagt der Alte: „Mädchen, damit du dich nicht langweilst,
nimm diese vierzig Schlüssel, öffne die vierzig Zimmer und wandere
ordentlich drin herum. Aber das einundvierzigste darfst du nicht
öffnen.“ Nach diesen Ermahnungen geht er aus. Das Mädchen steht auf,
öffnet die vierzig Zimmer und sieht, daß darin Diamanten, Juwelen,
Rubinen und allerlei Dinge sind. Sie sieht sich diese an. Dann war sie
aber neugierig auf das Zimmer, von dem er gesagt hatte: „Öffne es
nicht“, und sagte: „Ich will auch das öffnen.“ Sie kommt an das Zimmer,
öffnet es, tritt ein und sieht an der Decke einen Jüngling an den
Haaren aufgehängt, schön wie der Mond am vierzehnten. Man konnte es
nicht aushalten ihn anzusehen. Solch eine Schönheit hatte nicht
ihresgleichen. Als das Mädchen ihn sieht, wird sie bewußtlos und fragt:
„Bist du ein Geist oder etwas derartiges?“ Der Jüngling sagte: „Ich bin
ein Mensch.“

„Wer hat dich hier aufgehängt?“

Der Jüngling: „Der Zauberer hier wollte mich töten, er besiegte mich
und hängte mich, um es kurz zu sagen, hier an meinen Haaren auf.“ Das
Mädchen erzählte auch genau ihre Abenteuer und sagte: „Mein Held, gibt
es ein Mittel, ihn zu töten?“

Der Jüngling sagte: „Meine Prinzessin. Wenn jetzt der Zauberer kommt,
geh und sage: ‚Komm, ich will dir den Kopf nachsehen‘, schneide ihm
dann leise einige Kopfhaare ab. Dann fällt er in Schlaf. Das dauert
vierzig Tage. Am einundvierzigsten steht er wieder auf. Das mußt du
tun, dann lassen wir ihn hier und entfliehen zusammen. Dann sollst du
mein und ich dein sein.“ So beschließen sie. Das Mädchen schließt leise
ab und kehrt in das Zimmer des Zauberers zurück. Nach einiger Zeit
kommt der Zauberer und sagt zum Mädchen: „Hast du die Zimmer
angesehen?“ Das Mädchen sagt: „Ja, ich habe sie mir angesehen und mich
daran erfreut.“ Dann sagte sie: „Komm, ich will dir den Kopf
nachsehen.“ Der Zauberer legte seinen Kopf in den Schoß des Mädchens
und sie schnitt ihm leise seine Haare ab und nahm sie mit. Der Zauberer
schläft ein. Sofort legt das Mädchen seinen Kopf von seinem Schoße auf
die Erde und geht zu dem Zimmer, wo der Jüngling ist, löst ihm die
Haare, läßt ihn herunter und sagt: „Jetzt bist du mein und ich dein.
Wir dürfen nun nicht verweilen. Wollen fliehen.“ Sie nehmen noch von
dort alles, was leicht an Last und schwer an Wert ist, machen sich auf
den Weg und nach einundvierzig Tagen kommen sie in die Stadt und gingen
in das Haus des Mädchens. Dort pflegten sie der Liebe.

Diese wollen wir nun lassen und uns zum Zauberer wenden. Als für ihn
der einundvierzigste Tag war, wachte er auf und sieht sich nach allen
vier Seiten um. Als er das Mädchen nicht sieht, geht er nach oben in
das Zimmer, wo der Jüngling aufgehängt war. Weder der Jüngling noch das
Mädchen ist vorhanden. Er sagt: „Ach, du gottloser Bummler, hast das
Mädchen mit dir genommen und bist entflohen!“

Er macht sich voller Wut auf den Weg. Nachdem er einen Weg von vierzig
Tagen an einem Tage gemacht hat, kommt er in die Stadt, verkleidet sich
als Armer und geht vor die Tür des Mädchens und sagt: „Ach, Mädchen,
nimm mich um Gottes willen auf.“ Das Mädchen hielt ihn für einen Armen
und nahm ihn auf. Der Jüngling war außerhalb eingeladen. Nach einer
Stunde kommt er und merkt die Geschichte, als er diesen Armen sieht.
Der Jüngling stellt sich, als ob er nichts merkte, und geht in sein
Zimmer. Als es Abend wird, essen sie und geben dem Armen auch etwas.
Kurz, wir wollen die Geschichte nicht in die Länge ziehen. In der Nacht
schläft das Mädchen ein. Dem Jüngling kommt kein Schlaf in die Augen.
Um vier oder fünf hat der Zauberer auf die in dem Viertel wohnenden
Leute Totenerde gestreut und zog rings einen Kreis. Er ging zu dem
Jüngling und stellte ihm zu Häupten eine große Flasche mit Totenerde.
Der Jüngling fiel auch in Schlaf, so wie ein Toter. Dann ergriff der
Zauberer das Mädchen und schlug sie so mit einem Stocke, daß ihr
Schreien zum Himmel drang. Da sie keinen Platz zum Entfliehen fand, so
drehte sie sich, wie das Himmelsgewölbe um den Jüngling. Der Zauberer
lief ihr ohne Verweilen nach. Dem Mädchen blieb keine Kraft mehr. In
diesem Spektakel spaltete sich die Wand und eine Stimme rief: „Mädchen,
was säumst du? Zu Häupten des Jünglings steht eine Flasche, zerbrich
sie, und der Jüngling steht auf.“ Als das Mädchen dies hörte, zerbrach
sie die Flasche mit dem Fuße. Sofort wacht der Jüngling auf und sieht,
daß das Mädchen von dem Schlagen ganz blau ist und zum Himmel schreit.
Er sagte: „Bei Gott“, faßt den verfluchten Zauberer, hebt ihn hoch und
wirft ihn auf die Erde. Dann stößt er ihm einen Pfahl durch den Nabel
und verbrennt ihn ordentlich.

Danach verheiratet er sich mit dem Mädchen, und sie erreichten ihr
Verlangen. Damit ist unsere Geschichte zu Ende und somit Schluß.



10. DIE GESCHICHTE VOM DIEBE UND VOM TASCHENDIEBE


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In alten Zeiten hatte eine Frau zwei Männer, der eine war
ein Dieb, der andere ein Taschendieb. Diese hatten einander noch nie
gesehen.

Eines Tages will der Dieb verreisen und läßt sich von seiner Frau ein
Blech Pastete machen. Die Frau gibt die Hälfte dem Diebe. Als er sie
bekommen hat, macht er sich auf den Weg. Jetzt kommt der Taschendieb
nach Hause und sagt zu seiner Frau: „Frau, morgen werde ich verreisen.“
Die Frau gibt ihm die andere Hälfte der Pastete. Er nimmt sie und macht
sich auf den Weg. Nach einiger Zeit begegnet er dem Taschendiebe und
sagt: „Kamerad, wohin gehst du?“ Der Dieb antwortet: „Ich gehe nach
Aleppo, wollen Kameradschaft halten.“ Der ist auch damit einverstanden,
und sie machen sich gemeinschaftlich auf den Weg. Nach einiger Zeit
hungerten sie und sagten: „Komm, Kamerad, wollen ein wenig essen“ und
setzen sich hin. Der Dieb holt aus seinem Sack eine Pastete und legt
sie hin. Der Taschendieb holt auch aus seiner Tasche eine Pastete und
legt sie hin. Da sieht der Dieb, daß beide eine Pastete sind, auf einem
Bleche gebacken. Darauf sagt der Dieb: „Diese Pastete hat meine Frau
gemacht.“ Der Taschendieb sagt: „Meine Frau hat sie gemacht.“ Der Dieb
fragt: „Wie heißt deine Frau?“ Der Taschendieb sagt: „Meine Frau heißt
Nasime.“ Der Dieb sagt: „Das ist meine Frau.“ Der andere sagt: „Das ist
meine Frau.“ Sie erhitzen sich im Streit, und gehen in ihr Haus. Jetzt
sagt der Dieb: „Du, bist du nicht meine Frau?“ Die Frau sagt zu ihm:
„Ja.“ Der Taschendieb sagt: „Du, bist du nicht meine Frau?“ Die Frau
sagt zu ihm: „Ja.“ Da sagt der Dieb: „Seit so langer Zeit hast du zwei
Männer gebraucht, du Herumtreiberin! Sieh mal, hat sie es mir wohl
gesagt?“ Sie stehen auf, gehen zum Gericht und erzählen die Sache, wie
sie sich verhält, dem Herrn Richter. Der Richter antwortet: „Ihr müßt
beide eine Prüfung ablegen. Wer gewinnt, dem gehört die Frau.“ Die
gehen wieder in ihr Haus. Eines Tages sagt der Dieb zu seiner Frau:
„Gib deine Brosche her, wollen sie beim Goldarbeiter verkaufen und uns
Lebensmittel dafür kaufen.“ Der Taschendieb kam von draußen dazu. Der
Dieb nimmt die Brosche. Während er auf den Markt geht, gibt ihm der
Taschendieb einen Stoß, stiehlt ihm die Brosche und bringt sie nach
Hause. Der andere ahnt davon nichts, kommt zum Goldarbeiter, will sie
herausholen und zeigen. Da sieht er, daß die Brosche nicht da ist. Er
denkt: „Ich habe sie zu Hause gelassen“ und kehrt nach Hause um. Er
sagt: „Frau, ich habe die Brosche hier wohl vergessen, gib mir die
Brosche.“ Er nimmt sie, und während er geht, stiehlt sie ihm der
Taschendieb wieder bei Gelegenheit aus dem Busen und bringt sie nach
Hause. Der andere ahnt wieder nichts davon und bringt sie zum
Goldarbeiter. Als er sie geben will, sieht er, daß die Brosche nicht da
ist. Wieder denkt er: „Merkwürdig, ich muß sie wieder zu Hause
vergessen haben“ und kehrt wieder um, Zu Hause sagt er: „Frau, ich habe
wieder die Brosche vergessen. Gib sie, ich will sie ordentlich
verstecken.“ Er nimmt sie, während der Taschendieb aufpaßt, und bindet
sie ums Gesäß und geht auf den Markt. Währenddessen kommt der
Taschendieb, nimmt ihm den Fes weg und wirft ihn auf das Dach eines
Ladens. Der Dieb sieht ihn an: „Was tust du da, du ungebildeter Kerl?“
Der sagte: „Ach, Verzeihung, mein Herr, mir fiel meine Jugend ein.
Komm, ich werde auf deine Schulter steigen und ihn herunterholen.“ Der
Dieb sieht, daß seine Schuhe schmutzig sind und sagt: „Deine Schuhe
sind schmutzig. Ich werde auf deine Schulter steigen und ihn
herunterholen.“ Als dieser auf seine Schulter steigt, nimmt er ihm
leise die Brosche von seinem Gliede und steckt sie in seinen Busen.
Der Dieb kommt zum Goldarbeiter. Als er sie ihm geben will, sieht
er, daß die Brosche nicht da ist und ruft aus: „Nanu, was ist denn
das mit mir!“

Der Goldschmied sagt: „Willst du dich über mich lustig machen?“ Da wird
der Dieb zornig, geht nach Hause und sagt: „Hallo Frau, ich habe die
Brosche ordentlich verborgen; jetzt ist sie nicht da. Was ist das wohl
mit mir?“ Da kommt der Taschendieb und sagt: „Nun Bruder, hast du es
jetzt gesehen. Das ist meine Kunst. Nun zeige mir deine Kunst.“

Der Dieb sagt: „Folge mir.“ Sie stehen auf, gehen auf den Markt, kaufen
einen Korb Nägel und einen Hammer, gehen zur Nacht in das Schloß des
Padischahs, schlagen Nägel in die Wand, steigen hinauf und auf der
anderen Seite der Mauer hinunter. Im Garten war eine Gans. Der Dieb
ergreift sie, schlachtet sie und sagt zum Taschendieb: „Ich gehe jetzt
in das Zimmer des Padischahs und stehle alles, was dort an wertvollen
Gegenständen vorhanden ist. Du mache hier Feuer und brate die Gans.“

Der Dieb geht in das Zimmer, wo der Padischah ist. Da sieht er, daß der
Padischah auf seinem Bett liegt und sein Hofmeister zu seinen Füßen ihm
die Kniee reibt und gleichzeitig Mastix kaut, damit er nicht
einschläft. Der Dieb tritt unbeachtet ein, reißt sich ein Haar aus,
steckt es dem Hofmeister in den Mund und nimmt ihm leise den Mastix aus
dem Munde. Dann schläft der Hofmeister ein. Sofort legt er ihn in den
Korb und hängt ihn an der Decke auf, dann geht er hin und reibt die
Kniee des Padischahs und sagt zum Padischah: „Mein Padischah, ich werde
dir eine Geschichte erzählen, aber du darfst mir nichts tun.“ Der
Padischah befiehlt: „Erzähle.“ Er erzählt:

„Mein Padischah, einst gab es einen Dieb und einen Taschendieb. Beide
hatten eine Frau. In der Nacht gebrauchte sie den einen und am Tage den
andern. — Dreh die Gans um, damit sie nicht anbrennt. [17] — Als die
Sache bekannt wurde, kam sie vors Gericht. Dort sagte man: ‚Ihr müßt
eine Prüfung ablegen.‘ Der Taschendieb führte seine Sache aus. — Dreh
die Gans um, damit sie nicht anbrennt und unser Padischah es merkt! —
Der Dieb kommt in dies Schloß. Der Taschendieb briet die Gans, der Dieb
steckte den Hofmeister des Padischahs in einen Sack und hängte ihn an
die Decke. Er selbst ging zum Padischah und fing an ihm die Kniee zu
reiben. — Dreh die Gans um, damit sie nicht anbrennt!“ — Als der
Taschendieb dies draußen hört, sagt er: „Wenn der Padischah merkt, daß
ich die Gans brate, dann schlägt er uns beiden den Hals ab“, und seine
Hände und Füße fangen an zu zittern. Der Padischah sagt: „Hofmeister,
was soll das heißen: ‚Dreh die Gans um, damit sie nicht anbrennt!‘“ Er
antwortete: „Mein Herr, das ist eine Redensart. Dann, mein Padischah,
kamen sie hierher, verlangten weiter nichts, haben nur Ihre Gans
gegessen und aus Ihrem Schlosse nichts genommen und der Dieb hat soviel
Mut gezeigt. Wem fällt nun die Frau zu?“ Der Padischah sagte: „Dem
Diebe.“ Schließlich schlief der Padischah ein.

Sie gingen wieder in ihr Haus. Als der Padischah aufwachte, rief er
seinen Hofmeister. Es war nichts von ihm zu hören. Er fragte nochmals:
„Hofmeister, wo bist du?“

Er antwortete: „Ach, mein Herr, an der Decke bin ich.“

Da sagte der Padischah: „Ach, dann war der, der mir in der Nacht die
Geschichte erzählt hat, wohl der Dieb.“

Dann ließ der Padischah den Hofmeister herunterholen und sie merkten
die ganze Sache. Der Padischah befahl, daß Ausrufer von Viertel zu
Viertel gingen. Als der Taschendieb und Dieb dies sahen, sagten sie:
„Ja, wir sind es.“ Sofort brachte man sie vor den Padischah. Der
Padischah sagte: „Wer von euch ist der Dieb und wer der Taschendieb?“
Der Dieb sagte: „Mein Herr, ich bin der Dieb. Der Taschendieb ist mein
Kamerad.“

Der Padischah fragte: „Mein Sohn, warst du es, der in der Nacht neben
mir die Geschichte erzählt hat?“

Er antwortete: „Ja, mein Herr, das war ich.“

Man sah im Schlosse nach, nichts fehlte.

Der Padischah sagte: „Ich nehme dich als Diener an. Die Frau gehört
dir.“ Er gab dem Diebe und dem Taschendiebe tausend Piaster. Sie gingen
in ihr Haus. Der Taschendieb trennte sich von ihnen und ging in ein
anderes Land. Der Dieb heiratete von neuem seine Frau, und sie lebten
ruhig miteinander. Unsere Geschichte ist auch aus. Damit Schluß.



11. DIE GESCHICHTE VON DSCHEFA UND SEFA


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In alten Zeiten war ein gerechter Padischah. Dieser
Padischah hatte keine Nachkommen. Eines Tages verkleidete er sich mit
seinem Hofmeister und ging aus. Als sie an einer Quelle die Waschung
vollzogen und das Gebet verrichteten, kam von ungefähr ein Derwisch,
ging zu ihnen und sagte: „Friede sei über dir, mein Padischah.“ Da
sagte er: „Auch über dir Friede, Vater Derwisch. Da du weißt, daß ich
ein Padischah bin, so kennst du auch mein Verlangen.“ Der Derwisch
sagte: „Mein Padischah, du hast keine Nachkommen auf der Welt.“ Er nahm
einen Apfel aus seinem Busen und sagte: „Mein Padischah, nimm diesen
Apfel, schäle ihn und iß ihn mit der Königin. Die eine Hälfte gib ihr
und die andere Hälfte gib der Amme. Dann erhältst du einen Sohn. Aber
hüte dich, ihm einen Namen zu geben, bevor ich komme.“

Als der Padischah seine Hand in die Tasche steckt, um dem Derwisch Geld
zu geben, sieht er, daß der Derwisch verschwunden ist. Dann geht er ins
Schloß, schält den Apfel, gibt die Hälfte der Königin und die andere
Hälfte der Amme. Sie essen ihn und legen sich am Abend schlafen. Sie
bekommen Nachkommen. Nach neun Monaten und zehn Tagen bekommt der
Padischah einen Sohn, und auch die Amme bringt einen Knaben zur Welt.
Der Padischah gab den Armen viele Geschenke. Als schließlich der Prinz
und sein Gefährte vier oder fünf Jahre alt sind, schickt man sie zur
Schule, um etwas zu lernen. In der Schule nannte man ihn den namenlosen
Prinzen.

Eines Tages ärgerte sich der Prinz darüber, geht zu seinem Vater und
sagt: „Mein Vater, ich habe keinen Namen. Warum hast du mir keinen
Namen gegeben?“ Er antwortete: „Mein Sohn, du bist durch einen Derwisch
entstanden. Bevor der Derwisch kommt, kann ich die Angelegenheit mit
deinem Namen nicht ordnen.“

Die Minister hielten eine Sitzung ab und sagten: „Padischah, wer weiß,
wann der Derwisch kommt? Wollen die Angelegenheit ordnen.“ Da
antwortete er: „Sehr schön.“ Als man die Sache ordnen will, kommt der
Derwisch und sagt: „Mein Padischah, der Name des Prinzen soll Sefa, und
der des Gefährten Dschefa sein.“ Danach geht er weg. Die setzen nun
ordnungsgemäß ihren Unterricht fort.

Als eines Tages Sefa und Dschefa [18] in den Hofgarten gehen, sagt
Dschefa zu Sefa: „Ich will die Waschung vollziehen“ und geht weg. Als
Sefa sich nach allen Seiten umsieht, erscheint ein Derwisch, zieht aus
seinem Busen ein Bild und gibt es dem Prinzen. Der sieht, daß es ein
Mädchen, schön wie der Mond am vierzehnten, ist. Sofort verliebt er
sich in dieses Bild, fällt auf den Boden und wird ohnmächtig. Als er
nach einiger Zeit wieder zu sich kommt, geht er mit Dschefa ins Schloß.

Der Prinz wird krank und wird von Tag zu Tag bleicher und schwächer.
Obgleich Ärzte und Hodschas ihn behandeln, finden sie kein Mittel. Der
Padischah denkt: „Wenn jemand das Leiden des Prinzen kennt, so ist es
Dschefa.“ Er ruft ihn. Dieser steht ehrfürchtig mit
übereinandergeschlagenen Händen vor ihm. Der Padischah sagt: „Dschefa,
sage mir, was die Krankheit meines Sohnes ist. Ich gebe dir vierzig
Tage Frist, am einundvierzigsten schlage ich dir den Kopf ab.“

Dschefa geht zu Sefa und sagt: „Mein Prinz, Ihr Vater hat mir vierzig
Tage Frist gegeben. Sagen Sie mir, was Ihre Krankheit ist, denn am
einundvierzigstenTage wird er mich töten.“ Wie sehr er auch flehte, er
erhielt keine Antwort.

Am einundvierzigsten Tage sagte er: „Mein Prinz, heute ist der
Abschiedstag. Wollen uns gegenseitig verzeihen, was wir einander getan
haben.“ Dann umarmte er ihn, und aus seinen Augen floß Blut statt der
Tränen. Als Dschefa „Gott befohlen“ sagte und sich wandte, rief der
Prinz ihn zurück und sagte: „Komm, Dschefa, nimm dies Bild und gib es
meinem Vater.“ Dschefa nahm erfreut das Bild, ging zum Vater und sagte:
„Mein Padischah, eine frohe Botschaft! Der Prinz hat mir dies Bild
eines Mädchens gegeben.“ Er sieht, daß es die Tochter des Padischahs
von Jemen ist. Er geht zu Sefa und sagt: „Mein Sohn, warum hast du mir
nicht gesagt, daß du in die Tochter des Padischahs von Jemen verliebt
bist. Sollte ich ein Padischah sein und meinem Sohn nicht helfen
können?“ Dann rief er Dschefa und befahl: „Ich verlange von dir die
Tochter des Padischahs von Jemen.“ Sefa sagt: „Wo Dschefa ist, bin ich
auch. Wenn Sie erlauben, gehe ich mit Dschefa.“ Darauf verabschiedeten
sie sich von seiner Mutter, treffen die Vorbereitungen zur Reise,
besteigen die Pferde und machen sich auf den Weg. Allmählich kommen sie
an eine Quelle, lassen die Pferde auf der Wiese frei, und ruhen sich
etwas aus. Auf einmal sehen sie, daß eine alte Frau mit einem Kruge in
der Hand, um Wasser zu holen, kommt. Sie fragten die Mutter: „Mutter,
wie heißt dies Land?“ Sie antwortet: „Mein Sohn, dies Land heißt
Jemen.“ Als sie fragen: „Mutter, kannst du uns diese Nacht als Gäste
aufnehmen?“ antwortet sie: „Mein Sohn, ich habe kein Lager.“ Der Prinz
holt aus seiner Tasche eine Handvoll Goldstücke. Die Frau sagt: „Mein
Sohn, ich habe ein Lager, für die Pferde habe ich auch einen Stall.“
Sie gehen mit ihr ins Haus, binden die Pferde im Stalle an und steigen
nach oben.

Als sie in einem Zimmer verweilten, rief der Prinz die Mutter und
sagte: „Mutter, du fragst gar nicht, wie es mit uns steht.“ Sie sagte:
„Mein Sohn, erzähle doch.“ Er erzählte: „Ich bin der Sohn des
Padischahs von Stambul und habe mich in die Tochter des Padischahs von
Jemen verliebt. Deswegen bin ich in die Fremde gezogen. Ist sie
vielleicht hier?“ Sie antwortete: „Ja, mein Sohn, ich bin ihre
Lehrerin, in dieser Woche verheiratet sie sich mit dem Sohne des
Padischahs von Indien.“ Da seufzt er und alles verfinstert sich vor
ihm.

Am nächsten Tage bekommt die Frau Lehrerin die Nachricht: „Die
Prinzessin verlangt dich.“ Die Frau Lehrerin sagt: „Mein Sohn, ich habe
Besuch von draußen. Wie sollte ich den allein lassen.“ Da bekommt sie
Nachricht, daß sie ihren Besuch mitbringen soll.

Wir wenden uns jetzt zu Sefa und Dschefa. Da sie aus einem Apfel
entstanden waren, so waren sie sich sehr ähnlich. Die Frau Lehrerin
sagte: „Mein Sohn, was sagt Ihr, man hat Euch auch eingeladen. Kommt
bitte mit.“ Sefa sagt: „Bringe mir einen Feredsche und Jaschmak. [19]
Ich will mich anziehen und dann hingehen.“ Sie sagte: „Sehr schön.“ Sie
zogen einen Jaschmak und Feredsche an und gingen in das Schloß. Die
Tochter des Padischahs von Jemen, schön wie der Mond am vierzehnten,
stieg die Treppe hinab und ging ihnen mit ihren Sklavinnen entgegen.
Als Sefa sie sah, zitterten ihm Hände und Füße. Dann stiegen sie nach
oben und setzten sich in ein Zimmer, nahmen ihren Jaschmak und
Feredsche ab und unterhielten sich. Nachdem sie Kaffee getrunken und
geraucht hatten, sagte die Prinzessin: „Frau Lehrerin, woher ist dieser
Gast gekommen? und wer ist er?“ Sie antwortete: „Sie sind aus diesem
Lande und gehören zu meiner Verwandtschaft. Ich habe mich sehr dazu
gefreut.“

Am Abend sagte die Prinzessin: „Frau Lehrerin, bleibt als Gäste bei
mir. Ich werde euch nicht weglassen.“ Sie antwortete: „Ach, meine
Tochter, zu Hause ist ihre Mutter. Die weiß nichts davon, daß sie
hierhergegangen sind. Sie würde sich wundern. Morgen werde ich ihre
Mutter um Erlaubnis bitten und sie hierherbringen.“ Dann standen sie
auf und gingen nach Hause. In dieser Nacht schliefen sie. Am nächsten
Morgen lassen sie Sefa im Hause und gehen mit Dschefa ins Schloß.
Nachdem sie zu Abend gegessen hatten, geben sie der Frau Lehrerin ein
großes Zimmer und sie beide zogen sich in ein anderes Zimmer zurück,
zündeten goldene und silberne Leuchter an und setzten sich auf
Federkissen. Das Mädchen umarmt Dschefa und küßte ihn und sagte:
„Umarme mich auch und küsse mich auch.“ Dschefa tut das auch. Das
Mädchen sagt: „Das ist der Kuß eines Mannes.“ Schließlich gibt er sich
zu erkennen und setzt ihr alles von Anfang bis zu Ende auseinander, daß
der gestern Gekommene, der Sohn des Padischahs von Stambul sei, und daß
sie beide aus einem Apfel entstanden seien.

Die Liebe des Mädchens wurde noch größer und sagte: „Dafür muß ein
Mittel gefunden werden. Ach, Dschefa, morgen gehe ich als Braut des
Sohnes des Padischahs von Indien fort. Gegenüber, eine halbe Stunde
entfernt, ist eine Türbe. Ich gehe nicht, bevor ich nicht zuerst diese
Türbe besucht habe. Ihr müßt morgen von der Frau Lehrerin direkt zu der
Türbe gehen, dem Wärter etwas Geld geben, eintreten und mich erwarten.
Ich komme mit dem Wagen zur Türbe, steige aus, gehe allein in die
Türbe, lasse dich meine Brautkleider anziehen. Du besteigst den Wagen
und gehst als Braut zum Sohne des Padischahs von Indien. Ich entfliehe
von dort mit Sefa. Wir erwarten dich auf dem und dem Berge. Du
entfliehst eines Tages von dort und kommst.“ So beschlossen sie in
jener Nacht. Am Morgen geht Dschefa und die Frau Lehrerin wieder nach
Hause und erzählen dies alles im Geheimen dem Sefa. Sie geben der Frau
Lehrerin eine Anzahl Goldstücke und verabschieden sich. Sie verlassen
das Haus, gehen zur Türbe, geben dem Wärter eine Handvoll Goldstücke
und Sefa und Dschefa verbergen sich in einem Winkel der Türbe.

Wir wollen die Geschichte nicht in die Länge ziehen. Die Wagen kommen,
die Braut steigt bei der Türbe ab, betritt die Türbe, sieht, daß Sefa
und Dschefa dort sind. Sofort zieht sie, ohne zu verweilen, ihre
Kleider aus, gibt sie Dschefa. Als der von dort wieder zum Wagen
gekommen ist, umarmt man ihn und setzt ihn in den Wagen. Die Pferde
bekommen einen Peitschenschlag und man macht sich auf den Weg nach
Indien.

Eines Tages kommen sie nach Indien. Aus Freude, daß die Tochter des
Padischahs von Jemen als Braut für den Sohn des Padischahs von Indien
kommt, werden Kanonen abgeschossen und Freudenfeste abgehalten. Die
Türen des Schlosses werden geöffnet und man ging ihnen entgegen. Die
Sklavinnen fassen ihn unter den Arm [20] und führen ihn ins dritte
Stockwerk hinauf. Kurz, in jener Nacht bringt man Dschefa, in der
Meinung, daß er ein Mädchen sei, in das Brautgemach. In jener Nacht
zeigte er sich dem Bräutigam nicht gefällig. Am Morgen ging der Prinz
grollend weg, die vermeintliche Braut blieb im Schloß. Nach einigen
Tagen, während die Braut im Garten spazieren geht, erscheint von
ungefähr die Schwester des Bräutigams und sagte: „Ach, meine
Prinzessin, komm, wollen zu Gott bitten, vielleicht wird einer von uns
ein Mann.“ Das wäre für das Mädchen ein Glück gewesen. Dschefa betete
und das Mädchen sagte „Amen“. Sie untersuchten sich. Das Mädchen sagte:
„Bei mir ist nichts.“ Dschefa sagte: „Bei mir ist etwas geworden.“ Sie
umarmen sich und pflücken die reifen Küsse von ihren Wangen, die
anderen heben sie sich für später auf. [21]

Dschefa sagte: „Hier können wir nicht mehr bleiben. Wollen in mein Land
gehen.“ Sie besteigen die Pferde, und machen sich mit den Worten: „Wo
bist du, Sefa?“ auf den Weg.

Nach vier bis fünf Tagen erreichten sie sie. Sie fragten sich
gegenseitig nach ihrer Gesundheit und erzählten genau ihre Erlebnisse.

Die wollen wir nun verlassen und uns Indien zuwenden. Als es Abend
wird, sieht man, daß weder die Braut noch die Schwester des Bräutigams
im Schlosse sind. Ein Wehklagen entstand. Man rief die Besprecherin und
ließ sich aus dem Sande weissagen. „Ach, das zu uns gekommene Mädchen
ist ein Junge und hat gleichzeitig die Schwester des Bräutigams
mitgenommen.“ Sofort verzauberte die Besprecherin ein Pferd und sagte:
„Über sie soll der Tod, den ich sende, kommen.“

Das Pferd raste im schnellsten Galopp heran. Als es ihnen nahe war,
erschien der Derwisch und sagte: „Dschefa, nimm eine Handvoll Erde und
wirf sie auf das herankommende Pferd“ und verschwand. Plötzlich sieht
er ein Pferd, das nicht seinesgleichen in der Welt hat. Als er von der
Erde eine Handvoll Erde genommen und auf das Pferd geworfen hatte,
wurde es ein elendes Pferd. Die Besprecherin schickte einen Hirsch,
dessen Haare buntfarbig waren und dessen Geweih nach allen vier Seiten
Licht verbreitete. Solch ein entzückendes Tier war es. Sefa sagte:
„Dies Tier will ich ordentlich halten und meinem Vater als Geschenk
bringen.“ Dschefa nahm wieder eine Handvoll Erde vom Boden und warf sie
auf das Tier und machte wieder ein elendes Tier daraus. Der Prinz wurde
darüber Dschefa feindlich. Darauf verzauberte die Besprecherin einen
Drachen und schickte ihnen den. Aus seinem Maule und seiner Nase
sprühte Feuer, und er kam wie ein Blitzstrahl daher. Auch ihn bewarf er
mit Erde und vernichtete ihn.

Die brachen auf und machten sich auf den Weg. Nach ein paar Tagen kamen
sie nach Stambul. Als gemeldet wurde: „Mein Padischah, eine frohe
Botschaft! Der Prinz kommt!“, wurden Kanonen abgeschossen und
Freudenfeste abgehalten. Der Großvezier zog ihm entgegen und führte ihn
in den Palast. Da sagte er: „Mein Vater, jetzt kannst du den Dschefa
töten.“ Der Padischah befahl dem Henker. Der Henker faßte Dschefa an
der Hand und führte ihn auf den Berg, um ihm den Kopf abzuschlagen. Als
der Henker ihm ins Gesicht sah, konnte er es nicht übers Herz bringen.
Er tötete einen jungen Hund, tauchte Dschefas Hemd in das Blut, legte
Dschefa zwischen zwei Steine und brachte das blutige Hemde dem
Padischah. Als dem Prinzen dies nach einigen Tagen zum Bewußtsein kam,
rief er: „Wer hat auf der Reise für mich soviel Elend ertragen? Ach,
mein Dschefa, wo bist du?“ Er ging in die Berge, um ihn zu suchen.

Wir wollen uns nun zu Dschefa wenden. — Seit ziemlicher Zeit war der
Unglückliche zwischen den Steinen geblieben. Weder Brot noch Wasser
hatte er. Der Jüngling, der wie ein Stück Fels gewesen war, wurde wie
ein Zwirnfaden. In zwei Stunden erhob er einmal seinen Kopf und rief:
„Sefa, Sefa.“ Wer ihn sah, dem blutete das Herz.

Eines Tages zog eine Karawane dort vorüber, die hörte ein Gewimmer.
Obgleich man suchte, was das sei, fand man nichts und zog vorüber. Der
Prinz begegnete ihr und sagte: „Ach, Karawanenführer, hast du hier
niemand gesehen?“ Der Karawanenführer sagte: „Auf der Spitze jenes
Berges kam ein Gewimmer an mein Ohr. Ich habe nachgesucht aber nichts
gefunden. Was es war, weiß ich auch nicht.“

Sofort stieg der Prinz ohne Verweilen auf die Spitze des Berges. Er
hörte hin. Zwischen zwei Steinen hörte er alle zwei Stunden einmal eine
sehr feine Stimme: „Sefa, Sefa.“ Als der Prinz dies sah, zerriß sein
Herz. Sofort hob er mit Gewalt die beiden Steine voneinander und warf
sie zur Seite. Da sieht er, daß er wie ein sechs Monate altes Kind
geworden ist. Er sprach ihn an: „Dschefa, Dschefa, ich bin gekommen“
und gab sich zu erkennen. Sogleich umarmten sie sich. Dann geht er mit
Dschefa in eins der dort befindlichen Häuser, läßt Suppe kochen und
nachdem er ihn einige Tage ordentlich gepflegt hat, kommt er wieder zu
sich. Danach gehen sie von diesem Hause ins Schloß. Er verheiratete
sich mit der Tochter des Padischahs von Jemen und verheiratete die
Tochter des Padischahs von Indien mit Dschefa. Vierzig Tage und vierzig
Nächte dauerten die Hochzeitsfeierlichkeiten. In der Nacht auf den
einundvierzigsten Tag gingen die beiden Paare in das Hochzeitsgemach
und erreichten ihr Verlangen.

Den Rest ihres Lebens verbrachten sie im Glück. Diese Geschichte ist
nun auch zu Ende und damit Schluß.



12. DIE GESCHICHTE VON ALI DSCHENGIZ


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In alten Zeiten hatte eine Frau einen Sohn. Der war sehr
schön und hatte in der Welt nicht seinesgleichen. Er war auch sehr
geschickt. Diese Frau nahm den Jungen und brachte ihn ins Schloß. Eines
Tages langweilte sich der Padischah und sagte: „Kennt einer unter euch
das Ali Dschengizspiel?“ Das Kind sagte: „Mein Padischah, wenn Sie
erlauben, werde ich es lernen und wiederkommen.“ Der Padischah gab die
Erlaubnis und entsandte den Jüngling. Als der Bursche zum Hause des Ali
Dschengiz ging, traf er unterwegs einen Derwisch. Der sagte: „Mein
Sohn, wohin gehst du?“ Er antwortete: „Ich gehe, um das Ali
Dschengizspiel zu lernen.“ Da sagte der Derwisch: „Komm, mein Sohn, ich
werde es dich lehren.“ Er ging mit dem Sohn in die Berge. Nach einiger
Zeit kamen sie an eine Höhle und traten ein. Nachdem sie noch eine
Minute gegangen sind, kommen sie in das Zimmer, wo der Derwisch wohnt.
Nachdem sie dort etwas verweilt, langweilt sich der Bursche und geht
aus dem Zimmer. Während er umhergeht, kommt er an ein Zimmer dort in
der Nähe. Er tritt ein und sieht dort ein Mädchen, schön wie der Mond
am vierzehnten, dessen Augen voller Feuer sind. Das saß dort und
stickte. Der Bursche sagte: „Bist du ein Geist oder ein Dschinn?“ Das
Mädchen sagte: „Ich bin weder ein Geist noch ein Dschinn, ich bin ein
Mensch.“ Als er fragte: „Aber wie bist du denn hierher gekommen?“ sagte
sie: „Als Kind ging ich in die Schule. Eines Tages nahm mich dieser
Derwisch und brachte mich hierher. Wie sehr er sich auch bemühte, mich
zu unterrichten, ich sagte nie das nach, was er vorsagte. Schließlich
hat er mich in dies Zimmer eingesperrt.“ Dann zeigte sie ihm einen
Brunnen, der bis an den Rand mit Menschenleichen angefüllt war. Da
verliert der Bursche seine Besinnung. Als er wieder zu sich kommt,
ermahnte ihn das Mädchen: „Jüngling, wenn der Derwisch dich richtig
unterrichtet, lies du das Gegenteil, mache Fehler und lies nie
richtig.“ Der Bursche geht wieder dahin, wo der Derwisch sich befand.
Der sagte: „Komm, mein Sohn, ich will dich unterrichten“ und nimmt den
Jungen sich vor. Der Bursche kniet nieder und fängt an zu lesen. Wenn
der Derwisch Elif sagt, sagt er Stange, wenn er Be sagt, sagt er Wanne.
[22] Kurz, als er auf diese Art bis zum Schluß zu lesen anfängt, ärgert
sich der Derwisch, legt ihn hin und verprügelt ihn nach Herzenslust.
Dann läßt er ihn das Ali Dschengizbuch lesen, auch das liest er
verkehrt. Der Bursche lernt es vollständig auswendig, aber der Derwisch
sagt sich: „Er wird es nie lernen“, verprügelt ihn und jagt ihn auf
einen Berg.

Dann geht der Junge zum Hause seiner Mutter und sagt zu ihr: „Mutter,
morgen werde ich ein Pferd werden, nimm mich und verkaufe mich dem
Padischah, aber hüte dich, meinen Zaum zu geben.“ Am Morgen steht die
Mutter auf und sieht, — ihr Sohn ist im Stalle tatsächlich ein Pferd
geworden. Dann faßt sie ihn am Halfter, führt ihn zum Padischah,
verkauft ihn für 100000 Piaster, nimmt seinen Zaum und geht nach Hause.
Am Abend kommt ihr Sohn und sagt ihr: „Mutter, morgen werde ich ein
Widder sein. Wieder verkaufe mich wie das erste Mal dem Padischah.“ Am
nächsten Morgen ist der Sohn ein Widder geworden. Während sie ihn zum
Padischah führt, merkt es der Derwisch. Er sagt: „Weh, dies Schwein von
Junge hat mir meine Kunst gestohlen.“ Voll Wut vertritt er der Frau den
Weg und sagt: „Mutter, nimm dies Geld und verkaufe mir den Widder.“ Als
die Frau ihn auch dem Derwisch geben will, wird der Bursche ein Vogel
und fliegt davon. Sofort wird der Derwisch eine Taube und verfolgt ihn,
um ihn zu fangen. Die arme Frau bleibt ganz erstaunt stehen. Diese
kommen allmählich zum Schloß des Padischahs. Während der Padischah im
Gartenhaus sitzt und zuschaut, wird der Vogel ein Apfel und fällt dem
Padischah in den Schoß. Die Taube wird wieder ein Derwisch, tritt in
das Gartenhaus ein und sagt: „Mein Padischah, das ist mein Apfel.“ Der
Padischah sagt verwundert: „Nein, das ist mein Apfel.“ Als schließlich
der Padischah ihm den Apfel geben will, wird der Apfel Hirse in seiner
Hand und fällt auf den Boden. Der Derwisch wird ein Huhn und während er
anfängt die Hirse aufzupicken, wird die Hirse sofort ein Marder,
springt auf das Huhn und erwürgt es, schüttelt sich und wird wieder wie
früher ein Jüngling. Der Padischah sagt: „Ach, bist du es, mein Sohn?“
Er antwortete: „Ja, mein Padischah, das nennt man das Ali
Dschengizspiel. Jener Derwisch war mein Lehrer. Er bemühte sich, mich
zu töten, aber ich bin sein Meister geworden und habe ihn getötet.“

Die Sache gefiel dem Padischah sehr, er gab ihm 100000 Piaster und
machte ihn zum Pagen und schenkte ihm auch einen großen Palast.

Diese Geschichte ist nun auch aus und damit Schluß!



13. DIE GESCHICHTE VON DEM SCHÖNEN WASSERTRÄGER


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes. In alten Zeiten hatten ein Padischah und ein Vezir jeder
eine Tochter. Als sie eines Tages vom Fenster einander sehen und sich
unterhalten, kommt auf der Straße ein schöner Wasserträger vorbei. Die
Tochter des Padischahs sagt: „Schöner Wasserträger, schöner
Wasserträger, ist die Tochter des Vezirs schön oder bin ich es?“ Der
schöne Wasserträger sagt: „Meine Prinzessin, ihr seid beide schön, aber
die Tochter des Vezirs ist noch schöner.“ Dann geht er weiter. Darüber
wurde die Tochter des Padischahs böse auf die Tochter des Vezirs. Nach
einiger Zeit wird sie krank und legt sich hin. Der Padischah ruft Ärzte
und Hodschas, die das Mädchen untersuchen. Sie gibt den Ärzten eine
Handvoll Goldstücke und sagt zu einem: „Sage meinem Vater: ‚Wenn sie
nicht das Blut der Tochter des Vezirs trinkt, ist keine Rettung.‘“
Dieser Arzt geht sofort zum Padischah und sagt: „Mein Padischah, wenn
sie nicht das Blut der Tochter des Vezirs trinkt, wird sie nicht
gesund.“ Der Padischah läßt dem Vezir die Nachricht zukommen. Der Vezir
hatte Mitleid mit seiner Tochter, tötete eine junge Katze und schickte
ihr Blut hin. Dann ließ er einen Kasten aus Nußbaum machen der von
innen verschließbar war, legte das Mädchen hinein, brachte ihn auf den
Bitbazar und ließ ihn verauktionieren. Der schöne Wasserträger geht
gerade vorbei, sieht den Kasten, geht zum Auktionator, gibt das Geld
und nimmt den Kasten. Dann gibt er den Kasten einem Lastträger, geht
nach Hause und stellt den Kasten in sein Schlafzimmer. Am Morgen geht
der schöne Wasserträger weg. Das Mädchen steigt aus dem Kasten, fegt
ordentlich das Zimmer, macht das Bett und legt sich wieder in den
Kasten. Am Abend kommt der schöne Wasserträger und sieht, daß sein
Zimmer gefegt und sein Bett gemacht ist und überlegt: „Wer ist wohl
heute hierher gekommen?“ Schließlich legt er sich schlafen. Am Morgen
geht er wieder weg. Wie das vorige Mal fegt das Mädchen das Zimmer und
macht das Bett. Am Abend legt es sich wieder in den Kasten. Darauf
kommt der schöne Wasserträger wieder und sieht, — was siehst du? —
wieder ist sein Bett gemacht. Er dachte etwas nach und geht dann zu dem
Kasten und sagt: „Heh, Taugenichts, komm heraus, wer du auch seiest.“
Nichts rührt sich. Er legt sich wieder schlafen. Am Morgen holt er
Fleisch vom Schlächter, bringt es in sein Zimmer, legt es hin und sagt
zu sich: „Wenn Gott will, werde ich es mir kochen.“ Dann steht er auf
und geht weg.

Das Mädchen steigt aus dem Kasten, fegt das Zimmer, kocht das Fleisch,
legt es auf die Platte und beschäftigte sich damit, die Wäsche zu
waschen. Da kommt plötzlich der schöne Wasserträger, tritt ein und
sieht, daß das Mädchen Wäsche wäscht. Als das Mädchen ihn sieht, sagt
sie: „Ach“ und bedeckt ihr Gesicht mit ihrem Rocksaum. Der schöne
Wasserträger sagt: „Meine Prinzessin, jetzt bist du mein und ich dein,
ein Entrinnen gibt es nicht, du bist nun mir zugefallen.“ Sogleich holt
er einige Leute, verheiratet sich mit dem Mädchen und sie pflegten der
Liebe.

Eines Tages beladet der schöne Wasserträger vierzig Maultiere mit Geld
und schickt das Mädchen mit den Tieren zu seiner Mutter. Das Mädchen
geht dorthin und wohnte dort. Eines Tages schreiben die Leute des
Stadtviertels an den schönen Wasserträger: „Deine Frau ist eine Hure
geworden.“ Der schöne Wasserträger nimmt ein großes Messer in die Hand
und geht zum Hause seiner Frau. Als er in die Tür eintritt, geht das
Mädchen mit einem silbernen Leuchter in ihren Händen, ihm entgegen. Als
er sie töten will, wirft sich das Mädchen in einen Bach, der vor dem
Hause war. Der Bach führt sie ins Meer. Dort fischten drei Fischer. Sie
geht in das Netz und die Fischer ziehen sie heraus. Da sehen sie, — was
siehst du? — in dem Netz ist ein Mädchen. Sie fangen an sich zu
streiten, wer das Mädchen bekommen soll. Da sagt einer von ihnen: „Wir
wollen diesen Pfeil abschießen. Wer von uns ihn holt, dem soll das
Mädchen gehören.“ Dann schießen sie den Pfeil ab und die drei laufen
hinter dem Pfeil her. Da entflieht das Mädchen. Allmählich trifft sie
einen Juden. Der sagte: „Ei, mein Mädchen, mein Mädchen, nun werde ich
dich nehmen und nicht loslassen. Was sagst du nun?“ Das Mädchen gibt
dem Juden den Leuchter in seine Hände und entflieht. Allmählich kommt
sie an eine Quelle und setzt sich dort hin. Da erblickt sie der Sohn
des Padischahs, nimmt sie mit sich, und heiratet sie.

Jetzt sagt das Mädchen: „Prinz, diese Quelle laß schön herrichten, daß
derjenige, der daraus trinkt, mein Bild sieht.“ Der Prinz läßt die
Quelle, so wie das Mädchen es beschrieben hatte, herrichten. Nach
einigen Tagen kommen diese drei Fischer, um aus dieser Quelle Wasser zu
trinken. Als sie die Schönheit des Mädchens sehen, werden sie
ohnmächtig. Später kam dieser Jude. Auch der wird ohnmächtig, als er
Wasser trinkt.

Eines Tages kommt der schöne Wasserträger. Auch der wird ohnmächtig,
während er trinkt. Das Mädchen hat aus dem Fenster auf diese aufgepaßt,
es dem Prinzen gesagt. Der läßt sie hereinholen und einsperren.

Eines Tages geht das Mädchen mit dem Prinzen zu ihnen und sagte: „Mein
Prinz, diese Fischer haben mich aus dem Wasser gezogen, dieser Jude hat
mich beleidigt und dieser schöne Wasserträger war früher mein Mann.“ Da
sagte er: „Meine Prinzessin, ist es so?“ Dann gab er die Fischer frei,
ließ dann den Juden hinrichten und gab dann dies Mädchen dem schönen
Wasserträger wieder zurück und sagte: „Gehe und lebe vergnügt.“ Der
schöne Wasserträger brachte das Mädchen mit sich in sein Haus. Das
Mädchen erzählte ihm alles das, was ihm geschehen war. Der schöne
Wasserträger heiratete sie von neuem. Vierzig Tage und vierzig Nächte
dauerten die Hochzeitsfeste. In der einundvierzigsten Nacht ging er ins
Hochzeitsgemach. Sie erreichten ihr Verlangen.

Diese Geschichte ist auch zu Ende und damit Schluß.



14. DIE GESCHICHTE VON DER SCHWARZEN SCHLANGE


Die Geschichtenüberlieferer und die Märchenerzähler berichten
folgendes.

In alten Zeiten lebte ein gerechter Padischah. Dieser Padischah hatte
keine Nachkommenschaft und war sehr alt. Deswegen rief er eines Tages
seinen Vezir und sagte: „Mein Vezir, ich bin sehr alt geworden und habe
keinen Sohn. Wenn ich sterbe, wird mein Thron und meine Krone Fremden
zufallen.“ Der Vezir sagte: „Mein Padischah, Gott möge Euch langes
Leben geben, deswegen bekümmert Euch nicht. Morgen wollen wir uns
verkleiden und uns auf die Reise begeben. Vielleicht treffen wir
jemand, dessen Gebet heilkräftig ist, so daß Gott, der Erhabene, Euch
Nachkommen schenkt.“

Dem Padischah schien das gut und so verkleideten sie sich am folgenden
Tage und verließen am Morgen das Schloß, um spazieren zu gehen. Nachdem
sie etwas gegangen waren, kamen sie an eine Quelle. Um sich auszuruhen,
rasteten sie dort. Auf einmal sahen sie, daß von der gegenüberliegenden
Seite ein weißbärtiger, majestätischer Derwisch kommt, der einen weißen
Mantel trug. Dieser Derwisch begrüßte sie: „Heil sei über Euch, mein
Padischah.“

Nachdem der Padischah seinen Gruß angenommen hatte, sagte er: „Nun,
Großvater Derwisch, da du weißt, daß ich ein Padischah bin, weißt du
auch, was ich für ein Verlangen im Herzen trage.“ Der Derwisch zog aus
seinem Busen einen Apfel und sagte zum Padischah: „Mein Padischah, nimm
diesen Apfel, gib die Hälfte deiner Gemahlin, die andere Hälfte iß du,
und Gott wird euch einen Sohn geben.“ Damit verschwand der Derwisch.

Die nahmen den Apfel und kehrten in ihr Schloß zurück. Am Abend aß der
Padischah die eine Hälfte des Apfels und die andere seine Gemahlin,
dann vollzogen sie den Beischlaf, und die Königin wurde schwanger. Nach
neun Monaten und zehn Tagen bekam sie die Wehen und man rief die
Hebamme. Als die Königin ihre Leibesfrucht zur Welt bringt, sieht man,
daß es eine schwarze Schlange ist, die sogleich in dem Augenblick, wo
sie geboren ist, die Hebamme beißt und tötet. Man ruft eine zweite
Hebamme, auch die tötet sie. Im ganzen Reiche gab es keinen, den sie
nicht getötet hätte. Die Eunuchen des Harems suchen an allen Türen eine
Hebamme. Sie kommen an die Tür eines Hauses und sagen: „Mutter, ist
hier keine Hebamme?“

Nun hatte diese Frau eine Stieftochter, der sie sehr feind war. Sie
sagte: „Meine Söhne, ich habe hier eine Tochter. Die ist Meister in der
Hilfe beim Kindergebären.“

Als sie das hörten, sagten sie: „Mutter, gib deiner Tochter die
Erlaubnis, daß sie mit uns in das Schloß gehe.“ Die Frau rief das
Mädchen und sagte: „Meine Tochter, man hat dich aus dem Schloß gerufen,
gehe und hilf der Königin bei der Geburt.“ Das arme Mädchen stand wohl
oder übel auf. Unterwegs kam sie am Grabe ihrer Mutter vorbei und
sagte: „Mütterchen, Mütterchen, meine Stiefmutter schickt mich in das
Schloß, um das Kind gebären zu helfen, jetzt gehe ich in den Tod.
Mütterchen, hilf mir!“

Da kommt aus dem Grabe eine Stimme: „Meine Tochter während du in das
Schloß gehst, tue Milch in eine Kiste und, wenn du zur Königin gehst,
mußt du die Milch vor sie halten. In ihrem Bauche ist eine schwarze
Schlange. Wenn sie herauskommen und sich auf dich stürzen will, nimm
die Kiste und, sobald die Schlange hineingefallen ist, schließe den
Deckel und gib sie dem Padischah.“

Das Mädchen freute sich, nahm eine Kiste, ging damit zum Schloß und kam
zur Königin. Als diese ihre Leibesfrucht gebären wollte, kam aus ihrem
Bauche eine schwarze Schlange und wollte sich auf das Mädchen stürzen.
Da hielt das Mädchen ihr die Milchkiste entgegen, die Schlange fiel
hinein. Das Mädchen schloß den Deckel und brachte sie dem Padischah.
Als der Padischah das sah, wunderte er sich sehr und gab dem Mädchen
sehr viel Bachschisch. Das Mädchen verließ das Schloß, ging nach Hause
und gab den vom Padischah erhaltenen Bachschisch der Frau.

Die wollen wir nun verlassen und uns zu dem in der Kiste liegenden
Prinzen wenden. Eine Sklavin wurde für ihn bestimmt. Jeden Tag gab man
ihm Mark und ernährte ihn damit.

Als der Prinz vier oder fünf Jahre alt wurde, sagte er zu der Sklavin:
„Sage meinem Vater, er soll mich in die Schule schicken.“ Darauf ging
die Sklavin zum Padischah und sagte: „Mein Herr, der Prinz möchte in
die Schule geschickt werden.“ Der Padischah sagte: „Sehr schön“ und
rief am nächsten Tage einen Lehrer. Als der kommt, holt er die schwarze
Schlange aus dem Kasten heraus. Während sie dem Lehrer gegenüber liegt
und er sie unterrichtet, beißt sie ihn. Er stirbt sofort. Ein anderer
Lehrer wird gerufen. Auch den tötet sie.

Kurz, auf der Erde bleibt kein Lehrer übrig; alle tötet sie. Eines
Tages beruft der Großvezir eine Versammlung und sagt: „Mein Padischah,
die Hebamme des Prinzen, wer sie auch sei, muß ihn unterrichten. Ein
anderer kann das nicht.“

Dies Wort gefiel dem Padischah, und er schickt seine Diener zu der
Hebamme. Als das Mädchen von Hause geht, geht es zum Grabe seiner
Mutter, wehklagt und sagt: „Mütterchen, Mütterchen, ich habe so
gehandelt, wie du mir beschrieben hast. Ich habe die Schlange
herausgezogen. Jetzt sucht man einen Lehrer, sie zu unterrichten. Alle
Lehrer hat sie gebissen und getötet. Nun ruft man mich. Ich weiß nicht,
was ich tun soll.“ Da kommt eine Stimme aus dem Grabe: „Meine Tochter,
fürchte dich nicht! Brich einundvierzig Rosenstämme ab. Wenn du zu der
Schlange gehst und sie sich auf dich stürzt, schlage sie mit den
vierzig, und mit dem einen stich sie.“

Nachdem das Mädchen einundvierzig Rosenstämme genommen hat, geht sie
ins Schloß in das Zimmer, wo der Prinz sich befindet. Sofort holt man
die schwarze Schlange aus der Kiste und bringt sie zum Mädchen. Das
Mädchen öffnet das Buch, das den Koranabschnitt enthält, und
unterrichtet sie. Wenn die Schlange sich auf sie stürzen will, schlägt
das Mädchen sie mit dem Stock. Der Prinz beruhigt sich etwas und auf
diese Art unterrichtet sie ordentlich den Prinzen. Man bringt dem
Padischah die frohe Nachricht: „Der Prinz hat ausgelernt.“ Der
Padischah geht hin, gibt dem Mädchen reichlich Geld. Das Mädchen nimmt
das Geld, geht nach Hause und gibt das Geld seiner Stiefmutter.

Wir wollen nun diese verlassen und uns zum Prinzen wenden. Nachdem der
Prinz vierzehn oder fünfzehn Jahre alt geworden ist, geht er eines
Tages zu seinem Vater und sagt: „Vater, verheirate mich.“

Wohl oder übel nimmt der Vater ein Mädchen und verheiratet sie mit ihm.
Nachdem man sie ins Hochzeitsgemach gebracht hat, sticht die Schlange
das Mädchen und tötet sie. Am Morgen sieht man, daß das Mädchen tot
ist. Wir wollen die Geschichte kurz machen. Wieviel Mädchen man ihm
auch gibt, er tötet sie alle, so daß auf der Erde kein Mädchen mehr
bleibt.

Eines Tages ruft der Großvezir einen Ministerrat zusammen und sagt:
„Mein Padischah, so geht es nicht weiter. Gebt ihm das Mädchen, das ihn
unterrichtet hat. Eine andere fruchtet nicht.“ Das Wort gefiel dem
Padischah und er benachrichtigte das Mädchen.

Das Mädchen geht von Hause zum Grabe seiner Mutter, wehklagt und sagt:
„Mütterchen, Mütterchen. Ich habe ihn unterrichtet, wie du angegeben
hast. Jetzt will man mich ihm verheiraten. Ich weiß nicht, was jetzt
aus mir wird.“ Während sie wehklagt, kommt aus dem Grabe eine Stimme:
„Meine Tochter, fürchte dich nicht, nimm die Haut von vierzig
Stachelschweinen und ziehe sie an. Wenn die schwarze Schlange, nachdem
du das Hochzeitsgemach betreten hast, kommt und dich angreift, sich
dann sticht und sagt: ‚Zieh dich aus,‘ dann mußt du sagen: ‚Zieh du
auch deine Kleider aus, dann werde ich meine auch ausziehen.‘ Fängt
dann die Schlange an, ihre Haut auszuziehen, und ist sie damit fertig,
dann wirf die Haut in ein Kohlenbecken und verbrenne sie, dann wird die
Schlange ein Jüngling, schön wie der Mond am vierzehnten. Danach sei
ihm willfährig.“

Das Mädchen geht, nimmt die Haut von vierzig Stachelschweinen, zieht
sie an und geht ins Schloß. Sogleich verheiratet der Padischah sie mit
dem Prinzen und bringt sie ins Hochzeitsgemach. Das Mädchen zündet ein
Kohlenbecken an und läßt es vor der Tür des Zimmers und tritt ein.

Die Schlange kommt herein, stürzt sich auf das Mädchen, sticht sich an
der Stachelschweinhaut und sagt: „Mädchen, zieh deine Kleider aus.“ Das
Mädchen sagt: „Zuerst zieh du deine Kleider aus, dann werde ich meine
ausziehen.“ Da fängt der Prinz an, seine Kleider völlig auszuziehen.
Als er sie ausgezogen hat, nimmt das Mädchen die Kleider, wirft sie ins
Feuer und verbrennt sie. Da sieht sie, daß er ein Jüngling, schön wie
der Mond am vierzehnten, ist. Das Mädchen zieht seine Kleider aus, ist
dem Prinzen willfährig, und sie umarmen sich. Am Morgen kommen der
Vater und die Mutter des Prinzen und wundern sich, als sie das sehen,
und danken Gott sehr.

Der Prinz und das Mädchen lebten lange Zeit miteinander. Eines Tages
geht der Prinz zu seinem Vater und sagt: „Vater, ich will jetzt in die
Fremde gehen. Wenn Gott will, komme ich in zwei Monaten ungefähr
wieder“, steht auf, geht zum Mädchen, küßt sie auf die Augen,
verabschiedet sich und verläßt das Schloß. Nach einem Monat schickt er
seiner Mutter einen Brief.

Die Sklavinnen in dem Schloß waren auf das Mädchen neidisch, schrieben,
um es zu töten, einen Brief, legten ihn in den Brief des Prinzen und
gaben ihn der Königin. Die Mutter denkt: „Von meinem Sohn ist ein Brief
gekommen, öffnet ihn und sieht, daß zwei Briefe darin sind. Sie liest
den ersten: er enthält nur Grüße. Sie öffnet den andern und liest ihn.
Darin steht geschrieben: „Schlagt meiner Frau die Hände und Füße ab und
werft sie hinaus.“ Als die Mutter das las, wunderte sie sich. Nun hatte
das Mädchen an der Tür gehorcht, tritt ein und sagt: „Mutter, bevor mir
die Hände und Füße abgeschlagen werden, will ich gehen.“ Dann verläßt
sie das Schloß und geht in die Berge.

Nach einiger Zeit kommt sie an einen Ort, wo Särge stehen, sie tritt
ein und legt sich schlafen. Als sie sich umsieht, erblickt sie in einem
Sarge neben sich, einen Jüngling liegen. Der Jüngling steht auf, geht
zum Mädchen und sagt: „Heh, Mädchen, wie bist du hierher gekommen, ohne
dich zu fürchten? Jetzt wird eine Taube kommen. Wenn die dich hier
sieht, tötet sie dich. Aber komm her, ich werde dich in diesem Sarge
verstecken.“ Er nimmt das Mädchen, geht an den Platz, wo die Särge
stehen, dort umarmen sie sich und vereinen sich. Da wurde das Mädchen
von diesem Jüngling schwanger. Dann geht der Jüngling in seinen Sarg
und legt sich schlafen. Nach einiger Zeit kommt eine Taube und bringt
dem Jüngling Nahrung und fliegt wieder davon. Kurz, er ißt mit dem
Mädchen von der Nahrung, die der Vogel gebracht hat, und sie leben
vergnügt. Als die Zeit zu gebären für das Mädchen kommt, sagt der
Jüngling: „Mädchen, jetzt gehe auf diesem Wege gerade aus. Dann kommt
eine Quelle. An diese Quelle setze dich. Vor ihr ist ein Palast. Von
dort kommt ein Mädchen, um Wasser zu holen. Du mußt ihr sagen:
‚Bachtijars wegen nehmt mich in das Haus, ich werde gebären.‘ Sie
werden dich aufnehmen und du wirst in meinem Zimmer niederkommen, dann
werde ich kommen und dem Kinde einen Namen geben.“

Das Mädchen stand auf, ging zu der beschriebenen Quelle, stieg auf den
Stein und wartete. Nach einiger Zeit kommt aus dem Palast eine Sklavin
mit schön gearbeiteten Holzschuhen und zwei Wasserbehältern in ihren
Händen, um Wasser zu holen. Als das Mädchen die Sklavin sieht, sagt
sie: „Ach, Schwester, Bachtijars wegen nehmt mich auf, ich werde
gebären.“ Die Sklavin ging ins Schloß und erzählte es der Königin. Die
sagte: „Ach, meine Tochter, die Dame kennt meinen Sohn Bachtijar und
hat auch bei ihm geschworen, sofort bringe sie her.“ Die Sklavin ging
wieder zu dem Mädchen und sagte: „Ach, Schwester, ich habe es der
Herrin gesagt. Sie will dich sehen. Komm, wir wollen gehen.“ Sie gehen
in das Schloß, steigen die Treppen hinauf und das Mädchen geht zu der
Königin. Das Zimmer ihres Sohnes Bachtijar war leer. Sie bringt das
Mädchen ordentlich in dem Zimmer unter. Dort kommt sie nieder und
bringt einen allerliebsten Jungen zur Welt. Um Mitternacht kommt der
Jüngling und sagt: „Meine Prinzessin, mein Sohn soll Havbetjar heißen.“
Dann geht er wieder. In der zweiten Nacht legt die Schwester des
Jünglings das Kind in die Wiege. Als sie es zum Schlafen gebracht hat,
kommt der Jüngling und fragt: „Meine Prinzessin, was macht mein
Havbetjar?“ Das Mädchen antwortete: „Deine Schwester wiegt ihn, er
schläft, mein Bachtijar.“ Nun hörte der Jüngling seine Schwester von
innen und geht weg. Am nächsten Morgen geht die Schwester hin und
erzählt der Mutter und der älteren Schwester alles. Die Mutter sagt:
„Ach, mein Sohn ist mir seit seiner frühsten Kindheit genommen. Das
Mädchen, das wir aufgenommen haben, ist in sein Zimmer gekommen, und
sie pflegen dort der Liebe. Aber morgen in der Nacht werde ich kommen
und das Kind wiegen.“ In der zweiten Nacht kommt die älteste Schwester
des Jünglings ins Zimmer und wiegt das Kind. Als das Mädchen
hinausgegangen ist, kommt der Jüngling und sagt: „Meine Prinzessin, was
macht mein Havbetjar?“ Das Mädchen sagt zu Bachtijar: „Deine ältere
Schwester wiegt es, es schläft.“ Die ältere Schwester des Jünglings
hatte von innen gelauscht. Dann geht der Jüngling. Am Morgen geht sie
in das Zimmer des Mädchens und ist sehr freundlich mit ihr. An der
Decke des Zimmers nagelten sie einen schwarzen Stoff, aus einem Stück,
und ließen darauf aus ausgestreuter Bronze dreieckige Sterne machen. Um
Mitternacht kam der Jüngling und sagte: „Meine Prinzessin, was macht
mein Havbetjar?“ Das Mädchen sagte: „Deine Mutter wiegt ihn, er
schläft, mein Bachtijar.“ Sogleich kommt seine Mutter aus dem Zimmer,
umarmt den Sohn und nimmt ihn hinein. Der Jüngling sagt: „Mutter, ich
will nun wieder an meinen Platz gehen. Wenn der Vogel sieht, daß ich
hierhergegangen bin, tötet er mich.“ Die Mutter sagte: „Mein Sohn, es
ist noch früh. Sieh, die Sterne stehen noch.“ Der Jüngling hielt das
für wahr und sie setzten sich mit der Mutter hin. Am Morgen kommt der
Vogel, schlägt ans Fenster und sagt: „Heh, mein Bachtijar, die Mauer,
die ich berührt habe, soll einfallen.“ Kaum sagt er das, da fällt die
Mauer mit Krachen ein. Der Vogel sagt wieder: „Die Zweige, auf denen
ich sitze, sollen vertrocknen.“ Da trocknet der Baum ein und seine
Blätter fallen ab. Während der Vogel so aus Wut immer weiter sprach,
zerplatzte er.

Da sagte der Jüngling: „Gott sei Dank, der Vogel ist tot und ich bin
gerettet.“ Die Mutter umarmte ihren Sohn und küßte ihn auf die Augen
und verheiratete dies Mädchen mit ihm. Vierzig Tage und vierzig Nächte
dauerten die Hochzeitsfestlichkeiten. In der Nacht auf den
einundvierzigsten Tag führte man Bachtijar in das Brautgemach. Dort
vergnügten sich die beiden.

Nach einigen Monaten ging Bachtijar in das Kaffeehaus der Stadt und
setzte sich dorthin. Die mögen nun dort sitzen. Wir wollen uns zum
Prinzen wenden.

Als er von seiner Reise heimkehrte, ging er zu seiner Mutter, küßte ihr
die Hand und fragte sie nach ihrem Befinden. Danach sagte sie: „Mein
Sohn, du hattest einen Brief geschrieben, wir sollten dem Mädchen Arme
und Beine brechen. Als das Mädchen das hörte, kam sie zu mir und sagte:
‚Mutter, bevor du mir Hände und Beine brichst, will ich gehen‘, verließ
das Schloß und ging in die Berge. Ist es nicht schade um das Mädchen?
Warum hast du das getan?“

Als der Prinz das hörte, sagte er: „Aber Mutter, ich habe derartiges
nicht geschrieben. Da ist sicherlich eine Feindseligkeit im Spiele.
Danach soll mir nun der Aufenthalt hier verwehrt bleiben.“

Dann ging er weinend weg in die Berge, um das Mädchen zu suchen.
Schließlich kam er in das Land Bachtijars und kehrte am Abend in das
Kaffeehaus der Stadt ein. Er grüßte und setzte sich. Nun war auch
gerade Bachtijar in dem Kaffeehause. Als der Prinz den Leuten dort
diese Angelegenheit erzählte, vernahm Bachtijar die Sache. Sofort ging
er zu dem Prinzen und fing an ihn genau auszufragen. Nach einiger Zeit
verstand er alles. Er sagte: „Mein Prinz, besuchen Sie mich. Wir wollen
eine Schale Suppe miteinander trinken.“ Der Prinz sagte: „Komm, wollen
gehen.“ Sofort verließen sie das Kaffeehaus, gingen in den Palast und
blieben in einem Zimmer. Nachher aßen sie die Mahlzeit und nachdem sie
es sich bequem gemacht hatten, erzählte Bachtijar dem Prinzen die Sache
von Anfang bis zu Ende. Dann ging Bachtijar aus dem Zimmer und sagte zu
dem Mädchen: „Meine Prinzessin, der eben Angekommene ist dein erster
Mann. Ich werde hineingehen und mich hinsetzen. Du überlege es dir,
komme durch die Türe herein und gehe zu dem, den du von uns beiden
willst, und setze dich da hin. Aber wisse, wenn du weggehst, werde ich
dir das Kind nicht geben sondern hier behalten.“ Da trat er ein und
setzte sich auf das Polster. Sie sah durch den Spalt der Türe. Als sie
den Prinzen sah, trat sie ein, ging sofort zu dem Prinzen und setzte
sich neben ihn. Als Bachtijar dies sah, sagte er: „Gott möge seinen
Segen geben, mein Prinz“, blieb nicht mehr länger im Zimmer und ging
hinaus.

Der Prinz blieb die Nacht dort, am Morgen nahm er das Mädchen mit sich
und brachte es ins Schloß. Das Mädchen erzählte die ganze Sache dem
Prinzen. Dann wurde in der Nacht von neuem die Ehe geschlossen. Vierzig
Tage und vierzig Nächte dauerten die Hochzeitsfestlichkeiten. In der
Nacht auf den einundvierzigsten Tag trat er in das Hochzeitsgemach und
die beiden Verliebten erreichten ihr Verlangen. Die Geschichte ist
damit nun auch aus und damit Schluß.



15. DER DANKBARE FUCHS


Einst lebte ein Müller, der eine große Liebhaberei für Hühner hatte. Er
hielt sich drei bis fünf Hühner. Ein Fuchs kommt und frißt sie auf. Ein
paar Tage sah er sich das an, dann grub er eine Grube und setzte die
Hühner dort hinein. Der Fuchs kommt, sieht, daß die Hühner in der Grube
sind, springt hinein, sieht sich um, kann aber die Hühner nicht
fressen. — Wenn er sie gefressen hätte, würde er von dem Müller Prügel
bekommen haben.

Am Morgen kommt der Müller und sieht die Geschichte. Der Fuchs sagt in
der Grube: „Ach, schlage mich nicht. Ich werde dir eine Wohltat tun,
fasse mich an der Hand.“ Der sagt: „Du Verfluchter, du hast mir meine
Hühner aufgefressen. Was für eine Wohltat solltest du mir wohl
erweisen?“ Er sagt: „Ach, fasse mich nur an. Ich werde dir wirklich
eine große Wohltat erweisen.“ Da faßt er den Fuchs an der Hand und
zieht ihn heraus. Sie gehen beide zur Mühle. Der Fuchs sagte zum
Müller: „Du, setze dich hier hin und gib mir fünf bis zehn
Medschidije.“ [23] Der gab ihm die fünf bis zehn Medschidije. Der Fuchs
nahm sie und ging zum Schloß des Padischahs von Indien. Als er
angekommen ist, klopft er an die Tür. Der Diener kommt heraus.

Der Fuchs sagt: „Der Staubpadischah läßt grüßen. Wollt Ihr Euer Maß zum
Medschidijemessen ihm geben? Unser Staubpadischah wird die Medschidije
messen und ich werde es wieder bringen.“ Dann nimmt er das
Medschidijemaß und macht sich auf den Weg. Drei bis fünf Tage verweilt
er irgendwo, dann geht er wieder zum Schloß des Padischahs von Indien,
legt die Medschidije in das Maß und übergibt es mit den Worten: „Da
habt ihr euer Maß!“ Man fragt: „Was sollen diese Medschidije?“ Er
antwortet: „Davon hat er bergeweise. Komm nur und sieh sie dir an. Es
macht nichts.“ Er gab das Maß mit den Medschidije dem Padischah von
Indien, kehrte um, und kam wieder zum Müller.

Einen Tag verweilte er, am zweiten Tage sagte er: „Gib mir fünf bis
zehn Goldpfunde!“ Der Müller sagte: „Du willst mich wohl bankrott
machen? Mach, daß du weg kommst. Ich gebe dir nicht die Pfunde.“ Der
Fuchs sagte: „Aber, Staubpadischah, überlege dir doch, was ich dir für
eine Wohltat erweisen werde. Geh, sei nicht so, gib mir die fünf bis
zehn Pfunde.“ Der gab unwillig die fünf bis zehn Pfunde. Der Fuchs nahm
sie und ging wieder zum Schloß des Padischahs von Indien und klopfte
an. Die Diener kamen heraus. Er sagte: „Gebt mir euer Maß zum
Pfundemessen. Unser Herr Staubpadischah will Pfunde messen. Gebt das
Maß; ich bringe es gleich wieder.“ Er nahm das Pfundmaß und ging weg.
Unterwegs verweilte er irgendwo drei bis fünf Tage, dann lief er wieder
zu dem Schloß des Padischahs von Indien und klopfte an die Tür. Der
Diener kam heraus. Der Fuchs hatte die Pfunde hineingelegt und übergab
es so. Die Diener sagten: „Was sollen diese Pfunde?“ Er antwortete:
„Davon hat er haufenweise wie auf einer Tenne.“ Dann kehrt er wieder
zum Müller zurück. Der fragt: „Wo sind meine Medschidije und Pfunde,
die ich dir gegeben habe?“ Der Fuchs antwortet: „Warte nur! Die Schärfe
des Rettigs kommt erst nachher zum Vorschein.“ Dann erbittet er sich
zehn Tage Urlaub und geht in die Stadt. Der Fuchs läßt die Ausrufer
ausrufen: „Jeder soll sich bereit halten! Wir wollen zur Tochter des
Padischahs von Indien gehen, um Scherbet zu trinken.“ Der Ausrufer ruft
aus: „Am dritten Tage soll jeder da und da hin gehen!“ Am dritten Tage
machen sie sich zu Fuß auf den Weg und tun so, als ob
Fünfhunderttausend auf Pferden und Maultieren hinter ihnen wären. Der
Fuchs vor ihnen als Oberherold — der Fuchs ist natürlich nun schon
Herold geworden. — Der Fuchs führt sie drei bis fünf Tage. Er kommt in
einen großen Morast. Ein Regenguß kam und ertränkte viele Menschen in
dem Sumpf. Er selbst eilt vor und kommt zum Padischah von Indien und
sagt: „Gott sei Dank! Es ist niemand gestorben. Aber soviel Sachen und
Schmuckgegenstände sind verloren gegangen.“ Da sagt der Padischah von
Indien: „Geht zu den Schneidern, nehmt alles zusammen, was an Kleidern
vorhanden ist. Für soviel Menschen sollen neue Kleider kommen.“
Besonders für den Staubpadischah kommt ein Kleid, das sich nicht
beschreiben läßt. Der Padischah befiehlt: „Der Schneider soll es
nähen!“ Es wird genäht. Alles wird auf Wagen und Landauern verladen und
dorthin gebracht. Der Herold Fuchs eilt voraus und kommt dort schnell
an und sagt: „Ich habe eine feine Geschichte eingefädelt.“ Dann eilt er
wieder zu den Wagen zurück und sagt: „Macht schnell, soviel Leute
liegen im Freien.“ Sie nehmen die Wagen und Landauer und kommen zu
jenen Leuten. Die steigen ein und kommen zum Schloß des Padischahs von
Indien. Draußen werden Zelte aufgeschlagen. Fünfzehn bis Zwanzig treten
ein, für einen jeden werden die Zelte verteilt. Der Padischah von
Indien fragt: „Was ist das für eine Menge?“ Der Herold Fuchs kommt
sofort und sagt: „Das ist das Gefolge des Staubpadischahs.“ Dann geht
er wieder zu ihnen und sagt: „Vorwärts, sie sollen gehen und um die
Tochter des Padischahs von Indien werben!“ Da gehen fünf bis zehn
Hodschas für den Staubpadischah zum Schlosse des Padischahs von Indien
und sagen: „Auf Allahs Befehl wünschen wir von dir deine Tochter für
den Herrn Staubpadischah. Was wirst du sagen?“ Der antwortet: „Wenn es
das Schicksal so will, was soll ich sagen?“ Dann trinken sie Scherbet,
erheben sich und gehen wieder zurück. Der Fuchs sagt: „Geben Sie mir
drei Tage Urlaub.“ Sein Herr gibt ihm Urlaub. Am Vierten kommt der
Herold Fuchs zurück, geht zum Padischah von Indien und sagt: „Mein
Herr, wir wollten die Hochzeit zurichten, haben aber, als wir
hierherkamen, soviel Waren und Sachen und so viele Pfunde durch den
Regenguß verloren.“ Da sagt der Padischah von Indien: „Das macht
nichts, wenn wir auch nicht viel Geld haben, so wollen wir doch die
Hochzeit hier machen.“ Sie fingen an, die Hochzeit zuzubereiten.
Vierzig Tage und vierzig Nächte dauert die Hochzeit. Alle Kosten
bezahlt der Padischah von Indien. Er läßt für fünfhunderttausend Leute
echte silbergestickte Kleider nähen.

Nachdem die Hochzeitsfeste vierzig Tage und vierzig Nächte gedauert
haben, bringt man den Staubpadischah dorthin. Der Herold Fuchs geht hin
und fragt leise den Staubpadischah: „Wie geht es dir?“ Der sagt: „Gut.“
Dann brechen sie auf und machen sich mit den fünfhunderttausend Leuten
auf den Weg. Der Padischah von Indien füllt ihnen die Kisten mit
Pfunden. Fünf bis zehn Leute vom Padischah von Indien gehen zur
Begleitung seiner Tochter mit ihnen. Der Herold Fuchs hatte sich eine
Stunde vor ihnen auf den Weg gemacht. Unterwegs sieht er auf einer
Ebene, daß Hirten Kamele und Stuten weiden. Der Herold Fuchs geht zu
den Hirten und sagt: „Seht ihr die dort Ankommenden?“ Die Hirten sagen:
„Wer ist das?“ Er antwortet: „Die kommen, um euch zu überfallen. Wenn
sie fragen: ‚Wem gehören diese Stuten und Kamele?‘ so sagt: ‚Unserm
Herrn Staubpadischah.‘“ Die kommen und fragen die Hirten: „Wem gehören
diese Stuten und Kamele?“ Die Hirten antworten: „Diese Kamele und
Stuten gehören unserem Herrn Staubpadischah.“ Die ziehen weiter.

Der Herold Fuchs ist wieder eine Stunde voraus. Auf einer Ebene sind
soviel Schafhirten und Rinderhirten. Der Herold Fuchs eilt zu ihnen und
sagt: „Seht ihr die dort Ankommenden? Die kommen, um euch zu
überfallen. Wenn sie fragen, wem gehört dies alles, so antwortet:
‚Unserm Herrn Staubpadischah‘. Dann werdet ihr gerettet sein.“ Die
ziehen vorüber. Der Herold Fuchs ist wieder eine Stunde voraus. Er
kommt an eine Dev-Wohnung. Die Deve sind im Hause. Er sagt zu den
Deven: „Kommt, verbergt euch. Die da ankommen, wollen euch überfallen.“
Die Deve sagen: „Um Himmelswillen, verbirg uns!“ Da nimmt der Herold
Fuchs die Deve, legt Heu in die Wohnung und zündet es an. Die Deve
fliegen alle in die Luft und verbrennen vollständig.

Dann geht der Herold Fuchs schnell den Ankommenden entgegen und sagt zu
den fünfhunderttausend Leuten: „Fürchtet nichts! Es ist nichts! Was uns
zustoßen wird, soll nur unserm Besitz zustoßen!“ Als die von dem
Padischah von Indien geschickten Leute kommen, sehen sie: Ein großes
Schloß ist verbrannt und verschwunden. Da sagen die Leute, die mit der
Tochter des Padischahs von Indien gekommen waren: „Was machts? Was
brennt, mag brennen. Wir bauen es wieder. Wir wollen schnell einen
Palast mieten.“ Dann mieten sie schnell einen großen Palast und sagen:
„Bitte, Staubpadischah!“ Sie ziehen ein und holen das Fehlende von den
Kaufleuten. Alles Geld bezahlen die Leute, die von dem Padischah von
Indien gekommen sind. Vierzehn Tage leben sie vergnügt. Dann bitten sie
um Urlaub. Man verabschiedet sich. Sie machen sich auf den Heimweg, die
andern bleiben allein zurück.

Eines Tages sagt der Herold Fuchs aufrichtig: „Halt, ich werde krank.“
Der Herold Fuchs wird krank. Die Diener sagen: „Herr, unser Herold
Fuchs ist krank geworden.“ Der Staubpadischah sagt: „Halt, wollen doch
einmal sehen!“ Sie gehen hin. Der Herold Fuchs ist tot. Sie kommen
wieder und bringen die Kunde: „Der Herold Fuchs ist tot.“ Der
Staubpadischah sagt: „Zieht ihn an seinem Bein herunter.“ Da steht der
Herold Fuchs auf und sagt: „Ich habe dir soviel Gutes getan, wie kannst
du mich an meinem Bein ziehen.“ Da sagt der Staubpadischah: „Ich wußte,
daß du nicht gestorben warst und habe einen Scherz gemacht.“

Nach einigen Tagen stirbt der Herold Fuchs wirklich. Die Diener kommen
schnell und bringen dem Staubpadischah die Kunde: „Unser Herold Fuchs
ist gestorben.“ Der denkt, er verstellt sich wieder. Der Staubpadischah
geht zum Herold Fuchs und ruft leise: „Herold Fuchs!“ Vom Herold Fuchs
war nichts zu vernehmen. Er war wirklich tot. Sie sagen zum
Staubpadischah: „Unser Herold Fuchs ist tot.“ Der sagt: „Ein Imam soll
schnell kommen.“ Der Imam kommt, wäscht den Herold Fuchs und wickelt
ihn ordentlich ein. Dann begräbt man ihn. Der Staubpadischah und die
Tochter des Padischahs von Indien lebten vergnügt in dem großen
Schlosse. Das ist die Wohltat, die der Herold Fuchs getan hat.



16. DIE GESCHICHTE VOM DSCHIHANSCHAH


Es gab einen Padischah, der Dschihanschah hieß. Einst sagte er: „Ich
will das andere Ende dieser Welt finden“ und nahm einen Dampfer,
Soldaten und Lebensmittel mit sich und fuhr über’s Meer. Unterwegs
kommt ein Sturm. Nach drei bis fünf Monaten kommt er in ein Land. Die
Soldaten, die er bei sich hatte, waren umgekommen, er war allein ohne
Lebensmittel übriggeblieben. Als er so dahingeht, kommt er in ein Dorf
und bleibt als Gast bei einem Manne. Als er am Morgen aufsteht, ruft
ein Ausrufer: „Ist jemand da, der für eine Stunde Arbeit einen neuen
Anzug, tausend Piaster und ein schönes Mädchen sich verdienen will?“ Da
er unerfahren und in Not ist, sagt er: „Ich will es tun.“ Er empfängt
den Anzug, das Geld und das Mädchen.

Der Mann, der ihm den Anzug, das Geld und das Mädchen gegeben hat,
sagt: „Komm, ich werde dich an einen Ort führen.“ Er gibt ihm ein
Pferd, besteigt selber eins, nimmt sich noch zehn Pferde und zwei Leute
dazu. So ziehen sie in die Berge, kommen an einen felsigen Ort und
steigen vom Pferde. Dann tötet er ein Pferd, zieht ihm das Fell ab,
schneidet den Bauch auf, nimmt die Eingeweide heraus und sagt zum
Dschihanschah: „Zieh dich aus.“ Der sagt: „Was soll ich tun?“ Der
andere antwortet: „Du wirst in den Bauch des Pferdes gehen, eine Stunde
schlafen und mir dann genau sagen, was du im Traum gesehen hast.“ Der
zieht sich aus, läßt Geld und Kleidung zurück und geht nackt in den
Bauch des Pferdes. Der Mensch näht die Haut zu und versteckt sich mit
den andern in einem Hinterhalt. Von dem Berge kommen große Vögel,
nehmen das tote Pferd mit dem Dschihanschah darinnen, und tragen sie
weg. Auf der Spitze des Berges zerreißen die Vögel das Pferd. Der Schah
kommt aus dem Innern heraus und die Vögel zerstreuen sich. Er sieht,
daß es nicht die Stelle ist, wo er sich hat einnähen lassen, geht bis
an den Rand des Felsens und sieht sich um. Da sieht er die Leute mit
den Pferden. Die rufen ihm von unten zu: „Wirf uns von den dort
befindlichen Steinen einige herunter. Ich werde dir dann den Weg
beschreiben, komm dann herunter.“ Der Dschihanschah wirft die Steine
herunter. Die Leute sammeln die Steine, packen sie in Säcke, legen sie
auf die Pferde und gehen wieder in ihr Dorf zurück. Der Dschihanschah
bleibt dort, sucht überall einen Weg, findet aber keinen. Nach einiger
Zeit findet er einen Abstieg. Er nimmt zwei Knochen in die Hand und
stützt sich damit auf dem Abstieg. Während er hinabsteigt, hört der Weg
auf, so daß noch eine Entfernung von zwei Minarets Höhe bis zum Boden
übrigbleibt. Er wirft sich hinab. Allah bewahrt ihn vor dem Tode, er
fällt herunter und wird ohnmächtig. Als er wieder zu sich kommt, sieht
er, daß er bei Tagesanbruch den Berg herabgestiegen ist und bei
Sonnenuntergang wieder zu sich gekommen ist. Es war unmöglich, weder
vom Lande, noch vom Meere, diesen Ort zu finden. Er sieht sich um und
erblickt in der Ferne ein Schloß. Während er überall den Weg sucht,
findet er es, öffnet die Tür und geht hinein. Da sieht er einen
wohlbeleibten, schönen, weißbärtigen Mann. Als der den Dschihanschah
sieht, steht er auf und fragt ihn: „Aber, Menschenssohn, wie kommst du
hierher?“ Der erzählt ihm sein Erlebnis. Der in dem Schlosse wohnende
weißbärtige Alte sagt: „Mein Sohn, nimm diesen Schlüssel, öffne jede
Tür, aber jene Tür dort, öffne nicht, denn in drei Tagen komme ich
wieder. Aber jene Tür öffne ja nicht.“ Der weißbärtige Alte geht weg.
Der Dschihanschah denkt: „Ach, was sollte geschehen. Ich habe schon
soviel Unglück erlebt, da will ich auch diese Tür öffnen. Mag
geschehen, was will.“ Er öffnet die Tür, tritt ein und sieht, daß in
der Mitte ein Wasserbecken ist und rings darum ein Rosengarten. In den
übrigen Räumen, deren Türen er geöffnet hatte, war nichts so Schönes,
und keine Nachtigall ließ sich dort hören. Indem er am Rande des
Wasserbeckens spazieren geht, setzt er sich unter einen Rosenbaum. Da
kommt eine Taube und setzt sich auf den Stein des Beckens. Dann sieht
er, daß sie ein Mädchen wird und daß noch eine, und noch eine Taube
kommt. Die drei Tauben werden Mädchen. Das älteste Mädchen sagt: „Seht
euch um, ob kein Mensch hier ist.“ Die jüngste sagt: „Seit Sultan
Solimans Zeiten ist kein Mensch hierhergekommen. Zieht euch nur aus!“
Sie ziehen sich aus. Als die jüngste sich auszieht, verliert der
Dschihanschah die Besinnung und wird ohnmächtig. Diese Tauben kamen
einmal im Jahre zu jenem Becken, badeten sich und gingen dann wieder
weg. Nachdem sie sich nun gebadet hatten, gingen sie auch wieder weg.

Als der weißbärtige Alte wieder kam, sah er, daß der Dschihanschah
nicht im Schlosse ist. Er suchte ihn überall, konnte ihn aber nicht
finden. Da kommt ihm in den Sinn: „Vielleicht hat er die Tür, von der
ich gesagt hatte ‚öffne sie nicht‘, geöffnet und ist eingetreten, und
dann ist ihm ein Unglück zugestoßen.“ Er fing an, im Garten zu suchen.
Während er suchte, sah er ihn unter einem Rosenbaum liegen. Er ging
hin, schüttelte ihn, hob ihn auf und fragte: „Was ist dir geschehen?“
Der sagte: „Ach, Vater, ich will alles tun, was du willst, aber sage
mir, wie ich das jüngste Mädchen bekommen kann. Ich will dir mein
ganzes Leben dienen, aber verschaffe mir dies Mädchen.“ Der sagte: „Das
sind Peris. Sie kommen einmal im Jahre hierher, baden sich in diesem
Becken und gehen dann fort. Sogar wenn ich hier bin, kommen sie nicht.
Nur wenn ich im Jahre die Regierung über die Vögel ausübe, kommen sie,
wenn ich dazu weggegangen bin, in Gestalt von Tauben. Wenn du noch ein
Jahr wartest, kommen sie wieder, so, wie du es jetzt gesehen hast. Wenn
das jüngste Mädchen ihr Hemd ausgezogen hat, nimm das Hemd, und wenn
sie dich auch noch so sehr bittet, laß dich nicht täuschen und gib es
nicht, ehe sie dir ein Kind geboren hat.

Der Dschihanschah wartet ein Jahr. Nach einem Jahre geht der Herr des
Schlosses zu den Vögeln und übergibt ihm die Schlüssel. Wie das
erstemal öffnet er die Tür, verbirgt sich unter dem Rosenbaum. Die
Tauben kommen und ziehen sich aus. Der Dschihanschah nimmt das Hemd des
jüngsten Mädchens, geht weg und setzt sich unter den Rosenbaum. Die
älteren Mädchen ziehen sich an und fliegen weg. Das jüngste Mädchen
fleht: „Ach, gib mir mein Hemde und ich will dir angehören.“ Der
Dschihanschah gibt es ihr nicht, bis der Herr des Schlosses kommt. Der
kommt. Das Mädchen sagt: „Verheirate mich mit dem Dschihanschah.“ Der
Dschihanschah sagt: „In Gegenwart meines Vaters will ich die Hochzeit
machen. Hier gehe ich nicht ins Hochzeitsgemach.“ Der Schloßbesitzer
ermahnt den Dschihanschah: „Paß auf, gib ihr nicht das Hemd.“ Das
Mädchen nimmt ihn auf den Rücken und fliegt in die Luft, zeigt auf eine
Stadt und fragt: „Welche Stadt ist das?“ Der Dschihanschah sagt: „Das
ist meines Vaters Stadt.“ Das Mädchen steigt mit dem Dschihanschah
zusammen herab. Der Vater und die Mutter des Dschihanschah sehen ihren
Sohn nach drei Jahren mit einem schönen Mädchen zusammen. Sie begrüßen
ihn und fragen: „Aber, Kind, woher kommst du?“

Der Dschihanschah befiehlt: „Spaltet einen Marmorstein.“ In die Spalte
steckt er das Hemd. Dann befiehlt er: „Es soll ein Schloß gebaut
werden.“ Diesen Stein macht er zum Grundstein des Schlosses. Er läßt
das Schloß bauen und die Hochzeit zurichten. Er beendigt das Schloß und
auch die Hochzeitszurichtungen. Dann bringt man das Mädchen ins Schloß.
Als es eintritt, riecht es den Geruch seines Hemdes, nimmt aus dem
Stein unter dem Grundstein das Hemd, fliegt auf das Fenstergesims und
verbleibt dort.

Als die Hodschas den Dschihanschah unter Gebet in das Hochzeitsgemach
führen, sieht er, daß das Mädchen nicht in seinem Zimmer ist. Er denkt:
„Bin ich in ein falsches Zimmer gekommen oder bin ich verwirrt?“ Als er
wieder umkehren will, sagt das Mädchen: „Du bist nicht verwirrt. Ich
bin hier auf dem Fenstersims.“ Er sagt: „Komm herunter.“ Sie antwortet:
„Als der Padischah der Vögel als Hodscha uns dort ins Brautgemach
führen wollte, sagtest du: ‚Mein Vater und meine Mutter sollen ihren
Wunsch erfüllt sehen.‘ Jetzt haben dein Vater und deine Mutter ihren
Wunsch erfüllt gesehen, aber meine Eltern noch nicht. Wenn du mich
liebst und mich haben willst, komm, suche mich im Perilande meines
Vaters.“ Mit diesen Worten flog sie weg.

Der Dschihanschah weinte und alle Verwandten und seine Eltern kamen und
sagten: „Wir wollen dir die Tochter von dem und dem Vezir geben.“ Aber
es nützte nichts.

Das Mädchen ging zu ihren Eltern und erzählte die Geschichte, die ihr
passiert war. Der Vater sagte: „Ach, meine Tochter, das war ein
Königssohn. Dem warst du bestimmt. Du hättest nicht fliehen müssen.“
Das Mädchen antwortete: „Ich hoffe, daß er mich suchen und finden wird
oder meinetwegen sterben wird. Außerdem muß er in dem Schlosse des
Vogelpadischahs am Becken gefunden werden.“ Auf diese Worte hin
schickte ihr Vater zwei Peri aus, um jenen Menschen zu suchen.

Der Dschihanschah bestieg wieder wie das erstemal einen Dampfer, fand
das Land, in dem der Ausrufer ausrief, und ging wieder in das Dorf. Der
Ausrufer fing wieder an auszurufen: „Für einen Anzug, tausend Piaster
und ein schönes Mädchen ist eine Stunde Arbeit zu tun.“ Der
Dschihanschah nahm Anzug, Geld, Mädchen. Sie besteigen die Pferde und
gehen an den Fuß des Berges. Wie das erstemal geht er in den Bauch des
Pferdes — aber diesmal nimmt er Anzug und Geld mit. — Die andern
verbergen sich. Von der Spitze des Berges kommen die großen Vögel und
holen das tote Pferd mit dem Dschihanschah und legen es oben auf dem
Berge nieder. Der Dschihanschah kommt heraus, die Vögel zerstreuen
sich. Er geht an den Rand des Berges und schaut nach unten. Die Leute
sagen: „Wirf von dort Steine herab und wir werden dir den Abstieg
zeigen.“ Der Dschihanschah warf ihnen keine Steine hinunter, weil sie
ihn das erste Mal getäuscht hatten. Die Steine hatten nämlich die
osmanische Okka [24] den Wert einer Last Gold. Wie das erstemal nimmt
er da, wo er absteigt, für den Abstieg zwei Knochen in die Hand, stützt
sich darauf und steigt allmählich hinunter. Als er in der Höhe von zwei
Minarets keinen Pfad und keine Felsspalte, in die er den Knochen setzen
konnte, findet, wirft er sich hinunter und wird ohnmächtig, kommt
wieder zu sich, sieht sich um, erblickt das Schloß und geht hin. Er
findet den weißbärtigen Alten, küßt ihm Hände und Füße. Dieser weiß,
daß das Mädchen entwischt ist. Der Vater des Mädchens hatte zwei Peri
geschickt, um den Jüngling zu suchen. Er fragte die Vögel: „Wißt ihr
das Land der Peris?“ Die Vögel sagten: „Wir wissen es nicht, aber es
gibt einen großen Vogel, der Smaragdvogel heißt, den frage.“ Er rief
den Smaragdvogel und fragt ihn: „Der Vogel antwortete: Als ich noch als
Junges im Nest lag, nahm mich meine Mutter und entfloh bis zur Grenze
des Perilandes. Die Grenze weiß ich. Darüber hinaus gehe ich nicht.“
Von der Grenze bis zur Stadt des Vaters des Mädchens war zu fliegen ein
Weg von sechs Monaten, von der Grenze bis zum Schlosse des Padischahs
der Vögel zu fliegen ein Weg von drei Monaten. Der Herr des Schlosses
füllte einen Schlauch voll Wasser — etwa zwanzig Okka —, lädt es dem
Dschihanschah auf den Rücken und setzt ihn auf den Vogel und schrieb
einen Brief für ihn. Eine Monatsreise entfernt wohnte nämlich sein
älterer Bruder. Der war auch Vogelpadischah. Er setzte ihn also auf den
Vogel und ermahnte ihn: „Wenn der Vogel, auf den du gestiegen bist,
‚tschak‘ sagt, gib ihm ein Stück Fleisch, wenn er ‚Tschunk‘ sagt, gib
ihm etwas Wasser.“ Zum Vogel sagte er: „Führe diesen Dschihanschah zu
meinem älteren Bruder. Von dort komme du wieder zurück.“ Der
Dschihanschah nahm das Fleisch, das Wasser und den Brief und stieg auf
den Vogel. Der Vogel brachte ihn zum Vogelpadischah, gab ihn ab und
kehrte wieder um und gab den Brief dem älteren Bruder. Der öffnet ihn
und liest: „Setze diesen Dschihanschah auf einen Vogel, schreibe an
unseren älteren Bruder einen Brief, daß er ihn mit einem Vogel in das
Periland führe.“ Der setzte ihn auf einen Vogel und schickte ihn zu
ihrem älteren Bruder. Dieser berief die Vögel zusammen, gab einem
großen, starken Vogel Anweisungen und der setzte den Dschihanschah, wie
er ihm auf einem Vogel geschickt war, auch auf einen Vogel an der
Grenze des Perilandes ab und kehrte um. Da traf er die beiden Peris,
die der Vater des Mädchens abgeschickt hatte, um ihn zu suchen. Die
sagten: „Das ist der Mensch, den der Peripadischah sucht.“ Sie packten
ihn, ohne ihm weh zu tun, und brachten ihn zum Vater des Mädchens. Der
sagte: „Ich bin zufrieden“, richtete die Hochzeit zu und führte den
Dschihanschah in das Brautgemach und dieser erreichte seinen Wunsch.
Nach einiger Zeit setzte er, um den Vater des Dschihanschah zu
besuchen, seine Gemahlin auf Peris und schickte kostbare Geschenke mit.
Als sie durch die Luft flogen, sahen sie in einem öden Lande einen Ort
mit Wiesen und Weiden. Indem sie sagten: „Hier wollen wir eine Nacht
bleiben“, stiegen sie aus der Luft herunter und verweilten dort.
Während sie da saßen, ging das Mädchen, um sich den Rücken zu waschen,
weiter fort ans Wasser und zieht sich aus. Als es in das Wasser gehen
will, kommt aus dem Walde ein Wolf, zerreißt das Mädchen und tötet es.
Der Jüngling erfährt, daß ein Wolf das Mädchen aufgefressen hat. Er
hört nicht auf zu weinen, geht weder zu seinem Vater noch zu dem des
Mädchens, sondern verweilt dort und stirbt dort.



17. DAS WUNDERBARE NAPF


Wir waren früher drei Brüder. Der eine von uns war Fischer, der andere
Barbier, der dritte Kaffeewirt. Wir sagten zueinander: „Wollen uns auf
den Weg machen. Wessen Geschäft vorwärtsgeht, darin wollen wir arbeiten
und Ersparnisse zurücklegen.“ Wir gingen in eine Provinz. Der
Kaffeewirt und der Barbier arbeiteten. Da in dem Lande kein See war, so
konnte der Fischer nicht arbeiten. Der Kaffeewirt und der Barbier
sagten zu mir: „Dein Geschäft geht hier nicht, gehe in ein anderes
Land.“ Ich ging von dort weg und kam in ein Land wie Smyrna. Ich setzte
mich in ein Kaffee. Vor dem Kaffee war ein See oder ein Meer, in dem
man Fische fing. Da es mein Geschäft war, fing ich an, so und so, nach
beiden Seiten, die Bewegungen des Netzeinziehens auszuführen. Der
Kaffeewirt sagte zu mir: „Bist du verrückt? Was machst du?“ Ich sagte:
„Ich bin Fischer.“ Da sagte er: „Ich werde dir ein Schiff kaufen.
Arbeite in deinem Gewerbe.“ Er kaufte mir für siebenhundert Piaster ein
Schiff. Ich fuhr aufs Meer, warf die Netze aus und legte mich hin, dann
stand ich auf und fand in dem Netze einen Fisch. In dem Lande war ein
Jude. Dem war im Traume gesagt: „Es wird ein Fisch gefangen werden, den
mußt du kaufen.“ Ich kam an die Landungsstelle. Der Jude kam und sagte:
„Gib mir schnell den Fisch.“ Ich sagte: „Ich will ihn selber essen, ich
verkaufe ihn nicht.“ Er sagte: „Ich werde dir hundert Piaster geben,
gib mir den Fisch.“ Ich antwortete: „Nein, ich gebe ihn nicht.“ — Ich
dachte, er macht Scherz. — Er sagte: „Ich werde dir geben fünfhundert
Piaster, gib ihn mir.“ Ich sagte: „Gib das Geld.“ Da zog der Mensch
fünfhundert Piaster heraus und gab sie mir. Ich gab ihm den Fisch und
ging ins Kaffeehaus. Mein Freund der Kaffeewirt sagte: „Nun, was hast
du gemacht. Hast du nichts mitgebracht?“ Ich sagte: „Ich habe einem
Juden einen Fisch für fünfhundert Piaster verkauft. Ich weiß nicht, ob
es Trug oder Wahrheit ist. Ich glaube es nicht.“ Ich gab das Geld
meinem Kameraden. Als es Abend wurde, sagte er zu mir: „Vorwärts, geh
noch einmal auf den Fischfang.“ Ich ging auch. Wieder erschien dem
Juden der Fisch im Traum. Es wurde ihm gesagt: „Kaufe den Fisch, für
wieviel tausend Piaster er auch verkauft wird.“ Ich fing wieder einen
Fisch. Als ich wieder an die Landungsstelle kam, sagte der Jude zu mir:
„Gib mir den Fisch.“ Ich antwortete: „Wenn du mir zweitausend Piaster
gibst, will ich ihn dir geben.“ Der holte das Geld heraus und gab es.
Ich gab das Geld meinem Kameraden, dem Kaffeewirt, und ging am Abend
wieder auf den Fischfang. Wie das vorige Mal fing ich wieder einen
Fisch. Wieder erschien er dem Juden im Traum. Ich nahm den Fisch und
schnitt ihm den Bauch auf. Da kam ein Napf zum Vorschein. Ich wusch es
im Meer ab und trank einen Schluck. Da kam ein Mohr, sagte „Gesundheit“
und legte eine Handvoll Goldstücke in das Napf. Ich sah mich nach
beiden Seiten um, sagte: „Was ist das?“ und trank noch einmal. Wieder
legte der Araber eine Handvoll Goldstücke hinein. Ich stieg ans Land.
Wieder kam der Jude und sagte: „Wo ist der Fisch?“ Ich antwortete: „Da
ist der Fisch, sein Bauch ist aufgeschnitten.“ Da sagte er: „Gerechter
Gott!“ ging weg und wurde verrückt. Ich ging ins Kaffeehaus. Mein
Kamerad ließ den Fisch kochen. Als er ihn aß, sagte er: „Bring schnell
ein Glas Wasser.“ Ich ging hin, brachte in dem Napf, aus des Fisches
Magen, Wasser und gab es meinem Kameraden. Man sagte: „Gesundheit“ und
gab ihm eine Handvoll Goldstücke. Mein Kamerad sagte: „Gib noch etwas
Wasser, der Fisch hat durstig gemacht.“ Ich ging hin und brachte
nochmals Wasser. Wieder sagte man: „Gesundheit“ und gab eine Handvoll
Goldstücke. Mein Kamerad sagte: „Was ist das für eine Geschichte.“ Ich
sagte: „Das ist aus dem Bauch des Fisches gekommen. Nun wollen wir in
unsere Heimat gehen. Jetzt haben wir viel Gold.“ Mein Kamerad sagte:
„Dies Napf gehört dir, nimm es.“ Ich antwortete: „Nimm du es.“ Er
sagte: „Ich nehme es nicht, nimm du es.“ Er gab das Napf mir und ging
in seine Heimat. Ich nahm mir einen Meister, der mir auf dem Meer ein
Schloß bauen sollte und schloß den Handel mit ihm ab, daß er für jeden
Hammerschlag ein Pfund bekommen sollte. Ich ließ ein solches Schloß
bauen, das sich nicht beschreiben läßt. Als ich eines Tages darin saß,
kommt eine Dame mit ihrer Dienerin, grüßte und setzte sich. Während wir
uns freundschaftlich unterhalten, sagte sie: „Gib mir zu trinken.“ Ich
gab ihr Wasser in dem Napf aus des Fisches Magen. Wieder sagte man:
„Gesundheit.“ Das Mädchen sagte: „Gib noch einmal Wasser in diesem
Napf.“ Ich gab es ihr. Sie sagte: „Gib mir dies Napf.“ Ich sagte: „Wenn
du dich mir hingibst, will ich dir das Napf geben.“ Sie sagte: „Gut,
komm am Freitag in unser Schloß. Da wollen wir es machen.“ Dann
beschrieb sie mir den Weg zu ihrem Hause. Ich ging dann hin. Als das
Mädchen dort am Fenster saß, erblickte sie mich, ließ einen Strick
hinab und zog mich hinauf. Ich ging zu ihr, wir vollzogen die Sache und
ich ließ ihr das Napf zurück. Danach bekam das Mädchen hiervon ein
Kind. Als ihr Vater das merkte, sagte er: „Was ist das für ein Kind?
haben wir denn gar keine Ehre?“ Sie führten das Mädchen auf einen Berg
und wollten es töten, taten es aber doch nicht und ließen es zurück.
Das Mädchen ging auf die Berge, kam zu einem Hirten, zog die Kleider
des Hirten an und gab ihm seine.

Das Mädchen kam in Männerkleidung in ein Land und sah einen alten armen
Schilfsammler und sagte zu ihm: „Nimmst du mich heute als Gast auf?“
Der sagte: „Ich habe kein Brot und nichts zu essen.“ Die Frau des Alten
sagte: „Der Arme mag hereinkommen und diese Nacht bei uns schlafen.“
Sie schlief jene Nacht dort und brachte ein Kind zur Welt und sagte:
„Zeige dies, mein Kind, niemandem, wollen es verwahren.“ Die sagten:
„Wir sind arm und können nicht dafür sorgen.“ Da zog sie ein Goldstück
heraus und gab es. Da sagten sie: „Wenn du es gibst, wollen wir danach
sehen.“ Das Mädchen ging in ein großes Kaffeehaus. Vor dem Kaffeehaus
war eine Quelle. Dort legte sie die Form eines Napfes hin und stellte
einen Menschen auf und sagte: „Einen jeden, der aus diesem Napf trinkt
und sich so das Napf ansieht und seufzt, bringe zu mir.“ Eines Tages
kam ein Mann, trank aus dem Napf, sah sich das Napf an und seufzte. Man
ergriff den Menschen und brachte ihn zum Kaffeewirt. Der sieht, daß es
ein Verrückter ist. Man schickte den Mann, der das Napf genommen hatte,
ins Bad, zog ihm wieder Kleider an. Er setzte sich ins Kaffeehaus.

Der Vater des Mädchens war der Herrscher des Landes. Das Mädchen
pflegte, was in diesem Lande gehandelt wurde, am Abend zu begleichen.
Der Vater des Mädchens hört dies und sagte: „Wir haben doch keine
Sklaven freigelassen. In der und der Provinz ist ein Mensch, der, was
auch für Geschäfte gemacht werden, sagt: „Geh, bete für den Padischah“
und kein Geld nimmt. Wollen doch einmal hingehen und es uns ansehen.
Sie gehen in Derwischkleidung hin und sind Gäste in dem Kaffeehause.
Zur Zeit des zweiten Gebetes gehen die Derwische auf den Markt, um Brot
zu kaufen. Sie kaufen für zwanzig Para Brot und geben das Geld. Man
antwortet: „Geh, bete für den Padischah.“ Sie kaufen bei einem
Halwahändler Halwa. Der nahm kein Geld und sagte: „Geh, bete für den
Padischah.“ Sie kommen wieder ins Kaffeehaus. Der Padischah sagte zu
seinem Hofmeister: „Was ist das für eine Sache? Ich werde nicht klug
daraus.“ Der Hofmeister sagte: „Gedulde dich, es wird schon gut.“ Eines
Tages lud das Mädchen, das wußte, daß es sein Vater sei, ihn in sein
Haus ein. Als sie gegen Abend in das Haus gingen, sah der Schah, daß es
genau so wie sein Eigenes eingerichtet war, und sagte zum Hofmeister:
„Wir wohnen wie in unserm Hause.“ Nun aßen der Bursche, der vorher der
Besitzer des Napfes war, das er aus dem Bauche des Fisches gezogen
hatte, das Mädchen, ihr Sohn, ihr Vater und sein Hofmeister, zu fünfen,
zusammen. Als es ungefähr fünf Uhr in der Nacht ist, war der Bursche,
der ihr das Napf gegeben, eingeschlafen, ebenso das kleine Kind. Da
sagte der Vater des Mädchens zu ihm: „Gib mir etwas Wasser.“ Das ging
hin und brachte in dem Napf aus des Fisches Bauch Wasser. Als es ihm
gab, sagte der Mohr „Gesundheit“ und legte eine Handvoll Goldstücke
hinein. Darauf sagte der Vater: „Mein Durst ist noch nicht gestillt,
gib mir noch einmal.“ Das Mädchen gab ihm wieder zu trinken. Wieder
legte man eine Handvoll Goldstücke in das Napf. Der Vater sagte: „Gib
mir dies Napf.“ Das Mädchen antwortete: „Ich habe mich für dies Napf
einmal hingegeben. Wenn du dasselbe tun willst, so will ich es dir
geben.“ Da sagte er zu seinem Hofmeister: „Mach du es.“ Der sagte:
„Nein, ich tue es nicht.“ Nachdem sie einige Zeit geschlafen hatten,
weckte der Vater das Mädchen auf und sagte: „Komm, wollen tun, wie du
gesagt, und gib mir das Napf.“ Als er sich dazu bereit machte, sagte
das Mädchen: „So, fürchtest du dich nicht vor Gott? Du bist mein Vater.
Während ich als Mädchen neunmal so sinnlich wie der Mann bin, habe ich
meiner Sinnlichkeit nachgegeben und für dieses Napf meine Ehre
hingegeben. Ich habe mich einem solchen jungen Manne hingegeben und
dies Kind von ihm bekommen. Du, der du doch neunmal weniger sinnlich
und der Schah eines Landes bist, hast jetzt auch deine Ehre für dies
Napf hingegeben.“ Der Vater hatte bis dahin die Sachlage nicht gewußt
und sein Kind noch nicht erkannt. Als das Mädchen ihrem Vater alles
genau auseinandergesetzt hatte, wie sie sich dem Jüngling hingegeben
und das Napf von ihm empfangen hatte und, als sie dann schwanger
geworden, von ihrem Vater dem Henker zum töten übergeben und auf den
Berg geschickt worden war, da erfuhr der Padischah, daß dies Mädchen
wirklich seine Tochter war. Darauf weckte er den schlafenden Jüngling
und das Kind und verheiratete seine Tochter mit dem Jüngling, da sie
Verlangen nacheinander hatten. Die erlangten und gewährten ihr
Verlangen. Der Vater und sein Hofmeister ließen sie dort und kehrten in
ihre Heimat zurück.



18. DIE DREI SÖHNE DES PADISCHAHS


In alter Zeit lebte ein Padischah und dieser Padischah hatte drei
Söhne. Der Padischah wurde blind und sagte zu seinen Söhnen: „Wenn ihr
von einer Stelle, welche die Spur meines Pferdes nicht berührt und mein
Auge nicht gesehen hat, eine Handvoll Erde bringt, werde ich wieder
gesund.“

Der älteste Sohn besteigt ein Pferd, macht einen Weg von vierzig Tagen
und bringt von dort eine Handvoll Erde. Sein Vater streicht die Erde
auf seine Augen, sie hilft aber nicht. Sein zweiter Sohn besteigt ein
Pferd, macht eine Reise von achtzig Tagen, bringt von dort eine
Handvoll Erde, auch sie hilft nicht. Der Padischah sagt: „Ihr habt mir
nicht geholfen. Vielleicht findet mein jüngster Sohn den Ort, den die
Spur meines Pferdes nicht berührt hat, und vielleicht nützt er mir,
wenn er Erde davon bringt.“ Sein jüngster Sohn besteigt ein Pferd,
reist hundert Tage. Nach hundert Tagen kommt er in ein Schloß. In dem
Schlosse befand sich eine alte Frau. Die alte Frau beherbergt den
jungen Mann, fragt ihn nach dem, was ihm geschehen ist. Er erzählt, daß
der Padischah blind geworden ist und daß er der Sohn des Padischahs sei
und, um Erde zu suchen, ausgezogen sei. Die alte Frau antwortet: „Wenn
dein Vater des Morgens aus eurer Stadt aufbrach, frühstückte er zu
Mittag in unserm Schlosse. Auf diese Art kannst du nicht den Ort
finden, den sein Pferd nicht betreten und sein Auge nicht gesehen hat.“
Der Jüngling antwortete: „Ja, Mutter, wie ist mir da zu helfen?“ Die
alte Frau sagt: „Nachdem du zwanzig Tage gegangen bist, triffst du an
dem und dem Orte eine Höhle. Geh in die Höhle. Neben der Tür ist ein
Halfter aufgehängt. Das Halfter nimm in deine Hand und schwinge es
einmal, dann kommen viele Pferde und sagen: ‚Mein Held, besteige mich.‘
Steige du auf keins der Pferde. Dann kommt ein rotbraunes Pferd mit
krummen Beinen und Krebs auf den Schultern. Dies rotbraune Pferd
besteige und so wirst du deinen Wunsch erreichen.“

Der Jüngling reist zwanzig Tage. Nach zwanzig Tagen findet er die
Höhle, nimmt das Halfter, das an der inneren Tür hängt, schwingt es
einmal. Viele Tiere kommen und sagen: „Mein Held, besteige mich.“ Er
besteigt keins davon. Danach kommt ein rotbraunes Pferd mit krummen
Beinen und Krebs auf den Schultern. Er besteigt jenes Pferd und macht
sich auf den Weg. Nach zwei Tagen steigt er an einer hohen Cypresse ab
und legt sich schlafen. Auf einmal ertönt, während er schläft, eine
Stimme. Er wacht von dieser Stimme auf, springt auf und sieht, daß ein
Drache an dem Brunnen emporzuklettern im Begriff ist. Der Jüngling
schießt den Pfeil, den er in der Hand hat, ab und tötet den Drachen. Da
sagen die Jungen des Vogels, die sich auf dem Baum befanden: „Mein
Held, unsere Mutter ist ein Raubvogel, sie wird dich töten. Geh,
verbirg dich. Dann werden wir unserer Mutter in unserer Sprache es
sagen. Was auch immer dein Wunsch sein mag, sage ihn ihr. Vielleicht
kann sie dir helfen.“ Der junge Mann geht und verbirgt sich irgendwo.
Nach einiger Zeit kommt der Vogel, der die Mutter der Jungen ist, und
sieht, daß der Drache getötet ist. Die Jungen sagen ihrer Mutter: „Der
Jüngling, der uns gerettet hat, hat sich an jener Stelle verborgen.
Frage ihn, was ihm fehlt.“ Da geht der Vogel hin, nimmt den Jüngling in
seine Krallen, trägt ihn auf den Wipfel des Baumes und sagt: „Fordere
von mir, was du willst. Ich will dich erfreuen.“ Der Jüngling erzählt
das, was ihm geschehen ist. Der Vogel antwortet: „Dein Vater pflegte
sein Nachmittagsgebet hier zu verrichten. Das Pferd unter dir, ist das
Pferd deines Vaters, damit wirst du deinen Wunsch erlangen. Aber wenn
du in Not bist, rufe mich.“ Der junge Mann bricht von dort auf. Das
braunrote Pferd sagt: „Schließe dein Auge und öffne es nicht.“ Der
junge Mann schließt seine Augen. Nach einer Stunde sagt es: „Öffne
deine Augen.“ Als er seine Augen öffnet, befindet er sich an einem
Orte, dessen Leute und Sprache ihm unbekannt und dessen Menschen ihm
nicht gleichen. Dieser Ort war die Hauptstadt eines Padischahs. Als er
vor dem Schloß vorbeigeht, sieht der Padischah ihn und da er merkt, daß
er den Leuten seines Landes nicht glich, schickt er einen von seinen
Leuten hin, läßt ihn holen und fragt: „Woher kommst du und wohin gehst
du?“ Er antwortet: „Wenn du damit einverstanden bist, will ich in deine
Dienste treten.“ Der Padischah ist damit einverstanden und sagt: „Ich
habe neunundzwanzig Vezire. Du sollst der dreißigste sein.“ Er nimmt
das Amt des Vezirs an. Die anderen Vezire haben die Absicht, den jungen
Mann zu töten und laden ihn mit Erlaubnis des Padischahs ein. Nachdem
sie gegessen und getrunken haben, untersuchen sie ihn. Aus seiner
Tasche sieht der Flügel eines goldenen Vogels hervor. Einer von den
Veziren geht zum Padischah und sagt: „Dein neuer Vezir hat geprahlt:
Diesen goldenen Vogel will ich lebendig herbringen.“ Der Padischah läßt
den Vezir kommen und sagt: „Ich wünsche diesen Vogel lebendig von dir.“
Der junge Mann sagt: „Sogleich“ und ging hinaus zu dem rotbraunen
Pferde. Das Pferd fragt ihn: „Was fehlt dir?“ Er antwortet: „Ich habe
mir den Unwillen des Padischahs zugezogen. Er verlangt einen goldenen
Vogel von mir.“ Das Pferd sagt: „Das ist etwas Leichtes. Besteige mich,
schließe dein Auge. Ich werde dir helfen.“ Der junge Mann besteigt das
rotbraune Pferd, schließt sein Auge und befindet sich sofort an der
Stelle des großen Vogels, wo er vorher gewesen war. Der Vogel fragt den
jungen Mann. Als Antwort bekommt er: „Der Padischah verlangt von mir
einen goldenen Vogel.“ Der Vogel antwortet: „Geh, bringe die Tiere aus
dieser Herde, koche sie und hänge sie an diesem Baume auf.“ Der junge
Mann bringt die Tiere aus der Herde, kocht sie und hängt sie an einen
Zweig. Nach einer halben Stunde kommen drei goldene Vögel zu dem an dem
Zweige hängenden Fleische. Der andere große Vogel greift die goldenen
Vögel an, verschwindet in der Luft und ist nicht mehr zu sehen. Der
Jüngling geht auch. Der große Vogel hatte ihm nämlich
auseinandergesetzt: „Sei an der Tür der Höhle, an dem und dem Orte
anwesend und gib dir Mühe die Vögel zu fangen, wenn ich sie verfolge,
bringe sie mit dir und sei nicht unachtsam wie dein Vater und laß den
Vogel nicht entwischen.“ Deswegen war er — das heißt der Jüngling —,
als der große Vogel die goldenen Vögel verfolgte und in die Luft
geflogen war, auf sein Pferd gestiegen und zur Tür der Höhle gegangen.
Auf einmal entsteht in der Luft ein Geräusch, der große Vogel bringt
die goldenen Vögel herbei und treibt sie vor sich. Da der junge Mann
nun persönlich anwesend war, gelang es ihm, mit größtem Eifer einen von
den Vögeln, als sie in die Höhle gehen wollten, zu fangen. Danach
verabschiedet er sich von dem großen Vogel, nimmt den goldenen Vogel,
besteigt das erwähnte rotbraune Pferd und geht direkt in das Schloß des
Padischahs. Der Padischah sieht, daß er den gewünschten goldenen Vogel
gebracht hat. Daraufhin wurde die Liebe des Padischahs zu diesem Vezir
groß, aber die anderen Vezire beneideten ihn und warteten immer auf
eine Gelegenheit. Eines Tages luden sie wieder diesen Vezir ein, gaben
ihm Wein zu trinken und machten ihn betrunken. Wieder ging einer von
ihnen zum Padischah und sagte: „Dein neuer Vezir prahlte: ‚Ich will auf
diese hohe Pappel steigen.‘“ Der Padischah rief ihn und sagte, als er
kam: „Ich verlange, daß du auf diese Pappel steigst und mir Antwort
bringst, was auf dieser Pappel los ist.“ Der junge Mann läßt sich auf
Anweisung des rotbraunen Pferdes von einem Schmiede viele Nägel machen.
Dann nimmt er einen Hammer in die Hand und schlägt einen Nagel in die
Pappel. Auf diese Art schlägt er immer einen Nagel ein und steigt oben
auf die Pappel. Oben auf der Pappel findet er einen goldenen
Mädchenzopf, den ein Vogel gebracht hatte. Er steigt herunter und zeigt
ihn dem Padischah. Der Padischah befiehlt ihm: „Ich verlange von dir
dies goldhaarige Mädchen persönlich.“ Der junge Mann antwortet: „Zu
Befehl.“ Darauf geht er zu seinem rotbraunen Pferde und sagt: „Der
Padischah verlangt von mir das goldhaarige Mädchen.“ Das Pferd
antwortet: „Besteige mich. Gott ist barmherzig. Schließe deine Augen
und öffne sie, wenn ich es dir sage.“ Sofort befindet er sich auf einer
Insel mitten im Meere und sieht, daß das goldhaarige Mädchen auf einem
Throne schläft. Das Pferd befiehlt: „Nimm es mit dem Thron in deine
Arme, aber schließe deine Augen und öffne sie nicht. Wollen abwarten,
was Gott tut.“ Sofort nimmt der junge Mann das goldhaarige Mädchen in
die Arme auf das Pferd, und schließt seine Augen. Da ertönt von der
andern Seite eine Stimme: „Bruder, einmal hast du mich in dieser Welt
mißachtet, dies zweite Mal habe Mitleid mit mir.“ Diese Stimme war
nämlich die des zweiten Bruders des Pferdes. Dies rotbraune Pferd war
nämlich ein Peripferd. Seinerzeit war der Vater des jungen Mannes
hierher gekommen, um das Mädchen zu nehmen. Der zweite Bruder des
rotbraunen Pferdes hatte es damals sich aus der Hand nehmen lassen.
Auch diesmal hat er Mitleid, bleibt zurück und läßt zu, daß das
goldhaarige Mädchen dem Padischah gebracht wird. Nun sagt das
goldhaarige Mädchen: „Ich habe drei Aufträge. Wenn du sie annimmst,
richte die Hochzeit zu und ich werde dich heiraten, sonst nicht.“ Der
Padischah sagte: „Was dein Auftrag auch sei, sage ihn mir. Ich werde
sehen, was sich tun läßt.“ Der erste Auftrag des Mädchens: „An dem und
dem Orte ist ein Kayk [25] aus einer Haut, das lasse herbringen.“ Der
Padischah trägt dem jungen Manne auf: „Geh, hole das Kayk, das da und
da ist.“ Der junge Mann geht sofort zu dem rotbraunen Pferde und
erzählt ihm die Sache. Das Pferd sagt: „Besteige mich und schließ deine
Augen.“ Wieder befindet er sich auf einer Insel mitten im Meere. Das
Pferd sagt: „Das Kayk, das der Padischah von dir verlangt hat, ist
dieses, aber der Grund für deine Reise in diese Länder war eine
Handvoll Erde. Diesen Platz hat weder deines Vaters Auge gesehen noch
seines Pferdes Spur berührt. Geh hin, nimm eine Handvoll Erde.“
Daraufhin nimmt der junge Mann eine Handvoll Erde und steckt sie in
sein Taschentuch. Danach nimmt er das Kayk in den Arm und schließt die
Augen. Wieder ertönt wie vorher eine Stimme. Das war nämlich die Stimme
des jüngsten Bruders des braunroten Pferdes. Das braunrote Pferd sagt:
„Mein Bruder, du bist ein Jüngling. Habe Mitleid mit mir. Ich möchte
dies Kayk mitnehmen und dem Padischah geben.“ Da hat er Mitleid und
bleibt zurück. Der junge Mann bringt das Kayk dem Padischah und
übergibt es ihm.

Der zweite Auftrag des Mädchens: „Im Meer ist ein eisenköpfiges Pferd,
das bringe.“ Der Padischah befiehlt es dem jungen Manne. Der geht
wieder zu dem rotbraunen Pferde. Dies sagt: „Schlage mir unter jeden
Huf einen Batman [26] Hufeisen und lege mir auf den Rücken drei
Ochsenhäute und klebe sie mit Pech an. Dann wollen wir sehen, ob sich
die Sache machen läßt.“ Der Jüngling tut so, wie das Pferd es
beschrieben hat. Danach kommen sie an das Gestade eines Meeres. Er läßt
das rotbraune Pferd ins Meer. Nach zwei bis drei Stunden kommt es
wieder heraus und hat das eisenköpfige Pferd am Halse gepackt. Er legt
dem letzteren ein Halfter um den Kopf und besteigt das Pferd. Als er
zum Palast des Padischahs kommt, schreit das Mädchen aus dem Schlosse:
„Wärst du doch nie gekommen! Wohin gehst du?“ Da sieht sich der
Jüngling um und sieht, daß vierzig Stuten aus dem Meer steigen und dort
bleiben, als sie die Stimme des Mädchens hören.

Der Padischah sagte: „Auch dieser dein zweiter Auftrag ist ausgeführt.
Sage deinen dritten. Wollen sehen, was sich machen läßt.“ Da antwortet
das Mädchen: „Laß die Milch dieser Stuten melken und in jenes Kayk
füllen. Dann habe ich nichts mehr zu sagen. Rüste die Hochzeit und ich
will dich heiraten.“ Der Padischah befiehlt dem jungen Manne: „Geh,
melke jene Stuten!“ Der junge Mann melkt die Stuten mit Leichtigkeit
und füllt das Kayk mit Milch. Da sagt das Mädchen zum Padischah: „Du
hast wahrscheinlich nicht die vorgeschriebene Waschung vollzogen.
Wasche dich in dieser Milch.“ Wenn sie dem Padischah, statt sich in
Milch zu waschen, gesagt hätte: „Geh ins Feuer“, so hätte er auch das
getan, denn so beherrschte ihn die Liebesglut zu diesem Mädchen. Sofort
zieht er sich aus und steigt in die Milch. Nun war aber die Stutenmilch
giftig und der Padischah stirbt sofort. Nun kam die Reihe an den jungen
Mann. Das Mädchen sagte: „Vorwärts, mein Jüngling, der Padischah
verstand nicht den Kniff, sich zu baden, du kennst aber den Kniff. Bade
dich und ich werde dich heiraten.“ Der Jüngling war zum Sterben in das
Mädchen verliebt. Als er dabei ist, sich auszuziehen und hinein zu
steigen, faßt das Pferd ihn mit den Zähnen am Kragen und zieht ihn
zurück. Danach wendet es ein Mittel bei der Stutenmilch an, so daß kein
Gift bleibt. Dann steigt der Jüngling in die Milch, badet sich und
kommt heil wieder heraus. Als er herauskommt, nimmt er das schöne
goldhaarige Mädchen in die Arme und tausend Küsse haben nur den Wert
eines Paras [27] für sie. Schluß: Das Mädchen wird mit dem Sohne des
Padischahs verheiratet und sie beide erreichten ihren Wunsch und
bringen die Erde, die eigentlich der Zweck war, im Taschentuch in das
Reich seines Vaters. Sie streichen die mitgebrachte Erde dem Vater auf
die Augen. Er wird mit Gottes Hilfe wieder sehend und setzt das Mädchen
und seinen Sohn auf seinen Thron. Alle erlangten, was sie wünschten.
Hier hat die Geschichte ein Ende.



19. DER GRINDKOPF


Früher war in Stambul ein grindiger Junge. Der sagte: „Wenn ich fünf
Piaster hätte, würde ich ein Kunststück vollführen.“ Ein Reicher hörte
dies, ging hin und gab ihm sieben Piaster und sagte: „Vorwärts,
Bursche, zeige dein Kunststück.“ Der grindige Junge nahm diese sieben
Piaster und ging zum Scherbethändler und sagte: „Nimm diese vierzig
Para und bringe um ein Uhr diesen Scherbet in das Bad von Tacht elqalà.
Der Sohn des Padischahs von Indien hat sich in diesem Bade ausgezogen.
Wenn er aus dem Bade gehen will, soll er den Scherbet trinken.“ Dann
ging er hin und gab einem Pastetenbäcker sechzig Para und sagte: „Um 1½
Uhr soll das der Sohn des Padischahs von Indien essen, wenn er aus dem
Bade von Tacht elqalà, wo er sich ausgezogen hat, herausgeht.“ Dann
kaufte er Tabak zu zwei Piastern und vom besten Zigarettenpapier und
wies einen Krämer an: „Um zwei Uhr bring dies in das Bad von Tacht
elqalà. Der Sohn des Padischahs von Indien hat sich dort ausgezogen und
soll ihn rauchen, wenn er das Bad verläßt.“

Er selbst geht um zwölf Uhr ins Bad, zog sich aus und verbarg seine
schlechten Kleider irgendwo und setzt sich auf den Stein in der Mitte
des Bades. Die Badediener sagen: „Grindiger Junge, geh nun endlich. Es
ist Abend geworden. Wir wollen das Bad reinigen.“ Der grindige Junge
sagte: „Langsam, langsam!“ Da schlugen sie ihn. Als er aus dem Bade
gehen wollte, klopfte man an die Tür. Der Badebesitzer sagte: „Was ist
da?“ Da sagte der Scherbetverkäufer: „Der Sohn des Padischahs von
Indien hat sich hier umgezogen. Er wird diesen Scherbet trinken, wenn
er aus dem Bade geht.“ Da wunderte sich der Badebesitzer, kam sofort
und sagte: „Mein Herr, verzeihe das Versehen der Badediener. Wir
kannten dich nicht.“ Während sie so sprachen, wurde wieder an die Tür
geklopft. Als der Badebesitzer fragte: „Was ist das?“ Da wurde
geantwortet: „Pasteten, die der Sohn des Padischahs von Indien essen
wird.“ Da glaubte der Badebesitzer es wirklich. Man breitete ein
schönes Handtuch über den Stein in der Mitte des Bades und ließ ihn
sich dort hinlegen. Die Badediener rieben ihn mit dem Frottierlappen
und führten ihn mit vieler Höflichkeit aus dem Bade auf das Lager. Als
man ihn sich hinlegen ließ, wurde wieder an die Tür geklopft. Auf die
Frage des Badebesitzers „Was ist das?“ hieß es: „Diesen Tabak wird der
Sohn des Padischahs von Indien rauchen, wenn er aus dem Bade gehen
wird.“

Sie drehen eine Zigarette und geben sie ihm. Der grindige Junge sagt
zum Badebesitzer: „Mein Kawaß [28] wollte mir meine Kleider
nachbringen. Ist er noch nicht gekommen?“ Da sagte der Badebesitzer:
„Ist nicht nötig, mein Herr. Ich habe viele Kleider.“ Dann sagte er zu
seinem Mohren: „Geh, meine Frau soll in die Festkleider in die eine
Tasche Gold und in die andere Silbergeld stecken. Dann bringe sie her.“
Der Mohr ging hin und tat so. Der Grindkopf zog die schönen Kleider des
Badebesitzers an. Als er das Bad verließ, gab er zwei Pfund den
Badedienern, vier Pfund dem Oberaufseher und sechs dem Badebesitzer.
Als er aufstand und weggehen wollte, sagte der Badebesitzer: „Bitte,
mein Herr, bleibe heute als unser Gast.“ Sie standen auf und gingen in
das Haus des Badebesitzers. Am Morgen sagt der Badebesitzer zu seinem
Mohren: „Geh, sage dem und dem Hotelbesitzer, er soll wenigstens ein
Zimmer zurichten.“ Der Hotelbesitzer und der grindige Junge gingen in
das Hotel. Der Letztere blieb in einem Zimmer als Gast. Der grindige
Junge rief den Hotelbesitzer und sagte: „Geh, miete mir vom Bazar zwei
Diener. Der eine soll ein Mohr, der andere ein Weißer sein.“ Der
Hotelbesitzer tat so. Darauf sagte er: „Geh, bringe mir schnell einen
Soldatenrock und ein Martinigewehr.“ Der tat das auch. Der grindige
Junge gab den Soldatenrock und das Gewehr dem weißen Diener und sagte:
„Du halte Wache hier draußen vor der Tür. Wenn jemand kommt, sagst du:
‚es ist verboten.‘“ Der tat so. Dem Mohren sagte er: „Du bleibst bei
mir. Wenn der Soldat draußen sagt: ‚es ist verboten‘, gehe du auch
hinaus und frage: ‚Wer ist da?‘ Wenn der Mann draußen dann sagt: ‚Ich
bin der Diener von dem und dem‘, komme zu mir und benachrichtige mich.“
Die taten so. Er sagte zu dem Mohren: „Kennst du den Läufer des
Großvezirs?“ Der Mohr antwortete: „Ja, ich kenne ihn.“ Er antwortete:
„Geh, rufe ihn mir.“ Der Mohr ging und rief ihn. Als er kam, sagte er
zu dem Läufer: „Bist du der Läufer des Großvezirs?“ Der antwortete:
„Ja.“ Dann sagte er: „Kannst du mir morgen gegen drei oder vier Uhr das
Pferd des Großvezirs im Paradeschmuck bringen? Ich möchte etwas
umherreiten und werde dir zehn Pfund geben.“ Der Läufer sagte: „Sehr
wohl.“ Nachdem er gegangen war, sagte er zu dem Mohren: „Rufe mir den
Läufer des Seraskers.“ Er rief ihn. Als er kam, sagte er ihm dasselbe.
Auch der antwortete: „Sehr wohl.“ Am nächsten Tage legten die beiden
Läufer den Pferden Paradeschmuck an und führten sie vor das Hotel. Er
sagte zu dem Hotelbesitzer: „Suche ein gutes Pferd.“ Der antwortete:
„Sehr wohl.“

Der grindige Junge bestieg das Pferd des Großvezirs, auf das des
Seraskers setzte sich sein Soldat, auf das des Hotelbesitzers der Mohr.
Dann ritten sie spazieren. Als sie während des Rittes vor dem Palast
des Padischahs vorbeikamen, fiel das Auge der Tochter des Padischahs
auf sie. Sie fragte den Posten vor der Tür: „Wer sind die? Frage
einmal.“ Der Posten fragte den Diener: „Wer sind die?“ Der antwortete:
„Das ist der Sohn des Padischahs von Indien.“ Inzwischen wurde es
Abend. Als der Padischah in sein Schloß kam, sagte seine Tochter:
„Vater, ist der Sohn des Padischahs von Indien gekommen?“ Der Padischah
sagt: „Nein, wenn er gekommen wäre, müßte ich es erfahren haben.“ Sie
antwortete: „Als er heute hier vorbeiritt, habe ich ihn gesehen und zum
Posten gesagt: ‚Frage, wer das ist!‘ Der Posten fragte und sagte: ‚Das
ist der Sohn des Padischahs von Indien‘“. Sie ließen den Posten kommen
und sagten: „Du hast gefragt?“ Er antwortete: „Ja, mein Padischah, ich
habe gefragt.“ Da sagte er: „Hast du gefragt, wo er wohnt?“ Er
antwortete: „Nein, mein Padischah, zum Fragen war keine Zeit, sie
gingen weiter.“ Da wurde der Padischah zornig und sagte: „Soviel
Patrouillen und Geheimpolizisten haben wir, und die ahnen nichts davon,
daß der Sohn des Padischahs von Indien gekommen ist?“ Er ließ schnell
einen Menschen kommen und ließ den Sohn des Padischahs von Indien
aufsuchen. Sie fanden das Hotel und sagen dem Padischah: „Er wohnt in
dem und dem Hotel.“ Da sagte der Padischah zu einem seiner Adjutanten:
„Geh, rufe ihn, er soll kommen und unsere Unaufmerksamkeit verzeihen.“
Als der Adjutant kam und nach oben gehen wollte, sagte der Posten: „Es
ist verboten.“ Der Mohr kam heraus und fragte: „Wer ist da?“ Der
Adjutant sagte: „Wenn es erlaubt ist, möchte ich den Bej [29]
besuchen.“ Der Mohr ging hinein, der Prinz antwortete: „Nein, er soll
nicht kommen.“ Der Adjutant ging wieder zum Padischah und sagte: „Er
hat mich nicht hineingelassen.“ Der Padischah dachte: „Er ist zornig,
weil wir ihm nicht entgegengegangen sind. Deswegen ist er ärgerlich.“
Er ging zum Großvezir und sagte: „Rufe du ihn, er möge kommen.“ Er
ging, wurde aber wie der Adjutant nicht hineingelassen. Da sagte der
Padischah zum Scheich ul Islam: „Geh du hin. Wenn er nicht kommt, werde
ich hingehen.“ Der Scheich ul Islam ging hin. Wieder sagte der Posten:
„Es ist verboten.“ Der Mohr kam und fragte: „Wer ist da?“ Da sagte er:
„Ich bin der Scheich ul Islam. Wenn es erlaubt ist, möchte ich
eintreten.“ Der ging und sagte dem Grindköpfigen: „Der Scheich ul Islam
ist gekommen. Darf er eintreten?“ Der sagte: „Ja, er mag kommen.“ Der
Scheich ul Islam trat ein. Der Grindköpfige stand auf. Der Scheich ul
Islam ließ ihn sich hinsetzen, begrüßte ihn und fragte ihn nach seinem
Befinden und sagte: „Wie geht es deinem Vater, ist er gesund?“ Er
sagte: „Es geht ihm gut, er läßt euch grüßen.“ Der Scheich ul Islam
sagte: „Dein Vater ist ein sehr guter Mann. Er war mein Schulkamerad.“
Nachdem sie sich gegenseitig nach ihrem Befinden erkundigt hatten,
sagte der Scheich ul Islam: „Komm doch, bitte. Unser Padischah wünscht
dich zu sehen.“ Da sagte der Grindköpfige: „Ist das bei euch so Sitte?“
Der antwortete: „Was verlangst du?“ Er antwortete: „Ich verlange eine
Regimentskapelle und ein Regiment Kavallerie.“ Er ging zum Padischah
und sagte es ihm. Der antwortete: „So soll es sein.“ Alle Vezire holten
ihn mit Ehrenbezeugungen in den Palast. Sie unterhielten sich im Palast
bis zum Abend. Alle Anwesenden entfernten sich. Als sie allein waren
und nur der Padischah und der Grindköpfige allein waren, ging die
Tochter des Padischahs spazieren. Sie war in den Grindköpfigen
verliebt, nimmt ein Tuch und schickt es durch eine Sklavin zu ihrem
Vater. Damals herrschte die Gewohnheit, wenn ein Mädchen sich in jemand
verliebt hatte, so schickte sie ihm solche Zeichen. Der Padischah
verstand, daß seiner Tochter der Grindköpfige gefiel. Der Padischah
dachte nach. Da sagte der Grindköpfige: „Mein Padischah, woran denkst
du?“ Der erklärte ihm die Sache. Dieser sagte: „Sehr wohl, mein
Padischah, aber ohne die Erlaubnis meines Vaters und meiner Mutter geht
es nicht.“ Der Padischah sagte: „Ich werde an deinen Vater und Mutter
schreiben, um die Erlaubnis zu erlangen. Ich werde einen Brief mit der
Post schreiben.“ Der antwortete: „Wenn ich nicht selber hingehe, ist es
unmöglich. Nach drei bis fünf Monaten werde ich hingehen und die
Erlaubnis holen und wiederkommen. Dann mag es sein, wie du gesagt
hast.“ Der Padischah: „Es ist nicht nötig, daß du selber hingehst.“ Er
schrieb einen Brief und gab ihn dem Tataren. Der stieg auf den Dampfer
und fuhr nach Indien. Eines Tages kam er in Indien an, ging zum
Padischah und gab den Brief dem Padischah. Der Padischah saß in der
Versammlung, öffnete den Brief, sah ihn an, legte ihn wieder in den
Umschlag und steckte ihn in die Tasche. Als er am Abend nach Hause
gekommen war, las er ihn und lachte. Seine Frau sagte: „Was lachst du?“
Er sagte: „Irgend ein junger Mann ist zum Padischah gegangen, hat ihn
überredet, daß er der Sohn des Padischahs von Indien sei. Der ist
bereit, ihm seine Tochter zu geben. Der junge Mann hat uns als seine
Eltern angegeben und gesagt, daß es ohne unsere Erlaubnis nicht
anginge. Der Padischah hat deswegen an uns geschrieben. Was soll man da
tun?“ Seine Frau sagte: „Das ist ja gut. Ohne uns zu sehen, hat er uns
als Eltern angenommen. Deswegen wollen wir, indem wir sagen: ‚Sehr gut,
wir sind damit einverstanden‘, morgen einen Brief schreiben und von
dem, von meinem Vater ererbten Vermögen einen Dampfer ausrüsten und als
Geschenk schicken.“ So taten sie. Das Schiff mag nun nach Stambul
gehen! Unsere Geschichte kehrt jetzt zu dem Grindköpfigen zurück.
Seitdem der Dampfer nach Indien gefahren war, hatte er keinen ruhigen
Schlaf gehabt. Was sollte er machen? Er schlief nicht, in dem Gedanken:
„Wenn sie sagen, der Sohn des Padischahs von Indien hat keinen Sohn,
werden sie mich sofort töten.“

Der Dampfer kam nach Stambul, seine Pfeife ertönte. Der Grindköpfige
wußte nicht, was er tun sollte, und ging ans Fenster indem er dachte:
„Ich werde mich aus dem Fenster stürzen, dann bin ich wenigstens tot.“
Die Posten ließen ihn aber nicht an das Fenster. Der Tatar kam und gab
den Brief dem Padischah. Der Grindköpfige stand Todesqualen aus. Der
Padischah las den Brief und sagte: „Siehst du, dein Vater hat die
Erlaubnis gegeben.“ Der Grindköpfige sagte: „Dann ist die Sache
erledigt. Mein Vater hat zu befehlen.“ Der Padischah sagte: „Die
Hochzeit soll stattfinden.“ Nachdem vierzig Tage lang die
Hochzeitsfeierlichkeiten gedauert hatten, sagte der Padischah am
Brautnachtsabend: „Fordere von mir, was du wünschest.“ Der Grindköpfige
sagte: „Gib dem Badebesitzer in Tacht el qalà ein Paschalik, dem und
dem Hotelbesitzer den Posten eines Majors und dem Mann, der die fünf
Piaster gegeben hat, einen Posten.“ Der Padischah sagte: „Es soll
sein.“ Der Grindköpfige wurde Schwiegersohn des Padischahs. Jetzt
wollte der Grindköpfige mit seiner Frau nach Indien gehen. Der
Padischah gab die Erlaubnis und sie gingen nach Indien. Als die Pfeife
des Dampfers ertönte, fragte das Volk: „Was ist das?“ Man sagte: „Der
Sohn des Padischahs ist gekommen. Es sollen Feste gefeiert werden und
die Bevölkerung soll ihm entgegen gehen.“ Die alten Leute sagten:
„Hatte der Padischah einen Sohn? Das ist nicht sein Sohn.“ Trotzdem
gingen sie ihm entgegen und führten ihn ins Schloß. Dort lebten sie
vergnüglich.



20. IM ALTER ODER IN DER JUGEND?


Eine weite Wiese im nebeligen, dunkelblauen Schatten von unendlichen
Wäldern, in die kein Vogel dringt!... In ihrer Mitte fließt ein
azurblauer Bach... Tausende von Pferden und Stuten tollen im goldigen
Licht der neuaufgehenden Sonne... Hunderttausende von Schafen blöken.
Gebrüll und Gewieher! In weiter Ferne erheben sich unzählige Gipfel
schneebedeckter, hoher Berge, die silbergekrönten Häuptern gleichen, in
den Himmel. In der Mitte ein Schloß. Vor der Tür des Gartens, der es
umgibt, stehen bewaffnete, berittene Helden und bellen Hunde.

Das ist der Wohnort eines türkischen Bejs.

Der Besitzer dieses Heims ist der fünfundzwanzigjährige Hassan Bej. Er
kennt nicht die Zahl seiner Schafe, Pferde, Kamele und seiner in alle
Welt ziehenden Karawanen. Die Grenzen seines Besitzes sind unbekannt.
Aus Azerbaidschan, Turkistan, Bagdad, Syrien, Anatolien, aus der
europäischen Türkei kommen Briefe seiner Leute und sagen: „Mehr als die
Hälfte der Welt gehört Hassan Bej.“ Die Reisenden erzählen, daß vom
Osten bis zum Westen sein Name genannt wird.

Hassan Bej, der sein Vermögen und seinen Besitz nicht kennt, besaß zwei
Zwillingskinder im Alter von sechs Jahren, Turgud und Korkud. Die
schönste Frau der Welt, Uludsch Begum hatte sie Hassan im Jahre, da sie
ihn geheiratet, geboren. Jeder hielt sie für Feenkinder. So schön waren
sie, daß ihre großen schwarzen Augen, die sich gänzlich glichen, zu
sehen, die Frauen von den Stämmen, die mehr als einen Monat entfernt
wohnten, kamen und Uludsch Begum beglückwünschten.

Hassan Bej war der einzige Sohn seines reichen, heldenhaften Vaters,
der vor drei Jahren gestorben war. Jeden Tag ging er auf die Jagd,
spielte Polo, dankte Gott für den unzählbaren Reichtum, den ihm das
Geschick gegeben, unterstützte die Armen, half den Hilfesuchenden, kurz
tat nichts anderes als Gutes, Großes und Heldenhaftes.

Obgleich er so reich war, gab er doch nicht seinen Gelüsten nach, trank
nicht, brachte sein Leben mit seiner geliebten Uludsch Begum und seinen
Kindern zu, ging früh zu Bett und stand früh auf. Er war sehr
glücklich.

Aber eines Nachts erschien ihm im Traum ein Derwisch und fragte ihn:

„Hassan Bej, dir wird ein großes Unglück zustoßen. Soll es in deinem
Alter oder in deiner Jugend kommen?“

Er gab keine Antwort und sagte, als er aufwachte: „Hoffentlich läuft es
gut ab.“ Er umarmte Turgud und Korkud, die vor ihm aufgewacht waren und
küßte sie. An dem Tage war er bis zum Abend weder auf der Jagd noch
beim Polo aufgelegt. In der Nacht konnte er in seinem Bette nicht
einschlafen. Gegen Morgen kam eine Müdigkeit über ihn. Kaum waren seine
Augenlider zugefallen, als der gestrige Derwisch wieder vor ihm stand
und, während sein langer Bart sich bewegte, fragte:

„Hassan Bej, über dich wird ein sehr großes Unglück kommen. Soll es in
deinem Alter oder in deiner Jugend kommen?“

Wieder fuhr er empor und wachte auf. Seine Kinder und ihre geliebte
Mutter schliefen noch. Er sah sie an. Also dieses Heim, dieses heilige
Nest, sollte von der grausamen Hand des Schicksals zerstört werden.
Aber jetzt oder später? Er fing an nachzudenken. Er konnte sich nicht
entschließen, zu sagen: „Jetzt ... in meiner Jugend.“ Sollte er nicht
Mitleid haben mit einer solchen Frau und solchen zwei schönen Kleinen?
Mögen sie groß werden, mag es dann in seinem Alter kommen, was es auch
sein möge.

An dem Tage ging er nicht aus. Er saß wie ein Kranker zu Hause. Gegen
Abend änderte sich allmählich sein Entschluß. So reich wie Hassan Bej
war, so tapfer war er auch. Wie er sich vor keinem Feinde fürchtete, so
fürchtete er sich auch nicht vor dem Unglück. Warum sollte er dies
Unglück in seinem Alter wünschen? Wenn indessen das Unglück in seiner
Jugend über ihn käme, würde er das ihm entgegentretende Unglück mit der
Kraft seines Armes erhellen können. Er vertraute auf sich. Da das
Unglück ihm nun einmal bestimmt war, sollte es in der Zeit der Kraft
und des Feuers, in der Jugend, über ihn kommen.

Sobald er den Entschluß gefaßt hatte, schlief er gut. Im Traum kam
wieder der Derwisch und wiederholte seine Frage:

„Hassan Bej, über dich wird ein sehr großes Unglück kommen. Soll es in
deinem Alter oder in deiner Jugend kommen?“

Hassan Bej rief: „In der Jugend, in der Jugend“ und wachte auf.

Uludsch Begum und die Zwillinge wachten auf. Er aber sagte ihnen nur:
„Schlaft nur. Ich habe im Traum gerufen. Macht es euch nur bequem.“

Bis zum Morgen schloß er kein Auge. Als es Morgen wurde, befahl er die
Pferde zu satteln. Er wollte frische Luft schöpfen und einen längeren
Ritt machen. Während er mit seinen Leuten aus der Tür des Hauses ging,
sah er fünf bis zehn Bettler. Ihre Kleider waren zerrissen. Durch die
Risse ihrer Mäntel waren ihre verwundeten Körper zu sehen. Sie
schwankten, da sie sich vor Hunger nicht mehr aufrecht halten konnten.
Er steckte seine Hand in seinen Busen und zog eine Handvoll Goldstücke
heraus und warf sie unter die Armen als Almosen.

Er dachte, sie würden gierig danach greifen. Jedoch keiner rührte sich.
Da sagte Hassan Bej: „Ihr Unglücklichen, warum nehmt ihr nicht mein
Geschenk?“

Alle riefen einstimmig: „Wir sind keine Bettler.“

Hassan fragte erstaunt: „Woher kommt euer Elend? Wer seid ihr denn?“

Da trat einer von ihnen vor, öffnete die Hände und sagte: „Mein Bej,
sieh mich an. Wenn du deutlich hinsiehst, wirst du mich erkennen. Wir
waren Verwalter deiner Waren im Osten.“

Hassan Bej war erstaunt, erkannte sie alle und rief aus: „Was ist aus
euch geworden? Wie kommt ihr in diesen Zustand?“

Die Leute, die er für Bettler hielt, erklärten ihm genau, was ihnen
zugestoßen war.

Chinesen, Räuber, persische Reiter hatten im Osten alles geplündert.
Alle Türken, die sie in die Hände bekommen konnten, hatten sie getötet.
Mit tausend Mühen und Entbehrungen hatten sich nur diese fünf bis zehn
Leute retten können. Der Schaden ließ sich nicht abschätzen.

Hassan Bej verzweifelte nicht und sagte: „Sorgt euch nicht, einem
Unglück gegenüber, das von Gott kommt, gibt es nichts anderes als sich
fügen.“

Einen ganzen Monat lang kamen jeden Morgen haufenweise Fremde und
Bettler und sagten, daß sie zum Hause gehörten. Hassan Bej war nichts
übriggeblieben. Alle seine unermeßlichen Waren in Azerbaidschan, im
Kaukasus, in Turkistan, Bagdad, Syrien und der europäischen Türkei
waren vernichtet und geraubt.

Jeden Tag regnete Unglück über dies Haus.

Eines Tages empörten sich auch die Leute Hassan Bejs, plünderten,
verbrannten, zerstörten, raubten alles, was ihnen in die Hände kam.
Hassan Bej leistete ihnen mit ein paar treuen Dienern Widerstand. Er
rettete seine Frau und die Kinder, war aber gezwungen sein Vaterhaus zu
verlassen. Zwei Tage und zwei Nächte durchquerten sie Berge und Hügel.
Endlich kamen sie in eine türkische Stadt. Dort kaufte er von dem
Gelde, das er bei sich hatte und von den kostbaren Waffen ein Haus. So
tapfer wie er war, so gelehrt war er auch. Er sammelte Schüler um sich
und wurde Lehrer an einer neuen Schule der Stadt. In seinem Hause waren
nur seine Frau und die Zwillinge. Jeden Abend kam er nach Hause und da
er dachte, daß dies das Unglück wäre, das ihm in seiner Jugend zustoßen
sollte, dankte er Gott.

Eines Tages war er in der Schule. Uludsch Begum hatte ihre Zwillinge
spazierengehen lassen. Da hörte man „Feuer, Feuer“ rufen. Die
Bevölkerung der Stadt eilte nach dem Viertel, wo Hassan Bej wohnte.
Auch Hassan Bej lief. Was sieht er auf einmal? Sein Haus brennt.

Indem er sagte „Einem Unglück gegenüber, das von Gott kommt, bleibt
nichts anderes übrig als sich zu fügen“, umarmte er seine Kinder, die
ihm in die Arme liefen.

Der Sommer war gekommen. Im Sommer zerstreuten sich die Schulkinder. Da
ihm kein Platz zum wohnen geblieben war, zog sich Hassan Bej in ein
Dorf zurück. Dort fand er für sich eine kleine Hütte und wurde
Rinderhirt. Dies Dorf lag an einer großen Straße. Jeden Tag kamen
Reisende und Karawanen vorbei.

Uludsch Begum blieb tagsüber mit den Zwillingen zusammen in der Hütte
und wusch die Wäsche der Reisenden und gab ihnen Airan [30] und
Joghurt. Das Dorf bestand aus fünf bis zehn Häusern und fünfundzwanzig
bis dreißig Hütten. Hassan Bej sammelte frühmorgens seine Schafe,
Ziegen und Rinder und ging aus dem Dorf. Gegen Sonnenuntergang kam er
wieder.

Eines Tages war der persische Gesandte, der aus dem Abendland
zurückkehrte, in dem größten Gebäude des Dorfes, einem Steinhause,
eingekehrt und hatte seine Wäsche der Frau des Hassan Bej geschickt, um
sie zu waschen. Uludsch Begum hatte diese Wäsche gewaschen und am
nächsten Tage, nachdem sie sie getrocknet hatte, dem Burschen des
Gesandten gegeben. Als der Bursche durch die Hecke der Hütte die
Uludsch Begum sah, war er erstaunt, lief sofort zu seinem Herrn und
sagte: „Ach, Mirza, wenn du diejenige, die diese Wäsche gewaschen hat,
sähest, würdest du rasend.“ Er beschrieb ihm die Schönheit der Uludsch
Begum, daß der Gesandte sich, ohne sie zu sehen, in sie verliebte.

Hassan Bej hatte, wie jeden Morgen, seine Herde gesammelt und war der
aufgehenden Sonne entgegen gegangen. Da wurde an die Hecke der Hütte
geklopft.

Uludsch Begum gab Torgud und Korkud zu essen. Sie eilte zur Türe, weil
sie glaubte, daß wieder ein Reisender Wäsche gebracht habe. Es war
jedoch der Bursche des Gesandten. Dieser sagte: „Frau, mit der Wäsche,
die du gewaschen hast, war seine Exzellenz der Gesandte sehr zufrieden.
Er will dir diesen Backschisch geben.“ Dabei zeigte er ihr einige
Goldstücke, die er in der Hand hatte. Uludsch Begum wollte sie nicht
nehmen. Der Bursche drang in sie. Als sie schließlich, um sie zu
nehmen, errötend ihre Hand durch den Türspalt steckte, ergriff der
Bursche sie und zog sie hinaus. Uludsch Begum schrie und versuchte
Widerstand zu leisten. Sie hatte keine Waffen. Auf den Lärm kamen auch
die Kinder herbei. Einige Perser erschienen noch und stürzten sich auf
Uludsch Begum, banden sie, verstopften ihr den Mund, setzten sie auf
den Sattel eines Pferdes, schlossen sich im Galopp dem vorausreitenden
persischen Gesandten an und verschwanden in den Gebüschen des Weges,
der nach Persien geht, und in dem Staub, den sie aufgewirbelt hatten.

Am Abend kehrte Hassan Bej, nachdem er seine Herden entlassen, in seine
Hütte zurück. An der Tür fand er Torgud und Korkud. Beide sagten
einstimmig: „Vater, heute hat der persische Gesandte unsere Mutter
geraubt und ist mit ihr entflohen.“

Hassan begriff, daß jetzt das schlimmste Unglück ihn getroffen habe,
aber er war nicht niedergeschlagen und weinte nicht und sagte: „Einem
Unglück gegenüber, das von Gott kommt, bleibt nichts anderes übrig als
sich zu fügen.“

Er faßte seine Kinder an die Hand, legte in seinen Rucksack etwas Brot
und ging den Blick zur Erde, die Schultern gebeugt langsam nach
Persien. Sie folgten den Spuren der Hufe, die noch nicht verwischt
waren.

Als Hassan Bej in Gedanken versunken dahinging, freuten sich seine
Kinder in dem Gedanken, daß sie ihre Mutter suchten. Nacht und Tag,
Morgen und Abend gingen sie geradeaus über Berge und Hügel. Sie
schliefen in den Höhlen der Wälder und tranken das Wasser aus den
Quellen, die sie fanden.

Eines Tages sah Hassan Bej, daß vor ihrem Wege ein breiter Strom floß.
Auf der rechten Seite des Stromes war ein Wald. Er fand eine Furt. Wenn
er beide Kinder in den Arm nähme, würde er die Furt nicht
durchschreiten können. Er dachte: „Zuerst werde ich einen von ihnen
hinüber bringen und drüben lassen, dann umkehren und den anderen
holen.“

Er nahm Torgud in die Arme und sagte zu Korkud: „Mein Junge, passe auf
uns auf. Ich werde deinen Bruder drüben lassen und dann zu dir
umkehren.“

Er ging ins Wasser. Das Wasser reichte ihm bis an die Hüfte und kam
allmählich bis an die Schultern. Er gab Acht, daß er nicht von der
Strömung ergriffen würde. Da hörte er hinter sich ein jämmerliches
Geschrei. Der am Ufer zurückgebliebene Korkud schrie. Er wandte den
Kopf um und sah, daß ein großer Bär das Kind ergriffen hatte und mit
ihm in den Wald ging. Er beeilte sich, wieder die Waldseite zu
erreichen. Dabei stieß er an einen Stein, schwankte, fiel und Torgud,
den er im Arm hielt, wurde vom Wasser ergriffen und fortgerissen. Wie
sehr er sich auch bemühte, ihn durch Schwimmen zu erreichen, es glückte
ihm nicht.

Schließlich kam er ganz allein drüben an, setzte sich auf einen Stein,
stützte den Kopf in die Hände und dachte nach. In einem Augenblick
hatte er beide Kinder verloren, die er noch vor fünf Minuten in seinen
Händen hielt. Trotzdem wurde er nicht mutlos und weinte nicht, sondern
sagte: „Einem Unglück gegenüber, das von Gott kommt, bleibt nichts
anderes übrig als sich zu fügen“, und setzte den Weg nach Persien, den
er zur Hälfte zurückgelegt hatte, fort.

Als er nach Persien kam, fragte er nach dem Gesandten und ließ überall
suchen. Niemand kannte ihn. Es hieß, er sei jetzt nach Indien gegangen.
Zehn Jahre lang durchwanderte er Persien, fand aber keine Spur von
seiner Frau. Schließlich kam er in die Hauptstadt und suchte sie dort.

Eines Tages ging er an einer Versammlung vorbei. Drinnen stritten sich
die Lehrer und Gelehrten. Er hörte zu und gab Acht. Es sollte auf
Befehl des Schahs als Gegenstück zu dem persischen Heldenbuch ein
turanisches [31] Heldenbuch geschrieben werden. Die Weisen stritten
sich untereinander, indem jeder sagte: „Du kannst das nicht schreiben,
ich werde es tun.“ Hassan Bej sagte sofort: „Brüder, ich bin auch
schreibgewandt. Wenn ihr wollt, werde ich es schreiben.“

Die Gelehrten und Dichter hielten alle den Hassan Bej für verrückt,
lachten und sagten: „Kerl, du bist ein Türke und verstehst nichts
anderes als reiten und das Schwert zu gebrauchen. Geh an deine Arbeit.“

Hassan Bej antwortete: „Ich bin ein Türke, aber ich kann die Feder
ebenso gut wie das Schwert gebrauchen. Macht einen Versuch. Ich werde
es schreiben. Wenn es euch nicht gefällt, zerreißt es, werft es weg und
jagt mich davon.“

Die Gelehrten, Fürsten und Lehrer gaben diesem seltsamen Türken ein
Blatt und Feder, um sich über ihn lustig zu machen. Hassan Bej setzte
sich hin und schrieb in einem Anlauf das erste Lied des turanischen
Heldenbuches. Alle, die es lasen, waren erstaunt.

Die Perser gaben dies Gedicht, gleich als ob sie es selber geschrieben
hätten, dem Schah. Der Schah war ein sehr schöner, alter Mann, der den
Grad der Fähigkeiten und Geschicklichkeit seiner Dichter sehr wohl
kannte, und sagte: „In unserem Lande ist keiner, der ein solches
Gedicht schreibt. Sucht den, der es geschrieben und bringt ihn zu mir.“

Da konnten die Perser die Wahrheit nicht verbergen und gaben den Hassan
Bej an. Der Schah machte ihn zur Belohnung für seine Begabung zu seinem
Hofdichter und trug ihm auf, das turanische Schahname zu schreiben.

Hassan Bej war jetzt von aller Not befreit, aber er dachte nicht an
Reichtum und Besitz, sondern konnte seine geliebte Frau Uludsch Begum
und Torgud und Korkud nicht vergessen. Er verbrachte sein Leben in dem
Palast des Schahs gleichwie in einem Gefängnis verzweifelt und bedrückt
zu.



Der Bär, der Korkud ergriffen hatte, hatte seine Beute nicht gefressen
und nicht getötet, sondern ihn in seine Höhle gebracht und gefüttert.
Das Kind fand im Sommer die Gelegenheit in ein Dorf zu entwischen. Dort
kam es auf das Gut eines Bejs. Torgud, den der Strom fortgerissen
hatte, war nicht ertrunken. Der Strom hatte ihn in das Rad einer Mühle
getrieben. Als das Rad stillstand, war der Müller hingelaufen und hatte
dies Kind, das ihm der Strom zugeführt hatte, als Sohn angenommen.

Sommer und Winter waren vergangen. Nach zehn Jahren waren die Kinder
erwachsen und immer schöner geworden. Wohl weil sie Zwillinge waren,
erinnerten sich beide zu gleicher Zeit, daß sie einst eine Mutter
gehabt hatten, daß diese von dem persischen Gesandten geraubt sei und
daß ihr Vater, um diesen Gesandten zu suchen, nach Persien gegangen
sei. Eines Tages machten sie sich beide auf den Weg nach Persien und
trafen sich. Nachdem sie sich begrüßt hatten, fragten sie sich:

„Bist du ein Türke, Bruder?“

„Ja, ich bin ein Türke.“

„Dann sind wir ja stammverwandt.“

„Sicherlich.“

„Wohin gehst du?“

„Nach Persien.“

„Ich auch.“

„Dann können wir ja zusammengehen und Reisegenossen sein.“

„Sehr wohl.“

„Sehr wohl.“

Dann durchwanderten sie Täler und Höhen und kamen schließlich in die
Hauptstadt Persiens. Diese jungen Reisenden waren so schön, so gesetzt,
daß selbst das Schloß von ihrer Schönheit hörte und der Schah sie an
den Hof holte.

Das Türkentum und die Stammesliebe verband sie beide so sehr, daß sie,
obwohl sie nicht wußten, daß sie die gleichen Eltern hatten, sich nicht
voneinander trennten. Sie ritten zusammen, lernten ihre Aufgaben
zusammen und machten ihre Übungen zusammen.

Inzwischen war ein Jahr vergangen. Die beiden Lieblinge des Hofes waren
siebzehn Jahr alt geworden. Jetzt war ihre Tapferkeit und ihre
Geschicklichkeit im Reiten, im Waffengebrauch, im Bogenschießen ebenso
berühmt wie ihre Schönheit geworden. Eines Tages wünschte ein
Gesandter, der ins Abendland ging, zwei Helden, um seinen Palast zu
schützen. Der Schah wollte seinen alten Gesandten erfreuen und gab ihm
diese beiden Helden, die er am meisten liebte. Der Gesandte nahm diese
beiden einander ähnlichen Helden, die der Schah ihm schenkte, an,
brachte sie in seinen Palast und gab ihnen die Schlüssel zu seinem
Harem. Er selbst stieg zu Pferde und ging auf seinen neuen Posten.



Torgud und Korkud wohnten seit drei Monaten als Wächter im Palast des
persischen Gesandten. Der Sommer kam, die Nächte wurden kürzer und die
Nachtigallen fingen an zu singen. Vor der Tür des Harems war ein mit
eingelegter Perlmutterarbeit verzierter Vorraum. Bei Mondschein setzten
sich die beiden dorthin, schauten in das silberne Wasser, das aus dem
Springbrunnen eines gegenüberliegenden Beckens sprang, und in den
Widerschein des Mondes darin und erzählten sich von diesem und jenem.
Gerade über diesem Sitzplatze war ein vergitterter Balkon.

Wieder stieg der Mond empor, indem er die Wolken verscheuchte und
tauchte alles in ein blaues Licht. Torgud und Korkud standen in den
Geruch, der aus den Blumen emporstieg, und in das blaue Dunkel, das
unter den Zweigen der Bäume herrschte, versunken.

Beide waren geborene Dichter. Die Muse der Inspiration erwachte in
ihnen. Torgud sagte:


    „Einst glänzte mir des Lebens Sonnenschein.
    Ich nannte Vater, Mutter, Bruder mein.
    Die Mutter haben Perser mir gefangen.
    Nicht weiß ich, wo der Vater hingegangen.
      Noch vor dem Frühling ist der Herbst schon da;
      Nacht ist’s, noch eh das Morgenrot ich sah.
      Der Strom hat mich ans Mühlenrad getrieben.
      Was tat der Bär wohl mit Korkud, dem lieben?“


Korkud antwortete folgendermaßen:


    „Dein Funken hat in mir ein Licht entfacht,
    Das wie ein Blitz erhellt des Dunkels Nacht.
    Beim Bären einst ich lange Zeit verweilte,
    Sein Lager jahrelang ich mit ihm teilte.
      Sag’, Freund, bist du Torgud, der Bruder mein?
      Bist du’s, so sag’, wo mag der Vater sein?
      Die Eltern suchend zog ich in die Weite.
      Beim ersten Schritt standst du an meiner Seite.“


Als die beiden Brüder sich erkannten, sagten sie: „Ach, Bruder“ und
umarmten sich und weinten. Nach kaum einer Minute hörten sie unter
Tränen ein Geräusch. Sie hielten an und hörten genau hinan.

Eine ungeduldige Hand schlug an das Gitter des Balkons. Als das
Geräusch sich gelegt hatte, hörten sie die Stimme einer schluchzenden
Frau folgende Worte sagen:


    „Zehn Jahre lang bin ich in fremden Landen.
    Der Ehre wegen liege ich in Banden.
    Die Kinder sind gekommen, mich zu retten,
    Zu lösen mich aus meines Feindes Ketten.
      Mein Torgud und Korkud, ihr meine Freude.
      Ich setze meine Hoffnung auf euch beide.
      Ach, kommt und gebt mir meine Freiheit wieder!
      Matt ist mein Geist und müde sind die Glieder.“


Die beiden Brüder sprangen auf, zerbrachen die Tür des Köschks [32] und
stiegen nach oben, öffneten die Tür des Zimmers und traten ein. Eine
bleiche Frau, deren Haare über die Schultern fielen, streckte ihre in
Ketten liegenden Arme der Türe entgegen und wartete auf sie unter
Tränen. Sie stürzten sich sofort in diese heiligen Arme.

Die Frau sagte: „Ach, meine Kinder, ich bin eure Mutter.“

Sie waren verwirrt, konnten es nicht glauben und hielten es für einen
Traum.

Es war jedoch kein Traum, sondern Wahrheit. Der Gesandte, der Uludsch
Begum geraubt hatte, hatte sie, weil sie ihrem Manne treu blieb, in
seinem Harem eingekerkert. Der Gesandte ließ immer, wenn er wegging,
für seinen Palast zwei Wächter zurück. Uludsch Begum, die sich in zehn
Jahren dem Perser nicht hingegeben hatte und in den Nächten aus Kummer
über ihre Kinder nicht hatte schlafen können, hatte der Poesie der
unten plaudernden jungen Wächter zugehört und erkannte, daß es ihre
Söhne seien. Sie holte sie hinein, und sie fingen an zusammenzuleben.
Der Gedanke an ihren unglücklichen Vater Hassan Bej minderte ihre
Freude. Sie beteten, daß er gesund sein möge.

Uludsch Begum tröstete ihre Kinder und sagte: „Sorgt euch nicht. Ich
glaube nicht, daß er gestorben ist, da wir uns ja wiedergefunden haben.
Der große Gott wird uns auch mit ihm vereinigen.“

Die Tage des Glücks vergehen schnell. Eines Tages kam der Gesandte. Als
er erfuhr, daß die beiden Wächter im Harem seien, hielt er es vor Zorn
und Wut nicht einmal mehr nötig, Untersuchungen anzustellen, sondern
lief in das Schloß, beklagte sich beim Schah und flehte, daß die beiden
Wächter, die seine Ehre angegriffen hätten, und die Frau sofort
hingerichtet werden sollten. Der Schah war ein sehr weiser und
bedächtiger Mann und sagte: „Ohne richterliches Verfahren gibt es keine
Hinrichtung. Wir wollen sie hierher holen und fragen, warum sie dies
Verbrechen begangen haben. Nachdem wir ihre Antwort angehört haben,
wollen wir sie aufhängen.“

Der Gesandte konnte nicht widersprechen. So wurde denn ein Rat
zusammengerufen. Die Soldaten gingen hin und holten Uludsch Begum und
ihre beiden Söhne. Die Untersuchung verlief sehr tragisch. Als Uludsch
Begum auseinandersetzte, wie sie ihre Kinder gefunden und wie der
Gesandte sie aus ihrem Heim geraubt habe, weinte die ganze Versammlung.

Währenddessen stand der Hofdichter des Schahs, Hassan Bej, auf und
umarmte Uludsch Begum und seine beiden Söhne mit den Worten: „Ach,
meine Frau, ach, meine Söhne!“

Der Schah war über dies Ereignis so aufgeregt, daß er, ohne auf die
Fürbitte Hassan Bejs zu hören, sofort den Gesandten aufhängen ließ,
seinen Palast dem Hassan Bej schenkte und ihn zum Großvezir machte.

Hassan Bej, Uludsch Begum und ihre beiden Kinder waren nun glücklich.
Alle vergaßen das Unglück, das sie in zehn Jahren durchgemacht hatten.
Tatsächlich vergißt man ein Unglück schnell. Hassan Bej dankte Gott,
daß er das ihm bestimmte Unglück in seiner Jugend sich gewünscht hatte.
Hätte er es sich in seinem Alter gewünscht, hätte er dann wohl solche
Glückstage erleben und solches Glück kosten können? Hassan Bej blieb
nicht allein Vezir. Der Schah hatte keinen Sohn. So machte er seinen
Großvezir zum Nachfolger. Nach einem Jahr starb er und Hassan Bej wurde
Schah über die persischen Lande. So war auch der persische Thron wie
die Throne von ganz Asien auf die türkische Rasse übergegangen. Noch
heute sitzt auf dem persischen Thron wie auf den Thronen ganz Asiens
ein Sohn der großen türkischen Rasse.



21. DER OBERSTERNDEUTER


Es war einmal ein sehr armer Mann, der sein Leben damit fristete, alte
zerrissene Stiefel auszubessern. Dieser arme unglückliche Mann hatte
eine ebenso unglückliche Frau und eine Tochter.

Eines Tages ging die Frau dieses Armen mit ihrer Tochter ins Bad, um
sich zu baden. Sie treten in die Badezelle. Während sie anfangen wollen
zu baden, kommt die Badefrau und sagt, daß sie aufstehen müssen, weil
die Frau des Obersterndeuters sich dort baden will. Die Armen verlassen
den Raum und gehen in einen anderen. Dort rüsten sie alles zu und
lassen das Wasser laufen. Gerade als sie sich baden wollen, kommt
wieder die Badefrau und erklärt, daß diese Zelle für das Fräulein
Tochter der Obersterndeuterin bestimmt sei. Sie gehen in eine andere.
Dort war nun gerade die erste Verwalterin der Obersterndeuterin, eine
vierte war für die Sklavinnen, eine fünfte für die Dienerinnen, eine
sechste und siebente usw. für die Familienangehörigen der
Obersterndeuterin bestimmt. Überall werden sie so fortgejagt. Daraufhin
ärgert sich die Frau, sie wird aufgeregt und kehrt zornig in ihr Haus
zurück.

Am Abend kommt der arme Schuhflicker, der eine mit Mühe und Not
verdiente Okka Brot in sein Kattuntaschentuch gewickelt und ein Bund
Zwiebeln am Ende seines Stockes aufgehängt hat, und klopft an die Tür.

Die Frau öffnet ihrem Manne die Tür, aber gleichzeitig öffnet sich auch
ihr Mund. Der unglückliche Mann weiß nicht, was die Veranlassung zu
diesem Empfange gewesen ist, und wünscht Aufklärung. Die Frau erklärt
ihm die Sache und vergißt nicht folgende energische Erklärungen
hinzuzufügen:

„Mann, entweder wirst du Obersterndeuter, damit wir, wenn wir ins Bad
gehen, mit gleicher Ehrerbietung behandelt werden, oder ich lasse dich
nicht mehr ins Haus herein.“

„Aber, Frau, ich bin ein ungebildeter Mann. Um Obersterndeuter zu
werden, muß man lesen und schreiben können. Davon habe ich keine
Ahnung. Wie sollte ich das werden können?“

„Ich weiß nicht, was Lesen und Schreiben ist. Du mußt das Schuhflicken
aufgeben und richtig Obersterndeuter werden. Sonst ist dies mein
letztes Wort: ich werde dir nicht wieder aufmachen. Dann magst du
meinetwegen zum Teufel gehen.“

Der arme Schuhflicker merkte, daß die Worte seiner Frau ganz bestimmt
waren. Er kannte ihre Natur und ihren bösen Charakter. Seitdem sie sich
verheiratet hatten, war es dreiundvierzig Jahre. So hatte er sie
ordentlich kennengelernt. Es gab kein anderes Mittel, als
Obersterndeuter zu werden. Am nächsten Morgen stand er früh auf, ging
in den Laden und ließ alle Werkzeuge, die er hatte, versteigern. Mit
den paar Piastern, die er gewonnen, kaufte er sich auf dem
Alttrödelmarkt einen Kaftan, ebenso machte er sich aus alten weißen
Vorhängen einen Turban, besorgte sich ein altes Tintenfaß und ein
Schreibrohr, setzte sich an einer Straßenecke, wo viele Leute
vorbeigingen hin und wartete wie eine Spinne, die ihr Netz gebaut hat
und auf Beute wartet, auf gläubige Kunden. Daß es viele solcher Dummen
gibt, sieht man aus der Menge der Besprecher und Bepuster und aus der
allgemeinen Unwissenheit. Ohne Zweifel konnte unser Schuhflicker unter
diesen so zahlreichen Berufsgenossen sich sein Stück Brot verdienen.
Aber die Absichten seiner Frau gingen sehr hoch. Ach, wie könnte das
möglich sein?

Jedenfalls suchte unser Schuhflicker eine junge Gans zum Rupfen und
brauchte nicht zu lange zu warten. Eine alte Zigeunerin von
fünfundneunzig Jahren, deren Augen infolge des Alters hellblau
geworden, deren Hüften gebrochen, deren Kniescheiben infolge der
Schwäche herausgetreten waren, die sich auf zwei dünne Beine gleichwie
auf zwei schwarze Bohnenstangen stützte und einen Körper hatte, der in
keinem Verhältnis zu diesen Füßen stand, ging zu dem Schuhflicker.

„Hollah, Herr Hodscha, ist dein Atem wirkungsvoll? Ich bereite jedesmal
am letzten Mittwoch des Monats den Geistern eine Suppe und stelle sie
in den Herd. Am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang nehme ich das Gefäß,
bringe es ans Meer und werfe es hinein, dann eile ich ohne mich
umzudrehen und umzusehen nach Hause. Auf diese Art bin ich bisher immer
vor den bösen Geistern sicher gewesen.“

„Ach, Herr Hodscha, ich weiß nicht, ob unser junger Herr mir diesmal
einen falschen Tag gesagt oder sich geirrt hat. Ich weiß nicht, was los
ist. Diesen Monat konnte ich mein Gelübde nicht ausführen und habe seit
jenem Tage einen gewaltigen Kopfschmerz, als ob er meinen Kopf abrisse
und zerhackte. Mein lieber Herr Hodscha, wenn dein Atem wirkungsvoll
ist, so besprich mich.“

Unser Schuhflicker hatte vom Besprechen und vom Gebet und Derartigem
keine Ahnung. Schließlich fing er an, innerlich über seine Frau zu
fluchen, die ihn in eine solche schwierige Lage gebracht hatte.

Als die Zigeunerin dies sah, sagte sie zu sich: „Gott hat mir geholfen.
Zu was für einem guten, tüchtigen Hodscha hat er mich geführt. Sieh,
sieh, seine Augen haben sich ganz verändert. Jetzt fängt er auch zu
beten an. Ach, jetzt bin ich wieder gesund geworden.“

Der arme Schuhflicker ahnte, daß die Geschichte nicht so endigen würde,
nahm sich zusammen, setzte sich neben die Schwarze, bestrich ihre
faltenreiche mit Laudanum bestrichene Stirn mit seinen Händen, sagte
dann mit leiser Stimme zwei- bis dreimal einige sinnlose Wörter und
blies die Frau an.

Derartige Dinge üben auf das Nervensystem bisweilen eine gute,
bisweilen eine schlechte Wirkung aus. Die Nerven werden dadurch
beeinflußt. Deswegen hörte der Kopfschmerz der Schwarzen hiernach auf.

Die Frau kehrte zufrieden und dankbar, lachend und vergnügt nach Hause
zurück und sagte zu ihrer Herrin: „Ach, Herrin, heute habe ich einen
Hodscha gefunden, dessen Atem so heilkräftig war, daß mit einem Hauch
mein Kopfschmerz beseitigt wurde.“

Die Herrin antwortete:

„Wo war der Hodscha? Wie wäre es, wenn du hingingest und, damit die
Heftigkeit des Herrn aufhört, ihn besprechen ließest?“

Sie antwortete:

„Das wäre nicht schlecht. Wenn wir sein Hemd besprechen ließen, wäre es
vielleicht das wirksamste.“

Die Herrin schickte die Schwarze mit folgenden Worten zum Hodscha:

„Das ist ein guter Gedanke von dir. Ich werde dir ein rotes Tuch geben.
Es kann auch ein Stück Kattun sein, das er des Feiertags anlegt. Geh
sofort nach oben und nimm aus dem Wäschebündel ein Hemd aus
Kräuselstoff und bring’ es dem gesegneten Hodscha. Gib ihm diese zwei
Medschidije und sage ihm, wenn sein Atem wirkungsvoll sein wird, werden
wir ihm zwei Goldstücke geben. Nicht wahr, meine liebe Hoschkadem?“

Als der Hodscha die Schwarze kommen sieht, denkt er, daß sie das ihm
gegebene Geld wieder fordern will. Als er erfährt, was sie will, wird
er beruhigt. Er spricht das Gebet über das Hemd und steckt die blanken
Medschidije in seine Tasche.

Am Abend kehrt unser Schuhflicker mit dem Gelde, wie er noch nie in
seinem Leben soviel zusammen gesehen, nach Hause zurück und denkt, daß
seine Frau ihn mit Freuden aufnehmen werde.

Er kommt ans Haus und fängt an der Tür mit den Medschidije zu klappern
an, um sie neugierig zu machen. Jedoch die Frau war ungeheuer fest in
ihrem Entschluß. Sie kümmerte sich gar nicht um das Geld und um das
Klappern. Der Mann macht soviel Lärm, jammerte und flehte, daß die
Nachbarn Mitleid mit ihm hatten, aber das kümmerte die Frau gar nicht.
Ihr Entschluß war gefaßt. Schließlich sah sie aus dem Fenster und sagte
ihr letztes Wort: „Wenn du nicht Obersterndeuter wirst, wird dir nicht
die Tür geöffnet.“

Der arme Schuhflicker, der vierzig Jahre mit seiner Frau zusammengelebt
hatte, kannte ihre Natur sehr gut. Wer sollte auf der Welt so wie er
wissen, wie hartnäckig und eigensinnig sie war. Es war jetzt unnütz, in
sie zu dringen. Er mußte Obersterndeuter werden oder die Verbindung mit
dem Hause gänzlich aufgeben. Aber Obersterndeuter zu werden, war recht
schwer, ja sogar unmöglich. Wie sollte ein unwissender Mensch, der
nichts anderes getan hatte als alte Schuhe, und zwar für Lastträger und
Feuerwehrleute, und Pantoffel auszubessern, Obersterndeuter werden
können. Doch das mußte ertragen werden.

Schließlich zog er traurig und niedergeschlagen ab. Er ging in ein
Gasthaus und mietete sich dort ein Zimmer.

Jedenfalls der Herr der Schwarzen hatte sein aufbrausendes Temperament
abgelegt und lebte in seinem Hause wie ein Lamm und war seiner Familie
gegenüber wieder liebenswürdiger. Diese außergewöhnlichen Zustände
wurden dem heilkräftigen Atem des Hodschas und seiner wunderbaren Gabe
zugeschrieben, und die versprochenen zwei türkischen Pfunde wurden ihm
gegeben. Es ist bekannt, daß die Frauen, besonders die Frauen, die
keinen Unterricht genossen hatten, in derartigen Dingen sehr geschickt
sind. Ja, sie sind viel mehr als die Zeitungen geeignet, einen solchen
Menschen berühmt zu machen. Nun, der Ruhm unseres Hodschas wuchs von
Tag zu Tage und seine Kunden nahmen zu. Die anderen Scharlatane dieser
Gattung, die mit Anblasen die Leute betrügen, waren ohne Kunden und
ohne Brot.

Unser Hodscha war sehr reich geworden. Aber was nützt ihm der Reichtum?
Da er nicht Obersterndeuter geworden war, so blieben ihm, obgleich er
reich, ja sogar sehr reich geworden war, die Türen seines Hauses
verschlossen, die ihm immer beide geöffnet wurden, wenn er als
Schuhflicker mit zerrissenen Schuhen des Abends mit einer halben Okka
Brot in einem zerrissenen Tuche nach Hause kam.

Nun, eines Tages war die Tochter des Padischahs, um sich zu baden, ins
Bad gegangen. Die Prinzessin hatte ein paar sehr kostbare Ohrringe. Als
sie sich badete, hatte sie diese Ohrringe abgenommen und oben auf das
Waschbecken gelegt. Nach einiger Zeit suchte sie die Ohrringe, den
einen fand sie, der andere war verschwunden.

Die Prinzessin wurde sehr unruhig. Dieser kostbare Ohrring gehörte zu
den ältesten Diamanten der Familie. Was sollte sie ihrem Vater
antworten.

Sämtliche Bediente des Bades wurden ganz nackt ausgezogen, alle wurden
mit größter Sorgfalt untersucht. Das ganze Bad, alle Winkel wurden
untersucht. Alle Arbeit war vergeblich. Alle Hoffnung schwand. Der
Ohrring wurde nicht gefunden.

Die Prinzessin kehrte traurig und bekümmert in das Schloß zurück. Man
konnte ihr den Mund selbst nicht mit einem Messer öffnen. Schließlich
erzählte sie die Sache ihrer Amme, weinte und jammerte, sie gelobte den
vier Großvätern, den Siebmachervätern Fett und Lichte, aber ohne
Erfolg.

Schließlich dachte die Amme nach. Als sie in dem Palaste des und des
Paschas war, war von einem Hodscha gesprochen worden, dessen Atem
wirkungsvoll und der im Besitze großer Wunderkraft war. Wenn sich
dieser verlorene Ohrring überhaupt finden ließ, konnte nur dieser
verehrte Hodscha ihn finden. Man suchte nach, wo dieser Mann saß, und
man fand ihn. Am nächsten Tage ging die Prinzessin mit ihrer Amme zu
dem Hodscha.

Als der Hodscha den Hofwagen kommen sah, kam ihm zuerst der Gedanke,
daß sich jetzt für ihn die Möglichkeit ergebe, Obersterndeuter zu
werden. Ja, wenn er erst einmal Obersterndeuter wäre, dann würde er
nach Hause gehen und es seiner Frau zurufen. Er würde wieder in sein
Haus gehen, das ihm seit zwei Jahren verschlossen war, und mit seiner
lieben Frau und seiner Tochter, die ihm so teuer wie sein Leben war,
zusammen leben. Tatsächlich kam ihm sein Leben, das er jetzt im Gasthof
zubrachte, sehr schwer vor.

Sie stiegen aus dem Wagen. Der Hodscha nahm wieder die betrügerischen
Gesten an, in denen er bei Ausübung seines Berufs schon Gewandtheit
erlangt hatte, und empfing seine Kunden artig. Die Prinzessin setzte
sich traurig und verzweifelt in eine Ecke wie ein sich bewegender aber
lebloser Körper und wartete auf die Perlen, die aus dem Munde des
Hodscha fallen würden.

Die Amme erklärte die Sache. Sie sprach von den Gelübden und sagte, daß
diese ergebnislos geblieben seien. Über sie selber etwas zu sagen, sei
überflüssig, da die Prinzessin die Tochter des herrschenden mächtigen
Sultans sei.

Diese Worte wirkten auf den Hodscha wie ein beängstigender Traum.
Einerseits zitterte er, andererseits schwitzte er. Wenn er es nicht
herausbringen würde — und dessen war er sicher —, was würde dann mit
ihm geschehen? Mit einem Padischah und mit den Angehörigen eines
Padischahs zu spielen, das hieß mit dem Feuer spielen.

Es war aber auch nicht möglich, direkt zu erklären, wie alles gekommen
sei, und zu sagen, daß er ein Betrüger sei. Wie würde dies werden, wie
würde es ablaufen!

Schließlich sagte er nach langem Nachdenken:

„Euer Verlust erscheint mir etwas sonderbar. Euer Verlust muß am Rande
eines Tales, am Zweige eines Baumes aufgehängt sein.“

Auf diese Worte hin dachte die Amme nach. Ja, ja, der Hodscha hatte ein
reines Wunder gesagt. Der Ohrring war im Bade verloren gegangen, sofort
wurden Leute in das Bad geschickt. Sie suchten wiederum alles nach,
schließlich fanden sie ihn auf einem Reiserbesen, der vor eine
Wasserrinne gelegt war. Dem Hodscha wurden unendlich viel Geschenke
gemacht. Da die Sache sehr wichtig war, hatte man dem Padischah nichts
davon gesagt.

Der Hodscha arbeitete inzwischen weiter und verdiente viel Geld, aber
wiederum war ihm die Tür seines Hauses verschlossen, da er nicht
Obersterndeuter geworden war.

Eines Tages hatte ein Dieb dem Padischah einen sehr kostbaren, mit
Brillanten besetzten Ring, ein altes Familienstück, gestohlen. Überall
suchte man nach, fand aber den Dieb nicht.

Der Padischah zog sich verzweifelt in einem Zustande, daß er seines
Lebens überdrüssig war, in eine Ecke zurück.

Die Prinzessin wollte nicht, daß ihr Vater so traurig war, ging zu ihm
und küßte ihm Wangen, Hand und den Saum seines Kleides. Der Padischah
war sehr erfreut über seine Tochter, die, während er so traurig war, zu
ihm kam und ihn liebkoste. Er war auch zu ihr freundlich. Dies benutzte
die Prinzessin und sagte, daß der Hodscha, der ihren Ohrring gefunden,
auch aller Wahrscheinlichkeit nach den Ring finden würde.

Wer ins Wasser fällt, faßt sogar nach einer Schlange. Der Padischah gab
Befehl, und sofort gehen Adjutanten aus, um den Hodscha zu suchen. Sie
bringen ihn ins Schloß. Der Arme steht zitternd Todesängste aus. Er
wird vor den Padischah gebracht. Der Padischah erzählt ihm die Sache
und macht ihm klar, daß er, wenn er die Angelegenheit nicht ins Reine
bringen und den Ring zur Stelle schaffen würde, seinen Kopf verlieren
würde.

Der Arme sah ein, daß die Sache unmöglich sei und daß es ihm das Leben
kosten werde. Aber um diesen verhängnisvollen Augenblick etwas
hinauszuschieben und um diese Zeit gut zu verleben, sagte er: „Mein
Padischah, das ist eine schwierige Sache. Es steht nicht in der Macht
der Sterne, Euch sofort eine Antwort zu geben. Gebt mir vierzig Tage
Frist, weist mir ein Zimmer an und gebt mir während dieser Zeit die
vorzüglichste Nahrung. Am vierzigsten Tage werde ich Euch sagen, wer
der Dieb ist.“

Der Padischah nahm den Vorschlag an und befahl, daß alles ausgeführt
werden sollte, was der Hodscha wünschte. Der Hodscha zog sich in ein
vorzüglich ausgestattetes Zimmer zurück, um sich Gott zu weihen. Dort
betete er zu Gott und flehte, daß er sein Gebet annehme und ihm seine
Sünden verzeihen möge. Andererseits verfluchte er auch seine Frau, die
ihn in seinem Alter in solche Not und Prüfungen gebracht, und ihren
Wunsch nach einer angesehenen Stellung.

Jeden Tag wurde ihm ordnungsgemäß Essen gebracht. Um die Tage nicht zu
vergessen, behielt er einen leeren Teller von den ihm gebrachten
Speisen zurück.

Inzwischen war nun eine Zeit vergangen. Um festzustellen, wieviel Tage
er schon dort sei und wieviel Tage ihm von seinem Leben noch übrig
seien, zählte er die Teller. Es waren genau achtzehn. Voller
Hoffnungslosigkeit entfuhren ihm, ohne daß er es wollte, diese Worte:
„Ach, achtzehn!“

Die Diebe des Ringes gehörten zu den Palastdienern. Sie beobachteten
alles, was der Hodscha tat, durch ein Loch. Der Beobachter an jenem
Tage hatte nicht bemerkt, daß der Hodscha die Teller gezählt hatte,
sondern hatte nur gehört, daß er ausrief: „Ach, achtzehn!“

Es waren nun in der Tat achtzehn Diebe. Als der Beobachter die Zahl
achtzehn hörte, suchte er sofort seine Genossen auf und sagte: „Mit
unserer Sache steht es schlecht. Dieser Kerl ist ein Teufel oder der
Antichrist oder derartiges. Er hat jetzt heraus, wieviel wir sind.
Heute hat er in der Ekstase dreimal: „Ach, achtzehn“ ausgerufen. Wenn
er noch länger Zeit hat, wird er auch noch herausfinden, wer wir sind,
und wir sind für den Strick des Henkers reif.“

Die Diebe gerieten über diese Nachricht ihres Genossen in Aufregung.
Sie hielten einen Rat ab, berieten sich und beschlossen, in der Nacht
zum Hodscha zu gehen, ihn anzuflehen, sie nicht zu verraten, und sein
Mitleid zu erwecken.

In der folgenden Nacht betreten sie alle zusammen sein Zimmer. Er
geriet in große Furcht.

Man sagt: Wenn der Mensch verzweifelt ist, gebärdet er sich am
mutigsten, so wie die Katze, wenn sie verzweifelt ist, den Hund
anfällt. Da der arme Hodscha äußerst hoffnungslos war, so stürzte er
sich auf die Leute und rief: „Ach, ihr, seid ihr da?“ Er glich sozusagen
einem rasenden Löwen.

Die Diebe wurden noch besorgter und fielen dem Schuhflicker zu Füßen.
Er wußte nicht, was los war und sah sie ganz entgeistert an.
Schließlich stand der mutigste von ihnen auf und sagte, nachdem er ihn
mit höchster Ehrfurcht begrüßt hatte: „Mein Herr, Sie sind wirklich
eine sehr begabte und große Person. Sie haben entdeckt, daß wir
achtzehn sind. Jedenfalls hätten Sie auch noch uns herausgebracht. Wir
wollten Ihnen jedoch nicht soviel Mühe machen und haben beschlossen,
die Wahrheit zu sagen. Wir vertrauen auf Ihre edle und barmherzige
Gesinnung und auf Ihr großes Herz. Nehmen Sie unsere Bitte an und
erbarmen Sie sich nicht nur über uns, sondern auch über unsere Kinder.
Unser Leben ist jetzt in Ihrer Hand. Nur Sie können uns retten. Ja, wir
haben den Ring gestohlen.“

Auf diese Rede hin machte der Schuhflicker große Augen und wurde wieder
ruhig. Es war kein Zweifel, jetzt war er gerettet. Er sagte mit
angenommener Würde: „Dankt Gott, daß ihr noch gerade im letzten
Augenblick euch gemeldet habt, sonst wäre es euer letzter Tag gewesen.
Ich war gerade dabei, eure Namen zu entdecken.“

„Ach, mein Herr, dessen sind wir sicher, aber haben Sie Mitleid mit
unseren Kindern.“

„Gut, versprecht Ihr, es nicht wieder zu tun?“

„Wir versprechen es nicht nur, wir schwören es bei unserem Glauben und
auf unser Gewissen.“

„Da ihr versprecht, es nicht wieder zu tun, so will ich euch aus
Mitleid nicht verraten. Gebt den Ring am vierzigsten Tage einer Gans zu
fressen und brecht ihr einen Flügel. Das andere ist dann meine Sache.
Wenn ihr so tut, gut, dann werde ich keinen von euch verraten, sonst
geht es euch schlecht.“

Die Diebe versprechen, die Worte des Hodschas getreu auszuführen,
versprechen ihm viel Geld und gehen weg.

Der vierzigste Tag kommt heran. Der Padischah erwartete diesen Tag mit
Ungeduld. Schließlich befiehlt er, den Hodscha vorzuführen. Der Hodscha
kommt vor den Padischah. Dieser fragt mit zorniger Stimme: „Nun, wie
steht es? Hast du ihn gefunden?“

„Ja, mein Herr, das heißt richtiger, ich habe seine Spur. Jetzt möge
Euer Majestät befehlen, daß alle Geschöpfe des Palastes vor mir im Zuge
vorüberziehen, dann werde ich zeigen, wer der Dieb ist.“

Der Padischah befiehlt es, und vom Großvezir an bis zum Küchenjungen
ziehen alle Leute des Schlosses vor dem Hodscha vorbei. Obgleich auch
die wirklichen Diebe dabei waren, sagt der Hodscha nichts.

Der Padischah fragt: „Nun, Hodscha, wer hat den Ring?“ Der antwortet:
„Mein Padischah, unter den Leuten Eures Schlosses ist kein Dieb.
Trotzdem ist der Ring bei einem lebenden Wesen, das zu Eurem Schlosse
gehört. Befehlt, daß auch die Tiere alle vor mir vorbeiziehen sollen.“

Der Padischah befiehlt es. Die Pferde, Stuten, Esel, Maultiere und die
anderen Tiere ziehen alle vorüber. Bei keinem ist der Ring. Schließlich
fragt der Hodscha: „Sind das alle Tiere im Schlosse?“

Man antwortet:

„Nein, mein Herr, es ist noch ein Rudel Gänse da.“

Der Hodscha sagt: „Auch die führt vor.“

Auch die Gänse zogen vorüber. Schließlich sieht er eine Gans, deren
Flügel zerbrochen ist. Er ordnet an, daß diese aufgeschnitten werde.
Man führt seinen Befehl aus, schneidet ihr den Bauch auf und findet den
Ring. Jedermann ist erstaunt. Der Padischah ernennt ihn zum
Obersterndeuter.

Der neue Obersterndeuter geht eilends nach Hause und bringt seiner Frau
die frohe Nachricht. Die Frau geht mit ihren Kindern zusammen ins Bad.
Als es heißt: „Die Frau des Obersterndeuters ist gekommen“, empfängt
sie jedermann mit Ehrerbietung. Dann kehrt sie nach Hause zurück und
sagt zu ihrem Manne: „Nun bin ich ins Bad gegangen, jetzt kannst du
wieder deinen Obersterndeuterposten aufgeben.“

„Aber Frau, ist das denn möglich? Hast du den Verstand verloren?“

„Tu, was du willst. Du mußt ihn aufgeben.“

Er bleibt einige Zeit lang im Gefolge des Padischah. Wie sehr er sich
auch bemüht, aus dem Amte entlassen zu werden, es glückt ihm nicht.

Eines Tages beschließt er, den Verrückten zu spielen, um von dem
Hofdienst los zu kommen. Während der Padischah im Bade ist, schlachtet
er ein Lamm, zieht sich dessen Kaldaune über den Kopf, wickelt sich
dessen Eingeweide um die Hüften, geht vor das Bad und ruft: „Der
Padischah soll herauskommen, das Bad wird einfallen.“

Als dem Padischah dies gemeldet wird, wickelt er sich schnell in irgend
etwas ein und stürzt hinaus.

Kaum ist er draußen, als das Bad mit Krachen einstürzt. Der Padischah
umarmt ihn, dankt ihm, daß er ihm sein Leben gerettet, und gibt ihm
viele Geschenke.

Dieser ist über das merkwürdige Zusammentreffen sehr erstaunt.

Eines Tages geht der Padischah mit seinem Obersterndeuter spazieren.
Unter einem Baume nimmt er von der Erde etwas auf und befiehlt dem
Obersterndeuter zu sagen, was es sei.

Der denkt nach, und da er es nicht raten kann, sagt er: „Heuschrecke,
wenn du auch einmal und auch ein zweitesmal springst, das drittemal
wirst du gefangen.“

Da öffnet der Padischah seine Hand, und eine große Heuschrecke springt
heraus. Dem Padischah gefiel dies sehr, und er sagte: „Was für eine
Belohnung wünschst du?“

Er antwortet: „Ich bitte Euer Majestät, mich aus dem Dienst zu
entlassen.“ Der Padischah nimmt das wohl oder übel an.

Der Mann lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern zurückgezogen
in seinem Landhause, beschäftigt sich mit der Erziehung seiner Kinder
und gibt die Sterndeuterei auf.



22. DER INDISCHE KAUFMANN UND DER PAPAGEI


In alter Zeit lebte in Indien ein Kaufmann, der einen weisen und klugen
Papagei besaß. Er hatte ihn von seinem Vater geerbt. Der Kaufmann hatte
diesen Papagei als Wächter für sein Haus eingesetzt. Am Tage ging der
Kaufmann auf Erwerb aus, und wenn er abends nach Hause kam, fragte er
den Papagei nach seiner Frau, und wer das Haus besucht und verlassen
habe. Der Papagei berichtete auch alles genau. So vergingen einige
Jahre.

Eines Tages mußte dieser Kaufmann nach Chorasan reisen. Er vertraute
sein ganzes Haus dem Papagei an und sagte zu ihm: „Was auch passiert,
erzähle es mir, wenn ich wiederkomme.“ Seiner Frau trug er auf, für den
Papagei zu sorgen und es an nichts fehlen zu lassen. Dann
verabschiedete er sich und ging auf seine Geschäftsreise.

Danach vergingen einige Tage. Eines Tages verliebte sich seine Frau in
einen Jüngling. Als eines Abends in ihrem Haus kein Fremder war, lud
sie den Jüngling in ihr Haus ein. Sie vergnügten sich bis zum Morgen.
Außer dem Papagei merkte niemand im Hause etwas davon. Nach einiger
Zeit kam der indische Kaufmann von seiner Geschäftsreise zurück,
unterhielt sich mit seiner Frau und fand im Hause alles in schönster
Ordnung. Dann trat er an den Käfig des Papageis und fragte ihn, was im
Hause passiert sei. Der sagte aber nichts von dem schimpflichen Verkehr
seiner Frau mit dem Jünglinge. Aber der indische Kaufmann ahnte von dem
Treiben seiner Frau aus den Witzreden und Spöttereien einiger treuer
Freunde, denen er vertraute, und das Feuer der Eifersucht verbrannte
sein Inneres. Er faßte den Entschluß, seine Frau zu töten,
verheimlichte diesen Plan aber in seinem Innern und zeigte sich
äußerlich freundlich gegen seine Frau. Diese schöpfte jedoch aus seinem
Verhalten Verdacht, daß ihr Mann von dem Geheimnis wisse. Sie sagte zu
sich: In diesem Falle hat sicherlich der Papagei es ausgeplaudert, da
sonst niemand etwas davon weiß. Sie faßte einen Groll gegen den armen
Papagei und wartete auf eine Gelegenheit, wie sie sich rächen konnte.
Eines Tages stand sie auf, öffnete den Käfig des Papageis, nahm ihn
heraus, rupfte ihm seine Flügel- und Schwanzfedern aus und warf ihn aus
dem Fenster. Dann fing sie an zu schreien: „Die Katze hat den Papagei
geholt.“

Von ihrem Geschrei wachte der indische Kaufmann auf und fragte seine
Frau. Sie sagte wieder: „Die Katze hat den Papagei gefressen.“ Als der
indische Kaufmann an den Papageien, den treuen Wächter seines Hauses
dachte, wurde er sehr traurig und weinte.

Als der bedauernswerte Papagei ohne sein Verschulden vom Unglück
betroffen wurde, befürchtete er, daß er, wie er aus dem Fenster
geworfen wurde, noch in ein größeres Unglück geworfen werden und
sterben könnte. In der Nähe jenes Hauses war ein großer Tempel. Dorthin
ging er, blieb in einer Ecke, ernährte sich von den Überbleibseln der
Mahlzeit der Mönche und von den Brocken, die sie wegwarfen, und verbarg
sich dann wieder.

Nach einigen Tagen jagte der indische Kaufmann, der es nun nicht mehr
aushalten konnte, seine Frau aus dem Hause. Aus Furcht vor dem
indischen Kaufmann nahm niemand die Frau in sein Haus auf. Auch der
Jüngling, der der Geliebte der Frau war, weit entfernt als Mann der
Frau aufzutreten, kam nicht einmal aus dem Hause hervor. Da die Frau
also von allen verlassen war, ging sie in den Tempel, der der
Zufluchtsort aller Heimatlosen war, und diente dort Tag und Nacht dem
Götzen.

Der Papagei sah immer, in welcher Lage sich die Frau befand. Eines
Abends kam die Frau wieder nach ihrer alten Gewohnheit. Beim Gebet
sprach sie unter Weinen und Jammern von ihrer Lage. Da gerade niemand
im Tempel war, ging der kluge Papagei hinter das Götzenbild und sprach
mit lauter Stimme: „Frau, ich habe dein Gebet erhört und dich meines
Erbarmens für wert erfunden. Ich werde das Herz des Kaufmanns wieder in
Neigung und Liebe dir zuwenden, und er wird bereuen, was er getan. Aber
du tue gehorsam, was ich dir befehle. Rasiere dir Brauen, Wimpern und
Haar, damit du deinen Wunsch erreichst.“ Sofort zog die Frau ein
Rasiermesser hervor und wollte ihre Brauen, Wimpern und Haare rasieren.
Da erschien der Papagei hinter dem Götzenbild und sagte: „O du
Unverständige, mit diesem schwachen Verstande glaubtest du Freund und
Feind unterscheiden zu können! Du hast deinen dir wohlwollenden Freund
in diese Not und dich selbst in dieses Unglück gebracht! Also bei dem
erhabenen Gott, dem Kenner des Verborgenen! Ich habe von dem bewußten
Geheimnis niemandem etwas verraten und dem indischen Kaufmanne nur
Gutes von dir gesagt. Wenn du mich nicht so der Verachtung preisgegeben
hättest, hätte ich dir nützlich sein können, denn der Kaufmann würde
mich nach dem bewußten Geheimnis gefragt haben und ich hätte ihn mit
allerlei Listen beruhigt, und so wärest weder du in ein solches Unglück
durch deinen Mann gekommen, noch hättest du deinen Geliebten verloren.
Doch ich will nicht bei dem verweilen, was du getan hast, und will
nicht vergessen, daß ich dir durch deine früheren Wohltaten
verpflichtet bin. Dies Unglück ist mir ja auch durch ewigen göttlichen
Ratschluß bestimmt gewesen. Deine Schuld ist es nicht, denn dich habe
ich äußerst unverständig erfunden. Wenn du nur eine Spur von Verstand
hättest, würdest du nicht Götzen angebetet und von ihnen Hilfe erhofft
haben und hättest nicht geglaubt, daß meine Worte ein Götze gesprochen
habe. Kann Stein oder Holz reden? Nur mit Gottes Erlaubnis haben sie
als Wundertat für die Propheten geredet. Nun, komme, gib den
Aberglauben auf, nimm den wahren Glauben an, bereue deinen Unglauben
und bitte Gott um Verzeihung. Ich werde hingehen und veranlassen, daß
der indische Kaufmann seine Tat bereut und dir wieder seine Liebe
zuwendet.“

Die Frau war damit einverstanden und trat zum Islam über. Der Papagei
ging sofort in das Haus des Kaufmanns. Als der Kaufmann den Papagei
sah, stand er sofort auf, faßte ihn mit größter Freude, küßte und
liebkoste ihn und fragte ihn, wie es ihm gehe. Der Papagei sagte: „Ich
war zwar gestorben, aber der allmächtige Gott hat mich mit neuem Leben
beschenkt.“ Der Kaufmann sagte: „Wie kann ein Gestorbener wieder
lebendig werden?“ Der Papagei sagte: „Hast du die Geschichte Abrahams —
Heil sei über ihm — nicht gehört?“ Der Kaufmann sagte: „Ich habe sie
nicht gehört. Erzähle, damit ich zuhöre, wie die Geschichte ist.“

Der Papagei sagte: „Es wird berichtet, daß einst Abraham der Gedanke in
den Sinn kam: ‚Wie können wohl die voneinander getrennten und
verstreuten Gliedmaßen wieder vereinigt werden? Ach, Gott, zeige es
mir, damit mein Herz ruhig sei!‘ Sofort kam von Gott, dem Herrn der
Welten, die Antwort: ‚O Abraham, nimm vier Vögel, schneide ihnen die
Köpfe ab, mische die Teile durcheinander, schütte sie ordentlich
durcheinander und bringe sie in Unordnung. Danach mache aus den
ungeordneten Gliedmaßen vier Teile, trage sie auf vier Berge und
behalte die Köpfe davon bei dir. Dann sollst du ein Wunder erleben.‘
Abraham — Heil sei über ihm — tat, wie ihm befohlen. Sofort kamen die
Vögel ohne Kopf zu Abraham und ihre zerstreuten Glieder hatten sich
vereinigt und neues Leben erhalten, wie dies im heiligen Koran deutlich
erzählt wird. Gott, der Allmächtige, kann die Toten wieder ins Leben
rufen und alles, was er will, beleben. Auch mir hat er aus seiner
Gnadenfülle heraus neues Leben geschenkt.“

Der indische Kaufmann sagte: „Was muß das für ein großer Gott sein, der
Tote ins Leben rufen kann! Ist er etwa größer als unsere Götter?“ Der
Papagei antwortete: „Ach, Herr, Eure Götzen sind aus Stein oder Holz
gearbeitete, seelenlose Dinge, deren Schöpfer Gott, der Allmächtige,
ist.“

Der indische Kaufmann sagte: „Ach, Papagei, tu mir den Gefallen und
führe mich zu ihm.“ Der Papagei lehrte ihn die Worte des
Glaubensbekenntnisses. Der indische Kaufmann wurde Muslim und sagte zum
Papagei: „Ich weiß jetzt, daß Gott, der Allmächtige, die Toten
auferwecken kann, aber was war der Grund, dich zu erwecken?“

Der Papagei sagte: „Ach, Herr, nachdem mich dies betroffen und ich
gestorben war, wurde deine Gattin der Gegenstand einer Verleumdung, an
die zu glauben dich ihre Feinde veranlaßten. Du wurdest zornig auf
deine Gattin und brachtest sie in Unehre. Die arme Frau kam in den
Götzentempel und betete dort. Da ihr unrecht geschehen war und sie
schuldlos war, so wurde sie durch göttliche Leitung Muslimin. Hierdurch
wurde sie froh, und ihr verwüstetes Herz fand wieder Frieden. Danach
flehte sie zu Gott: ‚Ach, Gott, du kennst alle Geheimnisse und
Heimlichkeiten, du weißt auch, wie es mir ergangen ist. Mein Gemahl hat
dem Worte der Feinde geglaubt und mich in diese Lage gebracht. Auch der
Papagei ist nicht mehr am Leben, der meine Unschuld bezeugen und meinen
Gatten bewegen könnte, mich wieder anzunehmen. Ach, Gott, bei deiner
Gnadenfülle flehe ich dich an, erwecke den Papagei wieder zum Leben.‘
Als sie so sprach, gab mir Gott, der Höchste, sofort durch den Segen
der Reinheit deiner Frau neues Leben. Ich bezeuge also die Reinheit
jener unschuldig Verfolgten. Kein Fremder hat ihr reines Gewand
gesehen. Durch den Segen ihres Gebetes bin ich wieder lebendig und du
Muslim geworden. Auf diese Weise sei überzeugt, daß deine Frau rein
ist, ja du hast die deutlichsten und zwingendsten Beweise, daß sie eine
Heilige ist.“

Der indische Kaufmann glaubte diesen Worten, ging sofort in den Tempel,
küßte seiner Frau Hände und Gesicht, flehte sie um ihre Fürbitte und
bat sie, ihm sein Vergehen zu verzeihen. Da lobte und pries die Frau
den Verstand, die Klugheit, Weisheit und Treue des Papageien und
bereute die unwürdige Behandlung, die sie ihm vorher zugefügt hatte.



23. DIE GESCHICHTE VOM GOLDSCHMIED UND ZIMMERMANN


In den Geschichtsbüchern wird folgendes berichtet. In einer der Städte
Azerbaidschans lebten ein Goldschmied und ein Zimmermann, die
miteinander sehr befreundet waren. Nun kam es, daß in diesem Lande ihre
Arbeit wenig begehrt wurde, ihr Verdienst in die Winde ging und sie in
die äußerste Not gerieten. Sie kamen daher überein, daß sie beide das
Land verlassen wollten und beschlossen, nach Rūm [33] zu wandern. An
der Grenze von Rūm trafen sie eine große Kirche und ließen sich dort
nieder. Sie sahen dort Götzenbilder, die die Ungläubigen verehrten. Da
der Zimmermann in seinem Handwerk ein geschickter Meister war, so
schnitzte er aus Holz Bilder nach Art der Götzen, und überall, wohin
sie kamen, verkauften sie diese, und lebten davon. Sie hatten die
Tracht der ungläubigen Geistlichen angenommen, aber in ihrem Innern
waren sie dem wahren Glauben treu geblieben. Des Geschäftes wegen und
um sich der Not zu erwehren, hatten sie die Kleider der Ungläubigen
angezogen und die Tracht der ungläubigen Mönche und Asketen angenommen.
Da sie tatsächlich die verschiedensten Wissenschaften verstanden, so
predigten sie in den Ländern, durch die sie kamen, zu den Ungläubigen
und ermahnten sie. Deswegen wurden sie sehr geehrt und geachtet. Sie
wohnten meistenteils in den Kirchen und sahen die Götzenbilder aus Gold
und Silber, deswegen regte sich in ihnen das Verlangen und sie sagten:
„Ach, wenn wir doch bei Gelegenheit eins davon stehlen und so unsere
Armut lindern und die Krankheit der Not heilen könnten!“ Sie durchzogen
das ganze Land Rūm und kamen zu einer Kirche in der Umgegend von
Konstantinopel. Einige Zeit beteten und fasteten sie darin nach den
religiösen Gebräuchen der Ungläubigen und erteilten Rat und Ermahnung
den Ungläubigen, so daß hoch und niedrig an sie glaubte, sich an ihrem
Gebet erfreute und sich von ihnen bepusten ließ. Viele wurden ihre
Schüler und hielten ihre Fürbitte für nutzbringend und ihr Bepusten für
gleichwertig mit dem wunderbaren Atem des Messias. [34]

Eines Tages gab der Kaiser ein großes Fest und lud das ganze Volk und
alle Geistlichen dazu ein. Auch sie wurden besonders eingeladen. In
ihrer Antwort sagten sie: „Wir wollen durch das Fest nicht unser Fasten
unterbrechen und wollen während des Gottesdienstes nicht an weltlichen
Genüssen teilnehmen. Wir dienen andauernd Gott und widmen unsere Zeit
dem Gebete für das Glück des Kaisers.“ Die Geistlichen kamen, küßten
ihnen die Hand und gingen zum Gastmahle des Kaisers. Die beiden blieben
jenen Tag allein in der Kirche.

Nun war in jener Kirche ein großer Götze, aus reinem roten Golde
gearbeitet. Auf den hatten die beiden Diebe es abgesehen. Als es Abend
wurde und die Dunkelheit herrschte, nahmen sie den Götzen von seinem
Platze, trugen ihn aus der Kirche, gruben an einer geeigneten,
menschenleeren Stelle eine Grube und legten den Götzen hinein. Dann
kamen sie wieder zurück, blieben jeder an seinem Orte und widmeten sich
dem Gottesdienst und dem Fasten.

Nach einiger Zeit kamen die Kirchendiener und suchten den Götzen. Der
wertvolle Götze war nicht zu finden, an seiner Stelle wehten die Winde.
Unter den Geistlichen entstand ein Streit, und sie verdächtigten sich
gegenseitig. Aber der Verdacht gegen den Goldschmied und den Zimmermann
kam ihnen nicht einmal in den Sinn, denn da diese so fromm und
enthaltsam waren, so war es ungereimt, ihnen eine derartige Betrügerei
zuzumuten, und ganz unmöglich, daß sie ihn gestohlen haben könnten.
Jedoch berichteten die Geistlichen ihnen von der Geschichte, erzählten
ihnen von dem Kummer ihres Herzens und sagten, daß der Götze
verschwunden sei. Da enthüllten diese ihr Haupt, rissen sich Haupt- und
Barthaare aus, schlugen sich mit den Händen auf die Knie und weinten so
sehr, daß allen Bewohnern des Götzentempels ihr Herz brannte. Der
Goldschmied und der Zimmermann sagten: „Schon seitdem wir hierherkamen,
rechneten wir mit dieser Möglichkeit und ahnten, daß er euch verlassen
werde, denn ihr habt es an Ehrfurcht und Hochachtung fehlen lassen,
indem ihr ihn nicht genug geehrt habt und Tag und Nacht ihn allein
gelassen habt. Wir sagten immer zueinander: ‚Unser Gott wird unvermutet
aus Zorn über sie sich in den Himmel zurückziehen und sich beim Messias
beschweren.‘ Nun hat sich also unsere Befürchtung erfüllt. Ihr habt den
hohen Götzen beleidigt und er hat aus Zorn euch jetzt verlassen und ist
zum Himmel emporgestiegen. Ihr müßt nun mit seinem Groll rechnen. Von
jetzt ab wird kein Heil und Segen in diesem Lande sein und kein Gebet
erhört werden. Wir werden nun nicht länger in diesem Lande bleiben. Wir
werden es verlassen und in ein anderes gehen.“ Alle Geistlichen baten
und flehten sie unter Wehklagen an, daß sie aus Mitleid mit ihnen nicht
ihr Land verlassen möchten, da Hoffnung sei, daß durch den Segen ihrer
geheiligten Anwesenheit die Buße angenommen und der Gott wiederkommen
werde, während nach ihrer Abreise die Lage sehr schwierig würde.

Aber der Goldschmied und Zimmermann wiesen mit rauher Hand ihre Bitte
zurück und hörten nicht darauf. Nach einigen Tagen verabschiedeten sie
sich von den Geistlichen und gingen weg. Als es Abend wurde, kehrten
sie um, holten den Götzen von der Stelle, wo sie ihn verborgen hatten
und setzten ihre Reise fort. Nach einiger Zeit kamen sie wohlbehalten
und reich nach Azerbeidschan.

Das Gold war bei dem Goldschmied, und sie führten beide ein bequemes
Leben. Der Zimmermann sagte eines Tages zum Goldschmied: „Bruder, das
Gold ist bei dir, führe sorgfältig Rechnung, daß keiner von uns zuviel
erhalte.“ Der Goldschmied verwaltete es auch in Rechtlichkeit.
Allmählich aber verführte ihn der Teufel und senkte die Habsucht in
sein Herz. Er sagte zu sich: „Was ist das für eine Dummheit. Die ganze
Geschichte von dem Golde kennt außer uns beiden niemand. Was ich bis
jetzt dem Zimmermann an Geld gegeben habe, genügt. Wie wäre es, wenn
ich den Rest ableugnete?“ Gedacht, getan. Als nun der Zimmermann nach
seiner Gewohnheit zum Goldschmied kam und etwas Gold verlangte, sagte
der Goldschmied: „Was für Gold willst du? Das ist alles ausgegeben und
erledigt. Ich habe kein Gold mehr.“ So leugnete er es völlig ab, jedoch
der Zimmermann war sehr klug und verständig. Er trat dem Goldschmied
nicht entgegen, zeigte ihm auch nicht, daß er sich ärgere, sondern war
wie früher freundlich mit ihm und sagte: „Schön, Bruder, wenn vom Gelde
nichts mehr da ist, möge uns wenigstens die Gesundheit bleiben. Was
wollen wir uns des Goldes wegen aufregen? Die Bestimmung des Goldes
ist, ausgegeben zu werden. Das ist geschehen, und nun ist es zu Ende.
Möge Gott uns am Leben erhalten. Betrübe dich deswegen nicht.“ Mit
diesen Worten tröstete er den Goldschmied, aber im Innern war er fest
davon überzeugt, daß der Goldschmied den Weg des Betruges betreten
habe. Er sagte sich, daß es unmöglich sei, das Gold mit Gewalt zu
erlangen, daß dazu viele Listen und viele Geduld nötig sei. Er
veränderte also nicht sein Benehmen dem Goldschmied gegenüber und
behandelte ihn äußerlich ebenso freundlich wie früher, und wenn er mit
ihm sprach, war er liebenswürdig zu ihm. So verkehrten sie miteinander,
ohne daß er lange Zeit etwas ahnen ließ. Der Goldschmied rechnete es
dem Zimmermann als größte Dummheit an, daß er seinen Worten vom Ende
des Goldes geglaubt hatte und ihm nicht entgegengetreten war, und
dachte, er habe ihm wirklich geglaubt.

Inzwischen machte der Zimmermann in seinem Hause ein unterirdisches
Gemach und schnitzte aus Holz eine Figur, die an Wuchs und Gestalt,
Form und Aussehen dem Goldschmied glich. Diese Gestalt bekleidete er
mit Kleidern, ganz wie sie der Goldschmied trug, und stellte sie in dem
unterirdischen Gemache auf. Er fand zwei junge Bären, nahm sie mit und
band sie in dem unterirdischen Gemache jener Figur gegenüber mit Ketten
an. Jeden Tag, wenn die jungen Bären gefüttert werden sollten und sie
sehr hungrig waren, legte er auf die beiden Schultern der vor ihnen
stehenden Goldschmiedsfigur je ein Stück Fleisch. Sobald sie das
Fleisch sahen, zerrten sie, um dort hinzugelangen. Wenn er sie dann von
der Kette losgemacht hatte, sprangen sie auf die Figur, nahmen von
jeder Schulter das Stück Fleisch und fraßen es auf. So wurden sie
gefüttert und bekamen jeden Tag zweimal Fleisch. Deshalb gewöhnten sich
ihre Augen an die Figur des Goldschmiedes. Selbst wenn sie angekettet
waren, bewegten sie Kopf und Ohren nach der Figur und machten aus Gier
nach dem Fleisch allerlei spaßhafte Bewegungen. So machte der
Zimmermann die jungen Bären völlig mit der Figur des Goldschmiedes
vertraut. Dann lud er eines Tages den Goldschmied nach der zwischen
ihnen bestehenden Gewohnheit in sein Haus ein. Der Goldschmied hatte
zwei Jungen, die er ohne weitere Förmlichkeiten mit zur Gesellschaft
brachte. Man setzte sich nieder und unterhielt sich lange. Nach der
Mahlzeit sagte der Goldschmied zum Zimmermann: „Bruder, ich will jetzt
in meinen Laden gehen, schicke meine Söhne nach Hause.“

Als der Goldschmied gegangen war, nahm der Zimmermann die beiden
Jungen, steckte sie in ein abgelegenes Zimmer seines Hauses und schloß
die Tür zu. Dann brachte er die in dem unterirdischen Gemache
befindliche Figur des Goldschmiedes anderswohin und ließ die jungen
Bären ordentlich hungern.

Am Abend ging der Goldschmied von seinem Laden nach Hause und sah, daß
seine Jungen noch nicht da waren. In Aufregung ging er im Dunkel in das
Haus des Zimmermanns und sah, daß die Jungen auch dort nicht waren. Er
fragte ihn, wo sie seien. Dieser antwortete: „Bruder, ich habe keine
Ahnung. Sie sind bald nach dir gegangen. Ich habe sie nicht mehr
gesehen und weiß auch nichts von ihnen.“ Der Goldschmied ging wieder
nach Hause, indem er dachte, daß sie vielleicht, als er zum Zimmermann
ging, einen anderen Weg nach Hause gegangen seien. Er sah überall nach,
aber die Kinder waren nicht da. In seiner Aufregung konnte er nicht
schlafen. Gegen Morgen ging er nach allen vier Himmelsrichtungen auf
die Suche. Er ließ es auch durch Ausrufer bekannt machen. Aber niemand
hatte sie gesehen.

Da zerriß der Goldschmied sich seinen Kragen [35], ging zum Zimmermann
und sagte zu ihm: „Jetzt schaffe mir meine Kinder herbei, denn ich habe
sie bei dir gelassen.“ Sie wurden handgemein und die alte Freundschaft
verwandelte sich auf einmal in Feindschaft. Schließlich gingen sie
beide zum Kadi und erhoben einen Prozeß vor dem Gericht. Der
Goldschmied berichtete dem Kadi die ganze Sache. Der Kadi fragte den
Zimmermann, was er dagegen zu sagen habe. Dieser antwortete: „Ja, es
ist richtig. Er hat die Jungen bei mir gelassen. Aber nachdem er
gegangen war, sind sie zu Bären geworden. Ich habe sie in einem
unterirdischen Gemache eingeschlossen. Da sind sie noch.“ Der Kadi
sagte: „Rede nicht Unsinn. Im Islam gibt es keine Verwandlungen. Unter
den früheren Propheten hat es Seelenwanderungen gegeben, aber seit dem
Auftreten Mohammeds kommt etwas Derartiges nicht mehr vor. Suche die
Knaben.“ Darauf antwortete der Zimmermann: „Ja, in den Büchern steht
tatsächlich so, und die Gemeinde Mohammeds ist von solcher
Seelenwanderung befreit. Aber Gottes Weisheit hat sich an den Kindern
dieses Mannes gezeigt. Gott weiß, wegen welcher Schlechtigkeit dieses
Mannes dies den unschuldigen Kindern passieren mußte.“ Der Kadi blickte
auf die neben ihm Sitzenden und sagte: „Gläubige Gemeinde, tatsächlich
kommt in der Gemeinde Mohammeds keine Seelenwanderung mehr vor, aber
dieser Zimmermann redet sehr vernünftig, so müssen wir denn
notgedrungen selbst hingehen und sehen.“ Die Zuhörer schlossen sich dem
Kadi an und gingen mit dem Goldschmied in das Haus des Zimmermanns.
Dieser öffnete das unterirdische Gemach und alle traten ein. Da die
jungen Bären an die Gestalt des Goldschmiedes gewöhnt waren, so
stürzten sie auf ihn, als sie den Goldschmied an Stelle der Figur
sahen, und umschmeichelten ihn mit allerlei Freundlichkeiten und
Spielereien. Sie schauten immer auf den Goldschmied, bewegten Ohren und
Hals und benahmen sich in der Erwartung auf Fressen höchst sonderbar.
Als dann der Zimmermann sie von der Kette befreit hatte, sprangen sie
ihm jeder auf eine Schulter und leckten ihm Hals und Ohren.

Als der Kadi und alle Leute dies sahen, waren sie erstaunt und sagten:
„Was sollen wir tun und sagen? Das ist Gottes Sache. Wir sind alle
nicht im Zweifel, daß diese jungen Bären deine Kinder sind.“ Damit
gingen sie fort. Der Zimmermann gab die Kette der jungen Bären dem
Goldschmied in die Hand und sagte: „Da, Bruder, nimm deine Söhne.“

Da begriff der Goldschmied die Sache und sah ein, daß er, wenn es auch
möglich wäre, äußerlich den Zimmermann zu besiegen, doch nur an Stelle
seiner beiden Söhne zwei Bären zugesprochen erhalten würde. Er wußte,
daß es eine List war, die ihm wegen seiner Habgier gespielt sei und, um
das Geld von ihm zu erlangen, ins Werk gesetzt sei. Was sollte er tun?
Er zog den Zimmermann in eine Ecke und sagte: „Bruder, dein Anteil von
dem Golde ist bei mir. Komm, ich will dir, soviel du willst, und noch
mehr von deinem Anteil geben. Mache mich nicht zum Gespötte der Welt.“
Der Zimmermann antwortete: „Bruder, deine Söhne sind bei mir. Bringe
das Gold und nimm deine Söhne.“

Der Goldschmied brachte das gesamte Gold, empfing seine Söhne gesund
und wohlbehalten und brachte sie nach Hause. Aber ihre alte
Freundschaft hatte sich des Geldes wegen in Feindschaft verwandelt und
in List und Trug verändert.



24. DAS HÖLZERNE MÄDCHEN UND SEINE LIEBHABER


In alten Geschichten wird zuverlässig berichtet, daß vier Leute: ein
Zimmermann, ein Goldschmied, ein Schneider und ein Asket sich
verabredeten, auf Reisen zu gehen. Sie machten sich also auf den Weg.
Nachdem sie einige Zeit gereist waren, mußten sie nach Gottes Ratschluß
eines Tages in einer gefährlichen bergigen Gegend übernachten. Sie
hatten sich verabredet, daß sie aus Furcht vor schädlichen wilden
Tieren nur abwechselnd schlafen würden.

Die Reihe kam an den Zimmermann, während die anderen drei sich
hinlegten und schliefen. Beim Stillsitzen überwältigte den Zimmermann
die Müdigkeit, so daß er, um sie zu vertreiben, sein
Zimmermannshandwerkzeug in die Hand nahm. Er fällte einen geraden Baum,
schnitzte ihn sauber aus, machte Kopf, Hände und Füße und formte eine
Mädchengestalt. Danach kam die Reihe an den Goldschmied. Auch ihm kam
beim Nichtstun der Schlaf. Da fiel sein Blick auf das Mädchen vor ihm,
das der Zimmermann gemacht hatte. Er lobte die Kunstfertigkeit des
Zimmermanns und, um den Schlaf zu bannen, wollte er auch seine Kunst
zeigen. Er machte der Gestalt Ohrringe, Armbänder und anderen
Frauenschmuck. Als er mit seiner Wache fertig war, kam die Reihe an den
Schneider. Als dieser aufstand und die wunderbare Gestalt sah, war er
sehr erstaunt und rief aus: „Da muß ich meine Kunst in würdiger Weise
zeigen.“ Er machte ihrer ganzen Figur entsprechend prächtige Gewänder
und bekleidete sie damit von Kopf bis zu Füßen. Wer sie ansah und nicht
wußte, daß sie eine Figur war, hätte sie für ein lebendiges Wesen
gehalten, gleich als ob sie geformter Geist sei. Als die Wache des
Schneiders zu Ende war, weckte er den Asketen und legte sich selbst
schlafen. Als der Asket aus dem Schlaf die Augen öffnete und das
geformte Bild erblickte, da wurde er wie einer, dem in Abgeschiedenheit
von der Welt das göttliche Licht erscheint, und er trat näher an die
Figur. Was sieht er da? Eine Gestalt, die selbst Asketen verführte, ein
wunderbares Bild, dessen gewölbte Augenbrauen die Gebetsrichtung der
Liebenden und dessen rubinrote Lippen die Nahrung für Herz und Seele
sind. Sofort hob er seine Hände zu dem Schöpfer der Geister und betete:
„O Herr der Stärke und Allmacht, o Gewaltiger, der du das reine Wesen
Adams aus dem Dunkel des Nichtseins in das Gefilde des Seins gebracht
hast und aus dürrem Holze die Früchte wachsen läßt, o Gott bei deiner
großen Güte bitte ich dich, daß du mich vor meinen Genossen nicht
beschämst und diese seelenlose Figur beseelen, ihr durch deine Gnade
Leben schenken und ihre Zunge dich zu loben und zu preisen lösen
mögest.“ Als er so bat, da schenkte Gott der Ewige, weil der Asket ein
heiliger Mann war, dessen Gebet Erhör fand, in seiner Güte dieser Figur
Seele und Leben und sie wurde ein glückliches, junges Mädchen, das wie
eine schlanke Zypresse daherwandelte und wie ein Papagei sprach. Als es
Morgen wurde und durch den Strahl der Sonne die Welt erleuchtet wurde,
da fiel der Blick der vier Gefährten auf das herzraubende Götterbild,
und sie wurden alle durch die Fesseln ihrer Locken gefangen und
umflatterten wie ein Schmetterling das Licht ihrer Schönheit. Es
entstand ein heftiger Streit und Zank unter ihnen. Der Zimmermann
sagte: „Da ich sie geschaffen, so gehört sie mir; ihr habt kein Anrecht
darauf.“ Der Goldschmied sagte: „Ich habe Gold und Schmuck an sie
verwandt und Geld, das die Hälfte der Seele ist, für sie geopfert.
Deswegen gehört sie mir.“ Der Schneider sagte: „Da sie durch meine
Bemühungen zu höchster Schönheit und Vollendung gelangte und
liebenswert wurde, so bin ich die Veranlassung, daß sie fähig wurde,
den Lebensodem zu erlangen. Deswegen kommt sie mir zu.“ Der Asket
sagte: „Dieses Mädchen gehört mir. Sie ist ein Werk meiner tiefen
Frömmigkeit und ist mir eine Probe der im höchsten Himmel weilenden
Hūrīs. [36] Mein Recht ist klar.“

Schließlich wollten sie alle, um ihre Ansprüche zu entscheiden, vor
Gericht gehen. Da sahen sie, daß ein Wanderderwisch im Derwischmantel
daher kam. Einmütig setzten sie den Derwisch zum Richter ein. Sie
wollten mit seiner Entscheidung, wie sie auch ausfalle, zufrieden sein.
Sie riefen ihn also heran und setzten ihm die Angelegenheit genau
auseinander. Kaum hatte aber der Derwisch das Mädchen gesehen, als er
sich in sie verliebte und wie eine Flöte zu klagen und zu seufzen
anfing. Der Derwisch, nur in Gedanken, seinen eigenen Kummer zu
lindern, schaute die Vier an und sagte: „Ihr Muslime, es ist ja reiner
Unsinn, was ihr da sagt. Fürchtet ihr euch nicht vor Gott, derartig
häßliche Taten zu begehen und meine legitime Frau mir zu nehmen, indem
der eine behauptet, er habe sie aus Holz geschnitzt, und der andere, er
habe für sie gebetet. Sagt doch etwas, das Verstand und göttliches
Gesetz erlauben. Diese Frau gehört mir und die Sachen, die sie trägt,
habe ich ihr machen lassen. Vor einigen Tagen ist zwischen uns ein
kleiner Streit entstanden, und in der vergangenen Nacht ist sie aus
Ärger aus meinem Hause gegangen. Ich habe mich, um sie zu suchen, auf
den Weg gemacht und sie mit Gottes Hilfe gefunden. Macht euch nicht
lächerlich vor den Leuten mit derartigen sinnlosen Reden. Das ist ja
Unsinn.“

Der Derwisch bestand noch mehr als die anderen auf seinem Anspruch. So
gingen sie alle fünf mit ihren Ansprüchen in die Stadt direkt zum
Stadtvoigt und erzählten ihm ihren Fall. Als der Stadtvoigt das Mädchen
sah, verliebte er sich noch tausendmal mehr als sie und sagte: „Ihr
verruchten Räuber, dies Weib ist die Frau meines älteren Bruders.
Räuber haben ihn umgebracht und seine Frau entführt. Gott sei Dank, das
Blut bleibt nicht ungerächt. Ihr habt euch selber gestellt.“ Er bestand
also noch mehr als sie alle auf seinem Anspruch und führte sie vor das
Gericht zum Kadi. Als ein jeder dem Herrn Kadi seinen Anspruch
auseinandergesetzt hatte, blickte der Kadi auf das Gesicht des
Mädchens.


    Ein reizendes Mägdlein vor Augen er sah,
    Anmutig vom Haupt zur Zeh stand sie da!
    Ihr Wuchs jeden Schauenden liebekrank machte,
    Verderben ihr stolzer Zypressengang brachte.
    Den Erdball mit Not ihre Wimper bedroht,
    Ihr gottloses Blinzeln mit Hölle und Tod.

    Wo Markttag sie hielt auf der Liebe Basar,
    Da bot man als Preis tausend Seelen ihr dar.
    Wo die Flut ihrer Reize das Herze bestürmte,
    Kein Damm widerstand, kein Verstand da beschirmte.
    Der Ehrbarkeit Burg ward vom Gießbach verheert,
    Von Liebe des Anstandes Grundbau zerstört!


Sogleich faßte ihn das Verlangen, das Mädchen zu besitzen und er sagte:
„Freunde, dieser Prozeß ist nichtig. Dieses reine Mädchen ist in meinem
Hause aufgewachsen und seit ihrer Kindheit an wie ein Kind von mir
gehalten. Sie ist meine Sklavin. Den Schmuck und die kostbaren Kleider,
die sie trägt, hat sie von mir erhalten. Durch Taugenichtse verführt,
hat sie mich verlassen. Durch Gottes Güte ist sie durch eure Bemühungen
gefunden, und meine Absicht ist erreicht. Euer Liebesdienst wird bei
Gott nicht vergessen bleiben, ihr werdet von ihm euren Lohn erhalten.“
Als er so sprach, sahen die vier Genossen, daß der Kadi über sie großes
Unglück, vor dem sie sich nicht schützen könnten, bringen würde. Der
Asket wendete sich zum Kadi und sagte: „Mewlana [37], geziemt es sich,
indem du Anspruch darauf erhebst, auf dem Teppich des Propheten zu
sitzen, daß du einen Prozeß von Muslimen nicht nach dem göttlichen
Recht entscheidest, sondern selbst Ansprüche auf dieses Mädchen erhebst
und sie uns mit Gewalt entreißen willst, indem du erklärst, sie sei
deine Sklavin. In welcher Rechtsschule ist das denn gestattet? Und wie
willst du dich dereinst vor Gottes Richterstuhl verantworten?“ Da
antwortete der Kadi: „Du Betrüger, um die Leute zu täuschen, hast du
durch Fasten dein Aussehen verändert, damit die Leute sagen sollen, aus
Gottesfurcht ist er so krumm wie ein Bogen geworden. Nun gibt es ein
bekanntes Sprichwort: Der Lügner muß ein gutes Gedächtnis, scharfen
Verstand und Einsicht haben. Du hast aber weder das eine noch das
andere. Du Narr, wenn du schon eine verrückte Lüge vorbringst, so darf
sie doch nicht ganz ungereimt sein. Kann ein Mensch aus Holz entstehen?
Gebt also diesen Prozeß auf und geht weg. Wenn nicht — wie ihr wollt.
Ich habe meine Sklavin wiedergefunden.“

Der Asket sagte: „Fürchte dich vor Gott und schäme dich vor dem
Propheten und entscheide den Prozeß nach dem göttlichen Recht.“ Der
Kadi und der Asket sagten sich gegenseitig Worte, wie sie ihnen gerade
auf die Zunge kamen, und es entstand ein großer Streit. Ihr
Zwiegespräch änderte sich in Zwiespalt. Diese sieben Leute waren aus
Liebeskummer nahe am Blutvergießen und rüsteten sich zum Kampf. Da
traten die Verständigen der Stadt zusammen in der Absicht, sie zu
versöhnen, und sagten: „Ihr Gläubigen, euer Prozeß läßt sich nicht
entscheiden und die Schwierigkeit kann niemand lösen, wenn nicht der
Allmächtige in seiner Güte ihn erledigt. In einem Ausspruch des
Propheten heißt es: ‚Wenn ihr in Zweifel seid bei den Dingen, so sucht
Hilfe bei den Begrabenen.‘ So wollen wir denn mit euch auf den Kirchhof
gehen. Ihr betet und wir wollen Amen sagen. Es ist zu hoffen, daß Gott
der Erhalter dies Geheimnis offenbar mache.“ Alle erhoben sich und
gingen auf den Kirchhof. Der Asket erhob die Hände und sprach: „O, du
Mächtiger und Allwissender, du kennst den Grund dieses Prozesses. So
löse in deiner großen Güte diese Schwierigkeit, damit deutlich werde,
wer recht hat.“ So betete er unter heftigem Weinen, und alle Leute
sprachen: Amen.

Während des Gebetes hatte sich das besagte Mädchen an einen großen Baum
gelehnt. Plötzlich teilte sich jener Baum und nahm das Mädchen in sich
auf. Dann schloß sich der Baum wieder, und das Geheimnis des Spruches:
„Jede Sache kehrt zu ihrem Anfang zurück“ wurde klar.

Aller Streit und alle Feindschaft waren beseitigt und alle Welt wußte,
daß jene vier Leute die Wahrheit gesagt hatten. Ihre Wahrhaftigkeit war
sonnenklar. Die drei anderen waren Lügner; ihre Lügenhaftigkeit war
offenbar, und sie selbst ein Gegenstand der Verachtung geworden. Die
aber das Mädchen, das jetzt zu seinem Ursprunge zurückgekehrt war,
geliebt hatten, waren betrübt und verstört.



25. DER LÖWE UND DAS SCHAF


In den Märchenbüchern ist geschrieben und auch von den Weisen der
Vorzeit ist erwähnt worden, daß einst in dem Hafen einer Insel ein
großes Schiff, das von Menschen verlassen war, geblieben war. Dieses
Schiff war vorher von einem Sturm betroffen und an das Ufer
geschleudert worden und alle darin befindlichen Lebewesen waren
umgekommen. Nur ein Schaf war gerettet worden. Dies Schaf verließ
bisweilen das Schiff, weidete am Ufer, ging des Abends wieder in das
Schiff und schlief dort.

Nun wohnte in dem Walde jener Insel ein großer Löwe. Alles Wild jener
Gegend gehorchte ihm. Eines Tages machte er eine große Jagd, und
nachdem er und alle, die unter seinem Schutz lebten, sich gesättigt
hatten, fiel der Blick des Löwen, als er am Ufer spazierenging, auf das
Schiff. Er betrat sofort das Schiff, das ihm sehr gefiel, und während
er alles betrachtete, sah er das Schaf. Da er satt war, hatte er
Mitleid mit dem Schaf, schenkte ihm das Leben, lud es zu sich ein,
behandelte es sehr freundlich, zog es in seine nächste Umgebung, ließ
ihm von niemandem Unrecht tun, da es fremd in dieser Gegend war,
versorgte es mit allem Nötigen und gewährte ihm Sicherheit. Das Schiff
machte er zu seinem Palast, lud sein ganzes Gefolge nach dem
Nachmittagsgebet dorthin ein und ließ dort Diwan [38] abhalten. Das
Schaf verkehrte auch ohne weitere Förmlichkeiten bei dem Löwen. Eines
Tages hatte der Löwe mit seinem Gefolge bis zum Abend gejagt, aber kein
Wild gefunden. Am folgenden Tage fanden sie gleichfalls nichts. Als sie
am dritten Tage auch keine Beute fanden, war sowohl der Löwe wie auch
sein Gefolge vor Hunger am Ende ihrer Kräfte. Seine Vezire beschlossen
einstimmig den Tod des Schafes und gingen zum Löwen. Dieser sagte: „Ich
will lieber vor Hunger sterben, als mein Wort brechen und einem
schuldlosen Wesen, dem ich Sicherheit versprochen habe, einen Schaden
zufügen.“ Seine Vezire sagten: „Jawohl, das Wort des Königs der Tiere
ist Wahrheit, und seine Rede ist die absolute Weisheit, aber heute ist
Euer erlauchter Körper vor Hunger nahe am Tode. Nun, was macht es, wenn
ein Sklave sich für das Wohl der Untertanen des Königs opfert? Schon
die Weisen sagen: ‚Der Schaden des einzelnen ist besser als der Schaden
der Gesamtheit.‘ Statt daß alle deine Diener umkommen, ist es besser,
daß einer deiner Sklaven sich opfere. Es ist billig, daß du für das
Wohl so vieler Seelen dieses Schaf uns als Mahlzeit gibst.“

Der Löwe hörte auf ihre Rede und wollte das Schaf töten, konnte aber
keinen Vorwand finden. Während er nach einem Grunde suchte, kam das
Schaf nach Gottes Ratschluß zum Löwen. Dieser sagte: „Du ungebildetes
Tier, nimmst du gar keine Rücksicht auf Könige? Jedesmal wenn du kommst
und gehst, dich hinsetzt und aufstehst, machst du meinen Thronsaal voll
Staub.“ Das arme Schaf, das die wahre Sachlage nicht ahnte, sagte: „O
Löwe, du Unvergleichlicher, unterlasse doch, bitte, derartige
unverständige Scherze. Ist wohl auf einem Schiffe im Meere Staub, daß
durch meine Bewegungen dein Thronsaal staubig werden könnte?“ Als der
Löwe dies hörte, schwieg er, aber der Fuchs, der von allen seinen
Günstlingen unter den Tieren besondere Gunst genoß, trat hervor und
sagte: „Du Schaf, dein Benehmen ist schon an und für sich sinnlos und
schmachvoll, aber diese Entschuldigung ist die reine Gemeinheit und
wird allerlei Buße nach sich ziehen, denn gibt es eine größere Sünde
als den Königen gegenüber das Wort zu ergreifen und ihre Perlen
ausstreuende Rede Lügen zu strafen? In deiner großen Dummheit begreifst
du nicht einmal deine Schuld und widersprichst dem Könige. Diese
unverständige Entschuldigung ist wie die Entschuldigung, die der
Stallknecht seinem Herrn gegenüber vorbrachte. Deine Entschuldigung ist
schlimmer als dein Vergehen.“ Der Löwe fragte: „Was ist das für eine
Geschichte?“ Der Fuchs antwortete:

„Es wird erzählt, daß ein angesehener Mann eines Nachts aus einer
Gesellschaft nach Hause zurückkehrte. Während er die Treppe
hinaufstieg, hörte sein Stallknecht, der im Stall war, das Geräusch der
Schritte. Er kommt heraus und sieht, daß in der Dunkelheit jemand die
Treppe emporsteigt. Nun war der Stallknecht jedesmal von der jungen
Hausherrin beehrt worden. Er dachte also, es sei die junge Frau, kam
herbeigesprungen, um ihr unter die Arme zu greifen.[20] Er konnte aber
nicht abwarten, bis er die Hälfte der Treppe erstiegen hatte und drückt
den Knöchel seines Herrn, aber da er diesen Knöchel nicht so weich wie
sonst fand, faßt er Verdacht und schaut genauer auf das Gesicht. Da
sieht er, daß der Knöchel, den er im Glauben, es sei der der jungen
Frau, gedrückt hatte, der seines Herrn ist. Aus Furcht fängt er an um
Verzeihung zu bitten und zu schwören: ‚Bei Gott, ich wußte nicht, daß
Sie es waren, ich dachte, es sei die junge Frau. Jedesmal, wenn sie
kommt, beehrt sie mich an der Treppe. Ich dachte, sie sei gekommen.
Darum seien Sie mir, bitte, nicht böse und zürnen Sie mir nicht.‘ Mit
diesen Worten entschuldigte er sich. Nun, die Entschuldigung des
Schafes gleicht ihr. Deshalb muß es auch seine Strafe erhalten.“

Der Löwe zerriß sogleich mit diesem Vorwand das arme Schaf.



26. DER LÖWE UND DER KATER


Im fernsten Indien war ein Weideland, das Blüten und Bäume ohne Zahl
und Wild ohne Ende hervorbrachte. In dieser Gegend hatte sich nun ein
Löwe niedergelassen. Was an wilden und reißenden Tieren vorhanden war,
stand in seinem Dienst, führte seine Befehle mit Vergnügen aus und
hielt seinen starken Schutz für die Ursache ihres glücklichen Lebens.
So vergingen einige Monate und Jahre, und der Frühling der Jugend des
Löwen veränderte sich in den Herbst des Greisenalters; seine
körperliche Kraft wurde schwach und sein Körper wurde vor Alter matt,
so daß seine Augen nicht mehr zum Sehen und seine Zähne nicht mehr zum
Essen der Speisen taugten. Ja es kam so weit, daß jedesmal, wenn er
seine Beute verzehrt hatte und eingeschlafen war, infolge des Alters
seine Lippen, wie der Mund eines Opiumrauchers nach dem Rausch, schlaff
herunterhingen und sein Rachen geöffnet war. Dann kamen alle dort
vorhandenen Mäuse und holten die Fleischreste, die zwischen seinen
Zähnen saßen, heraus. Infolge der Belästigung der Mäuse konnte der Löwe
nicht ruhig schlafen und wachte jede Stunde auf. Es war auch nicht
möglich, so viele Mäuse zu fangen, denn sobald der Löwe eingeschlafen
war, sammelten sich die Mäuse um ihn, so daß er trotz seiner Macht und
Stärke ihnen gegenüber machtlos blieb.

Der Wolf, der den Rang eines Vezirs innehatte und des näheren Umganges
mit dem Löwen gewürdigt wurde, trat eines Tages in das Privatgemach des
Löwen. Dieser erzählte ihm, was für Not er von den Mäusen leide. Der
Wolf antwortete: „Mächtiger Löwe, deine Lage gleicht ganz genau der
Geschichte von dem Kalifen von Bagdad und dem Gottesgelehrten.“ Der
Löwe fragte: „Was ist das für eine Geschichte?“ Der Wolf erzählte:

„Einer von den Abbasidischen Kalifen war durch seine Gewalt berühmt und
durch seine große Macht bekannt geworden. Eines Tages ließ sich in
seinem Empfangszimmer ein tugendreicher Gottesgelehrter, der Stolz der
Bagdader Gelehrten, nieder. Aber da es Sommer war, belästigten und
quälten die Fliegen den Kalifen über die Maßen. Der Kalif wandte sich
zum Gelehrten und sagte: ‚Warum sind wohl diese Fliegen geschaffen? Was
kann Gottes Weisheit damit bezweckt haben? Abgesehen davon, daß sie
unnütz sind, sind sie auch unrein und schmutzig.‘ Der weise Gelehrte
sagte: ‚Kalif der Welt, Gott der Herr der Welten hat nichts Unnützes
geschaffen. Er hat in seiner Weisheit die Fliegen geschaffen, um den
Mächtigen ihre Ohnmacht zu zeigen. Trotz ihrer Kraft und Macht sind sie
doch nicht in der Lage, ein so schwaches Heer zu besiegen. Aus diesem
Grunde sind dem Allmächtigen die Fliegen äußerst nötig!‘

Der Kalif freute sich sehr über die weise Rede des Gelehrten und gab
sich zufrieden.

„Wenn du also, mächtiger Löwe, die Belästigung dieser verächtlichen
Tiere nicht ertragen kannst, so ist dies eine göttliche Mahnung und
Belehrung. Aber für jeden Kummer gibt es ein Heilmittel und, wenn man
sie nicht mit Gewalt vertreiben kann, muß man List anwenden. Gott hat
für jede Sache eine Ursache geschaffen. Was der eine kann, kann der
andere nicht. So z. B. kann man den Staub eines Hauses nicht mit einem
Pfauenwedel beseitigen, dazu ist ein Besen nötig. So können wir auch
die Mäuse vertilgen. Wir haben doch einen alten Diener deines Hofes,
den Kater, der seit Jahren auf deine Befehle wartet. Wenn du befiehlst,
wollen wir ihm die Bewachung deines Thrones übertragen.“

Der Löwe war damit einverstanden, und der Kater, der den Namen
Flinkhand hatte, wurde vor den Löwen gerufen und ihm die Wache
übertragen. Flinkhand übernahm dies Amt und sagte zum Löwen: „O König
der Tiere, du hast mich zwar in deiner großen Güte zum Wächter ernannt.
Aber ich war schon seit vielen Jahren an deinem Hofe, ohne daß ich
eines gnädigen Blickes von dir für würdig erfunden wurde. Das ist um so
merkwürdiger, als ich nicht nur ein alter Freund Euer Majestät bin,
sondern auch Verwandtschaft zwischen uns beiden besteht.“ Der Löwe
fragte: „Inwiefern?“ Darauf antwortete der Kater: „Als Noah in der
Arche war, da waren alle Tiere machtlos gegen die Menge der Mäuse in
der Arche und beklagten sich bei Noah. Infolge göttlicher Eingebung
strich Noah mit der Hand über die Stirn des Löwen. Da kamen aus seinen
zwei Nasenlöchern zwei Katzen zum Vorschein, die meine Ahnen sind. Alle
Tiere in der Arche waren nun befreit von der Belästigung durch die
Mäuse und hatten ihre Ruhe. Im Schutze deiner Herrschaft habe ich nun
auch dieses Amt übernommen.“

Tatsächlich verschwanden alle Mäuse, wo Flinkhand sich zeigte. Aber er
fing und tötete keine einzige, sondern verhinderte nur, daß sie sich
vor dem Löwen zeigten. So hatte dieser seine Ruhe, und Flinkhands
Ansehen vermehrte sich von Tag zu Tag.

Als Flinkhand auf diese Weise zu der nächsten Umgebung des Löwen
gehörte, brachte er eines Tages seinen ältesten Sohn zu ihm, ließ ihn
den Erdboden küssen und sagte: „König der Tiere, dies ist mein ältester
Sohn. Er versteht gut die Hofetiquette und kann alle Dienste
verrichten. Wenn ich bisweilen andere Geschäfte erledige, kann er mich
vertreten und das Wächteramt übernehmen.“ Der Löwe gestattete es.

Eines Tages hatte Flinkhand anderweitig zu tun, ließ seinen Sohn an
seiner Stelle zurück und ermahnte ihn, gewissenhaft seinen Dienst zu
erfüllen. Als dieser nun das Wächteramt übernahm, verfuhr er nicht wie
sein Vater mit Schonung, kümmerte sich auch nicht um das Geheimnis und
den weisen Zweck der Milde, sondern tötete jede Maus, die sich zeigte.
Er tötete so viele, daß er bis zum Morgen alle umgebracht hatte, ohne
auch nur eine einzige übrigzulassen.

Am nächsten Tage kam sein Vater Flinkhand. Als er sah, daß Berge von
getöteten Mäusen vorhanden waren, da geriet er außer sich und sagte zu
seinem Sohn: „Du unverständiger Tor, diesen königlichen Posten, den ich
nach allerlei Mühen am Ende meines Lebens erlangt hatte, hast du mir
geraubt und mein Ansehen dem Staube gleich gemacht. Du Tor, du
Dummkopf, wenn man uns Gutes tut, so ist es nur der Mäuse wegen. Wozu
taugten wir, wenn es keine Mäuse gäbe?“ Also tadelte und schalt er ihn
heftig.

Einige Tage danach sah der Löwe, daß von den Mäusen nichts mehr
geblieben war, und sagte zum Wolf: „Nun wollen wir Flinkhand entlassen,
denn der Grund für ein Amt liegt in der Beschäftigung und Arbeit. Wenn
diese nicht vorhanden sind, einen Menschen in ein Amt zu setzen, ist
genau dasselbe, als wenn man einem Blinden eine Nadel gibt. Flinkhands
Amt war das Mäusefangen. Da keine Mäuse mehr vorhanden sind, so wäre es
Dummheit, ihn noch zu den Beamten zu rechnen. Besonders da das
Katzengeschlecht sehr blutgierig ist und ich auch von der Strafe, die
sie wegen ihrer Grausamkeit trifft, mitgefaßt werden könnte. Das
Verständigste ist also, ihn zu entlassen.“

Sofort wurde er entlassen. Er befand sich wieder in dem alten traurigen
Zustande der Verabschiedung.



27. ZARIFE UND ANTAR


In der Stadt Tus lebte ein Mann mit Namen Sejjar. Dieser war sehr
reich, aber er war sehr traurig, weil er keinen Sohn hatte. Jeden, den
er traf, fragte er, ob er kein Mittel kenne, um einen Sohn zu bekommen.
Eines Tages kam ein geschickter griechischer Arzt in sein Haus als
Gast. Sejjar teilte auch ihm sein Verlangen nach einem Sohne mit und
bat ihn, ihm ein Mittel zu geben. Der gelehrte Arzt nahm aus seinem
Wunder bergenden Kasten eine feine Paste und sagte: „Zerstoße sie mit
der Galle eines Pfaus, gib es deiner Frau zu trinken und dann vollziehe
den Beischlaf mit ihr und, wenn Allah will, wirst du einen Sohn
bekommen.“ Am anderen Tage verabschiedete sich der Arzt.

Es gab nun in der Stadt keinen Pfau. Nur der König hatte einen, den er
sehr liebte und hütete. Sejjar beriet sich mit seiner Frau Zarife, und
sie beschlossen, sich den Pfau auf irgendeine Art zu beschaffen. Eines
Nachts gingen sie in den Garten, wo der Pfau war, holten den Pfau mit
List heraus und brachten ihn in ihr Haus zu einer Zeit, wo kein Fremder
dort war. Sofort schlachteten sie ihn, nahmen seine Galle, zerstießen
sie mit der erwähnten Paste und tranken sie. Zarife hatte aber einen
Bruder, mit Namen Antar. Zarife konnte aus übergroßer Freude, einen
Sohn zu bekommen, nicht mehr an sich halten und erzählte dem Antar die
ganze Geschichte. Als am nächsten Tage der Pfau vermißt wurde und der
König davon erfuhr, befahl er, ihn zu suchen und versprach einem jeden,
der ihn fände oder Kunde von seinem Leben oder Tod bringe, tausend
Goldstücke zu geben.

Als dies durch Ausrufer bekannt gegeben wurde, und als Antar von den
tausend Goldstücken hörte, da ging er zum König und erzählte ihm die
Geschichte. Der König entbrannte vor Zorn über die Frau und befahl, sie
zu töten. Seine Vezire sagten aber: „O König, ohne den wahren
Sachverhalt der Angelegenheit erforscht zu haben, diese arme Frau
umzubringen, ist dem göttlichen Recht zuwider, denn dem Worte eines
Mannes, der vielleicht aus Eigennutz ausgesagt hat, darf man nicht
vertrauen. Die Frau muß ordentlich ausgefragt werden. Wenn sie ihn
wirklich genommen hat, soll sie ihre Strafe erhalten, wenn aber im
Gegenteil dieser Mensch nur aus Eigennutz ausgesagt hat, soll er
bestraft werden.“

Dem König gefiel der Vorschlag seiner Vezire, und er dämpfte etwas
seinen Zorn. Er rief den Antar und sagte: „Mensch, wenn deine Aussage
nicht richtig ist, werde ich dich an ihrer Stelle töten.“ Antar
antwortete: „Mein Padischah, ich habe selbst von meiner Schwester
gehört, daß sie den Pfau umgebracht habe. Wenn du aber meinen Worten
nicht glaubst, so bestimme zwei Männer. Ich werde sie irgendwo
verbergen und werde sie die Worte meiner Schwester hören lassen.“

Der König gab dem Antar zwei Leute, denen er vertraute, mit. Antar
versteckte einen jeden von ihnen in einem Kasten, verschloß sie und
ließ sie von zwei Lastträgern in das Haus seiner Schwester bringen.
Dann sagte er: „Schwester, ich muß irgendwohin verreisen. In diesen
Kästen sind meine Kostbarkeiten, die ich fürchte in meinem Hause zu
lassen. Sie sollen bei dir zur Aufbewahrung bleiben.“ Sie sprachen dann
von allerlei Dingen, und er brachte das Gespräch auf den Pfau und
sagte: „Ach, Schwester, wie wäre es, wenn du doch einen Sohn bekämst!
Wie würden wir uns freuen! Aber erzähle mir doch noch einmal, wie ihr
den Pfau in der Nacht habt fangen können. Ich habe mich sehr darüber
gefreut. Verzeih mir nur, daß ich das erste Mal, als du mir es
erzähltest, nicht recht zugehört habe, weil ich zu aufgeregt war.
Erzähle es mir, bitte, noch einmal!“

Zarife erzählte auch, von Anfang bis zu Ende, wie sie dorthin gegangen
seien, ihn ergriffen, nach Hause gebracht und getötet hätten. Zum
Schlusse sagte sie dann: „Es war gerade Morgen geworden, und ich wachte
auf. Es war ein Traum. Aber da der Pfau ein bunter Vogel ist, so deutet
das darauf hin, daß ich, wenn Gott will, einen schönen Sohn bekommen
werde. Es muß ein guter Traum sein, denn wer im Traum einen Pfau sieht,
deutet das so.“ Antar sagte: „Schwester, war das denn ein Traum, was du
mir das erste Mal erzähltest?“ Zarife antwortete: „Bruder, weißt du
nicht, daß ich nicht einmal einen Sperling töten kann, wie sollte ich
wohl einen Pfau schlachten besonders, wenn es der des Königs ist. Du
hast mich in deiner Aufregung nicht verstanden und hast angenommen, ich
hätte dir ein wirkliches Ereignis erzählt.“

Antar war ganz bestürzt und hatte nicht die Kraft, wieder zum Könige zu
gehen. Aber als die Vertrauensmänner des Königs wieder zu ihm geführt
wurden, ließ man sie alles eins nach dem andern erzählen. Sie
berichteten, wie sie gehört hatten: „O König, was die Frau sagte, war
ein Traum. Sie sagte auch, daß es ein solcher sei. Dieser Mann hat es
für Wirklichkeit gehalten.“ Der König sah ein, daß Antar nur aus
Eigennutz gehandelt habe, und ließ ihn auf dem Richtplatze hinrichten.
Der Zarife erwies er aber viele Gnaden und Wohltaten.



28. DSCHEMILE UND DIE DREI FREIER


Im Lande Chorasan lebte ein Asket, der seine Zeit nur der Askese und
seinem Seelenheil widmete. Eines Tages beabsichtigte er die Pilgerfahrt
nach Mekka zu unternehmen. Als er sich verabschiedete, sagte er zu
seiner Frau und seinem Sohne: „Gott sei Dank, meine Tochter ist
herangewachsen und heiratsfähig. Wenn, während ich auf der Pilgerfahrt
bin, ein passender Freier kommt, so gebt sie ihm, da ich nicht weiß, ob
ich wiederkomme.“

Er machte sich mit den Pilgern auf den Weg. Unterwegs traf er einen
jungen Mann mit Namen Nedschib, mit dem er Kameradschaft schloß. Das
Benehmen des jungen Mannes gefiel dem Frommen sehr, und er verheiratete
ihm seine Tochter. Er ließ ihn nicht von seiner Seite und machte die
Pilgerfahrt mit ihm zusammen.

Wir wollen nun die beiden ihre Pilgerfahrt machen lassen und uns den
anderen zuwenden! Zunächst der Sohn des Asketen. Dieser war in
Geschäftsangelegenheiten in ein anderes Land gegangen und traf dort
einen jungen Mann mit Namen Zarif, dessen Benehmen ihm gefiel. Gemäß
der Anweisung seines Vaters gab er diesem seine Schwester Dschemile in
Abwesenheit zur Ehe. In der Heimat hatte die Frau des Asketen einen für
ihre Tochter passenden jungen Mann, mit Namen Nazif, gefunden. Da sie
mit ihm einverstanden war, versprach sie sie ihm, nur sollte die
Hochzeit bis zur Ankunft ihres Sohnes oder ihres Mannes verschoben
bleiben.

Nachdem der fromme Mann die Pilgerfahrt vollzogen hatte, kehrte er nach
seiner Heimat Chorasan zurück, und an demselben Tage, an dem er ankam,
traf auch sein Sohn von der Geschäftsreise ein. So waren nun drei
Schwiegersöhne in seinem Hause. Der Vater, die Mutter und der Sohn
waren in größter Verlegenheit, und da niemand dem andern etwas
vorwerfen konnte, so wußten sie nicht aus noch ein. Nedschib sagte: „Da
der Vater mir das Mädchen versprochen hat, so komme ich in erster Linie
in Betracht.“ Zarif sagte: „Mir hat sie ihr Bruder an Stelle und mit
Erlaubnis des Vaters gegeben, deswegen habe ich ein größeres Anrecht
als ihr auf sie.“ Nazif sagte: „Mir hat die Mutter sie gegeben, und das
Mädchen war damit einverstanden, und das geschah mit Einwilligung des
Vaters und Sohnes. Also ist mein Recht stärker als das eurige.“ So
entstand ein großer Streit zwischen den drei Schwiegersöhnen. Der
fromme Mann war in Verlegenheit und wußte nicht, wem er das Mädchen
geben sollte, und konnte den Rechtsfall nicht entscheiden. Die
Geschichte wurde in der Stadt bekannt und wurde von Gesellschaft zu
Gesellschaft getragen. Als das Mädchen Dschemile die Sache hörte, kam
sie vor Kummer und Traurigkeit an den Rand des Todes. Sie wurde
schließlich vor Gram krank, lag einige Tage zu Bett, leerte eines
Nachts den Todeskelch und zog aus dieser Welt der Vergänglichkeit in
die Stadt der Ewigkeit. Ihr Vater und ihre Mutter jammerten und
wehklagten; jedoch, da die Sache nun einmal so lag, sorgten sie für
Leichentuch und Waschung, und begruben sie.

Mehr als alle klagten die drei Liebhaber. Als es Abend wurde, besuchten
sie gemeinsam das Grab des Mädchens. Während sie am Grabe standen,
sagte Nedschib: „Brüder, ich war in die Schönheit des Mädchens
verliebt. Nun ist sie gestorben, ohne daß es mir vergönnt war, ihr
Gesicht zu sehen. Statt bis zur Auferstehung zu warten, möchte ich
wenigstens einmal das Gesicht der Toten sehen, denn ich kann es nicht
mehr aushalten und kann meine Sehnsucht nicht bis zum Jüngsten Tage
hinhalten.“ Zarif und Nazif sagten: „Bruder, wenn du sie sehen willst,
tue es jetzt! Denn wer sollte sie dir am Tage der Auferstehung geben,
und welches Anrecht hättest du auf sie?“

Nedschib, obwohl schwach, machte sich sogleich daran, das Grab zu
öffnen und den Leichnam herauszuholen. Während er voll Sehnsucht auf
ihr Gesicht blickte, sah Zarif auch hin. Nun war Zarif ein sehr
geschickter Arzt, und, während er hinschaute, sah er, daß noch Zeichen
von Leben an ihr waren. Er sagte daher: „Freunde, es kommt mir so vor,
als ob dieses Mädchen noch lebt, nur sind infolge des Blutandranges die
Glieder gelockert, und ihre Körperkräfte sind dem Einfluß der Kälte
ausgesetzt gewesen. Das Mittel dagegen ist nun, daß sie zur Ader
gelassen wird und ihre Glieder geschlagen werden, damit das schlechte
Blut aus ihren Adern herauskommt und infolge des heftigen Schlagens das
Leben wieder in den Körper kommt und die angeborene Wärme die Kälte
vertreibe. Aber wer vermöchte diesen zarten, rosengleichen Leib zu
schlagen?“ Da sagte Nazif: „Ich kann es, denn schlagen ist nicht
schlimmer als sterben. Sollte es mir etwas ausmachen, sie zu schlagen,
da ihr geduldig ausharren wollt?“ Dann faßte er einen Stock und schlug
die Dschemile derart, daß ihr zarter Körper rot wie eine Rose wurde und
schließlich sich zu bewegen anfing. Dann ließ man sie an den Stellen,
wo es nötig war, zur Ader, und nach Gottes Willen kam wirklich die
Seele von neuem in ihren Körper, und sie wurde zu neuem Leben erweckt.

Nun entstand wieder zwischen den Dreien Streit und Zank. Nedschib
sagte: „Mir kommt sie zu, denn ich habe das Grab geöffnet. Wie hättet
ihr sie sonst sehen können?“ Zarif sagte: „Wenn ich ihr nicht als Arzt
ins Gesicht geblickt, ihre Krankheit erkannt und Spuren des Lebens
festgestellt hätte, wie hätte sie dann zum Leben zurückkehren können?
Natürlich gehört sie mir.“ Nazif sagte: „Ihr hattet nicht den Mut, sie
zu schlagen. Ich habe den Stock genommen und sie geschlagen. Hätte ich
das nicht getan, so wäre sie nie geheilt worden. Mir kommt sie zu.“

Ihr Streit artete in Tätlichkeiten aus. Das Mädchen sagte in ihrer
Verlegenheit: „Ihr Muslime, während meines Lebens bin ich durch euch
ohne mein Zutun in das Gerede der Leute und in Verruf gekommen, im Tode
werde ich euch auch nicht los und bin wieder der Gegenstand eures
Streites. Seid doch so gut und führt mich zu meinen Eltern! Dann wollen
wir sehen, was sich machen läßt.“

Sie taten, wie das Mädchen gesagt hatte. Als der Asket seine Tochter
wieder am Leben sah, dankte er Gott, und die Mutter und der Bruder
priesen Gott, den Höchsten, und freuten sich sehr.

Darauf sagte das Mädchen: „Gottes Güte und Gnade hat mir von neuem das
Leben gegeben, aus Dankbarkeit dafür will ich ganz dieser Welt des
Streites entsagen und den Rest meines Lebens dem Dienste Gottes
weihen.“ Mit diesen Worten scherte sie ihr Haupt, legte den
Derwischmantel an und gab sich in dem Kloster ihres Vaters
gottesdienstlichen Übungen hin und entsagte den vergänglichen Genüssen.
Möge Gott ihr die ewige Seligkeit schenken!



29. DER GREIS, DER NIE VERLIEBT WAR


Der erhabene Heilige Bajezid Bistami hielt einst in der Moschee eine
Predigt. Alle Anwesenden, groß und klein, waren von seinen Worten
begeistert. Als die Begeisterung am höchsten war, trat ein Opiumraucher
an seine Kanzel und sagte: „Meister, durch die Macht deiner glänzenden
Rede führst du alle Welt auf den Pfad Gottes. Ich habe eine Bitte an
dich. Mir ist mein Esel verloren gegangen, sage mir, wo er ist.“
Bajezid Bistami sagte: „Gedulde dich nur! Ich werde ihn finden.“ Darauf
fing er wieder zu predigen an. Während der Predigt wandte er sich an
die Anwesenden und fragte: „Gemeinde Muhammeds, ist einer unter euch,
der nie verliebt gewesen ist? Wenn das der Fall ist, so stehe er auf.“
Da stand ein Greis auf und sagte: „O Scheich, in der Wissenschaft der
Liebe bin ich ein Laie. Seit meiner Kindheit bis zum Greisenalter bin
ich nie verliebt gewesen. Was Liebe ist, weiß ich nicht. Ich habe
überhaupt keine Ahnung, was das ist, was du Liebe nennst. Sei doch so
freundlich und erkläre es mir!“ Da sagte Bajezid Bistami zu dem
Opiumraucher, der seinen Esel verloren hatte: „Mann, das ist der Esel,
den du verloren hast. Nimm ihn mit!“



30. DER KAUFMANN UND DER KÖNIG DER TIERE


In den Märchenbüchern steht geschrieben, daß im Gebiete von Kedscherwan
ein Kaufmann, Namens Sadri, lebte. Nach Gottes Ratschluß
verschlechterte sich seine Lage von Tag zu Tag, so daß er ganz arm
wurde. Nach dem Sprichwort: „Sich regen bringt Segen“, beschloß er sich
auf Reisen zu begeben. Er machte sich also auf den Weg und kam in einen
Wald. Nun hatte ein Löwe sich diese Gegend unterworfen, und kein
Fremder durfte sie betreten. Die Antilope und die Gazelle waren seine
Vezire und leiten den Löwen auf den Pfad des Rechts. Durch Gottes Gnade
waren die Antilope und die Gazelle gerade in der Nähe des Löwen.

Als der Kaufmann Sadri den Löwen sah, war er ganz verwirrt, fing an zu
zittern und stand ratlos da. Wenn er zurückging, würde der Löwe ihn von
hinten einholen und töten, wenn er geradeaus ging, würde er aus freien
Stücken an den Ort des Verderbens eilen. Da er schließlich nicht wußte,
was er tun sollte, schaute er verlegen vor sich hin.

Die Antilope und die Gazelle waren von gutmütigem Charakter und
freundlichem Benehmen. Als sie den armen Sadri sahen, hatten sie
Mitleid mit ihm und griffen zur List, denn sie wußten, daß der Löwe ihn
nicht schonen, sondern töten würde. Um Sadri zu retten, gingen sie zum
Löwen, lobten ihn ins Gesicht und sagten: „Möge Gott, der Höchste, dem
Könige der Tiere langes Leben und Macht geben! Da sogar die Menschen
gehört haben, daß alle Tiere unter dem Schutz deiner Gerechtigkeit
zufrieden und froh leben, so ist ein Mensch zu deiner Schwelle gekommen
und hofft auf deine Güte. Aber vor deiner Majestät ist er verwirrt und
wagt nicht, ohne Erlaubnis einzutreten. Wenn du die Erlaubnis gewährst,
will er den Staub deiner Füße küssen.“

Der Löwe freute sich sehr über ihre Rede und gab die Erlaubnis. Auf
Anweisung der Antilope und der Gazelle ging er zum Empfang bei dem
Löwen, küßte verwirrt den Erdboden und erfüllte die Erfordernisse der
Hofetikette.

Nun hatte der Löwe in einem Engpaß mehrere Karawanen vernichtet und ihr
Geld und ihre Edelsteine geraubt. Er schüttete diese vor Sadri aus und
sagte: „Nimm dir davon, soviel du willst!“ Dieser nahm von dem Gelde,
soviel er konnte, und kehrte wieder in seine Heimat zurück. Er
verkaufte davon so viel, um seine Schulden zu bezahlen, und vergrub den
Rest in einem Winkel seines Hauses.

In seiner Habgier bereute er es, nicht alles Gold und alle Edelsteine,
die der Löwe hatte, genommen zu haben, und ging wieder an die Stelle,
wo sich der Löwe befand, ohne zu bedenken, wie trügerisch das Schicksal
ist, und daß der Habgierige schließlich enttäuscht wird. Kurz, er
befand sich an der bewußten Stelle dem Löwen gegenüber.

Aber an diesem Tage befanden sich bei dem Löwen von seinen Hofleuten
der Wolf und der Schakal. Da diese von Natur böswillig waren, so
leiteten sie den Löwen nie zum Guten. Um den Löwen aufzureizen, sagten
sie: „König der Tiere, warum beschützt du nicht diese Gegend? Was ist
das für eine Unachtsamkeit, daß die Menschen ohne Erlaubnis deine
Residenz betreten und die Regeln, die deine Majestät vorgeschrieben,
verachten? Die Menschen sind überhaupt ein unverschämtes Geschlecht,
und ihre Schlechtigkeiten auf der Erde sind viel, so daß es zu deinen
dringendsten Aufgaben gehört, sie in die Schranken zu weisen.“ So
brachten sie den Löwen in äußerste Wut, so daß er Sadri angriff, um ihn
zu zerreißen und zu zerstückeln.

Als Sadri sah, daß die Antilope und die Gazelle nicht bei dem Löwen
waren und der Wolf und der Schakal mit ihrer Tücke den Löwen gegen ihn
aufgebracht hatten, da erkannte er, daß er in sein Verderben gerannt
war. Er kletterte aus Furcht für sein Leben auf einen Baum und
erreichte das Gestade der Sicherheit.

Der Löwe war sehr zornig und schlug den Baum mit seinem Schweife, um
ihn auszureißen. Da erschien die Antilope und die Gazelle, und der Wolf
und der Schakal zogen sich zurück, da ihre Gegenwart nicht mehr so
erwünscht war. Die Gazelle und die Antilope sahen, daß der Mann aus
Habgier wiedergekommen war und sich den Zorn des Löwen zugezogen hatte.
Sie wußten ganz klar, daß der Löwe ihn in Stücke reißen würde.

Deswegen regte sich ihr Mitleid und sie bemühten sich, ihn zu befreien.
Sie traten vor den Löwen, küßten ehrfurchtsvoll den Erdboden und
sagten: „Mächtiger König und Kaiser, Gott dem Höchsten sei Dank, daß er
seiner Diener Gebete erhört hat und daß uns durch ihn soviel Erfolg
beschert wurde. Kann es eine größere Gnade Gottes geben als, daß auf
der ganzen Erde Tiere und Menschen dich loben und preisen und für die
Dauer deiner Herrschaft beten, aber auch die in der Luft fliegenden
Vögel und die in den Höhen schwebenden Engel steigen auf die Zweige der
Bäume als Kanzeln, um deine Güte und Gnade zu preisen, und loben mit
beredten Worten deine Herrschaft.“

Als der Löwe diese besänftigenden Worte hörte, legte sich sofort sein
Grimm und er sagte: „Möge Gott es euch vergelten! Wenig fehlte und ich
hätte dem Worte der andern vertrauend diesen unschuldigen armen
Kaufmann getötet. Sagt ihm, er soll sich nicht fürchten und für mich
weiter beten.“ Dann wandte er sich seiner Wohnung zu. Die Gazelle und
die Antilope ließen Sadri entwischen. Ohne ihre Bemühungen wäre er
sicher wegen seiner Habgier umgekommen.



31. DER HABGIERIGE SEIDENSPINNER


In einer Stadt Iraks lebte ein Seidenspinner. Er konnte ein Haar in
vierzig Strähnen teilen und war jeden Augenblick an der Arbeit. Trotz
seines Eifers konnte er nicht mehr verdienen, als er gerade für den Tag
brauchte. Er hatte einen Freund, der Wollkrempler war. Eines Tages
besuchte er ihn und fand sein Haus mit allerlei Kostbarkeiten angefüllt
und seine Kleider und Wertsachen in Menge vorhanden. Hierüber wunderte
er sich und sagte zu sich: „Ich gehe Tag und Nacht zu Königen und
Fürsten und arbeite ihrer würdige Sachen, dieser Wollkrempler dagegen
reinigt nur Baumwolle und Wolle. Während er zu solchem Reichtum gelangt
ist, bin ich vor Armut nahe am Sterben. Was kann Gott damit bezweckt
haben?“ Mit diesem Gedanken kam er nach Hause zurück und setzte sich
hin, versunken in das Meer des Nachdenkens und der Aufregung. Seine
Frau kam zu ihm und fragte ihn nach seiner Traurigkeit. Der
Seidenspinner erzählte ihr den Grund seines Nachdenkens und sagte zu
ihr: „Frau, ich bin nun entschlossen, diese Stadt zu verlassen und in
ein anderes Land zu gehen, denn in dieser Stadt kann ich meinen
Unterhalt nur mit Mühe verdienen. Ich will also in eine Stadt gehen,
die meine Kunstfertigkeit zu würdigen weiß, und dort werde ich bequem
leben. Außerdem sagen auch die Weisen: ‚Wenn der Halbmond nicht
wandert, wird er kein Vollmond, und wenn die Perle nicht die Muschel
verläßt, wird ihr Wert nicht erkannt.‘“ Seine Frau sagte:
„Seidenspinner, deine Gedanken sind töricht und sinnlos. Gott hat im
Koran gesagt: ‚Wir haben einem jeden seinen Unterhalt zugeteilt‘, und
jedes Tier hat seine Nahrung, gemäß dem Koranverse: ‚Jedes Tier hat
seine Nahrung von Gott.‘ Niemand kann durch Eifer und Sorgfalt mehr als
seine ihm zugewiesene Nahrung erwerben. Wenn du dich einer Sache, die
dir bestimmt ist, entziehen wolltest, so würde sie dich doch erreichen,
und wenn du dich jahrelang bemühen würdest, mehr, als dir zugedacht
ist, zu erreichen, so wirst du es nie erlangen. Die Geschichte des
Ibrahim Edhem, des Königs von Balch — Gott habe ihn selig! —, der sich
mit dem begnügte, was die ewige Vorsehung ihm zuwies, und in das Reich
der Seligen einging, indem er sein Königtum aufgab, ist für alle, die
sie hören, eine ernste Mahnung und Warnung.“

Der Seidenspinner fragte: „Was ist das für eine Geschichte?“

Darauf erzählte die Frau:

„Ibrahim Edhem, der König von Balch, ging einst während seiner
Regierung auf die Jagd. Während er im Freien aß, sah er, daß plötzlich
eine Biene kam, ein Stück Brot vom Tische nahm und wieder davonflog.
Ibrahim Edhem wurde durch diesen Vorgang in seinem Innern bewegt und
folgte der Biene, die zu einem Baume flog und sich an dessen Fuße
niederließ. Ibrahim Edhem sah, daß am Fuße ein blinder Sperling saß.
Als dieser das Summen der Biene vernahm, öffnete er seinen Schnabel,
und die Biene brach das Brot, das sie vom Tische genommen hatte, in
drei Teile und steckte eins nach dem andern dem blinden Sperling in den
Schnabel. Dann flog die Biene wieder davon.

Als Ibrahim Edhem dies wunderbare Wirken Gottes sah, da entsagte er
ganz der Welt und wandte sich Gott zu.

Sollte daher, mein Gatte, — fuhr die Frau fort — Gott, der Allernährer,
der einem blinden Sperling in der Wüste seine Nahrung sendet, dir nicht
auch deinen Unterhalt geben? Warum gibst du dich also so bösen Gedanken
hin?“

Der Seidenspinner antwortete: „Was du sagst, Frau, das ist Ergebung in
den Willen Gottes. Das ist auch etwas Gutes, aber eigenes Bemühen ist
etwas anderes und das begreifst du nicht. Man sagt: ‚Der angebundene
Löwe erjagt kein Wild‘ und ‚das Pferd, das nicht läuft, kommt nicht zum
Ziel und gewinnt nicht den Wettpreis.‘ Ich für mein Teil bin
entschlossen, in ein anderes Land zu gehen.“ Mit diesen Worten
verabschiedete er sich von seiner Frau und machte sich auf den Weg.

So kam er nach der Stadt Nischapur. Als er einige Zeit seinem Gewerbe
nachgegangen war, erwarb er nach Wunsch Geld und sagte zu sich: „Wenn
ich von heute ab noch vierzig bis fünfzig Jahre lebe, so kann ich
bequem in meiner Heimat, ohne zu arbeiten, glücklich damit auskommen.“
Er brach von Nischapur auf, um nach dem Irak aufzubrechen. Unterwegs
mußte er an einem gefährlichen Orte zu Nacht bleiben. Der Schlaf
überwältigte ihn. Im Schlaf sah er zwei schön gestaltete Vögel sich auf
die Erde niederlassen, und der eine fragte den andern: „Wer bist du?“
Die beiden schienen sich nicht zu kennen. Da sagte der eine Vogel: „Ich
bin das Abbild des Fleißes und Eifers dieses Seidenspinners.“ Der
andere sagte: „Ich bin das Abbild seines Glückes. In seinem
Schicksalsbuch steht geschrieben, daß er nie weltliche Schätze, die er
aufsparen und vergraben könnte, haben wird. Denn Gott, der Allmächtige
und Allweise, ist seinen Dienern gegenüber barmherziger als Vater und
Mutter. Da sein ewiges Wissen alles umfaßt, was eines jeden
Charakteranlage passend ist, so schenkt er seinen Knechten allerlei
Gnadengaben, wie sie ihm heilsam sind. Wessen Charakter rein und bei
wem der Spiegel seines Herzens von Aufrichtigkeit glänzt, wessen
Frömmigkeit, je mehr sein Reichtum wächst, um so mehr an Milde und
Würde zunimmt, dem setzt Gott die Königskrone auf und bekleidet ihn mit
dem Königsmantel, von wem er aber weiß, daß sein Charakter zur Zeit des
Reichtums zum Übermut neigen würde, dem gibt er sein tägliches Brot
ratenweise, damit die Armut ihm heilsam sei und er vor Übermut bewahrt
bleibe. Also du, Seidenspinner, willst du mit deinem Gelde gehen und
dich deinem Schicksal entgegenstellen?“ Mit den Worten des Korans: „Es
gibt niemand, der Gottes Beschluß rückgängig machen oder seine
Entscheidung umstoßen könnte“, ergriff er seinen Geldbeutel und rief
den Ibn almirrich herbei. Sofort erschien jemand, der wie der Mars
(Mirrich) und wie ein Henker aussah. Diesem lud er das Geld auf, und
die drei verschwanden aus den Augen des Seidenspinners.

Als er aus diesem schrecklichen Traume aufwachte, sah er mit eigenen
Augen, daß die Geschichte Wirklichkeit war, und daß sein Geld mit dem
Beutel verschwunden war. Der arme Seidenspinner war hierüber entsetzt,
suchte überall, fand aber keine Spur von seinem Gelde. Aus Scham vor
seiner Frau und den anderen Leuten konnte er nicht nach der Stadt im
Irak gehen und wandte sich wieder nach Nischapur und widmete sich
seinem Gewerbe. Nach kurzer Zeit hatte er mehr Geld als das erste Mal
verdient und wollte nun ins Irak, in seine Heimat, zurückreisen. Wieder
mußte er übernachten. Während er schlief, hatte er denselben Traum. Das
Abbild des Glücks sprach zu dem des Fleißes: „Du Tor, quäle dich doch
nicht nutzlos, mehr zu erwerben, als der Herr der Welten in seiner
ewigen Weisheit bestimmt hat. Das hatte ich dir schon vorher gesagt.
Warum begehst du die Torheit und Sünde, Gott zuwider zu handeln?“ Da
entschuldigte ihn das Abbild des Fleißes und sagte: „Verzeihe, wir
haben die Gewohnheit, daß wir jeden, der arbeitet und unser Gewand
flehend anfaßt, in seinen Bestrebungen nicht schädigen und auf jeden
Fall sein Ziel erreichen lassen. Wenn er dann deine Hilfe hat, so hat
er Erfolg, wenn nicht, so nützt unser Eifer nichts. Jedes Verlangen
hängt von dir ab. Wer dein Wohlwollen hat, braucht sich nicht zu
bemühen. Mag er auch ein noch so großer Verschwender sein, sein
Vermögen vermindert sich nicht.“

Als der Seidenspinner aufwachte und von seinem Gelde nichts vorfand,
wußte er, daß sein Traum Wirklichkeit war. Da sagte er sich, daß es
Sünde sei, auf dem Wege der Widersetzlichkeit weiter zu wandeln, und
daß er mit dem, was ihm von Ewigkeit her bestimmt war, zufrieden sein
müsse. Er ging also in seine Vaterstadt und erzählte das, was ihm
passiert war, seiner Frau. Diese sagte: „Wie oft hatte ich dich
gewarnt, aber du wolltest nicht hören. Dir ist das gleiche passiert,
wie dem Schakal in der Geschichte.“

Der Seidenspinner fragte: „Was ist das für eine Geschichte?“ Die Frau
erzählte:

„In alter Zeit hatte jemand ein Kamel, das so räudig geworden war, daß
infolge seiner Fieberhitze das rote Fleisch zum Vorschein gekommen war.
Da kein Mittel helfen wollte, so trieb der Besitzer das Kamel in die
Wüste. Als es nun allein in der Wüste ging, lag ein Schakal im
Hinterhalt vor einem Mauseloch und wartete auf Mäuse. Als er es sah,
gab er die Mäuse auf und folgte dem Kamel, denn er dachte, daß es seine
Beute werden würde. Seine Genossin, das Schakalweibchen, warnte ihn und
sagte: ‚Gib aus Habgier nicht die Beute, die du in der Hand hast, auf!
Begnüge dich mit wenigem! Es ist sehr wahrscheinlich, daß du, während
du Größeres suchst, auch das Kleinere nicht erlangst und dann
enttäuscht dastehst.‘

Der Schakal antwortete: ‚Sich mit Geringem zu begnügen, ist nur etwas
für gewöhnliche Leute, aber ich habe ein hohes Streben. Eine so große
Beute aufzugeben und Mäuse zu fangen, kommt mir nicht in den Sinn, und
ich begnüge mich nicht mit so niedriger Beute.‘

Er folgte dem Kamel zwei bis drei Tage, erreichte aber nicht seinen
Wunsch und hatte die nahe Beute auch aus der Hand gelassen, so daß er
mit leerer Hand und hungrigem Magen zu seinem Weibchen zurückkehrte.
Diese sagte zu ihm: ‚Mit deiner täglichen Nahrung warst du nicht
zufrieden, deswegen hast du nun Elend und Mühe ausstehen müssen.‘“

Der Seidenspinner bereute nun seine Habgier und war mit dem zufrieden,
was ihm von Ewigkeit her bestimmt war.



32. DER BEDUINE UND DER KALIF MAMUN


Eines Tages kam ein Beduine zum Kalifen Mamun und sagte: „Beherrscher
der Gläubigen, ich möchte die Pilgerfahrt nach Mekka machen, habe aber
kein Geld.“ Mamun antwortete: „Da du kein Geld hast, bist du auch nicht
verpflichtet, die Pilgerfahrt zu machen. Warum willst du dich unnütz
quälen?“ Der Beduine sagte: „Beherrscher der Gläubigen, ich wollte dir
meine Armut klagen. Wenn ich sagte: ‚Ich muß die Pilgerfahrt machen,
habe aber kein Geld‘, so hoffte ich auf ein Geschenk von dir. Du
erklärst mir aber theologische Streitfragen, indem du von der
Notwendigkeit der Pilgerfahrt sprichst.“ Der Kalif Mamun freute sich
über den Witz des Beduinen und gab ihm reiche Geschenke.



33. DER LUCHS UND DER LÖWE


Vor alten Zeiten lebte in einer Prärie ein Löwe, der einen Affen als
Haushofmeister hatte. Einst mußte der Löwe weggehen, und er übertrug
die Bewachung des Ortes dem Affen. Aber dieser war dazu nicht in der
Lage, denn bisweilen betraten Fremde den Ort. Einst kam der Luchs
dorthin und sah, daß es ein angenehmer Platz und eine entzückende
Stelle war. So beschloß er sich dort niederzulassen.

Als der Affe den Luchs dort sah, sagte er: „Luchs, was für eine
Unverschämtheit begehst du, und warum streckst du dich in Überhebung
nicht nach der Decke? Nach dem Worte: ‚Gott erbarmt sich über den, der
bescheiden ist und nicht hoch hinauswill‘, geziemt es sich für jeden,
daß er sich richtig einschätzt und nicht seine Grenze überschreitet.
Dieser Platz gehört dem Löwen, dem Könige der Tiere. Seiner Macht und
Kraft kann niemand entgegentreten. Wie kannst du in deiner Dummheit
dies wagen? Fürchtest du dich nicht vor der Gewalt seiner Tatzen?“ Der
Luchs antwortete: „Du bist das dümmste Wesen der Welt, daß du so
grundlos unnütze Reden führst. Wie hat der Löwe diesen Platz erworben,
und welches Anrecht hat er darauf? Seit alten Zeiten habe ich ihn von
meinem Vater geerbt. Mögen Löwen, ja sogar Tiger kommen, ich will mit
ihnen kämpfen. Wofür hältst du mich? Glaubst du, daß ich mich vor einem
Löwen fürchte? Denkst du, ich sei nur ein Luchs? Wenn man jenen den
Löwen nennt, so nennt man mich den Löwenbezwinger. In meiner Küche wird
nur Löwen- und Tigerfleisch gekocht. Was ist das für ein Hund, den du
Löwe nennst? Er mag nur kommen. Ich werde ihn schon in seine Schranken
weisen und ihn lehren, anderer ererbten Besitz sich anzueignen.“

Der Affe war von den mutigen Worten überwältigt, wandte sich und ging
weg, aber das Weibchen des Luchses sagte: „Wir können nun doch nicht
länger hier bleiben. Wir müssen uns vor den Tatzen des Löwen in acht
nehmen, und es ist verständig, sich möglichst bald davon zu machen.“
Der Luchs antwortete: „Fürchte dich nicht! Vielleicht ist dies gar
nicht der Platz des Löwen, und selbst, wenn es der Fall sein sollte,
könnte es durch Gottes Güte doch möglich sein, daß ihm dort, wohin er
gegangen ist, ein Unfall zugestoßen sei und er nicht zurückkäme, und
wenn er kommt, so ist es immer noch möglich, durch eine List sich vor
ihm zu retten. Wollen den heutigen Tag als Gewinn ansehen und ihn
fröhlich genießen. Für morgen wird Gott schon sorgen.“ Die Luchsin
sagte: „Ich zweifle nicht, daß dieser Platz dem Löwen gehört, und es
ist sehr wahrscheinlich, daß er keinen Unfall erleidet und hier
erscheint, außerdem wird man ihm erzählen, wie frech du von ihm
gesprochen hast. Und wenn du sagst, du würdest bei seiner Ankunft eine
List anwenden, so ist List auch nicht immer angebracht. Bisweilen
stürzte der Listige in sein Verderben, wie der Wolf, der den Schakal
überlisten wollte, durch seine List selber umkam.“ Der Luchs fragte:
„Was ist das für eine Geschichte?“ Die Luchsin antwortete: „Ich habe
gehört, daß einst ein Wolf die Höhle eines Schakals leer fand. Er ging
hinein, um den Schakal, wenn er komme, zu fangen. Als der Schakal kam,
sah er am Eingang der Höhle außer seinen noch fremde Fußspuren.
Vorsichtig ging er nicht hinein, sondern beschloß, bevor er sie
betrete, vorsichtig zu verfahren. Er rief daher vor der Tür: ‚Mein
Haus, mein liebes Nest!‘ Als aus dem Hause keine Antwort kam, sagte er:
‚Liebes Haus, sonst hat doch immer ein Gespräch zwischen uns
stattgefunden. Jedesmal wenn ich zu deiner Tür kam, rief ich, und du
antwortetest. Jetzt habe ich gerufen, du hast aber nicht geantwortet.
Es wäre schön, wenn du antwortetest, sonst müßte ich dich verlassen und
mir eine andere Wohnung suchen.‘

Der Wolf im Innern der Höhle sagte zu sich: ‚Weiß Gott, es muß zu den
Eigentümlichkeiten dieser Höhle gehören, zu antworten, wenn der
Besitzer kommt. Wenn ich jetzt nicht antworte, so geht der Schakal weg,
und all mein Bemühen war umsonst. Es ist also das Klügste, zu
antworten.‘ Er antwortete also: ‚Zu Befehl.‘ Als der Schakal die Stimme
des Wolfes hörte und wußte, wie die Sache stand, ging er zu einem
Hirten, der in der Nähe war, und erzählte ihm, daß der Wolf in der
Höhle sei. Der Hirt hatte schon oft von Gott eine solche Gelegenheit
erfleht, denn der Wolf hatte ihm schon oft ein Schaf von seiner Herde
geraubt. Er ging also sofort zu jener Höhle, legte vor ihre Öffnung
einen großen Stein. Der arme Wolf starb drinnen vor Hunger und Durst,
und die List, die er gegen den Schakal geplant hatte, traf ihn selber.“

Als der Luchs diese Geschichte hörte, antwortete er der Luchsin:

„Wie kannst du mich mit dem Wolf vergleichen? Der Wolf, wie du ihn
nennst, ist ein dummer Hund. Wenn er Verstand gehabt hätte, würde er
nicht aus dem Hause geantwortet haben. Der Kluge darf natürlich in
seiner List keine Fehler machen. Aber das verstehst du nicht.“

Während der Luchs sich mit der Luchsin stritt, entstand plötzlich ein
Lärm. Der Löwe war nämlich gekommen. Die Tiere standen auf und
begrüßten ihn. Sein Hausmeister, der Affe, aber eilte allen voraus und
erzählte, daß der Luchs gekommen sei und sich so unverschämt benommen
habe. Da sagte der Löwe: „Affe, so viel Mut und Energie, wie du da
erzählst, hat der Luchs gar nicht. Das ist gar kein Luchs, sondern ein
wildes Tier, das mich an Kraft und Mut übertrifft, sonst hätte es dies
nicht gewagt, deswegen muß ich vorsichtig sein.“

Als er dann nicht weiter vorging, sagt der Affe zu ihm: „König der
Tiere, gibt es auf der Erde ein Wesen, das tapferer, mutiger und
heldenhafter als du wäre? Warum tust du so? Ich habe ihn hundertmal
gesehen und weiß ganz sicher, daß es ein Luchs ist. Darum laß dich,
bitte, nicht von der Furcht überwältigen!“ Der Löwe antwortete: „Affe,
ein Luchs hat nicht so viel Mut. Seine Art hat tausendfach meine
gewaltige Faust kennen gelernt, aber nach dem Worte des Korans: ‚Über
jeden Wissenden gibt es einen Allwisser‘, ist es nicht
unwahrscheinlich, daß dies Tier zwar an Wuchs klein, aber an Mut mir
überlegen ist. Es heißt ja auch: ‚Selbst den Löwen besiegt und schlägt
er‘, und ein Sprichwort sagt: ‚Es ist besser, sich zur Flucht bereit zu
halten als im Unglück zu bleiben.‘ Anstatt mit ihm zu kämpfen und, wenn
ich keinen Erfolg habe, meine Ehre zu schädigen, ist es verständiger,
sofort zu fliehen, ohne von ihm gesehen zu werden.“

Als der Löwe und der Affe so miteinander sprachen, näherten sie sich
der Wohnung, immer sich nach rechts und links umschauend und auf die
Flucht bedacht. Währenddessen sagte die Luchsin: „Was ich befürchtete,
ist geschehen. Was willst du nun tun?“ Der Luchs antwortete: „Wenn der
Löwe herankommt, dann bringe unsere Jungen zum Weinen und Jammern. Wenn
ich dann dich frage: ‚Warum läßt du unsere Kinder schreien?‘, dann
antworte: ‚Unsere Kinder sind gewohnt, Löwenfleisch zu essen. Zwar
fehlt es durch deine, des Löwenbezwingers, Bemühungen in unserer Küche
nicht an Tigerfleisch, aber da das Löwenfleisch zarter ist, so
verlangen unsere Kinder dieses.‘“

Als der Löwe sich ihnen näherte, brachte die Luchsin tatsächlich die
Jungen zum Weinen, und als der Luchs mit lauter Stimme rief: „Warum
läßt du die Jungen weinen?“, da antwortete sie, wie sie gelehrt war.
Der Luchs rief: „In unserer Küche liegt Tigerfleisch bergehoch, aber
wenn sie an Löwenfleisch gewohnt sind und Tigerfleisch nicht mögen, wo
ist das Löwenfleisch geblieben, das ich neulich gebracht habe?“ Da
antwortete die Luchsin: „Es ist zwar Löwenfleisch da, aber da unsere
Kinder an frisches Löwenfleisch gewöhnt sind, so wollen sie das alte
nicht essen und verlangen frischen Löwenbraten.“ Der Luchs rief: „Für
den Augenblick sollen sie sich mit altem begnügen. Der Löwe, der in
diesem Walde lebte, muß bald hierher kommen, denn, seitdem er gegangen
ist, ist schon reichlich Zeit verflossen, er wird wahrscheinlich bald
kommen. Wenn er mit Gottes Güte heute oder morgen kommt, werde ich
ihnen von seinem Fleisch einen Braten machen.“

Als der Löwe diese Worte mit eigenen Ohren hörte, sagte er zum Affen:
„Hast du es nun gehört? Sagte ich dir nicht, dies ist ein mächtiger
Feind? Ein Luchs wagt so etwas nicht. Das Beste ist es nun, diesen Ort
zu verlassen.“ Als er fliehen wollte, sagte der Affe: „König der Tiere,
lasse dich durch Furcht doch nicht so verwirren! Jenes Tier ist ein
schwaches, verächtliches Geschöpf. Wenn du nun einmal in diesem Wahn
lebst, so lasse dich doch, bitte, in den Kampf ein, und du wirst den
wirklichen Sachverhalt erfahren.“ Mit derartigen vielen Worten brachte
er den Löwen wieder zur Umkehr und führte ihn wieder zum Luchs. Als
dieser den Löwen sah, da wußte er, daß der Affe ihn durch sein Drängen
zur Umkehr bewogen habe. Er ließ also wieder seine Jungen weinen, und,
als auf seine Frage die Luchsin wie das erste Mal antwortete, sagte er:
„Habe ich dir nicht gesagt, du solltest die Jungen für den Augenblick,
soweit möglich, beruhigen? Wie ich höre, ist der Löwe, der auf dieses
Haus Anspruch erhebt, soeben gekommen, und mein Freund, der Affe, ist
auch da. Er hatte es übernommen, den Löwen, sobald er gekommen sei,
durch List zu mir zu führen. Wenn Gott der Höchste den Plan des Affen,
meines Freundes, zur Ausführung kommen läßt, werde ich dem Löwen,
sobald er herangekommen ist, mit einen Angriff den Garaus machen. Dann
werden wir selbst und die Jungen zu leben haben, und ich werde mich dem
Affen für seine Bemühung dankbar erweisen und ihn in meine nächste
Umgebung aufnehmen.“

Als der Löwe diese Worte des Luchses hörte, sagte er: „Du
nichtsnutziger Affe, du wolltest mich mit List umbringen! Bevor du mich
tötest, will ich dich töten.“ Mit diesen Worten zerriß er den Affen,
und entfloh selbst mit aller Kraft von jenem Orte. Der Luchs aber, der
durch seine List gerettet war, verbrachte den Rest seines Lebens dort
mit Vergnügen.



34. DIE FRAU UND DER TIGER


Vor alten Zeiten hatte ein nichtsnutziger Mann eine verständige Frau,
die Pelenkferib hieß. Da dieser Mann infolge seiner nichtsnutzigen
Charakteranlage die Frau immer quälte und schlug, so konnte seine Frau,
nachdem er sie einmal wieder geschlagen hatte, es nicht mehr länger
aushalten und verließ in einer Nacht mit ihren zwei Kindern das Haus
und kam in eine Wüste, die so schrecklich war, daß selbst Riesen und
Wüstengespenster sich dort fürchteten. Plötzlich erschien vor ihr ein
Tiger, der sie mit ihren Kindern zu verschlucken beabsichtigte. Die
Frau sagte zu sich: „Wenn man ohne Erlaubnis seines Mannes wegläuft, da
ist es nicht wunderbar, wenn einem derartiges passiert.“ Sie gelobte
Gott mit aufrichtigem Herzen Buße und bat um Verzeihung und versprach
nach diesem, die Gewalttätigkeiten ihres Mannes zu ertragen und ihm
willfährig zu sein.

Als der Tiger nun nahe herangekommen war, hatte sie eine göttliche
Eingebung. Sie sagte zu sich: „Ich will jetzt eine List dem Tiger
gegenüber anwenden. Wenn sie gelingt, ist es gut, und ich werde
gerettet, wenn nicht, was macht es? Ich habe wenigstens nichts
unversucht gelassen, um ihn fernzuhalten. Wenn ich jetzt schleunigst
fliehen würde, so würde er mich doch einholen. Das würde mir nicht
helfen. Es ist das Klügste, ihn zu überlisten. Ein anderes Mittel gibt
es nicht.“

Sie rief also mit lauter Stimme: „Bleib stehen, Tiger, beeile dich
nicht! Ich habe dir etwas zu sagen. Höre zu! Ich bin ja in deiner Hand,
dann kannst du mit mir machen, was du willst.“ Der Tiger wunderte sich
über diese Anrede, blieb stehen und fragte: „Was willst du mir sagen?“
Die Frau antwortete: „Ich bin aus dem Dorfe hier in der Nähe. Dieses
Dorf beherrscht ein Löwe, der mit einem Sprunge die ganze Welt über den
Haufen werfen könnte. Damit er nun nicht das ganze Dorf vernichte,
haben die Bewohner aus Furcht vor ihm sich einmütig entschlossen, jeden
Tag dreimal das Los zu werfen und, wen es trifft, in die Küche des
Löwen zu schicken. Jetzt hat das Los meine beiden Söhne und mich
getroffen. Nun bist du auch in der Hoffnung, daß ich dir als Nahrung
diene, gekommen. Ich möchte dich nun nicht enttäuscht gehen lassen, das
leidet meine Großmut nicht, aber es geht auch nicht an, den Löwen in
seiner Nahrung zu schädigen. So ist es also billig, daß du einen von
meinen Söhnen und die Hälfte von mir verzehrst und die andere Hälfte
von mir und mein anderer Sohn für den Löwen verbleibt, damit weder du
noch der Löwe leer ausgehen.“

Als der Tiger diese Worte hörte, fürchtete er sich vor dem Löwen und
sagte voll Bewunderung über die Großmut der Frau: „Pelenkferib, eine
solche Großmut habe ich bis jetzt noch bei keinem Geschöpf gesehen. Du
opferst dich für den Unterhalt deines Feindes. Ist wohl bis jetzt
deines Gleichen auf der Erde gewesen?“ Die Frau antwortete: „Großmut
besteht darin, Leib und Leben dahinzugeben, allein mit Geld ist es
nicht getan. Es gibt viele hunderttausend Menschen in dieser Welt, die
dem Feinde Wohltaten erwiesen haben. Da fällt mir eine passende
Geschichte ein. Wenn du willst, werde ich sie dir erzählen.“ Der Tiger
war sehr begierig sie zu hören und sagte: „Erzähle, was ist das für
eine Geschichte?“ Pelenkferib erzählte:

„In den alten Geschichtsbüchern wird erwähnt: Als der Beste der Kalifen
der Ommajaden, der kluge und verständige Omar ben Abdulaziz, regierte,
da vergiftete diesen Gerechten einer seiner Diener, ein unglücklicher,
verfluchter Bösewicht. Als seines Körpers Pflanze durch die Einwirkung
des Giftes grün wie ein Garten wurde und die Angelegenheit allgemein
bekannt wurde, da ließ der Kalife diesen Diener, der ihm das Gift
gegeben, zu sich allein rufen und sagte: ‚Unglücklicher, sage mir die
Wahrheit, ob dies Verbrechen allein von dir ausgeht.‘ Der Bösewicht
sagte notgedrungen die Wahrheit, daß ihm einer von den Feinden des
Kalifen viel Geld versprochen habe, und deswegen habe er die
scheußliche Tat getan.

Der Kalife sagte: ‚Du Tor, ich werde mich von dieser Krankheit nicht
erholen, sonst würde ich dir viel Gutes schenken. Aber nach meinem Tode
wird mein Sohn, der Erbe meines Thrones, sicherlich deine Hinrichtung
befehlen. Darum fliehe schleunigst, solange ich noch lebe, aus diesem
Lande, daß du dich vielleicht rettest.‘ Er gab ihm unzählige Goldstücke
und schickte ihn weg.“

Als die Frau mit der Geschichte fertig war, wandte sie sich an den
Tiger und sagte: „Ich muß ja sterben, und da ist es mir einerlei, ob
ich vom Löwen oder vom Tiger aufgefressen werde. Ich würde mich freuen,
wenn ich dir zufiele, da wir nun schon so lange miteinander erzählt
haben, und in Wirklichkeit habe ich auch in meinem Herzen eine Liebe zu
dir. Deswegen will ich dir einen Rat geben. Wenn du den einen meiner
Söhne und die Hälfte von mir verzehrt hast, halte dich hier nicht auf,
sondern entfliehe schnell, denn ich habe eine Zauberin zur Schwester.
Diese weiß noch nicht, daß ich durch das Los dem Löwen zugefallen bin.
Wenn sie es erfahren wird, kommt sie hierher und steckt die ganze
Gegend in Brand, und wer sich ihr nähert, verbrennt zu Asche. Wenn sie
zufälligerweise auch von dir hört, möchte sie auch dir ein Leid antun.“

Als der Tiger diese Worte hörte, fürchtete er sich sowohl vor dem Löwen
wie auch vor der Zauberin. Da er außerdem Pelenkferibs Edelsinn
bewunderte und Mitleid mit ihr hatte, so verließ er sie, ohne ihr etwas
anzutun, und machte sich auf den Weg.

Unterwegs traf er einen Fuchs, mit dem er befreundet war. Als dieser
den Tiger aufgeregt aussehend fand, fragte er ihn nach dem Grunde. Der
Tiger erzählte ihm das Abenteuer, das ihm passiert war. Der Fuchs
tadelte ihn und sagte: „Die Weisen haben Recht, wenn sie sagen, alle
Tapferen sind dumm, denn auch du bist zwar tapfer, aber unverständig.
Was nützt dir also dein Mut? Du Dummkopf, die Menschen sind vom Kopf
bis zum Fuß nur List und Trug. Sie meinen, daß wir Füchse uns besonders
auf die List verstehen, aber die Menschen sind uns überlegen. An
Stellen, wo wir es nicht erwarten, stellen sie Fallen und fangen uns
und tragen nachher unsern Pelz. Auch diese Frau hat einen so Mutigen
wie dich betrogen. Kein Verständiger hätte eine so fette Beute aus der
Hand gelassen. Laß von dieser Dummheit, führe mich an die Stelle.
Vielleicht komme ich unter deinem Schütze auch zu einem Braten.“

Der Tiger antwortete: „Wenn die Frau nun die Wahrheit gesagt hat, und
ihre Schwester, die Zauberin, kommt und uns durch ihre Zauberei
verbrennen will, dann kannst du dich schnell in Sicherheit bringen, da
du leichtfüßig bist. Ich aber, der ich von schwerfälligem Körperbau
bin, kann nicht entfliehen. Außerdem habe ich mit der Frau einen
Vertrag abgeschlossen, und sein Wort muß man halten. Darum wollen wir
nun die Sache ruhen lassen.“ Der Fuchs aber blieb hartnäckig und sagte:
„Tiger, die Frau hat gelogen. Wenn sie aber wirklich die Wahrheit
sollte gesagt haben, so reiße mich zuerst in Stücke, und, wenn du
meinst, daß ich schnell entfliehen und mich in Sicherheit bringen kann,
so binde ein Bein von mir an das deinige, und so wollen wir gehen.“

Der Tiger band also ein Bein des Fuchses an sein Bein, und so zogen sie
zu der Stelle, wo die Frau war. Diese hatte, als der Tiger sie
verlassen hatte, zu sich gesagt: „Wenn ich jetzt schleunigst fliehe und
der Tiger das, was er getan, bereut und zurückkommt und mich verfolgt,
dann würde ich mich, auch wenn ich tausend Leben hätte, nicht vor ihm
retten können. Darum ist es das Klügste, sich nicht zu beeilen, sondern
hier zu bleiben. Wenn er kommt, will ich, um ihn zu täuschen, alles
Schilf hier anzünden.“ Sie zündete alles Schilf in der Gegend an und
stieg auf einen Baum. Da sah sie auch, daß der Tiger kam mit dem Fuchs,
den er an sein Bein gebunden hatte, als Weggenossen. Sie erriet, daß
dieser den Tiger aufgereizt habe. Sie rief daher unter Wehklagen vom
Baume: „Du unverständiger Tiger, infolge unserer langen Unterhaltung
hatte ich Mitleid mit dir. Warum hast du meinen Rat nicht befolgt und
dich in dieses Feuermeer gestürzt? Ich hatte dir doch vorher gesagt,
daß meine Schwester kommen und die Welt in Brand setzen werde. Durch
Zauberei hat sie sich in einen Fuchs verwandelt und geht neben dir,
während du glaubst, daß er dein Freund sei. Sie wird dich nun
vernichten. Komm nicht näher, sondern bringe dich schleunigst in
Sicherheit.“

Es fehlte wenig, daß dem Tiger das Herz vor Angst im Leibe zersprang.
Um sich möglichst schnell zu retten, lief er so schnell, daß er eine
Tagesreise in einer Stunde zurücklegte, und während er lief, wurde der
an sein Bein gebundene Fuchs mitgeschleift und in Stücke gerissen, so
daß er umkam.



35. DER ESEL IN DER LÖWENHAUT


In alten Zeiten lebte ein Kaufmann, der sehr reich war. Nach Gottes
Ratschluß ging aber sein Reichtum von Tag zu Tag zurück, so daß ihm das
Notwendigste fehlte. Nur einen Esel besaß er noch, der vor Hunger so
schwach und elend geworden war, daß er sich nicht mehr bewegen konnte.
Da sagte er aus Mitleid mit seinem Esel zu sich: „Anstatt ihn
verhungern zu lassen, will ich ihn ins freie Feld lassen zum Grasen.
Vielleicht hilft das ihm.“ Aber aus Furcht, daß die wilden Tiere wegen
seiner Schwäche ihm leicht ein Leid zufügen konnten, legte er ihm ein
Löwenfell auf den Rücken und ließ ihn so frei laufen.

Die wilden Tiere hielten den Esel für einen Löwen und flohen vor ihm.
Nach einiger Zeit war der Esel ganz fett geworden. Als er einmal wieder
herumstreifte, traf er einen Garten, in den er hineinging. Als die
Gärtner den Esel sahen, hielten sie ihn für einen Löwen und kletterten
auf einen Baum, während der Esel rechts und links alles fraß, was er im
Garten fand. Währenddessen gingen draußen vor dem Garten einige Esel
vorüber und schrieen; als der Esel im Löwenkleid die Stimmen seiner
Genossen hörte, ließ er sein widerwärtiges Geschrei erschallen.

Als die Gärtner seine Stimme hörten, sahen sie, daß es ein Esel war und
erkannten, daß ein Mensch in seiner List so gehandelt habe. Sie stiegen
sofort von dem Baume, nahmen dem Esel das Löwenfell ab, verprügelten
ihn ordentlich, legten ihm einen Tragsattel auf und beluden ihn.



36. DER KAISER VON CHINA UND DIE GRIECHISCHE PRINZESSIN


Einst herrschte über China ein mächtiger Kaiser, mit Namen Fagfur. Er
hatte einen sehr klugen und weisen Vezir, der zu jeder Zeit und ohne
besondere Erlaubnis das Gemach des Kaisers betreten durfte. Eines Tages
betrat der Vezir nach alter Gewohnheit das Zimmer, wo der Thron stand,
und traf den Kaiser Fagfur auf seinem Throne schlafend. Durch das
Eintreten seines Vezirs wachte er auf, ergriff sein Schwert und stürzte
auf den Vezir. Als er im Begriff war ihn zu töten, warfen sich die
Hofleute dem Kaiser zu Füßen und befreiten den Vezir mit genauer Not.

Als sich nach einiger Zeit der Zorn des Kaisers gelegt hatte, befragte
man ihn nach dem Grunde des Zornes. Da antwortete er: „Im Traume sah
ich ein hübsches Mädchen, wie ich noch keins in der Welt gesehen; doch
nicht nur ich, sondern auch das Firmament hat nie etwas derartiges
gesehen. Als ich vor Wonne in ihren Anblick versunken war, kam der
Vezir und weckte mich auf. Noch jetzt schwebt mir ihr Bild vor Augen,
und mein Herz denkt noch an sie.“

Der Vezir, der so klug und weise wie Aristoteles war, konnte mit einem
klugen Gedanken tausend Schwierigkeiten lösen. Gleichzeitig war er ein
so großer Meister in der Malerei, daß Mani und Behzad seine Schüler
hätten sein können, und daß von ihm gemalte lebende Wesen wirklich
lebten. Dieser Vezir bemühte sich nun, dem Kaiser in seiner Liebe zu
helfen. Er fragte also den Kaiser nach seinem Traume aus und malte nach
der Beschreibung und Darstellung des Kaisers ein Bild von dem Hause,
das er im Traume gesehen, und von der Schönheit und Lieblichkeit und
von der Gestalt des Mädchens. Dann erbaute er außerhalb der Stadt an
einer Stelle, wo die Wege sich kreuzten, eine Herberge und fragte alle
Ankommenden nach dem Orte und dem Mädchen, die das Bild darstellte.

Eines Tages kam ein Weltreisender. Als er das Bild sah, verfiel er in
Nachdenken und Staunen. Der Vezir fragte ihn nach der Ursache seines
Staunens. Der Reisende sagte: „Ich wundere mich darüber, daß dieses
Bild der Tochter des Kaisers von Rum gleicht.“ Als der Vezir dies vom
Reisenden erfuhr, wurde er froh und erkundigte sich nach diesem
Mädchen. Der Reisende sagte: „Dies ist das Bild der Prinzessin von Rum.
Obgleich sie sehr schön ist, will sie doch nicht heiraten. Der Grund
dafür ist der, daß, als sie eines Tages in einem Garten saß, in einem
Gebüsch ein Pfauenpaar Junge ausbrütete. Zufälligerweise entstand ein
Brand in dem Gebüsch. Als der männliche Pfau das Feuer sah, verließ er
das Weibchen und die Jungen. Das Weibchen blieb aus Liebe zu seinen
Jungen und verbrannte mit ihnen zu Asche. Als die Prinzessin die
Treulosigkeit des Pfauenmännchens und die Liebe des Weibchens sah,
gewann sie den Glauben, daß Treulosigkeit die Eigenschaft der Männer
sei, und daß alle Treulosigkeit in der Welt von ihnen ausgehe.
Infolgedessen darf in ihrer Gegenwart das Wort Mann nicht erwähnt
werden. Noch viel weniger denkt sie daran sich zu verheiraten.“

Als der Vezir dies von dem Reisenden erfuhr, freute er sich, ging zu
dem Kaiser Fagfur und erzählte ihm, was er gehört hatte, indem er sich
verpflichtete, sie ebenso verliebt in den Kaiser zu machen, wie dieser
sich in sie verliebt hatte.

Er bat um die Erlaubnis, nach Rum zu gehen, verkleidete sich
gleichfalls als Reisender und machte sich mit dem genannten Reisenden
zusammen auf den Weg. So kamen sie nach Rum, nach Konstantinopel. Der
Reisende zeigte dem Vezir den kaiserlichen Garten. Der Vezir zog das
Bild aus dem Busen und sah, daß es genau der paradiesische Ort war, den
Fagfur im Traume gesehen hatte. Nun wußte er sicher, daß das Mädchen,
in das sich der Kaiser verliebt hatte, die Prinzessin von Rum sei. Sie
überlegten, was nun zu tun sei.

Der Vezir ließ sich in einer Karawanserei nieder und fing an, Bilder zu
malen. Da diese von größter Feinheit waren, so wurde er bald so
bekannt, daß man der Prinzessin und ihrem Vater, dem Kaiser,
berichtete, daß ein großer Meister aus China gekommen sei. Die
Prinzessin, die Neigung zu heiterer Lebensfreude und Kunstgenuß hatte,
bat ihren Vater, den Kaiser von Rum, um die Erlaubnis, den Maler kommen
und ihr Wohngemach ausmalen zu lassen. Dieser erlaubte es, und der
Reisende rief den Vezir, dem die Ausmalung des Palastes der Prinzessin
übertragen wurde. Er war sehr sorgsam in der Ausführung seiner Aufgabe
und malte den paradiesischen Ort so aus, daß jeder erstaunt war. Als er
mit der Arbeit fertig war, malte er noch an die Wand des Zimmers, in
dem die Prinzessin am Tage saß und in der Nacht schlief, ein Gemälde
von seltener Feinheit. In der Mitte war ein wunderbarer großer Garten
mit lachenden Rosen, klagenden Nachtigallen, reifen Früchten und
stattlichen Bäumen. In diesem Garten stand ein schöner Pavillon, auf
dessen Throne malte er den Fagfur in seiner ganzen Schönheit und im
Glanze seiner Macht und Pracht. Außerhalb des Pavillons stellte er eine
Rasenflur dar, in deren Mitte ein prächtiger Garten war, bei dem man an
das Koranwort: „Ihnen sind Gärten bestimmt, unter welchen die Flüsse
fließen“ dachte. Das Wasser war so klar wie der Paradiesesbrunnen
Selsebil. In diesem Wasser war eine männliche Antilope mit ihren Jungen
ertrunken, während das Weibchen der Rasenflur gegenüber graste.

Nachdem er mit seiner Malerei fertig war und man das Schloß mit
Teppichen und Möbeln ausgestattet hatte, führte man die Prinzessin
hinein. Als sie das Bild sah, war sie erstaunt und sah es sich immer
wieder an, dann rief sie den Vezir und fragte ihn, was das alles zu
bedeuten habe. Dieser erkannte, daß jetzt die Gelegenheit für ihn
günstig sei, und daß er sie nicht aus der Hand lassen dürfe, und fing
an zu erzählen: „Dieser Garten ist der des jetzigen Kaisers von China,
und der, der auf dem Thron sitzt, ist er selbst. Da in diesem Garten
sich eine merkwürdige Sache ereignete, meidet er das weibliche
Geschlecht.“ Die Prinzessin fragte: „Was ist die Ursache davon?“ Der
Vezir sagte: „Eines Tages saß der Kaiser Fagfur nach alter Gewohnheit
in diesem Pavillon und genoß die Aussicht. Da kam ein Antilopenpaar, um
Wasser zu trinken. Da schwoll das Wasser plötzlich an und führte die
Jungen mit sich fort. Als das Männchen dies sah, warf es sich aus Liebe
zu seinen Jungen in das Wasser, um sie zu retten, und ertrank mit ihnen
zusammen. Das Weibchen aber kümmerte sich gar nicht darum, dachte nur
an seine eigene Rettung und ließ das Männchen und seine Jungen im
Stich. Als der Kaiser Fagfur die weibliche Antilope so treulos sah, da
glaubte er, daß das ganze weibliche Geschlecht so treulos sei, und mied
gänzlich den Umgang mit Frauen.“

Als die Prinzessin diese Geschichte hörte, sagte sie zu sich: „Bei
Gott, ich dachte, daß Treulosigkeit nur dem männlichen Geschlechte
eigen sei. Sie kommt also auch bei dem weiblichen vor.“ Dann versank
sie in Nachdenken und wandte sich dann mit folgenden Worten an den
Vezir: „Dieser Kaiser Fagfur, den du gemalt hast, paßt zu mir. Es ist,
als ob Gott mich seinetwegen bisher vor einer Heirat bewahrt hat. Solch
einen würdevollen Mann wünsche ich mir, und ich zweifle nicht, daß ich
ihm auch als Gattin angenehm bin.“

Als ihr Vater kam, bat sie ihn, sie mit dem Fagfur von China zu
verheiraten. Der Kaiser hatte nur auf den Wunsch seiner Tochter
gewartet, um sie zu verheiraten. Er schrieb sogleich einen Brief und
schickte einen Gesandten ab. Der Vezir ging als Reisender mit dem
Gesandten nach China zurück und erzählte dem Kaiser alles.

Als dann der Gesandte vorgelassen wurde, zeigte sich Fagfur äußerlich
etwas zurückhaltend, aber da es seinen Wünschen entsprach, sagte er:
„Ich hatte auf diese Liebe schon verzichtet, aber aus Rücksicht auf den
Kaiser willige ich ein.“ Er schickte sofort eine Antwort ab. Den Vezir
schätzte er noch mehr als früher und gab ihm Geld und Macht ohne Ende.
Nach einiger Zeit kam die Prinzessin mit ihrer ganzen Aussteuer
glücklich in China an, und der Kaiser von China erlangte alles, was er
sich gewünscht hatte.



37. DER HOLZHAUER, DER ZUR UNZEIT TANZTE


In Kerdifan ging ein Holzhauer einst ins Gebirge, um Holz zu fällen.
Als er auf dem Berge an einen schönen Platz gekommen war, sah er dort
fünf bis zehn Mann sitzen, und vor ihnen stand ein Krug, aus dem sie
Speisen und Wein, soviel sie wollten, nahmen und nach Herzenslust sich
satt aßen.

Als der Holzhauer dies sah, trat er zu ihnen und mischte sich ins
Gespräch. Da ihnen seine Gesellschaft sehr gefiel, sagte einer von
ihnen zu ihm: „Sage uns, wenn du irgendeinen Wunsch hast. Wir werden
ihn erfüllen.“ Sie waren nämlich Gelehrte aus dem Feengeschlecht. Der
Holzhauer wünschte sich den Krug. Sie antworteten: „Du kannst ihn
bekommen, aber es ist schwer, ihn zu behüten. Es wäre schade um dich,
denn, wenn er zerbrochen ist, läßt er sich nicht wieder machen, und du
hast nichts mehr von ihm zu erwarten und wirst auch alles verlieren,
was du durch ihn erworben hast. Wünsche ihn dir lieber nicht und
fordere etwas, das dir nützlicher ist.“

Der dumme Holzhauer hörte aber nicht auf ihren Rat, sondern sagte: „Ich
wünsche doch den Krug. Ich werde ihn schon, soweit es möglich,
beschützen und ihn wie meinen Kopf halten.“ So gaben sie ihm den Krug.

Der Holzhauer wurde in kurzer Zeit sehr reich. Eines Tages hatte er
seine Freunde zu einer Gesellschaft eingeladen. Als die Eingeladenen
diesen wunderbaren Zauberkrug sahen, waren sie sehr erstaunt. Der
Holzhauer stand im Übermaß seiner Freude auf, setzte den Krug sich auf
den Kopf und fing vor Freuden an zu tanzen, indem er sagte: „O du
Kapital meines Wohlstandes, du Glanz meines Lebens.“ Während des Tanzes
glitt er aus, fiel aufs Gesicht, der Krug fiel ihm vom Kopfe und
zerbrach in tausend Scherben. Sogleich schwand sein großer Reichtum und
Wohlstand dahin, und er wurde wieder so arm wie vorher. Alles, was er
bis zu diesem Tage an Geld gesammelt hatte, verschwand.



38. DIE CHINESISCHE SKLAVIN UND DER JÜNGLING VON BAGDAD


In Bagdad lebte ein Jüngling, der Kaufmann war und so viel Vermögen
besaß, daß selbst er es nicht genau kannte. Eines Tages verliebte er
sich in eine chinesische Sklavin und kaufte sie sich, indem er
unermeßlich viel Geld für sie bezahlte. Sein ganzes Vermögen, daß er
besaß, gab er für dies Mädchen aus, so daß er schließlich nichts mehr
besaß.

Eines Tages sagte das Mädchen zu ihm: „Zur Zeit des Wohlstandes hast du
dein Vermögen verschwendet, jetzt besitzt du nichts. Es ist aber eine
sehr schwere Sache, durch das Feuer der Armut verbrannt zu werden. So
haben wir keinen Genuß an unserm Beisammensein. Der Genuß der
Vereinigung entsteht nur bei frohem Herzen. Wenn du also die Trennung
von mir ertragen kannst, so verkaufe mich und nimm den Kaufpreis als
Kapital, denn wie es im Sprichwort heißt: ‚Das Wasser fließt da, wo es
schon einmal geflossen ist.‘ Ich werde die Trennung ertragen, so gut
ich kann, und wenn nicht, mich töten und mich vor den Kümmernissen der
Welt retten. Auf diese Art wirst du wenigstens wieder zu Wohlstand
kommen.“

Notgedrungen nahm der Jüngling dies an und führte das Mädchen am
folgenden Tage auf den Sklavenmarkt, um es zu verkaufen. Es war gerade
ein haschimitischer Kaufmann von Basra nach Bagdad gekommen. Als er die
Sklavin sah, gefiel sie ihm, und er kaufte sie für zweitausend
Goldstücke.

Der Jüngling nahm das Geld und ging nach Hause, aber Tag und Nacht
seufzte er und war wie ein lebloser Körper. Als es Abend wurde und das
Licht derjenigen, die sein Herz erleuchtete, nicht mehr mit dem Glanz
ihrer Schönheit sein Haus erhellte, da konnte er es nicht länger
aushalten und beschloß, das Mädchen sich zurückzukaufen. Da er nicht
bis zum Morgen aushalten konnte, verließ er um Mitternacht sein Haus.
Als er infolge des Suchens nach dem haschimitischen Kaufmann müde und
matt geworden war, verblieb er an einem öden Platze. Dort belauerte ihn
ein herumlungernder Dieb, der die Gelegenheit benutzte, dem Jünglinge,
als er schlief, das Geld aus dem Busen stahl und flüchtete. Als der
Jüngling aufwachte, das Geld nicht mehr vorfand, vermehrte sich der
Kummer seines Herzens. Es lastete wie ein Berg auf ihm. Da er nun auch
nicht mehr die Mittel hatte, um den Kauf rückgängig zu machen, ging er
wie ein Verrückter in die Berge.

Der Kaufmann war mit dem Mädchen in ein anderes Land gezogen, um
Handelsgeschäfte zu machen. Aber da die Sklavin ihn jeden Tag mit
harten Worten anredete, so wurde ihm das Leben zur Qual. Von einer
Vereinigung mit ihr war schon gar nicht die Rede, aber in Herzensruhe
ihr ins Gesicht zu sehen, wurde ihm nicht einmal zuteil. Aber da er
Interesse für das Mädchen hatte, hoffte er, daß sie ihren ersten
Liebhaber vergessen werde, und überließ sie sich selbst. So reisten sie
zu Wasser und zu Lande umher, aber die Glut des Mädchens (nach ihrem
früheren Liebhaber) beruhigte sich nicht, sondern nahm von Tag zu Tag
zu. Schließlich schwur der haschimitische Kaufmann in seiner Not: „Wenn
ich deinen früheren Herrn, der dich mir verkauft hat, wiederfinde, will
ich auf die bezahlten zweitausend Goldstücke verzichten und dich ihm
wiedergeben. Ich hatte gedacht, du würdest mich mit Musik und Reden
unterhalten, wenn ich mich langweilte, aber du nimmst mir durch dein
Seufzen bei Tag und Nacht die Ruhe.“ Das Mädchen verging vor Seufzen
und Wehklagen.

Der Jüngling war wie ein Wahnsinniger über Berge und Felder gestreift,
um seine Liebste zu suchen. Eines Tages kam er an das Ufer des Meeres,
traf ein Schiff, das mit Kaufmannsgütern angefüllt war. Durch Gottes
Fügung war der Haschimit und die Sklavin auch auf diesem Schiffe, aber
sie ahnten nichts voneinander. Als sie so einige Tage gefahren waren,
rief der Haschimit das Mädchen zu sich, gab ihr eine Laute in die Hand
und bat sie, ein Lied zu singen. Das Mädchen nahm weinend die Laute zur
Hand und sang ein Liebeslied, daß alle Mitfahrenden beim Anhören
weinten und mit ihrer Lage Mitleid empfanden. Dann legte sie die Laute
wieder hin und fing wieder an zu klagen.

Als der Jüngling von Bagdad die Stimme des Mädchens hörte, wußte er,
daß zu seinem Glück der Kaufmann und das Mädchen, gleich dem Planeten
Jupiter und Venus in glückbringender Konstellation, auf dem Schiffe
seien. Trotzdem geduldete er sich und verriet sich nicht. Am folgenden
Tage gingen die Mitfahrenden ans Land, um Lebensmittel und Wasser zu
holen. Als das Schiff etwas leerer geworden war, benutzte er die
Gelegenheit, nahm die Laute des Mädchens und stimmte sie in einer
anderen Tonart, die nur das Mädchen kannte, da sie sie von ihm gelernt
hatte. Am Abend bat der Haschimit wieder das Mädchen, etwas zu spielen.
Das Mädchen nahm die Laute zur Hand. Kaum hatte sie sie mit dem
Plektron berührt, als sie alles begriff. Sie legte die Laute aus der
Hand und schwur, daß ihr früherer Herr, der Bagdader Kaufmann, auf dem
Schiffe sei. Der Haschimit sagte: „Das wäre ja schön. Wenn er doch nur
hier wäre, dann würde ich euch beide vereinigen und mir einen Lohn in
der anderen Welt und Glück in dieser verdienen.“ Das Schiff wurde
durchsucht und der Jüngling von Bagdad gefunden. Er rief ihn zu sich,
behandelte ihn mit großer Achtung und sagte: „Ich habe deine Sklavin
nicht angerührt. Da ich gesehen habe, daß deine Liebe zu ihr und ihre
Liebe zu dir nicht übertroffen werden kann, so schenke ich dir auch
ihren Kaufpreis. Vergeßt nicht, meiner im Gebete zu gedenken.“

Alle Mitfahrenden waren verwundert über die Liebe des Mädchens und des
Bagdader Jünglings und lobten den Großmut des Haschimiten. Danach
fragte dieser den Jüngling, wie es ihm gehe. Der fing an, ihm sein
Abenteuer zu erzählen. Zuerst habe er in Wohlstand gelebt und sei in
Bagdad ein sehr reicher Kaufmann gewesen, dann habe er sein ganzes
Vermögen wegen dieser Sklavin ausgegeben, und als er schließlich ganz
arm geworden, habe er sie an ihn verkauft. Während er in der Nacht an
einer öden Stelle schlief, habe ihm dann ein Dieb sein Geld gestohlen.
Alles erzählte er eingehend. Als der Haschimit dies hörte, flössen ihm
blutige Tränen aus den Augen, und er sagte: „Von heute ab sei nicht
mehr traurig. Ich habe keine Söhne und keine Familie. Mein Vermögen
genügt für euch und mich.“ Er faßte das Mädchen bei der Hand und gab
sie dem Jünglinge.

Die beiden Liebenden freuten sich am gegenseitigen Anblick und dankten
dem Haschimiten. Nachdem sie so einige Tage in Freude genossen hatten,
landete ihr Schiff wieder an der Küste, um Proviant einzunehmen.
Jedermann ging an Land, um seine Angelegenheiten zu erledigen. Er hielt
sich aber zu lange auf, und als er an das Ufer kam, hatte sich ein
günstiger Wind erhoben und die Schiffer hatten die Segel entfaltet und
waren davon gefahren. Der Jüngling von Bagdad fing in seiner
Verzweiflung an zu schreien, aber umsonst.

Der Haschimit kam mit der Sklavin nach Basra und sagte zu ihr: „Ich
hatte es übernommen, dich deinem früheren Herrn zu geben und mein
ganzes Vermögen euch zu schenken. Nun hat das Geschick es anders
gefügt, und der Jüngling ist verschwunden. Sage mir, was du nun für das
Richtige hältst. Ich will tun, was du willst.“

Das Mädchen antwortete: „Meine Absicht ist, daß du mir ein Kloster
baust, dort für den Jüngling von Bagdad ein Grab graben läßt und
darüber einen Sarkophag aufstellst. Dort will ich mich in der
Abgeschiedenheit religiösen Übungen hingeben und, wenn ich gestorben
bin, begrabt mich dort.“ Der Haschimit erfüllte den Wunsch des Mädchens
und tat, wie sie gesagt.

Als der Jüngling von Bagdad am Ufer des Meeres drei Tage gewartet
hatte, kam am vierten Tage ein Schiff, das, um Wasser zu holen, dort
anlegte. Er besprach sich mit dem Kapitän und bestieg das Schiff. Nach
verschiedenen Schwierigkeiten kam er nach Basra, fragte nach dem Hause
des Haschimiten und fand es nach einiger Mühe.

Als dieser ihn gesehen, fiel er ihm um den Hals und erwies ihm allerlei
Freundlichkeit. Der Jüngling fragte ihn, wie es dem Mädchen gehe. Der
Haschimit erzählte ihm, was geschehen war, und gab ihm einen Diener
mit, der ihn dorthin führte, wo das Mädchen sich befand.

Als die beiden treuen Liebenden sich wiederfanden, umarmten sie sich
und weinten so sehr, daß alle Leute sich wunderten und sich fragten, ob
es denn solche Liebe auf der Welt noch gebe. Nachdem sie ihn begrüßt
hatten, erfüllte der Haschimit sein Versprechen, wies ihnen das Kloster
zur Wohnung an und übernahm es, für ihren Unterhalt zu sorgen. So
lebten sie alle bis zu ihrem Tode sich gegenseitig beglückend.



39. DIE GESCHICHTE VON DEM KLUGEN LANDMANNE


In alter Zeit pflügte einst ein Landmann seinen Acker, als plötzlich
ein eiserner Ring zum Vorschein kam. Der Landmann grub die Erde um den
Ring aus und sah, daß es der Ring von dem Deckel eines Vorratsraumes
war. Mit tausend Mühen und Anstrengungen hob er den Deckel und stieg in
den Raum hinein. Da sah er, daß das Innere bis zum Rande mit gelbem
Weizen angefüllt war. Es war jedoch eine Art von Weizen, von der jedes
Korn die Größe eines Pfirsichkernes hatte. Als er dies sah, war er
erstaunt und meldete dies dem Gouverneur der Stadt. Auch der wunderte
sich, und in der Annahme, daß dies etwas merkwürdiges sei, schrieb er
an den Kaiser einen Bericht und schickte auch eine Probe von dem Weizen
mit.

Als der Weizen ankam, rief der Kaiser seine höchsten Beamten zusammen,
die sich gleichfalls alle über die Größe des Weizens wunderten. Der
Kaiser fragte, ob es einen Menschen gebe, der wüßte, von was für
Menschen dieser Weizen gepflanzt sei, und worin das Geheimnis bestände.
Wenn es solchen Menschen gebe, wolle er ihn um Rat fragen. Der Kaiser
hatte einen sehr klugen und weisen Hofmann. Dieser sagte: „Mein Kaiser,
in der und der Stadt deines Reiches lebt ein alter welterfahrener
Landmann. Wenn jemand die Schwierigkeit lösen kann, ist er es.“ Alle
fanden seine Worte verständig. So schickte man einen Boten, dem man
eine Probe des Weizens mitgab, ab, um den Alten danach zu fragen.

Als der Bote sich schleunigst auf den Weg machte, traf er einen seiner
Freunde. Dieser wünschte ihm glückliche Reise und fragte, wohin er
gehe. Der Bote erzählte die ganze Sache und der Freund sagte: „Gott sei
Dank! Es ist ein Segen, daß ich dich getroffen habe. Der Landmann, zu
dem du gehen willst, ist sehr klug. Ich habe auch eine schwierige
Frage. Nachdem du ihn nach der des Kaisers gefragt hast, frage ihn auch
nach meiner. Du würdest mir damit einen großen Gefallen tun.“ Der Bote
sagte: „Selbstverständlich, erzähle mir nur deine Frage.“ Der Freund
sagte: „Erstens: Was ist die Ursache, daß, wenn der Mensch alt wird,
Haar und Bart weiß werden und keine andere Farbe annehmen? Zweitens:
Während beim Beischlaf der Genuß für Mann und Frau der gleiche ist,
warum ist die Treue bei dem Mann größer als bei der Frau? Drittens:
Warum wird der Mann, wenn er alt und sein Haar und Bart weiß werden,
schöner, während bei der Frau das Gegenteil der Fall ist? Was mag
Gottes Zweck dabei sein. Das sind die Fragen, die mir Schwierigkeiten
machen.“

Sie verabschiedeten sich, und der Bote machte sich auf den Weg und
erreichte auch die Stadt, wo der Landmann, den er suchte, wohnte. Nach
einigem Fragen fand er ihn auch und sah, daß es ein hinwelkender Greis
war, dessen Körper wie ein Bogen gekrümmt war, und dessen Brauen seine
Augen bedeckten.

Der Bote setzte den Grund seiner Absendung auseinander, sagte, daß er
vom Kaiser geschickt sei, und fragte, wie es sich mit dem Weizen
verhalte. Der alte Landmann sagte: „Sohn, ich weiß nicht, wann dieser
Weizen gewachsen ist, aber in der gegenüberliegenden Stadt wohnt mein
älterer Bruder. Da er älter ist als ich, hat er vielleicht jene Zeit
erlebt. Gehe hin und frage ihn.“

Der Bote ging dorthin, fand auch den Bruder. Dieser hatte einen grauen
[39] Bart, und sein Körper war lebendig im Vergleiche zu dem seines
Bruders. Voller Verwunderung fragte der Bote ihn nach dem, was der
Weizen zu bedeuten habe. Der Landmann antwortete: „Ich weiß nichts
davon. In meinen Zeiten ist so etwas nicht passiert. Aber in der
gegenüberliegenden Stadt wohnt mein älterer Bruder. Gehe hin und frage
den. Vielleicht weiß er es, denn er ist viel älter als ich.“

Der Bote ging in diese Stadt und fand ihn auch. Er war noch lebendiger
und sah wie ein frischer junger Mann mit schwarzem Bart aus. Der Bote
sagte: „Bei Gott, seine Brüder bezeichneten ihn als den ältesten von
ihnen. Das ist doch höchst merkwürdig, daß er jünger und frischer als
sie ist.“ Voller Verwunderung fragte er ihn nach dem Weizen und sagte,
daß er eigens deshalb vom Kaiser gesandt sei.

Der alte Mann sagte: „Vor hundert Jahren lebte ein Volk, dem dieser
Weizen als Wundergabe verliehen worden ist. Der Grund dafür ist der,
daß sie fromm und gottesfürchtig waren. Deswegen schenkte ihnen Gott so
reichliche Nahrung.“

Als der Bote die richtige Auskunft erhalten hatte, wollte er sofort
umkehren, da kamen ihm aber die Fragen seines Freundes, den er
unterwegs getroffen, in den Sinn. Er stellte also die vorher genannten
drei Fragen, und der weise Mann antwortete: „Der Grund, daß Haar und
Bart, wenn der Mann alt wird, nur weiß werden und keine andere Farbe
annehmen, ist folgender: Zuerst ist das Haar vollkommen schwarz oder
blond. Wenn der Mensch aber zur höchsten Vollendung gekommen ist und
auch in der Farbe die Vollendung eingetreten ist, dann muß ebenso, wie
überall nach der Vollendung der Verfall eintritt, ein Rückschlag zum
Verfall eintreten. Der Grund dafür, daß es nach diesem Verfall nur weiß
wird und keine andere Farbe annimmt, besteht darin, daß, wie das
Zeichen der Jugend das schwarze oder blonde Haar ist, so ist das
Zeichen des Alters wegen der Erleuchtung die weiße Farbe. Darum
verändert sich das Haar nur in Weiß. Die Antwort auf die zweite Frage
ist folgende: Da Gott, der Allweise, Ewige, der Frau die Kraft der
Schwangerschaft, die Freundlichkeit bei der Haushaltung und alle die
Mühen beim Säugen verliehen hat, so hat er aus Billigkeit dem Manne die
Treue und Liebe verliehen. So hat Gott mit Gerechtigkeit beide
ausgeglichen. Gottes weiser Zweck bei der dritten Frage ist folgender.
Er hat unsern Vater Adam aus Erde geschaffen, unsere Mutter Eva aber
aus dessen linker Seite. Deshalb wird das männliche Geschlecht seiner
Herkunft gemäß schöner, denn wie die Erde, wenn sie steht, schöner
wird, so auch der Mann. Wie aber Fleisch, wenn es steht, sich
verändert, so wird die Frau im Alter häßlich. Das ist Gottes Weisheit
dabei.“ Der Bote sagte: „O weiser Mann, dein Mund ist die Quelle der
Weisheit. Du hast alle Schwierigkeiten gelöst. Nun habe ich noch eine
Frage. Nimm, bitte, meine Unbescheidenheit nicht übel und löse mir
diese Schwierigkeit.“ Der weise Mann fragte: „Worin besteht sie denn?“
Er antwortete: „Deinen jüngsten Bruder habe ich sehr alt und schwach
gefunden und den mittleren als einen graubärtigen Greis, dich aber, der
du doch der älteste von ihnen bist, als einen frischen jungen Mann.
Erkläre mir doch, bitte, den Grund hierfür.“

Der weise Mann sagte: „Der Grund dafür, daß mein jüngster Bruder sehr
alt geworden ist, liegt darin, daß er in seiner Landwirtschaft nicht
recht vorwärts kommt und ziemlich arm ist. Außerdem hat er eine
häßliche Frau, die auch eine böse Zunge besitzt. Da sich zwei große
Unglücke bei ihm vereint haben, so ist er sozusagen schon in dieser
Welt bei lebendigem Leibe in der Hölle. Deswegen ist er so alt und
schwach geworden. Der Grund aber dafür, daß der mittlere Bruder im
Verhältnis zu mir alt und im Verhältnis zu dem jüngsten Bruder jung
ist, liegt darin, daß er in der Landwirtschaft viel Glück hat, aber
eine häßliche Frau mit einer bösen Zunge besitzt. So hat er nur ein
Unglück und sieht also frischer als unser jüngster Bruder aus. Ich
habe, Gott sei Dank, in der Landwirtschaft Erfolg und habe in meinem
Harem eine schöne und an Charakter einzigartige Frau, deswegen sehe ich
frisch und heiter aus. Wer Wohlstand und eine gute Frau erlangt hat,
der wird schon in dieser Welt der Paradiesesfreuden teilhaftig.
Deswegen sagt man: Des Menschen Haus ist sein Paradies oder seine
Hölle.“

Als der kluge Mann alle schwierigen Fragen gelöst hatte, entließ er den
Boten mit aller Hochachtung. Dieser kam zum Palaste des Kaisers,
berichtete alles, und ein jeder, der es hörte, hatte seinen Nutzen
davon.



40. DER VOGEL HEFTRENG


Zur Zeit der Kinder Israel lebte ein frommer Asket, der sehr arm war.
Dieser ging, um sich einen Unterhalt zu verschaffen, von Zeit zu Zeit
aus, erbettelte sich um Gottes willen ein paar Pfennig und lebte den
Tag davon. Wieder war er eines Tages nach alter Gewohnheit in der Stadt
von Tor zu Tor gegangen, als plötzlich jemand zu ihm trat und ihn
anredete: „Willst du lieber ein rechtlich erworbenes Goldstück oder
zehn unrechtlich erworbene?“ Der Asket erwiderte: „Unrechtlich
erworbene Dinge nehme ich überhaupt nicht an, selbst wenn es tausend
Goldstücke wären, aber ein rechtlich erworbenes Goldstück genügt mir.“
Der andere gab ihm ein Goldstück in die Hand, das der Asket annahm,
indem er Gottes Segen wünschte.

Als er danach in der Stadt umherging, sah er bei einem Manne einen
wunderbar schönen Vogel. Kaum hatte er ihn gesehen, als er eine Liebe
zu dem Vogel faßte und nach dem Preise und der Art des Vogels fragte.
Der Besitzer forderte ein Goldstück und sagte, daß er der Vogel
Heftreng (sieben Farben) heiße. Sofort gab er sein Goldstück, das er
soeben erhalten, und kaufte sich den Vogel Heftreng. Als er nach Hause
kam, ging seine Frau in der Hoffnung, Geld von ihm zu erhalten, ihm
entgegen. Sie sah, daß er kein Geld, wohl aber einen Vogel brachte. Da
die Frau sehr hungrig war, der Asket aber ohne Geld mit leeren Taschen
kam, so war sie sehr aufgeregt und fing an ihn zu schelten: „Während
wir schon nichts zu essen haben, bringst du jetzt noch einen, der
Nahrung verlangt, und noch dazu einen unschuldigen Vogel, den du
einsperrst, und für dessen Unterhalt zu sorgen du verpflichtet bist.
Was ist das wieder für ein neues Unglück, das über uns gekommen ist.“
Sie machte einen großen Lärm, aber da die Frau sehr schön war, so
ertrug der Asket alles, was sie auch tat. Er setzte also den Vogel
Heftreng in einen Käfig und hängte diesen an die Wand.

Gegen Abend fing der Vogel an, im Käfig sich zu schütteln. Der Asket
ging hin und sah, daß, während er sich schüttelte, unter seinen Flügeln
ein Edelstein herunterfiel. Der Asket nahm den Edelstein, brachte ihn
auf den Bazar, empfing genau hundert Goldstücke dafür, als er ihn
verkaufte, und besorgte alles, was für das Haus notwendig war. Er
schloß den Vogel nicht im Käfig ein, sondern ließ ihn immer frei
umherfliegen. Am Abend kehrte er dann zurück und brachte in seinem
Schnabel jeden Tag einen Smaragden, den der Asket für ein Goldstück
verkaufte. In kurzer Zeit sammelte er so ein großes Vermögen, daß er
selbst nicht einmal wußte, wie groß es war. Da die Ankunft des Vogels
von Segen war, so wurde die Frau in der Nacht, da er in das Haus kam,
schwanger, und als die Zeit kam, brachte sie einen Sohn zur Welt. Der
Asket, der nun in jeder Beziehung froh war, nahm für ihn eine besondere
Wärterin an und nannte ihn Ferid. Da er jetzt Geld genug hatte,
beschloß er, um die Pflicht zu erfüllen, die Pilgerfahrt nach Mekka zu
machen. Er rief seine Frau und sagte zu ihr: „Tugendhafte Frau, dieser
Vogel Heftreng ist die Ursache der Ordnung unserer Verhältnisse
geworden, und du weißt, daß ich auch nur durch ihn die Pilgerfahrt
auszuführen in der Lage bin. Darum laß es an nichts in seiner Pflege
fehlen, denn er ist wie unser Sohn der Grund zur Freude unseres
betrübten Gemütes und die Frucht am Baum unseres Herzens geworden.
Darum hüte ihn und laß es beileibe an nichts fehlen.“ Dann befahl er
sie alle Gottes Schutz und machte sich auf den Weg.

Seine Frau langweilte sich aber bald, zu Hause zu sitzen. Sie ging
daher eines Tages auf dem Markte spazieren, sah einen jungen
Geldwechsler und verliebte sich in ihn, und bei dem Anblick seiner
Schönheit verlor sie ihre Ruhe, ging jeden Tag vor dem Laden vorbei und
schaute ihm ins Gesicht, um sich zu trösten. Wenn ihr die Mahnung ihres
Mannes einfiel, wiederholte sie folgenden Vers:


    Selbst Asketen, wenn sie sähen
    Dieser Augen Schönheitsadel,
    Würden meine Liebe ahnen,
    Würden meiden Schmach und Tadel.


Als sie auf ihren Spaziergängen kein anderes Mittel, um die Glut des
Feuers ihrer Liebe zu löschen, als das Wasser der Vereinigung mit dem
jungen Geldwechsler fand, lud sie ihn in ihr Haus. Da die Frau sehr
hübsch war, ging er mit tausend Freuden darauf ein, denn er war auch in
sie verliebt. Die Liebe war nun auf beiden Seiten so stark, daß der
junge Geldwechsler das Haus des Asketen wie sein eigenes jeden Tag
besuchte.

Eines Tages erzählte ihm die Frau im Gespräch die Geschichte des Vogels
und wie sie durch ihn so reich geworden waren. Der Geldwechsler hatte
aber einen sehr weisen, klugen Freund. Als er diesem einst die
Geschichte des Vogels erzählte, sagte dieser: „Dieser Vogel bringt zwar
schon lebendig so große Vorteile, wenn aber jemand seinen Kopf essen
würde, so würde er Kaiser oder Vezir werden.“

Als der Wechsler dies hörte, war er fest entschlossen, den Kopf des
Vogels zu essen. Er ging also nach alter Gewohnheit in das Haus des
Asketen und sagte: „Brate mir diesen Vogel. Ich habe Verlangen danach.“
Die Frau antwortete: „Du meine Seele und mein Leben. Zwar ist der Vogel
der Begründer unseres Wohlstandes in dieser Welt, aber da du ihn
wünschst, so würde ich nicht nur ihn, sondern mein Leben opfern. Komm
morgen. Ich werde dir dann einen ordentlichen Braten machen. Laß ihn
dir schmecken.“

Am nächsten Morgen stand die Frau auf, schlachtete den Vogel, steckte
ihn an einen Spieß und fing an, den Braten zu wenden. Ihr Sohn Ferid
war immer mit dem Vogel zusammen und konnte auch nicht eine Stunde ohne
ihn sein. Er war also sehr betrübt darüber, daß der Vogel geschlachtet
war, und fing an zu weinen. Seine Mutter und die Wärterin suchten ihn
zu beruhigen, aber vergeblich. Da sagte die Wärterin: „Herrin, gib ihm
doch einen Bissen von dem Fleisch des Vogels. Er ist ja ein Kind. Dann
wird sein Weinen aufhören.“ Die Frau konnte sich aber nicht
entschließen, ihrem Sohne ein Stück zu geben, da dann für den jungen
Wechsler zu wenig übrig bleiben würde. Als schließlich die Wärterin
bat: „Wenn du ihm kein Fleisch geben willst, so gib ihm den Kopf,
vielleicht hört sein Weinen dann auf. Den Kopf ißt man ja nicht.“

Da schnitt die Frau den Kopf des Vogels ab und gab ihn zwar sehr
widerwillig ihrem Sohne. Als Ferid den Kopf gegessen hatte, hörte nach
Gottes Ratschluß das Weinen auf.

Währenddessen war der Wechsler gekommen. Die Frau ging ihm entgegen,
nötigte ihn höflichst sich zu setzen und sagte: „Du Grundstock meines
Lebens, deinetwegen habe ich den Vogel, der ein unerschöpfliches
Kapital war, geschlachtet und gebraten.“ Indem sie so ihre Liebe zu ihm
zum Ausdruck brachte, bereitete sie den Tisch, schmückte das Zimmer,
legte den Vogel Heftreng auf eine Schüssel und setzte ihn vor. Der
Wechsler aß nicht von dem Fleisch, sondern suchte nach dem Kopfe, und
da er ihn nicht finden konnte, fragte er, wo der Kopf des Vogels sei.
Die Frau antwortete: „Ißt man denn den Kopf eines gebratenen Vogels?
Der Rumpf ist es doch, auf den es ankommt. Als ich den Braten
bereitete, weinte mein Sohn. Ich konnte mich nicht entschließen, ihm
ein Stück Fleisch zu geben, da du es behalten solltest. Da bat mich die
Wärterin um den Kopf, um ihn zu beruhigen. Ich schnitt also den Kopf ab
und gab ihn der Wärterin. Das Kind hat ihn auch gegessen.“

Als der Wechsler dies hörte, war er ganz bestürzt, warf die Schüssel
mit dem Vogel auf die Erde, verließ in seinem Zorne das Haus und ging
zu dem vorher genannten Weisen, dem er die Geschichte ganz genau
erzählte. Dieser sagte: „Sei nicht traurig. Wenn dein Wort etwas bei
der Frau vermag, so läßt sich die Sache heilen. Nämlich, wenn jemand
den Kopf desjenigen, der den Vogelkopf verzehrt hat, ißt, so wird er
Kaiser. So steht es geschrieben.“ Der Wechsler schickte also der Frau
folgende Nachricht: „Ich wollte den Kopf des Vogels essen, da du ihn
nun deinem Sohne gegeben hast, so mußt du deinem Sohne den Kopf
abschneiden und ihn mir zu essen geben. Dann komme ich wieder in dein
Haus. Wenn nicht, werde ich mich nie wieder sehen lassen.“

Da die Verfluchte ganz von ihrer fleischlichen Lust beherrscht war, so
war sie bereit, ihren Sohn zu töten, wenn nur ihr Geliebter wieder
käme, und sandte ihm Nachricht, sie würde mit tausend Freuden es bei
Gelegenheit tun.

Der Wechsler war sehr froh, und die Frau spähte nach einer Gelegenheit.
Die Wärterin des Ferid aber ahnte, daß ihre Herrin ihn töten wollte.
Eines Nachts, als die Herrin schlief, drückte die Wärterin das Kind an
ihre Brust und verließ das Haus und die Stadt. Indem sie bis zum Morgen
lief, kam sie in eine andere Stadt. Am nächsten Tage von dieser wieder
in eine andere und so kam sie nach dreißig Tagen in die Residenz des
Kaisers. Dort fand sie eine passende Wohnung und widmete sich der
Erziehung Ferids.

Als aber die Frau am nächsten Morgen aufstand und den Ferid und die
Wärterin nicht vorfand, suchte sie sie überall. Da sie nicht wußte, wo
sie waren, rief sie vom Feuer der Unruhe gefoltert aus: „Ach, was soll
ich meinem Geliebten sagen? Vielleicht wird er sich von mir trennen!“
Als der Wechsler die Sachlage erfuhr, gab er die Frau auf und kam nicht
wieder. Schließlich starb er, da sein Kummer untröstlich war, an
Sehnsucht nach dem Vogelkopf.

Nach einiger Zeit kam auch der Asket wieder von der Pilgerreise gesund
zurück. Als er weder den Vogel noch seinen Sohn noch die Wärterin
vorfand, fragte er, wo sie seien. Die Frau sagte weinend: „Ach, mein
Herr, mögest du wenigstens am Leben bleiben! Sie sind alle gestorben.
Durch die Trennung von ihnen bin ich in diese Lage gekommen, daß die
Rosen meiner Wangen zu Bernstein geworden sind.“ [40]

Ferid nun, zu dem wir uns jetzt wenden wollen, war herangewachsen und
hatte Freude am Reiten und fing an, auf die Jagd zu gehen. Als er
einmal wieder zu Pferde auf die Jagd ging, kam er an dem Sommerhause
für den Harem des Kaisers vorbei. Der Kaiser hatte nun eine reizende
Tochter, die einem Sterne glich. Als sie aus Langweile aus dem Fenster
schaute, fiel ihr Blick auf Ferid, und sie verliebte sich von ganzem
Herzen in ihn. Als Ferid in das Fenster schaute und das Mädchen sah,
verliebte er sich gleichfalls in sie. Beide suchten jetzt nur nach
einem Mittel für ihren Liebesschmerz. Der arme Ferid ging jeden Tag
unter dem Vorwand, daß er auf Jagd gehe, an ihrem Fenster vorüber und
schaute nach dem Mädchen, während dieses schon aufpaßte, wenn er kam,
und von oben herabschaute und seufzte.

Einige Zeit verging so ihre Zeit mit Seufzen und Wehklagen, aber eines
Tages, als Ferid wieder auf Jagd ging, konnte das Mädchen es nicht mehr
aushalten und sagte: „Jüngling, mein Vater ist alt und hat kein anderes
Kind als mich. Er versagt mir nichts, was ich von ihm fordere. Ich will
ihm nun sagen: ‚Verheirate mich nach Gottes Willen mit diesem jungen
Manne.‘ Aber vor einiger Zeit hat mein Vater bei einer besonderen
Gelegenheit in Gegenwart der Vezire und Staatswürdenträger meine Heirat
an eine Arbeit geknüpft. Ohne diese Arbeit kann er mich nicht
verheiraten. Diese Arbeit läßt sich aber nicht ausführen, denn schon
viele haben ihr Leben dabei verloren. Ich will sie dir deswegen nicht
nur nicht auftragen, sondern nicht einmal nennen.“ Ferid sagte:
„Herrin, sage mir, was das für eine Arbeit ist.“ Sie weigerte sich;
aber, als er sie beschwor, sie ihm zu nennen, sagte sie: „In der und
der Steppe ist der Weideplatz für meines Vaters Pferde. Nun ist dort
ein giftiger Drache erschienen, der schon einige von den Pferden
getötet hat. Er wohnt dort und hat den Weg dahin abgeschnitten. Es ist
unmöglich, dorthin zu kommen. Deswegen hat mein Vater versprochen,
demjenigen, der den Drachen tötet, mich zur Gemahlin zu geben.“ Ferid
sagte: „Herrin, weißt du nicht, daß Gott im Koran gesagt hat: ‚Wenn ihr
Ende kommt, können sie es nicht eine Stunde hinausschieben oder
beschleunigen?‘ Jeder trinkt den Becher des Todes erst, wenn sein
Lebensbecher bis zum Rande voll ist, und seinem Ende kann niemand
entgehen. Ich werde mich also dem Drachen entgegenwerfen. Wenn Gott mir
Gnade gibt und ich den Drachen töte, so erlange ich meinen Wunsch, und
wenn das Gegenteil eintritt und ich unter den Krallen des Drachen
umkomme, so bete für mich. Wenn ich nicht mit dir vereint werde, sterbe
ich doch und, wenn ich sterben muß, so ist es mir einerlei, auf welche
Art es geschieht.“

Er faßte also den Entschluß, gegen den Drachen zu ziehen, und sie
trennten sich beide unter vielen Tränen. Ferid ging in sein Haus, nahm
von seiner Wärterin Abschied und begab sich am nächsten Tage in den
Diwan des Kaisers und bat um die Erlaubnis, gegen den Drachen zu
ziehen.

Als der Blick des Kaisers auf ihn fiel, faßte er nach Gottes Willen
Zuneigung zu ihm, denn Ferid war ein hübscher junger Mann. Der Kaiser
sagte zu seinem Vezir: „Lala, ich habe die Hand meiner Tochter an die
Tötung des Drachen geknüpft, sonst würde ich meine Tochter diesem
jungen Manne geben. Aber, was soll man tun? Die Kaiser müssen ihr Wort
halten. Geh, rate ihm, von seinem Vorhaben abzulassen, sonst kommt er
vielleicht wie die andern um, und wir haben den Kummer im Herzen. Wer
weiß, was Gott alles geschehen läßt, das uns noch verborgen ist?
Vielleicht stirbt der Drache von selbst! Er soll doch so gut sein und
diesen Wunsch aufgeben.“ Der Vezir tat so. Ferid aber nahm keinen Rat
an und antwortete, daß er sicher hingehen werde. So ging er und alle
Würdenträger und alle Edlen des Hofes bis zu der erwähnten Steppe. Dort
blieben alle und zeigten Ferid die Stelle. Dieser zog im Vertrauen auf
Gott sein scharfes Schwert und griff den Drachen an. Da sah er, daß
dieser wie ein Feuerklumpen dalag und schlief. Er griff ihn also an,
und mit Gottes Hilfe teilte er ihn in zwei Teile, so daß er sich nicht
mehr bewegen konnte. Als er in seinem Blute tot dalag, sprang Ferid
herbei und trennte ihm den Kopf vom Rumpfe und brachte ihn dem Könige.
Alle Würdenträger, die dies mit ansahen, waren erstaunt. Da aber die
Weisen gesagt hatten, daß menschliche Kraft nicht ausreiche, um diesen
Drachen zu töten, es sei denn, daß jemand den Kopf des Vogels Heftreng
gegessen habe, so fragte man Ferid danach. Dieser erzählte alles, was
er von seiner Wärterin gehört hatte. Deswegen liebten ihn die Weisen
und die Vezire noch mehr. Der Kaiser freute sich noch mehr darüber, daß
Ferid am Leben geblieben war, als darüber, daß der Drache getötet war,
und richtete eine Hochzeit mit königlicher Pracht her und verheiratete
ihm seine Tochter. Da der Kaiser sehr alt war, ernannte er ihn zu
seinem Nachfolger, und Ferid wurde unabhängiger Kaiser.

Darauf schickte Ferid in seine Heimat, um seine Mutter, seinen Vater
und, um ihn zu töten, den Wechsler holen zu lassen. Der Wechsler war
aber schon seit langem tot. Der Asket und seine Frau begaben sich
voller Furcht, was der Kaiser wohl von ihnen verlange, zu ihm und,
nachdem sie alle Zeremonien erfüllt hatten, sahen sie, daß es ihr Sohn
Ferid war. Dieser ließ nun das Vergangene vergangen sein, ernannte
seinen Vater zum Vezir und seine Wärterin zur Oberaufseherin über alle
Sklavinnen seines Harems. Als sie dann allein waren, erzählte er seinem
Vater in Gegenwart der Mutter, was sich ihnen allen seit seiner Jugend
ereignet hatte. Da schämte sich die Frau sehr, sagte aber, daß zwischen
ihr und dem Wechsler nichts Häßliches passiert sei, daß sie nur von
Angesicht ineinander verliebt gewesen seien, und daß sie auch dies
bereue und dafür um Verzeihung bitte.

Ferid stand auf, küßte seinen Eltern die Hand und betete für sie. So
brachten sie denn in Behaglichkeit ihr Leben zu.



41. DIE VERSCHWENDERISCHE MAUS


Ein Landmann hatte in seiner Scheune eine Menge Getreide liegen, legte
nicht Hand daran, es zu verbrauchen, und hatte die Tore seiner
Verwendung zugeschlossen, damit es zu Zeiten der höchsten Not und des
größten Elends ihm als Nahrung diene. Nun hatte eine ganz verhungerte
Maus am Rande dieses Platzes sich ihr Haus und in der Nähe des
Speichers ihr Nest gemacht. Sie hatte andauernd unter der Erde alles
mit dem ehernen Meißel ihrer Zähne durchbohrt und mit ihren
minierenden, Steine spaltenden Vorderzähnen die ganze Gegend
durchlöchert. Endlich hatte sie ein geheimes Loch mitten unter dem
Kornspeicher fertig und von dem Dach ihres Nestes fielen Weizenkörner
wie Meteore vom Himmel. Die Maus sah, daß das Versprechen des
Koranwortes: „Eure Nahrung ist im Himmel“ erfüllt war, und daß der
dunkle Spruch: „Suchet eure Nahrung in den Schlupfwinkeln der Erde“
klar und deutlich geworden war, daher erfüllte sie die Pflichten der
Dankbarkeit wegen der Gottesgabe und ließ das Koranwort: „Gott sei
Dank, daß er uns einen Tisch vom Himmel gesendet hat“ zum Gipfel des
Himmels emporsteigen.

Als sie nun durch die Erlangung dieser Kostbarkeiten sehr reich
geworden war, wurde sie so stolz wie Karun [41] und so anmaßend wie
Pharao. In kurzer Zeit war die Sache unter den Mäusen des Viertels
bekannt, und sie beeilten sich, ihr freigebiges Haus zu besuchen.
Trügerische Freunde sind wie Fliegen um den Zucker! Freunde beim Mahl
und Genossen beim Becher sammelten sich alle um die Maus und nach ihrer
Gewohnheit webten sie den Faden ihrer Rede nach ihrem Charakter und
nach ihren Wünschen und schmeichelten ihr. Sie erkundigten sich
andauernd nach ihrem Befinden und waren in ihrem Lob, Preis, Dank und
Gebet übermäßig, und sie prahlte unverständig und verschwendete ihr
Vermögen in der Meinung, daß das Korn der Scheune nie abnehmen werde
und die Getreidekörner immer wie Sand aus diesem Loche herunterfallen
würden. Jeden Tag gab sie ihren Genossen eine Menge davon. Nie dachte
sie daran, von dem Heute auch etwas für das Morgen aufzuheben.

In dieser Zeit, als sie so im Winkel der Abgeschiedenheit sich dem
Wohlleben hingaben, hatte die kalte Hand des Hungers und der Not die
Menschen unglücklich gemacht. Überall verlangten sie Brot und legten
ihr Leben auf die Wagschale, aber niemand nahm es als Gewicht an, für
ein Stück Brot wollten sie ihren Haushalt verkaufen, aber niemand war
Käufer dafür.

Die Maus, stolz und glücklich in dem Gedanken großen Reichtums, wußte
nichts davon, daß das Korn teuer geworden und die Hungersnot sehr groß
war. Als dieser Zustand nun einige Zeit dauerte, ging dem Landmann die
Sache ans Leben und das Messer bis an die Knochen, so daß er wohl oder
übel den Speicher öffnen mußte. Da sah er, daß das Korn durch Betrug
weniger geworden war. Er seufzte tief auf, bedauerte seinen Verlust und
sagte zu sich: „Trauer über diejenigen Sachen, die wiederzuerlangen
außerhalb der Möglichkeit ist, gehört sich nicht für verständige Leute.
Das beste ist es nun, daß die Überbleibsel des Getreides gesammelt und
anderswohin gebracht werden.“ Er widmete sich also der Arbeit, das
übrig gebliebene wenige Getreide herauszuholen.

Nun war die Maus, die sich für den Hausherrn und Meister dieses Platzes
hielt, vom Weine des Schlafes trunken, und auch die anderen Mäuse
hatten bei dem Lärm nicht den Laut der Fußtritte, überhaupt nichts vom
Kommen und Gehen des Landmannes gehört. Unter ihnen war aber eine kluge
Maus, die die Sachlage begriff und, um sie festzustellen, auf das Dach
stieg, aus einer Fensterecke schaute und sah, wie es mit der Scheune
stand. Sofort stieg sie vom Dach, erzählte die ganze Geschichte ihren
Freunden und entfloh durch das Loch. Als die andern dies sahen,
zerstreuten sie sich, der eine hierin, der andere dorthin, und ließen
ihren Wohltäter allein.

Als die törichte Maus sich am nächsten Tage von ihrem Lager der Ruhe
erhob und aus dem Schlafe der Sorglosigkeit aufwachte, sah sie, daß
weder Freund noch Feind da war. Soviel sie sich auch rechts und links
umschaute, nichts war zu sehen, soviel sie auch suchte, sie konnte sie
nicht finden. Vor Furcht und Einsamkeit ängstigte sie sich und fing
laut an zu wehklagen:


    Die Freunde, die ich hatte, wo sind sie geblieben?
    Was ist gescheh’n, was hat sie von mir weggetrieben?


Um die Sache aufzuklären, kroch sie aus einer Ecke des Nestes heraus,
da sah sie, daß in der Welt eine solche Hungersnot herrschte, daß das
Wort Brot wie Wasser von den Lippen floß. In ihrer Aufregung kehrte sie
eiligst wieder in ihr Haus zurück. Dann dachte sie, dafür zu sorgen,
ihre Vorräte aufzusparen. Sie fand aber in ihrem Hause kein Korn mehr
vor. Als sie dann aus dem Loche in die Scheune kletterte, fand sie auch
dort, trotz allen Suchens, kein Weizenkorn. Da brach ihre Kraft
zusammen. Sie zerriß mit der Hand des Unglücks den Kragen der Geduld
[42] und schlug ihren törichten Kopf so stark auf den steinigen Grund,
daß das Gehirn herausspritzte, und stürzte sich mit unheilvollem Tode
in den Abgrund des Untergangs.



42. DER TISCHLER UND DER AFFE


Ein Tischler saß auf einem Stück Holz und zersägte es. Er hatte zwei
Keile. Den einen klemmte er in die Spalte, damit der Weg für die Säge
leichter sein sollte, und wenn eine bestimmte Grenze überschritten war,
schlug er den zweiten Keil ein und nahm den ersten heraus. In dieser
Weise arbeitete er. Ein Affe sah der Arbeit des Tischlers und der
Bewegung der Säge zu. Plötzlich mußte der Tischler während der Arbeit
etwas anderes tun und ging weg. Als der Affe den Platz des Tischlers
leer sah, kam er sogleich herbei, stieg auf das Holz und setzte sich
darauf. Irgendwie kamen seine Hoden auf der Seite, wo gesägt war, in
den Spalt, und er zog den Keil, ohne vorher einen andern einzuschlagen,
heraus. Als der Keil herausgezogen war, schlugen die beiden Seiten
zusammen und die Hoden des armen Affen wurden in dem Holze eingeklemmt.
Der Affe schrie laut vor Schmerz und sagte: „Es ist gut, daß jeder in
der Welt nur seine Arbeit macht, und der, der seine Arbeit nicht tut,
der macht Gutes schlecht. Meine Arbeit ist es, Früchte zu pflücken. Was
ging mich das Sägen an? Während es mein Beruf ist, mich im Walde
umzuschauen, wozu mußte ich mich mit Säge und Beil abgeben? Wer sich so
benimmt, dem passiert das.“

Als der Affe sich selbst so tadelte, kam der Tischler. Als er ihn in
dieser Lage sah, sagte er: „So geht es dem, der tut, was er nicht
gelernt hat“ und ließ es nicht an reichlicher Strafe fehlen.



43. DER FUCHS UND DIE TROMMEL


Ein Fuchs streifte in einem Walde umher. Von der Macht des Hungers
getrieben suchte er überall in Gedanken nach Nahrung. Er kam gerade in
die Nähe eines Baumes, an den man eine Trommel gehängt hatte. Bei jedem
Windstoße wurde ein Zweig des Baumes in Bewegung gesetzt, der auf die
Trommel schlug, wodurch ein schrecklicher Laut ertönte. Der Fuchs sah
einen Hahn, der auf dem Kopf einen Kamm wie eine Kaiserkrone trug, ein
Gefieder wie ein Pfau hatte und stolz und majestätisch auf einer Wiese
einherstolzierte.

Der Fuchs verbarg sich in einem Winkel im Hinterhalte und wartete auf
den Augenblick, wo er ihn erbeuten konnte. Da schlug plötzlich der Ton
der Trommel an sein Ohr. Der Fuchs schaute hin und sah einen
merkwürdigen Körper, von dem ein schrecklicher Ton ausging. Seine
Freßbegier regte ihn auf und gab ihm den Gedanken ein, daß das Fleisch
und Fett dieses Gegenstandes seiner Stimme gleich sein müßten. Sogleich
verließ er das Versteck, wo er auf den Hahn lauerte, und ging auf den
Baum zu. Als der Hahn dies merkte, brachte er sich in Sicherheit. Der
Fuchs erstieg mit vieler Anstrengung den Baum und zerriß mit gierigem
Zahn die Trommel, aber er fand sie innen leer und außen trockenes Holz
und Fell. Das Feuer der Gier verbrannte sein Herz und das Wasser der
Reue floß ihm in Strömen aus den Augen, und er sagte: „Schade, daß ich
mich durch diese inhaltslose Form habe täuschen und mich durch diesen
trügerischen Gedanken von meiner anständigen Beute habe abbringen
lassen.“



44. DER REIHER UND DER KREBS


Ein Reiher hatte sich am Rande eines Baches niedergelassen und hatte
all sein Bemühen auf den Fang von Fischen gerichtet. Jeden Tag fing er,
soviel er brauchte, und brachte so sein Leben in Behaglichkeit zu. Als
die Zeit des Alters kam, ließ seine Kraft nach. Infolgedessen wurde er
schwach, und seine Körperkräfte wurden von Tag zu Tag geringer. Die
Jagd auf Fische unterblieb und, gefangen von Kummer und Gram, tadelte
er sich und sagte: „Wehe, daß des Lebens Jahre wie eine Karawane
entschwinden, von der man nicht einmal den Staub mehr sieht! Weh, daß
ich mein Leben wie ein Spielzeug betrachtet und seinen Wert nicht
erkannt habe. Ich habe mir für das Alter keine dauernden Vorräte
gesammelt. Jetzt ist meine Kraft gebrochen und mir die Erwerbung von
Unterhalt nicht mehr möglich. So ist es das Beste, daß ich das Gebäude
meines Tuns auf List und Trug gründe, das Netz des Betrugs und der
Heuchelei auswerfe und im Hause der Schlauheit und Täuschung wohne.
Vielleicht kann ich auf diese Art meinen Lebensunterhalt haben.“

Er ließ sich also mit traurigem Jammern und heftigem Weinen, wie die
Bekümmerten und Sorgenvollen tun, am Rande des Baches nieder. Da sah
ihn gerade ein Krebs von weitem, kam zu ihm, redete ihn freundlich an
und sagte: „Freund, ich sehe dich sehr bekümmert. Was ist die
Veranlassung? Ich sehe dein Gesicht mit dem Staube der Traurigkeit und
des Ärgers bedeckt, was ist der Grund?“ Der alte Reiher antwortete:
„Wie sollte ich nicht traurig sein? Warum sollte ich nicht mit der Hand
der Sorge meinen Kragen zerreißen? Du weißt ja, daß mein ganzer
Lebensunterhalt auf diesen Bach beschränkt war. Jeden Tag fing ich mir
einige Fische, die mir als Nahrung genügten. Die Fische hatten auch
nicht übermäßig Schaden davon, und ich konnte ruhig und zufrieden
leben. Heute gingen zwei Fischer am Ufer dieses Baches und erzählten
sich, daß in diesem Wasser unendlich viel Fische seien, die sie fangen
wollten. Der andere sagte: ‚In dem und dem Teiche sind noch viel mehr,
wollen erst die erledigen und uns dann zu diesem wenden.‘ Bei diesen
Verhältnissen muß ich auf die Süßigkeit des Lebens verzichten und mich
mit dem Gifte des Todes begnügen.“

Als der Krebs dies hörte, ging er schleunigst zu den Fischen und
erzählte es ihnen. Die Fische wurden von dieser schrecklichen Nachricht
ganz aufgeregt und zitterten wie ein Weidenblatt. Schließlich einigten
sie sich, gingen mit dem Krebs zum Reiher und sagten: „Dieser unser
Freund hat uns von dir eine traurige Nachricht gebracht, durch die
unser Verstand aus Rand und Band gekommen ist. Je mehr wir die Sache
betrachten, um so mehr schwanken wir hin und her wie die Kompaßnadel.
Wir sind nun zu dir gekommen, um uns mit dir zu beraten, denn es heißt
ja: ‚Derjenige, der um Rat gefragt wird, ist zuverlässig.‘ Der
Verständige darf, selbst wenn er ein Feind ist, wenn man sich an seinen
Rat und gesundes Urteil wendet, nicht mit seinem Rate zurückhalten,
besonders in dieser Sache, mit der auch sein eigener Nutzen verbunden
ist. Denn du selbst hast ja zugegeben, daß der Bestand deines Lebens an
die Dauer unseres Daseins gebunden ist. Was hältst du also für richtig
in dieser unserer Angelegenheit, und was kannst du uns für unsere
Rettung raten?“ Der Reiher erwiderte: „Ja, ich habe diese Nachricht aus
dem Munde der Fischer selbst gehört. Dagegen nützt nun kein Widerstand.
Ich habe viel über die Lösung des Knotens nachgedacht. Das Beste, was
mir eingefallen ist, ist folgendes: In dieser Gegend ist ein großer
Teich, blank wie ein Spiegel, und an Reinheit wetteifert er mit dem
Sonnenlicht. Infolge seiner Klarheit kann jedes Sandkorn auf seinem
Grunde gezählt werden und jedes in ihm gesehen werden. Trotzdem hat die
Einbildungskraft noch nicht bis zu seinem Grunde tauchen und der
Verstand noch nicht von einem Ufer zum andern schwimmen können; noch
ist die Angelrute eines Fischers je zu jenem Teiche gekommen. Die
Fische dort kennen keine andere Fessel als die Kette des Wassers. Wenn
ihr dorthin umziehen könntet, würdet ihr den Rest des Lebens in Ruhe,
Sicherheit und Freude verleben.“ Sie antworteten: „Dieser Plan ist wohl
das Beste, aber ohne deine Hilfe ist der Umzug nicht auszuführen.“ Der
Reiher entgegnete: „Soweit ich vermag, soll es euch daran nicht fehlen.
Aber die Zeit drängt. Ich fürchte, daß die Fischer unvermutet kommen,
und daß dann die Gelegenheit versperrt ist und mein Plan nicht mehr
nutzt.“ Die Fische baten ihn demütig unter vielen Tränen. Schließlich,
nach vielem Bitten kam es zu einem Vertrage, daß der Reiher jeden Tag
kommen sollte und von den Fischen, soviel er tragen könne, in jenen
Teich hinüberbringe.

Der Reiher kam also jeden Tag und nahm von den Fischen, soviel er
wollte. In dieser Gegend war ein Wald, dorthin trug er sie und bewahrte
sie sich als Vorrat auf. Wenn er dann zurückkehrte, sah er, daß die
andern am Rande des Teiches standen, in Aufregung warteten und jeder
sich beeilte, vor dem andern hinübergetragen zu werden. Die Weisheit
betrachtete ihre Dummheit und ihren Leichtsinn und nahm sich ein
Beispiel daran, und die Zeit weinte aus hundert Augen über ihr Unglück.
Jeder, der dem Feinde glaubt und den Listen und Betrügereien eines
gemeinen und schlechten Menschen vertraut, wird so bestraft.

Als so einige Tage vergangen waren, befiel auch den Krebs die Sehnsucht
und das Verlangen, den Teich kennen zu lernen, und er wollte möglichst
schnell übersiedeln. Er bat also den Reiher darum. Dieser überlegte,
daß dies sein schlimmster Feind sei, und daß es das Beste sei, ihn zu
seinen Freunden zu bringen. Er ging also an den Rand des Wassers, nahm
den Krebs an seinem Hals und brach mit ihm nach dem Ruheplatze der
Fische auf. Als der Krebs aus der Ferne die Gräten der Fische sah,
ahnte er, wie die Sache stehe und sagte überlegend zu sich: „Der
Verständige, der, wenn ein Feind ihn töten will, ihm nicht Widerstand
leistet zu der Zeit, da er in der Lage dazu ist, beschleunigt seinen
Tod und begeht Selbstmord und, wenn er sein Geschick erfüllt, hat er
zwei Möglichkeiten, entweder hat er Erfolg, dann gräbt er seinen Namen
in Marmor, und sein Mut steht in den Blättern der Geschichte, oder er
unterliegt, dann ist er entschuldigt, und Mangel an Mut und Tapferkeit
kann ihm nicht vorgeworfen werden.“ Der Krebs legte sich also wie ein
Ring um den Hals des Reihers und drückte ihm fest die Kehle zu. Da der
Reiher alt und schwach war, so verlor er schon bei dem geringen Drucke
die Kräfte, und das Leben entwich aus seinem Körper. Der Krebs verließ
den Hals des Reihers, kehrte um und erzählte den Fischen die ganze
Geschichte, indem er das Beileid für die toten Freunde mit dem
Glückwunsch für die lebenden vereinte. Als die Fische die Kunde
vernahmen, wurden sie erfreut und glücklich und sahen den Tod des
Reihers für sich als ein neues endloses Leben an.



45. DER WOLF, DER HASE UND DER FUCHS


Ein hungriger Wolf durchstreifte eine Steppe und suchte nach Nahrung.
Plötzlich sah er einen Hasen in tiefem Schlafe in einem Gebüsch liegen.
Der Wolf sah ihn als gute Beute an und ging leise an ihn heran. Der
Hase fuhr bei seinem Schnauben und bei seinem Tritte auf und wollte
entfliehen. Der Wolf kam ihm entgegen und sagte: „Komm, komm, ich kann
ohne dich nicht leben; lauf nicht weg, lauf nicht weg, denn die
Trennung würde mich töten.“ Der Hase war aus Furcht vor dem Wolf ganz
erschreckt, fing an, ihn demütig zu bitten und sagte unterwürfig: „Ich
weiß, daß das Feuer des Hungers des Königs der Tiere brennend und die
Glut der Leidenschaft schrecklich ist. Aber ich bin mit meinem
schwachen, elenden Körper nur ein Bissen für ihn. Wie sollte der als
Nahrung ausreichen, und wie sollte sein Hunger dadurch gestillt werden.
Aber in dieser Gegend ist ein Fuchs, der infolge seines Fettes nicht
mehr laufen mag und infolge seines vielen Fleisches sich nicht mehr
bewegen mag. Ich vermute, daß sein Fleisch an Feinheit des Geschmackes
mit dem Lebenswasser wetteifert und sein Fett dem süßesten Scherbet
gleichkommt. Wenn also der Herr geruhen und die Mühe auf sich nehmen
wollte, dessen abgeschiedenes Heim mit seinem Besuche zu beehren, so
werde ich den Fuchs mit den Schlingen der List fangen und vor meinen
Herrn bringen. Wenn er dann mit diesem Bissen zufrieden ist, so ist es
gut, wenn nicht, so bin ich da und warte auf meinen Tod.“

Der Wolf ließ sich durch den Hasen täuschen und durch seine List
verführen und ging zu der Höhle des Fuchses. Dieser war so schlau, daß
er in der Betrügerei selbst den Teufel lehren konnte und in der List
alle Einbildung übertraf. Der Hase hatte einen alten Streit mit dem
Fuchs. Da es sich nun so traf, wollte er die Gelegenheit benutzen und
sich an ihm rächen. Als sie zum Hause des Fuchses gekommen waren, ließ
er den Wolf draußen und trat selbst durch das Loch ein. Er begrüßte
ihn, und der Fuchs empfing ihn mit aller Ehrerbietung. Der Hase sagte:
„Wie lange ist es her, daß ich dich besuchen wollte, aber die Ungunst
der Zeiten hat mir dieses Glück nicht gegönnt. Jetzt ist nun ein
frommer Mann nach seinen gesegneten Fahrten in diese Gegend gekommen.
Er hat von deiner Frömmigkeit gehört und hat mich als Mittelsperson
benutzt ihn bei dir einzuführen. Wenn du es erlaubst, so ist es gut;
wenn irgendein Hindernis vorliegt, kann er zu anderer Zeit kommen.“ Der
kluge Fuchs sah unter dieser Rede die List und erkannte auf dem Spiegel
dieser Worte das Abbild des Betruges und sagte zu sich: „Das Beste ist
es, in dieser Sache ebenso zu verfahren wie sie und ihren Gifttrank
ihnen selbst zu trinken zu geben.“ Er begann daher mit Schmeicheleien
und Begrüßungsworten und sagte: „Ich stehe immer den Reisenden zu
Dienst und halte meine Tür für sie geöffnet, damit ich durch sie
gesegnet werde. Besonders gegen einen so frommen Mann, wie du ihn
beschreibst, und einen so heiligen Scheich, wie du ihn darstellst,
lasse ich es nie an Gastfreundschaft fehlen. Aber ich hoffe, du wirst
diesen Heiligen benachrichtigen, daß er so lange warten möge, bis ich
meine Wohnung ausgefegt und einen Teppich, für den Gast passend,
ausgebreitet habe.“

Der Hase dachte, daß seine List bei dem Fuchse Erfolg gehabt habe, und
daß dieser bald mit dem Wolfe sprechen würde, und antwortete: „Der
Ankömmling ist ein fremder Mann und legt keinen Wert auf
Äußerlichkeiten, aber wenn du nicht davon lassen willst, so will ich
dich nicht hindern.“ Mit diesen Worten ging er hinaus und berichtete
dem Wolf genau die Angelegenheit und brachte die frohe Nachricht, daß
der Fuchs sich habe täuschen lassen, und nach dem Satze: „Jede
Neuigkeit bereitet Vergnügen“ schilderte er von neuem das Fleisch und
das Fett des Fuchses sowie seine Zartheit und Feinheit. Dem Wolfe lief
das Wasser im Munde zusammen, und der Hase hoffte, durch diesen Dienst
sich das Leben gerettet zu haben.

Der Fuchs hatte aber schon früher in kluger Vorsicht in seinem Bau eine
tiefe Grube gegraben, die Erde hinausgebracht und die Öffnung mit
Reisig zugedeckt. Außerdem hatte er sich einen geheimen Ausweg gemacht,
auf dem er zur Zeit der Not entfliehen konnte. Als nun der Hase
hinausgegangen war, ging er zur Grube und ordnete das Reisig so, daß es
auch bei der kleinsten Berührung nachgeben mußte. Dann rief er von dem
geheimen Gang aus: „Bitte, geehrte Gäste, betretet mein niedriges
Haus!“ Sofort bei ihrem Eintritt entwischte er durch das Loch. Der Hase
in höchster Freude, der Wolf voll Hunger betraten in größter Eile die
dunkle Wohnung und, sobald sie das Reisig betraten, befanden sie sich
in der Grube. Der Wolf dachte, daß der Hase ihm einen Streich gespielt
habe, zerriß den Armen sofort in Stücke und ging weg.



46. DER LÖWE UND DER HASE


In der Umgegend von Bagdad war eine Wiese, deren Erde wie Ambra duftete
und deren sanfte Lüfte den Geist erquickten wie die klare Luft des
Keyserbrunnens im Paradiese. Vom Reflex der Lichter und Blumen war das
Firmament geblendet, die Zahl seiner Brunnen und Flüsse war ohne Ende,
und auf jedem Zweige im Garten leuchteten tausend Sterne, über deren
Anblick der Himmel schwindelig wurde.

Auf dieser Wiese hatten sich viele wilde Tiere wegen ihrer lieblichen
Luft und ihres Reichtums an Wasser und Nahrung niedergelassen.

Hier lebte ein blutgieriger Löwe, der immer seinen unheilvollen Anblick
diesen Armen zeigte und ihnen das Leben verbitterte. Jeden Tag
erbeutete er sich ein paar von ihnen. Eines Tages kamen sie überein und
gingen zu dem Löwen und sagten in aller Demut und Unterwürfigkeit: „Wir
sind die Diener des Königs der Tiere. Wir sind jeden Tag in Aufregung,
ob du wohl einen von uns erbeutest oder nicht, und du bist auch durch
die Verfolgung belästigt. Wir sind also aus Rücksicht auf deine
Bequemlichkeit und auf unsere Ruhe und Sicherheit auf den Gedanken
gekommen, dir, wenn du uns weiter nicht verfolgst, jeden Tag zur
Mahlzeit in deine Küche eine Beute zu schicken. Wir werden diese
Verpflichtung gewissenhaft ausführen.“ Der Löwe war damit
einverstanden.

Sie kamen also überein, daß jeden Tag das Los geworfen werde und daß
der, den es träfe, in die Küche des Löwen geschickt werde. So verging
einige Zeit. Eines Tages fiel das Los auf den Hasen. Dieser sagte nach
einigem Nachdenken: „Wenn ihr mit meiner Absendung etwas warten wollt,
so denke ich, daß ich wahrscheinlich euch alle von der gewaltigen Faust
dieses Tyrannen befreien kann.“ Die Tiere waren alle damit
einverstanden. Der Hase wartete so lange, bis die Stunde des Frühstücks
vorüber war. Der Zorn des Löwen wurde durch den Hunger aufs äußerste
erregt, bald stand er auf, bald setzte er sich hin und schlug die Zähne
aufeinander. Sein Gebrüll drang bis zum Himmel. Da näherte sich der
Hase leise dem Löwen. Dieser war sehr aufgeregt, schlug vor Zorn den
Boden mit seinem Schweife und wollte den Vertrag lösen.

Der Hase kam leise näher und grüßte mit aller Unterwürfigkeit. Der Löwe
sagte: „Woher kommst du und was weißt du von den Tieren?“ Der Hase
erwiderte: „Nach unserm alten Vertrage schickten sie mit mir einen
Hasen in die königliche Küche. Während ich mit ihm unterwegs war, kam
zufällig in dem und dem Walde ein wilder Löwe uns entgegen und nahm ihn
mir aus der Hand. Wie sehr ich auch rief: ‚Dieser Hase ist die Nahrung
des Königs der Tiere‘, er hörte gar nicht zu und kümmerte sich nicht um
mich. Er gebrauchte Schimpfworte gegen mich und sagte: ‚Weißt du nicht,
daß dieser Wald mein Jagdplatz ist und die Beute nur mir zukommt?‘ Er
gebrauchte solche Worte und schmähte auch den König, daß ich erschreckt
war. Schließlich lief ich weg und kam in Eile hierher, damit ich den
Fall deiner hohen Einsicht unterbreite.“

Als der Löwe dies hörte, sagte er im höchsten Zorne: „Hase, kannst du
ihn mir zeigen, damit du siehst, wie ich dir zu deinem Rechte verhelfe
und mich räche?“ Der Hase antwortete: „Wie sollte ich das nicht
können?“ und ging voraus. Der einfältige Löwe ließ sich von dem Hasen
täuschen und folgte ihm. Der Hase führte den Löwen an den Rand eines
tiefen Brunnens, dessen Wasser infolge seiner Klarheit die
Spiegelbilder klar wie ein chinesischer Spiegel zeigte und die
Hineinschauenden deutlich und ohne Fehler wiedergab. Dann sagte er:
„König, dein Feind ist in diesem Brunnen. Ich fürchte mich vor ihm.
Wenn der König mich zu sich nimmt, will ich ihm den Feind zeigen.“ Der
Löwe nahm den Hasen in seinen Arm und schaute in den Brunnen. Als er
sich und den Hasen im Wasser sah, dachte er, es wäre der böse Löwe und
der Hase, der ihm selbst geschickt war. Sofort ließ er den Hasen los,
stürzte sich in den Brunnen, versank und übergab seine Seele den
Wärtern des Höllenfeuers. Der Hase kehrte wohlbehalten heim und
erzählte den Tieren die Geschichte.



47. DIE SCHILDKRÖTE UND DER SKORPION


Eine Schildkröte und ein Skorpion hielten Freundschaft miteinander.
Immer sprachen sie in Liebe und Eintracht, Aufrichtigkeit und
Anhänglichkeit. Einst mußten sie notgedrungen ihre Heimat verlassen.
Sie wanderten in Kameradschaft und Einmütigkeit an einen anderen
sicheren Platz. Durch Gottes Fügung kam ihr Weg an einen großen Fluß,
und sie planten ihn zu durchschreiten. Der Skorpion hatte Besorgnis,
den Fluß zu überschreiten und war in Verlegenheit. Die Schildkröte
sagte: „Lieber Freund, was ist die Veranlassung, daß du das Schiff des
Nachdenkens auf den Fluß der Verlegenheit gesetzt hast, und was ist der
Grund, daß du in das Meer der Sorge und des Kummers untergesunken
bist?“ Der Skorpion erwiderte: „Bruder, der Gedanke, diesen Fluß zu
überschreiten, hat mich in den Strudel der Aufregung geworfen. Es ist
mir unmöglich, den Fluß zu überschreiten, noch kann ich die Glut des
Feuers der Trennung (von dir) aushalten.“ Die Schildkröte sagte: „Sei
nicht traurig, ich werde dich ohne weitere Unbequemlichkeiten auf
meinem Rücken über dies Wasser bringen, meine Brust zum Ziele für den
Pfeil deines Kummers machen und dich so aus dem Strudel ans Ufer
bringen, denn man sagt: ‚Es ist schade, einen Freund, den man mit Mühe
gewonnen hat, durch Leichtsinn zu verlieren.‘“ Die Schildkröte nahm den
Skorpion auf ihren Rücken, ließ sich wie ein Schiff ins Wasser und
machte sich auf den Weg. Während sie im Wasser schwamm, kam plötzlich
ein unangenehmes Geräusch ihr zu Ohren, und sie merkte ein Kratzen und
Picken auf ihrem Rücken durch die Bewegung des Skorpions. Sie fragte:
„Bruder, was ist das für ein Geräusch, das ich höre, und womit
beschäftigst du dich?“ Der Skorpion antwortete: „Bruder, ich erprobe
die Spitze meines Stachels an der Rüstung deines Körpers.“ Die
Schildkröte sagte voller Zorn: „Wie unfreundlich von dir. Ich habe mich
deinetwegen dem Strudel entgegengestellt und mein liebes Leben und
meinen schwachen Körper der Gefahr des Ertrinkens ausgesetzt. Während
ich jetzt die Arbeit habe, sitzt du dort in Ruhe und überschreitest auf
meinem Körper wie in einem Schiffe das Wasser. Wenn du dich nicht zu
Dank verpflichtet fühlst und unsere alte Freundschaft so gering
achtest, was soll denn dies Stechen, zumal doch klar ist, daß du mir
damit keinen Schaden zufügst und dein Stachel durch meine dicke Haut
nicht durchdringt.“ Der Skorpion antwortete: „Gott soll mich bewahren,
daß mir derartige Gedanken je in meinem Leben gekommen sind. Diese
Bewegung liegt nur in meiner Natur. Ich muß stechen und da ist es mir
einerlei, ob es der Rücken des Freundes oder die Brust des Feindes
ist.“ Die Schildkröte wunderte sich darüber, versank in Nachdenken und
sagte zu sich: „Die Weisen haben mit Recht gesagt, daß Edelmut einem
gemeinen und schlechten Menschen gegenüber dasselbe sei wie Disteln in
der Schleppe und Schlangen im Kragen zu hegen.“



48. DER FALKE UND DER HAHN


Ein schneller Falke stritt sich einst mit einem lautkrähenden Hahn: „Du
bist ein Vogel, der äußerlich zwar sanft, von Natur aber wild ist,
freundlich erscheint, aber Feindschaft nährt. Warum habt ihr im Herzen
keine Zuverlässigkeit und Treue. Was ihr tut, ist nur Unaufrichtigkeit
und Undankbarkeit.“ Der Hahn antwortete: „Was für Treulosigkeit und
Undankbarkeit hast du an uns gesehen?“ Der Falke sagte: „Gibt es wohl
größeren Undank? Die Menschen sind zu euch so freundlich und bereiten
euch euer Essen, daß ihr, ohne euch abzumühen, euer Leben lang
ausreichend habt, sie kümmern sich immer mit derselben Sorgfalt um euch
und beschützen euch, so daß ihr unter ihrem Schutz ruhig leben könnt.
Wenn sie euch aber rufen, so flieht ihr und fliegt von Dach zu Dach.
Wir Falken, die wir doch wilde Tiere sind, sind, wenn wir nur einige
Tage mit den Menschen zusammen sind, dankbar und bringen ihnen die
Beute, die wir gemacht haben, und wenn wir sehr weit von ihnen sind,
fliegen wir auf einen Ton zu ihnen zurück.“ Der Hahn antwortete: „Du
hast recht, aber euer Gehorsam und unser Ungehorsam kommt daher, daß
ihr noch nie einen von euch in der Pfanne habt braten gesehen. Wir aber
haben unsere Artgenossen am Roste braten gesehen. Wenn ihr das gesehen
hättet, würdet auch ihr die Menschen meiden und, wenn wir von Dach zu
Dach flüchten, würdet ihr von Berg zu Berg flüchten.“



49. DER JÄGER, DER FUCHS UND DER LEOPARD


Eines Tages streifte ein Jäger durch die Steppe und sah einen flinken
Fuchs in schnellem Lauf die Ebene durcheilen. Da er in seinen Pelz
verliebt war, so trieb ihn seine Leidenschaft an, den Fuchs zu
verfolgen. Er kannte das Fuchsloch, grub darum einen Graben, deckte ihn
mit Reisig zu, legte darauf ein Aas und verbarg sich im Hinterhalt, um
abzuwarten, bis der Fuchs sich fangen würde. Zufällig kam der Fuchs aus
dem Loch und wurde durch den Geruch des Aases, er mochte wollen oder
nicht, an den Rand des Grabens gelockt. Als er das Aas auf dem Reisig
liegen sah, da erkannte er die List und sagte zu sich: „Der Duft dieses
Aases ist zwar sehr lieblich, aber das Leben ist auch etwas Schönes.
Ein Weiser mischt sich nicht in eine Sache, die Gefahr in sich
schließt, und ein Kluger läßt sich nicht in eine Angelegenheit ein, die
die Möglichkeit des Schadens in sich birgt. Wenn es auch möglich ist,
daß auf diesem Reisig ein Tier liegt, so ist es auch möglich, daß
darunter eine Falle oder ein Mensch verborgen ist. Jedenfalls ist
Vorsicht angebracht.“

Der Fuchs verzichtete in diesem Gedanken auf das Aas und wählte den
sicheren Weg. Währenddessen kam ein hungriger Panther, getrieben von
seiner Freßbegier, von einem hohen Berge herab. Der Geruch des Aases
lockte ihn in diese Grube.

Als der Jäger das Geräusch der Falle hörte und die Bewegung eines
Tieres merkte, glaubte er, es sei der Fuchs, und sprang gierig und ohne
Überlegung in die Grube. Der Leopard, der dachte, daß er ihn an dem
Genuß des Aases hindern wollte, sprang auf ihn zu und zerriß ihn in
lauter Stücke.

Der gierige Jäger wurde in der Schlinge des Todes gefangen, der
genügsame Fuchs entrann seinem Unheil dank seiner Genügsamkeit.



50. DIE ENTEN UND DIE SCHILDKRÖTE


In einem Bache, der wie ein Spiegel leuchtete und an Lieblichkeit und
Süße mit der Quelle des Lebenswassers und mit dem Paradiesesbrunnen
Selsebil wetteiferte, lebten zwei Enten und eine Schildkröte. Infolge
ihrer Nachbarschaft war unter ihnen die engste Freundschaft entstanden.
Plötzlich drohte das grimme Geschick, ihr Zusammensein zu trennen. In
dem Teiche, in dem sie ihren Lebensunterhalt fanden, machte sich von
Tag zu Tag eine Abnahme des Wassers bemerkbar.

Als die Enten ihre traurige Lage bemerkten, entschlossen sie sich, ihre
ihnen liebgewordene Heimat zu verlassen und in die Fremde zu ziehen. In
Niedergeschlagenheit gingen sie mit feuchten Augen zu der Schildkröte
und sagten ihr Lebewohl. Als diese von der Abreise der Freunde hörte,
jammerte und wehklagte sie: „Wie sollte ich ohne euch denkbar sein.
Jetzt habe ich kaum die Kraft, euch Lebewohl zu sagen. Wie sollte ich
die Trennung ertragen?“ Die Enten erwiderten: „Auch unser Herz ist von
dem Stachel der Trennung verwundet und unsere Brust brennt von dem
Feuer der Abreise. Aber der Wassermangel droht unser Leben zu
vernichten, so müssen wir notgedrungen in die Ferne ziehen und den
lieben Freund und das paradiesische Land verlassen.“

Die Schildkröte sagte: „Der Wassermangel berührt mich auch, denn ohne
Wasser ist mein Leben verwüstet. Seid so freundlich und achtet die alte
Freundschaft, laßt mich nicht in diesem Unglück allein. Wenn ihr geht,
nehmt mich mit.“ Die Enten erwiderten: „Lieber Freund und alter
Genosse, die Trennung von dir ist für uns die schlimmste Folter und die
böseste Pein. Überall, wo wir in Ruhe und selbst in der größten
Bequemlichkeit wohnen, wird unserem Auge der Glanz und unserer Brust
die Ruhe fehlen, da wir von deinem lieben Anblick getrennt sind. Auch
wir haben weiter kein Verlangen als deine Gesellschaft und weiter
keinen Wunsch als deine Kameradschaft. Aber was sollen wir machen? Denn
wir können nicht mit dir auf der Erde wandern und mit unserem schwachen
Körper und schwachen Füßen Täler und Wüsten durchqueren und du wiederum
kannst nicht die Weiten des Himmels durchfliegen. Wie soll da auf
dieser Reise Begleitung und Genossenschaft zwischen uns möglich sein?“

Die Schildkröte sagte: „Das überlasse ich wieder eurer Einsicht, und
die Lösung dieser Schwierigkeit hängt von eurem Scharfsinn ab. Was
könnte ich mit meinem schwachen Geist, der durch den Abschiedsschmerz
krank und durch die Trennung von den Freunden ganz gebrochen ist,
herausfinden?“ Die Enten erwiderten: „Lieber Freund, wir haben schon an
eine Möglichkeit gedacht, aber da wir wissen, daß du etwas leichtsinnig
bist, so kannst du wahrscheinlich nicht so, wie wir denken, handeln.“
Die Schildkröte sagte: „Wäre es möglich, daß ich, während ihr zu meinem
Besten einen Plan ausdenkt, mein Versprechen nicht halten sollte,
obgleich es zu meinem Nutzen ist?“ Die Enten sagten: „Wir können dich
unter der Bedingung durch den weiten Himmelsraum tragen, daß du weder
Hand noch Fuß rührst und kein Wort sprichst. Denn es werden uns Leute
begegnen, die uns irgendein Wort zurufen oder sich sonst irgendwie
bemerklich machen. Da ist es nötig, daß du, magst du auch hören und
sehen, was du willst, deinen Mund fest unter Siegel hältst.“ Die
Schildkröte sagte: „Ich tue, wie ihr befehlt.“

Die Enten brachten einen Stock und steckten die Mitte davon der
Schildkröte in das Maul. Sie faßten an beiden Enden an und hoben ihn
hoch. Als sie so flogen, kamen sie über ein Dorf. Alle Leute, jung und
alt, groß und klein, sahen dies Ereignis und verließen, um es sich
genauer anzusehen, die Häuser, wunderten sich und riefen von allen
Seiten: „Die Enten tragen eine Schildkröte.“ Eine Zeitlang war die
Schildkröte ruhig, dann konnte sie es nicht mehr aushalten und
antwortete auf das Gerede der Leute: „ja.“ Sobald sie zur Antwort den
Mund geöffnet hatte, fiel sie vom Himmel zur Erde.

Die Enten sagten tadelnd: „Du Unverständiger, du Leichtsinniger, vom
Boten verlangt man nur, daß er seine Botschaft überbringt, von den
Freunden, daß sie raten, und von den Verständigen, daß sie zuhören und
demgemäß handeln.“



51. DIE BEIDEN GESCHÄFTSFREUNDE


Es waren einst zwei Geschäftsgenossen, der eine klug, der andere
leichtsinnig. Der eine war in dem Maße schlau und gewandt, daß er durch
seinen Zauber, seine Künste und Listen das Wasser vom Fließen und den
Vogel vom Fliegen abhielt und durch seinen Scharfsinn aus den Blättern
des Heute die Ereignisse des Morgen lesen konnte. Dieser hieß Tizhūsch.
Der andere konnte bei seinen Mängeln und seiner Einfältigkeit nicht
einmal zwischen Gewinn und Verlust entscheiden. Der hieß Hazim. Diese
befiel die Lust zu reisen und Handelsgeschäfte zu treiben und sie
machten sich in Kameradschaft auf den Weg.

Sie zogen von Station zu Station. Unterwegs fanden sie durch Gottes
Fügung einen Beutel mit vollwichtigen Goldstücken. Diesen sahen sie als
einen großen Gewinn und ausreichenden Lebensunterhalt an und machten
Halt. Der kluge Gefährte sagte: „Lieber Freund, es gibt viel Gewinn in
der Welt, der noch nicht nutzbringend verwendet ist. Ich halte es für
das Beste, unsere Reiselust aufzugeben und uns mit diesem Sack Gold zu
begnügen, mit diesem Lebensunterhalt zufrieden zu sein und in Ruhe und
Gesundheit nach Hause zu gehen.“

Sie kehrten also um und rasteten nahe vor der Stadt. Der einfältige
Genosse sagte: „Bruder, wollen diese Beute teilen, wollen unser
gemeinsames Geschäft auflösen und von unserm Anteil leben.“ Der Kluge,
der allerhand listige Pläne schmiedete, antwortete: „Jetzt ist der
Gedanke der Teilung abwegig. Das Richtige ist es, jetzt soviel davon
auszugeben, wie wir brauchen, und den Rest mit größter Vorsicht in
einem Loche zu deponieren. Nach einigen Tagen kommen wir und nehmen uns
so einen bestimmten Teil und verwahren den Rest wieder. So ist es am
wenigsten gefährlich und am sichersten.“ Der törichte Genosse ließ sich
täuschen und nahm das listige Angebot an. Sie nahmen in dieser Weise,
soviel sie brauchten, heraus und vergruben den Rest am Fuße eines
Baumes. Dann gingen sie in die Stadt ein jeder in sein Haus.

Der schlaue Genosse ging zum Baume und nahm den Schatz vollständig in
eigenen Besitz. Der andere, der nichts davon ahnte, war damit
beschäftigt sein Geld auszugeben. Als er damit fertig war, mußte er
notgedrungen zu dem klugen Partner gehen, teilte ihm die Sache mit und
sagte: „Bruder, komm, wollen uns aus dem Schatz für unsere Ausgaben
einen Teil holen. Ich brauche es nötig.“ Tizhūsch stellte sich so, als
ob nichts passiert sei, und sagte: „Ob Not oder nicht, ist einerlei,
komm, wir wollen hingehen.“ Sie gingen an den bekannten Platz und
suchten emsig und eifrig, fanden aber vom Schatz keine Spur. Tizhūsch
wurde zornig, packte Hazim am Kragen und sagte: „Natürlich hast du das
Geld genommen. Kein anderer außer dir wußte darum.“ Wie sehr der Arme
auch jammerte und schwur, es nützte ihm nichts. Kurz, vom Streit kam es
zum Prozeß. Der kluge Partner führte den andern vor den Kadi und
erzählte diesem die Sache. Hazim sagte nur: „Gott soll mich bewahren.“
Der Kadi forderte von Tizhūsch Beweise für die Richtigkeit seiner
Behauptung. Dieser sagte: „Kadi, außer dem Baum, an dessen Fuße das
Gold vergraben wurde, habe ich keinen Zeugen. Ich hoffe, daß der
allmächtige Gott jenem Baume die Macht der Rede geben wird und ihn
gegen den Betrug dieses gemeinen Menschen, der sich den ganzen Schatz
genommen und mich um meinen Anteil gebracht hat, Zeugnis ablegen lassen
wird.“

Der Kadi wunderte sich über diese Worte und nach langem Hin- und
Herreden kam man überein, daß am nächsten Morgen der Kadi persönlich am
Fuße jenes Baumes anwesend sein würde und die Zeugnisabgabe des Baumes
mit ansehen werde. Sollte das Zeugnis für Tizhūsch günstig sein, würde
er dementsprechend das Urteil fällen.

Der kluge Partner ging nach Hause und erzählte seinem Vater die Sache
ganz offen. „Vater, ich vertraue dir. Deswegen habe ich diesen Gedanken
mit dem Zeugnis des Baumes vorgebracht und in der Hoffnung auf deine
Zustimmung habe ich den Setzling dieser List in den Garten des Kadis
gepflanzt. Das Gelingen dieser Sache ist an deine Mitwirkung geknüpft.
Wenn du einverstanden bist, gewinnen wir so viel Geld und noch mehr und
können den Rest unseres Lebens in Behaglichkeit und Zufriedenheit
zubringen.“ Der Vater antwortete: „Was soll ich in dieser Sache tun und
was ist an meine Mitwirkung geknüpft?“ Der Sohn erwiderte: „Der Baum
ist in seinem Innern hohl, und zwar in einem Grade, daß zwei Personen
sich darin verbergen können. Du mußt in dieser Nacht hingehen und dich
im Innern verstecken. Morgen, wenn der Kadi kommt und das Zeugnis vom
Baume fordert, legst du ein ordentliches Zeugnis ab.“ Der Vater sagte:
„Sohn, gib die List und den Betrug auf. Selbst wenn du die Leute
täuschest, wie willst du es mit Gott machen? Und selbst wenn du mit
deinen Betrügereien auf den Richter der Stadt Eindruck machst, wie
willst du den Richter des Weltgerichts täuschen?“ Der Sohn antwortete:
„Vater, rede nicht soviel und mache dir nicht solche Sorgen! Denn die
Sache verursacht nur wenig Mühe und bringt großen Nutzen.“

Schließlich zog die Gier nach Geld und die Liebe zu seiner Familie den
armen Vater von dem Ruheplatz des Glaubens und der Frömmigkeit in die
Wüste der Ungerechtigkeit und des Verbrechens und das Wort des Korans:
„Euer Vermögen und eure Kinder sind eine Versuchung“ erfüllte sich. Er
ließ den Weg des Edelmuts beiseite, rollte den Teppich der
Ritterlichkeit gänzlich zusammen und fand es für passend, eine solche
Sache, die sowohl im göttlichen wie im Gewohnheitsrecht verboten ist,
zu begehen. In jener dunklen Nacht ging der ungerechte Vater zu dem
Baume, und da er sein Inneres hohl fand, versteckte er sich in der
Höhlung. Am Morgen, als der leuchtende Richter, die Sonne, im
Gerichtssaal des Himmels erschien und die Täuschung des Morgengrauens
[43] den Menschen klar wie der Tag wurde, da fanden sich der Kadi und
die übrigen Notabeln der Stadt am Fuße des Baumes ein, und das Volk in
Scharen stand in Reihen und schaute voll Neugier auf den Baum.

Der Kadi redete den Baum an, legte die Klage des Klägers und die
Leugnung des Beklagten dar und fragte um Rat hinsichtlich der
Angelegenheit. Da kam aus dem Innern des Baumes eine Stimme: „Hazim hat
das Geld genommen und dieser Übeltäter hat Tizhūsch unrecht getan.“ Der
Kadi war erstaunt und überlegte ein Zeitlang, dann erkannte er durch
seinen Scharfsinn, daß im Baum jemand verborgen war, den er mit List
herausbringen müsse. Darum befahl er, daß man Holz sammele und rings um
den Baum anzünde. Der habgierige Alte hielt es einige Zeit aus, als er
aber sah, daß es ihm ans Leben gehe und das Messer bis auf die Knochen
ging, da bat er um Gnade. Der Kadi gewährte sie und als der alte Mann
heraus kam, gab er ihm gute Worte und fragte ihn nach der
Angelegenheit. Der halbverbrannte Alte erzählte den ganzen Sachverhalt.
Als der Kadi ihn erfahren hatte, erklärte er Hazim für unschuldig und
setzte den Leuten Hazims Ehrlichkeit und Tizhūschs Betrügerei
auseinander. Währenddessen starb der betrügerische Alte, da er die
Schande nicht ertragen konnte, und brachte die Last seiner Seele aus
dieser vergänglichen Welt in die Ewigkeit und aus der Feuerhitze dieser
Welt in das ewige Höllenfeuer. Der lügnerische Sohn, der schwere Strafe
erfuhr, nahm seinen toten Vater auf die Schulter und brachte ihn in die
Stadt, wo jeder, der ihn sah, die Geschichte vom Vater und Sohn den
Leuten erzählte. Hazim aber erlangte durch seine Ehrlichkeit und
Rechtlichkeit seinen Anteil von dem Gelde und lebte seinen
Angelegenheiten.



52. DER GÄRTNER UND DER BÄR


In alter Zeit lebte ein Gärtner, der sein Leben mit der Pflege seines
Gartens zubrachte. So hatte er einen Garten geschaffen, der dem
Paradiese glich. Da er mit jedem Baum so eng verbunden war, war aus
seinem Herzen jedes Gefühl für Vater, Frau und Sohn entschwunden, und
er brachte in dem Garten lange Zeit Tag und Nacht einsam und verlassen
zu. Schließlich wurde er von der Verlassenheit so bekümmert, daß er in
die Ebene wanderte. Als er am Fuße eines Berges, der sich unendlich wie
die Hoffnung dahinstreckte, spazieren ging, kam ihm durch Gottes Fügung
ein häßlicher, scheußlicher Bär entgegen, der gleichfalls aus Furcht
vor der Einsamkeit von der Höhe des Berges in die Ebene herabgestiegen
war. Sogleich entstand zwischen beiden eine Liebe, und das Herz des
Landmannes war geneigt, mit dem Bären Freundschaft zu pflegen.

Als der Bär diese Anhänglichkeit des Bauern sah, wurde er auch ihm in
Freundschaft zugetan und folgte ihm auf den leisesten Wink in den
paradiesesgleichen Garten, und da der Gärtner gemäß dem Worte „Ehret
eure Gäste“ ihn freundlich behandelte, so wurde dadurch das Band ihrer
Liebe fest, und auf dem Boden ihrer Herzen sproßte das Reis der
Zuneigung.

Jedesmal, wenn der Gärtner müde war und sich im Schatten eines Baumes
ausruhte, stand der Bär liebevoll neben seinem Kopfe und jagte ihm die
Fliegen weg. Eines Tages schlief der Gärtner wieder in gewohnter Weise
und der Bär verscheuchte die Fliegen. So oft er sie auch verjagte,
immer kehrten sie wieder. Schließlich wurde er zornig, nahm einen
schweren Stein und warf ihn, um die Fliegen zu töten, dem armen Bauern
auf den Kopf. Die Fliegen erlitten keinen Schaden davon, aber der
Gärtner starb daran.

Deswegen sagt man: „Ein kluger Feind ist besser als ein dummer Freund.“



53. DER UNWISSENDE ARZT


Es gab einen jeder Erfahrung und jedes Wissens baren Arzt, der trotz
seiner Unwissenheit die Heilkunde ausübte und für sich Geschicklichkeit
in seiner Kunst in Anspruch nahm. Er war so unwissend, daß er nicht
einmal Kopfschmerz von Gicht unterscheiden konnte und in der
Zusammensetzung seiner Mittel heilbringende Arzneien und todbringende
Gifte miteinander verwechselte. In der Stadt, wo er seinen Laden
aufgetan hatte und wie ein Engel des Todes die Saat der Vernichtung
ausstreute, war auch ein verständiger Arzt, der in seiner Kunst
wohlerfahren war und durch seine glücklichen Kuren wie Jesus durch
seinen Atem die Menschen zu neuem Leben erweckte. Aber, wie es so oft
in dieser bösen Welt geht, daß die Klugen von dem Tisch der Güter des
Lebens leer ausgehen und die Untüchtigen sich vollfüllen, so hatte
dieser Mann, der so geschickt wie Galenus und Hippokrates war, kein
Glück, während der Ruf des anderen sich immer mehr ausbreitete.

Der König der Stadt hatte eine Tochter, die an Schönheit wie eine Sonne
strahlte. Diese hatte er seinem Brudersohn verlobt, und die Hochzeit
war jetzt mit königlichem Pompe gefeiert worden. Und aus der
glücklichen Vereinigung dieser beiden Sterne war in der Muschel ihres
Leibes eine prächtige Perle entstanden. Als die Zeit der Geburt nahte,
hatte sich ein Hindernis eingestellt, und man mußte sich an einen Arzt
wenden. Man rief den klugen Arzt in den Palast und als man ihm die
Krankheit beschrieben und ihn gebeten hatte, schnell ein Mittel zu
geben, hatte er auch ein für den kranken Körper passendes Heilmittel
bereit und sagte: „Diese Krankheit kann mit einem Medikament geheilt
werden, das Mahran heißt, nämlich so: Nehmt ein Viertel Dirhem [44]
davon, zerstoßt es und siebt es durch ein Seidentuch, vermischt es mit
etwas Moschus und Aloe, kocht es und gebt es zu trinken, sofort wird
die Krankheit verschwinden und völlige Genesung eintreten. Das
Medikament ist in der königlichen Apotheke vorhanden. Es befindet sich
in einer Flasche von reinem Silber, die mit reinem Golde verschlossen
ist. Ich habe sie aber wegen meiner Kurzsichtigkeit nicht finden
können.“

Nun war auch der unwissende Arzt anwesend und sagte: „Ich kenne dies
Medikament und habe auch Erfahrung in der Mischung und Bereitung.“ Auf
Befehl des Königs ging er in die Apotheke und suchte die beschriebene
Flasche. Da es aber verschiedene derartige Flaschen gab, so konnte er
sie nicht unterscheiden. Er nahm ohne genauere Untersuchung eine davon
heraus. Diese enthielt nun nicht das Mahran, sondern ein tödliches
Gift. Er öffnete sie, vermischte das Gift in der vorgeschriebenen
Weise, stellte die Medizin her und gab sie zu trinken. Als die Kranke
dies bittere Gift getrunken, vergaß sie den Streit dieser Welt und gab
ihr Leben auf.

Als der König dies sah, schickte er aus Schmerz über die Trennung
Seufzer zum Himmel empor und gab den Rest des Trankes dem unwissenden
Arzte, der auch daran starb.



54. DER KAMELREITER UND DIE SCHLANGE


Ein Kamelreiter war auf seiner Reise an einen Ort gekommen, wo eine
Karawane gerastet und ein Feuer angezündet hatte. Nach ihrer Abreise
hatte der Wind das Feuer angefacht und die Funken hatten alles Gestrüpp
und Reisig in der Wüste in Brand gesetzt. Mitten darin lag eine große
Schlange. Die Flammen hatten sie ganz eingeschlossen, daß sie nirgends
hinaus konnte. Wohin sie auch schaute, nirgends sah sie einen Weg der
Rettung und beinahe wäre sie von dem Feuer wie ein Fisch in der Pfanne
gebraten. Als sie den Reiter sah, bat und flehte sie ihn an, sie zu
befreien.

Der Reiter war ein barmherziger Mann. Als er den Hilferuf der Schlange
hörte und ihre Not sah, sagte er zu sich: „Die Schlange ist zwar ein
giftiges Tier und ein böser Feind, aber da sie jetzt in Not ist, wäre
es doch wohl angebracht, Mitleid mit ihr zu haben. Das Beste ist es,
daß ich sie jetzt aus diesem Strudel ziehe und den Samen eines guten
Werkes, der in dieser Welt Glück und in der zukünftigen Segen als
Früchte tragen wird, pflanze.“ Er nahm also den Ledersack, den er bei
sich trug, band ihn an die Spitze seiner Lanze und hielt ihn der
Schlange hin. Die Schlange legte sich hinein und der Reiter, im
Glauben, ein gutes Werk zu tun, zog sie aus dem Feuer heraus. Nachdem
er sie aus dem Sack hatte herauskriechen lassen, richtete er einige
ermahnende Worte an sie und sagte: „Du weißt, aus einer wie großen
Gefahr du befreit bist. So ist es nötig, daß du aus Dankbarkeit über
diese Gnade dich jetzt in einen Winkel zurückziehst und hinfort kein
Unrecht mehr tust, denn wer den Geschöpfen Gottes Übles zufügt, ist in
dieser Welt übelberüchtigt und in der anderen unglücklich und hat
keinen Anspruch auf die Barmherzigkeit Gottes und auf die Liebe der
Menschen.“

Die Schlange antwortete: „Reiter, laß solche Worte. Ich will nicht von
hier gehen, ehe ich dicht nicht gebissen habe.“ Der Reiter erwiderte:
„Was ist das für eine unpassende Rede! Ich habe es nicht an Liebe und
Erbarmen fehlen lassen und dich nicht im Feuer verbrennen lassen. Wenn
ich nicht gewesen wäre, hätte der Strudel des Todes dein Leben
vernichtet und die Feuerflamme dich verbrannt.“ Die Schlange sagte:
„Ja, du hast es nicht an Menschlichkeit fehlen lassen, aber sie war
nicht angebracht und deine Güte hat einen Unwürdigen getroffen. Du
weißt, daß ich eine Quelle des Giftes und des Schadens bin. Alle Tiere
und besonders die Menschen fürchten sich vor meinem Gift. Wenn du also
einen so großen Schädling nicht im Feuer hast umkommen lassen, so
kannst du von ihm als Belohnung jedenfalls nichts anderes als Unheil
und Böses erwarten, denn den Schlechten Gutes tun ist ebensoviel wie
den Guten Schlechtes tun. Vielleicht ist das erstere sogar noch
schlimmer. Mich zu töten, wäre für dich eine religiöse Pflicht gewesen.
Da du dem göttlichen Gesetz und den Erfordernissen des Verstandes
zuwider gehandelt hast, so halte ich es für richtig, dich meinen
Stachel kosten zu lassen, damit diejenigen, die es hören, sich abhalten
lassen, dir zu folgen und sich dein Beispiel als Lehre nehmen.“ Der
Reiter sagte: „Du böser Unhold, was für gottlose Reden führst du? Denke
billig, in welcher Religion hat man wohl Böses als Vergeltung für eine
Wohltat als passend angesehen? Kein Verständiger hält es für richtig,
Gutes mit Bösem zu vergelten und selbst ein ungläubiger Richter glaubt
nicht, daß man Nutzen durch Schaden vergelten darf.“ Die Schlange
sagte: „Wie kannst du leugnen, daß bei den Menschen und in eurer
Religion Gutes und Schlechtes, Wohltat und Böses als gleichwertig
gelten. Darum will ich auch, wie ich es von euch gelernt habe,
verfahren.“

Wie sehr sich auch der Reiter bemühte, sie zu überzeugen, es glückte
ihm nicht. Die Schlange rief: „Wähle, ob ich zuerst dich stechen soll
oder ob ich mit deinem Kamel anfangen soll.“ Schließlich kamen sie
überein, daß die Schlange ihre Behauptung mit vertrauenswürdigen Zeugen
beweisen und den Reiter zum Verstummen bringen solle, dann wolle er
bereitwillig den Tod annehmen. Dann schaute sich die Schlange um und
sah gerade einen Büffel in der Wüste weiden. Sie sagte: „Komm, Reiter,
wollen die Schwierigkeit von diesem Braven lösen lassen.“ Der
Kamelreiter und die Schlange gingen zu dem Büffel und die Schlange
öffnete ihr giftspeiendes Maul und sagte: „Büffel, du wanderst nun so
viele Jahre in der Welt herum. Was ist die Vergeltung für Wohltaten?“
Der Büffel antwortete: „Bei den Menschen ist die Belohnung für gute
Taten Undank. Um das zu beweisen, genügt folgendes: Ich bin bei einem
Menschen schon so lange im Dienst, habe ihm jedes Jahr ein kräftiges
Kalb geboren, habe ihm Milch und Butter geliefert, habe für seinen
Unterhalt und sein behagliches Leben gesorgt, indem ich auf seinen Dank
hoffte. Als ich alt wurde und ihm keine Kälber mehr schenken konnte,
sorgte er nicht mehr für mich, vergaß das, was ich ihm vorher getan,
und ließ mich einsam und allein in dieser Wüste. Als ich auf dieser
Weide graste und wieder fett wurde, ging eines Tages mein Herr hier
vorbei, schaute mich prüfend an und stellte meinen guten Zustand fest.
Als er sah, daß ich kräftig und fleischig war, kehrte er mit großer
Freude nach Hause zurück, und am nächsten Tage kam er mit einem
Fleischer zurück und verkaufte mich an ihn. Heute wird man mich ins
Schlachthaus führen und mich schlachten. Das ist der Dank der Menschen
für Wohltaten.“

Die Schlange sagte: „Da hast du gehört, wie die Menschen Wohltaten
vergelten. Bereite dich nun zum Tode und erfülle dein Versprechen.“ Der
Reiter erwiderte: „Nach unserem Gesetz genügt ein Zeuge nicht. Bevor
nicht alle Erfordernisse erfüllt sind, hat der Urteilsspruch keine
Gültigkeit.“ Die Schlange sah sich um, erblickte einen Baum und sagte:
„Komm, wollen diesen Baum fragen. Wollen sehen, was er dazu sagt.“ Sie
gingen zusammen zu diesem Baum und die Schlange fragte ihn: „Was ist
die Belohnung für Wohltaten?“ Der Baum antwortete: „In der Religion der
Menschen ist Übeltat die Vergeltung für Wohltun, und ihrer
Charakteranlage nach verfahren sie auch so. Als Beweis dafür diene
folgendes: „Ich gebe hier in der Wüste allein Schatten und auf einem
Fuße stehend diene ich allen Kommenden und Gehenden. Jeder von den
Menschen, der in der Wüste von der Glut der Sonne gequält wird, findet
unter meinem mächtigen Schatten Ruhe und Erquickung, so daß er sich von
den Strapazen des Weges und den Unbilden der Witterung erholen kann.
Wenn er mich aber ansieht, sagt er: ‚Aus jedem Zweige ließen sich
soundsoviele Bündel Reisig und soviel Axtgriffe und aus seinem Stamm
soviel Bretter und daraus soviel Türen herstellen.‘ Wenn sie Äxte
hätten, würden sie sofort einige von meinen Zweigen abschlagen. Während
sie nur Gutes von mir haben, wollen sie mir Übles antun.“

Die Schlange sagte: „Die Zeugenangelegenheit ist erledigt. Nun ist
weiter kein Vorwand und du mußt die übernommene Bedingung erfüllen und
dich meinem Stachel darbieten.“ Der Reiter machte Einwendungen und
sagte: „Es war nötig festzustellen, daß die Zeugen glaubwürdig sind.
Das ist nicht geschehen. Auf unrechtliche Art Blut zu vergießen, würde
sich für dich nicht geziemen. Außerdem ist einem das Leben lieb und die
Frucht des Lebens süß, und das Herz von den Dingen dieses Lebens zu
reißen ist schwer. Ich habe nun noch eine Bedingung. Wenn du noch einen
Zeugen in dieser Angelegenheit findest, will ich mich dem Geschick
unterwerfen und mich dem Untergang preisgeben.“

Währenddessen kam ein Fuchs in diese Gegend, fand sie in diesem Streit
und fragte sie, worum es sich handle. Als die Schlange ihn sah, sagte
sie zu dem Reiter: „Komm, jetzt wollen wir den Fuchs fragen. Wollen
sehen, was er sagt.“ Der Reiter hatte ihm kaum die Sache genau
auseinandergesetzt, als der schlaue Fuchs ausrief: „Mensch, weißt du
nicht, daß die Belohnung für eine Wohltat Böses ist? Aber hast du der
Schlange denn etwas Gutes getan, daß du als Vergeltung Böses
verdienst?“ Als der Reiter ihm den Vorgang erzählte, sagte der Fuchs:
„Du gleichst doch sonst einem verständigen Mann, wie kannst du denn
solchen Unsinn erzählen und Lügen auftischen?“ Die Schlange fiel ein:
„Doch, er hat die Wahrheit gesagt. Da ist der Sack, in dem er mich aus
dem Feuer gezogen hat.“ Der Fuchs fuhr fort: „Wie sollte man das
glauben, daß ein so großes Tier in einen Sack ginge, der im Vergleich
zu dir noch kleiner als ein Ochsenauge ist?“ Die Schlange sagte: „Das
läßt sich leicht beweisen. Wenn du es nicht glaubst, kann ich in den
Sack hineingehen.“ Der Fuchs erwiderte: „Wenn ich das mit eigenen Augen
sehe, will ich die Angelegenheit entscheiden.“ Um die Behauptung zu
beweisen, öffnete der Reiter die Öffnung des Sackes und die Schlange
kroch im Vertrauen auf die Worte des Fuchses hinein. Als der Fuchs das
sah, sagte er leise zum Reiter: „Junger Mann, jetzt hast du deinen
Feind im Gefängnis, benutze die Gelegenheit und lasse ihn nicht wieder
frei.“

Der Reiter hielt die Öffnung des Sackes fest zu und schlug ihn so stark
auf den steinigen Boden, daß die Schlange starb, und die Menschheit von
ihrem Gifte, und die Welt von ihrer Bosheit befreit wurde.



55. DER FROMME MANN UND DIE DIEBE


Ein frommer Mann hatte sich für das Opferfest einen Hammel gekauft, um
dessen Hals einen Strick gelegt und führte ihn zu seinem Kloster.
Unterwegs sahen einige Diebe das Schaf: Ihre Diebslust regte sich und
sie gingen dem frommen Mann entgegen. Da sie nicht wie Wölfe oder Tiger
mit gewalttätiger Hand die Beute nehmen konnten, wollten sie listig wie
ein Fuchs zu Werke gehen und den frommen Mann in den Schlaf des Hasen
[45] versetzen. Sie verfielen auf eine ganz besondere List, durch die
sie das einfache und fromme Herz des Mannes zu fangen gedachten.
Nämlich folgendermaßen: Sie gingen einzeln dem frommen Manne entgegen.
Der erste sagte: „Scheich, was willst du mit dem Hunde machen?“ Der
zweite: „Scheich, beflecke dein Gewand nicht mit dem Hunde.“ Der
dritte: „Es sieht so aus, als ob du mit dem Hunde auf Jagd gehst.“ Ein
anderer sagte: „Jäger, von wem hast du diesen Jagdhund gekauft?“ Ein
anderer: „Der Scheich mit diesem Hunde sieht so aus wie ein
Nachtwächter.“ Ein anderer: „Dieser Mann mit dem Jagdhund ist
sicherlich ein Hundewärter des Kaisers.“ Kurz, alle die Diebe hatten
sich auf dies Wort geeinigt, warfen ihm ein solches Wort zu und machten
ihn zur Scheibe ihres Witzes.

Als der schlichte fromme Mann von ihnen allen übereinstimmend dies Wort
hörte, kamen ihm Zweifel, ob sein Hammel ein Hund sei und er sagte zu
sich: „Vielleicht war der Verkäufer ein Zauberer, der mich verzaubert
hat, daß ich den Hund für einen Hammel halte. Das Beste ist es, ich
lasse ihn fahren, gehe zum Verkäufer zurück und verlange mein Geld
zurück, das ich ihm gegeben.“

In seiner Einfalt ließ er den Hammel los und ging zurück, um den
Verkäufer zu suchen. Als die Diebe das sahen, stürzten sie sich wie
Wölfe auf den Hammel und nahmen ihn mit sich.



56. DIE MAUS, DIE IN EIN JUNGES MÄDCHEN VERWANDELT WURDE


Ein Mönch, dessen Gebet Erhörung bei Gott fand, hatte sich am Rande
eines Baches niedergelassen und sich ganz von den Dingen dieser Welt
zurückgezogen. Eines Tages flog ein Weihe vorbei, der eine Maus
gefangen hatte und im Schnabel hielt. Nach Gottes Willen fiel diese aus
dem Schnabel des Weihes gerade vor den Mönch. Dieser sah sie und
empfand Mitleid mit ihr, warf seinen Mantel über sie, nahm sie in sein
Haus und trug einem seiner Schüler auf, sie wie seinen Sohn zu pflegen.
Dann kam ihm in den Sinn, daß dies Tier in einer Menschenwohnung
allerlei Unbequemlichkeit hervorrufen werde. Er bat daher Gott, daß er
sie in ein junges Mädchen verwandele. Sein Gebet wurde erhört und sie
wurde ein schönes Mädchen. Als der Mönch sah, daß sie die leibhaftige
Grazie war, übergab er sie einem seiner Schüler und trug ihm auf, sie
wie seinen leiblichen Sohn zu erziehen. Der Schüler folgte dieser
Anweisung seines Meisters und erzog sie mit Eifer.

Nach kurzer Zeit war das Mädchen herangewachsen und der Mönch sagte zu
ihr: „Liebes Herz, du bist nun herangewachsen und ich muß dich
verheiraten. Ich überlasse die Sache dir. Was sagst du dazu? Du kannst
dir deinen Gemahl aus den Menschen und Geistern und den Wesen der Ober-
und Unterwelt aussuchen.“ Das Mädchen antwortete: „Ich wünsche einen
Gemahl, der sich durch Kraft und Stärke besonders auszeichnet.“ Der
Mönch erwiderte: „Ein Wesen, das alle diese Eigenschaften besitzt, wird
schwer gefunden, aber vielleicht ist es die Sonne?“ Das Mädchen sagte:
„Ja, das wäre ein passender Gemahl für mich.“

Als die Sonne am Morgen aufging, stellte der Asket ihr die Sache dar
und sagte: „Das Mädchen ist sehr schön und einem Engel zu vergleichen.
Ich will sie jetzt verheiraten, aber sie verlangt jetzt von mir einen
starken, angesehenen Gemahl, deswegen möchte ich sie dir als Dienerin
übergeben und die Ehe zwischen euch beiden abschließen.“ Als die Sonne
dies hörte, wurde sie vor Scham bald bleich, bald rot. Schließlich gab
sie folgende Antwort: „Mönch, ich will dir jemand nennen, der stärker
als ich ist. Das ist die Wolke, denn sie kann mit ihrer Schleppe mein
leuchtendes Gesicht verhüllen und meinen Anblick dem Menschen fern
halten.“

Der Mönch wandte sich also an die Wolke und trug sein Anliegen vor. Die
Wolke versank vor Scham und sagte: „Wenn du mich wegen meiner Kraft und
Stärke wählst, so ist der Wind in dieser Beziehung mir überlegen, denn
er treibt mich dorthin, wohin er es will, und mein Wille ist ganz in
seiner Hand.“ Der Mönch gab dies zu und wandte sich an den Wind. Er
schilderte ihm die Schönheit seiner Tochter und erzählte die Geschichte
von der Wahl des Schwiegersohnes genau wie vorher. Der Wind kam in
Verlegenheit über diese Worte und sagte: „Wenn ich auch noch so mächtig
und kräftig bin, so ist doch der Berg noch mächtiger, denn er steht
fest und majestätisch. Meine Kraft macht gerade soviel Eindruck auf ihn
wie der Ton einer Posaune auf das Ohr eines Tauben oder der Tritt einer
Ameise auf einen harten Fels.“

Als der Mönch dem Berge seine Absicht auseinandergesetzt hatte, rief
dieser mit lauter Stimme: „An Kraft und Stärke ist die Maus mir
überlegen, denn sie nagt mich von allen Seiten mit ihren scharfen
Zähnen an, macht in meinem Innern lauter Löcher und Nester und hat
meine Brust und meinen Körper mit ihren erbarmungslosen Zähnen zu einem
Sieb gemacht.“ Als das Mädchen dies hörte, regte sich in ihr ihre
Herkunft und sie sagte: „Du sagst die Wahrheit, denn die Maus ist
mächtiger als er, und eine Heirat mit der Maus wäre für mich das
passendste.“ Der Mönch war damit einverstanden und setzte einer Maus
sein Anliegen auseinander. Die Maus fühlte infolge der Verwandtschaft
Zuneigung zu ihr und sagte: „Ich wünsche mir schon seit langem eine
Geliebte, die mir Gefährte und Genosse sein könnte, aber da zwischen
den Gatten Gleichwertigkeit vorhanden sein muß, so muß ich eine
Gemahlin haben, die von meiner Rasse ist.“ Das Mädchen sagte: „Das ist
leicht. Der fromme Mann muß zu Gott beten, daß ich eine Maus werde und
dich mit den Armen der Liebe umarme.“ Da der Mönch sah, daß auf beiden
Seiten Zuneigung vorhanden war, so hob er seine Hände empor und bat
Gott, sie wieder zur Maus zu machen. Sein Gebet wurde sofort erhört und
der Spruch: „Jedes Ding kehrt zu seinem Ursprung zurück“ bewahrheitete
sich wieder. Das Mädchen wurde wieder eine Maus, was sie vorher
gewesen, und der Mönch gab sie der anderen Maus zur Ehe.



57. DIE BEIDEN SPERLINGE UND DIE SCHLANGE


Zwei Sperlinge hatten ein Nest auf dem Dach eines Hauses und brachten
ihr Leben zu, indem sie zufrieden waren mit dem, was sie sich erwarben.
Nachdem sie durch Gottes Willen Junge bekommen hatten, flogen sie immer
beide aus, um für ihre Jungen Nahrung zu holen. Eines Tages als der
Vater von einem Fluge heimkehrte, sah er, daß die Mutter in Aufregung
um das Nest flog, laut schrie und jammerte. Er rief aus: „Was machst du
und was jammerst du?“ Sie antwortete: „Warum sollte ich nicht
wehklagen? Als ich nach kurzer Abwesenheit zurückkehrte, sah ich, daß
eine schreckliche Schlange an unser Nest herankroch. Wie sehr ich auch
bat und flehte, es nützte nichts.“ Sie sagte: „Dein Schreien macht auf
meine schwarze Seele keinen Eindruck.“ Ich antwortete: „Gut, aber
fürchtest du dich nicht davor, daß wir beide uns an dir rächen und dich
zu töten versuchen werden?“ Die Schlange antwortete unter Lachen: „Was
sollte ich von dir befürchten?“ Da blieb mir nichts anderes übrig als
um Hilfe zu rufen. Aber niemand hörte mich und die Schlange hat unsere
Jungen gefressen und sich in unser Nest gelegt.“

Als der männliche Sperling diese Schreckenskunde vernahm, war er wie
vom Blitze getroffen. Während dessen war der Besitzer des Hauses damit
beschäftigt Licht anzuzünden und hielt einen in Öl getauchten
brennenden Docht in der Hand. Der Sperling packte den Docht und warf
ihn auf sein Nest. Um einen großen Brand zu verhindern, stieg der
Hausherr auf das Dach und wollte das Nest mit einer Hacke vom Dache
herunterschlagen. Als die Schlange vor sich die Feuerfunken und über
sich die Schläge der Hacke merkte, steckte sie aus einem Loch den Kopf
heraus und wurde von der Hacke erschlagen.



58. DER DERWISCH UND DER ZERSCHLAGENE KRUG


Ein frommer Mann lebte neben einem Kaufmann, der ihn in den Dingen
dieses Lebens um Rat fragte. Der Kaufmann verkaufte Öl und Honig und
gewann dabei sehr viel. Der fromme Mann widmete sich ganz dem Dienste
Gottes. Deswegen schenkte der Kaufmann ihm in allem Glauben, hatte die
Sorge für seinen Unterhalt übernommen und schickte ihm jeden Tag eine
bestimmte Menge Öl und Honig. Der Derwisch gebrauchte davon etwas für
seinen täglichen Unterhalt, den Rest sparte er sich auf. Im Lauf der
Zeit sammelte er sich davon einen Krug an und kam auf den Gedanken, ihn
mit Gewinn zu verkaufen. Als er ihn sich eines Tages ansah und in
Gedanken versunken war, überlegte er, wieviel Maß Honig und Öl er wohl
fasse. Er schätzte ihn auf zehn Maß und sagte: „Das Beste ist, daß ich
ihn für zehn Dirhem verkaufe und mir für das Geld zehn Schafe kaufe.
Diese werden nach sechs Monaten Junge bekommen und jedes wird zwei
Lämmer haben. In einem Jahre werden es vierzig bis fünfzig sein und in
zehn Jahren werden daraus Herden entstehen. Davon werde ich einige
verkaufen und reich werden. Dann werde ich ein schönes junges Mädchen
aus vornehmer Familie heiraten. Diese wird in neun Monaten mir einen
Sohn, wie ein Engel, gebären. Nach einiger Zeit werde ich ihn in allen
Wissenschaften und Künsten unterrichten. Wenn er dann heranwächst, kann
es vorkommen, daß er nicht tut, was ich will. Dann werde ich ihn
züchtigen, und zwar werde ich das mit diesem Stocke in meiner Hand
tun.“ Er hob den Stock hoch und war so in seine Träumerei versunken,
daß er seinen ungehorsamen Sohn vor sich zu haben glaubte, und schlug
stark auf den Krug ein. Nun stand der Krug oben auf einem Brett, und er
saß darunter. Als er auf den Krug einschlug, zerbrach dieser, und das
Öl und der Honig floß ihm über Haar und Bart.



59. DER KÖNIG UND SEIN FALKE


In alter Zeit lebte ein König, der die Jagd sehr liebte. Dieser König
hatte einen Falken, der im Fluge jedes Wild einholte. Der König liebte
diesen Falken über die Maßen und fütterte ihn immer mit eigener Hand.
Eines Tages jagte er mit ihm auf einer Wiese und plötzlich erschien ein
Hirsch. Der König verfolgte ihn ohne Überlegung mit größtem Eifer und
ließ seinem leichtfüßigen Pferde die Zügel schießen. Es rannte so
schnell, daß selbst der Morgenwind, der die Welt in einem Augenblicke
durcheilt, es nicht einholen konnte. Infolgedessen blieb sein Gefolge
einer nach dem anderen zurück und die Diener trennten sich von ihm.
Nach einiger Zeit war auch der Hirsch nicht mehr zu sehen, und der
König mußte die Jagd aufgeben. Da er von brennendem Durste gequält
wurde, durcheilte er die Wüste, um Wasser zu suchen, nach allen
Richtungen. Schließlich kam er an den Fuß eines Berges und sah, daß von
dem Berge klares Wasser herabtröpfelte. Er nahm einen Becher, den er
bei sich führte, und füllte ihn mit dem Wasser, das tropfenweise
herabfloß, voll. Als er davon trinken wollte, schlug der Falke mit
seinem Flügel an den Becher, so daß das Wasser ausfloß. Als der König
ärgerlich den Becher mit vieler Mühe von neuem füllte und trinken
wollte, geschah dasselbe wie vorher.

Der König, von der Glut des Durstes gequält und zornig über das
Betragen des Falken, schlug ihn zu Boden und tötete ihn. In diesem
Augenblick kam der Steigbügelhalter des Königs heran und fand den
Falken tot und den König durstig. Er holte eine Feldflasche hervor,
füllte den Becher und gab dem König zu trinken. Der König sagte: „Ich
möchte von diesem Wasser haben, das von dem Berge herabtröpfelt, aber
da es nur tropfenweise fließt, so macht es viel Mühe den Becher zu
füllen. Du mußt hinaufklettern und sehen, ob dort irgendein Hindernis
für das Wasser ist, und den Becher füllen.“ Der Steigbügelhalter sagte:
„Zu Befehl“ und stieg den Berg hinauf. Da sah er eine Quelle, die nur
tropfenweise Wasser gab und vor der Quelle lag eine tote große Schlange
und durch die Einwirkung der Sonne war sie verwest und ihr Gift hatte
sich mit dem Wasser vermischt und rieselte den Berg hinab. Der
Steigbügelhalter lief erschreckt und bestürzt den Berg hinunter,
nachdem er vorher seine Feldflasche mit dem kalten Wasser gefüllt
hatte, und erzählte dem König, was er gesehen. Der König erquickte sich
an dem kühlen Wasser, während aus seinen Augen Tränen flössen. Der
Steigbügelhalter fragte ihn nach dem Grunde der Tränen. Der König
erzählte die Geschichte und sagte: „Ich weine darüber, daß ich den
Falken zu unrecht getötet habe.“ Der Steigbügelhalter erwiderte: „O
König, dieser Falke hat dich vor einem großen Unglück bewahrt, und das
ganze Volk des Landes ist ihm zu großem Danke verpflichtet. Es wäre
besser gewesen, wenn der König nicht so eilig gewesen wäre, ihn zu
töten und wenn er die Glut seines Zornes mit dem Wasser der Milde
gedämpft hätte.“ Der König antwortete: „Ich bereue meine Handlung, aber
die Reue nützt nichts und, so lange ich lebe, werde ich stets durch
Gewissensbisse gequält werden.“



60. DIE RÄUBER UND DIE KRANICHE


In der Stadt Rakka lebte ein Derwisch, der reich an lobenswerten
Tugenden und schätzenswerten Eigenschaften war, mit Namen Danadil. Alle
Leute in der Stadt liebten ihn.

Einst entschloß er sich, die Pilgerreise nach Mekka zu machen, und trat
ohne Freund und Genossen die Reise durch die Wüste an. Unterwegs
beabsichtigten einige Räuber ihn zu töten, da sie bei ihm Geld
vermuteten. Als Danadil ihre Absicht merkte, sagte er: „Ich habe nicht
mehr Geld bei mir, als gerade für die Pilgerfahrt genügt. Wenn euch das
genügt, so nehmt ohne Zaudern alles, was ich habe, aber laßt mich frei,
damit ich die Pilgerfahrt beendige und meine Absicht erreiche.“ Die
Räuber, die sich fürchteten, ihn am Leben zu lassen, beschlossen, ihn
ohne Erbarmen zu töten. In seiner Not schaute der Arme sich nach allen
Seiten um, und wie der Ertrinkende sich an einen Strohhalm klammert, so
sah er überall nach Hilfe aus. In dieser Einöde war aber kein lebendes
Wesen zu erblicken außer einer Herde Kraniche, die über ihnen durch die
Luft flogen. Als Danadil sie hörte, rief er aus: „Ihr Kraniche, ich muß
in dieser Wüste von den Händen dieser Räuber sterben und außer Gott
weiß niemand etwas davon. Ich hoffe, daß ihr mein Blut nicht ungerächt
laßt und mich an diesen Blutgierigen rächen werdet.“ Als die Räuber
dies hörten, lachten sie und fragten ihn spöttisch nach seinem Namen.
Auf seine Aussage, daß er Danadil [46] heiße, sagten sie: „Der Name
paßt für dich gar nicht, denn wie kannst du Danadil heißen, wenn du
nicht einmal weißt, daß die Vögel dich nicht verstehen? Für uns ist es
ausgemacht, daß du ganz dumm bist. Und einen Dummen umzubringen, ist
keine Sünde.“ Sie töteten ihn und nahmen das wenige, das er bei sich
hatte. Als die Kunde seines Mordes in der Stadt bekannt wurde,
trauerten alle sehr um ihn und bemühten sich, die Mörder ausfindig zu
machen. Schließlich, nach langer Zeit, waren die Bewohner der Stadt bei
dem Opferfest auf dem Betplatze vereinigt und die Mörder des Danadil
waren auch dabei. Währenddessen flog eine Schar Kraniche über den
Köpfen der Mörder und schrie so laut, daß die Leute in ihren Gebeten
innehielten. Da sagte einer von den Räubern spöttisch lächelnd zu
seinen Genossen: „Diese verlangen wohl das Blut des Danadil?“

Nach Gottes Fügung hatte einer von den Leuten aus der Stadt, der neben
ihm stand, dies gehört. Er meldete den Vorfall dem Oberhaupt der Stadt
und sofort wurden Wachen und Boten ausgeschickt. Alle Räuber wurden
ergriffen und erfuhren die Vergeltung nach dem göttlichen Recht für
ihre Untat.



61. DIE MUTTER UND DIE KRANKE TOCHTER


Eine alte Frau hatte eine wunderschöne Tochter, die plötzlich sehr
krank geworden war. Die Mutter war immer am Bette der Tochter, vergoß
Ströme von Tränen und sagte, indem sie voll Trauer zum Himmel blickte:
„Liebes Kind, du bist mein alles. Wie gerne würde ich mein Leben für
dich dahingeben. Nur mit dir habe ich Freude am Leben. Ohne dich nützt
mir das Leben nichts. Ich will gern sterben, wenn du nur gesund wirst.“
So betete sie Tag und Nacht und war bereit, sich für ihre Tochter zu
opfern.

Nun hatte die alte Frau eine schwarze Kuh. Diese war vom Felde
heimgekommen und in die Küche gegangen. Angelockt durch den Geruch der
Mahlzeit, hatte sie den Kopf in den Kessel gesteckt und alles, was sie
fand, ausgefressen. Als sie den Kopf wieder herausziehen wollte, konnte
sie den Kessel nicht loswerden und wurde dadurch ganz aufgeregt. Die
alte Frau, die von diesem Vorgange nichts wußte, hörte gegen Abend eine
schreckliche Stimme und sah diese merkwürdige Erscheinung. Da dachte
sie, es sei der Todesengel, der gekommen sei, um ihre Tochter zu holen.
Infolgedessen sagte sie unter Jammern und Wehklagen: „Engel des Todes,
ich bin nicht die Kranke. Ich bin eine alte Frau. Die Kranke ist meine
Tochter. Deren Seele hole.“



62. DER MANN MIT DEN ZWEI FRAUEN


Ein Mann hatte zwei Frauen, die eine war alt, die andere zart wie ein
Rosenblatt. Er selbst war über die Zeit der Jugend hinaus, und sein
Haar und Bart fingen an grau zu werden. Er liebte beide Frauen und
behandelte die eine wie die andere derart, daß er die eine Nacht bei
der einen und die andere Nacht bei der andern zubrachte. Er hatte die
Gewohnheit, des Morgens, bevor er aufstand, seinen Kopf seiner Frau auf
den Schoß zu legen und noch etwas zu schlafen. Als er eines Tages so im
Schoße der alten Frau schlief, sah diese, daß in seinem Bart einzelne
weiße Haare waren. Sie sagte zu sich: „Ich werde ihm die schwarzen
Haare herausschneiden und ihn des Schmuckes der Jugend berauben, damit
die andere Frau, die ihn für jung hält, seiner überdrüssig wird, wenn
sie das weiße Haar sieht, und damit er sich dann aus Ärger über diese
Zurücksetzung ganz mir anschließt.“ In diesem Gedanken beseitigte sie,
soweit als möglich die schwarzen Haare.

Am nächsten Morgen schlief er im Schoße der jungen Frau. Als diese
unter den weißen Haaren einige schwarze sah, die der Schere der alten
Frau entgangen waren, sagte sie: „Ich werde die weißen Haare entfernen,
so daß er sich noch für jung hält, des Verkehrs mit der alten Frau
überdrüssig wird und nur Verlangen nach mir hat.“ Sie schnitt also,
soweit sie konnte, die weißen Haare ab. So verging einige Zeit. Eines
Tages hörte er, daß einige Leute zueinander sprachen und sich über
seinen Bart lustig machten. Er faßte nach seinem Barte und sah, daß
überhaupt kein Haar mehr geblieben war.



63. DER JÄGER UND DIE BEIDEN STUDENTEN


Es gab einen armen Mann, der es im Fischen und Jagen zu einer großen
Meisterschaft gebracht hatte. Eines Tages hatte er sein Netz auf einer
Wiese ausgebreitet und saß im Hinterhalt. Nach langem Warten und mit
vieler Mühe hatte er drei Vögel herangelockt. Als er die Schlinge
zusammenzog, hörte er den Lärm von Stimmen. Damit nicht die Vögel
hierdurch verscheucht würden, verließ er seinen Hinterhalt und sah, daß
es zwei Studenten waren, die miteinander disputierten und zwar so, daß
die Disputation schon in den heftigsten Streit ausartete. Der Jäger bat
und flehte: „Seid einen Augenblick ruhig, daß die Vögel nicht verjagt
werden und meine Arbeit nicht umsonst sei.“ Die Studenten sagten: „Wenn
du uns von dieser Beute einen Anteil gibst und jedem von uns einen
Vogel versprichst, so wollen wir dir zu Willen sein und uns nicht
weiter streiten.“ Der Jäger erwiderte: „Ich bin ein armer Mann und habe
eine Familie, die auf meinen Fang angewiesen ist. Wenn ihr nun schon
zwei Vögel nehmt, so bleibt nur noch einer. Wie sollte der für die
ganze Familie reichen?“ Sie sagten: „Du genießt immer diese Nahrung,
wir müssen uns kümmerlich ernähren und haben noch nie Vogelfleisch
bekommen. Es bleibt bei der Bedingung. Entweder schreien wir und jagen
dir deine Beute weg oder du gibst einem jeden von uns einen Vogel.“ Was
der Jäger auch alles dagegen sagte, sie blieben hartnäckig, und so
mußte er die Bedingung annehmen. Er zog also das Netz zu und fing die
drei Vögel. Dann fing er von neuem an zu flehen. Aber als nichts half,
teilte er die Beute mit ihnen und sagte: „Da ich euch diesen Gefallen
getan habe, so sagt mir wenigstens das Wort, worüber ihr euch
gestritten habt. Lehrt es mich, damit ich wenigstens auch einen Nutzen
von euch habe.“

Die Studenten lachten und sagten: „Wir sprachen von dem Hermaphroditen
und von dem Erbrecht eines solchen.“ Der Jäger fragte: „Was ist ein
Hermaphrodit?“ Sie antworteten: „Ein Hermaphrodit ist einer, der weder
männlich noch weiblich ist.“ Der Jäger merkte sich das Wort, ging
betrübt nach Hause und erzählte seiner Familie den Vorfall. Die
begnügte sich diese Nacht mit dieser geistigen Nahrung. Am nächsten
Morgen ging der Jäger fischen und warf sein Netz ins Meer. Nach Gottes
Ratschluß fing er einen Fisch, wie er ihn noch nie gesehen hatte.
Nachdem er ihn eine Zeitlang voll Bewunderung betrachtet hatte, sagte
er nach längerem Überlegen zu sich: „Kein Fischer hat einen solchen
Fisch in seinem Netze gefangen, und einen zweiten so schönen Fisch gibt
es nicht. Es ist das beste, ihn lebendig dem Könige zu schenken, damit
er mich vor meinen Genossen ehre.“ Er setzte also den Fisch in einen
Wasserbehälter und ging zum königlichen Palast. Nun war auf Befehl des
Königs in dem Garten vor dem Schlosse ein Bassin aus Marmor gebaut und
mit klarem Wasser gefüllt worden. Dort hinein hatte man Fische gesetzt
und ein halbmondförmiges Schiff gebaut, um es auf der Oberfläche des
Bassins schwimmen zu lassen. Jeden Tag, wenn der König Lust hatte, das
Wasser und die Fische zu sehen, ging er an den Rand des Bassins. Als er
hierbei beschäftigt war, kam der Fischer und zeigte diesen wunderbaren
Fisch dem Könige. Dieser fand ihn sehr schön und ließ dem Fischer
tausend Goldstücke anweisen.

Einer von den Veziren, der dem König besonders nahe stand und daher
offen seine Meinung äußern konnte, sagte zu ihm warnend: „Euer Majestät
weiß, daß es im Meere viele Fische gibt und daß die Zahl der Fischer
ohne Ende ist. Wenn die goldspendende Hand des Königs für einen Fisch
tausend Goldstücke gibt, dann werden weder der Schatz des Königs noch
sämtliche Steuern des Landes ausreichen. Es ist ja bekannt, wie hoch
der Preis für einen Fisch ist, und wie hoch die Belohnung für einen
Fischer sein darf. Das Geschenk muß dem Gegenstand entsprechend und die
Belohnung der Arbeit gemäß sein.“ Der König antwortete: „Du hast zwar
recht, aber, nachdem ich es einmal versprochen habe, muß ich auch mein
Wort halten.“ Der Vezir sagte: „Ich habe einen Plan, so daß du weder
wortbrüchig zu werden brauchst noch das viele Geld ausgeben mußt. Das
Beste ist, man fragt ihn, ob der Fisch ein Männchen oder Weibchen ist.
Je nachdem er dann angibt, sagt man: ‚Geh und hole den Genossen, damit
es ein Paar werde. Dann bekommst du das versprochene Geld.‘ Er wird
dann stumm sein wie ein Fisch und mit dem wenigen, was er bekommen hat,
zufrieden sein.“

Der König wandte sich zu dem Fischer und sagte: „Meister, ist dieser
Fisch ein Männchen oder ein Weibchen?“ Der Fischender ein
vielerfahrener Mann war, überlegte sich, was der König wohl mit dieser
Frage beabsichtige. Nach längerem Nachsinnen fiel ihm das Wort ein, das
er von den beiden Studenten gelernt hatte. Er antwortete also: „Dieser
Fisch ist ein Hermaphrodit, das heißt, er ist weder Männchen noch
Weibchen.“ Dem Könige gefiel die Antwort sehr. Er gab ihm zu den
versprochenen Goldstücken noch tausend dazu und nahm ihn unter seine
Hofleute auf.



64. DER KLUGE KADI


Es gab einmal einen großen König. Dieser legte eines Tages sein Haupt
auf das Sterbebett, ließ seine drei Söhne allein zu sich kommen und
sprach zu ihnen: „In den und den Winkel meines Palastes habe ich eine
Schachtel voll kostbarer Edelsteine hingesetzt; wenn ich gestorben sein
werde, so nehmt sie hervor und teilt sie unter euch!“ Nachdem der König
noch drei Tage gelegen hatte, empfahl er am vierten Tage seine Seele
Gott. Während man nun für den König die Leichenfeierlichkeiten
veranstaltete, ging einer von den Söhnen und nahm jene Schachtel mit
den kostbaren Edelsteinen heimlich für sich weg. Als nach einiger Zeit
alle drei die Schachtel von ihrem Orte hinwegnehmen wollten, fanden sie
dieselbe nicht mehr vor. Deshalb entstand unter ihnen Streit, welcher
solange währte, bis sie endlich vor den Kadi traten und diesem das
Sachverhältnis auseinandersetzten. Der Kadi, von dem Hergange der Sache
belehrt, sprach zu ihnen die Worte: „Zuvörderst will ich euch eine
Geschichte erzählen — hört darauf — und dann eure Streitsache
entscheiden.“ Sie erwiderten: „Geruhe nur anzufangen.“ Der Kadi sprach:
„Es liebten sich einmal in früherer Zeit ein Jüngling und ein Mädchen.
Das Mädchen hatte aber einen anderen jungen Mann zum Bräutigam. Der in
dieses Mädchen verliebte erstere junge Mann hörte nicht auf in einem
fort zu seufzen und zu schluchzen. ‚In jener Nacht,‘ sprach er, ‚wo du
das Hochzeitsbett besteigen wirst, — was wird da aus mir werden?‘ Das
Mädchen erwiderte: ‚Ich werde in jener Nacht niemandem eher die Hand
geben, als ich mich vorher mit dir zusammengefunden habe!‘ Dies
versprach sie ihm. Als nun in der Nacht der Heimführung die junge Frau
mit ihrem Manne allein war, erzählte sie ihm, was für ein Versprechen
sie jenem Jünglinge gegeben habe, und erbat sich von ihrem Manne die
Erlaubnis, zu ihm hinzugehen. Der Gemahl erwiderte: ‚Mache dich auf und
gehe!‘ Die junge Frau ging in aller Stille hinaus und traf unterwegs
einen Dieb. Als dieser sah, daß sie eine hübsche und liebenswürdige
Frau sei, die unter ihren Zeitgenossinnen nicht ihres Gleichen habe und
sich Hals und Ohr reich mit Goldperlen behangen hatte, umarmte er sie
wie ein Lamm, das in die Gewalt eines hungrigen Wolfes geraten ist. Er
fragte die junge Frau: ‚Wer und was bist du?‘ Sie erzählte ihm ihre
Geschichte von Anfang bis zu Ende. Als der Dieb diese gehört hatte,
sprach er: ‚Jetzt ist es Zeit, sich als Ehrenmann zu zeigen, auch ich
will dir nichts tun — wohlan, komm, ich will dich zu deinem Geliebten
bringen!‘ Mit diesen Worten nahm er sie bei der Hand, brachte sie an
die Tür ihres Geliebten und sprach: ‚Bis du wieder herauskommst, will
ich hier stehen bleiben.‘ Als die junge Frau bei ihrem Geliebten
eintrat, traf sie den Jüngling an und sprach: ‚Siehe, ich habe dir
hiermit mein Versprechen erfüllt.‘ Dieser sprach: ‚Bei Gott, welche
ritterliche Gesinnung hat dein Gemahl jetzt gegen mich an den Tag
gelegt, daß er dich zu mir geschickt! Ich würde sie ihm schlecht
vergelten, wenn ich jetzt noch nach dir die Hand ausstrecken wollte!
Stehe auf und kehre zu deinem rechtmäßigen Ehegatten zurück.‘ Mit
diesen Worten schickte er die junge Frau zurück. Diese stand auch
sogleich wieder auf und ging hinaus, wo sie der Dieb wieder bei der
Hand nahm und ihrem rechtmäßigen Ehegatten zurückbrachte. Er selbst
aber ging seines Weges.“ — Der Kadi sprach: „Sagt nun, ihr Prinzen,
welchen von diesen dreien, d. h. den Gemahl, den Geliebten oder den
Dieb, haltet ihr für den größten Ehrenmann?“ Der eine von ihnen
erwiderte: „Meiner Ansicht nach dürfte der Gemahl der größte Ehrenmann
sein.“ Der zweite erwiderte: „Der Geliebte dürfte es sein“, und der
dritte meinte: „Der Dieb.“

Als der Kadi diese Antworten der Prinzen gehört hatte, sprach er zu
demjenigen von ihnen, welcher gemeint hatte, daß der Dieb der größte
Ehrenmann sei, die Worte: „Du hast wahr und richtig gesprochen. — Du
hast dir die Schachtel mit den kostbaren Edelsteinen genommen; also gib
sie her, denn der Geliebte hilft dem Geliebten, der Biedere dem
Biederen und der Dieb dem Diebe!“

Der Prinz, welcher seiner Tat überführt war, brachte beschämt die
Schachtel mit den Edelsteinen und gab sie hin.



65. DER UNSICHTBARE TURBAN


Es gab einst einen großen König. Eines Tages kam zu ihm ein Mann und
sprach: „König, ich will einen Turban weben, welcher dem legitimen
Sohne sichtbar, dem illegitimen aber nicht sichtbar sein soll.“ Der
König wunderte sich sehr über diese Rede und ließ sich von ihm den
Turban weben. Der junge Mann bezog nun vom Könige zur Bestreitung der
Kosten das nötige Geld, ging in einen Laden und hielt sich da einige
Zeit auf. Eines Tages faltete er die eine und die andere Seite eines
Papiers zusammen, nahm es und brachte es vor den König. Er sprach: „O
König, siehe, ich habe dir den Turban gewebt.“ Der König öffnete das
Papier und sah, daß nichts darin war. Alle Vezire und Fürsten, welche
zugegen waren, erblickten ebenfalls in dem Papiere nichts. Da sprach
der König zu sich: „Siehst du, da muß ich wohl ein Bastard sein.“ Alle
Vezire und Fürsten waren sehr bestürzt, daß sie auch Bastarde sein
sollten. Der König sprach nun zu sich: „Ich kann mir nicht anders
helfen, als das ich sage: ‚Ein schöner Turban, er gefällt mir.‘“ Darauf
sprach der König: „Alle Wetter, Meister, das hast du sehr schön
gewebt.“ Der Weber sagte: „O König, befiehl, daß man eine Mütze bringe,
ich will den Turban darum wickeln.“ Man brachte eine Mütze herbei. Der
junge Mann nahm das Papier vor sich, tat so, als ob er den Zipfel der
Kopfbinde nehmen und sie darum wickeln wollte und bewegte seine Hand
hin und her. Er hatte aber gar nichts in der Hand. Als er fertig war,
setzte er sie dem Könige auf. Alle umstehenden Vezire und Fürsten
sagten: „Alle Wetter, o König, was für ein schöner, feiner Turban ist
das!“ und lobten und priesen den jungen Mann. Dann stand der König auf,
ging mit seinen Veziren in ein Nebenzimmer und sprach: „O meine Vezire,
bin ich ein Bastard, daß ich den Turban nicht sehe?“ Die Vezire
erwiderten: „O König, bei Gott, wir sehen auch nichts und wissen nicht,
was das ist.“ Endlich sahen sie aber ein, daß es nichts war und daß
jener junge Mann ihnen nur irdischen Vorteils wegen einen Streich
gespielt habe.



66. DER VIELGEPRÜFTE PRINZ


Es gab einen großen König. Die sieben Erdgürtel waren unter seiner
Botmäßigkeit. Er besaß jedoch weder Sohn noch Tochter. Opfer und
Gelübde verrichtete er, um sich Gott geneigt zu machen. Eines Tages
nahm dann auch Gott der Erhabene sein Opfer wohlgefällig an und
schenkte ihm aus seiner Gnadenfülle einen Sohn, der an Schönheit ein
zweiter Joseph war. Darüber ward der König sehr froh und veranstaltete
an diesem Tage ein großes Festgelage, schenkte dabei dem einen
Ehrenkleider, dem andern Geld und verehrte andere Gnadengeschenke.
Darauf ließ er die Sterndeuter kommen und sie nach dem Geburtsstern des
Prinzen schauen. Als sie das getan hatten, sprachen sie: „O König, in
betreff des Geburtssternes des Prinzen hat man in der astronomischen
Tafel sowohl als in dem Traumbuche und nach den Astrolab folgende
Prophezeiung aufgestellt: ‚Von seinem dreißigsten bis zu seinem
sechzigsten Jahre wird sich seines Geburtssternes Glück und Heil in
Unglück und Unheil verwandeln, und er wird in fremden Ländern von Not
und Mühsal heimgesucht werden.‘ Nur Gott kennt die verborgene Zukunft.“
Als der König dies hörte, wurde er sehr betrübt.

Als einige Jahre vorüber waren, gab der König den Knaben in die Schule
und ließ ihn die Wissenschaften aller Art lernen. Als der Prinz zur
Mannbarkeit herangereift war, ließ er ihn sich verheiraten und
verschaffte ihm die Tochter eines großen Sultans zur Frau. Mit der Zeit
wurden ihm auch zwei Söhne geboren. Als sie heranwuchsen, gingen sie
auch in die Schule und erlernten die Wissenschaften aller Art. Von Zeit
zu Zeit pflegten sie mit ihrem Vater spazieren zu gehen. Nun geschah es
eines Tages, daß der Prinz, ihr Vater, mit ihnen am Meeresstrande
spazieren ging, sodann ein Schiff herbringen ließ und auf demselben mit
seinen kleinen Söhnen in die hohe See hinausfuhr. Nach Gottes Ratschluß
und Befehl kam ihnen unterwegs ein fränkischer Seeräuber entgegen,
welcher sowohl den Prinzen und seine beiden Söhne als auch vierzig
Sklaven, welche der Prinz mit sich hatte, sämtlich gefangennahm. Den
Prinzen und die vierzig Sklaven verkaufte er an menschenfressende
Neger, die kleinen Söhne des Prinzen hingegen verkaufte er nicht,
sondern nahm sie mit sich fort. Die Neger hielten den Prinzen und seine
Leute für eine angenehme Nahrung und fütterten sie. Jeden Tag
schlachteten sie einen von ihnen in der Küche des Königs und setzten
ihn ihm als Gericht vor. Als nun von diesen vierzig Sklaven alle
abgeschlachtet waren, kam die Reihe an den Prinzen. Man nahm ihn,
führte ihn in die Küche und wollte ihm die Kehle abschneiden. Als der
Prinz dies gewahr wurde, flehte er zu Gott dem Erhabenen, strengte sich
an und zerriß die um seine Hände gelegten Bande, entriß demjenigen, der
gekommen war, ihm die Kehle abzuschneiden, das Schlachtmesser, stach
damit auf ihn ein und zerhieb ihn in zwei Stücke. Nicht minder erstach
er alle sonst in der Küche befindlichen Leute, stellte sich dann an die
Türe derselben und tötete jeden, der noch auf ihn los kam.

Von diesem Ereignis gelangte alsbald die Nachricht zu dem Könige dieser
Wilden. Als der König daraus ersah, was für eine Herzhaftigkeit der
Prinz bewiesen habe, kam er herbei und erteilte ihm Sicherheit des
Lebens, indem er sprach: „Ich will dir etwas sagen. Ich habe eine
Tochter, die will ich dir zur Frau geben und dich zu meinem Eidam
machen. Ich will hiermit diesen Vertrag mit dir geschlossen haben.“ Da
der Prinz diesem Wunsche des Königs nicht widersprechen konnte, so nahm
er seine Tochter zur Gattin an und heiratete sie. Er lebte mit ihr
einige Jahre zusammen und befand sich wohl. Eines Tages starb seine
Frau. Nun bestand unter diesen Wilden die Sitte, daß, wenn ein Mann
gestorben war, mit ihm seine Frau, und, wenn eine Frau gestorben war,
mit derselben ihr Mann lebendig in einen großen, tiefen Brunnen
hinabgelassen und ihnen ein Laib Brot und ein Krug Wasser mitgegeben
wurde. Dann pflegte man auf die Mündung des Brunnens einen großen
schweren Stein zu legen und fortzugehen. In denselben Brunnen ließ man
nun den Prinzen mit seiner Frau hinunter und gab ihm einen Laib Brot
und einen Krug Wasser mit, legte dann einen großen Stein auf die
Mündung des Brunnens und ging fort.

Als der Prinz sich in diesen Zustand versetzt sah, wurde er ganz
verdutzt und verblüfft und seufzte: „Ach, Gott, was ist das?“ und
flehte demütig zu Gott dem Erhabenen um Errettung. Er sah sich in dem
Innern des Brunnens weiter um und bemerkte, daß eine hübsche und
liebenswürdige Frau dasaß. Er fragte sie: „Wer bist du?“ Sie erwiderte:
„Bei Gott, ich bin eine junge Frau. Vor kurzem starb mein Mann. Da hat
man mich nun samt meinem Manne in diesen Brunnen lebendig
hinuntergelassen.“ Ein weiterer Blick in dem Brunnen herum zeigte dem
Prinzen, wie einige jener Beigesetzten schon verwest waren, andere eben
erst geendet hatten, andere noch in den letzten Zügen lagen. Plötzlich
kam von einer Seite des Brunnens her ein Geräusch, welches einem
Scharren mit den Füßen glich. Der Prinz erkannte, daß es von einem Tier
herrührte, machte sich sogleich mit der jungen Frau auf und ging mit
ihr nach jener Seite zu. Hier trafen sie auf ein Loch, in welches sie
hineintraten. Der Grund dieses Loches war aber tief. Sich bückend und
in dieser Stellung kriechend gingen sie einige Zeit vorwärts, bis sie
endlich an den Abhang eines Berges gelangten und am Ufer eines großen
Wassers herauskamen. Hier dankten sie ihrem Schöpfer für ihre
glückliche Errettung und wurden munter und froh. Zufälligerweise trafen
sie daselbst ein Schiff an. Sie sammelten sich eine Menge von des
Berges Früchten und füllten damit ihr Schiff an. Nachdem sie dieses
bestiegen hatten, nahm sie die Strömung des Wassers selbst bis dahin
mit sich fort, wo sich der Fluß am Bergesabhange in ein Loch verlor.
Als sie sich dieser Stelle näherten, konnten sie ihres Schiffes nicht
Herr werden, sondern das Wasser nahm sie auf demselben unter den Berg
mit sich fort. Als der Prinz dies gewahr wurde, seufzte er und sprach:
„O Gott, was ist das?“ Sie verbrachten da eine lange Zeit und wußten
nicht, ob es Tag oder Nacht wäre. Sie flehten in einem fort Gott um
Errettung, bis endlich der Fluß unter dem Berge wieder hervor an das
offene Land heraustrat.

Der Prinz wurde hierüber froh, und sie beide brachten nun ihr Schiff an
das Ufer und stiegen aus demselben hinaus. Als sie sich von des Berges
Früchten einige pflückten und sie aßen, sah der Prinz, indem er weiter
lustwandelte, daß es hier ein großes weißes gewölbtes Gebäude gab,
dessen Kuppel bis in die Wolken reichte. Als sie beide dorthin kamen,
traten sie ein und sahen, daß das Gebäude einem Schlosse glich. In dem
Innern dieses Schlosses stand geschrieben: „Wer dieses Tor zu öffnen
und diesen Talisman zu lösen gedenkt, der möge ein fünffüßiges Tier
hierherbringen und es vor diesem Tore töten, damit sich die Schlösser
an diesem Talisman erschließen!“ Der Prinz blieb darüber verdutzt und
verblüfft stehen und fragte sich verwundernd: „Gibt es denn in der Welt
überhaupt ein fünffüßiges Tier?“ Mit diesen Worten setzte er sich an
das Tor dieses Schlosses hin. Die Läuse plagten sie entsetzlich und sie
fingen an, sich von diesem Ungeziefer zu reinigen. Der Prinz tötete
eine Laus. Bei der zweiten fielen auf einmal mit lautem Geklirr und
Gerassel die Schlösser an dem Tore des Schlosses herunter und sie
erkannten hieraus, daß das fünffüßige Tier die Laus war. Darauf standen
sie auf und gingen hinein. Sie sahen da — es gab in der Welt nichts dem
Ähnliches — einen Garten voll fließender Gewässer und verschiedener
Früchte, spürten bald große Lust darnach und gingen hin, um eine davon
zu essen. Da erblickten sie dann, daß jene Bäume sämtlich von Gold und
ihre Früchte wertvolle Steine waren. Am Fuße der Bäume lagen
herabgefallene Edelsteine und Flußkiesel. Als sie weiter vorwärts in
das Gebäude eindrangen, sahen sie, daß es sehr groß war. Man hatte es
von Bergkristall gebaut und seine Tür offengelassen. Als sie hier
eintraten, bemerkten sie, daß es noch ein Gebäude darin gab. Es bestand
aus rotem Gold. Als sie hier eintraten, sahen sie weiter, daß es
abermals ein Gebäude darin gab, dessen Wände sämtlich aus Rubinen und
Perlen gebaut waren. Als sie endlich hier eintraten, gewahrten sie, daß
in einem mit Rubinen und Perlen geschmückten Sarge ein Toter lag, über
dessen Haupte sich eine Tafel befand, welche folgende Inschrift
enthielt: „Jeder, der hierherkommt und mich sieht, wisse, daß ich ein
König war. Die ganze Welt stand unter meiner Botmäßigkeit: Menschen,
Dämonen und Peris waren mein Heergefolge. Ich lebte tausend Jahre und
dachte nie zu sterben und dem Todesgeschosse zu erliegen. Plötzlich
wurde ich aber eines Tages krank, fiel auf das Sterbebett und sah ein,
daß ich bestimmt sterben würde. Deshalb ließ ich dieses Gebäude,
welches du hier siehst, in drei Tagen erbauen und erwählte es mir zum
Mausoleum. Oberhalb meines Hauptes gibt es zwei Quellen; trinke daraus
und verrichte für mich eine Fürbitte!“ Der Prinz wurde bald diese
beiden bezeichneten Quellen gewahr und trank aus einer derselben. Sie
enthielt Milch und die andere Zuckerscherbet. Noch eine lange Zeit
hielten sie sich in diesem Gebäude auf, nährten sich von dieser Milch
und tranken von diesem Scherbet. Zuletzt nahmen sie sich eine große
Menge Edelsteine, füllten damit ihr Schiff an, bestiegen dasselbe von
neuem und fuhren in die hohe See hinaus.

Nachdem sie eine Weile gefahren waren, brachte der Wind ihr Schiff an
eine Insel. Hier stiegen sie aus dem Schiffe heraus, um von des Berges
Früchten zu essen. Plötzlich kam eine große Schar Menschen auf sie los
und nahm sie gefangen. Der Prinz blickte auf und sah, daß jene keine
Köpfe besaßen, ihren Mund auf ihrer Brust und ihre Augen auf den
Schultern hatten und in ihrer Sprache wie Vögel zwitscherten. Sie beide
wurden aber vor den König dieser Leute gebracht und blieben lange Zeit
als Gefangene daselbst, bis sie endlich ihnen entflohen, jenes Schiff
wieder bestiegen und auf die hohe See hinausfuhren. So kam der Prinz
auf diesem Meere dreißig Jahre hindurch bald unter Menschen mit
Schweinsköpfen, bald unter Menschen mit Vogelköpfen, von denen ein
jeder dem Prinzen mannigfache Unbilden zufügte. Wiederum gab ihm Gott
der Erhabene einen Ausweg an die Hand und ließ ihn entfliehen.

Auf Gottes Geheiß trieb der Wind sein Schiff an eine Insel. Als er hier
herausstieg, sah er einige Menschen. Die Leute hielten ihn für einen
Spion, nahmen ihn gefangen und brachten ihn vor ihren König. Dieser
fragte ihn: „Wer und was bist du?“ Der Prinz erzählte ihm seine
Geschichte von Anfang bis zu Ende. Als der König nun wußte, daß er ein
Prinz war, ließ er ihm voller Freude Ehrenkleider anlegen, nahm ihn
beiseite und sprach: „Ich kenne Euer Reich und deinen Vater; auch habe
ich gehört, daß dich und deine beiden Söhne und vierzig Diener ein
fränkischer Seeräuber auf dem Meere gefangen genommen habe. Wohin
willst du nun gehen? Erzeige mir den Gefallen und bleibe bei mir, ich
will dir meine Tochter geben.“ Der Prinz erwiderte: „Bei meiner Geburt
haben mir die Sterndeuter dreißig Jahre Unglück prophezeit; ich fürchte
daher, daß, wenn ich die Tochter des Königs nehme, diese in mein
Unglück verwickelt werden wird.“

Der König ließ nun die Sterndeuter kommen und nach des Prinzen
Geburtskonstellation schauen. Als sie dies getan hatten, sagten sie: „O
König, wir bringen dir die frohe Botschaft, die unglücklichen dreißig
Jahre sind vergangen und sein Geburtsstern ist jetzt zu Glück und Segen
gelangt.“ Als der König dies hörte, freute er sich sehr und
verheiratete seine Tochter mit dem Prinzen.

Der Prinz blieb einige Jahre daselbst, bis endlich der König starb und
der Prinz an seiner Stelle König wurde. Eines Tages sagte man ihm: „O
König, ein Franke ist gekommen und hat viele Waren mitgebracht. Darf er
sie ausstellen?“ Der König gab dazu die Erlaubnis. Als er an der Seite
des Franken zwei Knaben erblickte, regte sich sein Blut in Liebe und
das Gefühl der Vaterschaft rührte sich. Er fragte den Franken: „In
welchem Verhältnis stehen diese zwei Knaben zu dir?“ Er erwiderte: „Das
sind meine Sklaven, die ich verkaufen will.“ Der König sagte: „Ich
werde sie kaufen“, nahm sie in ein Nebenzimmer und fragte sie, wo der
Franke sie gekauft habe. Alsbald erzählten sie ihm ihre Ereignisse vom
Anfang bis zu Ende. Der König erkannte daraus, daß es seine beiden
Söhne waren, drückte sie an seine Brust, küßte einen jeden auf die
Augen und sprach: „Ich bin eurer Vater.“

Der König kam wieder heraus, nahm den Franken gefangen und ließ ihn
unter tausend Qualen sterben. Nachher wurde er von neuem mit Glück
gekrönt, indem er auch das Reich seines Vaters als König bekam.



ANMERKUNGEN


[1] Hodscha ist eigentlich der Titel für Geistliche, aber auch
Quacksalber, die durch Besprechen, Bepusten und durch Amulette die
Kranken heilen, werden damit bezeichnet.

[2] Der Ausdruck des Textes ist merkwürdig. Ich nehme an, daß ein
Druckfehler für den Namen des Prinzen von Jemen vorliegt.

[3] Lala ist der Prinzenerzieher.

[4] Halwa ist eine sehr geschätzte Süßigkeit.

[5] Müezzin = Gebetsrufer.

[6] Mit dem Badezeug.

[7] Geste des Erstaunens.

[8] Häufige Redewendung, mit der sich der Märchenerzähler an einen
besonders interessiert Aussehenden unter seinen Zuhörern wendet.

[9] Im türkischen Volksglauben werden darunter Riesen mit dämonischen
Kräften verstanden.

[10] Die Peris sind im Türkischen fast immer böse Geister.

[11] = das, was mir bestimmt ist.

[12] Gedörrtes Rindfleisch.

[13] Türbe = Mausoleum.

[14] Er meint das andere Mädchen damit.

[15] Anka ist ein sagenhafter Vogel von gewaltiger Größe, sehr
häufig unserem Phönix entsprechend.

[16] Um kahlköpfig zu erscheinen.

[17] Zuruf an den Taschendieb.

[18] Sefa bedeutet Freude, Dschefa Leid.

[19] Feredsche und Jaschmak sind der Überwurf und Schleier, die die
türkischen Damen zum Ausgange anlegen.

[20] Ein Akt der Höflichkeit gegen Höherstehende beim Treppensteigen
und dergl.

[21] Unübersetzbares Wortspiel. Im Türkischen wird das Wort für
Pfirsich gleichzeitig für Kuß gebraucht.

[22] Die Buchstaben haben etwa die Form dieser Gegenstände.

[23] Ein Geldstück, etwa unserem Taler entsprechend.

[24] Ein Gewicht, etwa unserem Kilo entsprechend.

[25] Kayk = Boot.

[26] Batman ist ein Gewicht, das in den einzelnen Gegenden verschieden
ist.

[27] Para etwa gleich ½ Pfennig.

[28] Kawaß = Diener. Gewöhnlich als Türhüter und zur Begleitung bei
Ausgängen benutzt.

[29] Bej = Bey.

[30] Joghurt entspricht im Geschmacke unserer dicken Milch, nur wird es
anders zubereitet. Gequirltes Joghurt mit Salz, Knoblauch oder Zucker
vermischt gibt den Airan.

[31] Turan ist die sagenhafte Urheimat aller Türkstämme.

[32] Köschk = Gartenpavillon, Sommerhaus.

[33] Rūm bezeichnet das byzantinische Kaiserreich.

[34] Der Atem Jesu gilt als lebenspendend, Krankheiten beseitigend.

[35] Zeichen der Trauer.

[36] Die Paradiesesjungfrauen, die den Gläubigen im Himmel zu teil
werden.

[37] Titel für Geistliche.

[38] = Gerichtssitzung.

[39] So ist zu lesen, wie sich aus der Antwort ergibt und nicht
„schwarz“, wie der Text hat.

[40] D. h. sie sind gelb geworden, was unserem Bleichwerden entspricht.

[41] Der aus dem Alten Testament bekannte Korah. In der muslimischen
Legende gilt er als Besitzer ungeheurer Reichtümer.

[42] Das Unglück tötete die Geduld.

[43] Das Morgengrauen hat gewissermaßen die Sonne vorgetäuscht und wird
nun durch den wirklichen Sonnenaufgang als Betrüger entlarvt.

[44] Dirhem ist ein kleines Gewicht (etwa 3¾ Gramm) und früher auch
eine Silbermünze von etwa 1 Frank.

[45] D. h. ihn, obgleich er die Augen offen hat, gleichsam schlafend
und unaufmerksam machen.

[46] Danadil bedeutet „Klugherz“.



INHALTSVERZEICHNIS


          Einleitung                                            1
     1.   Die Geschichte von dem Kristallpalast und
          dem Diamantschiff                                     7
     2.   Die Geschichte vom Halwaverkäufer                    17
     3.   Der schöne Kaffeeschenk                              29
     4.   Die Geschichte von der weinenden Granate und
          der lachenden Quitte                                 35
     5.   Die Geschichte von der Schönen, die das erreichte,
          was sie wollte                                       50
     6.   Die Geschichte von der Dilber, die nicht erreichte,
          was sie wollte                                       54
     7.   Die Geschichte von dem Kummervogel                   65
     8.   Die Geschichte vom smaragdenen Ankavogel             75
     9.   Die Geschichte von dem Vater Spindelhändler          92
    10.   Die Geschichte vom Diebe und vom Taschendiebe        98
    11.   Die Geschichte von Dschefa und Sefa                 102
    12.   Die Geschichte von Ali Dschengiz                    110
    13.   Die Geschichte von dem schönen Wasserträger         113
    14.   Die Geschichte von der schwarzen Schlange           116
    15.   Der dankbare Fuchs                                  125
    16.   Die Geschichte vom Dschihanschah                    130
    17.   Das wunderbare Napf                                 137
    18.   Die drei Söhne des Padischahs                       142
    19.   Der Grindkopf                                       149
    20.   Im Alter oder in der Jugend?                        155
    21.   Der Obersterndeuter                                 168
    22.   Der indische Kaufmann und der Papagei               181
    23.   Die Geschichte vom Goldschmied und Zimmermann       186
    24.   Das hölzerne Mädchen und seine Liebhaber            193
    25.   Der Löwe und das Schaf                              198
    26.   Der Löwe und der Kater                              201
    27.   Zarife und Antar                                    204
    28.   Dschemile und die drei Freier                       207
    29.   Der Greis, der nie verliebt war                     210
    30.   Der Kaufmann und der König der Tiere                211
    31.   Der habgierige Seidenspinner                        214
    32.   Der Beduine und der Kalif Mamun                     219
    33.   Der Luchs und der Löwe                              219
    34.   Die Frau und der Tiger                              224
    35.   Der Esel in der Löwenhaut                           229
    36.   Der Kaiser von China und die griechische
          Prinzessin                                          229
    37.   Der Holzhauer, der zur Unzeit tanzte                234
    38.   Die chinesische Sklavin und der Jüngling
          von Bagdad                                          235
    39.   Die Geschichte von dem klugen Landmanne             239
    40.   Der Vogel Heftreng                                  243
    41.   Die verschwenderische Maus                          251
    42.   Der Tischler und der Affe                           254
    43.   Der Fuchs und die Trommel                           255
    44.   Der Reiher und der Krebs                            256
    45.   Der Wolf, der Hase und der Fuchs                    259
    46.   Der Löwe und der Hase                               262
    47.   Die Schildkröte und der Skorpion                    264
    48.   Der Falke und der Hahn                              265
    49.   Der Jäger, der Fuchs und der Leopard                266
    50.   Die Enten und die Schildkröte                       267
    51.   Die beiden Geschäftsfreunde                         269
    52.   Der Gärtner und der Bär                             273
    53.   Der unwissende Arzt                                 274
    54.   Der Kamelreiter und die Schlange                    276
    55.   Der fromme Mann und die Diebe                       280
    56.   Die Maus, die in ein junges Mädchen verwandelt
          wurde                                               281
    57.   Die beiden Sperlinge und die Schlange               284
    58.   Der Derwisch und der zerschlagene Krug              285
    59.   Der König und sein Falke                            286
    60.   Die Räuber und die Kraniche                         287
    61.   Die Mutter und die kranke Tochter                   289
    62.   Der Mann mit den zwei Frauen                        289
    63.   Der Jäger und die beiden Studenten                  290
    64.   Der kluge Kadi                                      293
    65.   Der unsichtbare Turban                              295
    66.   Der vielgeprüfte Prinz                              296
          Anmerkungen                                         303





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